Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Stadt, Gegend und Berg in Indien, Geburtsort des Dionysos und des Weins
Band XVII,2 (1937) S. 16401661
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12) I. Stadt, Gegend, Berg in Indien.

Übersicht:

§ 1. Das indische Nysa in der Dionysos-Mythe.
§ 2. In der Alexandergeschichte.
§ 3. „Beweise“ für ersteres und Kritik des zweiten im Altertum.
§ 4. Die moderne Forschung.
§ 5. Analyse der griechischen und indischen Elemente.
§ 6. Zusammenfassung.

§ 1. Das indische Nysa in der Dionysos-Mythe.

Die griechische Mythologie bringt N. in Zusammenhang mit der Geburt, dem Aufwachsen und dem Zuge des Dionysos in ferne Länder. In der Ilias VI 133 ist N. an der thrakischen Küste des Lykurgos gelegen (Schol. ἐν διαφόροις τόποις ἱστοροῦσι τὰ περὶ Νυσίαν, vgl. Diod. III 65); mit der Erweiterung der geographischen Kenntnisse rückt die Lokalisierung von N., deren es mehrere gibt, in die Ferne. Bei Herodot. II 146. III 97 liegt es in Aithiopien, bei Diod. III 66 in Libyen; er sieht in dem N. der Hymn. Hom. 34, 8f. das arabische N., vgl. Diod. III 65f. Dieses arabische N. soll der hellenistische Namen einer Kultstätte der Isis, die biblisch Aštarot Karnajim hieß, sein und wird im heutigen eṣ-Ṣanamen, südlich von Damaskus gesucht; im ,tannaiṯischen Grenzverzeichnis‘ erscheint die Kultstätte als Mēneketh, d. i. Säugeamme (S. Klein Monatsschr. f. d. Gesch. d. Judent. 77 [1933] 197f.). N. in Skythien kennt Plin. n. h. V 74; einen Berg Nysaios in Arabien kennen die Excerpta Barbari 218, 8. Iuba (FHG III 484, 87 = Etym. M. 277, 38; vgl. 259, 32/34) leitet von Nyssa den Namen Deunysos ab, da die Inder δεῦνος den König nennen und Dionysos König von Nyssa gewesen sei (δεῦνος entspräche Sanskrit deva; vgl. Lassen Ind. Alt. II2 144, 3). Justi (Iran. Namenbuch s. Anōš 17) glaubt N. aus armen. anoyš ,süß‘ erklären zu können. S. L. Malten Arch. f. Rel. XII 286f. W. F. Otto Dionysos, Frankfurt 1933, 60f.

N. soll der Name einer der Nymphen gewesen sein, die als Ammen dem jungen Dionysos dienten (Mythol. Lex. I 1048f. III 567f.); ein Nysos wird als Erzieher des Dionysos, der nach ihm seinen Namen erhielt, bei Hyg. fab. 167. 179 erwähnt. Die Amme N. wurde in der Pompe des Ptolemaios Philadelphos in einem acht Ellen großen Standbild dargestellt, wie der Rhodier Kallixeinos bei Athen. V 198 e. f berichtet (vgl. [1641] F. Caspari Herm. LXVIII 400ff. bes. 40f.), das sich auf einem acht Ellen breiten, vierräderigen, von 60 Männern gezogenen Wagen befand; in dem Festzug sah man Dionysos als Sieger nach seiner Rückkehr aus Indien auf einem Elefanten gelagert, umgeben von Satyrn in Kriegsausrüstung (Athen. V 200 d. e).

