Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Von Alexandreia, Verf. eines bedeutenden gr. Lexikons
Band VIII,2 (1913) S. 13171322
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9) Hesychios von Alexandreia, Verfasser des für die Kenntnis der griechischen Sprache, besonders der Dichter und der Dialekte unschätzbaren Lexikons, das in der stattlichen Ausgabe von M. Schmidt vorliegt, 1858–1868 in 5 Bänden, von denen IV 2 = Quaest. Hesych. die Vorreden der früheren Ausgaben (die Editio princeps eine Aldina des Marcus Musurus von 1514), Schmidts ausführliche Praefatio und Indices, V die Biographie des Musurus von Menge, den Index auctorum und Nachträge enthält. Daneben ist eine kleinere Ausgabe in einem Bande erschienen 1864 und in 2. Aufl. 1867 erweitert durch einen praktischen Index der Dialektglossen; sie ist jedoch mit Vorsicht zu benutzen, s. u.

Über die Persönlichkeit des H. wissen wir nichts außer den Angaben des hsl. Titels Ἡσυχίου γραμματικοῦ Ἀλεξανδρέως συναγωγὴ πασῶν λέξεων κατὰ στοιχεῖον ἐκ τῶν Ἀριστάρχου καὶ Ἀπίωνος καὶ Ἡλιοδώρου; der Schluß von ἐκ τῶν an wird von Ruhnken 1765 (bei Schmidt Quaest. Hesych. XVI) ausgeschieden als Interpolation aus der dem Werk vorausgeschickten Widmungsepistel, über die genauer zu handeln sein wird. Wenn der Eulogios, an den sie gerichtet ist, mit dem Eulogios ὁ σχολαστικός o. Bd. VI S. 1072 identifiziert werden darf, wie schon Schmidt Quaest. Hesych. CLXXXVIII wollte, und dieser Eulogios dann in das 5. Jhdt. gesetzt werden kann (Reitzenstein Gesch. d. griech. Etym. 358), so ist damit wenigstens die Zeit des H. festgelegt; über andere Versuche, die vom 4. Jhdt. bis in späteste byzantinische Zeit reichen, vgl. Weber Untersuchungen über das Lexikon des H., Philol. Suppl. III 591.

Das Lexikon des H. ist nur in einer einzigen Hs. erhalten, dem Marc. gr. 622 (über trügerische Spuren anderer Hss. Ranke De lexici Hesychiani origine et forma [1831] 2); er ist im 15. Jhdt. auf Papier geschrieben, enthält (nach einer Untersuchung am 4. März 1911) 439 beschriebene Blätter [1318] im Format 19, 5 zu 29 cm und ist bequem zu lesen. (Über zwei Störungen der Reihenfolge vgl. Schmidt Quaest. Hesych. XXXIX). Leider hat die Hs. aus zwei Gründen sehr gelitten. Ein Stockfleck, ausgehend von der oberen, inneren Ecke der Blätter, berührt f. 320r zuerst die Schreibfläche und hat f. 438/439 stark zerstört; f. 438r und 439v sind in unzweckmäßiger Weise mit dickem Papier überklebt, also bei der Brüchigkeit des Materials dieser stark beschädigten Seiten verloren. Außerdem hat Musurus die Hs. für die Editio princeps wie Korrekturbogen behandelt, die Abbreviaturen am Rande aufgelöst, Artikel willkürlich zusammengezogen oder aus anderen Lexika ergänzt, die lateinischen Glossen ausgestrichen (Schow Epistula critica ad Heynium, 1790, 9), außerdem an einer allerdings nicht sehr großen Zahl von Stellen so energisch korrigiert, daß unter seinen dicken Strichen die ursprüngliche Schrift zunächst nicht zu lesen ist; doch wird man mit Geduld und bei guter Beleuchtung noch fast alles entziffern können. Der Zustand der Hs. hat nicht nur historische Bedeutung, da sie seit 1790 nicht mehr ganz verglichen worden ist (J. Bekkers Kollation der ersten Seite der Hs. befindet sich in der Editio princeps der Bonner Bibliothek) und N. Schow, auf dem Schmidt beruht, nach dem kompetenten Urteil von Bast (abgedruckt Quaest. Hesych. XL) den Marc. 622, der eine Vorlage des 10. Jhdts. wie es scheint nachmalt, nicht sicher zu lesen verstand. So wäre also trotz Schows Versicherung in seiner Epistula ad Heynium, er habe sehr sorgfältig gelesen, die Zuverlässigkeit seiner Kollation, die sich auf die Buchstaben Α und Κ, sonst Stichproben, ferner auf sämtliche Korrekturen des Musurus, bei denen es sich meist um Orthographie und Akzente handelt, erstreckte, nachzuprüfen; sie liegt in Buchform vor (Hesychii lexicon ex codice D. Marci restitutum auctore N. Schow 1792).

