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II. Kapitel
Geschichte
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aus: RE:Delphoi
Seite: 2520–2583
von: Friedrich Hiller von Gaertringen
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I. Übersicht über die Quellen. Der Zeit nach müssen wir an die Spitze das Prooimion eines Rhapsoden stellen, welches den pythischen Apollon feiert und in der Sammlung der homerischen Hymnen jetzt äusserlich mit einem Liede auf den delischen Apollon vereinigt ist. Nachdem Ruhnken (Epistola critica I, Lugd. Bat. 1782, 8ff.) die beiden Teile geschieden, andere teils ihm gefolgt sind, teils in anderer Weise die Lösung des Problems gesucht haben, worüber die Litteratur bei Gemoll Homer. Hymnen 107ff., wies Kirchhoff S.-Ber Akad. Berl. 1893, 20ff. das im wesentlichen gleiche Schema der beiden Hymnen nach, die wahrscheinlich dadurch, dass das Ende des ersten, der Anfang des zweiten verloren gingen, in einen verschmolzen seien. Doch entbehrt auch dieses zweite Prooimion der inneren Einheit; ausser der Episode von der Geburt des Typhaon v. 127–177 ist ein Lied auf den boiotischen Apollon Telphusios in die einfache Handlung, den Zug des Apollon vom Olymp nach D. und die Drachentötung, hineingearbeitet (66-98. 197–209) und ein anderes auf den Apollon Delphinios (210–Schluss) damit vereinigt, natürlicherweise nicht in rein äusserlicher Mosaikarbeit, sondern mit mannigfaltigen Änderungen, Zusetzungen und Weglassungen (Weniger Die religiöse Seite der grossen Pythien 10). Die Entstehungszeit des Prooimion wird nicht unter das Ende des 7. Jhdts., das Ende der Macht von Krisa, hinabzurücken sein; wie weit die benützten Hymnen zeitlich vorausgehen, kann man schwerlich noch ausmachen. Von den eigentlichen Cultliedern der Delpher selbst, die das Prooimion nur ahnen lässt, haben wir für die ältere Zeit nichts; der Hymnos des Alkaios, der die Fahrt des Apollon von den Hyperboreern nach D. besang, ist uns nur bei einem späten Redner erhalten (PLG III 147 frg. 2–4f.); einen delphischen Hymnos mag Aischylos im Eingang der Eumeniden benützt haben. Erst die Inschriften liefern uns die Originale, den bald nach dem J. 338/7 gedichteten [2521] Hymnos auf Dionysos (H. Weil Bull. hell. XIX 1895, 393ff. 548. H. Diels S.-Ber. Akad. Berl. 1896, 457ff.) und die erst geraume Zeit nach dem Galliereinfalle von 279 entstandenen Apollonhymnen (H. Weil und Th. Reinach Bull. hell. XVII 1893, 561–610. XVIII 1894, 345–389. Crusius Die delph. Hymnen, Götting. 1894. Pomtow Rh. Mus. XLIX 1894, 577ff.). Davon gehört der Paian des Aristonoos von Korinth in das letzte Drittel des 3. Jhdts. (etwa 230–220 nach Pomtow), während die beiden Hymnen, deren Reste in grösserer oder geringerer Vollständigkeit erhalten sind, erst dem 2. Jhdt. ihre Entstehung verdanken (um 130 v. Chr. nach Pomtow). Paian und Hymnen standen auf den Wänden des Schatzhauses der Athener; die Hymnen haben durch die übergeschriebenen Noten in weitesten Kreisen Interesse erregt. Über antike Hymnensammlungen (?) s. Choerobosc. ed. Hörschelmann bei Studemund Anecd. 84. v. Wilamowitz Comm. metr. I 1885. 9. H. Weil Bull. hell. XIX 1895, 393 (die sog. Delphikoi sind eine Metrengattung, keine Liedersammlung, vgl. Crusius a. a. O. 52).

Von historischen Aufzeichnungen ist die Archontenliste zu nennen, die sich bis zum J. 586 hinauf verfolgen lässt (hypoth. Pind. Pyth.), in späterer Zeit aber auch eine Erweiterung bis in die mythische Zeit erfuhr, was das Los aller ἀναγραφαί der Art gewesen ist; ferner die Liste der Sieger an den Pythien, welche Aristoteles (frg. 615–617 Rose³) und Kallisthenes herausgegeben haben, wofür ihnen die Delpher hohe, später wieder zurückgenommene Ehren erwiesen (Homolle Bull. hell. XXII 1898, 260ff. Pomtow Berl. phil. Woch. 1899, 251ff. Aelian. v. h. XIV 1). Schon vor ihm scheint der Πυθικός des Menaichmos von Sikyon die Chroniken von D. bearbeitet zu haben (FHG II 182. Scriptor. rer. Alex. Magni 116, hinter dem Arrian der Didotschen Ausgabe). Ferner gab es Sammlungen von Orakeln. Dass auch das delphische Archiv, das ζύγαστρον (Phot. s. v.) eine solche enthielt, behauptet, ohne es sicher beweisen zu können, F. Benedikt De orac. ab Herodoto comm. I 1871, 3f. (ausserdem ist Cvyaargovζύγαστρον gar nicht das Archiv, welches auch in D. ἀρχεῖον hiess [Bull. hell. XVIII 1894, 230], sondern [in der Mehrzahl] Kisten, welche die πινάκια von provisorischen Rechnungen enthalten [Bull. hell. XX 1896, 218f.]); weit grösser war natürlich die Zahl der im Umlauf befindlichen, zum grossen Teil in ihrer Echtheit sehr anzuzweifelnden Orakel. Ein nicht auf D. beschränktes Verzeichnis der Bearbeitungen dieser sehr ungleichwertigen Masse bei G. Wolff Porphyrii de philosophia ex oraculis haurienda libror. reliquiae 1856, 43ff. Hervorzuheben sind die Arbeiten von Philochoros und Istros (Plut. de Pyth. orac. 19; s. o. Bd. I S. 1711); des Stoikers Chrysippos, den Cicero eifrig benützt (de divin. I 5. 37. II 115; des Nikandros von Kolophon περὶ χρηστηρίων πάντων (παντοίων D. Volkmann) βιβλία γ’ aus dem Ende des 3. Jhdts. (s. u.); des Mnaseas χρησμῶν συναγωγή (FHG III 157) u. a. m. Sicherlich befanden sich seit der Peisistratidenzeit zahlreiche Privatpersonen im Besitze von Orakeln; auch andere Staaten, wie namentlich der spartanische, sammelten die ihnen erteilten Sprüche, [2522] und diese Sammlungen benützen die Historiker von Herodot ab als ergiebige Geschichtsquelle. Neuere Sammlungen der antiken Orakel bei Wolff a. a. O. und mit Ausschluss der von Wolff herausgegebenen, sowie der überhaupt noch nicht gesammelten Prosaorakel bei R. Hendess Oracula graeca, Diss. phil. Hal. IV 1, 1877, 27ff. An einem dem heutigen Stande der Wissenschaft genügenden Corpus oraculorum wird seit lange von Eduard Schwartz wie auch von H. Pomtow gearbeitet. An die Orakel mögen sich die dazu gehörigen Erzählungen, vielfach von zweifelhafter Glaubwürdigkeit, an die Sieger- und Beamtenlisten chronikartige Notizen über Neuerungen im Betriebe der Pythien und über politische Ereignisse geknüpft haben; das waren die ὑπομνήματα Δελφῶν (Plut. Sol. 11. v. Wilamowitz Aristot. u. Athen I 284f.). In hohem Grade stand unter dem Einflusse dieser Art Quellen Herodot (Stellen bei A. v. Gutschmid Kl. Schr. IV 150ff. 159ff. 173); nicht minder aber trotz des platten Rationalismus, mit dem er die heilige Geschichte von D. rationalisierte, Ephoros, zumal für die Colonisationssagen.

Ganz anderer Art sind die dichterischen Quellen, die direct und indirect von D. zeugen oder abhängen. Der Einfluss auf Hesiod und das genealogische Epos, zumal die Eoiendichter, gehört der Geschichte der religiösen Bewegung an. Das attische Drama ist sehr bedeutsam, indem es den Glauben der Dichter und die Vorstellungen ihrer Zeit von der Bedeutung des Orakels in die mythische Vorzeit projiciert. Die Eumeniden, welche die erhabene Lehre von der apollinischen Blutsühne vorführen, und ein kühnes Tendenzstück wie der Ion, dessen Dichter die Überlieferung in seinem Sinne immerhin zum Ruhme der Vaterstadt umgestaltet, sind hier starke Gegensätze, welche die vielseitige Bedeutung dieser Litteraturgattung für die spätere Gestaltung der Tradition bezeugen.

Mit Herodot beginnt die gleichzeitige Geschichtschreibung Licht auf das Orakel und die Vorgänge in D. zu werfen. Er benützte auch schon Steinurkunden (Decret für Kroisos I 54 H. Pomtow Rh. Mus. LI 1896, 333, 1. 343; Pomtow verweist jetzt auf eine solche Wohlthäterliste aus dem 4. Jhdt., Bull. hell. XX 1896, 695) und studierte die Denkmäler, die er sah. Thukydides hat wenige, aber wertvolle Nachrichten. In stärkstem Masse zog erst der dritte heilige Krieg (bis 346) aller Augen auf D. Demophilos fügte seine Darstellung dem Werke des Ephoros, seines Vaters, hinzu (Diod. XVI 14. FHG I 274f.), und Theopompos, der nach Plutarchs gewiss sachverständigem Urteil von keinem Menschen im Studium des Orakels übertroffen wurde (de Pyth. or. 19), erzählte im 26.–30. Buche seiner Philippika mit stark aufgetragener Tendenz die erbauliche Geschichte von dem Frevel der Phoker und der gerechten Strafe, indem er besonders die geraubten Weihgeschenke eingehend behandelte (FHG I 308ff.; das σύγγραμμα περὶ τῶν συληθέντων ἱερῶν ἐκ Δελφῶν χρημάτων ist nur ein Teiltitel); man kann nicht bezweifeln, dass er hierbei Inschriftsteine und Archive benützt hat. Des Aristoteles und seiner auf die ἀναγραφαί gerichteten Bestrebungen ist schon gedacht. Die Zeit der Aitolerherrschaft, [2523] die ein volles Jahrhundert währte, vertraten für D. wohl die Αἰτωλικά des Nikandros von Kolophon, den die Delpher, wie bemerkt, im letzten Drittel des 3. Jhdts. durch ein Proxeniedecret ehrten (Bull. hell. VI 1882, 217ff., 50. Pomtow Jahrb. f. Philol. 1889, 554, 49; Rh. Mus. XLIX 1894, 581f., der die Chronologie, wie sie eigentlich schon in den vorliegenden Quellen enthalten war, richtig stellt). Nun beteiligte sich endlich auch ein Delpher an der Geschichtschreibung; Anaxandridas schrieb περὶ τοῦ ἐν Δελφοῖς χρηστηρίου und, wie Theopomp, περὶ τῶν συληθέντων ἐν Δελφοῖς ἀναθημάτων (L. Weniger De Anaxandrida Polemone Hegesandro rerum Delphicarum scriptoribus, Berl. 1865, 7–21). Er ist, wie mir Pomtow mitteilt, identisch mit dem in delphischen Urkunden oft erwähnten Ἄναξανδρίδας Χαιρεφάνευς, bezeugt für die J. 225–182, also ein wenig älter als sein grosser Gegner Polemon. Ein gewisser Hagesandros schrieb ὑπομνήματα, darin auch über ἀνδριάντες und ἀγάλματα; zumeist aber war es eitler Anekdotenkram, den Athenaios ausgiebig benützt hat (FHG IV 412–422. Weniger a. a. O. 49–59; an seiner nur durch Athenaios bezeugten delphischen Heimat zweifelt Pomtow, weil der Name in den zahllosen delphischen Urkunden nicht einmal für einen Delpher vorkommt; denn der Archon bei Wescher-Foucart 266, vgl. Philolog. LVII 557, gehöre des Monatsnamens wegen nach Chaleion). Beiden weit überlegen war Polemon, Sohn des Milesios von Ilion, von den Delphern 176 mit der Proxenie belohnt (Dittenberger Syll.² 268, 261), noch zu Plutarchs Zeit (quaest. conv. V 2, 9) hoch geschätzt. Vgl. Weniger a. a. O. 22–48. Er schrieb gegen Anaxandridas; ferner περὶ τῶν ἐν Φωκίδι πόλεων καὶ περὶ τῶν πρὸς Ἀθηναίους συγγνείας αὐτῶν (nicht anzuzweifeln! vgl. über Steiris Paus. X 35, 5; Daulis ebd. 4, 9); endlich περὶ τῶν ἐν Δελφοῖς θησαυρῶν. Dass er von Pausanias, namentlich für die Beschreibung der Bilder des Polygnot in der Lesche, benützt ist, ist sehr wahrscheinlich. Zeitlos sind Theodoros von Phokaia de tholo qui est Delphis (Vitruv. VII praef.); Apellas ἐν τοῖς Δελφικοῖς (FHG IV 307); Melisseus ὁ τὰ Δελφικὰ συνταξάμενος (FHG IV 445. v. Wilamowitz Aristot. u. Athen II 20f., 12); Alketas περὶ τῶν ἐν Δελφοῖς ἀναθημάτων wenigstens in zwei Büchern (FHG IV 295). Doch wird es vielleicht erlaubt sein, den letzteren mit Pomtow dem einzigen Delpher gleichzusetzen, der diesen Namen geführt hat und dreimal zwischen 168 und etwa 105 v. Chr. genannt wird. Er würde dann also wohl bald nach Polemon geschrieben haben.

Aus gelehrten Quellen, zum Teil grammatischen, die sich mit den Pindarscholien berühren, schöpft Strabon IX 3, 2–12; Apollodor und Ephoros werden stark benützt. Vor allem aber sind die Schriften des Chaironeers Plutarch zu nennen, unter diesen wieder an erster Stelle die drei Πυθικοὶ λόγοι. Plutarch war fast ebenso sehr Delpher wie Boioter; er lebte im Alter in D. und bekleidete dort die Priesterwürde; mit ihm ist ein Stück delphischer Geschichte so eng verknüpft, dass er auch in diesem Abriss nicht von seiner Zeit getrennt werden kann. Und endlich die einzige erhaltene ausführliche Beschreibung des [2524] Pausanias X 5, 5–32, 1; schwerlich ohne Autopsie geschrieben, aber mit starker Benützung schriftlicher Quellen, namentlich für die Lesche der Knidier und die historisch-antiquarischen Excurse, sowie die apokryphen Orakelsammlungen, für die er ein Corpus gehabt zu haben scheint. Weniger a. a. O. 42ff. Kalkmann Pausanias 109–119. Gurlitt Pausanias 442–445, dieser besonders über die ähnliche Benützung von Fremdenführern bei Pausanias und Plutarch; vgl. Frazers umfangreichen Commentar in seiner neuen Pausaniasausgabe. Pomtow Arch. Anz. 1895, 2ff.; über die Sibyllen Maass De Sibyll. indicibus; über die Lesche die Hall. Winckelmannsprogramme von C. Robert (s. u. S. 2556).

Zu den schriftlichen Quellen treten mit einer Massenhaftigkeit wie an wenig anderen Orten Griechenlands die Steininschriften. Sie waren schon öfter zu berücksichtigen. Herodot, Polemon und andere haben sie ja studiert. Was in der Neuzeit seit Cyriacus von Ancona bis 1827 gesammelt ist, findet sich bei Boeckh CIG I 1. 25. 1687–1724. 1728. Einzelnes fügten hinzu W. M. Leake Travels in Northern Greece 1835 II 637 nr. 1–13 (davon neu 7–9) und L. Ross Inscr. gr. ined. I 1834 nr.67–72. Thiersch Abh. Akad. München III 1840, 63f. (zwei neue). Ulrichs Reisen I 1840, 36 = 115, 36. 38 = 43, 5. 62 = 67, 20. Eine neue Epoche bedeuten die Ausgrabungen von K. O. Müller und E. Curtius im J. 1840; 68 neue Inschriften bieten des letzteren Anecdota Delphica (erschienen 1843). Es folgen Rangabé Ant. hell. 1855 I 706-38. 903–945 (nur Wiederholungen der seit Boeckh hinzugekommenen Texte). Le Bas III 833–970 (davon nur 14 neue) mit einem Plan der von Curtius erforschten Polygonmauer. Ussing Graeske og Latinske Inscr. 1854, 30f. (nur eine neue). Conze und Michaëlis Ann. d. Inst. 1861, 63ff. (27 neue Inschr.). Der dritte Abschnitt beginnt mit den Ausgrabungen der École française, geleitet von Wescher und Foucart, im Herbst 1860. Unter ihren 479 ,Inscriptions recueillies à D.‘ (1863) sind 432 Freilassungsurkunden; daneben die wichtige Proxenenliste nr. 18. Ergänzend C. Wescher Étude sur le monument bilingue de D. 1864 (und anderwärts). Bis hierhin fasst die Litteratur zusammen L. Weniger Die relig. Seite der grossen Pythien, Breslau 1870, 1f., der schon mehr als 620 Inschriften (genauer 640 nach Pomtow) zählt. Es folgt, um von Kleinigkeiten abzusehen, Joh. Schmidt Athen. Mitt. V 1880, 197–205. Im J. 1880 beginnt ein vierter Abschnitt mit den Ausgrabungen Haussoulliers, die zur Auffindung der Athenerhalle und einer Menge Inschriften führte. Die wichtigsten derselben sind von Haussoullier selbst im 5.-7. Bande des Bull. hell. (1881–1883) veröffentlicht; der Rest von 109 Freilassungsurkunden folgte freilich erst 1893 nach (Couve und Bourguet Bull. hell. XVII 343–409). Unterdessen hatte H. Pomtow in mehrfachen Besuchen, an die sich auch erfolgreiche selbständige Grabungen knüpften, den Grund zu eigener gründlicher Kenntnis des delphischen Terrains und der Inschriften gelegt, die er als zweiten Band der Inscriptiones Graeciae septentrionalis bearbeitet. Seine Ausbeute betrug 335 neue Inschriften, von denen [2525] er bisher etwa ein Drittel veröffentlicht hat. Die immer grösser und greifbarer werdenden Pläne der École française, das Werk Foucarts und Hausoulliers zu vollenden, nötigten zu immer neuem Aufschube, der aber der Wissenschaft insofern zu gut kam, als Pomtow unterdessen das weitschichtige Material in den Beitr. zur Topogr. von D. 1889 und in den Fasti Delphici in den Jahrb. 1889, 1894, 1897f., sowie in zahlreichen Aufsätzen in den letzten Bänden des Rh. Mus. und Philol. durcharbeitete. Einen schönen Einzelfund machte Nikitsky Herm. XXVII (1892) 619ff. (dessen Hauptwerk leider in russischer Sprache geschrieben ist). Endlich begannen am 10. October 1892 die grossen Ausgrabungen unter Leitung von Homolle. Über deren Ergebnisse liegen vorläufige Berichte in den Bänden des Bull. hell. 1893–1898 und den Comptes rendus der Académie des inscriptions vor; eine Reihe von Prachtstücken, auch eine nicht geringe Anzahl für Geschichte, Chronologie der Beamten, Topographie bedeutender Texte ist veröffentlicht; aber die grosse Masse harrt noch der systematischen Herausgabe. Wenn Pomtow 1889 die Zahl der delphischen Inschriften auf etwa 1075 schätzte, so mag sie jetzt die fünf- bis sechsfache Höhe erreicht haben; die französischen Inventarnummern gehen bis in die Viertausende, wenn auch natürlich Fragmente, die einzeln gezählt, nachher zusammengesetzt sind, diese Zahl etwas herabmindern werden (Pomtow Berl. phil. Woch. 1899, 250). An der Bearbeitung haben sich neben Homolle namentlich Colin, Couve, Bourguet, Perdrizet beteiligt. Die Sammlung von J. Baunack in den Griech. Dial.-Inschr. III nr. 1683–2993 ist durch den sprachlichen Zweck dieses ganzen Unternehmens beschränkt und entbehrt noch der Indices, durch die eine Inschriftsammlung erst brauchbar wird. Erst wenn das ganze Material herausgegeben und mit Benützung der anderweitigen, weitverstreuten und überreichen Überlieferung verarbeitet ist, wird ein Meister es wagen können, als Frucht langjähriger Studien eine Geschichte D.s zu schreiben. Wer sich jetzt überhaupt an den Gegenstand heranwagt, darf keinen Zweifel darüber lassen, dass er nur eine Skizze zu bieten vermag, und muss sich damit begnügen, wenn spätere Funde in derselben nicht allzu grobe Verzeichnungen zum Nachweis bringen.

II. Geschichte.

1. Bis zum ersten heiligen Kriege. Oberhalb der Stadt Krisa lag die alte Cult- und Orakelstätte Pytho. Es ist ein Ortsname wie andere, dessen Etymologie für die Erkenntnis des Wesens der dortigen Culte und religiösen Vorstellungen völlig gleichgültig ist; wahrscheinlich bezeichnet er die Beschaffenheit des Steines, wie im Schweizer Bergnamen ,Faulhorn‘ (A. Mommsen Delph. 13). Die antike Ableitung Πυθ-ών (gen. -ῶνος oder Πυθώ gen. -οῦς) von πυθ-έσθαι ist schon sprachlich verfehlt (Apollod. bei Strab. IX 419. Plut. de E apud Delph. 2; Wortspiel bei Soph. Oed. R. 603); die von πῦθειν ,faulen machen‘ vertritt schon der homerische Rhapsode (h. in Ap. Pyth. 190ff.). Die homerischen Gedichte kennen nur diesen Namen, der sich auch später in der Dichtersprache hält; erst Herakleitos (bei Plut. Pyth. orac. 21; wohl mit Unrecht bestritten) und [2526] der homerische Hymnos auf Artemis XXVI 14 haben den später üblichen, für Stadt und Volk gebrauchten Δελφοί, dessen einheimische Form nach Ausweis der Münzen bis zur Mitte des 4. Jhdts. v. Chr. Δαλφοί lautete (Svoronos Bull. hell. XX 1896, 13. 19–27), während die Aioler Βελφοί sagten (IGS I 2418 und sonst). Die Stelle war nach Ausweis von Scherben, die unter dem Tempel und an seiner Westfront gefunden sind, schon zur Zeit der sog. mykenischen Cultur bewohnt (Bull. hell. XVIII 1894, 181; ein Inselidol, das in oder dicht beim Dorfe Kastri gefunden sein soll, bei J. Schmidt Athen. Mitt. VI 1881, 361), und viele wechselvolle Schicksale waren über sie seitdem hingegangen, als der verhältnismässig späte Dichter der Λιταί (Ilias IX 401ff.) den Achilleus die reichen Schätze verschmähen lässt, die die steinerne Schwelle (λάϊνος οὐδός) des Schützen Phoibos Apollon im felsigen Pytho (Πυθοί) einschliesst. Der Schiffskatalog (II 519), der Πυθῶνα πετρήεσσαν unter den Orten der Phoker vor der heiligen Krisa nennt, und der Gesang des Demodokos, Od. VIII 74f., hängen von der Iliasstelle ab: Agamemnon befragt hier das Orakel vor dem troischen Kriege, die steinerne Schwelle überschreitend, und als nachher Odysseus und der Pelide in Streit geraten, freut er sich über die Erfüllung des geweissagten Vorzeichens eines guten Ausganges. Die Erwähnung in der Nekyia (XI 576) gehört erst ins 6. Jhdt. Eine zusammenhängende Erzählung von der Entstehung des delphischen Cultes giebt der homerische Apollonhymnos, der freilich, um recht verstanden zu werden, in seine verschiedenen Bestandteile aufzulösen ist. Eine Quelle gab die Legende von Krisa. Diese im 8. und 7. Jhdt. mächtige Stadt beherrschte die Pleistosschlucht und die Strasse nach Panopeus und weiter nach Orchomenos und nach Theben, aber auch die andere, die nordwestlich am Parnass vorbei nach Doris und Lamia führte. An dem tiefeingeschnittenen Meerbusen von Itea besass sie die anscheinend befestigte Hafenstadt Kirrha; sie beherrschte sowohl die fruchtbare Ebene (Κρισαῖον πεδίον), wie auch den korinthischen Golf, der im Hymnos v. 253 Κρίσης κόλπος heisst. Die Gründungssage von Metapont bewahrt die Erinnerung an einen Herrscher Daulios von Krisa (Strab. VI 265); nach der Argolis über greift die Genealogie des Pylades, dessen Vater Strophios ein Sohn des Krisos und Enkel des Phokos genannt wird und die Schwester des Agamemnon heiratet (Asios frg. 5 Ki. Schol. Eur. Or. 33; zu Grunde liegt nach v. Wilamowitz Aesch. Orestie II 251 eine delphische Orestie. die auch Pindar Pyth. XI 12ff. im Auge hat und die sicherlich noch ins 7. Jhdt. gehört, als Krisas Name etwas bedeutete).

Am Hafen von Kirrha lag ein Altar des Apollon Delphinios; den hatte Apollon sich selbst erbaut, als er kretische Schiffer aus Knosos in Delphingestalt wider ihre ursprüngliche Absicht dahin geleitet hatte. Von da hatte er sie den Berg hinauf als schöner Jüngling, die Phorminx spielend, in seinen Tempel geführt, wobei sie den Ἰηπαιήων nach ihrer heimischen kretischen Weise sangen, und zu Dienern seines Cultes, zu seinen ὀργίονες auserkoren, denen er, wenn sie gerecht bleiben, ein glückliches Dasein voraussagt. Auf [2527] das interessante cultliche Detail kommen wir nachher zurück. Die andere, mit dieser geschickt verwobene Legende lässt den Gott vom Olymp kommen; er geht an den Orten, wo er später auch Verehrung genoss, vorüber; sie erscheinen ihm minderwertig; die boiotische Quellnymphe Telpusa redet ihm auch die Absicht aus, bei ihr zu wohnen; im Gebiet von Krisa erst bleibt er; unter dem Parnass baut er die breiten und sehr langen Fundamente; darauf errichten Trophonios und Agamedes den λάϊνος οὐδός, und das Volk baut den Tempel. Darauf tötet der Gott die Schlange (δράκαινα), die nahe dem Tempel bei einer schönen Quelle hauste. Der Todeskampf des Scheusals, das Hirt und Herden verschlungen, wird behaglich ausgemalt, und mit Breite verweilt der Gott bei dem Verwesen des Leichnams, von dem der Ort Πυθώ, der Gott Πύθιος heissen soll (s. o.); l’aède trouve sans doute que le cadavre d’un ennemi sent toujours bon; car il s’attarde un peu longtemps à sa leçon d’étymologie (Bouché-Leclercq Hist. de la div. III 68). Nebenbei ein Zeichen, dass der Dichter besonders stolz darauf ist, d. h. dass er die Etymologie selbst gefunden hat.

Dies der Hauptinhalt der überaus wertvollen Urkunde. Sie zeigt uns Apollon als Δελφίνιος und als Πύθιος, als Gott der Schiffahrt in Delphinengestalt und als ruhmreichen, segenbringenden Drachentöter. Πύθιος ist der Gott von Πυθώ, also, wird man zunächst schliessen, Δελφίνιος der Apollon von Δελφοί. Daraus würde die religionsgeschichtlich überaus wichtige Thatsache folgen, dass alle Πύθιοι und Δελφίνιοι aus D. stammen. Für die Πύθιοι wird dies gelten können (auch für das Πύθιον am Olymp, von dem man zuviel hat wissen wollen, wird es gehen); für die Δελφίνιοι mögen wir daran denken, dass der Name Δελφοί erst relativ spät durchgedrungen ist, während der Cult des Δελφίνιος schon in sehr alter Zeit weit verbreitet war, und deshalb für möglich halten, dass D. nach dem Delphinios benannt ist, wie Athenai von Athena, Eleusis von der Eleusinia. Das ist die Meinung von Kretschmer Einl. in die Gesch. der griech. Sprache 420. Jedenfalls ist der Delphin als redendes Wappen auf den Münzen von D. (Head HN 288f.), und finden sich der Δελφίνιος und der Πύθιος, so verschieden ihre Bedeutung ist, meist zusammen, und meist in deutlichem Zusammenhange mit D. Falls sich, was ich kaum glauben möchte, die von so vielen geteilte Anschauung des Hymnos bestätigen sollte, dass der Delphinios aus Kreta kam, so hat D. dafür den Kretern seinen Pythios zurückgegeben.

Der Hymnos setzt voraus einen stattlichen Tempel. Durch viele Dreifüsse hindurch geht der Gott in sein Adyton (265): dort entzündet er eine mächtige Flamme, das ist die ἑστία, die später eine grosse Rolle spielt. Seine ὀργίονες, d. i. ὀργείονες (W. Schulze Quaest. ep. 254f.) = attisch ὀργεῶνες, schlachten ihm die Opfertiere, Schafe, deren die zahlreichen Besucher immer bringen werden; mit Paian und ὀλολυγή der Frauen wird seine Epiphanie begrüsst, und wie Zeus in Dodona aus der Eiche, weissagt er ἐκ δάφνης (215). Die Worte aber, welche für den Fall des Ungehorsams und der ὕβρις eine ewige Knechtschaft unter ἄλλοι σημάντορες ἄνδρες androhen (362–366), darf man wohl als ein nachträgliches Einschiebsel ansehen, welches die zum ersten heiligen Kriege führenden Vorgänge und dessen Folgen zur Voraussetzung hat: Krisa zerstört, die ὀργίονες zu Tempelsclaven degradiert. Denn das Cultpersonal änderte sich ja gewaltig: der Hymnos kennt noch keine Pythia, auch keine enthusiastische Mantik. Er kennt auch keine Verschuldung des Gottes durch den Drachenmord, und schweigt von Poseidon und Dionysos. Das ist eher 8. als 7. Jhdt.

