Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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A. von Keos, Peripatetiker im 3. Jh. v. Chr.
Band II,1 (1895) S. 953956
GND: 118650122
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52) Von Iulis auf Keos (Demetrios bei Diog. Laert. VII 164 Ἰλιήτης, l. Ἰουλιήτης. Strab. X 486. Steph. Byz. s. Ἰουλίς), Peripatetiker des 3. Jhdts. v. Chr. A.s Leben fehlt im fünften Buche des Laertios, weil sein Gewährsmann nur die ersten vier Schulhäupter des Peripatos behandelt hatte. Er wird als γνώριμος Lykons († 226 oder 225) in dessen Testamente genannt (Diog. V 70): ihm mit neun anderen Genossen vermachte er den Peripatos; nach Themistios or. 21, 255 B stellte Lykon den A. höher als sich. Ob er aber zum Schulhaupte gewählt wurde, ist unbekannt, da Clemens Alex. Strom. I 301 B in der mangelhaften Liste der peripatetischen Diadochen darüber schweigt, vermutlich weil auch er keine vollständige Liste besass, und in der Aristotelesvita des Menagius er zwar aufgeführt wird, aber zugleich mit ihm andere, die niemals Diadochen gewesen sind, also hier eine unvollständige Liste willkürlich ergänzt worden ist.

In einem Abriss der Geschichte des Peripatos, die ihm eine Geschichte des Verfalls des Peripatos zu sein schien, hat Antiochos von Askalon den A. als Schüler Lykons aufgeführt und sein Geschick als Schriftsteller gerühmt, aber eine eigentliche Bedeutung als Philosophen ihm abgesprochen (Cic. de fin. V 13), ein Urteil, das man unterschreiben muss, soweit die Fragmente zur Entscheidung ausreichen. Schon Theophrast hatte gelegentlich eine Neigung verraten, der Beantwortung schwieriger Fragen sich zu entziehen, und als bei Stratons Tode alle älteren Schulgenossen zu beschäftigt waren, die Schulleitung zu übernehmen und sich von dem βίος θεορητικός ableiten zu lassen, hatte der junge Lykon die Führung übernommen, ohne den Beweis geliefert zu haben oder später nachzuliefern, dass er an den umfassenden Problemen der älteren beiden Generationen mitzuarbeiten im stande war: und da er 44 Jahre Schulvorstand blieb und dabei vorzugsweise dem βίος τρυφερός huldigte, so genügte diese Zeit, die alten Traditionen vergessen zu machen. Das, was Aristoteles und Theophrast in den Mussestunden getrieben hatten, wurde Mittelpunkt der Thätigkeit bei den Späteren: anstatt Forscher waren sie Schöngeister oder bestenfalls Gelehrte, die ihr Erbe nicht selbst erwarben, höchstens besassen; in einem andern Sinne, als es Aristoteles vorgeschrieben hatte, verfolgten sie auream mediocritatem. Als ihr Prototyp erscheint A., aus dessen Nachlass erheblich mehr als von Lykon erhalten ist.

