Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Mus, P. 352 v. Chr. einer der ersten Quinqueviri mensarii
Band IV,2 (1901) S. 22792281
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15) P. Decius Mus, war Q. f. nach Cic. de div. I 51. Fasti Cap. zum J. 442. 446 und im J. 402 = 352 einer der ersten Quinqueviri mensarii, die aus Staatsmitteln den Schuldnern Vorschuss gewährten (Liv. VII 21, 6, vgl. Mommsen St.-R. II 640f.). Seine weitere Geschichte ist ein Teil der Tradition über den angeblichen ersten samnitisch-latinischen Krieg, von der im allgemeinen noch heute das Urteil Mommsens R. G. I 355f. Anm. gilt, wonach sie fast völlig preiszugeben ist. In dem ersten Kriegsjahr 411 = 343 soll der eine Consul A. Cornelius Cossus Arvina (s. o. S. 1294) beim Einmarsch in Samnium in einem Engpass eingeschlossen worden sein; er wäre mit seinem Heere verloren gewesen, wenn nicht der als Tribunus militum unter ihm dienende D. sich erboten hätte, mit einer kleinen auserwählten Schar eine Anhöhe zu besetzen, die die feindliche Stellung beherrschte, so dass die Samniten sich nicht rühren konnten und den Consul abziehen lassen mussten; D. selbst sei dann in der Nacht glücklich durch das feindliche Lager durchgebrochen und zu den Seinigen zurückgekehrt und habe durch seinen Rat, sofort anzugreifen, einen grossen Sieg herbeigeführt. Ausführlicher, sehr ausgeschmückter Bericht Liv. VII 34, 3–36, 13, kürzer, aber übereinstimmend (Frontin. strat. I 5, 14 = IV 5, 9. Auct. de vir. ill. 26, 1f., der jedoch die Localität dieses Kampfes mit der einer von dem andern Consul M. Valerius Corvus geschlagenen Schlacht verwechselt; etwas abweichend von Livius unter Berufung auf annales Cic. div. I 51. Schon Liv. XXII 60, 11 stellt die That des D. zusammen mit der des M. Calpurnius Flamma im ersten punischen Kriege (s. o. Bd. III S. 1373 Nr. 42), und meistens wird sie nur als eine Doublette dieser besser beglaubigten Erzählung angesehen, wie ähnliche Situationen in der Geschichte der Samniterkriege überhaupt wiederholt geschildert werden (vgl. Pais Storia di Roma I 2, 249f.). Der älteste Bestandteil der Überlieferung dürfte der Bericht über die dem D. verliehenen Auszeichnungen (coronae) und Ehrengeschenke sein, den ausser den Historikern (Liv. VII 37, 1–3. Auct. de vir. ill. 26, 3) auch die Antiquare geben (Fest. p. 190. Plin. n. h. XVI 11. XXII 9, beide aus Varro); dagegen ist der Zug, dass der Plebeier D. höheren Ruhm aus dem Kriege heimbrachte, als die beiden patricischen Consuln (Liv. VII 38, 3, vgl. Appian. Samn. 1, 1) erst von späten Autoren betont worden. Zum Consulat gelangte D. als erster aus seiner Familie (Cic. div. I 51; fin. II 61. Val. Max. V 6, 1) im J. 414 = 340 mit T. Manlius Torquatus (Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Liv. VIII 3, 5. Flor. I 14, 1. Oros. III 9, 1. Cassiod. Schol. Bob. Sull. p. 366 Or. Diod. XVI 89, 1) und verherrlichte seinen Namen durch seine freiwillige Aufopferung für den Sieg der römischen Waffen im Kriege mit den Latinern. Es wird stets von der Gesamtauffassung dieses Latinerkrieges abhängen, ob man der Tradition über den Tod des D. Glauben schenken will oder nicht, und dass jener in der Zeittafel der Oxyrhynchus Papyri I nr. XII Col. II 25 überhaupt erst nach dem Consulat des D., ein Jahr später als bei Livius angesetzt wird, erhöht noch die bisherigen Bedenken gegen dessen Zuverlässigkeit (s. o. [2280] S. 1294). Nach Cic. div. I 51 vgl. II 136 soll dem D. schon, als er Militärtribun war, ein Traumgesicht verkündet haben, dass er im Kampfe einen ruhmvollen Tod finden werde. Diese Erzählung der älteren Annalisten ist von den jüngeren weiter ausgestaltet worden: es sei den beiden Consuln, als sie mit ihren vereinigten Heeren den Latinern bei Capua gegenüberstanden, im Traume dieselbe Weissagung zu teil geworden, dass das Volk den Sieg gewinnen werde, dessen Führer sich selbst und das Heer der Feinde den unterirdischen Göttern weihen würde (Liv. VIII 6, 8ff. Val. Max. I 7, 3. Auct. de vir. ill. 26, 4. Zonar. VII 26, ungenau Plut. par. min. 18); darauf hätten sie sich dahin geeinigt, dass der von ihnen, dessen Flügel zuerst zu weichen beginne, sich zum Opfer bringen sollte, und so habe sich das Geschick des D. erfüllt. Dieser letztere Zug ist erst aus der Erzählung von der Devotion des Sohnes D. (Nr. 16) entlehnt; derselbe späte Annalist, nach dessen Erfindung beide Consuln als Opfer zur Wahl standen, musste auch erklären, weshalb das Los D. und nicht seinen Collegen traf. Ein Bruchstück der ältesten Überlieferung ist dann wieder die Devotionsformel, die Liv. VIII 9, 6–8 (vgl. X 28, 14f. Auct. de vir. ill. 27, 3) im Wortlaut wiedergiebt; Kenntnis davon verraten auch Cic. nat. deor. II 10 (imperatores . . . se ipsos dis immortalibus . . . verbis certis pro re publica devoverunt) und Plin. n. h. XXVIII 12 (durat. . .. Deciorum patris filiique, quo se devovere carmen). Damit hängt die Angabe über die bestimmte Tracht des sich dem Tode Weihenden, den cinctus Gabinus (Liv. VIII 9, 5. 