Über die apollinische Religion und die Feste derselben s. den Art. Apollon. Es ist natürlich, dass beim Zutritte neuer Götter starke Verschiebungen eintraten; namentlich beim Eindringen der dionysischen Religion. Besonders wird die Ankunft des Apollon gefeiert; nach dem Hymnos kommt er, sei es vom Olymp, sei es aus Kreta; nach dem Liede des Alkaios von den Hyperboreern (PLG III 147f. Preller-Robert Gr. M. I 242ff. Crusius in Roschers Lex. I 2805ff., der das Verdienst hat, die delphischen und delischen Traditionen geschieden zu haben). Er kommt nach dem Dichter im Sommer, d. h. im Frühjahr, wenn die Nachtigallen und Cicaden singen. Diese erste Epiphanie wird in besonderen Farben gemalt; für das Festjahr muss sie sich in jedem Frühlinge wiederholen, während in jedem Winter der Gott bei seinen Verehrern jenseits des Nordwindes weilt. Und in jedem Hochsommer wird dann der Kampf mit dem Drachen gefeiert sein. In den Versen des Hymnos, die ihn beschreiben, ist schon der später kunstvoll ausgebildete νόμος Πύθιος im Keime enthalten.

Zu Apollon gehören seine Eltern Zeus und Leto und seine Schwester Artemis. Der letzteren wurden in D. wie in den meisten griechischen Staaten um die Frühjahrsnachtgleiche Feste gefeiert (Εὔκλεια, Ἀρταμίτια und Λάφρια in der Labyadeninschrift Bull. hell. XIX 1895, 5ff.); Zeus wurde, je mehr sich die griechischen Staaten, namentlich die dorischen, consolidierten und je grösseren Einfluss das Orakel auf sie gewann, um so mehr der eigentliche Hauptgott, dessen Willen zu künden Apollons Beruf ist. Neben Zeus steht seine Tochter Athena, in D. von altersher als προναία, d. h. gewissermassen als die Göttin, die den Eingang zum Apollonheiligtum hütet, hochgeehrt. Zeus und Athena sind ja in der spartanischen Rhetra die eigentlichen Staatsgötter; und sie sind es, meist in umgekehrter Folge, die Göttin an erster Stelle, auch an vielen anderen Orten.

Verhältnismässig spät eingedrungen in den Kreis der delphischen Gottheiten ist Hera, die im homerischen Hymnos eine feindliche Stellung einnimmt, da sie den Typhon gebiert, der bei der Schlange aufwächst (v. 127ff.); in Krisa freilich finden wir sie auf der doch vor der Zerstörung der Stadt, also im 7. Jhdt., geweihten Doppeleschara mit Athena im Cult vereint (IGA 314), und der Monat nach der Herbstnachtgleiche gehört ihr. Spät, d. h. nach Apollon, ist auch Herakles nach D. gekommen; hier sind die geschichtlichen Gründe noch klar; es ist der dorische Einfluss. Ein noch späterer, dafür um so wichtigerer Eindringling ist Dionysos. Aber es gab auch Götter, die ein höheres Alter als Apollon beanspruchten. [2529] Dies waren die Erdgöttin, die unter vielen Namen verehrte, bald Gaia, bald Themis, anderwärts auch Demeter, und der Erderschütterer, der auch das Meer beherrscht, Poseidon oder delphisch Poteidan.

Poseidon hatte noch im späteren Apollontempel seinen Altar (Paus. X 24, 4); das Geschlecht der Labyaden verehrte ihn als φράτριος (Bull. hell. XIX 1895, 5ff.). Wahrscheinlich fiel sein Hauptfest in den Monat vor der Wintersonnenwende, den Ποιτρόπιος, entsprechend dem ionischen Brauche (Ποιτρόπια im Labyadengesetz, s. o.; Ποιτρόπιος = ion. Ποσιδεών nach A. Mommsen Delph. 277f.). Sein Diener Pyrkon erscheint als Beigeordneter der Chthonie-Ge in der Eumolpie des Musaios (frg. 12 Kern bei Paus. X 5, 5), die schwerlich lange vor dem 6. Jhdt. in Attika entstammt ist. Ein besonderes Heiligtum der Ge gab es noch zu Plutarchs Zeiten im Süden des Tempels (de Pyth. orac. 17), früher mit Musencult verbunden. Aischylos (Eumen. Anf.) denkt sich Gaia als πρωτόμαντις, deren Nachfolgerin Themis ja auch von der Erdgöttin nicht verschieden ist, und weiter malt es Euripides aus (Iph. T. 1245ff.). Der Drache hütet das μαντεῖον χθόνιον, und als ihn Apollon noch als Kind auf den Armen der Mutter getötet, sendet Themis zukunftkündende Träume den Menschen, und ihre Mutter Gaia nimmt so dem Apollon die Ehre des Orakels, bis Apollon von Zeus die Abstellung dieser Träume erbittet. Denn eine Felsspalte, ein στόμα γῆς, aus dem ein kühler, eigenartiger Luftzug herauskam, war nach der Ansicht der Alten der Ausgangspunkt des ganzen Orakelbetriebs. Dass es mit solchen Luftströmungen seine Richtigkeit hat, bezeugt von neueren Reisenden namentlich Pomtow Beiträge 32, 2. Die Quellen sind freilich jung: Diod. XVI 26. Iustin. XXIV 6. Plut. def. orac. 42; ganz phantastisch Lucan. Phars. V 79ff. u. s. w., und die es beschrieben, hatten schwerlich Gelegenheit gehabt, es zu spüren. In der Nähe des Spaltes befand sich der Omphalos (s. d.), in zahlreichen Stellen bei Pindar und den Tragikern Γᾶς ὀμφαλός genannt (gesammelt von Ulrichs Reisen und Forschungen 193), der Nabel, d. h. der Mittelpunkt der Erde, wie die Insel der Kalypso in der Odysse (I 50) der Omphalos des Meeres (beide Omphaloi stellt zusammen Epimenides frg. 4 K. p. 234), der Umbilicus Romae das Centrum des römischen Strassennetzes ist; also gewissermassen ein ὅρος-Stein, über dessen Bedeutung in Altertum und Neuzeit tiefsinnige Betrachtungen angestellt sind. Zum Grabe des Python macht ihn Varro de l. l. VII 304 (Pythonos tumulum); auf einer Amphiktionenmünze umgiebt ihn auch die sepulcrale Schlange; diese Tholosform möchte E. Rohde Psych. I² 132ff., der in seiner sehr anregenden Darstellung dieser Probleme hier dem Varro folgt, als das eigentlich Bedeutsame ansehen; danach wäre es also ein kleines Kuppelgrab, unter dem der Erdgeist Python zur Zeit des alten Erdorakels lebend in der Tiefe hausend, später zur apollinischen Zeit begraben gedacht worden sei. Die Idee vom Erdmittelpunkt sieht Rohde für ein Missverständnis an. Gegen Varro: Preller-Robert Gr. M. I 266, 1. Für einen Fetischstein gleich dem des Kronos, den schon [2530] Hesiod sah (Theog. 498ff.), halten ihn Ulrichs Reisen und Forschungen 93 und andere; vgl. o. Bd. II S. 725. Später war er aus Marmor, Paus. X 16, 3, und auf jeder Seite war (vor der Zeit des phobischen Krieges) ein goldener Adler angebracht, einem Mythos zufolge, dass die Tiere, von den beiden Enden der Erde kommend, an dieser Stelle zusammengetroffen wären (Schol. Pind. Pyth. IV 4. Strab. IX 419. Plut def. orac. 1. Relief aus Sparta, darstellend den Omphalos mit den Adlern auf den beiden Seiten, rechts Artemis, links Apollon, bei P. Wolters Athen. Mitt. XII 1887, 378ff. und Taf. XII. Paus. X 16, 3). Ein ausgegrabener Omphalos, wohl ein Weihgeschenk, wird erwähnt Bull. hell, XVIII 180; auch anderorten weihte man Omphaloi, so im Heiligtum des Apollon Erethimios auf Rhodos (IGIns. I 733). Jedenfalls war er später das Symbol der apollinischen Mantik und stand als solches im Tempel (Schol. Luc. de salt. 38. Eur. Ion 223f.); dass er ausserhalb des Tempels stand, ist ein alter Irrtum, zu dem die falsche Erklärung von Paus. X 16, 3 geführt hat.

Wenn Ge und Poseidon in D. anerkanntermassen älter sind als Apollon, so kennzeichnet sich Dionysos als ein späterer, wenn auch sehr einflussreicher Eindringling. Es giebt ja keinen griechischen Gott, dessen Ankunft an den vielen Stätten seines Cultus mit so glühenden Farben geschildert ist, wie es bei Dionysos geschah. Wenn Plutarch sagen konnte (de E apud Delph. 9), dass Dionysos nicht minderen Anteil an D. hat als Apollon, und wenn in späterer Zeit im Giebel des Apollontempels neben Apollon, den Musen u. s. w. auch Dionysos und die Thyiaden dargestellt waren (Paus. X 19, 4), so gingen andere sogar so weit, Dionysos für einen Vorgänger Apollons zu erklären; er habe auf dem prophetischen Dreifuss neben Styx Orakel gegeben, wie Python neben Themis (Hypoth. Pind. Pyth. p. 297 Boeckh). Soweit mit den Orphikern, deren Vorstellungen hier wohl zu Grunde liegen, zu gehen, werden wir uns nicht entschliessen können. Immerhin spricht der Festkalender dafür, dass Dionysosfeste schon zu einer Zeit eingeführt worden sind, als die alte Oktaeteris noch bestand, d. h. vor der Zeit der vierjährigen Pythien (s. u.); denn alle acht Jahre wurde die Charila, ein Sühnefest, bei dem die Anführerin der Thyiaden eine wichtige Rolle spielte (Plut. quaest. gr. 12. A. Mommsen Delph. 250, und die Herois, ein ,allgemeines Seelenfest‘ (Rohde Psyche II² 45, 1) gefeiert, bei dem die Rückführung der Semele aus dem Hades zur mimischen Darstellung kam. Später war das Hauptfest trieterisch. Im Dadophorios (Fest Δαιδαφ[όρια] der Labyadeninschriftj, dem ersten Wintermonate, etwa unserem November entsprechend, verstummte der Paian; der pithyrambos trat auf drei Monate für ihn ein (Plut. de E ap. Delph. 9). In nächtlicher Feier zogen die Thyiaden, ein theilweise aus attischen Frauen bestehendes Priestercollegium, auf den Parnass, den recht eigentlich dem Dionysos geheiligten Berg, und suchten das neugeborene Götterkind, den Λικνίτης, während die fünf Hosioi im Heiligtum des Apollon ein geheimnisvolles Opfer darbrachten (Plut. Is. et Os. 35). Denn zum mindesten seit der Erneuerung des Tempels, die dem dritten [2531] heiligen Kriege folgte, besass Dionysos ein ἄντρον (Dionysoshymnos Bull. hell. XIX 1895, 393ff. S.-Ber. Akad. Berl. 1896, 457f.), das der gleichzeitige Philochoros sein Grab nennt (frg. 22); hier war der Gott nach der in der rhapsodischen Theogonie des Orpheus im 6. Jhdt. v. Chr. ausgeführten Sage bestattet, als ihn die Titanen zerrissen hatten. Für den dionysischen Orgiasmus ist auf den Artikel Dionysos zu verweisen; am schönsten hat ihn dargestellt B. Rohde Psyche ΙΙ² 1–37, seine Aufnahme in Griechenland 38ff., sein Zusammentreffen mit dem Apolloncult und die gegenseitige Beeinflussung beider Götter 56ff. Der wichtigste Einfluss, den die Dionysosreligion auf D. ausübte, bestand in einer völligen Umgestaltung der Mantik. Dionysos war in Thrakien und an anderen Orten ein Orakelgott (Paus. X 33, 1. Cornut. 30. Plut. quaest. symp. VIII 10, 2. Rohde II² 59, 2); nun trug er das orgiastische Element, die Ekstase, auch in die apollinische Weissagung hinein. An die Stelle der kretischen Orgionen, die aus dem Rauschen des Lorheerbaums den Willen des Gottes kündeten, und der alten Losorakel, der Θριαί (s. d.), die nach Lobeck Agl. 813 sogar die eigentliche technische Bezeichnung für die Orakelerteilung ἀναιρεῖν = sortes tollere geliefert hatten, trat ein Weib, die Pythia, sie bestieg den Dreifuss, der über dem alten στόμα γῆς aufgestellt war, und die Propheten fassten ihre im Enthusiasmus ausgestossenen Worte in die Form der Orakelsprüche. Die Bedeutung, die das Weib im delphischen Cultus hat, ist dionysisch, wie die Bakchen und Thyiaden dionysisch sind. Wann diese Umgestaltung erfolgte, ist unsicher; ich vermute, dass sie eine unmittelbare Folge des ersten heiligen Krieges war, der die alten krisaeischen Familien beseitigte – die Späteren, das Drama, Herodot u. a. konnten sich D. natürlich nicht mehr ohne Pythia denken. Damit soll jedoch nicht geleugnet werden, dass schon in früherer Zeit Orakel in der einzigen damals geläufigen Kunstform, der des Hexameters, gegeben sind, so viele auch von den uns überlieferten apokryph sein werden.

Erst nach dem Eindringen des Dionysoscultus ist der delphische Kalender in der Form entstanden, wie wir ihn aus den späteren Inschriften durch die Untersuchungen von A. Kirchhoff S.-Ber. Akad. Berl. 1864, 129ff. A. Mommsen Delphika 119ff. Bischoff De fastis (Leipz. Stud. VII) 351ff., zu denen das wichtige Vereinsstatut der Labyaden gekommen ist, kennen. Das Wichtigste und zugleich Sicherste davon ist in die nebenstehende Tabelle aufgenommen; weitere mehr oder weniger sichere Combinationen, sowie Belege bei Mommsen, der sich auch mit der delphischen Zeitrechnung eingehend beschäftigt (besonders 153f.); vgl. dazu Ad. Schmidt Handbuch der griech. Chronologie 70–72. Die alte Einheit war die Oktaeteris, oder Ennaeteris, ein Zeitraum von acht Jahren, innerhalb dessen die Rechnungen nach Sonne und Mond durch Schaltungen von Monaten ausgeglichen wurden. Sie spielt in viele alte Sagen hinein, wie die thessalische von der Dienstbarkeit des Apollon bei Admetos, und hängt mit den schon zum Teil erwähnten Festen Septerion, Herois und Charila zusammen: auch die Pythien sollen anfänglich achtjährig gewesen sein. [2532]

Kalender und Feste von Delphoi

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(Lab.=Labyadeninschrift Bull. hell.

Ungefährer
heutiger
Monat
Ungefährer
delisch-attischer
Monat
Delphischer
Monat
Feste
Juli
Ἑκατομβαιών Ἀπελλαῖος Ἀπελλαι (Lab.) [Labyadenopfer an Dionysos].
August
Μεταγειτνιών Βουκάτιος Βουκάτια (Lab.) – alle vier Jahre: Πύθια [Labyadenopfer an Zeus Patroos und Apollon].
– Über die Pythien, deren Festzeit schwankte, s. den betreffenden Artikel
September
Βουφονιών/ Βοηδρομιών Βοαθόος Ἡραῖα (Lab.)
Oktober
Ἀπατουριών/ Πυανοφιών Ἡραῖος Ἡραῖα
November
Ἀρησιών/ Μαιμακτηριών Λαδοφόριος Λαδαφ[όρια] (Lab.) alle zwei Jahre: Geburt des Dionysos Zeit des Dionysos
Dezember
Ποσιδείον Ποιτρόπιος Zeit des Dionysos Ποιτρόπια Zeit des Dionysos
Januar
Ληναιών/ Λαμηλιών Ἀμάλιος alle zwei Jahre: Tod des Dionysos Zeit des Dionysos
Februar
Ἱερός/ Ἀνθεοτηριών Βύσιος ἑβδόμα, ἐνάτα (Lab.) Apollinisch: älteste Orakelzeit, Plut. quaest. gr. 9
= Θεοφάνια? (Mommsen Delph. 281f. Εὔκλεια (Lab.) für Artemis
März
Γαλαξιών/ Ἐλαφηβολιών Θεοξένιος Θεοξένιa Bull. hell. XVIII 71: ποθόδιον, παιάν, ὕμνος auf Apollon. –
Ἀρταμίτια und Λάφρια (Lab.) für Artemis.
April
Ἀρτεμισιών/ Μουνιχιών Ἐνδυσποιτρόπιος Τραχίνια (Lab.) Τραχίνια Διοσκουρήϊα Μεγαλάρτια (Lab., ein Fest).
Mai
Ταργηλιών/Θαργηλιών Ἡρακλεῖος Ἡρακλεῖα (Lab.)
Juni
Πάνημιος/Σκιροφοριών Ἰλαῖος Ἡρακλεῖα (Lab.)

[2533] und als man die delphische Archontenliste in die mythische Zeit hinauf verlängerte, erfand man einen προάρχων τὴν ἐν[ναετηρίδα] (Kern Gründungsgeschichte von Magnesia [= Inschr. von Magnesia 17] und dazu Pomtow Philol. LIV 1895, 245ff.).

Die Einrichtung und das Personal des Orakels werden uns zwar meist von späteren Autoren geschildert, aber die wesentlichen Züge müssen sich schon in dieser Zeit fest gebildet haben. Über den Bau des Trophonios und Agamedes vermag ich freilich nichts weiter zu sagen, als was Homer und die Anschauung der Polygonmauer lehren; mehr wissen wir erst über die Zeit, als die Pythia auf dem Dreifusse über dem Brdspalte weissagte, eine Greisin (Aesch. Eum. 38), deren Alter, wie bei der Priesterin der Artemis Hymnia bei Mantineia (Paus. VIII 5, 11f.), damit begründet wird, dass ein Frevler, der Thessaler Echekrates, einst eine jugendliche Pythia entführt hatte (Diod. XVI 26); aus vornehmem Geschlecht (πασῶν Δελφίδων ἐξαίρετος Eur. Ion 1323). Mit feierlichem Ornat angethan (Plut. Pyth. orac. 24, doch vgl. 6), trinkt sie von der heiligen Wasserader (Lucian. Hermot. 60; bis accus. 1. Rohde Psyche II² 58, 1, wie in Klaros; das Wasser wohl die Kassotis) und kaut Lorbeerblätter (Luc. bis accus. 1) und Gerste (beides Plut. Pyth. orac. 6); dann gerät sie in Verzückung und weissagt, ἑμμετρά τε καὶ ἄμετρα; auch diese aber bringen ποιηταί τινες ὑπουργοῦντες τῷ ἱερῷ in Verse (Strab. IX 419). Den Grund der Verzückung suchen viele, jedenfalls auch der Stoiker Chrysippos, in einem unterirdischen Luftstrom, einem divinus adflatus (Cic. divin. I 38 aus Chrysippos. Rohde Psyche II² 58, 1, vgl. Strab. IX 419 πνεῦμα ἐνθουσιαστικόν und schon die euhemeristische Darstellung des Diod. XVI 26, die auf eine Geschichte des dritten heiligen Krieges zurückgeht). In der Kaiserzeit gab es nur eine Pythia; früher, als der Andrang grösser war, lösten sich zwei bis drei in der anstrengenden und aufregenden Thätigkeit ab (Plut. def. orac. 9). Ihr zur Seite stehen als vornehmste Tempelbeamte zwei Priester, die jedenfalls im 2. Jhdt. v. Chr., wahrscheinlich auch vorher lebenslänglich gewählt wurden (Priesterlisten: Pomtow Jahrb. f. Phil. 1889, 513ff. 1894, 497ff. 657ff.; Philol. LIV 1895, 211ff. 356ff. 587ff. Baunack Dial. Inschr. II 5 S. 635ff.; die von Nikitsky geteilte Ansicht Pomtows Philol. LIV 597f., 18, dass Priester- und Prophetenamt identisch, d. h. dass die Prophetie den wichtigsten Teil des Amtes der beiden Priester bildete, streitet wohl nur scheinbar mit Plut. def. orac. 51, wo zuerst die opfernden ἱερεῖς, dann der προφήτης Νίκανδρος genannt werden). Auch die fünf ὅσιοι, ebenfalls lebenslänglich, aus Deukalions Geschlecht, waren zu Plutarchs Zeit (def. or. a. a. O.: quaest. gr. 9) bei der Orakelbefragung zugegen, während der auf Inschriften öfter vorkommende νεωκόρος ursprünglich wohl niedere Dienste ausführte (wie der euripideische Ion).

Kenner der russischen Sprache finden in Νikitskys Delph. epigraph. Studien eingehende Erörterungen über die Priester des pythischen Apollon (S. 128–162), das Neokorat, das nicht als eine ἀρχή, sondern als eine lebenslängliche [2534] Hierodulie erklärt wird (S. 163–182) und über die zahlreichen anderen Tempelbeamten (S. 183-211) [nach. Mitteilung von Pomtow]. All das wird man erst übersehen können, wenn die Indices zum delphischen Inschriftencorpus vorliegen. Diejenigen, welche kamen, um das Orakel zu befragen, hiessen θεοπρόποι. Sie haben sich in der Kastalia einer (symbolischen ?) Reinigung unterzogen (Ulrichs Reis. u. Forsch. I 48f. 55f); vor dem Tempel opfern sie einen πέλανος und Schafe (Eur. Ion 228f.; Androm. 1111ff. ἔμπυρα) oder Ziegen (Ziegen auf den Münzen häufig; vgl. die Stiftungslegende Diod. XVI 26), wobei die Priester die Pflicht hatten, die Opfertiere genau zu untersuchen, ob sie geeignet waren (Plut. def. orac. 49); vornehmere Opfertiere konnten meist nur Reiche und Staaten erschwingen. Das Los (Aesch. Eum. Anf.) entschied über die Reihenfolge der Zulassung, soweit nicht einer oder der andere die Ehre der προμαντεία erhalten hatte (oft in Inschriften); wer an die Reihe kam, durfte das ἄδυτον selbst betreten (Orakel Herodot. VII 140 140 ἀλλ’ ἴτον ἐξ ἀδύτοιο). Ausgeschlossen waren Frauen von der Befragung (Plut. de E ap. Delph. 2).

Gegenstand der Orakelbefragung, Inhalt und Form der Orakel. Allgemeine Wirksamkeit des Orakels. Plutarch redet von der alten guten Zeit des Orakels, wo noch nicht der erste Beste wegen Sclavenkaufs oder um einer Arbeit willen den Gott bemüht habe, sondern Städte und Könige und Tyrannen die Fragesteller waren (Pyth. orac. 26). Das mag halb und halb für die Glanzzeit gelten; aber der Anfang jedes Orakels wird darin bestehen, dass die Umwohner kommen und nach ihren kleinen Privatangelegenheiten fragen, die doch für den einzelnen meist das Wichtigste sind. Solche Fragen waren εἰ γαμήσουσιν, εἰ συμφέρει πλεῖν, εἰ γεωργεῖν, εἰ ἀποδημεῖν (Plut. de E ap. Delph. 5) oder εἰ γαμητέον, εἰ πλευστέον, εἰ δανειστέον (Pyth. orac. 28), καρποῦ ὑπὲρ γῆς (Eur. Ion 303) und tausend anderes. Mancher fragte sicher auch πῶς παιδοποιήσεται, wofür uns die im Drama behandelten Mythen, in so vielem das treue Spiegelbild ihrer Zeit, zahlreiche Beispiele liefern (Laïos; Aigeus Apd. III 207; Xuthos und Kreusa Eur. Ion u. s. w.). Eine ungewöhnliche Frage stellte Isyllos von Epidauros durch einen Vertrauensmann: ob er einen Paian, den er dem Asklepios gedichtet, in Stein hauen lassen solle (v. Wilamowitz Isyllos 13f.). Es gab auch vorwitzige und verwerfliche Fragen περὶ θησαυρῶν ἢ κληορνομιῶν ἢ γάμων πρανόμων (def. orac. 7|. Xenophon fragte, bevor er zu Kyros ging, welchem Gotte er opfern müsse, um seine Reise, die er plante, am besten auszuführen und heil nach Hause zu kommen, und wurde deshalb von Sokrates gescholten wegen falscher Fragestellung; er hätte zuerst fragen sollen πότερον λῷον εἴη αὐτῷ πορεύεσθαι ἢ μένειν. Aber nun müsse er dem Gott gehorchen (Xen. anab. III 1. 6f., vgl. Pomtow Jahrb. 1883, 359). Eine doppelte und mehrfache Befragung des Gottes zur Ergänzung oder Erklärung des ersten Bescheides war also offenbar für den Privatmann ebensowenig etwas Ungewöhnliches wie für Städte und Könige. Im übrigen kennen wir diese Art von privater Orakelbefragung am besten aus Dodona [2535] (s. d.). Aber schon in sehr früher Zeit begannen höher Gestellte das Orakel zu befragen. Agamemnon überschreitet, bevor er nach Troia zieht, die steinerne Schwelle, um sich ein Orakel geben zu lassen (Il. IX 401ff.). Und viele werden desgleichen gethan haben, bevor es die Könige von Phrygien und Lydien nachahmten. Damit ergiebt sich mit Sicherheit für das 8. Jhdt. eine hohe Blüte des Orakels; wie weit wir höher hinaufgehen dürfen, lässt sich in Zahlen nicht ausdrücken, da in diesen Zeiten die verlässliche Chronologie aufhört; aber ganz kurze Zeit konnte nicht genügen, um solche Steigerung des Ansehens vorzubereiten. Eine Übersicht über die einzelnen Stämme und Städte wird das zeigen. Von der allgemeinen Thätigkeit des Orakels hat E. Curtius Gr. Gesch.⁶ I 475ff. ein glänzendes Bild entworfen, das von anderer Seite vielfache Widersprüche und Einschränkungen erfuhr. Sicher ist es ja, dass unsere historische Überlieferung von der älteren Zeit bei Herodot, Ephoros, Theopomp u. a. sehr stark durch specifisch delphische Traditionen beeinflusst ist, und dass die Priester vor Vergewaltigungen und Fälschungen nicht immer zurückgeschreckt sind (s. Kyrene). Auch hat das Orakel sehr oft nur gutgeheissen, was man ihm durch die Frage nahegelegt hatte (darin verständig Holm Gr. G. I 279). Man muss sich also hüten, die Intelligenz und den weiten politischen Blick der Priester zu überschätzen. Trotzdem hatten sie zu Zeiten mehr Gelegenheit, die Wünsche und Stimmungen der verschiedensten Seiten kennen zu lernen und in gewissem Grade auch auf sie einzuwirken, als manche anerkannte staatlichen Mächte. Dass dies so war, beweisen die Versuche, das Orakel in die Hände zu bekommen und als Machtmittel zu gebrauchen. Die Amphiktionie, Iason, Philipp, die Geschichte des aitolischen Bundes sind Belege. Es sind zunächst religiöse Fragen, die Platon im Sinne Athens, aber auch im allgemein griechischen Geiste dem Gotte zuweist: Stiftungen von Heiligtümern und Opfer und andere Pflege der Götter und Daemonen und Heroen, und die Bestattungen der Toten und wie man die Abgeschiedenen gnädig stimmen kann (Plat. Rep. 427 b). Beispiele auch aus späteren Zeiten zahllos; darunter die vielen πυθόχρηστοι (s. d.) θεοί, für den Heroencult gesammelt von Rohde Psyche I² 161 A. 177ff. ,Es kommt hinzu, dass das Orakel alles, was den Seelencult fördern und stärken konnte, in seinen Schutz nahm; soweit man von einer delphischen Theologie reden kann, darf man den Unsterblichkeitsglauben in seinen populären Formen und den Cult der unsterblichen Seelen zu den wichtigsten Bestandteilen dieser Thätigkeit rechnen.‘ Die Hauptsache ist auch hier, dass das Orakel einem allgemein tief empfundenen Bedürfnis entgegenkam. Als eine segensreiche Culturmacht erwies es sich dann durch sein Eingreifen in die alte wilde Sitte der Blutrache, die Ermöglichung der Sühne für vergossenes Blut. Wie der Mythos von der Drachentötung umgeändert wurde, so dass Apollon selbst das Blut dieses Scheusals zu sühnen hatte, um wieder völlig rein zu sein, so bietet auch eine andere Sage, die um 600 von einem ganz in delphischen Anschauungen lebenden Dichter gestaltet ist, dem ,hesiodischen‘ Verfasser der Koronis-Eoie, [2536] ein Beispiel, dass Apollon durch Knechtesdienste bei einem Sterblichen das vergossene Blut der Kyklopen sühnen muss (v. Wilamowitz Isyllos 64. 71). Ein delphisches Gedicht hat v. Wilamowitz auch für die Orestessage erschlossen, die dann mit dem Cult des Delphinios nach Athen wanderte (Aischyl. Orest. II 15ff.; das attische Delphinion delphisch: Rohde Psyche I 274f.). Die Tötung der eigenen Mutter befiehlt Apollon dem Orestes, er entsühnt ihn und steht ihm dann auch im Gerichtsverfahren bei. Dass der Gott von der Religion auch auf das Gebiet der praktischen Moral herabstieg mit den pythischen Sprüchen, die man nachher den Sieben Weisen zuschrieb, ist unter diesem Stichwort auszuführen. Eine wichtige Rolle spielte das Orakel jedenfalls in den Augen der Griechen des 6. und 5. Jhdts. bei den Coloniegründungen. Fast die ganze überlieferte Colonialgeschichte zeigt dies. Beispiele sammelt P. Lampros De conditoram coloniarum graec. indole praemiisque et honoribus, Diss. Berl. 1873, 2–20. Herodot tadelt den Dorieus, weil er eine Colonie ohne Befragung des Gottes übernommen (V 42); Kallimachos dichtet (h. in Ap. II 55ff.): ,dem Phoibos folgend legten die Menschen Städte an; denn Phoibos freut sich immer über die Gründung von Städten, und Phoibos legt selbst (wie bei seinem delphischen Tempel) die Fundamente‘. Und Cicero, der ja für D. viel aus Chrysipp entnommen hat, sagt in einer bekannten Stelle (de divin. I 3): welche Colonie hat Griechenland nach Aiolien, Ionien, Asien, Sicilien, Italien ohne das Orakel von Pytho oder Dodona oder das des Ammon ausgesandt? Wir werden diesen späten Zeugnissen, zu deren Begründung das allbekannte Buch des Herodot vollauf genügte, keinen übertriebenen Wert beimessen; soviel ist sicher, dass noch bei den Coloniegründungen des 5. Jhdts. das Orakel eine beratende Stimme hatte, kamen doch auch wichtige Interessen des Cultus in Frage, den die Tochterstädte aus der alten Heimat mit hinübernahmen. Wie weit sich diese Überlieferungen im einzelnen verhalten und noch auf höheres Alter und Glaubwürdigkeit Anspruch haben, wird bei den Einzelstaaten zu sehen sein; und ebenda werden auch manche andere Seiten der Thätigkeit des Orakels zur Sprache kommen.