Zeus vertauscht den ihm von Semele geborenen Dionysos, um dem Zorn der eifersüchtigen Hera zu entgehen, gegen eine Ziege und läßt ihn durch Hermes zu den in Asien wohnenden Nymphen auf dem Berge N. bringen; später versetzte er sie als Hyaden an den Himmel (Apollod. III 29). Nach anderen wurde Dionysos im Schenkel des Zeus genährt und in N. von Nymphen aufgezogen (Lucian. dial. d. 9, 2; vgl. Schol. zu 12: Νῦσα ὄρος ἐν διαφόροις μὲν τόποις οὕτω λεγόμενον, νῦν δὲ τὸ ἐν τῇ Θράκῃ). Aus dieser Schenkelgeschichte (μηρός) entstand im Zusammenhang mit der geographischen Erschließung Indiens durch Alexander d. Gr. und vielleicht der indischen Kosmographie die Verlegung des Berges Meros (s. o. Bd. XV S. 1068, 3) nach Indien. Dionysos (Liber) ist in N. in Indien geboren, in einer Höhle des Meros, eines dem Zeus heiligen Berges, aufgezogen worden; die Mythe vom Einnähen des Embryo im Schenkel des Zeus (s. Myth. Lex. I 1045, 59ff.) erklärt Mela III 66 entweder als Beeinflussung durch den Gegenstand oder als Irrtum der griechischen Autoren (vgl. Plin. n. h. VI 79); Hesych. s. N. nennt den Berg N., den man an verschiedenen Orten, auch in Indien finde. Steph. Byz. unterscheidet zwischen Διονύσου πόλις und N., wie aus den ohne Beziehung aufeinander gegebenen Stichwörtern sich zu ergeben scheint. Von einem Berg N. in Indien wissen, abgesehen von Kleitarch (s. u.), Philostrat. vit. Apoll. II 7–9 (s. u.). Plin. n. h. VIII 141 (Verg. Aen. VI 805?); Isidor. Etym. VIII 11, 44, der auch die civitas erwähnt; Mythogr. Vatic. I 120 trotz der Schenkelgeschichte; III 12, 4 nach Remigius; Liber Generationis 34, 16 (nicht in Indien).

An die Vielheit der Dionysoi knüpft Arrian. anab. V 1, 2 an (vgl. II 16, 3); N. sei eine Gründung des Dionysos, nachdem er die Inder besiegt hatte; doch sei es nicht klar, welcher Dionysos das gewesen sei, noch wann und von wo aus der Feldzug stattgefunden habe, er, Arrian, könne nicht ermitteln, ob Dionysos aus Theben oder vom lydischen Berge Tmolos ausgezogen sei, der durch so viele, kriegerische Völker zu den Indern zog, von denen er keines außer den Indern unterwarf. Den Feldzug nach Indien (s. Myth. Lex. I 1087f.) erwähnen außer den Schriftstellern, die seine Geburt in Indien ansetzen, ein Dionysios (FGrH 32 F 13; Komm. p. 515; vgl. o. Bd. V S. 972f.), Aristodemos, besonders Nonnos (13. Buch), der auf die Bassarika eines Dionysios zurückgeht. Steph. Byz. führt aus dessen Werke, von dem Fragmente wahrscheinlich in einem Papyrus vorliegen (Arch. f. Pap. II 1903, 351) die Städte und Stämme auf, die Dionysos im Kampfe gegen den Inderkönig Deriades besiegt hat, S. Γάζος, Γήρεια, bzw. 1. Δάρδαι, 2. Ἔαρες, 3. Ζάβιοι, 4. Μαλλοί, 5. Πάνδαι, 6. Σίβαι, von denen 1, 4–6 auch sonst bezeugt und historisch sind. Die Gründung von N. am Indus [1642] und die Besiedlung mit 50 000 Menschen (so auch Epit. Mett. 102, 10) berichtet Isidorus, Etym. XV 1, 6; vgl. Euseb. Chron. ad ann. a. Abrah. 690, armen. 689; Hieronym. 692. Synkell. 306, 10, die es am Indos lokalisieren, am Hydaspes Lucan. VIII 227, vgl. I 65; Dion. Perieg. 625f. 1152f. am Ganges, s. Eustath. ad loc. vgl. Avien. 826f. 1349ff. Priscian. 1057f. Nikeph. 1128. Diod. III 63ff. werden die Ansichten über drei Dionysoi wiedergegeben, deren ältester aus Indien gebürtig ist; der zweite sei ein Sohn des Zeus mit Persephone oder Demeter; der dritte sei der Liebe des Zeus zu Semele, der Tochter des Kadmos, entsprossen; Zeus barg das Embryo bis zur Geburt in seiner Hüfte, brachte das Kind nach Arabien, wo es von Nymphen erzogen wurde; diese Geschichte wird Diod. III 68 auf Ammon von Libyen und Rhea, der Tochter des Uranos, übertragen. In dieser Mythe ist N. eine der Töchter des Aristaios, die den Dionysos aufzieht (III 70, 1). N. in Indien ist nach Diod. I 19, 7 eine der vielen Städtegründungen des Osiris, der über Aithiopien, Arabien und das Erythräische Meer nach Indien gekommen sei (vgl. I 27, 5), dort den sonst nicht vorkommenden Efeu gepflanzt habe (vgl. des Osiris Kampf gegen Lykurg von Thrakien I 20 mit des Dionysos Kampf gegen ihn III 65, über die Identifikation von Osiris mit Dionysos IV 1, 6f.). Von den vielen Dionysoi spricht auch Cic. nat. deor. III 58, der den Sohn des Iuppiter und der Proserpina erwähnt, den Sohn des Nilus, qui Nysam dicitur interemisse, usw., als vierten den Sohn des Iuppiter und der Luna, und einen fünften kennt, der aus der Verbindung von Nisus und Thyone stammt.

