Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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German. Völkerschaft
Band III,2 (1899) S. 25472553
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Cimbri. Die Kimbern und Teutonen sind die ersten Germanen, welche, von Norden herkommend, die römische Herrschaft in ihren Grundfesten bedrohten. Unter dem Consulat des Caecilius Metellus und Papirius Garbo (113 v. Chr.) primum Cimbrorum audita sunt arma, berichtet Tacitus Germ. 37, und das Andenken an die furchtbare Gefahr hat sich bei den Römern bis in späte Zeit wachgehalten (vgl. Sall. or. Lep. 17, hist. frg. I 35 Maur., wo sich Cimbrica praeda, und Vell. II 121, wo sich Cimbrica Teutonicaque militia in übertragener Bedeutung findet). Noch nach 200 Jahren zeigte man die ,weiten Lagerräume‘ als Spuren der Masse und Menge des Volkes und der Grösse der Auswanderung (Tac. a. O., die Stelle utraque ripa castra ac spatia ist übrigens sehr unklar; gewöhnlich bezieht man utraque ripa auf den Rhein, so Müllenhoff Deutsche Altertumsk. II 112; Riese Rhein. Germanien 469 denkt an alte Ringwälle im Rheingebiet, Marcks Bonn. Jahrb. XCV 32if. an Wohnstätten der Kimbern an beiden Ufern der Elbe).

Die Kriegszüge der Kimbern und Teutonen. Die Überlieferung der Alten über diese Kriege ist ungleich, lückenhaft und widerspruchsvoll. Der älteste Gewährsmann ist Poseidonios (denn mit den Kimbern des Kleitarchos und Ephoros ist es nichts trotz G. Zippel Heimat der Kimbern, Festschrift des Königl. Friedrichs-Collegiums, Königsberg 1892, 57f.; vgl. Müllenhoff: a. O. I 231. 233. II 283); von einigen gelegentlichen Äusserungen Ciceros und Caesars abgesehen, scheint fast die ganze spätere lateinische Überlieferung auf Livius zu beruhen, von dem die betreffenden Bücher verloren sind; am ausführlichsten berichtet Plutarch im Leben des Marius (Näheres über die Quellen bei Müllenhoff D. A. II 121ff.).

Die Kimbern stiessen auf ihrem Zug nach Süden zuerst mit den Boiern am herkynischen Wald zusammen; zurückgeschlagen wandten sie sich zu den Donaukelten, Skordiskern, Tauriskern, Helvetiern, und veranlassten die Toygener und Tiguriner, auf die der Beutereichtum der Kimbern grossen Eindruck machte, mit ihnen zu ziehen (Poseidonios bei Strab. VII 293, vgl. IV 193). Im J. 113 standen sie in Noricum und brachten den Römern unter Cn. Papirius Carbo unweit Noreia die erste Niederlage bei (Liv. epit. 63 Cimbri, gens vaga, populabundi in Illyricum venerunt; ab iis Papirius Carbo consul cum exercitu fusus est. Strab. V 214 εἰς Νωρηίαν πόλιν, περὶ ἣν Γναῖος Κάρβων συμβαλὼν Κίμβροις οὐδὲν ἔπραξεν. Vell. II 12. Tac. Germ. 37. Plut. Mar. 16; Näheres berichtet darüber Appian Celt. I 13, der aber die Teutonen an Stelle der Kimbern nennt; vgl. Müllenhoff a. O. II 292f.). Der Weg nach Italien hätte ihnen nun offengestanden, aber sie zogen es vor, sich nach Gallien zu wenden (Vell. II 8 Cimbri et Teutoni transcendere Rhenum, multis mox nostris suisque cladibus nobiles. Appian. a. O. καὶ Τεύτονες ἐς Γαλάτας ἐχώρουν). Vier Jahre später (109) finden wir sie im südlichen Gallien nahe an der italischen Grenze, wo sie ein zweites römisches Heer unter M. Iunius Silanus schlugen (Liv. epit. 65 adversus Cimbros infeliciter pugnavit. Vell. II 12. Ascon. p. 60. 