Wohl die wertvollste Arbeit A.s war die, aus der wir die Testamente der vier ersten peripatetischen Schulhäupter erhalten haben. Bezeugt ist diese Vermittlung nur für das Testament Stratons (Diog. Laert. V 64), aber der Analogieschluss liegt nahe; und nach stehender Gewohnheit, der z. B. auch Andronikos folgte, war eine solche Aufzeichnung von Testamenten verbunden mit biographischen Angaben und wohl auch Verzeichnissen der Schriften oder wenigstens der Hauptschriften. Daher darf man in den Viten von Aristoteles, [954] Theophrast, Straton und Lykon nicht nur einzelne Notizen A.s suchen, sondern wohl auch den Grundstock mit Zeller auf ihn zurückführen und daraus erklären, warum die Diadochenliste bei Laertios und sonst nicht weiter geführt ist. Auch Sotion, der im sechsten Buche seiner διαδοχαί die Peripatetiker behandelte, kann die Liste mit Lykon geschlossen haben, wenn der Nachfolger Lykons damals (208/6 oder bald darauf) noch in Thätigkeit war; und ob seine Excerptoren wie Satyros und Nikias von Nikaia, der unmittelbare Gewährsmann des Laertios in vielen Stücken (vgl. Usener S.-Ber. Akad. Berl. 1892, 1023ff.), die notwendigen Ergänzungen für die späteren Zeiten nachgeliefert haben, ist sehr zweifelhaft. Da aber in den vier Viten diese Diadochenschriftsteller gar nicht citiert werden, so haben sie schwerlich dem Laertios das Material geliefert, sondern eher A.; nur in den beiden hinzugefügten Viten des Demetrios und des Herakleides ist die sonstige Hauptquelle citiert: diese beiden Viten werden also aus Nikias hinzugefügt sein, weil A. sich auf die vier Schulhäupter beschränkt hatte. Wenn diese Vermutung richtig ist, war A. in beschränktem Umfange ein Vorläufer Sotions und hat vielleicht die Anregung zu der Aufstellung der διαδοχαί in grösserem Umfange gegeben. Die Lücke in unserer Überlieferung hilft zum Erkennen der Vorlage hier wie bei der Geschichte anderer Philosophenschulen oder wie bei der mit Ol. 156 abbrechenden Geschichte der Plastik, die der Grundstock des Varro und Plinius (n. h. XXXIV 62) war. Nur müsste man die Zuthaten des Laertios aus Hermippos, Apollodoros, Demetrios Magnes, Favorinus u. a. entfernen, um den Grundstock der vier Viten zu erhalten. Jedoch sind uns von A. alte Verzeichnisse der Bücher des Aristoteles (s. d.) und Theophrast (s. d.) nicht erhalten; vgl. auch Hermippos.

A.s Generation las sicher nicht nur viele Schriften des Aristoteles, der eine diese, der andere jene, je nach individueller Anlage und Neigung, sondern man setzte vermutlich auch noch die seit Aristoteles Tode oder schon zu seinen Lebzeiten geübte Praxis fort, Auszüge zu machen, nach irgendwelchen Gesichtspunkten Lehren der Schule zusammenzustellen, die Schriften des Stifters zu ergänzen, aus mehreren Einzelschriften und Dubletten grössere Werke herzustellen u. dgl. Aber A.s Anteil daran ist nicht mehr zu ermitteln. Er mag wohl auch wie der spätere Doxograph (Diog. V 32) über des Meisters naturwissenschaftlichen Eifer und seine Sorge um alle Kleinigkeiten gestaunt haben. Wie Lykon erwärmte er sich nicht für grössere Probleme, sondern für den Klatsch, der den mittleren Peripatos berüchtigt gemacht hat. A.s Schrift ‚Lykon‘ wird von Plutarch de aud. poet. 1 mit dem ,Abaris‘ des Herakleides, den aesopischen Fabeln und den dramatischen (und ethischen?) Stoffen zusammengestellt. Mancherlei Anecdoten sind von A. überliefert worden (in den Viten Plutarchs, wo einmal ὁ Χῖος in den Hss. steht, u. s.); namentlich haben solche in den ἐρωτικὰ ὅμοια gestanden. Eine Ergänzung zu Theophrasts Schrift περὶ ὑδάτων könnte das mit einer Inschrift belegte Wunder einer Quelle auf Keos sein (exc. Laur. 25; Vatic. [955] 34. Varro bei Plin. n. h. XXXI 12. Vitruv. VIII 3), doch ist hier A. nur der Peripatetiker genannt. Und ebenfalls nicht genauer bezeichnet ist der A., dessen Schrift über die Kindererziehung Varro in dem Loghistoricus Catus (frg. 9 R.) verwertet hat: durch ein gewisses naturwissenschaftliches Wissen giebt sich der Verfasser als angeregt von Theophrast zu erkennen, aber es handelt sich für ihn nicht um zoologische oder botanische Forschung, sondern um pädagogische Vergleiche und Betrachtungen in populärem Gewande: und hier wie sonst bezeichnet die Pädagogik das Ende der Wissenschaft.

