Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Didaskalos, (Chor)Lehrer im voralexandrinischen Griechenland
Band V,1 (1903) S. 401 (IA)–406 (IA)
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Διδάσκαλoς,[WS 1] Lehrer, im Sprachgebrauch der voralexandrinischen Zeit in prägnanter Bedeutung der Chorlehrer, der eine chorische Dichtung an einem öffentlichen Feste zur Aufführung bringt. [402] Da sowohl Dithyrambus und Hymnus, wie Tragoedie und Komoedie für die lebendige Wirkung, für öffentliche Vorführung in Melos, Wort und Tanz (nicht für blosse Recitation oder Lectüre) bestimmt sind, so liegt in älterer Zeit auf dem διδάσκειν, der Vorbereitung und Leitung der darstellenden Choreuten, das Hauptgewicht. Daher heisst διδάσκειν geradezu ‚aufführen‘, ἀναδιδάσκειν ‚wiederaufführen‘, ἀντιδιδάσκειν (Aristoph. Vesp. 1410) als Antagonist aufführen. Da ferner bei den grossen Agonen des 5. und 4. Jhdts. die dichterisch-musikalisch-orchestische Schöpfung, die der Lehrer dem Chore eingeübt hat, regelmässig ein neues, von dem ‚Lehrer‘ selbst geschaffenes Werk ist, so verbindet sich mit der Bezeichnung δ. auch die Bedeutung ‚Dichter‘; vor die Öffentlichkeit tritt der Dichter eben durch die ‚Aufführung‘, als D. Wie διδάσκειν sowohl vom Schöpfer und Lehrer eines Dithyrambus (vgl. Herod. I 23 und die choregischen Inschriften Bd. III S. 2414) wie von den Dichtern der Tragoedien und Komoedien gesagt wird (Plut. Themist. 5. Kratin. frg. 16 K. Herod. VI 21. Arist. Vesp. 1029; Ran. 1056. Plato Protag. 327. CIA IV 2, 1280 b. 1281 b. CIA II 971), so wird auch δ. vom Dichter des kyklischen Chors (Arist. Av. 912. Antiph. VI 11), wie vom Tragoedien- und Komoediendichter gesagt (Arist. Ach. 628; Pac. 738; Plut. 797; frg. 334 K., vgl. das Wortspiel Ar. Ran. 1054), s. Harpocr. Hesych. Suid. s. v. Daneben finden sich auch die Sondernamen διθυραμοδ. (Arist. Pac. 829), κυκλιοδ. (Arist. Av. 1403 und Schol. Hesych. Suidas. Schol. Ar. Nub. 333), χοροδ. (Bd. III S. 2441, χορῶν δ. Panaitios bei Plut. Aristid. 1), κωμῳδοδ. (Arist. Eq. 507; Pac. 737. Lysias bei Athen. XII 551 F. Aristot. de anima I 3 p. 406 b 17), τραγῳδοδ. (Arist. Thesm. 88. Isokr. XII 168 p. 268 C. Aristot. Poet. 4 p. 1449 A. Athen. XV 699 B).

Seit dem Ende des 4. Jhdts. wird das Wort δ. immer seltener in dieser prägnanten Bedeutung verwendet. Zwar hat noch Kallimachos eines seiner Hauptwerke betitelt: πίναξ καὶ ἀναγραφὴ τῶν κατὰ χρόνους καὶ ἀπ’ ἀρχῆς γενομένων διδασκάλων (Suidas, vgl. Susemihl Litt.-Gesch. der Alexandrinerzeit I 328), und Composita wie τραγῳδοδ. (Athen. XV 609 B. Luc. de calumn. 1) haben sich gelegentlich, die Formeln διδάσκειν τραγῳδίαν, κωμῳδίαν regelmässig bis zu später Zeit nach alter Weise in Gebrauch erhalten. Aber δ. schlechtweg als Bezeichnung des Dichters wird schon in der zweiten Hälfte des 4. Jhdts. v. Chr. durch die Bezeichnung ποιητής (διθυραμβοποιός, τραγῳδοποιός, κωμῳδοποιός) verdrängt. Mehr als der Gesamteindruck der Aufführung bilden jetzt die Einzelleistungen des Musikers, des Sängers, des Schauspielers, des Verfassers den Gegenstand des Interesses; auf den Unterricht des Chors aber fällt weniger Gewicht, so dass der Name δ. dem Dichter nicht mehr entsprechend scheint. Wie diese Entwicklung erfolgt ist, können wir auf Grund der athenischen Verhältnisse, die gewiss als vorbildlich für die Verhältnisse anderer Orte angesehen werden dürfen, einigermassen erkennen.

