RE:Apotheosis
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Erhebung von Menschen zu Göttern | |||
Band II,1 (1895) S. 184–188 | |||
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Apotheosis.
Name und Begriff.
Das Wort ἀποθέωσις scheint eine jener zahlreichen abstracten Bildungen der hellenistischen Zeit zu sein, ebenso das Zeitwort ἀποθεόω oder ἀποθειόω. Polybios sagt von Kallisthenes, dass er Alexander d. Gr. ἀποθεοῦν ἐβουλήθη (XII 23, 4); Diodor gebraucht das Verbum in einer durchweg euhemeristischen Partie für die Erhebung der Titaia zu den Göttern unter dem Namen Ge (III 57, 2 ἀποθεωθῆναι μετὰ τὴν τελευτήν). Eine A. des Diomedes bei den Venetern (τὴν καταστροφὴν αὐτοῦ ἣν ἀποθέωσιν καλοῦσι) erwähnt Strabon VI 284. Beide Ausdrücke sind übrigens doppelsinnig und können auch Bestattung bezw. bestatten bedeuten. So auf zwei Inschriften der Kaiserzeit CIG 2831 ἀποθεωθῆναι) und 2832 (ἀποθέωσιν), in beiden Fällen ganz concret von der Bestattung, ohne jede metaphysische Nebenbedeutung; aber nicht erst da; schon Cicero spielt mit dem Doppelsinn (ad Att. XII 36, vgl. 35 und 12, 1). Später wird das Wart häufiger. Die Vorstellung, dass Menschen zu Göttern erhoben werden können, ist bei den Griechen älter als das Wort A. Dieselbe kann sich an Menschen knüpfen, die nie gelebt haben, also an ursprünglich göttliche Wesen, die durch einen Act von Anthropomorphismus zeitweilig in den Kreis des menschlichen Daseins hinabgezogen worden sind, oder an wirkliche Menschen nach ihrem [185] Tode (dafür meist Heroisierung), oder endlich und das ist das Späteste, an noch lebende Menschen. Wie sich diese Vorstellung im Volke geschichtlich entwickelt hat – dass es auf die Vorstellungen selbst mehr als auf deren zu erschliessende Entstehungsgründe ankommt, betont mit gutem Grunde E. Rohde Psyche I 68, 2 – soll in der nachfolgenden Skizze wenigstens in den Grundlagen dargelegt werden.
Von der homerischen Zeit bis auf Alexander d. Gr.
In der Odyssee (V 333ff.) erweist sich Leukothea als rettende Seegöttin dem schiffbrüchigen Helden; sie war ehemals als Ino, Tochter des Kadmos, eine Sterbliche. Andere Beispiele für A. bietet das Epos noch mehrere, wenn sie auch nicht so scharf ausgeprägt sind. (Ganymedes wird entführt, um den Göttern als Mundschenk zu dienen (Il. XX 232ff. = hymn., in Ven. 201ff.), Tithonos von Eos entrückt (vgl. den Melampodiden Kleitos, Od. XV 249f.), um ihr Gemahl zu sein (Il. XI 1; Od. V 1, travestiert hymn. in Ven. 218ff. Rohde a. a. O. 69, 4). Leukothea ist eine Göttin, im griechischen Mutterlande (Isthmos) wie in den ionischen und dorischen Colonien viel verehrt; auch Ganymedes und Tithonos werden von Anfang an Götter gewesen sein, die man in den Stammbaum der troischen Königsdynastie, als dieselbe noch regierte (Il. XX 307ff.), eingefügt hat. Dem Odysseus will die Göttin Kalypso Unsterblichkeit und ewige Jugend geben (Od. V 136. 209. XXIII 336. Rohde 68). Wenn er es angenommen hätte, wäre er damit noch nicht notwendig zum Gott geworden: dem Menelaos wird ein Weiterleben ganz als Mensch in dem elysischen Gefilde verheissen (Od. IV 563ff.). Die hesiodische Dichtung führt nach einer anderen Richtung. In der Erzählung von den fünf Menschengeschlechtern (op. 109–201) entstehen ganz neue Wesen aus den ausgeschiedenen Menschen: die des ersten Geschlechts werden nach dem Tode zu δαίμονες ἐπιχθόνιοι, die des zweiten in ὑποχθόνιοι; die vom vierten