Bei Arrian. anab. V 1, 1 ist N. zwischen Kophen und Indos gelegen; die Stadt soll eine Gründung des Dionysos sein, als er gegen die Inder zu Felde zog; in Ind. 1, 4–6 (Aristobul? Jacoby FGrH zu 137 F 17 Komm. p. 492 für I 4–5; anab. V 2) werden die Bewohner als nicht indischen Geschlechts bezeichnet; vielmehr kamen sie mit Dionysos ins Land, sie stammten vielleicht von den Griechen, die in den Kämpfen des Dionysos mit den Indern kampfunfähig geworden waren, vielleicht von den Eingeborenen, die er mit ihrem Willen zugleich mit den Griechen ansiedelte; das Land habe Dionysos nach dem Berge Nyse das nysaiische benannt, die Stadt Nysa, der Berg, an dessen Fuße die Stadt liege, wird Meros nach dem Ereignis, das sich gleich nach der Geburt des Dionysos abgespielt hatte, genannt. Unter den Alexanderschriftstellern ist Kleitarch (FGrH 137 F 17 = Schol. Apoll. Rhod. II 904) zu nennen, bei dem N. ein Berg ist, auf dem eine dem Efeu ähnliche, σκινδαψός genannte Pflanze wachse (vgl. Jacoby Komm. II D S. 492; vgl. o. S. 1641, 36). Nach den Alexanderschriftstellern hat Megasthenes über die angeblichen Heereszüge des Herakles und Dionysos nach Indien berichtet. Diod. II 38, 3–6 sind wahrscheinlich nicht dem Megasthenes entnommen (s. o. Bd. XV S. 252ff.), gehören vielmehr teilweise den Alexanderschriftstellern zu. Er berichtet, daß Dionysos wegen der großen Hitze und der durch sie verursachten Pest das Lager aus den Ebenen in die Berge verlegt habe, wo sich die Soldaten erholten; dieser Ort der Gebirgsgegend [1643] habe Meros geheißen, daraus sei bei den Griechen die Sage von dem Aufwachsen des Gottes im Schenkel entstanden. Nach Strab. XV 1, 8 p. 687f. (= frg. 46, 5–7 Schwanbeck) habe Megasthenes die Erzählungen über Dionysos (wie über Herakles) für wahr gehalten; nach diesen Erzählungen nannte man das Volk Nysaier und die Stadt N., eine Gründung des Dionysos; der Berg oberhalb der Stadt heiße Meros. Ebenso bei Arrian. Ind. V 9 (= frg. 47, 6). Philostr. vit. Apoll. II 7 verweist Apollonios vor Überschreitung des Kophen auf den in der Nähe befindlichen Berg N., den er nach dem Übergang auf Schiffen in dem königlichen Gebiet am anderen Ufer erreicht; der Berg N. hat einen hohen Gipfel wie der lydische Tmolos, ist mit Lorbeer, Efeu und Wein bepflanzt, wie Dionysos selbst um sein einem jungen Inder gleichendes Standbild die dachartige Laube angelegt hatte (II 8). Philostrat erwähnt II 9 den Widerstreit der Meinungen bei Griechen und Indern um Dionysos, indem die ersteren an den thebanischen Dionysos glauben, der im Verlaufe seines Kriegs- und Bakchen-Zuges nach Indien gekommen sei, für den als Beweis das in Pytho befindliche Weihgeschenk mit einer Inschrift auf einem Diskos aus indischem Silber angesehen werde. Die Inder hingegen, die zwischen Kaukasos und Kophen wohnen, erklären ihn als den assyrischen, der vom thebanischen Dionysos gewußt habe; die zwischen Indos und Hydraotes und bis an den Ganges wohnenden Inder behaupten, Dionysos sei ein Sohn des Indos, habe vom thebanischen, mit dem er verkehrt habe, den Thyrsos angenommen und sich geheimen Feiern hingegeben; er nenne sich einen Sohn des Zeus, in dessen Schenkel er vor der Geburt gelebt habe; er habe bei N. den Meros-Berg vorgefunden. N. habe er mit Weinreben aus Theben bepflanzt. Die N. Bewohnenden behaupten, daß Alexander den Berg nicht bestiegen habe, während er nach anderen dort Feiern veranstaltet habe (II 9); Alexander habe die Makedonen von der Besteigung abgehalten, um in ihnen kein Heimweh und keine Sehnsucht nach Wein aufkommen zu lassen; die mit Alexander den Feldzug mitmachten, hätten nicht die Wahrheit darüber geschrieben. In der Nähe von N. sei der Aornos-Felsen gelegen (II 10). Hier wird nicht nur zwischen den Dionysoi unterschieden, sondern auch zwischen Ansichten der Inder; der N.-Berg steht im Vordergrund, von der Stadt N. ist wenig die Rede, Dionysos gilt als indischer Gott, der mit dem griechischen in Verbindung stand.