Stellung und Aufgaben des Didaskalos in Athen.

1. Der D. der kyklischen Chöre.

Bei [403] den kyklischen Agonen, bei denen die Phyle den Auftrag hat, einen Chor zu stellen, wird von der Phyle bezw. ihrem Choregen ein D. ausgewählt, der eine entsprechende Dichtung vorbereitet hatte. Ende des 5. Jhdts. war der Hergang der, dass unter den Dichter-D., die ihre Dichtungen bei der Behörde vorgelegt hatten, eine entsprechende Anzahl vom Archonten ausgewählt wurde, aus der die einzelnen Choregen – wahrscheinlich in einer durch das Los bestimmten Reihenfolge – wählen durften, vgl. Antiph. VI 11. Arist. Av. 1404 (vgl. Bd. III S. 2413). Diese D. müssen von Staatswegen ein Honorar erhalten haben, an dem Siegespreis aber scheinen sie trotz Simonides frg. 145 B. keinen officiellen Anteil gehabt zu haben, denn in der nach amtlichen Quellen gearbeiteten Siegesliste CIA II 971 (vgl. Didaskaliai) werden für Knaben- und Männerchöre sowohl im 5. wie im 4. Jhdt. die Phylen und ihre Choregen (denen die Siegespreise – Dreifüsse – ausgehändigt wurden), nicht aber die D. genannt. Dagegen findet sich auch schon in den ältesten sog. choregischen Inschriften regelmässig der Name des D. (ὁ δεῖνα ἐδίδασκε, vgl. CIA I 336. 337. 337a. II 1257). Der D., der natürlich auch selbst Componist seiner Dichtung war, unterrichtete den Chor in Gesang und Tanz (vielfach stand ihm dafür ein besonderes διδασκαλεῖον oder χορηγεῖον zur Verfügung, vgl. Antiph. VI 11 und o. Bd. III S. 2409), er war in älterer Zeit gewiss häufig auch Chorführer (vgl. das alte Epigramm bei Athen. XIV 629A), während er späterhin vielfach durch Hülfslehrer, die vom Choregen gemietet wurden, sich unterstützen liess (Xen. mem. III 4, 2). Ihm ist im 5. Jhdt. der Flötenspieler untergeordnet und empfängt Sold von ihm (Plut. de mus. 30; vgl. Plat. Alkibiad. 125 D).

Als seit dem 4. Jhdt. v. Chr. das Interesse am musikalischen Virtuosentum immer mehr das Interesse an dem Chorgesang und an dessen D. überwog, änderte sich dieses Verhältnis (Reisch De mus. Graec. certaminibus 29). In den choregischen Inschriften, die im 5. Jhdt. den Flötenspieler noch nicht namhaft machen, wird jetzt immer häufiger neben dem D. auch der Flötenspieler genannt, zuerst in dem ps.-simonideischen Epigramm Anth. Pal. XIII 28 (Ende des 5. Jhdts.?, vgl. Brinck Dissert. Halenses VII 128f.) und CIA II 1234 aus dem J. 384, bald erhält er den Platz vor dem D. (so regelmässig seit dem Ende des 4. Jhdts.). Dazu stimmt, dass in demosthenischer Zeit dem Choregen nicht mehr der D. sondern der Flötenspieler zugelost wird (Dem. XXI 13); dieser war es also, der der Festbehörde die Dichtung eines von ihm besoldeten D. überreichte, vielleicht auch nach eigenem Belieben eine ältere Dichtung wählen konnte. In dem von Demosthenes XXI 17 erzählten Fall wurde der D. weggejagt und der Flötenspieler übernahm auch die Functionen des Lehrers. CIA II 1246 wird bei der Wiederaufführung eines Dithyrambus des Timotheos im J. 319 v. Chr. zwar der Flötenspieler, aber kein D. genannt (vgl. Köhler Athen. Mitt. X 233); als Lehrer mag der Flötenspieler oder ein untergeordneter Chormeister gewirkt haben, den man nicht mit der damals noch für den Dichter allgemein verwendeten Formel ὁ δεῖνα ἐδίδασκε nennen wollte. Ob auch in der choregischen Inschrift [404] CIA II 1249 (erste Hälfte des 4. Jhdts.), wo jetzt der D. fehlt, ein ähnlicher Fall vorliegt, lässt sich nicht entscheiden, da von den Herausgebern nicht gesagt wird, ob die betreffende Zeile vielleicht erst bei der zweiten Benützung des Steines getilgt sein könnte.