71 Kiessl. Quint. [2548] decl. III 13. Flor. III 3. Veget. III 10; falsch Eutrop. IV 27). Sie baten darauf, ihnen Land anzuweisen, wo sie sich friedlich niederlassen könnten, eine Bitte, die der Senat abschlug (Liv. epit. 65; nach Florus a. O. scheinen die Verhandlungen vor der Schlacht stattgefunden zu haben. Müllenhoff II 294, Mommsen R. G. II⁸ 175). Etwa gleichzeitig hatten sich die Helvetier nach Gallien gewandt, um sich hier ruhige und fruchtbare Wohnsitze zu suchen. Im Gebiet der Allobroger (Nitiobroger nach Mommsen, vgl. Desjardins Géogr. de la Gaule II 311) schlugen die helvetischen Tiguriner den Consul L. Cassius Longinus (im J. 107), wobei der Feldherr mit fast dem ganzen Heere umkam; die Überlebenden capitulierten unter schimpflichen Bedingungen (Caes. b. g. I 7. 12. 30. Liv. epit. 65 L. Cassius consul a Tigurinis Gallis, pago Helvetiorum, qui a civitate secesserant, in finibus Allobrogum cum exercitu caesus est. milites qui ex ea clade superaverant, obsidibus datis et dimidia rerum, omnium parte ut incolumes dimitterentur, cum hostibus pacti sunt. Appian. Celt. I 3. Oros. V 15, 23ff.). Im J. 105 dachten die Kimbern unter ihrem König Boiorix ernstlich an einen Einfall in Italien. An der Rhône kam es zu einem neuen Zusammenstoss mit den Römern. Nach der Vernichtung der Truppen des Legaten M. Aurelius Scaurus (Liv. epit. 67. Vell. II 12. Tac. Germ. 37. Gran. Licin. p. 16 ed. Bonn., vgl. Val. Max. V 8, 4. Ampelius 19) erfolgte die blutige Schlacht bei Arausio gegen den Consul Cn. Mallius Maximus und den Proconsul Q. Servilius Caepio, eine der furchtbarsten Katastrophen, die Rom je betroffen hat, herbeigeführt zum Teil durch die Uneinigkeit der Feldherrn. Auf römischer Seite sollen 80 000 Soldaten und 40 000 Mann vom Tross gefallen sein (Liv. epit. 67. Vell. II 12. Ascon. p. 69 Kiessl. Tac. Germ. 37. Plut. Mar. 19; Lucull. 27. Gran. Licin. p. 16. 20. Eutrop. V 1. Oros. V 16 Antias scribit; vgl. Sall. Iug. 114. Cic. pro Balbo 28. Val. Max. IV 7, 3. Gellius III 9, 7 u. a. m.). So kam wieder eine Art ,Gallierschreck‘ über Rom, das in seiner Bedrängnis den eben als Sieger aus Africa zurückgekehrten Marius zum zweitenmal zum Consul erhob und ihm dieses Amt fünf Jahre hintereinander liess. Marius hatte Zeit, sein Heer einzuüben, da die Germanen abermals auf einen Einfall in Italien verzichteten. Die Teutonen blieben in Gallien zurück (falls diese überhaupt an den bisherigen Kämpfen schon teilgenommen hatten, Mommsen a. O. 183. Müllenhoff II 299), die Kimbern unternahmen einen Raubzug nach Spanien, der ohne Erfolg blieb, da die Keltiberer tapferen Widerstand leisteten (Liv. epit. 67. Obsequens 43 Jahn. Plut. Mar. 14; vgl. Hieronym. epist. CXXIII 16 ipsae Hispaniae iam iamque periturae cotidis contremiscunt recordantes inruptionis Cimbricae; auch Seneca ad Helv. VII 2 Pyrenaeus Germanorum transitus non inhibuit). Im J. 103 flutete der Kimbernstrom über die Pyrenaeen zurück, und nachdem die Vereinigung mit den Teutonen erfolgt war (im Gebiet der Veliocasses, nach Mommsens Emendation zu Liv. epit. 67), geriet ganz Gallien in die Hände dieser Völker, die es ausplünderten und entsetzliche Leiden über die Bewohner [2549] brachten (Caes. b. g. I 33. VII 77). Nur den tapferen Belgen gelang es, die Feinde von ihren Grenzen abzuwehren (Caes. b. g. II 4. Strab. IV 196). Jetzt endlich (102) entschlossen sie sich ernstlich zum Angriff auf Italien. Ein Heerhaufe von 6000 Mann blieb in Gallien zurück, um das zusammengeraubte Gut, das nicht mitgeschleppt werden konnte, zu schützen; aus ihnen ist später nach mannigfachen Irrfahrten die Völkerschaft der Aduatuci (s. d.) erwachsen (Caes. b. g. II 29. Mommsen R. G. II⁸ 183). Die Angreifer teilten ihre Scharen. Während die Kimbern (mit den Tigurinern) den Weg durch Noricum wählten, sollten die Teutonen und Ambronen versuchen, durch das römische Gallien und die westlichen Pässe in Italien einzudringen (Plut. Mar. 15; vgl. Strab. VII 294). An