Wenn wir über die Quellen des H. eine klare Vorstellung haben und die eigene Leistung des H. von dem, was er übernahm, so sicher scheiden können wie nur selten sonst, so danken wir das dem Widmungsbrief des H. an Eulogios, der ‚einen ehrlichen und verständigen Eindruck macht‘ (Reitzenstein Rh. Mus. XLIII 454; Valckenaer Opusc. II 163 hatte den Brief als Fälschung angesehen (vgl. Welckers wohlverdientes Urteil über diesen Versuch Kl. Schriften II 567ff.), die richtige Beurteilung bei Ruhnken (1765) (in Quaest. Hesych. XVff.). Ranke a. a. O. 18. Welcker a. a. O. 553. Weber a. a. O. 453). H. geht darin von der Schilderung des Lexikons des Diogenianos (s. o. Bd. V S. 778) aus; bei den Alten habe es alphabetische Anordnung nur für Spezialwörterbücher gegeben (Apion und Apollonios Archibiu für Homer, Theon und Didymos für Tragödie und Komödie), Diogenian erst habe in den Περιεργοπένητες diese und andere Werke zusammengefaßt, nach drei oder vier Buchstaben geordnet und auch Sprichwörter hinzugefügt. Doch sei bei diesem löblichen Unternehmen mangelhaft, daß bei den Sprichwörtern die Erklärungen, bei den seltenen und umstrittenen Worten die Belege fehlten. Diesem Mangel habe er abzuhelfen gesucht; als Vorlage habe er den Diogenian benutzt (προθείς statt προσθείς richtig Weber De [1319] Hesychii ad Eulogium epistula. Weimar 1865, 35), daneben habe er noch die λέξεις des Aristarch, Apion und Heliodor (vgl. den hsl. Titel) gehabt und daraus unter Durchführung der Herodianischen Vorschriften den Diogenian ergänzt, außerdem die Erklärungen der Sprichwörter und bei den isolierten oder umstrittenen Glossen Name und Werk des Autors, der sie benutze, ‚aus allen Abschriften‘ hinzugefügt. Es folgt ein Segenswunsch für Eulogios und eine Gebrauchsanweisung, über die weiter unten zu reden sein wird.

Nach diesen Angaben ist also das Lexikon des H. eine nur wenig erweiterte Ausgabe des Diogenianos. Der merkwürdige Titel des Homerlexikons, das H. zur Hand hatte, Aristarch, Apion und Heliodoros, erinnert, wie schon Lehrs Aristarch 387 gesehen hat, an das Homerlexikon, das dem Eustathios als Apion und Herodoros vorlag (s. o. Bd. VI S. 1460). Undeutlich bleibt, woher H. die Titel der Belege seltener Glossen feststellte; die ausdrückliche Nennung von Abschriften legt Webers Erklärung (De Hes. epist. 38; Unters. 578) nahe, daß H. zunächst die Speziallexika, dann die dort zitierten Autoren zur Identifikation herangezogen habe (anders Schmidt Quaest. Hesych. CXXV). Auf Homer vor allem bezog sich die Durchführung der Herodianischen Vorschriften, die Lentz (Herodian I p. CXCII) in der Tat hat feststellen können; außerdem bestand die eigene Tätigkeit des H. in der Erklärung der Sprichwörter und in der Durchführung der streng alphabetischen Anordnung. Daß uns jedoch das Lexikon des H. bei der Dürftigkeit der hsl. Überlieferung sehr verkürzt vorliegt, worauf schon die Erklärungen der Sprichwörter und die Quellenangaben bei den seltenen Glossen führen, die durch Schuld der Überlieferung sehr spärlich geworden sind, erkannte zuerst Bentley (Epistula ad J. C. Biel [1714] in Quaest. Hesych. VI; mit Unrecht bestritten von Weber Gött. Gel. Anz. 1867, 413; Unters. 558); die Bestätigung für eine ursprünglich reichere Fassung gibt der Vat. gr. 23, der den Archetypus unseres H. benutzt hat (Reitzenstein Ind. lect., Rostock 1892/93, 14). Andererseits hat das Lexikon des H. eine Überarbeitung erfahren, deren Zusätze sich zum Teil schon durch die Störung der alphabetischen Reihenfolge herausheben; nur zum Teil, denn einmal hat ein Schreiber das Lexikon mit streng alphabetischer Einordnung der Randbemerkungen, auch wo das Lemma bei Interlinearglossen wie s. καταμηγγές oder μαφρήν (Schmidt Quaest. Hesych. CXLIX) sinnlos geworden war, abgeschrieben (Weber Gött. Gel. Anz. 1867, 422; Untersuch. 611–613). Jedoch hat nicht erst dieser Schreiber die Ersetzung des Ϝ vorgenommen, da sich darin zwei ältere Prinzipien kreuzen, die annähernde Wiedergabe des Lautes (Β und seltener Υ) und die formale Wahl eines möglichst ähnlichen Buchstaben (Γ, seltener Τ); also fand gewiss schon H., vielleicht schon Diogenian das Ϝ nicht mehr vor (Ahrens De dialecto Dorica (1843) 52–56, wo eine Sammlung solcher H.-Glossen gegeben wird; Brugmann Griech. Gramm.