Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Gattung des votum, s.d.
Band V,1 (1903) S. 277280
Hingabe in der Wikipedia
Unterwerfung in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register V,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|V,1|277|280|Devotio|[[REAutor]]|RE:Devotio}}        

Devotio, eine besondere Gattung des votum (s. d.), in ihrer ursprünglichen Form und in den Einzelheiten ihres Rituals nur aus der annalistischen Erzählung von der D. der beiden Decii, des Vaters im Kampfe gegen die Latiner in der Nähe des Vesuvs 414 = 340 (o. Bd. IV S. 2280f.), des Sohnes bei Sentinum 459 = 295 (ebd. S. 2283f. und über die angebliche D. auch des Enkels in der Schlacht bei Ausculum 475 = 279 ebd. S. 2285), bekannt. Die charakteristischen Unterschiede der D. vom gewöhnlichen Votum sind folgende: 1. die Empfänger des Gelübdes sind, worauf schon der Name de-votio hinweist (die Verwendung von de-vovere gleichbedeutend mit vovere, für die Pernice S.-Ber. Akad. Berl. 1885, 1156, 1 Beispiele gesammelt hat, ist erst secundär und untechnisch) die Götter der Unterwelt (Liv. VIII 6, 10. 10, 9. X 28, 13. 29, 4 Tellus oder Terra mater und die Di manes); 2. Gegenstand des Gelöbnisses sind Menschenleben, durch deren Vernichtung es erfüllt wird; 3. die Vollziehung der gelobten Handlung erfolgt nicht erst nach Eintritt der von der Gottheit erbetenen Gegenleistung, sondern im Voraus; 4. diese Gegenleistung besteht in der Vernichtung anderer Menschenleben, die der Devovierende in seine D. mit eingeschlossen hat. Berechtigt zur Vornahme der D., die ihre Anwendung ausschliesslich im Kampfe finden kann, ist der Magistrat cum imperio (consuli dictatorique et praetori Liv. VIII 10, 11, imperatores Cic. nat. deor. II 10; damit ergiebt sich, dass die bei Liv. V 41, 3 und sonst von den bei der Gallierinvasion auf dem Forum zurückbleibenden Greisen überlieferte Nachricht sunt qui M. Folio pontifice maximo praefante carmen devovisse eos se pro patria Quiritibusque Romanis tradant apokryph ist), Gegenstand des Gelöbnisses kann sowohl er selbst als irgend ein von ihm bezeichneter römischer Bürger aus der Legion sein (quem velit ex legione Romana scripta civem, Liv. VIII 10, 11), die an die Unterirdischen gerichtete Forderung geht auf Vernichtung des feindlichen Heeres (vgl. namentlich Liv. VIII 6, 10 ex una acie imperatorem, ex altera exercitum Dis manibus matrique Terrae deberi), und ihre Erfüllung ist gesichert, sobald der Devovierte im Kampfe gefallen ist (dass das auch habe durch Selbstmord oder durch Tötung von der Hand eines Kameraden geschehen können, wie Plut. an vitios. ad infelic. suff. 3 und Zonar. VII 26 erzählen, ist verständnislose Erfindung [278] griechischer Berichterstatter), denn indem die Götter den Tod des Devovierten zulassen, treten sie in den Pact ein und verpflichten sich zu der ausbedungenen Gegenleistung; der Gefallene zieht das feindliche Heer nach sich ins Verderben (iam ego mecum hostium legiones mactandas Telluri ac dis manibus dabo Liv. X 28, 13, vgl. 29, 4 rapere ad se ac vocare Decium devotam secum aciem). Fällt dagegen der Devovierte nicht, so wird, wenn es ein Legionär war, an seiner Statt ein mindestens 7 Fuss hohes Bild in die Erde vergraben und ein Piacularopfer dargebracht; die Stelle, wo die Vergrabung erfolgt ist, ist ein locus religiosus (ubi illud signum defossum erit, eo magistratum Romanum escendere fas non esse, Liv. VIII 10, 12); war es der Feldherr selbst, so bleibt er impius und von allen sacralen Acten öffentlicher und privater Natur ausgeschlossen (neque suum neque publicum divinum pure faciet sive hostia sive quo alio volet, Liv. a. a. O. § 13), weil er – wenn auch ohne eigene Verschuldung – sein Gelübde nicht eingelöst hat und dieses von ihm selbst freiwillig geleistete Gelübde nicht ablösbar ist, während der vom Feldherrn devovierte Legionär durch eine Ersatzleistung und ein Piacularopfer ausgelöst werden kann. Die Devotionsformel (carmen Liv. V 41, 3. Plin. n. h. XVIII 12; precatio Liv. X 28, 15; sollemnia verba Aur. Vict. de vir. ill. 27, 3, vgl. Senec. epist. 