der Rhône stiessen diese mit den Römern zusammen; Marius hatte hier ein wohlverschanztes Lager aufgeschlagen, das die Barbaren drei Tage lang vergeblich bestürmten. Als sie endlich weiter zogen – volle sechs Tage soll der Vorbeimarsch an dem Lager des Marius gedauert haben (Plut. Mar. 18) – folgte ihnen Marius bis in die Gegend von Aquae Sextiae. Hier wurde in zwei Schlachten das Teutonenheer aufgerieben, ihr König Teutobod gefangen (Liv. epit. 68. Vell. II 12. Plut. Mar. 18ff. Florus III 3. Eutrop. V 1. Oros. V 16 u. a., in den Einzelheiten stimmen die Berichte vielfach nicht überein. Mommsen a. O. 183f. Müllenhoff II 130ff. Desjardins Géogr. de la Gaule II 316ff.). Die Kimbern waren ohne ernstlichen Widerstand zu finden nach Oberitalien gelangt, der Consul Q. Lutatius Catulus hatte nicht gewagt, die Alpenpässe zu besetzen und musste nach einem ziemlich regellosen Rückzug auf das rechte Ufer des Po ganz Oberitalien zwischen Alpen und Po den Kimbern überlassen (Sommer 102). Hätten die Kimbern ihren Angriff energisch fortgesetzt, so wäre Rom ernstlich bedroht gewesen. Statt dessen pflegten sie der Ruhe und liessen sichs wohl sein. Dadurch gewannen die Römer Zeit, ihre Streitkräfte zu vereinigen, und bei Vercellae auf dem Raudischen Feld ereilte die Eindringlinge der Untergang. Unter verhältnismässig geringen Opfern erkämpften Catulus und Marius einen vollständigen Sieg; was nicht in der Schlacht fiel (hierunter die Führer Lugius und Boiorix), tötete sich selbst oder geriet in Gefangenschaft, So hatte die gens vaga zu existieren aufgehört (Liv. epit. 68. Vell. II 12. Plut. Mar. 24ff. Florus III 3. Eutrop. V 2. Oros. V 16 u. s. w.; vgl. das Elogium des Marius CIL I p. 290 nr. XXXII f. = I² p. 195 nr. XVII f. = CIL XI 1831 = Dessau Inscr. 59. Müllenhoff a. O. II 137ff.).

Ursache der Wanderung. Herkunft der Kimbern. Mommsen R. G. II⁸ 171f. meint, Zeitgenossen hätten über die Ursache der kimbrischen Wanderung nichts Genaueres aufgezeichnet. Nun polemisiert aber Poseidonios (Strab. VII 292f.) gegen die vulgäre römische Überlieferung, dass Sturmfluten an der Küste der Nordsee grosse Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbern veranlasst hätten (Florus III 3, 1 Cimbri Teutoni atque Tigurini ab extremis Galliae profugi, cum terras eorum inundasset Oceanus, novas sedes toto orbe quaerebant. Fest. ep. p. 17 M. berichtet dasselbe [2550] von den Ambrones; vgl. Appian. Illyr. 4. Amm. Marc. XXXI 5, 12 und die Stellen bei Müllenhoff II 165). Ob diese Tradition auf Überlieferung oder Vermutung beruht, lässt sich allerdings mit absoluter Gewissheit nicht entscheiden. Müllenhoff spricht nur von einer ,Flutsage‘ und glaubt (a. O. I 232. II 166), dieselbe sei von Gallien her auf die Kimbern übertragen worden, weil Timagenes (bei Amm. Marcell. XV 9) berichtet, ein Teil der Einwohner Galliens sei nach der Lehre der Druiden durch Fluten von den Inseln und dem Lande jenseits des Rheines vertrieben worden und in ihre späteren Sitze eingewandert. Auf die Unwahrscheinlichkeit dieser Hypothese macht J. F. Marcks Bonn. Jahrb. XCV 35ff. aufmerksam; er bemerkt mit Recht, dass ein zwingender Grund, die römische Tradition zu bezweifeln, nicht vorliegt. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass gerade die Nordseeküste von verheerenden Sturmfluten oft heimgesucht worden ist, dass Zuidersee, Dollart und Jadebusen ihre jetzige Gestalt grossen Sturmfluten verdanken. Marcks erinnert namentlich an die unheilvolle Octobernacht 1634, ,in der die grosse Insel Nordstrand grossenteils vernichtet ward, über 6000 Menschen, mehr als 50 000 Stück Vieh ertrunken und in ganz Nordfriesland gegen 10 000, in den Marschländern Schleswig-Holsteins 15 000 Menschen umgekommen sein sollen‘. Hat aber die Überlieferung von der Ursache der Wanderung ihre Richtigkeit, so fällt auch Müllenhoffs durch keinen Beweis gestützte Annahme, die wahren Kimbern hätten viel weiter südlich an der mittleren Elbe gesessen (a. O. II 289. 