§ 2. In der Alexandergeschichte.

Nachdem Alexander Nikaia verlassen und in die Gegend des Kophenflusses vorgerückt war, hatte er das Heer geteilt und Hephaistion und Perdikkas zum Indos gegen die Peukelaotis dirigiert, er selbst unterwarf die Gegend nördlich vom Kophen (anab. IV 22,6ff.). Als sich Alexander N. näherte, schickten ihm die Nysaier ihren κρατιστεύων, Akuphis mit Namen, und 30 ihrer angesehensten Mitbürger als Gesandte mit der Bitte, die Stadt dem Gotte zu überlassen, entgegen. Sie seien ins Zelt gekommen, wo Alexander noch vom Marsch mit Staub bedeckt in voller Rüstung, den Helm auf dem Kopf, den Speer in der Hand, dasaß; erstaunt über diesen Anblick seien die Gesandten [1644] vor ihm niedergefallen, ein langes Schweigen sei eingetreten. Bei Plut. Alex. 58, 4f. erblicken ihn die Gesandten ohne Diener, in Waffen, und sind darüber erstaunt; Alexander läßt, als ihm ein Sitzkissen gebracht wird, den Ältesten der Abgesandten, Akuphis, Platz nehmen; dieser fragt, voll Bewunderung für die glanzvolle Erscheinung und Menschenfreundlichkeit Alexanders, was sie nach seinem Wunsche tun sollten, um sie zu Freunden zu haben; Alexander habe darauf geantwortet, sie sollen Akuphis als Archon einsetzen, ihm aber hundert der besten Bürger schicken. Bei Arrian beginnt Akuphis seine Rede, nachdem Alexander die Gesandten hatte aufstehen geheißen und ihnen Mut zugesprochen hatte (anab. V 1, 3f.).

In seiner Rede (anab. V 1, 4f.) bittet Akuphis den Alexander im Namen der Nysaier um Freiheit und Autonomie aus Ehrfurcht vor Dionysos; denn auf seinem Rückzug zum griechischen (Mittel-) Meer habe Dionysos, nach Unterwerfung des indischen Volkes, als Zeichen seines Zuges und Sieges die Stadt N. mit den kampfunfähigen Soldaten, die auch seine Bakchen waren, bevölkert, so wie Alexander selbst die nach ihm benannten Städte Alexandrien am Kaukasos, in Ägypten u. a. begründet habe. Die Stadt benannte Dionysos nach seiner Amme N., das Land das Nysaiische, den Berg in der Nähe der Stadt Meros, weil er nach der Sage im Schenkel des Zeus aufgewachsen sei. Seit dieser Zeit bewohnen die Nysaier in Freiheit und Autonomie die Stadt in einem geordneten Gemeinwesen; als Beweis für die Gründung durch Dionysos soll der nur hier vorkommende Efeu dienen.