Die Form der Orakel mag in alter Zeit wie später für ganz gewöhnliche Dinge die prosaische gewesen sein, vgl. Plut. de Pyth. orac. 19; die Ansicht, dass die Pythia zur Zeit des Pyrrhos aufgehört habe, metrisch zu reden (Cic. div. II 56, vgl. Homolle Bull. hell. IV 1880, 476), ist, wenn man sie wörtlich nimmt, unrichtig nach beiden Seiten; schon früher waren wichtige Orakel bisweilen in Prosa abgefasst (Demosth. XLIII 66 p. 1072 und überhaupt Kultorakel), und spätere sind metrisch. Richtig ist nur, dass in der hellenistischen Zeit die Prosa durchaus überwiegt. Die vorherrschende Form der älteren Zeit, und nicht nur für delphische Sprüche, war der Hexameter; die Sprache die episch-ionische. Es sind dieselben Einflüsse von Osten her, welche die delphische Orakelsprache und die Form der hesiodischen Poesie geschaffen haben. Bei der letzteren ging oft der poetische Wert über die Form (vgl. v. Wilamowitz Isyllos 73); nicht anders war das bei [2537] den Orakeln, die nach Plutarchs Urteil (def. orac. 5) meist in Metrik und Wortfall nachlässig und schlecht gefasst waren. Und da es sich gezeigt hat, dass unter den Gedichten des hesiodischen Corpus, den Eoien, mehrere sicher unter delphischem Einfluss entstanden sind, werden die Dichter der Orakel und der hesiodischen Lieder zum Teil nicht einmal in den Personen verschieden gewesen sein. Freilich müssen wir immer betonen, dass die Orakelpoesie namentlich im 6. Jhdt. Gemeingut war (Näheres s. u. Orakel). Es verstand sich von selbst, dass der Gott auf gewisse, gar zu neugierige Fragen nur zurückhaltend und oft zweideutig antworten konnte, um seinen Ruf nicht zu gefährden, und dass er, wenn er sich offenkundig geirrt hatte, immer eine sophistische Erklärung, wo nicht eine kleine Fälschung bei der Hand hatte, um seine Weisheit stets zu rechtfertigen. Für den Thorenverstand waren die Orakel nicht berechnet. Ὁ ἄναξ, οὗ τὸ μαντεῖόν ἐστι τὸ ἐν Δελφοῖς, οὔτε λέγει οὔτε κρύπτει, ἀλλὰ σημαίνει (Heraklit bei Plut. Pyth. orac. 21).

Die Stellung Delphis zu den griechischen Stämmen bis zum heiligen Kriege. Pytho wird schon vom Dichter des Schiffskatalogs (Il. II 519) als phokischer Ort bezeichnet. Die phokische Stadt Krisa übte die Herrschaft über die Orakelstätte aus, sie beherrschte auch die Zugänge zum Meere und die Strasse, die nordwärts am Parnass vorbei über Kytinion nach Lamia führte. Der Einfluss, den D. bei den anderen griechischen Städten gewann, führte dazu, Krisa diese Machtstellung zu bestreiten. Nicht nur der erste heilige Krieg ist für die Emancipation D.s von den Phokern geführt; vielmehr zieht sich bis in die Zeit Philipps von Makedonien dieser Gegensatz zwischen den geschichtlich begründeten Ansprüchen der Phoker und den in der Amphiktionie verkörperten Bestrebungen, D. von dem Nachbarstamme unabhängig zu machen, hindurch. D.s Nähe war das Unglück des tapferen phokischen Stammes; der letzte glänzend beginnende, aber um so trauriger endende Versuch der Phoker, ihr altes Recht zu wahren – Onomarchos berief sich natürlich auf den Schiffskatalog als Rechtsgrund (Diod. XVI 23) – führte zur fast völligen politischen Vernichtung und wurde von den unter dem Einfluss der Priesterschaft stehenden Historikern in den schwärzesten Farben ausgemalt. Bezeichnend für den zunehmenden Gegensatz von D. zu Phokis ist der Umstand, dass die Phoker den delphischen Kalender geflissentlich verschmäht haben. Wer bedenkt, einen wie enormen Einfluss z. B. der delische Kalender auf die Gestaltung des Festjahrs bei den Ioniern ausgeübt hat, wird die Bedeutung dieser Thatsache würdigen.

Die Beziehungen Boiotiens zu D. müssen in alter Zeit schon sehr vielseitig gewesen sein, wenn auch nicht immer freundlich. Am Wege nach Chaironeia und Orchomenos lag noch auf phokischem Gebiet die Stadt Phanoteus-Panopeus. Eine der angesehensten delphischen Patrien stammte, wie aus der Labyadeninschrift (Homolle Bull. hell. XIX 1895, 1ff., D 29ff., vgl. S. 57) geschlossen ist, daher. [Pomtow sieht in Phanoteus den Namen der Felsanhäufung östlich vom ἱερόν in D. selbst, da wo die grosse Felsinschrift der Labyaden liegt, hält aber daneben die Herkunft der [2538] Labyaden aus Panopeus nicht für ausgeschlossen]. Hier war die Sage vom Erdriesen Tityos zu Hause, der die Leto zu vergewaltigen suchte und von Apollon und Artemis erlegt wurde (Preller-Robert Gr. M. I 234f.). In der Kopaisniederung lag die Stadt der frevlerischen Phlegyer (h. in Ap. Pyth. 99), deren Schandthaten von den Späteren noch weiter ausgemalt werden (so namentlich dem übel beleumdeten Kallippos von Orchomenos bei Paus. IX 36, 2; vgl. X 4, 1. 7, 1. IX 9, 2. VIII 4, 4). Von alter Feindschaft gegen Apollon und sein Geschlecht weiss auch die boiotische Niobesage zu melden; findet sich doch sogar der Zug verzeichnet, dass Amphion, der Mann der Niobe, beim Sturm auf den Tempel des Apollon durch die Pfeile des Gottes getötet ist (Hyg. fab. 9). Der homerische Hymnos lässt in einem Bestandteile, der ehemals in der Gründung des Altars des Apollon Telphusios gipfelte, den Gott vom Euripos kommend an vielen boiotischen Orten vorbeigehen; erst bei den Krisaeern lockt es ihn zu bleiben. Aber in früher Zeit triumphiert Apollon über seine Widersacher. In Theben vereinigen sich die Feststrassen von Chalkis und Athen und gehen weiter über Panopeus nach D.; überall erblühen Cultstätten des Gottes, wenn auch vielfach von D. unabhängig. In Tegyra findet sich die delische Geburtssage und der pythische Drachenkampf vereinigt (Plut. Pelop. 16. Preller-Robert Gr. M. I 235, 3); auch das Ptoïon hat die Sagen vom Python und Tityos (ebd.). Der Cult des Pythiers in Theben ist nicht gesichert (IGS I 2524), und ein Schatzhaus haben die Boioter in D. angeblich erst seit der Schlacht bei Leuktra gehabt. Aber überaus zahlreich sind in Boiotien die mit Πουθ- und Πυθ– zusammengesetzten Eigennamen, freilich meist erst aus späterer Zeit, aber für diese auch stark beweiskräftig (Index zu IGS I). Am Tempel von D. bauen Meister aus dem boiotischen Lebadeia, Trophonios und Agamedes (hymn. Ap. Pyth. 116ff.) den λάϊνος οὐδός. Und wohl am stärksten zeigt sich der delphische Einfluss in der Poesie. Hesiod, dessen Vater aus der Aiolis kam, der aber selbst in Askra zum Boioter geworden, hat in seine Theogonie zwar schwerlich so viel delphische Theologie hineingearbeitet, als es das gelehrte aber hypothesenreiche Buch von A. Mommsen (Delphika) will; aber sicher hat er den Kronosstein in Pytho gesehen und seine Legende erzählt (Theog. 498ff.), und daran haftet nicht wenig. Und die an Hesiods Namen anknüpfende genealogische Poesie hat in bedeutenden und tiefsinnigen Dichtungen, deren wir schon anlässlich der Orakel gedachten, den Eoien von Koronis und Kyrene, vielleicht auch in einer Dichtung von Kadmos (Crusius Roschers Lex. II 883), und in der weniger hochzustellenden vom Schilde des Herakles im delphischen Sinne gewirkt (vgl. v. Wilamowitz Isyllos 72; Aischylos Orestie II 20. 22ff.). Die Boioter als Stamm haben hieran freilich keinen Anteil; aber die Wirkung auf sie kann doch nicht gering gewesen sein. Vielleicht war der Dichter des telphusischen Hymnos ein echter Boioter; und wenn man annehmen wollte, dass die Vereinigung des delphischen und delischen Apollonhymnos schon in ältere Zeit hinaufginge, würde ein Ort wie Tegyra, der beide Sagengruppen verbunden hat, gewiss mit [2539] in Betracht kommen. Als eifrige Vorkämpfer des Gottes zeigten sich die Boioter im dritten heiligen Kriege; der Besiegung der Phoker konnten sie sich freilich nur kurze Zeit freuen.

Auch bei den ozolischen Lokrern gab es eine locale Version des Drachenkampfes (Plut. quaest. gr. 15) und also auch wohl einen in höhere Zeit hinaufreichenden Einfluss des pythischen Cultus. Viel wichtiger ist die Frage, wie die Beziehungen D.s zum Norden, zu der später nach den Thessalern benannten Landschaft waren. Schon nach der einen Version im homerischen Hymnos (216ff.) kommt Apollon vom Olymp her bis nach Iolkos, von wo er dann auf dem Umwege über Euboia weiter zieht. Auf den Schutz dieser Strasse gegen Wegelagerer bezieht sich der hesiodische Schild des Herakles. Am Westabhange des Olymp lag ein Pythion (Plut. Aem. Paul. 15). Auf ein erhebliches Alter können die Beziehungen zu Tempe schon deshalb Anspruch machen, weil die Cultgebräuche ennaeterisch sind, also im Kern älter als die erst nach dem ersten heiligen Kriege beginnende vierjährige Pythienfeier. Auf der Πυθιάς genannten Feststrasse, die westlich am Parnass vorbei durch Malis über Larissa (Steph. Byz. s. Δειπνιάς) nach Tempe führt, wird eine Procession geschickt, um den heiligen und entsühnenden Lorbeer zu holen (Aelian. v. h. III 1 und sonst; Preller-Robert 287f.: Septerion). In den Festbräuchen weist manches auf eine spätere Zeit, in der auf die Verschuldung des Gottes durch die Drachentötung und dadurch notwendige Sühnung Wert gelegt wurde (vgl. A. Mommsen Delph. 295f.); zu Grunde liegt jedenfalls die Thatsache, dass der Lorbeer auf den thessalischen Höhen häufig, weiter nach Süden zu selten wird (a. a. O. 96). Doch wird es gut sein, die Bedeutung dieser Zusammenhänge für die älteste Zeit nicht zu übertreiben. Auch die Amphiktionie um das Demeterheiligtum von Anthela ist in der Zeit vor dem heiligen Kriege bedeutungslos für D. Starke Anknüpfungen enthalten die Wandersagen der Ainianen (Plut. quaest. gr. 13. 26), der Magneten, welche mit ἀπαρχαί von Menschen den Gott geehrt haben (Plut. Pyth. orac. 16; es ist dies die von Kern Gründungsgeschichte von Magnesia am Maiandros u. a. in verschiedenem Sinne behandelte κτίσις des kleinasiatischen Magnesia), endlich die Sagen von Admetos von Pherai und Alkestis aus der mehrerwähnten Koronis-Eoie. Das meiste von dem allem wird nicht älter sein als die Zeit des thessalischen Übergewichts nach dem ersten heiligen Kriege.

Ganz besonders wichtig war jedoch das Verhältnis, in das der von Norden her erst in relativ später Zeit einwandernde Dorerstamm zu dem Gotte trat. Es geht nicht mehr an, den Apollon für einen ursprünglich dorischen Gott zu erklären; eher wird man mit v. Wilamowitz Eur. Her.² I 265f. aus der Sage vom delphischen Dreifuss, den Herakles als fremder Ankömmling dem Apollon raubt, den Schluss ziehen dürfen, dass das delphische Heiligtum von den Dorern occupiert wurde, nachher aber wieder in friedliche Beziehungen zu ihnen trat, und dass nunmehr die Dorer umso eifrigere Diener des pythischen Gottes wurden. D. lag am Wege; der bequemste Weg von der Doris nach Naupaktos führt über Kirrha und [2540] dann an der lokrischen Küste entlang; und Naupaktos ist der von der Überlieferung gegebene Ausgangspunkt der weiten dorischen Wikingerfahrten. Wohin dieselben auch gingen, überall finden wir den Pythier und meist auch den Delphinier. Mag die herkömmliche Geschichte von der dorischen Wanderung, wie sie in den mythologischen Handbüchern stand, künstlich und spät zurechtgemacht sein, wonach die delphischen Orakel an die Herakliden, die mythischen Ahnherrn der argivischen und spartanischen Königsgeschlechter, alles angeordnet und geleitet haben, und mag man selbst Pindar (Pyth. V 51) nur geringes Gewicht beilegen, der Lakedaimon, Argos und Pylos nach dem Orakelspruch des Apollon gründen lässt, um von Isokrates Archidamos (VI 17ff.) zu schweigen – historische Thatsache bleibt, dass im 7. Jhdt. Tyrtaios die Grundlagen des spartanischen Staatsrechts als von Pytho geholt und von Phoibos verkündet bezeichnet (PLG II⁴ 9 und Plut. Lyc. 6; auf die meines Erachtens zu weit gehenden Zweifel Ed. Meyers, gegen den Joh. Toepffer Beitr. zur Altertumswissensch. 349ff., kann hier nicht eingegangen werden). Herodot I 65 nennt für uns zuerst den Namen des Lykurgos, den das Orakel mehr als Gott, denn als Mensch begrüsst und dem es τὸν νῦν κατεστεῶτα κόσμον Σπαρτιήτῃσι angegeben habe (wenn Herodots spartanische Freunde es besser wussten und die militärische Einteilung und Ephorat und Gerusia von Lykurg aus Kreta beziehen liessen statt aus D., so spielt hier die zeitweilige Entfremdung zwischen Sparta und D. nach 446 mit; s. u.; man wollte damals in Sparta nichts dem Orakel verdanken; das ging aber rasch vorüber). Wichtige Bestimmungen dieser Rhetra waren eine Stiftung des Cultes des Zeus Sellanyos und der Athena Sellanya, eine neue Einteilung in Phylen und Oben (wobei die alten dorischen Phylen nach Töpffers Vermutung beseitigt wurden), Bestimmungen über Könige, Gerusia und Volksversammlung. Namentlich charakteristisch für D. ist, wie wir weiter sehen werden, die Sorge für die Phyleneinteilung. Frühzeitig wurde ein festes Organ für den Verkehr mit D. geschaffen, die vier Πύθιοι, von denen jeder König zwei wählte, die mit den Königen speisten und dazu bestimmt waren, das Orakel zu befragen, auch den Königen in der Aufbewahrung der Orakel halfen (συνειδέναι Herodot. I 57; über die staatliche Orakelsammlung in Sparta F. Benedict De orac. ab Herodot. comm. 1871, 4). Im 6. Jhdt. waren die Beziehungen besonders eng; die Pythia mischte sich auch stark in die Thronfolgestreitigkeiten (Herodot. VI 66 u. s. w.) Kleomenes befragte das Orakel mehrfach, wandte sogar mit Erfolg das Mittel der Bestechung der Pythia an; auch Dorieus fragte einmal (V 43), hatte aber keinen Erfolg bei der Expedition; vorher, als er Sparta verliess, hatte er nicht gefragt, wohin er gehen sollte, was Herodot (V 42) als Verstoss gegen die Sitte hervorhebt. Über den Cult des Apollon Δελφίδιος; in Sparta Le Bas-Waddington 162 h. Wide Lak. Culte 88; Πυθαεύς in Thornax bei Sellasia, Paus. III 10, 8; auf der Agora in Sparta Bilder des Apollon Πυθαεύς, der Artemis und Leto, Paus. III 11, 9. Es ist nicht richtig, aus Diod. XII 78 zu folgern, dass der spartanische Πυθαεύς eine Filiale des argivischen sei, [2541] denn man hat längst aus Thuc. V 53 Ἐπιδαυρίοις für Λακεδαιμονίοις eingesetzt.

Argos, der am frühesten zur Macht gelangte dorische Staat, hatte eine Filiale von D., einen Tempel des Apollon Pythaeus, auf der Akropolis, wo alle Monate ein Weib im Enthusiasmus, nachdem es Blut getrunken, Orakel gab (Paus. II 24, 1). Vielleicht hatten die mächtigen Herrscher bei der Gründung die Absicht gehabt, sich vom delphischen Einflusse unabhängig zu machen, ähnlich wie die Peisistratiden bei der Gründung oder Begünstigung des Pythion am Ilisos. Nach dem Sturze der Temeniden befragte man daher wieder das delphische Orakel wegen einer neuen Herrscherfamilie, Plut. fort. Alex. II 8. Dass der Πυθαεύς oder Πυθαιεύς nicht, wie Maass vermutet, vom Πύθιος verschieden ist, beweisen die Πυθαϊσταί, von denen niemand bestreiten kann, dass sie zum Πύθιος wallfahren. Ein altes Weihgeschenk der Argiver nach D.: Herodot. I 31, die Statuen der Kleobis und Biton. Der Tempel des Apollon Pythaeus scheint eine Zeit lang auch ein politischer Mittelpunkt der Argolis gewesen zu sein (Preller-Robert Gr. M. I 267, 2. Busolt Gr. G. I² 222, 8, Zweifel bei Beloch Gr. G. I 281); Hermione (Paus. II 35, 2), Epidauros (Paus. II 36, 4. Thuc. V 53), Asine (Paus. II 36, 4) hatten den Cult übernommen, von Epidauros wird im besondern gesagt, dass es ein Opfer zum Tempel schickte. In der Kynuria ist eine altertümliche Weihung Πυθαι[εῖ] gefunden, IGA 59. Auch in Trozen gab es alte Pythien , Paus. II 32, 1. In Sikyon wurden Pythien gefeiert (Menaichm. bei Schol. Pind. Nem. IX 3, mehr bei Schreiber Apollon Pythokt. 43ff. Odelberg Sacra Corinthia Sicyonia Phliasia, Upsaliae 1896, 38ff.); den engen Anschluss an D. suchte hier der Tyrann Kleisthenes aus Anlass des heiligen Krieges. Auf Aigina wurde der Πύθιος und der Δελφίνιος gefeiert (Pind. Nem. III 69. 70 mit Schol. Schol. Pind. Ol. VII 156. Boeckh Explic. 401). Megara hatte einen Agon Πυθάεια [τὰ ἐν ἄ]στε[ι] IGS I 48 (196-86 v. Chr.), nach Schol. Pind. Nem. V 84 Πύθια; vgl. die an den pythischen Dreifuss erinnernde Gründungssage von Tripodiskos Paus. I 43, 7. 8. Am meisten jedoch tritt Korinth in den Vordergrund. Kypselos der Tyrann (657–627 nach Busolt Gr. G. I² 637f.) baute in D. das erste Schatzhaus, um darin seine Weihgeschenke besonders aufzustellen. Darum wurde auch seine Jugendgeschichte mit Orakeln reich ausgestattet, und zwar noch zu einer Zeit, als die Dynastie angesehen war (Herodot. I 14. V 92). Nach dem Sturze derselben setzte die Stadt der Korinther ihren Namen auf das Gebäude. Korinths Bedeutung für den Handel reicht in eine hohe Zeit hinauf; der Osten und Westen traf hier zusammen, und als kleinasiatische Fürsten des 7. und 6. Jhdts. das delphische Orakel befragten, vertrauten sie ihre reichen Weihgeschenke dem korinthischen Schatzhaus an (Herodot. a. O., vgl. dazu namentlich E. Bethe Theban. Heldenlieder 149f.). Durch korinthischen Einfluss wurde die Macht des Gottes auch im ionischen Meer anerkannt; Korkyra hatte seinen ῥόος Πυθαῖος (IGA 347), die Apolloniaten schickten ein χρυσοῦν θέρος nach D. (Plut. Pyth. orac. 16; auch nach dem dritten heiligen Kriege weihen [2542] sie 3000 Scheffel Gerste, Bull. hell. XX 1896, 695; ob auch Spina, das hoch im Norden in der Poniederung gelegene, von Korinth in den Kreis des delphischen Gottes gezogen ist?).

Von Inseln des aegaeischen Meeres hatten die Dorer nach Kreta schon bei der Einwanderung den Cult des Πύθιος, hier meist Πύτιος geschrieben, und Δελφίνιος oder Δελφίδιος mitgebracht, und so finden wir die beiden in sehr vielen kretischen Städten (o. Bd. II S. 47ff. und 65ff.). Der homerische Hymnos auf Apollon Pythios lässt in der einen Version Apollon als Δελφίνιος das knossische Schiff nach D. fahren und diese Kreter werden die Orgionen des Gottes. Der Paian, den sie singen, wird ausdrücklich als kretisch bezeichnet. Nun möchte ich zwar nicht so weit gehen, wie O. Gruppe Handb. d. Alt. V 2, 250, der Kreta direct als Heimat des übrigens nach seiner Ansicht stark vom semitischen Osten beeinflussten Delphinioscultes fasst. Ich zweifle selbst daran, dass die Orgionen, in deren Sinn doch jedenfalls der ältere zu Grunde liegende Hymnos gedichtet worden ist, wirklich sämtlich kretische Einwanderer waren. Aber mir scheint es a priori am annehmbarsten, dass die kretischen Dorer ihren Cult zwar von Norden mitbrachten, in der neuen Heimat aber viel stärker entwickelten und namentlich durch die Pflege der Musik ein bedeutsames Element hinzufügten, das dann mit manchem anderen auf D. zurückwirkte. Die dortigen Priestergeschlechter, die diesen Einfluss stark empfanden und bei ihren Emancipationsgelüsten besser auf ihre Rechnung zu kommen hofften, wenn sie als Fremde galten, machten gern den kretischen Ursprungsglauben zu dem ihren. So mag es mit manchen kretischen Culten gegangen sein. Nachher fabulierten die Kreter vielerlei hinzu; denn die Nachrichten von der kretischen Heimat der mythischen apollinischen Sänger und Sühnepropheten, Chrysothemis, Karmanor u. a., und von der Sühnung Apollons für das vergossene Drachenblut sind weder sehr alt (meist bei Pausanias) noch hat man innere Gründe, ihnen erheblichen Wert für die ältere Zeit beizumessen.

Von den dorischen Kykladen und Sporaden hatte Thera nach einer Felsinschrift des 7. Jhdts. den Delphinios (Schwur ναὶ τὸν Δελφίνιον IGIns. III 537), nach dem auch ein Monat hiess und auf den das Stadtwappen über einer Inschriftstele und auf Münzen, zwei bezw. drei Delphine, hinweisen. Apollon Pythios wird zwar erst auf einer Inschrift um 200 v. Chr. erwähnt (IGIns. III 322), aber schon die Gründungsgeschichte von Kyrene erwähnt eine Hekatombe des Königs Grinnos von Thera an den delphischen Gott (Herodot. IV 150). Und von Thera verpflanzten sich die Beziehungen nach Kyrene, dessen Geschichte bei Herodot voller Orakel ist, wie das hier nicht näher ausgeführt werden kann. Auch das nahe Anaphe hatte einen Cult des Apollon Pythios (IGIns. III 268–271 aus dem 3. und 2. Jhdt. v. Chr.). In der dorischen Hexapolis finden wir zahlreiche Belege für den Cult des Apollon Pythaeus und Pythios in der von Argos gegründeten Stadt Lindos, und daher natürlich auch in der grossen Stadt Rhodos (IGIns. I Indices S. 234), auch der ländliche Cult des Apollon Erethimios zeigt durch einen in seinem Bereich ausgegrabenen Omphalos [2543] (ebd. 733), dass er an D. anknüpft. Das Weihgeschenk der Lindier (Paus. X 18, 4) nach D. kann auch nur vor 408 fallen; nachher besorgte solche äussere Beziehungen die Hauptstadt. Das kleine Syme besass einen Priester des Apollon Pythios (IGIns. III 1). Aus Telos sind zwei stark beschädigte Weihungen an denselben Gott erhalten, die eine locale (Pythien-?) Feier erwähnen, bei der nach meiner Ergänzung ein Πυθάρχας und 29 Πυθαϊσταί mitwirkten (ebd. III 34. 35). Endlich zeigte Knidos seine Verehrung dem Pythier durch Errichtung eines Schatzhauses (wiederaufgefunden, mit archaischer Weihinschrift, Homolle Bull. hell. XX 1896, 581ff. Befragung des Orakels durch die Knidier um 540, Herodot. I 174) und Weihgeschenke (Paus. X 11, 1), und, freilich erst nach den Perserkriegen, durch die Lesche, welche mit den Wunderwerken des Meisters Polygnot geschmückt war. Anschliessen mag man hier den Ἀπέλων Πύτιος als Schwurgott des pamphylischen, unter dorischem Einfluss stehenden Sillyon IGA 505, 30.

Auch der ionische Stamm hatte, wo wir ihn finden, Beziehungen zur delphischen Religion, wenn auch nicht überall so enge wie der dorische. Dies ist natürlich; denn die Ionier hatten ihre Wohnsitze in Attika und Euboia schon inne, als die Dorer kamen, und sie waren nie in eine so persönliche Verbindung getreten wie sie für die Dorer der Mythos vom Dreifussraub wiederspiegelt. Die Ionier von Euboia und der in ältester Zeit zugehörigen Küste bei Tanagra verehrten den Apollon Delphinios. In Chalkis war sein Tempel (Plut. Flamin. 16). Der höchste Berg Euboias klingt mit seinem Kamen Dirphys, heute Delph, an D. an (v. Wilamowitz Arist. u. Ath. I 44, 17); Delphinion hiess der Hafen von Oropos; nach dem homerischen Hymnos nahm Apollon von Olympos über Iolkos seinen Weg nach dem Cap Kenaion im Norden Euboias und weiter durch das lelantische Gefilde zum Euripos. Und Klearch (FHG II 318, 46) lässt Leto von Chalkis nach D. mit ihren noch kleinen Kindern kommen (vgl. Schreiber Apollo Pyth. 4. Mommsen Hertol. I 48f.). In der chalkidischen Colonisation des Westens spielt der Gott eine Rolle; dem Apollon Ἀρχαγέτας weihen die Colonisten von Naxos in Sicilien den ersten Altar. Und die Eretrier ehrten ihn ἀνθρώπον ἀπαρχαῖς, wie die Magneten (Plut. Pyth. orac. 16). Der Cult des Πύθιος in Chalkis geht aus der Inschrift IGA 374 = Dittenberger Inschr. von Olympia 25 nicht mit genügender Sicherheit hervor. Über die Ionier in der Amphiktionie s. u.