Eben infolge des Umstandes, dass seit der hellenistischen Zeit die Sitte, ältere Dithyramben wiederaufzuführen, immer allgemeiner wurde (Polyb. III 20), tritt eine Unterscheidung zwischen ποιητής und δ. ein. Der Dichter wird durch den Titel δ. nicht genug charakterisiert, und der wirkliche δ. ist nicht mehr mit dem Dichter identisch. Man kann zweifeln, ob die δ. der athenischen Agonotheteninschriften des 3. Jhdts. v. Chr. (vgl. Bd. I S. 874) und die in den Soterienkatalogen um 270 v. Chr. hinter den Flötenspielern verzeichneten δ. (Collitz-Baunack Sammlung d. griech. Dialektinschr. II 2563f.) nur mehr als Chorlehrer aufzufassen sind oder auch als Schöpfer neuer Dichtungen zu gelten haben; es kehren hier wie dort zum Teil dieselben Namen wieder, vgl. CIA II 1293 und Collitz 2566, 17, CIA II 1292 und Collitz 2564, 83. Ihre untergeordnete Stellung wird durch die Bezeichnung διδάσκειν αὐλητῶν (Collitz 2566, 17) gekennzeichnet. In den jüngeren Inschriften – so schon in dem Siegesverzeichnis der Soterien aus 225 v. Chr. (Collitz-Baunack 2567) und in den choregischen Inschriften von Orchomenos um 200 v. Chr. (IGS I 3210. 3211) – wird bei kyklischen Chören überhaupt kein δ. mehr genannt; wohl aber erscheint jetzt neben dem Auleten der ‚Vorsänger‘ oder erste Sänger (ἡγεμών) verzeichnet, der zugleich die Geschäfte des Chormeisters besorgt haben wird, s. Χορικοὶ ἀγῶνες Bd. III S. 2437.

Ob die in einem Siegerkatalog der Heraia von Samos (Journ. hell. stud. VII 148f.) genannten δ. κιθαριστῶν auf die Lehrer der einen Kitharisten begleitenden Chöre (Bd. III S. 2437) oder vielmehr auf einen Schulagon im Kitharspiel zu beziehen sind, kann bei der unklaren Anlage der Inschrift zweifelhaft erscheinen.

2. Die Dichter-Didaskaloi der dramatischen Chöre.

Der Dichter, der es übernimmt, zum Festtag eine Tragodia aufzuführen – ähnliche, wenn auch nicht völlig gleichartige Verhältnisse dürfen wir für die Komoedie voraussetzen –, hat in ältester Zeit wohl selbst für den Chor zu sorgen, dem er als Schauspieler gegenübertritt; er empfängt für seine Leistungen ein Honorar. Seit der Einführung der staatlichen Choregie (s. Bd. III S. 2409) übernimmt der Staat durch den Choregen die materielle Fürsorge für den Chor; doch führt der D. auch späterhin bei der officiellen Vorstellung vor dem Agon den Chor an (Ar. Ach. 11), und in den Siegerlisten CIA II 971 werden bei den Tragoeden- und Komoedenwettkämpfen der Chorege und der δ. nebeneinander genannt. Die Schauspielerthätigkeit der Tragoedien-δ. schon in der ersten sophokleischen Zeit auf und erhielt fortab vom Archonten die von der Behörde bezahlten Protagonisten (samt den Nebenschauspielern) zugewiesen; s. Schauspieler. Aber er führt auch weiterhin die Regie des Ganzen (πᾶσαν τῆς τραγῳδίας οἰκονομίαν, Chamaileon bei Athen. I 21 E), ist der Schöpfer der begleitenden Musik und der Tanzschemata (Athen. [405] I 21 E) und unterrichtet selbst den Chor; noch für Euripides ist bezeugt, dass er die Choreuten im Gesang unterwies (Plut. de recta rat. aud. 15 p. 46 B, vgl. den δ. auf der bekannten, um 400 v. Chr. gemalten Satyrspielvase in Neapel 3290 Heyd. Mon. d. Inst. III 31). Im Laufe der Zeit kam es natürlich dahin, dass der δ. für einzelne Zweige seiner mannigfaltigen Thätigkeit Hülfskräfte verwendete, so haben schon in der älteren Zeit gelegentlich besondere ὀρχηστοδ. den Unterricht im Tanz besorgt (Athen. I 22 A. 21 E), von Euripides wissen wir, dass er sich bei der Composition der melischen Partien helfen liess (Bergk Litt.-Gesch. III 486); und in der Zeit des Platon und Demosthenes giebt es bereits berufsmässige Chorlehrer, für die der Name ὑποδιδάσκαλος geprägt wurde (Plat. Ion p. 536 A. CIA II 551. Poll. IV 106. Phot. Hesych.), weil man in dieser Zeit unter δ. schlechtweg noch den Dichter verstand. Ein solcher Chorlehrer war Sannion, ὁ τοὺς τραγικοὺς χοροὺς διδάσκων (Dem. XXI 58), der von den Choregen gemietet wurde und auch bei der Wiederaufführung älterer Stücke intervenierte (Vit. Aeschin. p. 209 Westerm.). Viel umstritten ist die Frage, ob in dem Fall, wo ein Dichter sein Werk völlig einem andern δ. zur Aufführung überliess, wie das für Aristophanes u. a. mehrfach bezeugt ist, der Dichter oder der von ihm vorgeschobene Mittelsmann in den officiellen Aufführungslisten genannt war; man wird daran festhalten dürfen, dass derjenige, der das Stück beim Archon eingereicht hatte und dafür den Chor erhalten hatte, in dem amtlichen Verzeichnis als δ. genannt war, ohne Rücksicht darauf, ob das Stück von ihm selbst oder von einem andern herrührte, sowie es andererseits für den Archonten ohne Belang war, ob der Dichter das Einstudieren des Stückes selbst leitete oder durch einen ὑποδιδάσκαλος besorgte. Dies gilt natürlich auch da, wo ein D. für das Werk eines Verstorbenen einen Chor erhielt. Über die umfangreiche Litteratur, die diese Frage namentlich im Hinblick auf die Komoedien des Aristophanes behandelt, vgl. zuletzt Bodensteiner Jahresber. f. Altertumswiss. CVI (1900) 150ff.