³ § 17; Thumb Handbuch der gr. Dial. 15). Einen Hinweis auf den Ursprung dieser späteren Zusätze gibt die Gebrauchsanweisung, die unorganisch dem Briefe an Eulogios angefügt [1320] ist; sie stammt aus Kyrillos (Schmidt Quaest. Hesych. CXXXI). Aber erst die Untersuchung der Hss. dieses vielgestaltigen Lexikons durch Reitzenstein (Rh. Mus. XLIII 443) zeigte den Umfang der Überarbeitung; aus Kyrillos stammen die Bibelglossen, deren Unechtheit bereits Bentley a. a. O. erkannt hatte, ferner die Glossen zu Gregor von Nazianz und solche Homer- und Euripides-Glossen, die sich durch Störung der alphabetischen Reihenfolge als spätere Zusätze erweisen (anders Schmidt Quaest. Hesych. CXLI, der das Kyrillos-Glossar noch ungenügend kannte). Dagegen ist sicher zu weitgehend die Behauptung Schmids (a. a. O. CXLIII, abgelehnt schon von Weber Unters. 615), daß die lateinischen Glossen sämtlich interpoliert seien, weil H. sie in dem Brief an Eulogios nicht ausdrücklich als Bestandteile des Diogenian anführt; den Versuch einer Scheidung zwischen dem Gut des Diogenian, des H. und späteren Interpolationen hat Immisch gemacht (Leipz. Stud. VIII 307–378). Ebenso ist unberechtigt die von Schmidt a. a. O. CXXIXff. vertretene Ansicht, daß Interpolation des H. aus Attizisten und einem Onomastikon ähnlich dem des Pollux anzunehmen sei (Weber Unters. 552; Gött. Gel. Anz. 1867, 436). So konnte der Versuch einer Rekonstruktion des Diogenian, den Schmidt in seiner Editio minor 1864 und 1867 gemacht hat, nur mißlingen; von den Interpolationen, die er im Epilogus kurz zusammenstellt und in die Anmerkungen verweist, kann man als Zusätze des H. nur gelten lassen die Erklärungen der Sprichwörter (obwohl auch da die Scheidung im einzelnen sehr schwierig ist, Weber Unters. 622); bei den Homerglossen ist dagegen sein Prinzip nachweislich falsch, da er alles, was in dem uns erhaltenen Lexikon des Apollonios Sophista (s. o. Bd. II S. 135 Nr. 80) nicht steht, als Zusatz des H. ansieht; denn erstens ist uns das Lexikon des Apollonios nur in einer Epitome erhalten, zweitens benutzte Diogenian nach dem Bericht des H. außerdem noch den Apion. Sichere Interpolationen sind nur die Kyrillglossen; für die lateinischen, attizistischen und die aus einem Onomastikon stammenden Glossen dagegen läßt sich nicht so im allgemeinen das gleiche beweisen. So ist diese kleinere Ausgabe nur mit Vorsicht zu benutzen, sehr viel echtes, altes Gut steht in kleinem Druck in den Anmerkungen. Die Aufgabe, den Diogenian aus dem Lexikon des H. auszuscheiden, ist unlösbar bei unserem jetzigen Material; und ebenso scheint ein sicheres Zurückgehen in der Quellenfrage über Diogenian hinaus sich zu verbieten; in der vielbehandelten Frage, ob die Περιεργοπένητες, die Vorlage des H., und die Epitome des Diogenianos aus Pamphilos-Vestinus identisch sind oder zwei verschiedene Werke (s. o. Bd. V S. 779), erscheinen mir die Bedenken doch erheblich, die der jetzt bevorzugten Ansicht von der Identität entgegenstehen; es ist schwer vorzustellen, wie die Mitteilungen des H. in dem Briefe an Eulogios sich damit vereinigen lassen, daß dieses Werk der Auszug aus einem anderen Auszug war, wo ihm H. doch ausdrücklich die Priorität der alphabetischen Anordnung und die Sammlung von Spezialwörterbüchern nachrühmt; und sachliche Übereinstimmung würde sich aus Benutzung der gleichen [1321] Quellen erklären lassen. So scheint mir, daß die Frage offen bleiben muß; das ist umso peinlicher, als der Auszug des Diogenian aus Pamphilos stark benutzt worden ist (s. o. Bd. V S. 781) und, wenn nur seine Identität mit den Περιεργοπένητες sicher wäre, zur Ergänzung unserer dürftigen H.-Überlieferung von größtem Werte wäre. Im übrigen sind die Anforderungen an eine neue wissenschaftliche Ausgabe des H., die für die Lexicographi Graeci ins Auge gefaßt und bei der eminenten Bedeutung des Lexikons für die griechische Sprachforschung ein dringendes Bedürfnis ist, ohne weiteres klar. Die Grundlage muß eine sorgfältige Nachprüfung der Hs. bilden; bei der Textkonstitution müssen die Kyrillos-Überarbeitungen ausgeschieden werden, wozu allerdings das noch unedierte Material des Kyrillos erforderlich ist; endlich ist die ungeheure und weitzerstreute philologische und sprachwissenschaftliche Literatur, die in den Jahrzehnten seit Schmidts Ausgabe aufgelaufen ist, zusammenzubringen und einzuarbeiten.