Genauer sind wir über die Beziehungen von Attika zu D. unterrichtet, doch ist gerade hier eine zusammenfassende Darstellung so lange sehr schwierig, als die Funde vom Schatzhause der Athener nicht vollständig veröffentlicht sind. Zuerst wurde, wie es scheint, der Pythier in der Tetrapolis verehrt (Toepffer Beiträge zur Altertumswissenschaft 1897, 122ff.), wie auch zuerst der Osten Attikas in Verbindung mit Delos stand. In Oinoe bei Marathon, nicht dem am Kithairon, lag das älteste attische Pythion, in der Nähe auch ein Delion; an diesen Stellen opferte der Seher während der Theorien an jedem Tage ihrer Dauer (Philoch. frg. 158, FHG IV 411). Von hier aus [2544] ging die heilige Strasse, auf der die Pythaisten zogen (Ephor. bei Strab. IX 422). Über die Zahl und Zusammensetzung derselben in ältester Zeit wissen wir nichts; in späterer Zeit war es ein stattlicher Zug. Die etwa um 100 v. Chr. eingehauene Inschrift Nikitsky Herm. XXVIII 1893, 619ff. (vgl. Pomtow Philol. LIV 1895, 592f.) nennt an erster Stelle, soweit sie erhalten ist, die πυρφόρος ἡ ἐγ Δελφῶν, sodann werden die Pythaisten aufgezählt: vier aus den Eupatriden, dazu ein Seher, drei Keryken, drei Euneïden, einer ἐκ Τετραπόλεων, dahinter ὁ ἐπὶ τὰς ἀπαρχάς. Die beiden folgenden oben verstümmelten Columnen enthielten weit über 33 Namen; wohl der aus allen Athenern gewählten Pythaisten. Die πυρφόρος wurde mit dem Dreifuss auf einem Wagen nach Athen und wieder zurückgebracht; sie hatte augenscheinlich die Aufgabe, den Athenern das heilige Feuer zu bringen (Inschriften bei Couve Bull. hell. XVΙΙI 1894, 92 und 87, vgl. Curtius Arch. Anz. 1895, 109f.; Zeit 135–120 und 97/6 v. Chr. nach Pomtow; vgl. Philol. LIV 593). Gerade hier ist von den Inschriften des Athenerschatzhauses besonders reiche Belehrung zu erwarten; vgl. Homolle Bull. hell. XIX 1895, 59. Über die Kephalossage von Thorikos, die auch sehr stark nach D. weist, s. Toepffer Att. Gen. 256ff. In Athen gab es in alter Zeit ein Delphinion. Dort soll Aigeus gewohnt haben (Plut. Thes. 12), nach einer Sage stiftete er es, als er von D. kam, dem Apollon Delphinios und der Artemis Delphinia (Bekker Anecd. I 255). Es war die alte Gerichtsstätte für die, welche einen gerechten Mord begangen hatten, wofür ja der Drachenmord Apollons prototypisch war (Arist. Ἀθ. πολ. 57. Theseus da vom Mord des Skiron und Sinis gereinigt, Etym. M. s. ἐπὶ Δελφινίῳ). Über die Lage vgl. Maass De Lenaeo et Delphinio, Progr. Greifswald 1891. Sicheres ist noch nicht ausgemacht. Das Fest der Delphinien fiel in den Munichion, es bedeutete die Eröffnung der Schiffahrt; Theseus fuhr damals nach Kreta, und überhaupt wird in diesem Zusammenhange an Kreta angeknüpft (Plut. Etym. M. a. a. O., vgl. den homerischen Hymnos). Das Delphinion war eine Sühnestätte; die Sühnung scheint eine der Obliegenheiten der drei ἐξηγηταὶ πυθόχρηστοι gewesen zu sein (Timaei lex. Plat. p. 109 R. E. Rohde Psyche I² 274. 259f.), welchen auch sonst die Auslegung aller den delphischen Gott betreffenden Fragen obgelegen haben wird, gleichwie den spartanischen πύθιοι, als deren Seitenstück man sie wohl bezeichnen kann. Dass Athen bei der Einigung der Landschaft, die spätestens im 7. Jhdt. vollzogene Thatsache gewesen sein muss, auch die Hauptculte der Tetrapolis übernahm, kann als sicher angesehen werden. Die heilige Strasse musste damals nach Athen verlängert werden, und damit war auch der Anlass gegeben, in Athen ein Pythion zu schaffen. Aber wann dies geschehen und wo zuerst, darüber tobt jetzt heftiger Streit. Als man noch Thukydides für eine unbedingte Autorität auch in Fragen ansah, über die er nicht mehr wissen konnte als ein anderer gebildeter Athener, der für die Altertümer seiner Stadt Interesse hatte, stand es fest, dass es unterhalb der Burghöhe vor Theseus Zeiten ein Olympieion und ein Pythion und noch andere [2545] Heiligtümer gegeben habe, die man dann früher allgemein in den Südosten an den Ilissos setzte, wo ja das bekannte Obympieion sicher lag und ebenfalls sicher das Pythion der peisistratischen Zeit. Jetzt weiss man, dass sich Thukydides in Fragen, die lange vor seiner Zeit lagen, sehr wohl irren konnte, und würde sich nicht wundern, wenn er Gründungen des Peisistratos dem Kekrops oder Erechtheus zuschriebe – waren sie doch für das Ende des 5. Jhdts., in dem Athen so unendlich viel erlebt hatte, schon uralt. Peisistratos begann den Bau des Tempels des Zeus Olympios, sein Sohn weihte den Altar des Pythiers in dessen schon vorhandenem Heiligtum; es ist sehr wohl möglich, dass diese ganze Ilissosvorstadt mit samt ihren Heiligtümern überhaupt erst den Peisistratiden ihren Glanz, wenn nicht ihre Existenz verdankt. Dann wäre mit ihr für das 7. Jhdt. nicht zu rechnen. Wohl aber besass die alte Stadt ein Heiligtum des Apollon πατρῷος, zwar nicht identisch mit dem sog. Theseion, aber jedenfalls im Westen der Akropolis gelegen, bei der Stoa Eleutherios, also am Staatsmarkt (Paus. I 3, 4). Ich sehe von Euripides Ion ab, über den später ein Wort gesagt werden muss. Sicher ist es, dass Zeus Herkeios und Apollon Patroos die Götter bereits des vorkleisthenischen Geschlechterstaats waren; die Archonten, die in der ersten Zeit nur aus den Geschlechtern gewählt werden durften, mussten bekennen, dass sie an ihren ἱερά Anteil hatten (vgl. darüber Toepffer Att. Gen. 6f). v. Wilamowitz setzt den Anschluss Athens an den delphischen Apollon spätestens 683, in das Jahr der letzten Umgestaltung des Archontats; er hält mit der Bezeichnung als Πατρῷος auch die Phyleneinteilung durch das Orakel für gegeben, für die dann Milet das Vorbild gegeben hätte (Aristot. und Athen II 44ff.; Aisch. Orestie II 15. 19). In späterer Zeit hatte Milet zwölf Phylen, von denen drei mit den späten athenischen, den kleisthenischen gleichnamig waren, eine vierte, Ἀσωπίς, nach Boiotien weist (Haussoullier Rev. de phil. XVII 1897, 46ff.). Diese letztere hat nach Haussoullier schon bestanden, als es in Milet Geleonten Hopliten u.s.w. gab; sie sind eine Erinnerung an die boiotischen Teilnehmer an der Colonisation. Damit werden aber gerade die eigentlichen ionischen Phylen als bereits vor der Colonisation bestehend nachgewiesen; sie werden Athen, der πρεσβυτάτη πόλις Ἰαονίης, als ursprünglich zu belassen sein und so gut wie die dorischen Hylleer Dymanen Pamphylen vor die Zeit fallen, in der D. in solchen Dingen etwas zu sagen hatte. Der Einfluss D.s auf Athen schon im 7. Jhdt. kann nicht gering gewesen sein. Kylon befragte das Orakel vor seinem verunglückten Staatsstreich (Thuc. I 126). In diese Zeit fällt das Eintreten des Gottes für die Einführung des Dionysoscults in Athen, etwas später wohl auch in Eleusis, vgl. Rohde Psych. II² 54. Kern Beitr. zur griech. Phil. und Rel. 85ff. Athen gab D. nicht weniger zurück als es erhalten; dem attischen Thyiadencollegium wurde im delphischen Cult eine hervorragende Stelle eingeräumt, und natürlich war es, dass der Festkalender namentlich in Bezug auf die dionysischen Feste in Athen sich in vielen Punkten nach D. richtete (Crusius Delph. Hymn. [2546] 157). Ein attischer Dichter des 6. Jhdts., der sich hinter dem heiligen Namen Musaios birgt (vgl. Kern De Musaei Atheniensis fragmentis, Progr. Rostock Sommer 1898) besang die delphische Urgeschichte, wobei er den (in Eleusis hochverehrten) Poseidon stark in den Vordergrund rückte. Und ,zum Andenken des Vorbildes aller pythischen Pilger‘ aus Athen gab es in D. einen Ort Theseia (Plut. Thes. 5. Curtius Ges. Abh. I 40).

Von den ionischen Kykladen hatte Delos ein gewisses Freundschaftsverhältnis zu den Delphern, die sie, so oft einer von ihnen hinkam, mit dem Nötigsten bewirteten (Samos FHG IV 493); auch ein Πύθιον gab es auf Delos (Lebègue Rev. Arch. VIT 1887, 250 nach Wernicke). Im übrigen bestand zwischen den beiden apollinischen Hauptcultstätten eine Rivalität, die besonders dann zunahm, wenn Athen und der Seebund mit D. sich schlecht vertrugen (Robert Arch. Jahrb. V 1889, 224ff.). Auf Keos hatten Iulis und Karthaia Heiligtümer des Apollon Pythios, Karthaia feierte auch Pythien (att. Decret aus dem J. 363/2, Dittenberger Syll.² 101. Ant. Lib. 1). In Ios gab es jedenfalls in hellenistischer Zeit ein Heiligtum des Pythiers (Bull. hell. I 1876, 136, 56. Ross Inscr. gr. ined. II 95. 96); in Paros schon um 400 (Ross a. a. O. II 147; daher auch in der parischen Colonie Thasos CIG II 2161); für Naxos vergleiche die Naxiersäule, die Erneuerung einer alten Urkunde, die den Naxiern Promanteia giebt καττὰ ἀρχαῖα (Pomtow Beitr. Tafel VIII). In Sikinos gab es ebenfalls einen Tempel des Pythiers, den man aber, wie A. Schiff in einem Vortrage im athenischen archäologischen Institut gezeigt hat, nicht nach Ross mit dem späten Grabbau identificieren darf, in der heute die Kirche Episkopi eingebaut ist. Für Siphnos endlich spricht die Thatsache, dass die Bewohner dieser kleinen, aber durch ihre reichen Minen früh reich gewordenen Insel schon um die Mitte (?) des 6. Jhdts. dem delphischen Gott ein Schatzhaus errichteten. Man glaubte es bei den letzten Ausgrabungen wieder gefunden zu haben; dagegen jetzt Homolle Bull. hell. 1896, 581ff., welcher den knidischen Ursprung des fraglichen Gebäudes nachweist. Eine Vermutung über die Lage des Siphnierschatzhauses bei Pomtow Arch. Anz. 1898, 43, 1.

Von den kleinasiatischen Ioniern wird auch gegolten haben, was Strab. IV 270 von allen sagt, dass der Apollon Delphinios allen gemeinsam war. Auf Chios war ein Delphinion (Thuc. VIII 38, 1); die Chier stifteten früh einen Altar in D. (Herodot. II 135: Zeit: erste Hälfte des 5. Jhdts.? [nach Pomtow gleichzeitig mit der Neuordnung des Tempels etwa 520–515]. Homolle Bull. hell. XX 1896, 617ff., Ionsagen in Chios anerkannt S. 625; gute Beziehungen im 5. u. 3. Jhdt. zeigen die Inschriften Homolle a. a. O.); ein χορός der Chier um 500 nach D. geschickt, Herodot. VI 27. Ephesos hatte einen mit der Gründungssage verbundenen Tempel des Apollon Pythios (Kreophyl. FHG IV 371). Klazomenai baute wohl vor 548 einen θησαυρός in D., wie aus Herodot. I 51 mittelbar folgt. Die beiden Orakelstätten von Didyma (Branchidengeschlecht) und Klaros (Schluss der Thebais) suchten Anschluss an D., Strab. IX 421; vgl. Buttmann [2547] Mythol. II 211; Thebais, Manto, Tochter des Teiresias: Bethe Theban. Heldenlieder 146. Auf Phokaia lässt das Heiligtum des Delphinios in Massalia schliessen (Strab. a. a. O.); auf Milet Kyzikos, das auf Orakelgeheiss gegründet ist und den Apollon als Archegeten verehrt (Aristid. XVI 383f. Dind.). Samos hatte alten Cult des Pythiers; Polykrates feierte Pythien und Delien. Hier ist auch Magnesia am Maiandros zu erwähnen. Schon nach Aristoteles und Theophrast bei Ath. IV 173 e waren die Magneten Δελφῶν ἄποικοι, vgl. K. Ο. Müller Dorier I¹ 258ff. Kern Gründungsgeschichte von Magnesia am Maiandros. v. Wilamowitz Hermes XXX 180ff. Nach Strab. XIV 647 kamen sie von den Δίδυμα ὄρη am boibeischen See in Thessalien; Colonisten der D. waren sie in dem Sinne, dass die Magneten des Pelion den Gott mit ἀνθρώπων ἀπαρχαί beschenkt hatten. Spätere Fälschungen, wie sie die Funde der Ausgrabungen ergaben, können die Bedeutung dieses echten Kerns nicht umstossen. Die Beziehungen Magnesias zu D. müssen alt sein und aus einer Zeit stammen, als es unabhängig von Persien war. Vorher aber war es ephesisch; also aus der Zeit vor dem Kimmeriereinfall, spätestens dem 8. Jhdt.

Bei den weder dorischen noch ionischen Stämmen brauchen wir uns wenig aufzuhalten. Dass es in Olympia unter so vielen Altären auch einen des Pythiers gab, beweist nicht viel (Paus. V 15, 4). Arkadien hatte bei Lykosura ein Πύτιον, CIG I 1534. Paus. VIII 38, 8; ebenso Pheneos, von Herakles gegründet, der dorthin den delphischen Dreifuss brachte. Auch bei Tegea gab es ein Pythion, Paus. VIII 54, 5.

In der kleinasiatischen Aiolis hatte das Heiligtum des Apollon Gryneios, in Myrina mit Orakel verbunden, den delphischen Drachenkampf recipiert; vgl. den Flussnamen Πυθικός (Preller-Robert I 283, 3. 242, 1. Schreiber Apollon Pythokt. 47f. Serv. Ecl. VI 72). Ein χρυσοῦν θέρος der Myrinaeer erwähnt Plut. Pyth. orac. 16. Das troische Zeleia hatte einen Tempel des Pythiers (Dittenberger Syll.² 154, 36, Zeit Alexanders). Der Priester desselben in Pergamon (Fraenkel Inschr. von Perg. 309) aus römischer Zeit besagt wenig.

Auch begannen schon in dieser Periode die Beziehungen D.s zum Westen. Als die Chalkidier im J. 735 Naxos in Sicilien gründeten, erbauten sie einen Altar des Apollon Archegetes, auf dem noch zu Thukydides Zeit (VI 3, 1) die sicilischen Theoren, die nach D. gingen, opferten. Im 7. Jhdt. gründete auch Daulios, der Tyrann von Krisa, die Stadt Metapont, die dann durch den apollinischen Wundermann Aristeas von Prokonnesos einen Altar des Apollon erhielt; auch sie schickte ein χρυσοῦν θέρος nach D.. Strab. VI 265. Theopomp. frg. 182. Herodot. IV 15. Das Weitere gehört in die nächste Periode.

2. Vom Beginne des ersten heiligen Krieges bis zu den Perserkriegen (ca. 600–490). Im 7. Jhdt. war Krisa durch seinen Handel mit dem Westen reich geworden und erregte den Neid der Nachbarn. Es zu stürzen fand sich ein Vorwand: sie hätten die zum Heiligtum Pilgernden schwer besteuert (Strab. IX 418) ,gegen die Gebote der Amphiktionen, die [2548] hiermit zum erstenmale praktisch in Erscheinung treten. Ein Eingehen auf die Amphiktionie ist hier nicht möglich; s. o. Bd. I S. 1909ff., wo freilich nach den neuesten Funden und Forschungen schon wieder zahlreiche Ergänzungen nötig sind. Religiöser Mittelpunkt war das Demeterheiligtum von Anthela, nach den benachbarten Thermopylen hiessen die Versammlungen bis in die späteste Zeit Πυλαῖαι, die Vertreter der einzelnen Staaten Πυλαγόροι (Strab. IX 420). Es war ein Bund der ,Umwohner‘, den um 600 aber der vom Westen im Peneiosthal eingedrungene Stamm der Thessaler beherrschte. Im Bundesrate hatten diese ebensoviel Stimmen wie die mit ihnen formell verbündeten Stämme; thatsächlich standen ihnen bei ihrer damaligen Machtentfaltung die Stimmen der Perrhaeber, Magneten, Phthioten, Doloper, Malier, Ainianen, im ganzen also 7 von 12 bezw. 14 von 24, zur Verfügung (Amphiktionenliste jetzt bei Pomtow Jahrb. f. Phil. 1897, 738ff.). Die Thessaler stellten auch den Oberbefehlshaber im Kriege, Eurylochos (Hypoth. Pind. Pyth.); die Athener schickten ein Contingent unter Alkmeon (ὑπομνήμ. Δελφῶν bei Plut. Sol. 11; Solon ist erst später eingeschwärzt; als Antragsteller im Amphiktionenrat nennt ihn Aeschin. III 108). Kleisthenes von Sikyon soll mit einer eigens dazu erbauten Flotte den Krisaeern die Zufuhr zur See abgeschnitten haben (Menaechm. Sikyon. bei Apoll. Pind. Pyth.). Im J. 590/89 fiel Krisa, als Siegesfest feierte Eurylochos den Agon der Pythien, in dem er, natürlich aus der Beute, Geldpreise aussetzte (Marm. Par. ep. 37. Hypoth. Pind. a. a. O.). Eine Anzahl Kirrhaeer hielt sich noch auf dem Kirphisgebirge; als auch sie durch den thessalischen Strategen Hippias im J. 582/1 (Marm. Par.) bezwungen waren, wurde der Siegespreis ein (Lorbeer-) Kranz. Schon früher hatte, wie es heisst, ein Agon der Kitharoeden bestanden: sie sangen einen Paian auf den Gott (Strab. IX 421). Nunmehr wurde ein Wettkampf der Aulodie und des einfachen Flötenspiels hinzugefügt (Paus. X 7, 2). Über die weitere Entwicklung der Agone s. Pythia, über die Gesänge Νόμος Πυθικός. Krisa wurde vernichtet, die Stadt zerstört, der Hafen (Kirrha) zugeschüttet, das Land dem Apollon Pythios, Artemis, Leto und Athena Pronaia geweiht; wer es bebaute, wurde verflucht und als ἑναγής erklärt (Aesch. III 109ff.). Die Amphiktionen verwalteten das geweihte Land und überwachten es, ebenso wie sie auch den Tempel und die in ihm befindlichen Weihgeschenke schützten. Sie leiteten auch alle vier Jahre den Agon der Pythien. Die an der Amphiktionie beteiligten Staaten sandten ihre Hieromnemonen nach D., das damit der eigentliche politische Mittelpunkt der Amphiktionie wurde. Doch behielten die Versammlungen den Namen Πυλαῖαι.

In den nächsten Jahren muss D. ganz im thessalischen Machtbereich gelegen haben; die Phoker waren den Thessalern völlig unterthänig, und auch Boiotien wurde durch ein Heer bedroht. Aber vor 571 wurde dieses geschlagen. Auch die Unabhängigkeit der Phoker wurde von den Thessalern bedroht, aber es gelang, die Eindringlinge zurückzuschlagen, und mehrere Weihgeschenke in D. zeugten von den phokischen Siegen. Herodot. [2549] VIII 27. 28. Paus. X 1. 13, 6. Nach Herodot waren es 2000 Schilde und grosse Statuen um den Dreifuss kämpfender Figuren vor dem Apollontempel, d. h. der Streit um den Dreifuss zwischen Apollon und Herakles, den Pausanias als Statuengruppe beschreibt; Pausanias erwähnt ausserdem eine frühere Stiftung, die Statuen des Sehers Tellias und der siegreichen phokischen Feldherrn u. s. w. Die Zeitbestimmung bei Herodot: nicht viele Jahre vor dem Xerxeszuge lässt uns einigen Spielraum. Busolt I² 698ff. setzt die Ereignisse bald nach 571, Pomtow Anathemata Delphica rückt sie mehr an die Perserkriege heran. Es ist möglich, dass durch diese vorübergehende thessalische Vorherrschaft auch die unter delphischem Einfluss stehende Poesie stark beeinflusst worden ist. Wenn einzelne Partien des genealogischen Epos bis in diese Zeit hinabgehen, so kann man den Grund der Bevorzugung der südthessalischen Heroen (Admetos) in diesen Verhältnissen suchen. Weitgehende, sehr beachtenswerte Vermutungen über die Umgestaltung der Cultgebräuche und Mythen zu Ungunsten der Besiegten, zum Vorteil und Ruhm der Sieger und namentlich der thessalischen Liga bei O. Gruppe Handb. der Alt. V 2, 106f.

In Sikyon feierte Kleisthenes seine eigenen Pythien (Hypoth. Pind. Pyth.); von ihm wird doch auch die Gründung eines eigenen Schatzhauses in D. ausgegangen sein, worin er dem Beispiel des Kypselos von Korinth folgte, vielleicht aus Anlass seines Wagensieges im ersten hippischen Agon des Jahres 582 (Paus. X 7; Thesauros: 11, 1. Plut. qu. conv. V 2, 675 b). Die Sculpturen möchte Homolle wegen ihres recht eigentlich dorischen Inhalts, der nicht zur bekannten dorerfeindlichen Richtung des Kleisthenes stimmen will, erst der Zeit nach dem Sturze des Tyrannen, etwa 570–550, zuweisen (Bull. hell. XX 1896, 657–675). Schon früh hatten die Mächtigen der Erde angefangen, um die Gunst D.s als einer geistlichen Macht zu werben, namentlich wenn es sich darum handelte, Einfluss auf die Gemüter der Hellenen zu erlangen. Noch in späterer Zeit zeigte man in D. den Thron des phrygischen Königs Midas, der 696 oder 676 beim Kimmeriereinfall starb (Herodot. I 14. Busolt Gr. G. II² 462, 1; Zweifel bei Reichel Vorhellen. Götterculte 1897, 17, der darin vielmehr einen mykenischen Götterthron sehen möchte; ihm zustimmend A. Körte Ath. Mitt. XXIII 1898, 97). Bald nachher hatte Gyges von Lydien, der die Mennnadendynastie stürzte und vom delphischen Orakel, wie es heisst, in seiner Herrschaft bestätigt wurde, sechs goldene Mischkrüge und andere Kostbarkeiten im korinthischen Schatzhause als Weihgeschenk deponiert. Dies hinderte ihn nicht, griechische Städte in Ionien zu bekämpfen. Um den Anfang des 6. Jhdts. weihte Alyattes, nachdem er von einer Krankheit genesen war, einen silbernen Mischkrug mit Untersatz, den Glaukos von Chios gefertigt hatte (Herodot. I 19. 25); später war nur noch das eiserne Untergestell übrig (Paus. X 16, 1). Auch Alyattes bekämpfte eifrig die ionischen Städte, und so ist es vielleicht kein Zufall, wenn eine derselben, die seinen Angriff mit Erfolg zurückschlug (Herodot. I 16), Klazomenai, ein Schatzhaus in D. stiftete, als Antwort [2550] auf die Weihgeschenke des Lyders (Schatzhaus Herodot. I 51, die Datierung ist Combination; die Gründung muss jedenfalls vor die persische Eroberung um 540 fallen; über Klazomenai und seine Kunst vgl. S. Reinach Rev. des ét. gr. VIII 1895, 161ff. und die sonstige Litteratur zu den klazomenischen Thonsarkophagen). Die Politik seiner Vorgänger setzte nach beiden Richtungen Kroisos fort. Im J. 556, gleich nach seinem Regierungsantritt, schickte er zum erstenmale θεωροί nach D. (Marm. Par. ep. 41). Seine Weihgeschenke, ein zehn Talente schwerer goldener Löwe, der auf einem Unterbau von goldenen Plinthen ruhte, erregte noch in später Zeit trotz aller Beschädigungen die allgemeine Bewunderung (Herodot. I 50). Als nachher Kroisos angeblich für ein Orakel, worin ihm für den geplanten Feldzug gegen Persien Ratschläge gegeben wurden, an die Delpher pro Mann ein Geschenk von zwei Goldstateren schickte, wurde zu seinen Ehren ein Decret verfasst, das Herodot I 54 nur mit wenigen dialektischen Änderungen wiedergiebt: Δελφοὶ ἔδοσαν Κροίσῳ καὶ Λυδοῖς προμαντηΐην καὶ ἀτέλειαν καὶ προεδρίην καὶ ἐξεῖναι τῷ βουλομένῳ αὐτῶν γενέσθαι Δελφὸν ἐς τὸν ἀεὶ χρόνον (darauf spielt das Decret der Delpher aus dem 2. Jhdt. v. Chr. für eine sardische Gesandtschaft an: Haussoullier Bull. hell. V 1881, 384f. Z. 5; ähnlich S. 398f. Z. 6ff., vgl. Pomtow Jahrb. 1896, 758f.). Auch in den Tempel der Athene Pronaia weiht Kroisos einen goldenen Schild (Herodot. I 92. Paus. X 8, 7), um von anderem zu schweigen. Diese Beziehungen Lydiens zu D. müssen nicht wenig zur Verbreitung griechischer Cultur im Reiche des Kroisos beigetragen haben. Zur Zeit des Xerxes hiess der reichste Lyder Pythios, Herodot. VII 21f. 38f.; mit Πυθ- zusammengesetzte Namen sind auch später in Lydien und Karten sehr häufig (Maass De Lenaeo et Delphinio XIII A. 1). Aber im J. 541/0 (Marm. Par.) fiel das lydische Reich (Marm. Par. ep. 42; über die Zeit Toepffer Beitr. z. griech. Altertumswiss. 88ff. Busolt Gr. G. II² 502; neuerdings hat C. F. Lehmann wieder einen weit frühern Ansatz, das J. 547 oder 546, vertreten, Arch. Ges. März 1898, s. Arch. Jahrb. 1898, 122ff.). Damit hörte der directe Einfluss D.s in dieser Gegend für lange Zeit auf. Aber das Bild des Königs, der so viel für das Orakel gethan, wurde mehr und mehr mit sagenhaften Zügen ausgestattet; am weitesten geht Bakchylides in seinem 468 gedichteten Siegeslied für Hieron. Kroisos errichtet einen Scheiterhaufen, um die Sclaverei nicht zu erleben, besteigt ihn mit Frau und Töchtern und schilt den Gott undankbar. Aber den brennenden Scheiterhaufen löscht eine von Zeus gesandte Regenwolke, und den König mitsamt seinen Töchtern entrückt Apollon zu den Hyperboreern (vgl. das Vasenbild Mon. d. Inst. I 54 und die weitere Litteratur bei Busolt II² 503, 2). Als Harpagos kam und die Knidier ihren Isthmos durchstechen wollten, riet ihnen die Pythia ab, und die Knidier ergaben sich ohne Kampf (Herodot. I 175). D. gab die kleinasiatischen Griechen auf, wofür ein schnödes, ex eventu gefertigtes Orakel über das um 500 zerstörte Milet und Didyma (Herodot. VI 19) charakteristisch ist.

Im J. 548/7 war der delphische Tempel abgebrannt [2551] (Busolt Gr. G. II² 386; Zeugnisse bei Pomtow Rh. Mus. LI 1896, 329ff.; das Datum bei Paus. X 5, 13). Die delphische Priesterschaft bewies hier ihr Geschick, alles Unglück zum Vorteil zu kehren, zum erstenmale. Auch die Amphiktionie zeigte jetzt, was sie für den Gott leisten wollte und konnte. Sie verdangen den Bau eines neuen Tempels für 300 Talente (Herodot. II 180). Davon hatten die Delpher selbst den vierten Teil aufzubringen, wofür eine Sammelliste in der ganzen bekannten Welt herumgeschickt wurde. Herodot muss sie gesehen haben (Pomtow a. a. O. 333, 1); er führt einen beträchtlichen Beitrag des Amasis von Ägypten (also vor 525) und einen sehr geringen der Bewohner von Naukratis an. Dass auch Kroisos Geldgeschenk von zwei Goldstateren pro Kopf diesem Zwecke galt, meint Pomtow. Aber ein athenisches Adelsgeschlecht übernahm, obwohl verbannt aus der Heimat, die Ausführung des Baus, die Alkmaioniden. Wann sie damit begonnen haben, wissen wir nicht, jedenfalls müssen eine Reihe von Jahren auf die Gesandtschaften gerechnet werden, und dann hat der Bau, wie es alle Analogien zeigen, eine erhebliche Zeit in Anspruch genommen. Wir hatten gesehen, dass die delphisch-attischen Beziehungen im 7. Jhdt. freundliche waren; dann hatte Athen dem Gott gegen Krisa geholfen, und auch bei der Erwerbung von Salamis ist von günstigen Orakeln die Rede (Plut. Sol. 9; spätere attische Erfindung nach Toepffer Quaest. Pis. 26f. = Beitr. z. Altertumsw. 20f.). Als Peisistratos zur Herrschaft kam, wurde es anders. Die Alkmaioniden agitierten gegen ihn und seine Söhne (seit wann?), der spartanische Einfluss steigerte sich, und Kleisthenes hatte gezeigt, wie man den Pythier verehren konnte, ohne von der delphischen Priesterschaft abhängig zu sein. Peisistratos hob also nicht nur die andere apollinische Cultstätte, Delos (O. Gruppe Handb. d. Alt. V 2. 241), sondern er schuf sich auch neben seinem Olympieion ein Pythion; sein Enkel Peisistratos, Sohn des Hippias, weihte dort als Archon im J. 520 den bekannten, wieder aufgefundenen Altar (Thuc. VI 54. CIA IV 1, 373 e). In diesem Pythion wurden auch die Dreifüsse der Sieger in den Thargelien, die sonst ganz dem delischen Apollon galten, aufbewahrt (Theophr. bei Ath. X 424 f). Zu dem grossen delphischen Feste der Pythien schuf er ein Seitenstück in den ebenfalls vierjährigen grossen Panathenaeen, die im selben Jahre, mit bewusster Absicht wohl nur wenige Tage früher als die Pythien, gefeiert wurden (die Panathenaeen Ende Hekatombaion, die Pythien meist im Bukatios-Metageitnion). Auch Peisistratos hatte, wie seine ganze Zeit, einen sehr grossen Orakelbedarf: aber er befriedigte ihn durch die Sprüche des Amphilytos aus Akarnanien (Herodot. I 62), des Musaios, den Onomakritos nach Bedarf interpolierte (Herodot. VII 6), und anderer; eine Masse davon wurde auf der Burg im Athenatempel aufbewahrt und fiel dort dem Kleomenes in die Hände; aber delphische waren schwerlich darunter (Herodot. V 90, 1. Benedikt De orac. ap. Herodot. commem. 4). D. verlor also durch die Peisistratiden erheblich. Dies benutzten die Alkmaioniden. Sie bauten zuerst den Tempel prächtiger als ausbedungen. [2552] Den Porosstein ersetzten sie an der Ostfront durch parischen Marmor. Spintharos von Korinth war der Architekt (Paus. X 5, 13); sein Vorbild scheint der noch jetzt in Trümmern erhaltene alte Tempel von Korinth gewesen zu sein (Pomtow Beitr. 37; Rh. Mus. LI 337f.). Ob Aristoteles mit seiner Behauptung Recht hat, dass die Alkmaioniden trotzdem beim Bau selbst ein gutes Geschäft machten (und dadurch erst die Mittel für ihre weiteren Unternehmungen erhielten), lasse ich dahingestellt (Ἀθ. πολ. 19; dafür Ad. Wilhelm Arch.-epigr. Mitt. aus Oest. XX 1897, 97ff.). Jedenfalls erwarben sie sich durch ihre That eine solche Stellung in D., dass sie kaum erst die Pythia zu bestechen brauchten, um sie zu bewegen, den Lakedaimoniern bei jeder Gelegenheit die Befreiung Athens ans Herz zu legen. Dies half; im J. 510 rückte Kleomenes vor Athen; die Peisistratiden zogen ab. Kurz darauf schüttelte Athen auch die lakonische Vormundschaft ab; und als Kleisthenes seine neue Phylenordnung schuf, wurde der Pythia respectvoll die äussere Bestätigung übertragen; sie hatte aus einer Liste von hundert Archegeten die Eponymen der zehn Phylen auszuwählen. Sehr bald darauf erprobte der neue Staat seine Kraft an den Boiotern und Chalkidiern. Als Siegesdenkmal will v. Wilamowitz Arist. u. Athen II 287f. und jetzt auch Homolle Bull. hell. XX 1896, 616 die Stoa der Athener fassen, deren Inschrift lautet (Haussoullier Bull. hell. V 1881, 13ff. IGA 3 a) Ἀθεναῖοι ἀνεέθεσαν τὲν στοὰν καὶ τὰ hόπλα καὶ τἀκτροτέρια hελόντες τôν πολεμίον (Haussoullier setzt sie nach 460/59, U. Koehler Rh. Mus. XLVI 1891, 1 nach dem Seesiege über die Aigineten nach 490; Pomtow Jahrb. 1896, 612 denkt neuerdings an die Schlacht bei Salamis; vgl. seine späteren Bemerkungen Arch. Anz. 1898, 45; Berl. philol. Wochenschr. 1899, 256). Für den zunehmenden Einfluss von D. sind noch einige schwer anzuordnende Thatsachen zu erwähnen. Über Spartas Stellung zu D. ist mehrfach gesprochen; namentlich war die Einmischung in die spartanischen Thronstreitigkeiten zwischen Kleomenes und Demaratos zu erwähnen. Von den Inseln erbaute jedenfalls vor 524 das kleine Siph-nos einen schönen Thesauros in D. (Herodot. III 57). In Kyrene gebot die Pythia, als unter dem lahmen Battos III. innere Kämpfe tobten, aus dem arkadischen Mantineia καταρτιστῆρα ἀγαγέσθαι; es kam Damonax, und er that unter delphischer Sanction fast genau das, was in der spartanischen Rhetra betont wird; er bestimmte die Befugnisse von König und Volk und schuf eine neue, den thatsächlichen Elementen der Bevölkerung gerecht werdende Phyleneinteilung (Herodot. III 161). Auch in Kypros gab es einen Tyrannen, der nach Kroisos Beispiel D. begünstigt: Euelthon von Salamis, Gastfreund der Pheretima, Herodot. IV 162; auch sein Weihgeschenk stand bezeichnenderweise im korinthischen Thesauros. Vom Westen wird besser erst später ausführlicher zu handeln sein. Vielleicht sind die Schatzhäuser der Spineten (Polemon frg. 28) und Agyllaeer schon im 6. Jhdt. gebaut (ein Orakel an die Agyllaeer um 540, Herodot. I 167). Die Weihgeschenke der Liparer von ihren Tyrrhenersiegen sind möglicherweise schon eben so alt; Lipara ist [2553] um 580 gegründet (Diod. V 9. Paus. X 11, 3).

