Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Alexandrinischer Grammatiker und Polyhistor
Band I,2 (1894) S. 2803 (IA)–2806 (IA)
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3) Alexandrinischer Grammatiker und Polyhistor, mit dem Beinamen Πλειστονίκης (Plin. n. h. XXXVII 19. Gell. V 14, 1. VII 8, 1. Clem. Alex. Str. I 21 p. 378 P.; die Angabe des Suidas ὁ Πλειστονίκου, wonach A. gewöhnlich als Sohn des Πλειστονίκης bezeichnet wird, muss auf einem Irrtum beruhen; Africanus bei Euseb. pr. ev. X 10, 16 und Ps.-Iustin coh. ad Gr. 9 bezeichnen A. als Sohn des Poseidonios). Ausserdem hatte er den Beinamen Μόχθος (Suid. s. Ἀπίων u. Ἀντέρως. Apollon. de synt. p. 92. Schol. Aristoph. Pac. 778). Geboren in der Oase Ägyptens, kam er als Jüngling nach Alexandreia in das Haus des Didymos (Διδύμου τοῦ μεγάλου θρεπτός Suid.), hörte die Grammatiker Apollonios, Sohn des Archibios (s. d.), und Euphranor und wurde Nachfolger des Grammatikers Theon als Haupt der alexandrinischen Schule. Bald aber verliess er Alexandreia, reiste in Griechenland herum und hielt überall Vorträge über Homer, die trotz ihrer Hohlheit viel Beifall fanden. Denn A. besass in seltenem Masse die Fähigkeit, seine eitle Person in ein günstiges Licht zu stellen, seine Reden mit einem Schwall von schönen Phrasen, Witzen und dreisten Lügen auszuschmücken und den Anschein zu erwecken, als wisse und verstehe er alles. Ganz Griechenland war voll von seinem Ruhme (Senec. ep. 88, 34). Um mit seiner Gelehrsamkeit zu [2804] prunken, scheute er sich nicht, die seltsamsten Märchen zu erdichten und die unglaublichsten Dinge als selbsterlebte Thatsachen zu erzählen. So wollte er den Schatten Homers heraufbeschworen haben, um ihn nach seinem Vaterlande und seinen Eltern zu befragen, hütete sich aber, das Geheimnis auszuplaudern, das ihm Vater Homer angeblich anvertraut hatte (Plin. n. h. XXX 6). Wie es sich mit dem Brettspiel der Freier der Penelope verhalten habe, wusste A. ganz genau anzugeben, er wollte es von einem Ithakesier Namens Kteson gehört haben (Athen. I 16 f). Welche Mittel er anwandte, um das Publikum zu ergötzen und ihm Bewunderung für seine Gelehrsamkeit und seinen Scharfsinn einzuflössen, kann man beispielsweise aus dem ersehen, was Seneca ep. 88, 34 von ihm berichtet: in den beiden ersten Buchstaben der Ilias ΜΗ = 48 (sagte A.) habe Homer die Zahl der Gesänge der Ilias und Odyssee angedeutet. Auf seinen Wanderungen kam A. auch nach Rom und machte dort wie überall viel von sich reden, Kaiser Tiberius nannte ihn sarkastisch cymbalum mundi (Plin. n. h. praef. 25). Die Alexandriner beschenkten ihn mit dem Bürgerrecht, er pries dafür ihre Stadt glücklich, einen solchen Bürger zu haben (Joseph. c. Ap. II 12), und erwies sich ihnen erkenntlich, indem er ihnen in den Fehden, die sie damals mit den Juden in Alexandrien führten, eifrig zur Seite stand und die Juden in Wort und Schrift aufs heftigste bekämpfte und verspottete. Unter Caligula kam es während der Anwesenheit des jüdischen Königs Agrippa in Alexandrien zu argen Ausschreitungen der Hellenen gegen die Juden, zu deren Anstiftern vermutlich auch A. gehörte. Die Juden sandten hierauf, um Beschwerde zu führen, eine Gesandtschaft an den Kaiser nach Rom, an deren Spitze der Philosoph Philon stand. Die Alexandriner schickten gleichzeitig eine Gesandtschaft und ernannten A. zu ihrem Wortführer (Joseph. antiq. XVIII 