67, 9; verbis certis Cic. n. d. II 10) teilt Liv. VIII 9, 6–8 (über einige Entstellungen s. Wissowa De dis Roman, indiget. et novensid. p. VII 2) im Wortlaute mit: Iane Iuppiter Mars-pater Quirine Bellona Lares, divi novensiles di indigetes, divi quorum est potestas nostrorum hostiumque, dique manes, vos precor veneror veniam peto oroque, uti populo Romano Quiritium vim victoriamque prosperetis hostesque populi Romani Quiritium terrore formidine morteque adficiatis. sicut verbis nuncupavi (diese Worte weisen auf die bei der jedesmaligen Anwendung des Formulars vor ihnen einzuschiebenden speciellen Stipulationen hin) ita pro republica exercitu legionibus auxiliis populi Romani Quiritium legiones auxiliaque hostium mecum dis manibus Tellurique devoveo. Wie es bei staatlichen Sacralacten üblich ist, wird die Formel dem Feldherrn vom Pontifex vorgesprochen (Liv. V 41, 3. VIII 9, 4. X 28, 14), jener selbst spricht sie nach, auf einem Wurfspeer stehend, gekleidet in die Praetexta (Zonar. VII 26), das Hinterhaupt verhüllt (Cic. n. d. II 10. Flor. I 14, 3), die Hand unter der im cinctus Gabinus (s. d.) gegürteten (Liv. X 7, 3, vgl. VIII 9, 9. Zonar. VIII 5) Toga ans Kinn gelegt (Liv. VIII 9, 5, vgl. X 7, 3. Aur. Vict. de vir. ill. 27, 3); der bei der Ceremonie zur Verwendung gekommene Wurfspeer darf nicht in die Hände des Feindes fallen, geschieht es dennoch, so ist dem Mars ein Suovetaurilienopfer als piaculum verwirkt (Liv. VIII 10, 14). Die Preisgabe der feindlichen Legionen an die Unterirdischen schliesst ihre Waffen nicht mit ein, diese kann der Devovierende dem Volcanus oder einer andern derjenigen Gottheiten, quibus spolia hostium dicare ius fasque est (Liv. XL 33, 2), geloben (Liv. VIII 10, 13).

Von diesem sicher uralten römischen Brauche wesentlich verschieden ist, was Macrob. S. III 9 [279] nach Serenus Sammonicus in libro quinto rerum reconditarum (der seinerseits das Mitgeteilte in cuiusdam Furii vetustissimo libro gefunden hatte) darüber mitteilt, wie urbes exercitusque devoventur iam numinibus evocatis. Das von ihm § 10f. angeführte carmen lautet folgendermassen (Versuch, darin Reste altitalischer Verse zu erkennen, bei R. Peter Comment. in honorem Reifferscheidii 79ff.): Dispater Veiovis Manes sive quo alio nomine fas est nominare, ut omnes illam urbem Carthaginem exercitumque quem ego me sentio dicere fuga formidine terrore compleatis, quique adversum legiones exercitumque nostrum arma telaque ferent, uti vos eum exercitum eos hostes eosque homines urbes agrosque eorum et qui in his locis regionibusque agris urbibusve habitant abducatis lumine supero privetis exercitumque, hostium urbes agrosque capita aetatesque eorum devotas consecratasque habeatis ollis legibus, quibus quandoque sunt maxime hostes devoti, eosque ego vicarios pro me fide magistratuque meo pro populo Romano exercitibus legionibusque nostris do devoveo, ut me meamque fidem imperiumque legiones exercitumque nostrum, qui in his rebus gerundis sunt, bene salvos siritis esse, si haec ita faxitis, ut ego sciam sentiam intellegamque, tunc quisquis hoc votum faxit ubi faxit recte factum esto ovibus atris tribus. Tellus mater teque Iuppiter obtestor. Gemeinsam ist dieser Formel, deren erheblich jüngerer Ursprung daraus hervorgeht, dass sie auf die Eroberung von Karthago gestellt ist und ausserdem den erst im J. 505 = 249 