Für die Beurteilung der delphischen Zustände in dieser Zeit kommt namentlich die starke Bestechlichkeit der Pythia in dem Falle des Demaratos, dessen Königsherrschaft in Sparta auf Betreiben des Kleomenes für ungültig erklärt wurde, in Betracht. Auf die Geschichte von der Ermordung des Fabeldichters Aisopos spielt schon Herodot (II 134) an. Dass sie die Alkmaioniden stark begünstigten, wird man ihnen nicht allzusehr zum Vorwurf machen können. Wohl aber zeigt das ex eventu gemachte Orakel über Milet einen bedenklichen Mangel an Patriotismus, wie er noch stärker bei der Ankunft der Perser hervortritt. Wenig wissen wir aus dieser Zeit über die Verfassung von D. Der blutige Streit der beiden Geschlechter des Krates und Orsilaos und seine Folgen (Aristot. Pol. V 1303 b 37. Plut. praec. reip. ger. 32) fällt nach Koehler Rh. Mus. LIII 1898, 485ff. in die letzten Zeiten der absoluten Adelsherrschaft und ,bildet zusammen mit dem krisäischen Krieg, den Beziehungen zu Kroisos und der Anwesenheit und Wirksamkeit der attischen Emigration für uns den Inhalt der Geschichte D.s im 6. Jhdt.‘ (S. 488). Die Anfänge der Münzprägung werden von Svoronos Bull. hell. XX 1896, 11ff. etwa in die Jahre 520–480 gesetzt.


3. Vom Beginn der Perserkriege bis zum Anfange des dritten heiligen Kriegs (490–356). Wenn Plutarch einmal (def. orac. 15) vorwurfsvoll sagt, dass der Tempel von D. voll wäre von Siegesdenkmälern, die Hellenen über Hellenen errichtet hätten, wie ,Brasidas und die Akanthier von den Athenern‘, ,die Athener von den Korinthern‘, ,die Phoker von den Thessalern‘, ,die Orneaten von den Sikyoniern‘, ,die Amphiktionen von den Phokern‘ – so trat in den Persern den Griechen ein nationaler Feind gegenüber, und dies prägt sich auch in den Weihgeschenken aus. Das älteste derselben wäre, wenn es nach dem Anlass der Stiftung allein ginge, von den Athenern bei ihrem Thesauros gestiftet; es trägt die Inschrift Ἀθεναῖοι τ[ô]ι Ἀπόλλον[ι ἀπὸ Μέδ]ον ἀκ[ροθ]ίνια τε͂ς Μαραθ[ô]νι μ[άχες] (Homolle Bull. hell. XVII 1892, 612. XX 1896, 612; die Buchstaben stehen nach Pomtow Arch. Anz. 1898, 44 in Rasur und gehören anscheinend einer Erneuerung im 4. Jhdt. v. Chr. an). Der, Zehnte dieses Sieges war eine grosse Statuengruppe; diese enthielt Athena, Apollon, Miltiades, die zehn neuen Phylenheroen, Kodros, Theseus und Phyleus (Neleus? Loewy). Paus. X 10, 1 nennt Pheidias als Künstler. Da aber die Beziehung auf Marathon durch die Person des Miltiades gesichert ist (Loewy Studi ital. di filol. class. V 1896, 33ff.), muss man entweder die Beziehung auf Pheidias aufgeben (Loewy) oder das Denkmal in spätere Zeit hinabrücken (so Collignon Hist. de la sculpt. gr. I 520f., der etwa an die Jahre 465-460 denkt). Als 480 Xerxes kam und Makedoner, Thessaler und Thebaner und viele andere griechischen Städte und Stämme medisch gesinnt waren, da schwankte auch der Gott. Die Athener schreckte er durch ein ganz entmutigendes Orakel; als die Boten durch Vermittlung eines angesehenen Delphers wiedereingeführt als Bittflehende noch einmal [2554] fragten, wurden sie auf die hölzerne Mauer verwiesen; ein trostreicher Schlusspassus auf Salamis ist natürlich erst ex eventu zugefügt, Herodot. VII 139–142. Auch den Argeiern riet die Pythia zur Vorsicht, Herodot. VII 148. Die Kreter wollten ebenfalls das Orakel befragt haben, und zwar κοινῆ, aber eine abmahnende Antwort erhalten haben (Herodot. VII 169). Ein Orakel an Sparta, das ihrer Stadt Zerstörung oder den Tod eines Herakliden ankündigte, ist jünger als die Thermopylenschlacht (Herodot. VII 220. 239. IX 64; vgl. über diese Orakel und das Folgende Pomtow Jahrb. 1884, 227ff. Busolt Gr. G. II² 661f. Anm. 4, wo zahlreiche Litteratur). Diejenigen Griechen, die an der nationalen Sache festhielten, leisteten einen Schwur, alle die, welche sich ohne Zwang den Persern ergeben hätten, dem delphischen Gotte zu zehnten (Herodot. VII 132), der es eigentlich gar nicht um ihre gute Sache verdient hatte. Aber das wurde vergessen im Jubel des Sieges. Und als Salamis und Plataiai geschlagen war, da wusste die kluge Priesterschaft rasch alles zu ihrem Besten zu kehren. Namentlich wurde ein Beutezug der Perser, der sich gegen das Heiligtum gerichtet haben soll, mit allem Apparat von Heroenerscheinungen, Gewittern und Erdbeben ausgeschmückt. Die Delpher waren auf den Gipfel des Parnass, nach der korykischen Grotte und nach Amphissa geflohen; nur 60 Mann und der Prophet Akeratos blieben und schauten die Wunder – zumeist wohl in ihrer eigenen Phantasie, Herodot. VIII 33ff. Die Beschreibung dieses abgeschlagenen Überfalls blieb vorbildlich für spätere Zeiten. Die Delpher errichteten dem Zeus ein Tropaion, in dessen Epigramm sie sich rühmten, die Schar der Meder abgewehrt und das Heiligtum geschützt zu haben (Diod. XI 14), sie machten auch lebhaft Propaganda für den Cult der Winde, die bei Artemision den Griechen so wacker gegen die persische Flottenübermacht geholfen hatten, und behaupteten, dies schon vorher in richtiger Ahnung gethan zu haben – um die Erinnerung an die Angst, die sie thatsächlich gehabt hatten, zu verwischen (Herodot. VII 178). Und zahllos waren die anderen Siegesdenkmäler. Nach der Schlacht bei Plataiai hatte das Orakel geboten, einen Altar des Zeus Eleutherios zu erbauen; geopfert wurde auf demselben erst, nachdem im ganzen griechischen Heere die Feuer ausgelöscht waren, welche von den Barbaren für befleckt galten, und reines Feuer von der κοινὴ ἑστία in D. geholt war (Plut. Arist. 20). Das siegreiche Heer stiftete nach D. einen goldenen Dreifuss, der von ehernen um einander geflochtenen Schlangen getragen wurde. Dieser Fuss ist erhalten; auf ihm sind die Namen der am Kampfe beteiligten Städte eingegraben und andere, die nachträglich dieser selben Ehre gewürdigt wurden; auf dem Dreifuss liess nach Thuc. I 132 der spartanische König Pausanias eine ihn verherrlichende Inschrift anbringen, die später von den Lakedaimoniern ausgekratzt und durch eben jene Namen ersetzt wurde. Ein weiteres Epigramm, das Diodor XI 33, 2 überliefert, setzt Fabricius in seiner erschöpfenden Behandlung des Gegenstands, Arch. Jahrb. I 1886, 176ff., auf die verlorene Basis [nach Pomtow unecht]. Für die Seesiege von Artemision und Salamis [2555] weihten die Griechen eine Apollonstatue (Paus. X 14, 5), wohl identisch mit dem von Herodot. VIII 121f. erwähnten zwölf Ellen hohen Coloss, der einen Schiffsschnabel trug.

Die Amphiktionen stifteten Statuen des wackern Tauchers Skyllis von Skione und seiner Tochter Hydne (Paus. X 19, 1, vgl. Herodot. VIII 8), liessen die Epigramme auf den Gräbern der Peloponnesier und der 300 Spartiaten in Thermopylai anbringen; sie setzten auch einen Preis auf den Kopf des Verräters Ephialtes aus.

Besondere Weihgeschenke machten die Aigirieten für Salamis (Herodot. VIII 122); die Plataeer für Plataiai (Paus. X 16, 1); die Epidaurier (ebd.), die Karystier (16, 1). Auch Privatleute machten Stiftungen, so der reiche Kallias, Sohn des Lysimachidos, aus Athen (Paus. X 18, 1); das Weihgeschenk des Themistokles soll die Pythia zurückgewiesen haben (? Paus. X 14, 5f.). Der kluge Makedonenkönig Alexander, der den Anschluss an Griechenland suchte, weihte seine goldene Statue nach D.; freilich ohne dass ausdrücklich der Anlass erwähnt wird (Herodot. VIII 121). Auch der Altar der Chier, den Herodot (II 135) schon sah, mag infolge der Perserkriege gestiftet sein; die Weihinschrift trägt nach Homolle Bull. hell. XX 1896, 617 die Züge vom Anfange des 5. Jhdts. Manchen von diesen Weihungen standen gleichartige an das peloponnesische Hauptheiligtum in Olympia zur Seite. Ebenso wuchs das Ansehen von D. als Platz der Wettkämpfe. Pindars pythische Oden bezeugen es (Litteratur über ihre Chronologie u. s. w. bei Busolt Gr. G. III 1, 150ff.). Namentlich sind es die reichen Herrscher Siciliens, die D. jetzt mit ihren Gaben schmücken. Deinomenes hatte das Orakel befragt (Plut. Pyth. orac. 19); Gelon stiftete zugleich im Namen seiner Brüder Hieron, Polyzalos und Thrasybulos goldene Dreifüsse mit einem Epigramm des Simonides, das den Sieg über die Karthager bei Himera als eine panhellenische Grossthat feierte (Schol. Pind. Pyth. I 135, vgl. Bakchyl. III 17ff. Diod. XI 26, 7. Ath. VI 231f; Reste der Basen mit Inschriften: Homolle Bull. hell. XVIII 1894, 179f. und ausführlicher Mélanges Henry Weil 1898, 207ff.). Eine Statue des Hieron sah Plutarch (de Pyth. orac. 8); ihre Inschrift ist wiederaufgefunden (Bull. hell. XXI 1897, 404f.). Die schöne im Jahre 1896 oberhalb des Tempels ausgegrabene Bronzestatue eines fast unbärtigen Jünglings im Wagenlenkercostüm, vervollständigt durch Bruchstücke des dazu gehörigen Viergespanns, wird durch das Mittelstück einer grossen, an demselben Orte gleichzeitig gefundenen Basis, deren Zugehörigkeit die Entdecker mit grosser Wahrscheinlichkeit angenommen haben, als Weihung eines [P]olyzalos bezeichnet, den Homolle nicht ansteht, für den Sohn des Deinomenes zu halten (Acad. des inscr. Paris XXIV 1896, 362ff. mit 3 Tafeln, dazu die prächtige Veröffentlichung Homolles Fondation Eugène Piot 1898: L’aurige de Delphes). Der Name des Polyzalos steht in Rasur und weist spätere Schriftzüge auf als die zweite, zur ursprünglichen Fassung gehörige Zeile, welche die Dedication an Apollon in hexametrischer Fassung enthält und nach ihrem Schriftcharakter mit den oben erwähnten Weihungen der syrakusanischen Grossen [2556] nahe Berührung hat; das vierstrichige ε gemahnt an die olympische Bronze des Geloers Pantares (Dittenberger-Purgold Inschr. von Olympia 142). Sicherlich war der Wagenlenker keiner der syrakusanischen Fürsten, welche niemals selbst die Rennbahn betreten haben und das Wagenlenkercostüm ohne Zweifel verschmäht hätten, aber sehr wohl kann der bekannte Polyzalos der Stifter des fürstlichen Weihgeschenks gewesen sein – der Dargestellte war dann eben sein Wagenlenker (vgl. das Verhältnis des Karrhotos zu Arkesilas IV., Pind. Pyth. V). Über den Anlass der Rasur und den Namen, der vordem dagestanden haben könnte, enthalte ich mich der Vermutungen, deren Wert doch nur ein subjectiver sein könnte. Bald nach den Perserkriegen erwirkten die Athener von den Amphiktionen einen günstigen Beschluss, der ihnen freie Hand gegen die Doloper von Skyros gab (im J. 476; Plut. Cim. 8). Athen hatte auch Gelegenheit, nach der Schlacht am Eurymedon 465 noch ein Siegesdenkmal über die Perser aufzustellen (Paus. X 15, 4). Als dann die Athener und Argeier sich verbündet und bei Oinoe einen Sieg über die Lakedaimonier erfochten hatten, liessen die Athener als Siegesdenkmal in der Stoa Poikile ein Bild der Schlacht malen; die Argiver aber weihten eine grosse Statuengruppe nach D., Werk des Hypatodoros und Aristogeiton, darstellend die Sieben gegen Theben und, anscheinend von demselben Weihgeschenk, die Epigonen (Paus. X 10, 3. Robert Hermes XXV 1890, 412ff., wo er die Schlacht 462–458, und genauer VIII. hallisches Winckelmannsprogramm 1895, 8f., wo er sie Sommer 460 oder Frühjahr 459 ansetzt; Busolt Gr. G. III 1, 324f. zieht 456 vor, spricht sich aber auch gegen die übliche Hinabsetzung in die Zeit des korinthischen Krieges aus; über den Ort Pomtow Arch. Anz. 1895, 6ff.). Nach dem Siege von Oinophyta im J. 457 wurden die Athener die Herren von Boiotien und Phokis (Thuc. I 108). Dies blieben sie auch trotz der missglückten Expedition nach Thessalien (Thuc. I 111), die wohl der Anlass war, dass die Pheraeer ein Siegesdenkmal über die athenische Reiterei in D. aufstellten (Paus. X 15, 4). Die Phoker waren damals, wie auch das Bruchstück einer Urkunde lehrt (CIA IV p. 8 nr. 22 b; vgl. v. Wilamowitz Arist. u. Ath. II 303) mit Athen sehr befreundet; damals malte Polygnotos von Thasos, der Freund des Kimon, für eine Stadt des attischen Seebundes die Lesche der Knidier aus. Dieselbe war oberhalb des Grabes des Neoptolemos errichtet (Paus. X 28, 4), weshalb dieser Heros auch auf dem einen der Gemälde, das die Iliupersis darstellte, die am stärksten handelnde Person war. Das andere Bild, der Aufenthalt des Odysseus in der Unterwelt, hatte durch die dargestellten Personen besondere Bezüge auf die Auftraggeber, darunter nicht nur die Knidier (Iaseus–Triopion), sondern auch auf andere dorische Städte (Klytia = Kos, Kamiro = Kamiros), auf die Heimat des Künstlers (Tellis und Kleoboia) und, was für die politische Constellation besonders wichtig ist, auf Phokis (Schedios) und D. (Thyia). Diesen Nachweis und eine genaue Besprechung der Bilder enthält das XVI. und XVII. hallische Winckelmannsprogramm von C. Robert (1892 und 1893). Die Halle war [2557] offen und jedermann zugänglich, man trat durch die Thüre ein, sass und plauderte darin (Plut. def. orac. 6). Über die Gemälde giebt es eine grosse Litteratur; s. Polygnotos. Die Lesche behandelt auf Grund der französischen Ausgrabungen H. Pomtow Arch. Anz. 1898, 45ff. Der Friedenszustand wurde durch die Lakedaimonier unterbrochen, welche in dem sog. (zweiten) heiligen Kriege D. besetzten und von den Phokern unabhängig machten (Thuc. I 112). Sie erhielten dafür die Ehre der Promanteia, die sie auf der Stirn des ehernen Wolfes, neben dem grossen Altar (Paus. X 14, 7). eingraben liessen (Urkunde von Philochoros frg. 88, FHG I 398 benutzt, vgl. Plut. Per. 21). Zwei Jahre darauf kamen die Athener unter Perikles und gaben das Heiligtum den Phokern zurück; dafür erhielten sie nun ihrerseits die Promanteia, die sie auf der rechten Seite desselben Wolfes anbrachten. Es ist dies zugleich ein typisches Beispiel, wie man in D. fremde Weihgeschenke wie auch Basen und Mauern benutzte, um darauf eigene Urkunden zu verewigen (Thuc. Plut. Philoch. a. a. O.). In diesem Falle war es ein von den Delphern selbst gestifteter Gegenstand. Damals wird Herodot Sparta besucht haben, wo man der politischen Lage wegen von dem delphischen Einfluss auf die lykurgische Gesetzgebung ausnahmsweise nichts wissen wollte (s. o.). Dass Herodot zur Zeit des spartanischen Einflusses, also 448, in D. war, hat man daraus gefolgert, dass er eine spartaner-freundliche Fälschung, die Anbringung der Aufschrift Λακεδαιμονίων auf einem goldenen περιρραντήριον des Kroisos, erwähnt, wobei er den Namen des Fälschers verschweigt, weil er wohl ein angesehener Zeitgenosse war (Kirchhoff Entstehung des herodot. Geschichtswerks 32ff.). Doch ist es auch denkbar, dass die Athener die unschädliche Lüge ruhig stehen liessen; hatten sie doch Wichtigeres zu thun, als dem Kroisos zu seinem Recht zu verhelfen, und spricht gerade die Aufdeckung der Fälschung für eine spartanerfeindliche Stimmung. Lange dauerte das attische Übergewicht nicht; der unglückliche Tag von Koroneia im J. 447 raubte den Athenern ihre Hegemonie jenseits des Kithairon. Auch D. erlangte nicht nur die Unabhängigkeit, sondern trat auch in einen entschiedenen Gegensatz zu Athen (Kirchhoff Thukydides und sein Urkundenmaterial 32). Dies zeigte sich bei Thurioi: im J. 445 war diese Neugründung unter Athens Leitung ausgeführt, aber als nachher zwischen den Bewohnern Streit entstand, welche Stadt als Mutterstadt anzusehen und wer als κτίστης zu bezeichnen sei, da entschied der Gott, die Rechte Athens missachtend, ohne sie gerade zu verletzen, dass er selbst der Gründer sei (Diod. XII 35; Busolt Gr. G. III 1, 537f. hebt richtig die Tendenz hervor). Als im J. 432 die Spartaner den Krieg gegen Athen beschlossen, antwortete ihnen das Orakel auf ihre Frage, sie würden siegen, wenn sie kräftig kämpften, und der Gott selbst würde ihnen helfen, gebeten und auch ungebeten (Thuc. I 118, 3, vgl. I 121. 143). Weshalb auch Thukydides in seinen erfundenen Reden auf beiden Seiten die Möglichkeit erwägen lässt, dass die Spartaner in Olympia und D. eine Anleihe machten. Im J. 426 fand unter delphischer Sanction die [2558] Besiedlung von Herakleia durch die Spartaner statt, zum Schutz von Trachis und zur Eröffnung der Strasse nach Norden (Thuc. III 92f.).- Auf diesem Wege marschierte denn auch Brasidas nach Thrakien. Im Winter 424/3 zog er die Akanthier auf seine Seite, mit denen er in D. ein Schatzhaus weihte, das die Weihinschrift trug ,Brasidas und die Akanthier von den Athenern‘ (Plut. Lys. 1; def. orac. 14. 15). Dem stehen freilich von athenischer Seite andere Weihgeschenke entgegen; Phormion weihte Schiffsschnäbel und Schilde, die er in der Schlacht bei Rhion 428 erbeutet hatte (Paus. X 11, 6, der diese Weihung verkehrterweise auf die ganze Athenerhalle bezieht). Und athenische Bundesgenossen, die Messenier und Naupaktier, stifteten nach Olympia und D. hohe dreiseitige Basen, die olympische mit der Nike des Paionios gekrönt, die delphische wiederhergestellt von Pomtow Jahrb. 1896, 505ff. Als Anlässe der Stiftungen sind mehrere Ereignisse vorgeschlagen; Pomtow (S. 600f.) bezieht das delphische Denkmal auf die Thaten im amphilochischen Kriege 426/5, das olympische auf die Teilnahme an der Besetzung von Pylos und Sphakteria. Wann diese Denkmäler vollendet sind, ist nicht sicher; jedenfalls wurde erst durch den Waffenstillstand vom Frühjahr 423 D. wieder frei zugänglich, indem festgesetzt wurde, dass jeder beliebige das Orakel befragen dürfe, und auch Vorsorge für die Schätze des Gottes getroffen wurde (Thuc. IV 118. Kirchhoff Thukyd. 4ff). Im Frieden des Nikias (421) wurde festgesetzt, dass jeder die heiligen Stätten besuchen und Orakel einholen dürfe, und dass das Heiligtum und der Tempel in D. autonom sein solle (αὐτονόμους εἶναι καὶ αὐτοδίκους καὶ αὑτῶν καὶ τῆς γῆς τῆς ἑαυτῶν κατὰ τὰ πάτρια). Damit wurde D., das kürzlich noch gegen das ionische Apollonheiligtum in Delos für das boiotische in Tegyra) eingetreten war (Plut. def. orac. 5) und den verbannten König von Sparta, Pleistoanax, wohl wegen Bestechung der πρόμαντις begünstigt hatte (Thuc. V 16, 2f. Plut. Pyth. orac. 19), frei für Athen.

Dies benutzte, wie es scheint, Alkibiades, dessen grosse Politik gerade in diese Zeit fällt. D. geht auf kurze Zeit in athenisches Fahrwasser über. Die Anzeichen hierfür sind bisher wenig beachtet. Erst A. Körte ist der Nachweis gelungen, dass in diese Zeit, und nicht, wie man früher allgemein meinte, in die perikleische, das berühmte attische Gesetz über die ἀπαρχή der Feldfrüchte an die eleusinischen Gottheiten gehört, welches auf ein Orakel des Gottes von D. Bezug nimmt (CIA IV 1 p. 59ff. nr. 27 b = Dittenberger Syll.² 20. A. Körte Athen. Mitt. XXI 1896, 320ff.) und woran Isokrates im Panegyrikus 31 (im J. 380) anknüpft. Die Beweise Körtes sind sprachlicher Art und sachlich; die Folgen einer solchen ἀπαρχή sind nämlich, wie er nachweist, in älterer Zeit kaum zu spüren, dagegen von Ende des 4. Jhdts. ab und später sehr stark. Gerade die Forderung, auch an die nichtverbündeten Städte Gesandtschaften wegen der ἀπαρχαί zu schicken, passt in eine Zeit, als Athen weitgehende politische Aspirationen hatte, wie sie vor dem Scheitern der peloponnesischen Allianz gegen Sparta, der [2559] Schlacht bei Mantineia im J. 418 war. In diese Zeit nun fällt auch ein sehr merkwürdiges Stück, der euripideische Ion. Derselbe citiert den um 422, die Zeit des Nikiasfrieden, gedichteten Erechtheus, ist also jünger als dieser. Er schildert ein Verbrüderungsfest zwischen Xuthos, dem Gatten der Erechtheustochter Kreusa, und den Delphern. Ion, der Held des Stückes, wird in einer Grotte bei den Makrai, am Nordabhange der Burg, wie v. 501ff. zeigt, in der Pansgrotte, von Apollon empfangen; ebenda setzt ihn auch Kreusa aus; Hermes bringt das Kind nach D., wo es von der Priesterin gepflegt, als χρυσοφύλαξ und ταμίας (und νεωκόρος im eigentlichsten Sinn) aufwächst. Dass der Cult des Pan erst nach der Schlacht bei Marathon an dieser Stelle eingeführt ist, müssen wir wohl den Alten glauben (Herodot. VI 105). Er war wenigstens so alt. Über Apollon haben wir längst eine durch die neuesten Ausgrabungen von Kavvadias vermehrte Reihe von Zeugnissen, dass er in der Kaiserzeit als ὑπὸ Μακραῖς, ὑπὸ Ἄρκαις oder Ὑπακραῖος verehrt worden ist (Ἐφ. ἀρχ. 1897, 1ff.). Euripides sagt nur, dass diesen Ort der Pythier (wenn man dafür des Metrums wegen Φοῖβος einsetzt, so besagt dies wenig) und die pythischen Blitze ehren (v. 285). Er spielt damit auf die Beobachtung der Blitze über dem Harma an, die nach Strabon IX 404 vom Altar des Zeus Astrapaios auf der Mauer zwischen Olympieion und Pythion aus stattgefunden hat. Dörpfeld hat deshalb am Nordabhange ein Pythion und ein Olympieion angenommen, die auch Thukydides in seiner berühmten Skizze von der ältesten Stadtgeschichte (II 15, 4) gemeint habe. Aber Thukydides spricht an einer anderen Stelle (VI 54) sicher vom peisistratischen Pythion, über dessen Lage am Ilisos kein Zweifel besteht, hat also, wenn er von einem Pythion in Athen ohne Unterscheidung spricht, nicht gut ein anderes meinen können als dieses. Sodann ist es auch sicher und namentlich von Töpffer nachgewiesen, dass Ion zunächst in der attischen Tetrapolis zu Hause war und erst spät in Athen Eingang gefunden hat. Euripides aber musste ihn an der Burg, innerhalb des erechtheischen ἄστυ geboren sein lassen, um seinen Zweck, ihn zu einem urathenischen Erechthiden zu machen (was er in Wahrheit gar nicht war), zu erreichen. Dies nötigte ihn, auf den Geburtsort ein geborgtes Licht fallen zu lassen, das nicht viel klarer würde, wenn die Fiction schon ein anderer kurz vorher gemacht hätte, das aber ausreichen konnte, der Stelle in der Kaiserzeit zu einem dürftigen Cult zu verhelfen. Hätte Euripides von diesem eine Ahnung gehabt – nie wäre es ihm eingefallen, das Wirken des Apollon in die Pansgrotte zu verlegen! Dass er dies that, beweist, dass keine apollinische Cultstätte zur Verfügung stand (vgl. die trefflichen Ausführungen von E. Ermatinger Die att. Autochthonensage bis auf Euripides 1897, 127, 75; den gegenteiligen Bemerkungen von S. Wide Berl. phil. Woch. 1898, 848 kann ich nicht zustimmen). [Diese Darlegung könnte natürlich durch neue Funde, die gerade an dieser Stelle dank der Initiative von Kavvadias und der archäologischen Gesellschaft zu erhoffen sind, in vieler Hinsicht abgeändert werden. Aus der gleichzeitigen gesteigerten Berücksichtigung von [2560] Eleusis würde sich, worauf mich v. Wilamowitz hinweist, die an und für sich auffallende und durch den Zusammenhang allein nicht begründete Verherrlichung der eleusinischen Feier im Chorlied (v. 1074ff.) erklären]. Ion ist der Stammvater der vier ionischen Phylenheroen, welche die Kykladen und die kleinasiatische Küste besiedeln werden; von Xuthos und Kreusa aber werden Doros und Achaios geboren werden. So schliesst diese Tendenzdichtung, die für das damalige Athen grosse Aspirationen voraussetzt. Bald macht diesen die Schlacht bei Mantineia nach dem Peloponnes hin ein Ende. Den Argeiern war es noch vergönnt, im J. 414 ein Siegesdenkmal über die Lakedaimonier in D. zu weihen (Paus. X 9, 12; der Sieg von Thyrea ist aber nicht, wie Pausanias meint, der aus Herodot bekannte, sondern der von Thuc. VI 95 erwähnte, bei dem besonders die Masse der Beute hervorgehoben wird; s. Brunn G. d. gr. K. I² 198 und den Art. Antiphanes Nr. 21). Dann kam die schwere sicilische Katastrophe (413). Athen sank; die siegreichen Syrakusaner weihten ein Schatzhaus (Paus. X 11, 4).