300). Das gesamte Altertum kennt die Kimbern nur als Anwohner der See. Strabon VII 291 führt die Sugambrer, Bructerer, Kimbern und andere Völkerschaften als πρὸς τῷ Ὠκεανῷ wohnend auf und ebenso VII 294, wo er die Kimbern westlich von der Elbe ansetzt in der irrigen Meinung, von den Völkern jenseits der Elbe sei nichts bekannt (Zeuss Die Deutschen 145). Der Gewährsmann des Mela setzt Kimbern und Teutonen an den sinus Codanus, III 31f., eine Stelle, ,wo man die Nordseeküste mit ihren Watten aufs klarste geschildert findet‘. Plinius n. h. IV 96f. (vgl. 99) zählt die Kimbern zu den germanischen Inguaeones und setzt sie auf die nach ihnen benannte Halbinsel, die mit germanischem Namen Tastris (falls dies die richtig überlieferte Namensform ist) hiess (s. Chersonesos Nr. 27). So dürfen wir bei der alten Annahme stehen bleiben, dass die von Schleswig, Holstein und Jütland gebildete Halbinsel die wirkliche Heimat der Kimbern ist, von der die Wanderung ausging. Ein Teil des Volkes blieb in diesen Ursitzen zurück und zwar in den nördlichsten Gegenden. Die römische Flottenexpedition unter Augustus ist bis zu ihnen gelangt, wie Augustus selbst im Mon. Ancyr. V 14ff. berichtet: cla[ssis mea per Oceanum] ab ostio Rheni ad solis orientis regionem usque ad fi[nes Cimbroru]m (μέχρι ἔθνους Κίμβρων im griechischen Text) navigavit, quo neque terra neque mari quisquam Romanus ante id tempus adit; Cimbrique et Charydes et Semnones et eiusdem tractus alii Germanorum populi per legatos amicitiam meam et populi Romani petierunt, ein Bericht, der bestätigt und [2551] ergänzt wird durch Strabon VII 292f. καὶ γὰρ νῦν ἔχουσι (Κίμβροι) τὴν χώραν ἣν εἶχον πρότερον, καὶ ἔπεμψαν τῷ Σεβαστῷ δῶρον τὸν ἱερώτατον παρ’ αὐτοῖς λέβητα (vgl. hierzu die Stelle VII 294 von den weissagenden Frauen im kimbrischen Heere), αἰτούμενοι φιλίαν κτλ. Vell. Pat. II 106. Plin. n. h. II 167 septentrionalis oceanus maiore ex parte navigatus est auspiciis divi Augusti Germaniam classe circumvecta ad Cimbrorum promontorium (= Skagens Horn, vgl. IV 96. 97. Tac. Germ. 1. Müllenhoff II 285). Tacitus Germ. 37 gedenkt ihrer als eines unbedeutenden Völkchens (eundem Germaniae sinum proximi Oceano Cimbri tenent, parva nunc civitas, sed gloria ingens), und Ptolem. II 11, 7 setzt sie in der nördlichsten Spitze der Halbinsel über den Charuden an (πάντων δὲ ἀρκτικώτεροι Κίμβροι). Alle diese Zeugnisse lässt Müllenhoff nicht gelten; er behauptet, die Römer hätten auf jener Flottenexpedition gar keine Kimbern in Jütland angetroffen, sondern nur den Kimbernamen willkürlich auf Stämme, die sie dort vorfanden, übertragen (a. O. II 286. 288f. III 226). Stichhaltige Gründe für diese Voraussetzung fehlen aber durchaus (Marcks a. O. 39ff.). Denn wenn Müllenhoff an das Bestreben des Augustus denkt, ,dem römischen Volke für Beleidigungen, die seiner Majestät früher widerfahren waren, Genugtuung zu verschaffen, wäre es auch nur zum Scheine‘, und dabei an die Parther erinnert, so reicht dieses Argument doch nicht aus, um eine unverdächtige Überlieferung anzuzweifeln; die Siege des Marius reichten als Genugthuung wohl aus, so dass Augustus gar keinen Grund haben konnte, auf die Gesandtschaft des damals ganz unbedeutenden Kimbernvolkes besonders stolz zu sein (Marcks a. O. 40).