Vielleicht am meisten zogen den A. oder seine späteren Benutzer die Schilderungen von Charakteren an, welche sich von der goldenen Mittelstrasse entfernten. Solche Schilderungen hatten Theophrast und Lykon verfasst, und von A. haben sich mehrere Species von Hochmütigen in guter Beobachtung des Lebens und lustiger Darstellung erhalten bei Philodemos (περὶ κακιῶν u. s. w. Buch X), ausserdem zerstreut andere Charaktere namentlich in Plutarchs moralischen Schriften. Äusserlich waren diese Schilderungen wie die Theophrasts ganz hypomnematisch gehalten in trockenem Aneinanderreihen der einzelnen Züge mit οἷον; aber in der Sache hatte sich A. beeinflussen lassen von einem der gewandtesten Schriftsteller des 2. Jhdts., Bion von Borysthenes, dem ein guter Witz mehr galt als alle Überzeugung. Wir würden diese Abhängigkeit A.s aus den Fragmenten erschliessen, wenn sie nicht Strabon X 486 bezeugte. Gewaltsame Antithesen, kühne Bilder, witzige Pointen finden sich hier gehäuft, dazu viele Citate und historische Belege. Und diese Art von Schriftstellern wurde das Vorbild der späten eklektischen Moralphilosophie und der römischen Satire.

Ähnlich war auch A.s Schrift Tithonos über das Alter, die den Kern von Ciceros Cato Maior bildete: auch hier ist neuerdings das Salz Bions unwiderleglich nachgewiesen worden, dieselbe Art und Unart. Und auch der ,Lykon‘ wird durch gleiche Mittel ‚jugendliche‘ Gemüter begeistert haben, aber er wird schwerlich mit dem Tithonos identisch gewesen sein; selbst Varros Tithonus ἢ περὶ γήρως auf die Schrift A.s zurückzuführen, liegt kein Grund vor, ausser dem Titel, und sachlich spricht dagegen, dass Cicero und Varro in ihren Concurrenzschriften gewiss nach verschiedenen Vorbildern gegriffen haben.

Eine Reihe witziger Aussprüche und Vergleiche wird von Johannes Stob, aus den ὁμοιώματα angeführt, welche zwar an einer Stelle (Flor. 4, 110) dem Chier zugeschrieben werden, aber zum grössten Teile nachweislich nicht von dem Stoiker herstammen können. Entweder ist also einfach ὁ Χῖος in ὁ Κ(ε)ῖος zu emendieren, oder man hat mit Kiessling Ind. lect., Greifswald 1887, eine Excerptensammlung anzunehmen aus Werken ,A.s‘, worin die beiden Zeitgenossen nicht auseinander gehalten waren. Denn schon früh war die Autorschaft bei vielen Werken unsicher geworden (s. zu Nr. 57), und wir haben nicht die Mittel, das Urteil des Sosikrates und des Panaitios zu controllieren, nachdem das meiste verloren gegangen ist. Dass die Unterscheidung des Eigentums beider Namensvettern im einzelnen, wie sie vor 2000 Jahren strittig war, es heute erst recht ist, kann nicht [956] Wunder nehmen; doch scheint im grossen und ganzen das besonnene Urteil Zellers zur allgemeinen Geltung zu kommen, namentlich nach Henses Untersuchungen über Bion.

Litteratur: Fragmente ges. von Hubmann Jahns Jahrb. Suppl. III (1834) 102–126. Ritschl Rh. Mus. N. F. I (1842) 193ff. 640 = Op. I 551f. Philodem de vitiis X ed. Sauppe, Göttingen 1853. Krische Forschungen 405f. 408. Zeller Philos. d. Griech. III³ 925ff. Teletis reliquiae ed. Hense Freiburg 1889, Proleg. Rh. Mus. XLV 541ff. R. Heinze De Horatio Bionis imitatore, Diss. Bonn 1890; Rh. Mus. XLV 497ff. Giesecke De philos. quae ad exilium spectant sentent., Leipz. 1891; Jahrb. f. Philol. 1892, 206–210. Susemihl Alex. Litt.-Gesch. I 150ff. u. ö. Gercke Archiv für Gesch. d. Philos. V 198–216, vgl. dazu auch A. Koerte Wochschr. f. kl. Philol. 1892, 1231.

[Gercke. ]

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S. 953 zum Art. Ariston 52):

Ariston von Iulis auf Keos (frg. 1–3), Peripatetiker und Schüler Lykons (o. Bd. XIII S. 2303 Nr. 14), dessen Todesdatum (226/5 v. Chr.) den einzigen Anhalt für seine Zeitbestimmung bietet. etc. etc.

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52) A. von Keos, Peripatetiker im 3. Jh. v. Chr. S XI.