Bald hatten auch die Megarer Anlass, einen Erfolg in D. durch ein Weihgeschenk zu verewigen (Paus. X 15, 1, vgl. Plut. Pyth. orac. 16; im J. 409 nach Diod. XIII 65). Und als Athen gefallen, weihte Lysandros eine grossartige Statuengruppe von Bronze als Siegesdenkmal, worin er von Poseidon bekränzt dargestellt war, dazu die Götter von D. und Sparta (die Dioskuren) und seine zahlreichen Unterführer, meist von den Bundesgenossen (Paus. X 9. Plut. Lys. 12. 18; de Pyth. orac. 2; die Reste bei Homolle Bull. hell. XXI 1897, 284ff.). Spartas Einfluss war in D. wiederhergestellt. Dementsprechend unterhielt Lysandros fortdauernd gute Beziehungen zur Priesterschaft, die er allerdings auch zu allerhand Schwindel benutzt haben soll (Plut. Lys. 18. 26), und Agesilaos kam nach der halbgewonnenen Schlacht von Koroneia an den Pythien 394 nach D., um das Zehntel der asiatischen Beute dahin zu stiften (Xen. hell. IV 3, 21. A. Mommsen Delph. 131f.). Pausanias, der aus Sparta verbannte König, schrieb eine von Ephoros benutzte Schrift, worin er, Herodot entgegen, wieder stark den grossen Einfluss von D. auf die lykurgische Verfassung betonte (395–385); vgl. über ihn Ed. Meyer Forschungen zur alten Gesch. 1215ff., dessen Folgerungen etwas einzuschränken sind, s. o. S. 2540.

Über die inneren Zustände in D. am Anfange des 4. Jhdts. erfahren wir vielerlei aus dem Gesetz der Labyaden, Bull. hell. XIX 1895, 5ff. = Dittenberger Syll.² 438. Diese auf vier Seiten eines rechteckigen Pfeilers geschriebene Urkunde, welche das ionische Alphabet noch in einer Übergangsstufe verwendet, enthält genaue Bestimmungen über die Thätigkeit und Pflichten der Beamten der πάτρα, über die Einkünfte und Strafen, die Versammlungen, die gesetzmässigen Opferschmäuse und namentlich auch Verfügungen über die Totenbestattung, wo die Beschränkungen der Klage lebhaft an solonische Bestimmungen gemahnen. Wie zahlreich die Labyaden waren, geht daraus hervor, dass in einer Versammlung (ἁλία) 182 Stimmen für einen Beschluss abgegeben sind. Den Labyaden gehört übrigens auch die älteste delphische [2561] Inschrift IGA 319 = Collitz Gr. D.-Inschr. 1683, ergänzt von Pomtow Berl. phil. Woch. 1897, 96; vgl. E. W. Buchheim Beitr. zur Geschichte des delph. Staatswesens I, Progr. Gymn. Freiberg 1898, 16ff. Ausser ihnen gab es in D. noch manche anderen bedeutenden Sippen, so die Θραικίδαι (Diod. XVI 24) und das sich von Deukalion ableitende Geschlecht, aus dem die Ὅσιοι gewählt wurden (s. o.). Es hängt dies mit der delphischen Flutsage zusammen, wonach das Schiff des Deukalion auf dem Parnass sitzen blieb, und welche der hoch am Parnass gelegenen Stadt Lykorcia ein besonderes Alter als Zufluchtsort bei der Überschwemmung zuwies. Da Deukalion aus Thessalien stammt und mit der Genealogie der griechischen Stämme, auch mit den Sagen von Amphiktion eng zusammenhängt, ist es kaum wahrscheinlich, dass seine Einfügung in die delphischen Sagen älter ist als der erste heilige Krieg. Aus der Geschichte sehen wir, dass einzelne hervorragende Männer in D. stets einen gewissen Einfluss geltend gemacht haben, oft im üblen Sinne. Zu einer Charakteristik der Zeit würde auch gehören, dass wir die Schätzung des Orakels nicht nur im Volk, sondern auch bei den geistig am höchsten stehenden Zeitgenossen würdigten. Nach den sog. Sieben Weisen war es namentlich Demokrit, welcher in sehr würdiger Weise des Orakels gedachte; dann wissen wir, wieviel Sokrates dem Gott vertraute und wie seine so ungleichen Schüler Xenophon (Weihung nach dem Zuge der Zehntausend, Xen. anab. V 3, 5) und Platon ihm folgten. Das attische Drama, das in stärkerer Weise den wechselnden Tagesströmungen der Politik folgte, nahm zu D. sehr verschiedene Stellungen ein. Selbst Aischylos, dem es doch mit der Religion tiefernst war, hat nicht nur die Orestie gedichtet, in der das Gebot des delphischen Gottes einen entscheidenden Platz einnimmt und auch im Conflicte mit anderen Pflichten siegreich bleibt, sondern auch die Verse der Thetis, die Platon im Staat missbilligt, wie Phoibos bei ihrer Hochzeit allen Segen verkündigt habe und sie seinen göttlichen Schermund für frei von jeder Lüge gehalten habe – ὁ δ’ αὐτὸς ὑμνῶν, αὐτὸς ἐν θοίνῃ παρών, αὐτὸς τάδ’ εἰπών, αὐτός ἐστιν ὁ κτανὼν τὸν παῖδα τὸν ἐμόν. Dass sich Euripides eine sehr unbefangene Kritik des Gottes erlaubte, zeigt selbst der Ion, in dem äusserlich die Beziehungen zwischen Athen und D. so günstig erscheinen. Die grosse Bedeutung D.s in den griechischen Sagen, wenigstens in der Gestaltung derselben, wie sie uns meist in den mythographischen Handbüchern der späteren Zeit vorliegen, geht zum guten Teil auf das attische Drama zurück. Doch fehlt es hier an Raum, dies auszuführen, das gehört in eine Geschichte der griechischen Sage, die noch zu schreiben ist.

In das erste Jahrzehnt des 4. Jhdts. würde der Überlieferung nach die Sendung eines goldenen Mischkrugs fallen, den die Römer nach der Einnahme von Veii nach D. schickten (Liv. V 28. Plut. Camill. 8. Diod. XIV 93). Er kam, nachdem ihn Seeräuber weggenommen, durch Vermittlung des Liparaeers Timasitheos, dessen Nachkommen in Lipara von den Römern noch später geehrt wurden, in das Schatzhaus der Massalioten. An dieser einzelnen Stiftung wird kaum zu zweifeln sein. Das Schatzhaus [2562] der Massalioten war schon früher angelegt, A. Mommsen Delph. 146f. Th. Mommsen hat den delphischen Einfluss auf Rom, der Überlieferung über die Sibyllenorakel u. a. folgend, in ziemlieh frühe Zeit hinaufgerückt (R. G.⁶ I 178f., vgl. über Spina und Caere 139f.); dagegen bemerkt Diels Sibyll. Blätter 46, 3, dass ausser Sagen, die man billig bei seite lasse, das Vorhandensein eines irgendwann gestifteten Kraters in D. gegen häufigen Verkehr spräche, da er in einem fremden Schatzhaus stand, während die Caeritaner längst ihr eigenes hatten. Erst nach dem hannibalischen Kriege sei der delphische Einfluss in Rom sicher nachweisbar. Für das Verhältnis zu Athen kommt das sehr verstümmelte Amphiktionengesetz CIA II 546 in Betracht, das im J. 380/79 in Athen veröffentlicht ist und Einzelheiten des Cultes, namentlich aber auch die Pflichten der Hieromnemonen, ihre Inspectionsreisen, die Sorge für die heiligen Strassen und Ähnliches behandelte (s. Amphiktionia). Am wichtigsten aber war für die allgemeine Lage die Besiegung der Spartaner bei Leuktra 371 und das Aufkommen der thebanischen Macht. Nach Paus. X 11, 5 wäre damals das Schatzhaus der Thebaner in D. erbaut worden; doch bemerkt Pomtow dagegen, dass die Fundamente viel älter seien und dass nach Diod. XVII 10 vielmehr die Siege über die Phoker – nämlich im dritten heiligen Kriege – den Anlass zur Stiftung gaben; daher auch Asopichos, der Liebling der Epaminondas, seinen Schild mit dem Tropaion von Leuktra (Theopomp. bei Ath. XIII 604f) noch an einem anderen Orte weihte. Es folgten rasch in demselben Sinne das Weihgeschenk der Argeier wegen ihrer Teilnahme an der Gründung von Messene, eine Gruppe ihrer ältesten sagenhaften Könige (Paus. X 10, 5; wiedergefundene Reste bei Homolle Bull. hell. XX 1896, 605ff. XXI 1897, 401, 8), und das arkadische Siegesdenkmal, stolz den Nauarchen des Lysandros gegenübergestellt, nahe dem anderen grossen Weihgeschenk von Argos, den Epigonen (Paus. X 9, 5; Inschrift von Pomtow wiedergefunden, s. oben Bd. II S. 1129; neue Stücke der Basis mit Aufschriften bei Homolle Bull. hell. XXI 1897, 276ff. Bulle und Wiegandt Bull. hell. XXII 1808, 328ff.). Bald nach Leuktra drohte von D. her der Freiheit der Hellenen eine schwere Gefahr. Iason von Pherai verlangte für die Pythienfeier des J. 370 von den Städten Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine; der Stadt, die das schönste Rind liefern würde, setzte er einen goldenen Kranz als Preis aus. Die Thessaler sollten sich rüsten; er wollte den Vorsitz der Pythien übernehmen und mit einem grossen Opfer feiern. Iason wurde freilich ermordet, bevor er seine Pläne ausführen konnte, aber er zeigte einem Späteren, Glücklicheren den Weg (Xen. hell. IV 4, 29ff.). Kurz zuvor muss der delphische Tempel wenigstens teilweise zerstört oder doch stark beschädigt worden sein. Die entscheidende Stelle der Inschrift, welche den Thuriern ihre Proxenie erneuert, bei J. Schmidt Athen. Mitt. V 1880, 202f., 62 wird verschieden ergänzt; vgl. U. Koehler Herm. XXVI 1891, 45, 1. Pomtow Rh. Mus. LI 1896, 357 und Arch. Anz. 1897, 83f. schlägt statt des bisherigen ἐπεὶ ὁ ναὸς κατ[εκα]ύθα vor κατ[εχ]ύθη zu lesen; er [2563] macht auch geltend, dass die Niedrigkeit der in den J. 353ff. (s. u.) verwendeten Bausummen eher für den Ausbau eines teilweise (durch Erdbeben?) eingestürzten Tempels, als für einen grossartigen Neubau sprächen. Homolles Vorschlag (Bull. hell. XX 1896, 684ff.) κατ[ην]ύθη) ist, wie Pomtow bemerkt, sprachlich unzulässig, da die Form κατανύσθη lauten müsste. Wahrscheinlich handelt es sich um das grosse Erdbeben von 373, das auch Helike und Bura zerstörte (Homolle, Dittenberger Syll. I² 93 Anm. 3). Jedenfalls war eine erhebliche Ausbesserung nötig. Schon bei den Friedensverhandlungen in Sparta, 371 v. Chr., scheint es ausgemacht gewesen zu sein, dass jede Stadt nach Belieben εἰς τὸν ναὸν τοῦ Ἀπόλλωνος, d. h. für den Bau des Tempels, beisteuern sollte (Xen. hell. VI 4, 2. Koehler Athen. Mitt. I 1876, 16f.). Zum nächsten Friedenscongress, der in D. selbst stattfand (Koehler a. a. O. 12ff. Diod. XV 70. Xen. hell. VII 1, 27, welcher tadelt, dass man den Gott gar nicht gefragt habe, sondern nach eigener Meinung verfahren sei), gehört ein im Frühsommer 368 v. Chr. gefasster attischer Volksbeschluss (CIA II 51 – Dittenberger Syll.² 89) wegen Briefen des Dionysios von Syrakus, in denen von der οἰκοδομία τοῦ νεώ und der Herstellung des Friedens die Rede war. Einen Erfolg hatte dieser Congress nicht. Epaminondas setzte seine Angriffe gegen Sparta fort. Für D. war es von Bedeutung, dass die Phoker, die als ὑπήκοοι der Thebaner (Xen. hell. VI 5, 23) den ersten Zug nach dem Peloponnes mitgemacht hatten, sich beim letzten (362 v. Chr.) ausschlοssen, da ihr Bündnis mit Theben nur ein Schutzbündnis sei. Dies war der Anfang der Entzweiung (Schäfer Demosth. I² 489), die bald zu offenem Kampf führte.

4. Vom Beginn des dritten heiligen Krieges bis zur Herrschaft der Aitoler (357–c. 300). Die Phoker hatten, obwohl mit den Thessalern von altersher verfeindet und auch mit den Boiotern nur für kurze Zeit gezwungen vereint, ihre alten Ansprüche auf den Besitz des Orakels nicht aufgegeben. Ein Beschluss der Amphiktionie, in der die Thessaler damals noch den überwiegenden Einfluss hatten, verurteilte sie wegen Bebauung von kirrhaeischem Land zu einer Geldbusse, die sie nicht zahlen wollten. Da wagte Philomelos mit seinem Bruder Onomarchos, Strategen der Phoker, einen kühnen Schritt; sicher wenigstens der halben Zustimmung von Sparta und Athen, welche beide mit der Amphiktionie auf gespanntem Fusse standen (für Athen vgl. CIA II 54 = Dittenberger Syll.² 100; Sparta war mit einer Geldbusse wegen der Besetzung der Kadmeia belegt), besetzte er D. im J. 356. Das Geschlecht der Thrakiden, das Widerstand leistete, wurde ausgerottet, die Urkundenstele der Amphiktionenbeschlüsse vernichtet. Das Heiligtum wurde am westlichen Zugange, wo die Spuren von Ulrichs nachgewiesen sind, und vielleicht auch im Osten durch Befestigungen geschützt, die Pythia gab gezwungen das Orakel, dass Onomarchos thun dürfte, was ihm beliebe. Man griff zuerst nur die Tempelkasse an, um daraus Söldner zu werben, erst die Nachfolger des Philomelos vergriffen sich an den Weihgeschenken. Über die Kriegsereignisse Diod. XVI 23ff. Paus. X 2, 1. [2564] Schäfer Demosth.² I 488ff. (Näheres s. u. Phokis und Philippos III. von Makedonien). Gegner der Phoker waren zunächst ihre Nachharn: die Lokrer, die Thehaner und ihre Erhfeinde, die Thessaler. Philomelos gewann mehrere Siege, erlitt aber schliesslich eine entscheidende Niederlage von den Boiotern, in der er selbst fiel. Sein Nachfolger Onomarchos begann wieder mit Erfolgen. Gegen ihn trat zuerst Philipp von Makedonien ins Feld, der zweimal geschlagen endlich einen grossen Sieg erfocht, wobei Onomarchos seinen Tod fand. Aber die Athener hinderten ihn, schon jetzt durch die Thermopylen in Griechenland einzudringen. Noch lange dauerte mit wechselndem Erfolg der Kampf. Die Tempelschätze wurden während desselben systematisch geplündert, aus den Edelmetallen Geld geprägt, das zur Besoldung der Söldner sehr notwendig war (Head HN 288. Svoronos Bull. hell. XX 1896, 13ff. Bourguet ebd. 210; Theopomp u. a. schrieben über die geraubten Weihgeschenke dicke Bücher, s. die Quellenübersicht). Den Gegnern Philipps, den Söhnen des Odrysenkönigs Kersebleptes, Iolaos, Poseidonios, Medistes und Teres, verliehen die Delpher im J. 351/350 die Proxenie (Perdrizet Bull. hell. XX 1896, 466ff.). Zum zweitenmal kam Philipp von den Boiotern gerufen, diesmal mit durchschlagendem Erfolg; Phalaikos, der phokische Stratege, schloss eine Capitulation, die ihm freien Abzug sicherte, die Phoker ergaben sich. Den Inhalt des Friedens enthält Diod. XVI 60: Philipp von Makedonien erhielt die beiden Stimmen der Phoker im Amphiktionenrat für sich und seine Nachkommen als persönliches Recht; die Phoker werden aus der Amphiktionie ausgeschlossen, ihre Städte in Dörfer aufgelöst u. s. w., sie müssen jährlich dem delphischen Gott 60 Talente zahlen, bis sie das geraubte Gut ersetzt haben (Protokolle darüber aus D.: Bourguet Bull. hell. XXI 1897, 321ff.; im Heiligtum der Athena Kranaia bei Elateia. Bull. hell. XI 1877. 321ff., vgl. Pomtow Jahrb. 1896, 628, 111; Rh. Mus. LI 1896, 355, 2. Dittenberger Syll.² 141ff.). Philipp sollte mit den Boiotern und Thessalern den Agon der Pythien abhalten (natürlich erhielt er auch die προμαντεία. vgl. Demosth. IX 32). In die Zeit, die diesem Frieden voranging und folgte, führt uns eine Reihe von Urkunden ersten Ranges, die delphischen Tempelbaurechnungen, von denen die hervorragendste von Bourguet Bull. hell. XX 1896. 197ff. veröffentlicht ist; vgl. Pomtow Phil. Wochenschr. 1897. 260: Arch. Jahrb. 1897. 84. 739. 760ff. B. Keil Herm. XXXII 1897, 399ff. Dittenberger Syll.² 140. Wir sehen daraus, dass in den zehn Jahren des ‚heiligen Krieges‘, der aber in D. nur während der Jahre, als der Krieg wirklich in der nächsten Nähe tobte, als solcher empfunden ist, am Tempel weitergebaut wurde: wie Pomtow aus der niedrigen Bausumme schliesst, war dies kein totaler Neubau, sondern nur ein Umbau der beiden durch Erdbeben zerstörten Giebelseiten; der Ostgiebel sei von 371–357, der Westgiebel von 353–328 wiederhergestellt worden. Die Verwaltung der Baugelder besorgte die Commission der ναοποιοί, deren wechselnde Zusammensetzung ein interessantes Bild von der verschiedenen politischen Lage gewährt. Von Haus aus hatten die Staaten, welche [2565] grössere Beiträge gewährt hatten, das Recht auf eine entsprechende Vertretung in der Commission; während des Krieges aber wurden naturgemäss die den Phokern feindlichen Städte und Stämme ausgeschlossen, und ebenso ging es nachher den Phokern. Auch über die Vorgänge im Amphiktionenrat sehen wir nun erst klarer; die Zusammensetzung desselben ist jetzt, nachdem ein wichtiger Punkt, die Delpher und die Abgesandten des Makedonerkönig betreffend, aufgeklärt ist (Pomtow Jahrb. 1897 an verschiedenen Orten, zuletzt S. 765), wie folgt festgestellt: Thessaler 2, Philipp 2, Delpher 2, Dorer 2, Ionier 2, Perrhaeber und Doloper 2 (von denen anscheinend jeder Stamm eine Stimme an die Delpher abgegeben hatte), Boioter 2, Lokrer 2, Achaier 2, Magneten 2, Ainianen 2, Malier 2 Stimmen, in Summa 24, die alte heilige Zahl. Die Angabe des Pausanias, dass die Lakedaimonier damals vom Bunde ausgeschlossen seien (X 8, 2), wird durch die Inschrift widerlegt. Aus dieser Zeit stammen die Münzen mit der Aufschrift Ἀμφικτιόνων, welche auf der Vorderseite die Demeter von Anthela, auf der Rückseite Apollon auf dem Omphalos sitzend, vor ihm den Dreifuss, oder den Omphalos, um den sich eine Schlange windet, zeigen (Head HN 289f. Svoronos Bull. hell. XX 1896, 27f.).

Die Folgen des heiligen Krieges waren sehr fühlbar. Die prächtigen Weihgeschenke aus edlen Metallen, die Gaben der lydischen Könige, der goldene Dreifuss von Plataiai, all das war dahin, und die neuen Stiftungen der Amphiktionen, ein 35 Ellen hoher Apolloncoloss, der den Spitznamen Sitalkes (thrakisch) führte (Paus. X 15, 1), und eine andere Apollonstatue (ebd. 15, 7), ein Herakles von den Thebanern (ebd. 13, 6), eine Hydria der opuntischen Lokrer, aus dem Silber der phokischen, von eingeschmolzenen Weihgeschenken geprägten Münzen gefertigt (Plut. def. orac. 16), auch eine Statue Philipps von Makedonien (Alketas bei Athen. XIII 591 b), konnten das fehlende nicht ersetzen (Foucart Arch. des miss. II 2, 201). Die thessalischen Dynasten von Philipps Gnaden bedachten jetzt D. fleissig; eine Basis, die neun Siegerstatuen getragen hat, errichtet dem thessalischen Dynasten Daochos, seinen Vorfahren und seinen Kindern, Tetrarchen, Athleten, auch einem Hieromnamon, hat Homolle gefunden, auch einige der zugehörigen Statuen, die teils nackt sind, teils den thessalischen Mantel tragen (Bull. hell. XIX 1895, 534. XXI 1897, 592ff.). Man bemühte sich auch, beschädigte oder zerstörte Weihgeschenke wieder auszubessern; für die Weihinschrift der Athener von 490 nimmt dies an Homolle Bull. hell. XX 1896, 614. Auch aus Sicilien kam ein Weihgeschenk, von Timoleon nach der Schlacht am Krimisos (343) gestiftet (Pomtow Athen. Mitt. XX 1895, 483ff.). Bedeutsamer ist der religiöse Einfluss der Ereignisse, die so recht augenfällig gezeigt hatten, wie das ruchlose Verhalten der Phoker, die sich an dem Gute des Gottes vergriffen, seine Sühne finden musste. A. Mommsen Delph. 171 meint, dass in die heilige Legende von den Pythien erst damals der büssende Apollon, der durch den Drachemnord eine Schuld auf sich geladen, hineingekommen sei, als Mahnung an jeden einzelnen, seiner Sündenschuld zu gedenken. Das Fest des Septerion, dessen [2566] Brauch Ephoros bei Strab. IX 422. 423 zuerst schildert, sei damals gestiftet, obwohl es auf der alten Oktaeteris beruht. Sicher ist diese Combination nicht; die Vorstellung von der Sühnung Apollons steht zwar dem Redactor des homerischen Hymnos und seinen Quellen fern, die in der Drachentötung nur eine befreiende That sehen, kann aber sehr wohl schon im 6. Jhdt. nach dem ersten heiligen Kriege, dem classischen Zeitalter der Sühnepropheten, Eingang gefunden haben.

Unterdessen hatte eine neue Benutzung der heiligen Feldmark durch die Lokrer von Amphissa stattgefunden. Aischines, als athenischer Pylagore, brachte diese in der Herbstpylaia des Jahres 340 (über die Chronologie Pomtow Rh. Mus. LI 1896, 347, 1) zur Sprache, als die Amphisseer einen Antrag vorhatten, die Athener mit einer Geldbusse von 50 Talenten zu belegen, weil sie an den neuen Tempel, bevor derselbe eingeweiht (über πρὶν ἐξαρέσασθαι s. U. Koehler Herm. XXVI 1891, 45, 1) war, goldene Schilde mit der herausfordernden Inschrift ,die Athener von den Medern und Thebanern, als sie gegen die Griechen fochten‘ gehängt hatten. Dieser Antrag hatte eine sofortige Action gegen die Häuser der Amphisseer, die dort angelegt waren, einen Gegenangriff der Lokrer und schliesslich jenen Beschluss der Herbstpylaia 339 zu Folge, welcher die erneute Vermittlung Philipps von Makedonien anrief. Philipp kam, besetzte Elateia und siegt bei Chaironeia. Die Einzelheiten bei Schaefer Demosth. II 532ff.; Hauptquelle Aischin. III 115ff. Wenn die Pythia nach Demosthenes schon längst philippisierte, so lag nunmehr ganz Griechenland in Philipps Hand. Was ihn sein früher Tod auszuführen hinderte, nahm sein Sohn Alexander in Angriff. Seine Stellung zu D. charakterisiert die Anekdote, dass er während einer Reihe von ἀποφράδες ἡμέραι das Orakel befragen wollte und die widerstrebende Pythia mit Gewalt in den Tempel zog, wobei sie ihn unbezwinglich nennt; Alexander nahm den Ausruf als Orakel an (Plut. Alex. 14). Im Amphiktionenrat liess er sich, wie sein Vater, durch zwei Abgesandte vertreten παρ Ἀλεξάνδρου, einmal παρ βασιλέως Ἀλεξάνδρου, richtig gestellt von Pomtow Jahrb. 1897, 765 Schlussbemerkung). Der Tempelbau wurde unter Alexander mit neuem Eifer aufgenommen und beendigt. Der in den französischen Ausgrabungen gefundene Hymnos auf Dionysos mahnt zur Vollendung des Werks, darin wird zum erstenmale das goldelfenbeinerne Bild des Apollon in altertümlicher Ausstattung (αὐτόχθων κόσμος) genannt, offenbar nicht verschieden vom goldenen Apollon im Adyton (Paus. X 24, 5). Dem Dionysos wird eine Statue auf einem von goldenen Löwen gezogenen Wagen errichtet und eine Grotte (ἄντρον) geweiht (Dionysoshymnos). Auch die Giebelgruppen weisen auf die innige Verbindung von Apollon und Dionysos; die eine stellte Artemis, Leto, Apollon mit den Musen und den Untergang des Helios, die andere Dionysos und die Thyiaden dar. Nach Pausanias X 19, 4 hätte schon Praxias von Athen, ein Schüler des Kalamis, die Arbeit daran begonnen; einige Zeit nach seinem Tode hätte sie Androsthenes, Schüler des Eukadmos, ebenfalls aus Athen, vollendet. Wir können den Ursprung und die Genauigkeit [2567] dieser Angaben nicht mehr controllieren, aber dass Pausanias die Giebelgruppen gesehen hat, daran zu zweifeln fällt mir schwer. Und dann liegt es doch am nächsten, sie in die Zeit nach der Zerstörung, also ins 4. Jhdt., zu setzen (Homolle Bull. hell. XX 726, 1 erörtert verschiedene Möglichkeiten: Praxias der am Erechtheion beschäftigte Künstler CIA I 324? auch noch im 4. Jhdt. thätig? dann könnte Androsthenes sehr gut in die Zeit des heiligen Krieges und selbst nachher fallen: die Angaben über Schülerverhältnisse sind mit besonderer Vorsicht aufzufassen; sie stammen keinesfalls aus den Bauurkunden). Zur Einweihung des Tempels rüstete man wohl allerorten Festgesandtschaften aus; eine attische wurde von zehn ἱεροποίοι geführt, unter denen sich die Redner Lykurgos und Demades befanden (Colin Bull. hell. XX 1896, 675f.; an Demades, vielleicht den Antragsteller, wurde die Proxenie verliehen; den Stein schmücken Athena, Apollon und Delphos im Relief, Colin 677). Nun trat in Griechenland alles zurück vor den Thaten Alexanders. Eine Bronzegruppe, die von Lysippos und mehr noch, wie es scheint, von Leochares herrührte, stellte Alexander dar, von Löwen angegriffen, dem Krateros zu Hülfe kommt; Krateros gleichnamiger Enkel, Sohn des Alexandros, ist der Weihende; die That feiert die von Homolle Bull. hell. XIX 1895, 534 erwähnte, XXI 1897, 598ff. herausgegebene metrische Inschrift. Auf die Gruppe geht das messenische Relief im Louvre zurück, Plut. Alex. 40. Loeschcke Arch. Jahrb. III 1888, 189ff. und Taf. VII. Collignon Hist. de la sculpt. gr. II 312f. Mit der delphischen Proxenie wurde Nearchos, Sohn des Androtimos aus Kreta, der Admiral Alexanders geehrt (Perdrizet Bull. hell. XX 1896, 470ff., andere makedonische πρόξενοι aus dem 4. Jhdt. bei Perdrizet Bull. hell. XXI 1897, 102ff. Pomtow Berl. phil. Woch. 1898, 254). Das Testament Alexanders bestimmte, dass in Delos, Delphi, Dodona und an drei anderen Orten kostbare Tempel für je 1500 Talente gebaut werden sollten (Diod. XVIII 4). Wie so vieles, unterblieb auch dies nach dem Tode des grossen Königs.

An der Erhebung im lamischen Kriege und dem zeitweiligen Erfolge der Griechen gegen Makedonien nahm D. teil und tilgte im Übereifer sogar die dem Freunde des Antipatros, Aristoteles, für wissenschaftliche Verdienste um die delphische Anagraphe erwiesenen Ehren (Aelian. v. h. XIV 1. Pomtow Berl. phil. Woch. 1899, 254). Der von Foucart Arch. miss. scient. II 2, 205 hierher bezogene eherne Löwe der Plataeer (nach Pomtow vielmehr Elateer, Paus. X 18. 7) gehört nicht in diesen Krieg (s. u.). Im J. 314 wurde Ptolemaios der Makedone, der Herrscher Ägyptens, als Sieger bei den Pythien mit dem Fohlengespann ausgerufen; um 306 fügten die Athener ihrem marathonischen Weihgeschenk die neuen Phylenheroen Antigonos und Demetrios hinzu (Paus. X 10, 2. E. Loewy Stud. ital. di fil. cl. V 1896, 34ff.). Um 300 weihten die Phoker noch einmal ein Denkmal wegen der Abwehr des Kassandros von den Mauern Elateias (Paus. X 18, 7). Aber der Gott hatte sein Ansehen seit dem letzten heiligen Kriege eingebüsst, und es bedurfte eines gewaltigen neuen Ereignisses, um ihm wieder [2568] Achtung und Glauben zu verschaffen. Das war der Galliereinfall.