9, vgl. Cic. a. O. Flor. I 14, 3. Zonar. VII 26), eng zusammen, die bereits Duris von Samos machte, wenn Zonar. VIII 5 (Πύρρος . . . πολυπραγμονήσας τὴν στολήν, ᾗ ἐχρήσαντο οἱ Δέκιοι ἐπιδιδόντες ἑαυτούς, παρήγγειλε τοῖς οἰκείοις, ἂν τινα οὕτως ἐσκευασμένον ἴδωσι, μὴ κτεῖναι αὐτόν, ἀλλὰ ζωὸν συλλαβεῖν) wirklich in letzter Linie auf ihn zurückgeht (vgl. Nr. 16). Die Ausführung der Devotion wird in fast allen Berichten übereinstimmend so geschildert, dass sich D. zu Ross mitten in die feindlichen Scharen stürzte und im Handgemenge seinen Tod fand. Abweichende Berichte bieten Zonar. VII 26: καὶ οἱ μὲν οὕτω φασὶν ἐφ’ ἵππον ἀναπηδῆσαι αὐτὸν καὶ εἰσελάσαι πρὸς τοὺς πολεμίους καὶ ὑπ’ ἐκείνων ἀποθανεῖν, οἱ δὲ ὑπὸ συστρατιώτου πολιτικοῦ σφαγῆναι. Plut. an vitios. ad infelic. suff. 3: Δέκιος . . . τῶν στρατοπέδων ἐν μέσῳ πυρὰν νήσας, τῷ Κρόνῳ κατ’ εὐχὴν αὐτὸς ἑαυτὸν ἐκαλλιέρησεν ὑπὲρ τῆς ἡγεμονίας; beide sind gewiss ganz späte, vermutlich griechische Erfindungen. Die ausführlichste Erzählung vom Opfertode des D. giebt Liv. VIII 6, 8–16. 9, 1 – 11, 1; kürzere Berichte Val. Max. I 7, 3. V 6, 5. Flor. I 14, 3. Oros. III 9, 3. Auct. de vir. ill. 26, 4f., vgl. 28, 4. Zonar. VII 20. Von dem Opfertod eines D., ohne zu sagen, ob des Vaters oder des Sohnes, spricht Auct. ad Her. IV 57; Plut. par. min. 18 erzählt den des Vaters als in einem Kriege πρὸς Ἀλβανούς vollzogen, während er ebd. 10 aus anderer Quelle D. πρὸς Λατίνους kämpfen lässt; dass Tzetzes ad Lycophr. 1378 Vater und Sohn zusammenwirft, fällt ihm selbst, nicht den von ihm citierten Autoren Duris, Diodor, Dio zur Last (s. Nr. 16). Vielfach wird die [2281] Devotion beider zusammen erwähnt, schon in dem Drama des Accius beruft sich der Sohn auf das Vorbild des Vaters (Decius frg. 10. 11 Ribbeck), ebenso bei Liv. X 7, 3f.; von beiden Deciern sprechen Cic. Sest. 48 (mit Schol. Bob. z. d. St. p. 299 Or.); Rab. Post. 2; Phil. XI 13. XIII 27 (s. o. Nr. 10); div. I 51; Cato 75; off. III 16; parad. I 12. Frontin. strat. IV 5, 15. Ampel. 20, 6. Iuven. VIII 254ff. mit Schol., von den drei Deciern, Vater, Sohn und Enkel Cic. fin. II 61; Tusc. I 89. Wenn die Frage aufgeworfen wird, ob von den Devotionen des Vaters und des Sohnes die eine nach dem Muster der andern erdichtet ist, so kann ohne Zweifel nur die des Sohnes als historisch und als Vorbild der Erzählung über den Vater angesehen werden, weil die ganze Tradition über den Latinerkrieg sehr getrübt ist. Aber auch dann kann man unbedenklich als Kern der Tradition festhalten, dass Vater und Sohn als Consuln ihren Tod auf dem Schlachtfelde gefunden haben und nur die näheren Umstände des Todes, eben die Devotion, von dem einen auf den andern übertragen wurden. Rationalistische Deutungen der Überlieferung sind schon im Altertum laut geworden, so bei Cic. nat. deor. III 15: Tu autem etiam Deciorum devotionibus placatos deos esse censes. Quae fuit eorum tanta iniquitas, ut placari populo Romano non possent, nisi viri tales occidissent ? Consilium illud imperatorium fuit, quod Graeci στρατήγημα appellant, sed eorum imperatorum, qui patriae consulerent, vitae non parcerent; rebantur enim fore, ut exercitus imperatorem equo incitato se in hostem immittentem persequeretur, id quod evenit; vgl. ferner Dio frg. 32, 4 (Zonar. VII 26). Ernste Bedenken lassen sich aber im Hinblick auf römische Religion und Religiosität selbst gegen die Tradition, dass sich ein römischer Consul freiwillig dem Tode weihte, kaum erheben (vgl. u. a. Pais Storia di Roma I 2, 260ff.); namentlich in der Schlacht bei Sentinum mochte eine solche Handlung auf die dem Sohne D. gegenüberstehenden Kelten, bei denen Menschenopfer und ähnliche Reste uralter religiöser Vorstellungen noch in späteren Jahrhunderten erhalten waren, eine nicht minder tiefe Wirkung ausüben, als auf das eigene Heer.