257). Die Vorgänge beim Empfang dieser Gesandtschaften schildert Philon in seiner Schrift Legatio ad Gaium, jedoch ohne den Führer der Gegner zu nennen. A. hat dann auch später noch unter Claudius in Rom gelebt und gelehrt. Wenn die Vermutung von M. Hertz, dass die Angaben des Suidas s. Ἡρακλείδης Ποντικός sich auf A. beziehen (s. Aper Nr. 6), das Richtige getroffen hat, wurde A. von dem jüngeren Heraklides Ponticus aus Rom verdrängt. Er starb nach Josephus (c. Ap. II 13) an einer bösartigen Krankheit. Dieselbe Eitelkeit und Prahlsucht wie in den Vorträgen zeigte A. auch in seinen Schriften (immortalitate donari a se scripsit, ad quos aliqua componebat, Plin. n. h. praef. 25). Seine litterarische Thätigkeit war eine höchst mannigfaltige, sie bewegte sich auf historisch-geographischem, naturgeschichtlichem und grammatischem Gebiet. Er schrieb 1) Αἰγυπτιακά in 5 Büchern (Tatian. or. ad Gr. 38), ein umfangreiches Werk über ägyptische Geschichte und Kultur, von dem das 3., 4. und 5. Buch citiert werden (die Fragmente FHG III 506–516). Suidas erwähnt von A. nur eine ἱστορία κατ’ ἔθνος, womit ohne Zweifel die Αἰγυπτιακά gemeint sind. Im 3. und 4. Buch kamen die Ausfälle gegen das jüdische Volk vor, die Josephus zur Abfassung seiner Schrift περὶ ἀρχαιότητος Ἰουδαίων (contra Apionem) veranlassten, [2805] worin der Abschnitt II 1–13 speciell gegen die lügenhaften Beschuldigungen A.s gerichtet ist. Clemens Alex. (Str. I 21 p. 378 P.), Iul. Africanus (bei Euseb. pr. ev. X 10, 16) und Ps.-Iustin (coh. ad Gr. 9) erwähnen ausserdem eine besondere Schrift A.s κατὰ Ἰουδαίων; diese Angabe scheint jedoch auf einem Missverständnisse zu beruhen; vgl. E. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes II 778ff. Im übrigen waren die Αἰγυπτιακά eine Compilation aus älteren Werken über die Geschichte und die Wunder Ägyptens, bereichert durch Excurse auf dem Gebiet der Exegese Homers und durch rhetorisch ausgeschmückte Erzählungen von wunderbaren Naturerscheinungen und seltsamen Vorkommnissen, die er selbst beobachtet und erlebt haben wollte. So erzählte er im 5. Buche die bekannte Anekdote von dem Sclaven Androklos und dem dankbaren Löwen, nicht ohne hinzuzufügen, dass er die rührende Scene im Circus Maximus in Rom mit eigenen Augen gesehen habe (Gell. V 14). An einer anderen Stelle erzählte er die Liebe eines Delphins zu einem schönen Knaben, von der er sich gleichfalls selbst überzeugt haben wollte (Gell. VI 8). In Hermopolis (berichtete er) zeigten ihm die Priester einen unsterblichen Ibis (Aelian. h. a. X 29). Auch die übrigen Fragmente bei Plinius, Gellius und Aelian, in denen naturgeschichtliche Curiosa erwähnt werden, stammen wohl sämtlich aus den Αἰγυπτιακά. Die im Et. M. 26, 8 citierte Schrift περὶ Ἄπιδος war ohne Zweifel ein Kapitel desselben Werkes. 2) περὶ τῆς Ἀπικίου τρυφῆς, citiert von Athenaios (VII 294 f), der daraus eine Bemerkung A.s über den Fisch ἔλοψ anführt. 3) Eine Schrift περὶ μάγου (μάγων?) citiert Suidas s. Πάσης, wo das Sprichwort τὸ Πάσητος ἡμιωβόλιον erklärt wird; vgl. O. Crusius Jahrb. f. Philol. 