5. Die Zeit der Aitolerherrschaft (um 300–189 v. Chr.). Im ersten Jahrzehnt des 3. Jhdts., nach Pomtow Jahrb. 1897, 787 als Bundesgenossen des Pyrrhos gegen Demetrios im J. 292/291, verschafften sich die Aitoler die Vorherrschaft über D. Im J. 290 sassen sie dort schon fest; damals feierte Demetrios Poliorketes in Athen die Pythien, unter dem Vorwande, dass Apollon ja der Stammgott der Athener sei (Plut. Demetr. 40). Man sang in Athen den Ithyphallos auf den neuen Gott Demetrios, worin man ihn bat, den Aitoler, der auf dem delphischen Felsen sass, wie die Sphinx auf dem thebanischen, und von da ganz Hellas vergewaltigte, zu vernichten (PLG III⁴ 674. Duris FHG II 476 bei Ath. VI 253 d ff. v. Wilamowitz Antig. 241f). Die Macht des Demetrios brach bald zusammen; nun knüpften die Athener auch wieder Beziehungen zu D. an. Ein Beschluss verleiht Aischron, Sohn des Proxenos, das attische Bürgerrecht, wahrscheinlich weil er Athener oder athenische Parteigänger in D. geschützt hatte (CIA II 309 unter Archon Diokles; nach Koehler 287/6, ebenso v. Schoeffer o. Bd. II S. 589; nach v. Wilamowitz a. a. O., dem noch Niese Gesch. d. griech. u. maked. Staaten I 377, 1 folgt, 290/89; Αἴσχρων Προξένου ist übrigens nach Pomtow wahrscheinlich kein Delpher, wie man gewöhnlich annimmt, da die Namen in D. nicht weiter vorkommen). Die Aitoler waren nicht, wie man früher gemeint hat, im J. 338 in die Amphiktionie eingetreten (so noch Koehler zu CIA II 551); die Amphiktionenliste aus der Zeit Alexanders enthält ihren Namen nicht (Bourguet Bull. hell. XX 1896, 241). Ihre beiden Hieromnemonen werden erst nach 279 erwähnt. Sie hatten einen wesentlichen, in der Überlieferung der nächsten hundert Jahre noch gesteigerten Anteil an der Abwehr der Gallier im J. 278 (Polyb. IX 30, 3. 35, 1. Pomtow Jahrb. 1897, 756, 1). Die Berichte über diesen Angriff sind ,immerhin poetisch, aber nicht der Wahrheit gemäss‘ (Droysen Hell. II 22, 351. Paus. X 23. Iust. XXIV 6–8. Diod. XXII 9). Erdbeben, Gewitter, plötzliche Kälte und Schneestürme, herabrollende Felsen, Heroen- und Göttererscheinungen – alles wird aufgeboten, um das Orakel gegen die Scharen des Brennus zu schützen. Von den Heroen sind Hyperochos und Laodokos stark delisch gefärbt und erinnern an die Hyperboreersage; im übrigen fühlt man sich vielfach in die Schilderung Herodots von dem gleichartigen Perserangriff auf D. zurückversetzt. Der Apparat ist derselbe. Und jetzt hat Crusius auch für ein Stück, den Schneefall, die Quelle in einem Hymnenfragment nachgewiesen (Delph. Hymnen 89f. 141f. und schon ähnlich im Artikel Hyperboreer in Roschers Lex. I 2809f.). Als Abwehrer der Gallier hat man seit Preller öfter den Apollon von Belvedere ansehen wollen, und Overbeck Gr. Plast. II⁴ 378ff. hat ihm die Artemis von Versailles und eine Athena des capitolinischen Museum als von beiden Seiten zu Hülfe eilend zur Seite gestellt. Doch sind die Voraussetzungen, auf denen diese Combination beruht, jetzt zum grossen Teil als irrig erwiesen (vgl. Winter Arch. Jahrb. VII [2569] 1892, 164ff. Collignon Hist. de la sculpt. gr. II 316ff.). Es wird schwer sein festzustellen, was Wahrheit und was Dichtung bleibt. Den Gewinn hatte jedenfalls einmal das delphische Orakel, zum zweiten die Aitolermacht. Wie einst nach Plataiai, wurde der heilige Bezirk mit Siegesdenkmälern geschmückt. Vor allen andern weihten die Aitoler die Bilder ihrer Strategen, sowie die der Artemis und Athena (Paus. X 15, 2. 16, 4); ferner die bewaffnete Heroine Aitolia neben einem Tropaion als Siegeszeichen für den Galliersieg bei Kallion (Paus. X 18, 7. 22, 3; eine Copie auf den Münzen bei Head HN 283, vgl. o. Bd. I S. 1122); endlich auf dem Epistyl des Tempels die merkwürdig geformten Schilde der Barbaren. Auch die Phoker weihten das Bild ihres Führers, Aleximachos, der im Kampf gefallen war (Paus. X 23, 1). Sie hatten sich noch einen besonderen Siegespreis erfochten: die Wiederzulassung zur Amphiktionie (Paus. X 8, 3. CIA II 551). Auch die Lokrer hatten ihre alte Schuld gegen das Orakel durch tapfere Thaten gesühnt. Aber je mehr diese Barbarenabwehr, fast dem troianischen Kriege vergleichbar, zu einer panhellenischen Ruhmesthat heranwuchs, desto mehr suchten auch andere Städte ihren Anteil an der Abwehr der Barbaren ins rechte Licht zu setzen. So die Könige Antigonos von Makedonien und Antiochos von Syrien (Paus. X 20, 5); mit letzterem vielleicht die damals in seinem Machtbereich befindlichen Magneten vom Maiandros (Decret der Epidamnier und Orakel bei Kern-Wendland Beiträge zur griech. Phil. u. Rel. 87, vgl. Pomtow Jahrb. 1895, 766 und Kern Inschr. von Magnesia 46, 8ff.). Zur dauernden Erinnerung an das grosse Ereignis wurde das Fest der Soterien gestiftet. Vgl. A. Mommsen Delph. 215–225. Reisch De mus. Graec. certaminibus 87–105. Pomtow Jahrb. 1894, 501–506. Die Aitoler schickten Gesandte herum, um die Griechen zu bitten, den neuen Agon für seinen musischen Teil den Pythien, für den gymnischen und hippisehen den Nemeen gleichzustellen. Sie selbst, die Aitoler, sind es, die den Agon veranstalten, nicht mehr die Delpher; gefeiert werden Zeus Soter und Apollon Pythios. Der Agon ist nach Dittenberger Syll.² 205 im J. 274 gestiftet und zwar als penteterisch; doch ist für den musischen Teil eine jährliche Feier nachgewiesen (dabei wird es wohl bleiben, vgl. Pomtow Jahrb. 1894, 505). Erhalten sind die Decrete der Chier (Bull. hell. V 1881, 300ff. = Dittenberger Syll.² 206) und Athener (CIA II 323 = Dittenberger² 205). Näheres s. Art. Soteria und Aitolia. Die Geschichte der für ein Jahrhundert mit D. eng verbundenen Aitolermacht ist noch zu schreiben. Denn von nun ab nimmt die Masse der Inschriften immer mehr zu. Für ihre Verarbeitung hat Pomtow in den erwähnten Fasti Delphici viel geleistet, aber was mag seitdem in den französischen Ausgrabungen gefunden sein! Eine abschliessende Darstellung zu geben ist hier noch mehr als für die anderen Zeitabschnitte unmöglich; auch hat es für D. selbst keine entscheidende Wichtigkeit, alle die zahllosen Schwankungen der Ausdehnung des Aitolerbundes, wie sie sich in den Inschriften mit minutiöser Genauigkeit verfolgen lassen werden, festzustellen; das Wichtigste ist, dass diese Macht bestehen bleibt. [2570] Wie die Amphiktionenlisten zeigen, übernahmen die Aitoler die Hieromnemonenstimmen der zu ihrem Bunde gehörenden Stämme, welche zum Teil sogar nicht durch Angehörige derselben, sondern durch wirkliche Aitoler vertreten wurden, beliessen jedoch den Delphern ihre zwei Stimmen. Makedoner und Thessaler mit ihrem Anhange, soweit dieser nicht zeitweilig dem aitolischen Bunde beitrat, wurden vom Rate ausgeschlossen (die Thessaler stimmten noch mit kurz nach 278, CIA II 551, dann nicht mehr). D. war die geistliche Hauptstadt des aitolischen Bundes, wie Thermon die weltliche (Pomtow), und es lag den Aitolern daran, äusserlich die alten Formen des ehrwürdigen Amphiktionenbundes zu wahren, um durch sie desto leichter herrschen zu können. So schützten sie auch gelegentlich die Delpher gegen einen die Finanzen der Stadt schädigenden Missbrauch der Atelie (Haussoullier Bull. hell. V 1881, 404, 14 nach Niese und Pomtow). Aber oft barg sich unter dem Schein arge Willkür und Gewaltthätigkeit, und die achaeische Bundesversammlung vom J. 220 beschliesst auch, den Amphiktionen ihre Gesetze und die Macht heim Heiligtum wiederzugewinnen, welche die Aitoler genommen haben, in der Absicht den Ort um das Heiligtum zu beherrschen (Polyb. IV 27. Pomtow Jahrb. 1894, 833). Dass die Aitoler sogar aus eigener Machtvollkommenheit Amphiktionenstimmen vergaben, lehrt eine alsbald zu erwähnende Inschrift von Magnesia a. M.

Wenn Polybios (V 106) sagt, dass nach dem Bundesgenossenkriege um 216 die Achaeer und mit ihnen auch die anderen Städte im Peloponnes wieder zu sich selbst zurückkehrten, dass man die Privatbeschäftigung wiederaufnahm, das Land bebaute, die hergebrachten Opfer erneuerte und auch die Feste und die anderen Bräuche, die im Verkehr der Menschen mit den Göttern allenthalben bestanden, nachdem in der vorangegangenen Zeit die unaufhörlichen Kriege all das fast hatten vergessen lassen – so gilt dies zwar zunächst nur für den Peloponnes, lässt sich aber auch im weiteren Umfange anwenden. Es ist dies die Zeit, in der gerade einzelne Heiligtümer zu gesteigertem Ansehen kamen und sich zu Mittelpunkten des religiösen und teilweise auch politischen Lebens herausbildeten, wobei dann jedesmal dem delphischen Orakel die Ehre der Initiative oder doch der Sanctionierung und Förderung zufiel. Ein äusserer Wechsel in der Form der Orakel ist von den Alten beobachtet: bei Pyrrhos, den selbst ein zweideutiger Spruch in den Krieg mit Rom getrieben haben soll, heisst es, dass die Pythia damals bereits aufgehört hatte in Hexametern zu sprechen, bezw. ihren Sprüchen diese Form geben zu lassen. Dies bestätigen die zu erwähnenden Orakelsprüche des 3. Jhdts., soweit sie auf Authentie Anspruch haben; erst in der Kaiserzeit finden wir wieder Sprüche in metrischer Form. Namentlich gehört hierher die Ausbildung des Asylwesens. Schon Seleukos II. von Syrien (246-226) hatte ein delphisches Orakel erhalten, das den Tempel der Aphrodite Stratonikis und die Stadt der Smyrnaeer für heilig und asyl erklärte; ein delphisches Decret erkannte dies an und verlieh den Smyrnaeern die Promantie (Couve Bull. hell. XVIII 1894, 227ff. und Tac. ann. III 63). Aus der reichen Urkundenfülle, [2571] die uns der Markt von Magnesia am Maiandros gespendet hat (O. Kern Inschriften von Magnesia a. M.), ist uns ein Fall klar geworden, der wohl einer von vielen war. Artemis Leukophryene ist (der Priesterin Agaristo? nr. 16, 6) erschienen, ob in einem ξόανον, das plötzlich gefunden war, wie das des Dionysos in der Platane, oder ob im Traum, erfahren wir leider nicht; man befragt das Orakel und hört, dass man die Göttin und Apollon Pythios verehren und Stadt und Land der Magneten für heilig und asyl ansehen soll. Dies geschah im J. 221/20. Vierzehn Jahre später wurden Gesandtschaften zu den Königen und Städten geschickt, um die Anerkennung zu dem neugestifteten Agon der Λευκοφρυηνά von ihnen zu erlangen, der nach dem Muster der Pythien zum erstenmale χρηματίτης, dann regelmässig στεφανίτης war. Der Aitolerbund erkennt unter der zweiten Strategie des Agelaos (wahrscheinlich 206 v. Chr.) die Stadt als heilig und asyl an, und verlieh ihnen eine Hieromnemonenstimme im Amphiktionenrat (neugefundene Ιnschrift von Thermon nach Soteriadis bei Kern Inschriften von Magnesia a. M. S. XIV nr. LIV a). Hand in Hand damit ging der Bau eines neuen Tempels durch Hermogenes von Alabanda. Etwa gleichzeitig fand eine Neubelebung des Dionysoscults in Teos statt; auch hier baute Hermogenes den Tempel und erkannten Gesandte verschiedener Stämme Stadt und Land als heilig und asyl an (Le Bas III 60-84; Amphiktionendecret für Teos vom J. 203: Couve Bull. hell. XVIII 1894, 240f.; Zeitbestimmung Ende 3., nicht Anfang 2. Jhdts. und Wiederherstellung einiger wichtiger Urkunden, namentlich auch der delphischen, bei Wilhelm Gött. Gel. Anz. 1898). Auch Antiocheia τῶν ἐκ τοῦ Χρυσαορέων ἔθνεος liess sich durch ein Orakel und einen Amphiktionenbeschluss bestätigen, dass Stadt und Land asyl und dem Zeus Chrysaoreus und Apollon geweiht seien (unter Antiochos Megas im J. 202: Couve Bull. hell. XVIII 1894, 235 II). Ähnlich erwirkten die Kyzikener ein Orakel, welches die Stadt und die Opfer an [Kore] Soteira für heilig erklärt (Homolle Bull. hell. IV 1880, 471) und bemerkenswerterweise auch im delischen Heiligtum aufgestellt wurde (dies Exemplar ist erhalten). Auch dem Heiligtum des Apollon Ptoios in Akraiphia wurde durch einen Amphiktionenbeschluss die Asylie zuerkannt (Holleaux Bull. hell. XIV 1890, 19, 10, vor 200; nach Pomtow Jahrb. 1894, 668 erst in den Jahren 180–150). In dieselbe Zeit dürfte die Anerkennung des Asylrechts durch die Amphiktionen fallen, die wohl in dem Bruchstücke aus dem Poseidonheiligtum von Kalaureia (Wide Athen. Mitt. XX 1895, 295) zu erkennen ist, vielleicht einem [χρησμὸς τοῦ Πυθίου Ἀπολλ]ωνος, dessen Würdigung angebahnt ist durch v. Wilamowitz Nachr. der Göttinger Ges. d. Wiss. 1896, 160. Dies sind nur Beispiele, welche zeigen, wie das Asylrecht, das an sich vielerorten schon von alters her bestand, in dieser Zeit unter delphischer Protection seinen Aufschwung nahm. Dass hinter D. meist der aitolische Bund steckte, versteht sich von selbst und wird auch in zahlreichen Fällen durch besondere Urkunden der Aitoler erwiesen, z. B. in Magnesia (Kern a. a. O. nr. 91). Wenn aber die Sorge D.s um die Heiligtümer und Städte so augenfällig hervortrat, lag es auch [2572] nahe, diesen Zug in der älteren Überlieferung und Sage stärker hervorzuheben. Die ganz mit delphischen Orakeln durchsetzte Gründungsgeschichte von Magnesia a. M. ist ein Beispiel, wie man zu diesem Zwecke auch zu fälschen wusste; ein anderes die ebenfalls um diese Zeit entstandene Schrift über die messenische Geschichte, welche bis unter die Mitte des 3. Jhdts. hinabging (nachgewiesen o. Bd. II S. 1131) und namentlich für die Darstellung der alten messenischen Kriege von Orakeln wimmelt (benutzt von Paus. IV). Die freundlichen Beziehungen D.s während der Aitolerzeit zu Syrien sehen wir im Beschluss für die Aphrodite Stratonikis hervortreten, in dem auch für Antiochos eine 8 Ellen hohe Statue zu errichten bestimmt wurde (Bull. hell. XVIII 1894, 235 II); für Ägypten zeigt sie die Verleihung der Promanteia an die Alexandriner unter Philadelphos, wobei aus Höflichkeit in der betreffenden Urkunde der Name des Königs vor dem Archon von D. als Datierung genannt wird (Curtius Anecd. Delph. 56). Einem Thraker- (d. i. Odrysen-) König Kotys, Sohn des Raizdes, wurde die Proxenie erneuert, die sein Haus seit der Zeit Philipps III. von Makedonien hatte (Perdrizet Bull. hell. XX 1896, 476ff., nach Pomtow bereits 270-260 v. Chr.). Auch der kluge König Attalos von Pergamon wusste sich frühzeitig die Gunst des Orakels zu sichern, die auch seinen Nachkommen erhalten blieb. Er stiftete in D. eine Säulenhalle (Homolle Bull. hell. XX 1896, 628). Als die Römer im J. 205 eine Gesandtschaft nach D. schickten, um die von den sibyllinischen Büchern geforderte Einführung des Cultbildes der grossen Mutter von Pessinus einzuleiten, wurden sie an Attalos gewiesen, der sich auch in jeder Weise hülfreich zeigt (Liv. XXIX 9ff., vgl. darüber Preller-Jordan Röm. Myth. II 54ff. Staehelin Gesch. der kleinas. Galater 48). Auch Eumenes II. wurden von den Aitolern, aber erst nach dem Ende ihrer Macht, in D. ein Standbild gesetzt (Pomtow Beiträge 107ff., Zeit nach ihm: 178-172). Dies führt auf das Verhältnis Roms, dessen Aufmerksamkeit in einem steigenden Masse sich den Dingen im griechischen Osten zuwandte, zum Orakel. Bereits nach der Niederlage bei Cannae 216 hatte der römische Senat den Geschichtschreiber Q. Fabius Pictor nach D. geschickt (Liv. XXII 57. XXIII 11. Appian. Hann. 27). Nach der Schlacht am Metaurus, der Niederwerfung Hasdrubals, brachten M. Pomponius Matho und C. Catius eine 200 Pfund schwere goldene Krone und 1000 Pfund schwere silberne Abbilder der spolia nach D. (Liv. XXVIII 44). Bald war Karthago, bald auch Makedonien besiegt. Das Orakel huldigte dem Sieger, indem es ,in einem kurz nach der Schlacht bei Kynoskephalai veröffentlichten Orakel mit sauersüssem Gesichte der γενέα Τρώων den Sieg über Hannibal und Philipp nachträglich weissagte (Plut. de Pyth. orac. 11 nach Poseidonios; Diels Sibyll. Blätter 102). Das Weihgeschenk des Flamininus, eine Reihe silberner Schilde und dazu sein eigener, enthielt in der Aufschrift dieses letzteren, einem Epigramm an die Dioskuren, einen wohl beabsichtigten Hinweis auf die Dioskuren des Lysanderdenkmals, während ein goldener Kranz dem Apollon galt (Plut. Tit. 12; vgl. Sull. 12). Für die Zeit vom ersten bis in die Mitte des zweiten makedonischen [2573] Krieges giebt uns ein chronologisch geordnetes Verzeichnis der delphischen πρόξενοι (Dittenberger Syll.² 268) einmal in den Archontennamen eine sichere Grundlage der Chronologie, zum zweiten in der Heimat der Geehrten ein Bild von den vielseitigen Beziehungen des Orakels. Die Italiker werden häufiger; der erste ist 195/4 ein Canusiner und ein Römer, dann 191/0 ein Argyrippianer und ein Brundusier, 190/89 finden wir Omottones-Mutina, den zu Rom übergetretenen numidischen Reiterführer, dessen Söhne bereits das römische Bürgerrecht haben; 189/8 den Sieger T. Quinctius (Flamininus), ferner L. Acilius und M. Aemilius Lepidus (cos. 197). Aber die meisten von diesen fallen erst nach dem Kriege gegen Antiochos von Syrien, der seinen Einfluss auch eine Zeit lang in D. geltend zu machen wusste; waren doch im J. 194/3 seine Vertraute Alexander der Akarnane, vorher Philipps V. Freund, und 193 Hegesianax von Alexandreia Troas zu Proxenen ernannt worden (a. a. O. mit den Anmerkungen von Dittenberger). Die Niederlage des Antiochos bei den Thermopylen (191) entschied auch das Schicksal des aitolischen Bundes. D. wurde von seinen Bedrückern frei, seine Geschicke regelten nunmehr die Römer. Ein Fest, die Ῥωμαῖα, feierte in D. die Göttin der herrschenden Stadt (Wescher Mon. bil. 108f.: um 160 v. Chr.).

6. Vom Ende der Aitolerherrschaft bis zur Schlacht bei Actium (um 190-31 v. Chr.). Noch vor der Schlacht bei Magnesia a. S. kam der Consul M.’ Acilius Glabrio, der den Krieg gegen die Aitoler während des J. 191 führte, nach D., um die Grenze des heiligen Gebietes festzustellen. Seine Entscheidung wird auch noch von den römischen Kaisern des 3. Jhdts. als grundlegend behandelt (Wescher Mon. bil. de Delphes. Mommsen CIL III 567 und add. p. 987ff.; vgl. den nächsten Abschnitt; auf eine solche Angelegenheit mag sich das Fragment Couve Bull. hell. XVIII 1894, 249 nr. 895 beziehen; vgl. Pomtow Philol. LIV 1895, 358). Die dankbare Stadt ehrte ihn durch eine Statue (Pomtow Beitr. 118f., 8 – Taf. XIV 42). Bald darauf verlieh ein Senatsbeschluss dem Heiligtum, der Stadt und dem Land der Delpher die Freiheit und selbständige Verwaltung des Heiligtums (mitgeteilt durch Briefe des Spurius Postumius L. f. στρατηγός, nach Viereck Sermo graecus II wahrscheinlich Praetor urbanus von 189, nach Pomtow Jahrb. 1889, 565, 68 derselbe als στρατηγὸς ὕπατος = cos. von 186). Von nun an bis zum Perseuskriege beherrschten wechselnde Stimmungen Griechenland, die auch in D. zum Ausdruck kamen. Das Aufhören des beherrschenden aitolischen Einflusses zeigt sich vor allem im Verhältnis zu dem bisher fast ganz ausgeschlossenen Norden. Das Verzeichnis der πρόξενοι nennt u. a. 189/8 Phaylos von Skotussa, 187/6 Thrasylochos von Atrax, beide zu der Zeit Strategen des thessalischen Bundes. Auch Makedonen fanden Zutritt: 190/89 kommt ein Pellaeer, 187/6 ein Kassandreer vor. Die Beziehungen zu Aitolien wurden nicht geradezu abgebrochen, 187/6 wird ein Τριχονεύς genannt. Zahlreich sind die Namen von Boiotern, auch Phoker nicht selten. Natürlich stellt jetzt auch der achaeische Bund ein stärkeres Contingent, [2574] Philopoimen erhielt vielleicht schon früher, vielleicht erst jetzt eine Ehrenstatue (Homolle Bull. XXI 1897, 294 inv. 2800: 208–183). Aus der damals auf dem Höhepunkte ihrer Macht befindlichen rhodischen Republik erhielten im J. 180/79 neun Bürger auf einmal die Proxenie (Dittenberger Syll.² 268, 211ff.; vgl. das Proxeniedecret für Philophron von Rhodos Bull. hell. V 1881, 403, 11). Auch Ägypten suchte die delphische Freundschaft; im J. 188/7 fanden wir eine grosse Anzahl von Alexandrinern, die zum Teil am Hofe des Ptolemaios Epiphanes wichtige Stellungen einnahmen, in der Liste der πρόξενοι (S. die Anmerkung von Dittenberger Syll.² 268); vereinzelte kommen noch in späteren Jahren vor. Noch wichtiger und kenntlicher ist die Beziehung zur pergamenischen Dynastie. Eumenes IΙ. stiftete zur Erinnerung an seine Galatersiege den Agon der Nikephorien und liess sich dazu das Heiligtum der Athena Nikephoros als asyl anerkennen. Es wird uns nicht ausdrücklich überliefert, dass D. durch ein Orakel mitgewirkt habe, aber wir haben die aitolische Anerkennung des Agon (Haussoullier Bull. hell. V 1881, 372ff.). Aus der Thatsache, dass ein Exemplar derselben in D., das andere in Thermon aufgestellt war, folgt noch nicht mit zwingender Notwendigkeit, dass die Urkunde in die Zeit der aitolischen Vorherrschaft fällt. Fraenkel setzt sie um 183 (Inschr. v. Perg. I S. 105). Dem römerfreundlichen Eumenes suchte der 179 zur Regierung gelangte Makedonenkönig Perseus auch in D. zu begegnen. Er hatte, gleich seinen Vorgängern Philipp und Alexander d. Gr., zwei Vertreter im Amphiktionenrat (Foucart Bull. hell. VII 1883, 427ff. VI. Dittenberger Herm. XXXII 1897, 161ff. Pomtow Jahrb. 1894, 663ff., 3 und 1897, 746, 14), kam auch selbst einmal nach D., wo er Gastfreundschaft bei der vornehmen Delpherin Praxo fand (Liv. XLI 24, s. u.). Einen Brief an die Delpher, worin er über eine dem Herkommen nicht entsprechende Pythienfeier, über die Zulassung der jenseits des Meeres Wohnenden zum Amphiktionenrat, gemeint die Chier und Magneten am Maiandros, Beschwerde führt und Barbaren (= Thraker?) erwähnt, die das Heiligtum angegriffen und beinahe erobert hätten, auch von einem Bündnisse und einer Gesandtschaft an Eumenes spricht, die wohl nichts erreicht hatte, weshalb er wohl nun seine eigene Hülfe anbot, bezieht Pomtow nicht unwahrscheinlich auf Perseus (Jahrb. 1896, 759ff. 768f.). Vergeblich versuchte Perseus den Eumenes, als er auf der Rückkehr von Rom dem Apollon zu opfern vom Hafen nach D. hinaufstieg, an der schmalen Stelle des Weges, da wo er um die Bergecke von Westen her sich der Stadt zuwendet, durch gedungene Sendlinge zu ermorden. Eumenes entkam, und das Zeugnis der Delpherin Praxo, die Mitwisserin des gemeinen Anschlags gewesen war, trug nachher in Rom das Wesentliche bei, Perseus zu entlarven (Polyb. bei Liv. XLII 15ff. Pomtow Beitr. 85f., 2). Jedenfalls zeigt diese Geschichte, dass sich in D. (wie auch z. B. in Boiotien, vgl. o. Bd. III S. 661) makedonische Sympathien regten, wollte Perseus sich dort doch ein Siegesdenkmal errichten lassen. Den Krieg des Perseus gegen Rom, der nun entbrannte, entschied Aemilius Paulus bei Pydna (168 v. Chr.); [2575] er besuchte als ersten Punkt seiner eines Gelehrten würdigen Rundreise durch die sehenswerten Punkte Griechenlands auch D. und bestimmte die Pfeiler, die für die Statuen des Perseus ausersehen waren, für sein eigenes Siegesdenkmal (Polyb. XXX 15 = Liv. XLV 27. Plut. Aem. Paul. 28; von dem Denkmal sind stattliche Reste gefunden: Homolle Bull. hell. XXI 1897, 620ff.).

Es ist hier vielleicht die Zeit, von den politischen Hin- und Gegenzügen hinweg seinen Blick auf die litterarischen und künstlerischen Strömungen zu lenken, die D. beherrschten. Die Delpher verstanden es, die Männer zu ehren, die zu ihrem Ruhme schrieben oder ihre Feste verherrlichten. Noch in der Aitolerzeit hatte deren Sänger, der Epiker Nikandros von Kolophon, die Proxenie erhalten (Bull. hell. VI 1882, 217. Pomtow Rh. Mus. XLIX 581f., vor 201); vielleicht etwas früher Aristonoos von Korinth, der Dichter eines erhaltenen Paian (Bull. hell. XVII 1893, 561ff., nach Pomtow etwa 230–220 v. Chr.), etwa gleichzeitig der melische Dichter Kleochares aus Athen, dem ein ποθόδιον, ein παιάν und ein ὕμνος an Apollon, für das Theoxenienopfer bestimmt, verdankt wurden (vom Athenerschatzhaus Couve Bull. hell. XVIII 1894, 71, 1). Im J. 185/4 wurde Skymnos von Chios, vielleicht der Geograph (E. Rohde Rh. Mus. XXXIV 153), 177/6 Polemon von Ilion, der über die Schatzhäuser in D. geschrieben hatte (s. o.), delphischer Proxenos; Ende 3. Jhdts. ein unbekannter Epiker Kleandros von Kolophon (Bull. hell. XVIII 1894, 269f., 6; vgl. Pomtow Philolog. LIV 1895, 356, 1); um 150 ein ,Historiograph‘ aus Trozen, vielleicht Zenodotos (Couve Bull. hell. XVIII 1894, 77f., 3, vgl. FHG IV 531). Auch ein Flötenspieler Satyros von Samos, der ohne Concurrent gesiegt und auf Verlangen ein ᾆσμα μετὰ χοροῦ ,Dionysos‘ und eine Kitharmusik aus den Bakchen des Euripides zugegeben hatte, wird gerühmt (Couve a. a. O. 84f., 7), und zwei Pheneaten (um 150 v. Chr.), die ἀριθμοὺς τῶν ἀρχαίων ποιητῶν vortrugen, erhielten die Proxenie; die gleiche Ehre widerfuhr sogar einer χοροψάλτρια aus Kyme (a. a. O. 82, 6, um 150 v. Chr.). Wenn also Pausanias in seiner delphischen Periegese die Athleten und die musischen Wettkämpfer übergeht, so bietet die Fülle der neugefundenen Inschriften hier einen willkommenen Ersatz.