Deutung des Namens. Die Kimbern Germanen. Dass die Römer in Jütland keine wirklichen Kimbern antrafen, erschliesst Müllenhoff ferner aus der Etymologie des Namens, über welche die Sprachforscher noch nicht einig sind. Den Alten galten die Kimbern teils als Gallier (Kelten), teils als Germanen. Poseidonios bei Strab. VII 293 bringt sie leichtfertig mit den Kimmeriern zusammen (vgl. Diod. V 32. Plut. Mar. 11. Zeuss Die Deutschen 194. d’Arbois de Jubainville Les premiers habitants de l’Europe, Paris 1877, 160. Desjardins Géogr. de la Gaule II 303). Die Zeugnisse, die für das Keltentum der Kimbern sprechen, hat Holder im Altkelt. Sprachschatz s. Cimbri zusammengestellt. So sagt Fest. ep. p. 43 M. Cimbri lingua Gallica latrones dicuntur (vgl. Plut. Mar. 11 ὅτι Κίμβρους ἐπονομάζουσι Γερμανοὶ τοὺς λῃστάς [daraus Suidas s. Κίμβρος ὁ λῃστής]. Strab. VII 293 ταῦτά τε δὴ δικαίως ἐπιτιμᾷ συγγραφεῦσι Ποσειδώνιος καὶ οὐ κακῶς εἰκάζει, δίοτι λῃστρικοὶ ὄντες καὶ πλάνητες οἱ Κίμβροι καὶ μέχρι τῶν περὶ τὴν Μαιῶτιν ποιήσαιντο στρατείαν. Diod. V 32 ζηλοῦσι γὰρ ἐκ παλαιοῦ λῃστεύειν ἐπὶ τὰς ἀλλωτρίας χώρας ἐπερχόμενοι); Gallier sind sie auch bei Cic. de orat. II 266. Sall. Iug. 114. Appian. Illyr. 4. Als aber die Römer Germanen und Kelten genauer scheiden gelernt hatten, haben sie das Richtige gefunden und in den Kimbern Germanen erkannt; so Caesar, Augustus, Velleius, Seneca (ad Helv. VII 2), Plinius, Tacitus u. a. Dazu [2552] stimmen die Angaben über ihre Körperbildung und ihr sonstiges Wesen (vgl. besonders Plut. Mar. 11 καὶ μάλιστα μὲν εἰκάζοντο Γερμανικὰ γένη τῶν καθηκόντων ἐπὶ τὸν βόρειον ὠκεανὸν εἶναι τοῖς μεγέθεσι τῶν σωμάτων καὶ τῇ χαροπότητι τῶν ὀμμάτων), die zwar auf die Nordländer überhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf seinen Zügen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet, wenn Männer keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen (vgl. Müllenhoff II 118f.) oder wenn die Römer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu ‚kundschaften‘ (Mommsen II 172). Da ein Wort kimbr = latro, λῃστής (s. o.) sich in keiner germanischen Sprache findet, noch ein Wortstamm, der auf diese Bedeutung führte, so kommt Müllenhoff II 116ff. zu dem Schluss, dass die Kimbern erst ausserhalb Germaniens ihren ,keltischen‘ Namen bekommen hätten, eine sehr unwahrscheinliche Hypothese. Der Name Kimbern ist wohl sicher ebenso alt wie der deutsche Teutonenname, und nicht gut glaublich ist es, dass der Suebenhäuptling Cimberius (Caes. b. g. I 37) erst von der gallischen Bezeichnung germanischer Scharen seinen Namen erhalten habe. Die Etymologie kann eben geschichtliche Thatsachen nicht umstossen, sondern muss sich nach ihnen richten (gegen Müllenhoff vgl. Much Deutsche Stammsitze 214ff. u. Beiträge zur Gesch. d. D. Spr. u. Litt. XX 13. Marcks a. O. 40f. Joerres Bonn. Jahrb. C 121; zur Deutung des Namens auch Zeuss Die Deutschen 141f. Schweizer-Sidler zu Tac. Germ. 37).