1887, 670ff. 4) Eine Schrift de metallica disciplina erwähnt Plinius n. h. ind. auct. lib. XXXV. 5) περὶ Ῥωμαίων διαλέκτου, citiert von Athen. XV 680 d. 6) Γλῶσσαι Ὁμηρικαί. Über diese Schrift und damit über die Leistungen A.s für die Exegese Homers sind wir am besten unterrichtet, da die Γλῶσσαι Ὁμηρικαί von dem bald nach A. lebenden Apollonios Sophistes in seinem Homerlexikon in ausgiebiger Weise benutzt sind und häufig erwähnt werden. Ausserdem finden sich einige Citate (grösstenteils wohl durch Apollonios vermittelt) bei Hesych, im Lex. Bachm., bei Photios und Suidas und im sog. Etym. Magnum. Obwohl A. der alexandrinischen Schule angehörte und selbst eine Zeit lang an der Spitze dieser Schule stand, so steht doch seine Homerexegese im Gegensatz zu der der älteren Alexandriner. Die von Aristarch und seinen Schülern befolgte gesunde Methode, den Dichter aus sich selbst zu erklären, sagte seinem unruhigen Geiste nicht zu, er befreundete sich mehr mit der Erklärungsweise des Krates von Mallos, die in Homer nicht blos einen Astronomen sah, sondern überhaupt jegliche Art tiefster Gelehrsamkeit bei ihm finden wollte. A.s Worterklärungen sind grösstenteils verkehrt und bleiben weit hinter Aristarchs scharfen Beobachtungen des homerischen Sprachgebrauchs zurück, seine lächerlichen Etymologien werden häufig von Apollonios selbst zurückgewiesen. Unter dem Titel Ἀπίωνος γλῶσσαι Ὁμηρικαί ist eine sehr magere [2806] Sammlung von homerischen Glossen in einigen Hss. erhalten und aus einem Darmstadinus von Sturz im Anhang zum Etym. Gud. (S. 601ff.) herausgegeben. Lehrs erklärte sie für ein späteres Machwerk, A. Kopp dagegen verteidigt ihre Echtheit und hält sie für einen Auszug aus einem echten apionischen Homerglossar (Herm. XX 161ff. = Beiträge z. griech. Excerptenlitteratur 106ff.). Der Inhalt des Werkchens besteht darin, dass von vieldeutigen Ausdrücken sämtliche Bedeutungen aufgezählt und mit Beispielen aus den homerischen Gedichten belegt werden. Es ist allerdings richtig, dass übereinstimmende Glossen im Lexikon des Apollonios vorkommen, aber nirgends wird in solchen A. von ihm genannt, und andererseits finden sich die Glossen, in denen A. von Apollonios genannt wird, in der Sturzschen Sammlung entweder gar nicht oder nicht in derselben Fassung. Es scheint daher doch zweifelhaft, ob jene Zusammenstellung vieldeutiger homerischer Ausdrücke von A. herrührt. Homercommentare von A., deren Existenz neben den Γλῶσσαι gewöhnlich angenommen wird, werden nirgends ausdrücklich erwähnt. Vermutlich stammen die wenigen Fragmente, in denen Homerstellen erläutert werden, sofern sie nicht aus den Γλῶσσαι sind, aus anderen Schriften, besonders aus den Αἰγυπτιακά (Eust. p. 1509, 25 über das Ἠλύσιον πεδίον in Ägypten. Porphyr. zu Il. II 12. X 252. XIV 216 und zu Od. III 341). Die Sammlung alter Scholien, die Eustathios in seinem Commentar zur Ilias unter dem Namen des A. und Herodor öfter anführt, hat, wie Lehrs nachgewiesen hat (De Arist. stud. Hom.³ 364ff.), mit A. nichts zu thun. Ausser den Γλῶσσαι Ὁμηρικαί scheint A. noch ein anderes lexikalisches Werk verfasst zu haben und zwar in Gemeinschaft mit einem Grammatiker Diodor (Ἀπίων καὶ Διόδωρος citiert von Pamphilos bei Athen. XI 501 d und XIV 642 e). Von beiden wird auch 7) eine Schrift περὶ στοιχείων, über die Buchstaben, erwähnt (Διόδωρος καὶ Ἀπίων ἐν τῷ περὶ τῶν στοιχείων Schol. Dion. Thr. Bekk. An. II 784, 10). C. Lehrs Quaestiones epicae. Diss. I (p. 1–34): Quid Apio Homero praestiterit. H. Baumert Apionis quae ad Homerum pertinent fragmenta, Regimonti Pr. 1886. A. Sperling Apion der Grammatiker und sein Verhältnis zum Judentum, Progr. Dresden 1886. A. v. Gutschmid Kleine Schriften Bd. IV.

[Cohn. ]