Auch von aussen wurde in D. die Pflege der Bildung befördert, namentlich durch den kunstliebenden König Attalos II. von Pergamon (seit 159). Man wusste ihm durch zwei Gesandtschaften eine Förderung des delphischen Schulunterrichts so nahe zu legen, dass er 18 000 Alexanderdrachmen für diesen Zweck hergab und noch 300 für die Ehren und die Opfer. Die Delpher stifteten daraufhin ein besonderes Opfer Ἀτταλεῖα für Apollon, Leto und Artemis, verbunden mit einer Pompa und öffentlichen Speisung am 13. Herakleios, und schrieben das Ehrendecret auf die Basis des Standbildes ihres Wohlthäters (Haussoullier Bull. hell. V 1881. 157ff. Pomtow Jahrb. 1889, 567). Dafür schickte Attalos III. um 135 drei Maler, Κalas, Gaudotos und – – – – –ides, sämtlich aus Pergamon, nach D., um dort Copien anzufertigen (ἀπογραψάσθαι). Hauptsächlich werden die Bilder des Polygnotos in der Lesche den Gegenstand ihrer Thätigkeit gebildet haben, für [2576] welche ihnen die Proxenie zu teil wurde (Inschrift bei Haussoullier a. a. O. 388ff., deren Verständnis im wesentlichsten Punkte M. Fraenkel Arch. Jahrb. VI 1891, 49ff. erschlossen hat; dazu Pomtow Jahrb. 1889, 517, 10. 518. 574. Preuner Herm. XXIX 1894, 535ff.). Dies waren aber auch die letzten Lichtpunkte in der Geschichte D.s für lange Zeit. Das pergamenische Reich hörte alsbald auf, Ägypten, das unter Philometor sich mit D. gut stand (Ehren für den Staatsmann Seleukos, Sohn des Bithys, von Alexandreia, Bull. hell. XVIII 1894, 248ff.; etwa 156–150 v. Chr.), sank immer mehr zur völligen Unbedeutendheit herab. Die Amphiktionen regelten um 130 definitiv die Grenz- und Besitzverhältnisse des Heiligtums (Wescher Mon. bil. 55. Pomtow Jahrb. 1889, 566, 68), etwas später hören wir von der Verleihung besonderer Vorrechte an die dionysischen Techniten ebenfalls durch den Amphiktionenrat (CIA II 551. Pomtow a. a. O. 675f.; Philol. LIV 1895, 215ff., wo als Datum für den darin erwähnten attischen Archonten 126 ermittelt wird).

Dem Heiligtum drohte eine schwere Gefahr. Schon lange bestanden keltische Reiche in der nördlichen Balkanhalbinsel. In den letzten Jahrzehnten des 2. Jhdts. kamen diese von neuem in Bewegung durch den Kimbernzug. Wenn auch die grösste Not nicht durch die geschlagenen römischen Heere, sondern durch eigene wechselnde Entschlüsse der germanischen Eindringlinge beseitigt wurde, so blieb doch die Gefahr vor den gallischen und mit ihnen verbündeten thrakischen Horden bestehen. Noch einmal ging es glücklich an D. vorüber; im J. 109 schlug M. Minucius Q. f. Rufus, der römische Proconsul, mit seinem Bruder Quintus als Legat die gallischen Skordisker und die thrakischen Besser mit ihrem Anhang (Triballer u. a.); die Stadt D. setzte dem siegreichen Imperator ein Denkmal, welches die thebanischen Künstler Menekrates und Sopatros anfertigten. Quintus stiftete dem Pythier (Phutio) ein besonderes Weihgeschenk (Perdrizet Bull. hell. XX 1896, 480ff. CIL III 566. Pomtow Philol. LIV 1895, 225ff.; der Überfall der Autariaten und Kimbrer auf D. vor der Schlacht von Arausio [105] bei Appian. Illyr. 4, der durch Regen, Sturm und Blitze und allerlei Plagen vereitelt ist, erweckt als Copie früherer Barbarenüberfälle [Perser, Gallier] das grösste Misstrauen). Es folgte eine kurze Zeit der Ruhe, so dass man sogar von einer Renaissance von D. sprechen konnte, die für das Ende des 2. Jhdts. durch die Inschriften des Athenerschatzhauses in auffälliger Weise bezeugt sei (Perdrizet a. a. O. 493). Als im J. 92/1 in Bithynien Nikomedes III. zur Regierung kam, schickte man an ihn eine Bettelgesandtschaft, um Tempelsclaven zu erhalten; waren doch die Bithynier als Sclavenmaterial besonders geschätzt. Die Bitte wurde erfüllt, sie erhielten 30 Sclaven, davon je 5 für die heiligen Schafe und Ziegen, je 4 (?) für die heiligen Rinder und Rosse, zwei Zimmerleute, einen Bäcker und einen Koch, einen Palaestrawächter u. s. w. (Couve Bull. hell. XVIII 1894. 254ff. Pomtow Philol. LIV 1895, 358ff. 387ff.). Aber die mithradatischen Kriege, die Delos verwüsteten, trafen auch D. schwer. Der Römer Sulla, der den Tempel [2577] seiner kostbaren Weihgeschenke berauben liess (Plut. Sull. 12) und die Horden der Maider, die an den Tempel selbst Hand anlegten, vollendeten den Ruin. Hieron. a. Abr. 1933 setzt den Brand in ein Jahr mit dem des römischen Capitols, welches am 6. Juli 83 verbrannte. Plut. Num. 9 bringt die Verlöschung des heiligen Feuers und Vernichtung des Altars, auf dem es brannte, mit der Verbrennung des Tempels durch die Maider περὶ τὰ Μιθριδατικὰ καὶ τὸν ἐμφθλιον Ῥωμαίων πόλεμον zusammen. Vgl. Pomtow Rh. Mus. LI 375ff.; Homolle Bull. hell. XX 1896, 704 stimmt dem Zeitansatz zu, während Perdrizet XX 494 die Zeit bald nach 90 vorzieht, da Sulla im J. 85/4 die Skordisker und Thraker besiegt. Da Perdrizet seine Ansicht nicht ausführlich begründet, möchte ich den Pomtow sehen Ansatz vorläufig beibehalten. Die Zerstörung war keine völlige, dies beweist die gefundene Architektur des Tempels, die dem hellenistischen Bau angehört; auch pflegten griechische Tempel nicht durch das Feuer, sondern durch Erdbeben zerstört zu werden (vgl. Homolle a. a. O. 705). Aber das Ansehen des Orakels war dahin, es war nicht mehr der Glaube an seine Kraft vorhanden, durch den es auch einen solchen Schlag hätte verwinden oder gar, wie ehemals, zu seinen Gunsten hätte ausbeuten können. Die Verarmung der ehemals so reichen Bürgerschaft zeigt sich wie allerorten auch darin, dass sich nicht mehr die genügende Zahl von geeigneten Personen für die Übernahme der Ämter fand; so wurden jetzt statt drei halbjährigen Buleuten (d. h. im Jahre 6) seit der XIII. Priesterschaft Pomtows nur noch vier für das ganze Jahr gewählt, und auch diese Zahl in der 2. Hälfte des Jahrhunderts auf drei, um Christi Geburt herum sogar auf zwei verringert (Pomtow Rh. Mus. LI 1896, 375ff.). Auch die Freilassungsurkunden, deren Zahl im 2. Jhdt. v. Chr. eine ausserordentlich hohe war, hören in dieser Priesterzeit ganz auf (nachher beginnen sie nach Pomtow wieder zahlreich zu werden). Der grosse historische und culturgeschichtliche Gewinn dieser Inschriften ist an anderer Stelle zu würdigen. Vgl. im allgemeinen Pomtow a. a. O. Homolle Bull. hell. XX 1896, 706f. Cicero soll das Orakel etwa in den J. 79–77 befragt haben (Plut. Cic. 5. Pomtow a. a. O. 376, 4); aber er selbst steht damit im Widerspruch, wenn er sagt, dass der aus der Erde kommende Hauch geschwunden sei, der die Pythia zu ihren Prophezeiungen begeistert habe, und dass schon längst keine Orakel mehr nach der Weise wie ehemals gegeben wurden, ut nihil possit esse contemptius (de divin. II 117). An anderer Stelle spricht er minder scharf; das Orakel hat jetzt geringeren Ruhm, weil die Wahrheit der Orakel weniger hervortritt (ebd. I 38; vgl. G. Wolff De novissima oraculorum aetate l). Wir müssen freilich berücksichtigen, dass Cicero von seinen Quellen abhängig war, zu denen hier namentlich der Stoiker Chrysipp zu zählen ist, und ferner dass die Äusserungen geistreicher Schriftsteller, Philosophen und Dichter nur mit grosser Vorsicht verwendet werden dürfen, um das zu erschliessen, was die grosse Masse des Volkes zu der Zeit dachte. Die Gebildeten mochten spotten, die griechischen Städte in ihrer Unbedeutendheit, zu der sie herabgesunken waren, wenig Anlässe [2578] zu bedeutsamen Fragen und noch weniger Mittel zu grossartigen Weihgeschenken haben; die locale Bedeutung des Orakels für das Wissensbedürfnis der Umwohner wird nicht aufgehört haben, wie ja auch der Aberglaube beim Verfall der Religionen oft eher zunimmt, als sich verringert. Plutarch hält diese trivialen Fragen des täglichen Lebens für eine Herabminderung, in Wahrheit werden sie stets das Orakel beschäftigt haben. Wir hören gelegentlich, dass im J. 48 D. sich dem Legaten Caesars Fufius Calenus ergab (Caes. bell. civ. III 55. Homolle a. a. O. 707, 1. (Couve Bull. hell. XXII 1898, 150) und dass M. Antonius nach der Schlacht bei Philippi im J. 42 den delphischen Tempel vermessen liess, in der Absicht, ihn zu vollenden, denn dies hatte er dem Senat versprochen (Plut. Ant. 23; Pomtow denkt nach brieflicher Mitteilung vielmehr an den Tempel des Apollon Pythios in Megara). Dies beweist immerhin, dass der römische Staat den delphischen Cult nicht ganz ausser Augen liess, der alten Weisheit der Könige und Machthaber gemäss, dass, wer die Griechen gewinnen wollte, sich mit ihren Göttern gut stellen musste. Aber wirkliche Besserung brachte hier wie in allem erst die römische Kaiserzeit.

7. Von Augustus bis zum Ende der griechischen Cultur. Reiches neues Material liefert Homolle Bull. hell. XX 1896, 707–732. Augustus belebte und veränderte zugleich den alten Amphiktionenbund, indem er der zur Erinnerung an den Sieg von Actium neu gegründeten Stadt Nikopolis, den Makedonen und Thessalern je 6 Stimmen gab, den Boiotern, Phokern, Delphern, Lokrern, Ioniern und Dorern je 2 Stimmen beliess, in Summa also 30 Stimmen schuf (Paus. X 8. Mommsen R. G. V 232 und Karte VII). Der Kaiser stiftete seine Waffe in das Allerheiligste des Tempels, neben den goldenen Apollon (Syncell. chron. I p. 307 Dind. A. Mommsen Delph. 188), seine Gemahlin Livia ein goldenes E an Stelle des früheren ehernen der Athener und des noch älteren von Holz, das man den Sieben Weisen zuschrieb (Plut. de E ap. Delph. 3, dargestellt auf einer Münze des Hadrian: Svoronos Bull. hell. XX 36 und Taf. XXVII 12). Trotz dieser kaiserlichen Gunst nennt Strabon zu seiner Zeit das Orakel sehr arm (πενέστατον IX 420) und vernachlässigt. Das ist nicht auffällig, wo war es in Griechenland anders? Dem Kaisercult wurde, ungewiss wann, ein besonderer Bau, also ein Καισαρεῖον, wie es anderwärts heisst, geweiht (Paus. X 8, 6; nach Pomtow geschah dies in der Weise, dass man in einen der unteren Tempel der Marmaria, dessen Erbauung in das 6. Jhdt. hinaufgeht, einige Kaiserbilder setzte). Wir haben Inschriften auf Lucius und Gaius, Caesar und Iulia (CIG I 1712. Homolle a. a. O. 708, Inv. 904), an dieselben, mit Iulia vereint (Homolle ebd.). an Agrippina. Tochter des Agrippa (Athen. Mitt. V 1880, 197). Auch Tiberius (Homolle a. a. O. Inv. 203), Claudius und Agrippina sind vertreten (a. a. O. Inv. 3198), aber auf schlechten, zum Teil schon gebrauchten Basen und in so wenig monumentaler Schrift, dass man schon daraus den Verfall merkt. Das Orakel schwieg, wenigstens wenn man den übertriebenen Berichten von meist Fernerstehenden (z. B. Lucan. Phars. [2579] V) glauben dürfte, was freilich nur mit grosser Beschränkung erlaubt ist. Unter Nero erfolgte ein gewisser Aufschwung (Belege bei Homolle 710–715). Aus seinen beiden ersten Regierungsjahren stammen zwei, im Vergleich zu den vorhergehenden stattliche Ehrenbasen, etwa gleichzeitig ist die auf seine Mutter Agrippina (Homolle 708, Inv. nr. 1121). An seine Reise in den J. 66–67 knüpfen sich zahlreiche Fabeln, die Homolle auf ihr richtiges Mass zurückzuführen sucht. Thatsache ist, dass Nero in D. gewesen ist und bei den Pythien gesiegt hat, auch noch, dass er für die Ausschmückung des Tempels 100 000 Denare bestimmt hat, deren Auszahlung aber nachher durch Galba verhindert wurde (Cass. Dio LXIII 14). Dass Nero den Tempelbau vollendete, behauptet das Aischinesscholion (zu III 116), dass er das Orakel grösser und prunkvoller wiederherstellte als es gewesen, es nachher aber freilich wieder ruinierte, sagt der Verfasser der Proleg. zu Aristides III 740 Dind. Etwas mehr wird wohl daran sein, als selbst Homolle zugiebt; vgl. Pomtow Rh. Mus. LI 1896, 379. Die Schauergeschichten von der Verstopfung des Orakelschlundes durch Hineinwerfen eines Leichnams oder des Typhonkopfes, die an ein angebliches Orakel auf den Muttermörder anknüpfen, sind jetzt in ihrem wahren Unwert erkannt (Pomtow 378, 1. 2). Die behauptete Wegnahme der kirrhaeischen Feldmark (Dio LXIII 31 14) kann jedenfalls nur eine zeitweilige Massregel gewesen sein. Sicher ist dagegen der Raub zahlreicher Kunstschätze, Dio Chrys. XXXI 148. Paus. X 7, 1 (giebt die runde Zahl von 500 Statuen). 19, 2. Während seines Aufenthalts war Plutarch von Chaironeia als jugendlicher Zuhörer des Ammonius in D. (Plut. de E ap. Delph. 1. Volkmann Leben, Schriften u. Philos. des Plut. I 26f.). Besser wurde es unter den flavischen Kaisern. D. war immer noch eine freie Stadt (Plin. n. h. IV 7), und den Reichtum an Kunstwerken, den es auch nach Neros Räubereien hatte, bezeugt Mucianus bei Plin. n. h. XXXIV 36 (ter consul, also frühestens im J. 72). Vespasian scheint sich mit dem heiligen Gebiet beschäftigt zu haben (Homolle 715, 1, frg. Inv. nr. 575); Titus übernahm im J. 79 sogar das Amt des eponymen Archon (Couve Bull. hell. XVIII 96, 13. Pomtow Philol. LIV 1895. 239, 9. 598). Die Fürsorge des Domitian für die Provinzen erstreckt sich auch auf D. (Homolle 715ff.). Eine Prunkinschrift aus dem J. 84 meldet die Wiederherstellung des Apollontempels durch ihn (Homolle 716f. refecit). Ein Brief des Kaisers belobt die Behörden, dass sie die Pythienfeier von 91 nach den amphiktionischen Gesetzen begangen hatten (Haussoullier Bull. hell. VI 1882, 451, 82).

Unter Traian wurden nochmals die Besitzansprüche D.s auf das heilige Gebiet, gegenüber den Nachbarstädten Amphissa, Myon, Antikyra und Ambryssos von dem Legatus Augusti pro praetore C. Avidius Nigrinus eingehend geprüft. Zu Grunde legte man die Entscheidung des M’. Acilius und des römischen Senats und den darauf fussenden Amphiktionenbeschluss. Das bisher vorliegende Material, das nach Wescher Étude sur le monument bilingue de Delphes, der für die Lesung die Hauptsache geleistet hat, besonders [2580] von Mommsen unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft ist (CIL III 567; vgl. noch Pomtow Jahrb. 1894, 669, 5-8), ist durch bisher noch unveröffentlichte neue Funde erheblich erweitert, über die Homolle Bull. hell. XX 1896, 722 eine vorläufige Übersicht giebt. Hand in Hand mit dieser Sicherung des äusseren Besitzstandes ging eine gesteigerte Bauthätigkeit. Die Pylaia, der alte Versammlungsort der Amphiktionen im Westen der eigentlichen Stadt, wenn auch wohl keine eigentliche Vorstadt, wurde unter der Fürsorge des Kaisers, nicht ohne Mitwirkung Plutarchs, der Polykrates und Petraios als seine Genossen nennt, mit Heiligtümern, Versammlungsräumen und Wasseranlagen geschmückt (Plut. de Pyth. or. 29. Pomtow Beitr. 75f.; Jahrb. 1889, 555, 53). Der Tempel des Asklepios, dessen Lage unbestimmt ist, wurde von den Amphiktionen aus den Schätzen des Gottes erneuert (Homolle Bull. hell. 1896, 720), die Quelle und die Wasserleitung und die Mauern unter Fürsorge des Megalinos, die ,Bybliotheke‘ und die Wohnung der Pythia von den Amphiktionen durch Soklaros wiederhergestellt (Homolle 720f.). Noch immer war am Tempel ein nicht unerhebliches Personal beschäftigt. Zwar genügte eine Pythia, während in der Glanzzeit deren drei kaum dem Andrange genügen konnten (Plut. def. orac. 9). Von den Persönlichkeiten der Seherinnen berichtet Plutarch sehr anschaulich, wie die eine widerwillig den Orakelsitz bestieg und hysterische Anfälle bekam, denen sie nach kurzer Zeit erlag, und ihre Nachfolgerin ein einfaches, ungebildetes Weib war. Unter den lebenslänglichen Priestern, deren Zahl nach wie vor zwei betrug, finden wir Plutarch von Chaironeia, der sicherlich in D. ,eine zweite Heimat‘ hatte; er besorgt in dieser Eigenschaft die Aufstellung einer Statue des Hadrian (CIG II 1713. Pomtow Jahrb. 1889, 551ff.). Von der Thätigkeit der ὅσιοι weiss Plutarch, dem inschriftliche Zeugnisse (s. o. Homolle a. a. O. 719) zur Seite stehen, zu berichten; der Thiasos der Thyiaden machte auch jetzt noch seine Wanderungen und Tänze, und ihre Vorsteherin, Klea, wurde von Plutarch seiner besonderen Freundschaft gewürdigt (Widmung der Schriften de mul. virt. und de Iside et Os.). Auch Pausanias trifft noch, jedenfalls nicht vor Hadrian, in Phokis mit den Thyiaden zusammen (X 4, 3 und dazu Heberdey Die Reisen des Pausanias 106). Die Ämter waren damals meist in den Händen weniger reicher Familien; war es doch damals kostspielig, allen mit solchen Ehren verbundenen Verpflichtungen zu genügen. Der Stammbaum der angesehenen Dame, den Homolle 719 veröffentlicht, aus einem Trostdecret von D., nennt unter den Ascendenten Priester und ὅσιοι, einen ἱερὸς παῖς τοῦ Πυθίου, der also wohl die Sühnefahrt nach Tempe vollzogen hatte und der später πρέσβυς τῶν ὁσίων geworden war, und ἀρχηΐδες, über deren Functionen wir, wie es scheint, noch gar nichts wissen. D. war damals als Merkwürdigkeit ein gesuchtes Reiseziel für viele Neugierige und Wissenseifrige; gewerbsmässige Periegeten, die sich vor ihren Standesgenossen anderer Art offenbar nicht durch Intelligenz auszeichneten, suchten deren Interessen zu dienen. Die geistig Höherstehenden fanden an ihren schalen und abgedroschenen [2581] Erklärungen wenig Freude, wie uns Plutarch lehrt. Auch eine so sehr auf der Höhe der Bildung stehende Persönlichkeit wie er konnte bei einer langausgedehnten Amtsthätigkeit in D. seine Befriedigung finden, die auch ihren wohlverdienten Abschluss in der ihm von den Amphiktionen nach seinem Tode gesetzten Herme fand (Pomtow Beitr. 1889, 77 und Taf. XIV 50). Und so kamen auch andere, wohl schon unter Nero ein Apollonios von Tyana, dem vielleicht seine Schüler ein einfaches Denkmal in D. gesetzt haben (Inschrift Ἀπολλώνιον οἱ μαθηταί Homolle 716), unter Domitian der Redner Dion von Prusa, der sich vom Gotte einen Rat für die Reise geben liess. Unter denen, welchen die Stadt damals die Proxenie verliehen hat, werden ein Arzt, ein Maler, ein Naturforscher (φυσικὸς ἐπιστήμων), einige Künstler und fünf platonische Philosophen genannt, auch ein βιβλίων σοφιστής (unveröffentlicht, nach Pomtow), und wir wollen mit den braven Delphern nicht rechten, wenn sie gleichzeitig, da allenthalben das Virtuosentum blühte, auch einen Seiltänzer aus Alexandreia durch Verleihung des Bürgerrechts und der Buleutenwürde fürstlich zu belohnen wussten (Bourguet Acad. des inscr. C. R. 1896, 86f. Homolle a. a. O. 717, 2).

Unter Hadrian ging diese aufsteigende Entwicklung weiter, sie zeigte sich selbst in einer Wiederaufnahme der Münzprägung, welche mit Antoninus Pius und den beiden Faustinen wieder abschliesst (Svoronos Bull. hell. XX 1896, 18. 33–41), einer Äusserung der αὐτονομία, die D. ausdrücklich von Traian durch ein Rescript an den Proconsul Herennius Saturninus erhalten hatte (Homolle 722). Hadrian ordnete ferner im Einverständnis mit dem Senat die Stimmenverhältnisse der Amphiktionen, indem er von den Stimmen, die die Thessalier zu viel hatten, den Athenern, Lakedaimoniern und andern abgab, um den Rat zu einer wahren Vertretung von ganz Hellas zu machen (Bourguet Ac. des Inscr. C. R. 1896, 88). Auch für die Finanzverwaltung und die Feier der Pythien sorgte er. Sein Freund Herodes Atticus schmückte das Stadion von D. mit pentelischen Marmorsitzen, wie er es vorher in Athen gethan (Paus. X 32, 1. Inschrift Bull. hell. I 1877, 409). Zweimal, in den J. 126 und 129, besuchte der Kaiser selbst D. und übernahm beidemale das Amt des Archon. Er befragte auch das Orakel; die Antwort, die in der Anthologie XIV 102 steht, zeigt, wenn sie echt ist, dass die Frage nicht besser war, als die nach der Mutter der Hecuba. Auf der zweiten Reise begleitete ihn Antinoos, dem die Delpher nach seinem Tode (130) ganz besondere Ehren erwiesen. Die Amphiktionen prägten Münzen mit der Aufschrift Ἀντίνοον ἥρωα. (Svoronos Bull. hell. XX 41) und errichteten ihm eine schöne Statue (wiederaufgefunden: Gazette des Beaux arts 1894. 454 u. Taf. zu S. 448. Homolle a. a. O. 723, 2). Den Tempel lieben die Münzen der Zeit darzustellen, ohne dass aber daraus auf grössere Umgestaltungen geschlossen werden dürfte; die Abbildungen sind nach Homolles Nachweis (725f.) conventionell und ungenau. Das Orakel gewann neues Ansehen, in Athen wurde damals ein metrischer Spruch wegen der ἀπαρχαί an den Tempel der Demeter Chloë am Südabhang der Burg aufgezeichnet, wenn [2582] es kein ἀρχαῖος χρησμός ist, ein Beweis, dass die Pythia wieder begonnen hatte, ἔμμετρα χρᾶν (Kern und Lolling Ath. Mitt. XVIII 1893, 192ff.). Unter Marc Aurel drohen schon die Barbareneinfälle; eine Abteilung der Kostoboker dringt bis Elateia vor. Die letzte delphische Nachblüte nahte ihrem Ende. Damals, bald nach jenem Einfalle, schrieb Pausanias seine Periegese von D., etwa 176 oder 177 (R. Heberdey Arch.-epigr. Mitt. aus Öst. XIII 1890, 191). Es war Zeit, dass er kam und aufzeichnete, was er fand – wenn er manches nur aus alten Büchern zu Lernende hinzunahm, wollen wir ihn deshalb nicht schelten. Er sah wohl Tempel in Trümmern (X 8, 6), klagte auch, da dies ja ein rhetorischer Gemeinplatz war, über den Unterschied von einst und jetzt, zumal nach den Räubereien Neros (s. o.); das Sikyonierschatzhaus und die andern fand er ausgeraubt (11, 1). Aber im Tempel herrschte noch stramme Disciplin, man sieht, dass der unberufene Frager nicht in das Adyton hineingelassen ist (vgl. Ulrichs Reisen u. Forsch. 76). Nachher hielten es die Delpher mit Septimius Severus (Bull. hell. VI 1882, 453, 83; bedenkliche Orakel: Statue Hist. Aug. Pescennius Niger 8) und wurden deshalb von ihm und Caracalla gnädig behandelt; ein kaiserlicher Brief bestätigt ihre Autonomie (Homolle 727). Zum letztenmale hören wir, dass ein Consular und ἐπανορθωτὴς τῆς Ἑλλάδος Claudius Leonticus den Apollontempel erneuert (ἀνανεωσάμενον nicht buchstäblich zu nehmen) und das heilige Land wieder in Besitz genommen habe für die Delpher (Homolle a. a. O. Inv. nr. 3480; vgl. Bull. hell. VI 1882, 449f., 79). Die Pythienagone mochten, wie die Inschriften zeigen, noch länger Bestand haben und ihre Agonothesie eine für den sie Leitenden wichtige, wenn auch kostspielige Sache bleiben (ein Fall aus der Zeit, da Septimius Severus Byzanz belagert hatte [195 n. Chr.], zeigt, dass man von dem Urteil des Preisrichters auch an den Kaiser provocieren konnte, der in diesem Falle das Urteil bestätigte, Philostr. v. soph. 27 p. 269. Dessau Herm. XXIV 1889, 353). Schon Heliodor, etwa Zeitgenosse des Aurelian, schildert die Pythien nicht mehr aus eigener Erfahrung, sondern mit allerlei Unglaublichkeiten ausstaffiert (A. Mommsen Delph. 244-248 und E. Rohde Griech. Roman 466f.). Für das heilige Drama der Drachentötung wird als letzter Zeuge der heilige Cyprian angeführt (200–257 n. Chr.), der noch als Kind diese δραματουργία geschaut zu haben erzählt, da er dem Apollon ἐξ ἁπαλῶν ὀνύχων als κειμήλιον geweiht sei (Schreiber Apollon Pythoktonos 17. 66 citiert Preller Philolog. I 349. Confessio S. Cypr. Act. SS. Sept. VII 222). Und so scheint auch die Beschäftigung des Porphyrios von Tyros mit den delphischen Orakeln, die in die 2. Hälfte des 3. Jhdts. fällt, weniger für ein Fortleben des Orakels in seiner Zeit als für eine gelehrte Vorliebe zu sprechen. Immerhin bleibt D. die ,heilige Stadt‘, welche den Kaisern Valerian, Carus, Domitian. Constantin, Iulian und selbst noch Constans Denkmäler setzt (Homolle 728f.; Carus = CIG 1714. Le Bas 884: Constantin Pomtow Beitr. 113, 2 und Taf. IX 22. XIV 41). Von einer gewissen Bedeutung der Stadt zeugt auch die Auffindung eines Exemplars des Diokletiansedicts [2583] (Homolle 729). Im J. 319 machte ein reicher Bürger noch eine Stiftung für die öffentlichen Bäder. Constantin nahm, ein zweiter Nero, die Plünderung des Heiligtums wieder auf. Unter ihm oder seinen Nachfolgern kam die berühmte Schlangensäule, das Weihgeschenk von Plataiai, nach Constantinopel, und ausser den Statuen, von denen berichtet wird (vgl. Ulrichs Reisen und Forschungen I 61), werden vielleicht auch die Giebelgruppen des Tempels, von denen keine Reste an Ort und Stelle gefunden sind, nach der neuen Reichshauptstadt gewandert sein. Noch einmal soll Iulian das Orakel befragt haben, als er gegen die Perser zog; aber seinem Arzte und Quaestor Oribasios sei die Antwort geworden: Εἴπατε τῷ βασιλῆι· χαμαὶ πέσε δαίδαλος αὐλά· οὐκέτι Φοῖβος ἔχει καλύβαν, οὐ μάντιδα δάφνην, οὐ παγὰν λαλέουσαν· ἀπέσβετο καὶ λάλον ὕδωρ (Cedren. hist. comp. I p. 304 a ed. Paris, nach G. Wolff De noviss. orac. aetate 44, der darin eine Fälschung der Kirchenväter wittert, auch von Herzberg Gesch. Griech. III 297, 22 verworfen; die Zuteilung des Orakels an Augustus bei Homolle 709, 1 beruht, wie mir Pomtow mitteilt, auf einem Versehen). Die Verfügung des Theodosius machte dem letzten Reste des heidnischen Cultes officiell ein Ende. Im 6. Jhdt. war D. nach Hierokles (643, 13) noch Stadt, vielleicht aus dem 5. stammen die ältesten Reste christlicher Baukunst, die dort gefunden sind. Nachher verschwindet der Name völlig, um erst durch die gelehrte Forschung der neuen Zeit seine Auferstehung zu feiern.

[Hiller v. Gaertringen.]

  1. H. Pomtow hat die Freundlichkeit gehabt, das Manuscript, welches im Winter 1897/8 abgeschlossen war und nachher nur geringe Zusätze erfahren hat, und später auch die Druckbogen durchzusehen und mit Verbesserungen und Zusätzen zu versehen, wofür wir diesem hervorragenden Kenner der delphischen Geschichte und Topographie hier unseren besten Dank aussprechen.