heissen ἀνδρῶν ἡρώων θεῖον γένος, οἳ καλέονται ἡμίθεοι. Wenn auch gerade diese letzten Verse nach Kirchhoff Hesiods Mahnlieder an Perses 50 jünger sind als ihre Umgebung, und wenn die ganze Erzählung (über die auch Rohde 89) nicht zum ursprünglichen Stamme des Gedichtes gehören mag, jedenfalls stellen wir hier in einem boeotischen Gedichte die Vorstellung von Wesen fest, die in der Mitte stehen zwischen den Menschen, aus denen sie hervorgegangen sind, und den Göttern. Dies führt dann zum Heroenglauben, dessen Ursprung Deneken in seinem sorgfältigen Artikel ‚Heros‘ in Roschers Lex. d. Myth. I 2458 aus Boeotien hergeleitet hat. Die Heroen haben, soweit sie nicht schon als solche geschaffen sind (wie die ἐπώνυμοι und κτίσται), teils göttlichen Ursprung (zahlreiche Beispiele bei Rohde 104–136 – die sogen. Hypostasen – ), teils menschlichen; von den Göttern unterscheidet sie der Kultus und ihr meist unterirdischer Wohnsitz. Eine ganz eigene Schöpfung gehört dem dorischen Stamme: der Stammvater seiner Königsgeschlechter, der Held, dem in der Sage die nationalen Thaten, namentlich der argivischen Dorer, zugeschrieben wurden, überhaupt das Ideal des dorischen Mannes war Herakles. Durch [186] seine Thaten hatte er sich, ein Mensch, den Eintritt in den Olymp erworben, wo er mit den Göttern als Gemahl der Hebe weiterlebt; Hes. Theog. 950ff. Pind. Nem. I 61ff. Die Vorstellung, dass er Mensch gewesen, bevor er Gott geworden, haftete so fest, dass der Dichter der Nekyia, freilich wunderlich genug, sein εἴδωλον in der Unterwelt, ihn selbst bei den Göttern weilen liess, Od. XI 601ff. v. Wilamowitz Eur. Herakl. I 284ff. Vom spartanischen Gesetzgeber Lykurgos erzählt Herodot I 65, dass ihn das delphische Orakel als Gott begrüsst habe. Hier wird, wenn auch etwas verklausuliert, die A. eines lebenden Menschen ausgesprochen. Diese Vorstellung gilt freilich zunächst nur für Herodot und seine Zeit und zwingt noch nicht zu der Schlussfolgerung, dass der dorische Gott Lykurgos je als Mensch gelebt hat (vgl. Welcker Griech. Götterl. III 297ff. v. Wilamowitz Homer. Unters. 274. Ed. Meyer Rh. Mus. XII 568ff.). Nicht lange nach Herodot wurde der Spartaner Lysandros mit göttlichen Ehren gefeiert. Duris erzählt, dass nach der Schlacht von Aigospotamoi ihm zuerst unter den Hellenen wie einem Gotte Altäre errichtet, Opfer dargebracht und Paeane gesungen wurden. In Samos taufte man das Hauptfest, die Heraeen, um in Λυσάνδρια, an musischen Agonen feierten die Dichter um die Wette den Besieger Athens (Duris frg. 65, FHG II 484). Später boten die Thasier dem Agesilaos Tempel und A. an, aber er lehnte alles ab, wie er es auch nicht wollte, dass ihm die Griechenstädte in Kleinasien Ehrenstatuen errichteten (Plut. apophth. Lac. Ages. 25f.). Nicht so bescheiden war Philippos II. von Makedonien. Nach der Schlacht von Chaironeia ward er in Olympia wie ein Gott durch Erbauung des Philippeion geehrt, mit seinem und seiner Angehörigen Goldelfenbeinstandbildern (Paus. V 20, 10. Welcker a. a. O. 299f. Schäfer Demosth.² III 49); bei der Hochzeit seiner Tochter liess er die Statuen der 12 Götter vortragen, als 13. sein eigenes Bild; bei dieser Feier wurde er ermordet (Diod. XVI 92, 5). Vgl. im allgemeinen noch Aemil. Beurlier De divinis honoribus quos acceperunt Alexander et successores eius, Thesis, Paris. 1890, 1–6; der Unterschied von A. und Heroisierung ist daselbst nicht genügend betont.