Wesen, Sitten und Gebräuche. Hierüber wird von den Schriftstellern nur gelegentlich und nicht zusammenhängend berichtet, darunter manches, was die Kimbern von den Kelten entlehnt haben mochten (vgl. Mommsen R. G. II⁸ 172ff.). Auf ihre grossen Leiber und blauen Augen, die sie als Nordgermanen kennzeichnen, ist schon oben hingewiesen worden (Plut. Mar. 11). Sie waren abgehärtet gegen Schnee und Kälte, konnten aber den italischen Sommer nicht so gut vertragen wie die Römer (Plut. a. O. 23. 26. Oros. V 16, 14). Weiber und Kinder führten sie auf Wagen mit sich. Ihr Kriegswesen scheint sich nicht sehr von dem der Kelten jener Zeit unterschieden zu haben. Sie trugen Helme, die den Rachen fürchterlicher Tiere glichen, mit hohen Federbüschen, Schild und Panzer; ihre Waffen waren eigentümliche Wurfspiesse (ἀκόντισμα δὲ ἦν ἑκάστῳ διβολία) und grosse Schwerter. An Reiterei fehlte es ihnen nicht, doch konnte sie sich mit der der Römer nicht messen (Plut. a. O. 25). Ihre Schlachtordnung war schwerfällig, ebenso viele Glieder breit wie tief; die Männer des ersten Gliedes sollen in gefährlichen Gefechten durch Ketten mit einander verbunden gewesen sein (Plut. 25. 27, über die Angriffsweise der Ambronen vgl. Plut. 19). Ihr Angriff war schnell und gewaltig, ihr Mut und ihre Kühnheit unwiderstehlich (Plut. 11), und die Frauen gaben den Männern an wilder Tapferkeit [2553] und Entschlossenheit nichts nach (Plut. 19. 27. Oros. V 16, 13. 17ff.). An ihr furchtbares Schlachtgebrüll musste Marius seine Soldaten erst gewöhnen (Plut. 16. 20). Während die Männer unter gellendem Schlachtruf in den Kampf zogen, halfen die bei den Wagen zurückbleibenden Weiber und Kinder mit, das Getöse zu vergrössern, indem sie auf die ledernen Wagendeckel schlugen (Strab. VII 294). Todesfurcht kannten sie nicht, der Tod auf dem Schlachtfeld galt ihnen als der einzig des freien Mannes würdige (Val. Max. II 6, 11 in acie gaudio exultabant tamquam gloriose et feliciter vita excessuri, lamentabantur in morbo quasi turpiter et miserabiliter perituri). Echt germanisch war die Sitte, dass nicht Priester, sondern Priesterinnen das Heer geleiteten: greise Frauen in weissen linnenen Gewändern mit ehernem Leibgurt und unbeschuht; ihr Amt war, die zum Opfer bestimmten Kriegsgefangenen abzuschlachten und aus dem in den grossen Opferkessel rinnenden Blut und aus den Eingeweiden zu weissagen (Strab. VII 294). Was es mit dem ,ehernen Stier‘, bei dem Plut. Mar. 23 die Kimbern schwören lässt, für eine Bewandtnis hat, ist nicht klar (ὀμόσαντες τὸν χαλκοῦν ταῦρον, ὃν ὕστερον μετὰ τὴν μάχην εἰς τὴν Κάτλου φασὶν οἰκίαν ὥσπερ ἀκροθίνιον τῆς νίκης κομισθῆναι).

Litteratur (soweit nicht bereits erwähnt). Joh. Müller Bellum Cimbricum, Turici 1776. Herm. Müller Die Marken des Vaterlandes I 135ff. Zeuss Die Deutschen 141ff. F. E. Schiern Origines et migrationes Cimbrorum, Diss. Havniae 1842. Herzog Gallia Narbon. 59ff. E. Desjardins Géogr. de la Gaule II 302ff. Pallmann Die Cimbern und Teutonen, Berlin 1870. Über die Völker, die in Gesellschaft der Kimbern erscheinen (Ambrones, Teutones, Toygeni, Tigurini), s. die betr. Artikel.

[Ihm. ]