Literatur: Ausgaben H. Alexandrini lexicon rec. M. Schmidt 5 Bde. 1858–1868, Bd. IV 2 = Quaest. Hesych. (dort die ältere Literatur). Editio minor¹ 1864², 1867. Ranke De lexici Hes. vera origine et genuina forma commentatio 1831. Welcker Kl. Schriften II (1845) 542. Weber De H. ad Eulogium epistula, Progr. Weimar 1865. Schmidt Jahrb. f. Philol. XCI (1865) 749. Weber Gött. Gel. Anz. 1867, 401; Untersuchungen über das Lexikon des H., Philol. Suppl III 415. Immisch De glossis lexici Hes. italicis, Leipz. Stud. VIII (1885), 265. Reitzenstein Die Überarbeitung des Lexikons des H., Rh. Mus. XLIII 443–460. Egenolff Jahresber. LXII (1890) 111 und 127. v. Wilamowitz Coniectanea (Progr. Götting. 1895) 16. Kretschmer Glotta III 33. Baunack Philol. LXX 353. Headlam Journ. of Philology XXXI (1910) 1.

Einzelbeiträge bis 1896 sind aufgeführt bei Engelmann Bibliotheca script. classic. I 382 und in der Fortsetzung von Klussmann (Jahresber. CXLVI [1909] 590); seitdem kamen hinzu: v. Wilamowitz Coniectanea (Univ.-Progr. Götting. 1895) 16. Rutherford Hesychiana, Class. Rev. X 153. Gray-Schuyler Indian Glosses in the Lexicon of H., Am. Journ. Philol. XXII 195. Herwerden Ad Hes. lexicon, Mnemosyne N. S. XXIX 217. Speyer μαμάτραι, Am. Journ. of. Philol. XXII 441. Roscher zu H. s. ὀγδόδιον, Archiv f. Relig. Wiss. VI 433. Fick Hesychglossen I, Beitr. z. Kunde d. idg. Spr. XXVIII 84. Herwerden Hesychiana Mnemosyne, N. S. XXXII 255. Fick Hesychglossen II, Beitr. z. Kunde der indogerm. Spr. XXIX, 196. Lüders Eine indische Glosse des H., Ztschr. f. vergl. Sprachf. XXXVIII 433. Vürtheim ΕΙΣΙΛΙΟΝΕΠΕΣΙΟΝ, Mnemosyne N. S. XXXIV 376. Fick Hesychglossen III, Ztschr. f. vergl. Sprachf. XLI 198. Maaß Kaikina, Ztschr. f. vergl. Sprachf. XL 528. XLI 204. Fick Hesychglossen IV/V, Ztschr. f. vergl. Sprachf. XLII 146. 287. Rozwadowski De Cereris cognomine Πάμπανον apud H. tradito, Eos 1908, 127 (mir unzugänglich). Fick Hesychglossen VI, Ztschr. f. vergl. Sprachf. XLIII 130–153. Fränkel Zwei Glossen des H., Ztschr. f. vergl. Sprachf. XLIII 209. Lidén Ein ägyptisches Wort bei H., Glotta II 149. Kretschmer [1322] Glotta III 33. Baunack Philol. LXX 353. 449. Crusius ebd. 564. Fick Hesychglossen VII Ztschr. f. vergl. Sprachf. XLIV 336.