Alexander d. Gr. und seine Nachfolger.
Als Alexander Kleinasien, Palaestina und Ägypten bezwungen hatte, liess er sich vom Orakel des Ammon für den Sohn dieses Gottes, der den Griechen für Zeus galt, erklären (Arr. anab. III 3, 4. Diod. XVII 49ff. Plut. Alex. 27f. Curt. IV 7, 8–32. Iust. XI 11. Strab. XVII 814. Droysen Hellenism.² I 1, 316ff. Beurlier a. a. O. 7ff.). Er bedurfte dieser Ehre, um in Ägyten als vollbürtiger Nachfolger der alten Pharaonen zu gelten, welche Söhne des Amon-Re waren und mehr oder weniger göttliche Ehren, auch Kultus bei Lebzeiten, genossen (Erman Ägypten I 90ff.; Kult: ebd. 393, 2 und dazu O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1888, 833ff.). Nach der Bezwingung des persischen Reiches trat er auch in die Rechte der Achaemeniden ein, welche ebenfalls bei ihren Völkern als Götter verehrt worden waren (wie dies auch von Aesch. Pers. 157 Ki. ausgesprochen wird). Wenn Alexander zunächst nur von seinen barbarischen Unterthanen die Proskynesis und [187] andere Zeichen der göttlichen Verehrung verlangte, so führte ihn sein Bestreben, Orient und Occident zu verschmelzen, allmählich dazu, auch an die Griechen und Makedonien in seiner Umgebung und im Heimatlande, die gleichen Anforderungen zu stellen. Über Athen und Sparta vgl. Schäfer Demosth.² III 312–315. Beurlier 17f. Es wird auch berichtet, dass sich Alexander durch Attribute und sein Auftreten bestimmten griechischen Göttern gleichstellte. Manches mag griechischen Spöttereien verdankt werden (wie bei Ephipp. frg. 3 [Scr. h. Al. M. 125] Artemis wegen der persischen Tracht); schwerer zu bezweifeln ist, dass er selbst nach seiner Rückkehr vom indischen Feldzuge die Gleichstellung mit Dionysos begünstigt hat (Ptolemaios und Aristobulos, denen Droysen I 2, 230, 1 ganz beistimmt, hatten nach Arr. VII 28, 1ff. nichts von jenen extravaganten Schilderungen, wie wir sie jetzt bei Diod. XVII 106. Curt. IX 10, 25ff. Plut. Alex. 67 lesen; immerhin ist auf dem Boden dieser Vorstellungen die Sage vom indischen Feldzuge des Dionysos entstanden; vgl. B. Graef De Bacchi expeditione Indica, 1886, 1ff.). Nach Alexanders frühem Tode befolgten seine Nachfolger auch in der Beanspruchung göttlicher Ehren seine Politik; am consequentesten wohl die Ptolemaeer. Es war eine Vereinigung von Altem und Neuem, Ägyptischem und Griechischem auch hierin, wie denn auch Ägypter und Griechen nicht gleichmässig behandelt wurden. Alexander genoss als Gründer der Dynastie besondere Verehrung, wie auch der erste Ptolemaeer das Leichenbegängnis Alexanders in glänzendster Weise gefeiert hatte. Ausser ihm wurden auch die anderen Vorgänger des jeweilig regierenden Herrschers weiterverehrt, und zwar wurden sie nach ihren Beinamen bezeichnet; so haben wir Priester des Θεὸς Ἀλέξανδρος, der Θεοὶ Σωτῆρες, Ἀδελφοὶ, Εὐεργέται u. s. w. Auch die Königinnen hatten Anteil am Kult. Über das reiche Material an Inschriften und Papyri, zu denen die Werke der alexandrinischen Hofdichter eine willkommene Ergänzung bilden, orientiert Beurlier 46–85. Weniger reichhaltig ist unsere Kunde von den Seleukiden, doch genügen schon die Beinamen auf den Münzen, um ihre Ansprüche auf