in Rom recipierten griechischen Dis pater erwähnt, mit der zuerst erörterten D. die Anrufung der Unterweltsgötter und der Tellus mater sowie der Umstand, dass auch diese D. nur vom Feldherrn ausgesprochen werden kann (dictatores imperatoresque soli possunt devovere, Macr. § 9), aber die Situation ist eine ganz andere, insofern es sich nicht um die Vernichtung eines kämpfenden Heeres, sondern um die Preisgebung einer zu erobernden Stadt handelt, aus der die Götter bereits evociert worden sind (s. Evocatio); vor allem aber fehlt sowohl die Darbietung eines römischen Lebens an die Unterirdischen, als die Vorauserfüllung des Gelübdes; das Opfer von drei schwarzen Schafen wird erst in Aussicht gestellt si haec ita faxitis, es soll also wie bei jedem gewöhnlichen Votum die Erfüllung der an die Götter gerichteten Bitte vorangehen und dann erst die versprochene Gegenleistung des Menschen fällig werden. Es fehlen also gerade die charakteristischen Merkmale der D. und die Worte devotas consecratasque habeatis weisen darauf hin, dass es sich vielmehr um die consecratio (s. d.) des feindlichen Gebietes handelt, die ja, wie wir wissen, nach der Eroberung von Karthago (Cic. de leg. agr. I 5. II 51), wie sonst zuweilen (Cic. de domo 128. Suet. Caes. 20), in der That erfolgt ist. Eine solche Überweisung an die Götter und zwar speciell an die Unterirdischen (dis inferis sacer esto) kommt einer Verfluchung gleich; daher nimmt D. die Bedeutung der Verwünschung an (s. Art. Fluch) und bezeichnet speciell auch die Zauberformel, durch die man eine feindliche Person den Unterirdischen zur Hinraffung empfiehlt (carmina et devotiones [280] et nomen Germanici plumbeis tabulis insculptum, Tac. ann. II 69; vgl. III 13. Suet. Calig. 3; s. Art. Defixio), und auf der Bleitafel von Arretium CIL XI 1823 lesen wir hunc ego aput vostrum numen demando devoveo desacrifico uti vos ... eum interemates interficiates intra annum istum. Hat in dieser Anwendung des Wortes die D. mit dem alten Acte dieses Namens nur noch die auf Vernichtung eines Feindes mit Hülfe der Unterirdischen gerichtete Absicht gemeinsam, so tritt die andre Seite, die Selbstaufopferung, aber nicht zum Zwecke der gleichzeitigen Vernichtung eines Feindes, sondern für das Heil eines andern, hervor in der in der früheren Kaiserzeit zuweilen begegnenden devotio pro salute principis; zum erstenmale vollzog diesen Act im J. 727 = 27 der Volkstribun Sex. Pacuvius Taurus, der sich selbst dem Augustus devovierte und andere nötigte καθιερῶσαί σφας τῷ Αὐγύστῳ (Cass. Dio LIII 20, 2f.). Doch unterscheidet sich dieser Brauch, der an die Sitten gewisser Barbarenvölker des Westens anzuknüpfen scheint (τὸν τῶν Ἰβήρων τρόπον Cass. Dio a. a. O. § 2; Celtiberi nefas esse ducebant proelio superesse, cum is occidisset, pro cuius salute spiritum devoverant, Val. Max. II 6, 11, vgl. auch Caes. b. G. II 23, 1), von der altrömischen D. schon dadurch, dass die Vorausvollziehung fehlt, ja das Gelübde überhaupt nicht eingelöst wird; Caligula führte die Vertreter dieser Form der Adulation kräftig ad absurdum, indem er den P. Afranius Potitus, der während einer Krankheit des Kaisers sein Leben für die Genesung des Princeps gelobt hatte, das Gelöbnis einzulösen zwang (Cass. Dio LIX 8, 3, vgl. Suet. Calig. 27). Seitdem hat sich eine blasse Erinnerung an den ganzen Brauch nur noch in der auf Inschriften häufigen Ergebenheitsphrase devotus numini maiestatique eius mit ihren Varianten erhalten (vgl. Cass. Dio I LIII 20, 4 ἀφ’ οὗπερ καὶ νῦν προςτρεπόμενοι τὸν κρατοῦντα λέγειν εἰώθαμεν ὅτι σοι καθωσιώμεθα). Im allgemeinen vgl. Marquardt St.-Verw. III 279f. A. Pernice S.-Ber. Akad. Berl. 1885, 1156f. A. Bouché-Leclercq bei Daremberg-Saglio Dictionn. II 113ff.