Je mehr der Dichter seit dem 4. Jhdt. das διδάσκειν andern überliess, je geringer die Bedeutung des Chors und des Chorunterrichtes für den Erfolg des Stückes wurde, je häufiger andererseits Wiederaufführungen älterer Stücke stattfanden, desto mehr musste auch auf dein Gebiete der dramatischen Dichtkunst die Rolle des Dichters und des Lehrers sich scheiden. In den Didaskalien für 341/40, CIA II 973, die zwar erst um 250 niedergeschrieben sind, aber wohl wörtlich die ältere Fassung wiedergeben, werden die Tragoediendichter als ποιηταί bezeichnet (im Gegensatz zu dem Protagonisten, der als Regisseur einer παλαιά genannt ist), ebenso in den Didaskalien aus dem 3. und 2. Jhdt. CIA II 977 die Komoediendichter. Auch in der Agonotheteninschrift CIA II 1289 aus 307/6 werden die siegreichen Dichter der Tragoedie und Komoedie als ποιηταί, nicht mehr als δ. bezeichnet. Dem entsprechend wird man die δ., die in den delphischen Soterienkatalogen um 270 v. Chr. bei den einzelnen Tragoeden- und Komoedentruppen neben den Flötenspielern genannt werden (Collitz-Baunack [406] Griech. Dialektinschriften II 2563f.) nicht als Dichter, sondern nur als die Chorlehrer (vielleicht auch als Regisseure) älterer oder neuerer fremder Stücke ansehen müssen; bezeichnend ist, dass mehrere Personen, die in dem einen Jahresverzeichnis als δ. der Komoeden verzeichnet sind, in andern als χορευταὶ κωμικοί erscheinen, vgl. 2563, 56 = 2566, 76. 2563, 66 = 2564, 71. 2564, 75 = 2566, 64. In den agonistischen Inschriften der späteren Zeit wird der Dichter eines neuen Stückes immer als ποιητής bezeichnet, bei Aufführung älterer Stücke wird der Protagonist, niemals aber ein δ. genannt. Wohl aber finden wir ebenso wie in den Soterienkatalogen auch späterhin noch δ. als Mitglieder der dionysischen Technitenvereine. Im Technitenverzeichnis von Ptolemais (aus der Zeit des Ptolemaios Philadelphos) hat hinter den Schauspielern und vor dem αὐλητὴς τραγικός ein χοροδιδάσκαλος einen Platz (Bull. hell. IX 132). Und als Gesandte des athenischen Technitenvereins werden um 125 v. Chr. ein τραγικὸς ποιητής und vier τραγικοὶ ὑποδιδάσκαλοι genannt (CIA II 551). Diese Männer haben offenbar in den Orten, wo die Technitenvereine ihren Sitz hatten, den Choreuten (die ebenfalls Mitglieder dieser Vereine sind) jene Stücke, die von den Protagonisten auf ihren Kunstreisen aufgeführt werden sollten, eingeübt; bei den Aufführungen haben sie höchstens als κορυφαῖοι (Dem. XXI 50) eine Rolle gespielt, da selbst die Regie nicht von ihnen, sondern von den Protagonisten selbst geführt wurde.

[Reisch. ]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. transkribiert: Didaskalos.