Göttlichkeit bei Lebzeiten zu erweisen (Beurlier 86–98). Ein besonders charakteristisches Beispiel bietet aber das von den Seleukiden abgeleitete kommagenische Königshaus mit seinen Denkmälern und Aufschriften auf dem Nemrud-Dagh (Humann und Puchstein Reisen in Nordsyrien. Beurlier 108ff.). Die pergamenischen und endlich die eigentlichen makedonischen Könige hatten nicht wie in Ägypten und Babylonien uralte Throne mit ausgebildetem Königskult inne, ahmten aber wenigstens teilweise die ihnen von dort gegebenen Beispiele nach. Über Pergamon vgl. Beurlier 99–107 und ausser den Inschriften bei Fränkel Bd. I auch O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1888, 834 und Usener Rh. Mus. XLVII 154ff. Aus der antiken Litteratur sind uns am besten die göttlichen Ehren des Demetrios Poliorketes zu Athen bekannt, welche jedem religiösen Gefühl Hohn sprachen und von seiten des Demetrios als Hauptzug den verraten, wie sehr der geniale und frivole Sohn des Antigonos seine Verehrer verachtete. Vgl. Droysen Hellenism.² II 1, 190. [188] Beurlier 41ff. Die Einzelheiten im Kulte der verschiedenen Dynastien, nach Zeit und Ort sehr ungleich, können hier nicht ausführlich behandelt werden, es ist auf die besonderen historischen Artikel zu verweisen; besonders gehören hierher die Agone zu Ehren Alexanders und seiner Nachfolger; vgl. o. Bd. I S. 858. Religionsgeschichtlich bedeutsam ist es, dass im Anfange der Diadochenzeit ein System aufgestellt wurde, nach welchem alle Götter des griechischen Volksglaubens, soweit sie persönlich und nicht blosse Naturkräfte oder Erscheinungen sind, für Menschen erklärt wurden, die wegen ihrer Wohlthaten unsterbliche Ehre und Ruhm erlangt haben (Diod. VI frg. 2). Die pragmatische Mythendeutung ward lange vor Euhemeros, dem Vertrauten des Kassandros, geübt; sie begann bei den ionischen Historikern und Philosophen (Lobeck Agl. II 988ff. Grote Griech. Gesch. übers. v. Meissner I 311ff.). Damit sind alle Götter durch Apotheose aus Menschen entstanden, so wie bei Homer Leukothea aus der sterblichen Ino; neu ist nur das durchgeführte System, welches im letzten Grunde jede Religiosität aufhebt und auf den Atheismus hinauskommt. Darin liegt der Unterschied von den Apotheosen der hellenistischen Herrscher, welche durchaus das Vorhandensein und das Wirken von leibhaftigen Göttern voraussetzen. Material bei Susemihl Litt. in der Alexandrinerzeit I 316, 22. Ganz im Gegensatz zu diesem aufgeklärten Rationalismus des Euhemeros stehen religiöse Genossenschaften, welche den Teilnehmern an ihren Lehren besondere Bürgschaften für das Leben nach dem Tode leisten; während der Verstorbene nach dem gewöhnlichen Volksglauben nur als Heros weiterexistierte, heisst es auf einer Goldtafel aus einem Grabe von Sybaris (Zeit 3. Jhdt. v. Chr.): ὄλβιε καὶ μακαριστέ, θεὸς δ’ ἔσῃ ἀντὶ βροτοῖο (O. Kern Aus der Anomia 186f.).
Litteratur
G. W. Nitzsch De apotheosis apud Graecos vulgatae caussis [nicht gesehen], Kiel 1840. Welcker Griechische Götterlehre III 294–316. O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1888, 833–835. Beurlier in dem oft genannten Buche.
Über die A. bei den Römern s. u. Consecratio und Divi.