Arrian spricht somit von einer freiwilligen Übergabe durch die Bewohner, ohne Kampf; die Epit. Mett. 102, 7–14 erwähnt gleichfalls die Entsendung der Ältesten zu Alexander, deren Hinweis auf die Gründung von Stadt und Staat, mit einer Bevölkerung von 50 000 Menschen, und auf den Berg in der Nähe, den Liber nach seiner Geburt Meros benannt habe; sie beschworen Alexander, die Denkzeichen und Privilegien bestehen zu lassen. Curtius hingegen läßt Alexander (VIII 10, 7–11) an waldiger Stelle unmittelbar unter den Mauern der Stadt das Lager aufschlagen; durch die als Mittel gegen den Nachtfrost angezündeten Feuer stecken die Soldaten die aus altem Zedernholz gefertigten Grabdenkmäler der Belagerten in Brand, die vollkommen verbrennen. Zunächst erheben die Hunde ein Gebell, dann erst erkennen die Bewohner, daß der Feind vor den Toren stehe. Alexander hatte die Truppen bereits zum Angriff herangeführt und die Mauer besetzt, ein Geschoßhagel überschüttet die Angreifer; unter den Belagerten sind einige für Übergabe, andere für Kampf; sobald Alexander von diesem Zwiespalt der Meinungen hörte, befahl er die Einstellung des Blutvergießens und Beschränkung auf die Belagerung; durch deren Ungemach erschöpft ergaben sich die Bewohner, die ihre Abstammung von Liber anführen. Die Stadt lag unter einem Berg, den die Bewohner Meros nannten (12). Bei Iustin. XII 7, 6 befiehlt Alexander in der Freude, nicht nur dem Kriegszug, sondern auch den Spuren des Liber gefolgt zu sein, die aus Treue zu ihrem Glauben keinen [1645] Widerstand leistenden Bewohner von N. zu schonen. Nach Plut. Alex. 58, 4 liegt ein tiefer Fluß vor der Stadt, über den vorzugehen die Makedonen sich weigerten; da springt Alexander, den Schild in der Hand, als erster hinein mit den Worten: ,Wie, habe ich Elender nicht schwimmen gelernt?‘ Nach der Schlacht suchen ihn Abgesandte der Belagerten auf.

Schon hier gehen die Berichte über die N.-Episode stark auseinander. Bald ist von einer Übergäbe der Stadt durch Parlamentäre, die sich auf die Gründung der Stadt durch Dionysos berufen, die Rede (Arrian.; Epit. Mett. Iustin. ohne die Intervention der Abordnung); bald von einer regelrechten Belagerung und einem Kampf (Curtius), umgekehrt bei Plutarch; bald ist die Stadt in einer waldigen Gebirgsgegend gelegen (Curtius), bald umgibt sie ein Fluß (Plutarch); wichtiger noch ist die Diskrepanz in dem Detail der Ankunft Alexanders und des Empfangs der Gesandtschaft: Alexander ist noch vom Marsch staubig und in Waffen, als er schon die Parlamentäre (im Zelte?, Plutarch) empfängt (Arrian.); das schließt eine Belagerung aus, von der Curtius und Plutarch berichten.

Alexander gewährt den Bewohnern N.s Freiheit und Autonomie; auch ihre Verfassung, nach deren Gesetze, die er kennen lernte, die Leitung des Gemeinwesens in den Händen der Besten lag, lobt er. Diese Vorsteher des Gemeinwesens waren 300 an Zahl; als Hyparchen setzt Alexander den Akuphis ein. Als Friedensbedingungen, wohl mehr als eine Art Friedensgarantie, fordert er 300 Reiter, die ihn begleiten sollten, und 100 der besten Männer von den 300 leitenden Bürgern; die Auswahl sollte Akuphis treffen. Akuphis antwortete auf die Frage Alexanders, warum er diese Forderung belächele, eine einzige Stadt könne, hundert ihrer besten Männer beraubt, nicht gut geleitet werden; Alexander solle sich die 300 Reiter oder noch mehr, wenn er wolle, mitnehmen, statt der 100 guten aber die doppelte Anzahl von schlechten Bürgern, dann werde er die Stadt bei seiner Rückkehr wieder in guter Verfassung antreffen. Von diesem Argument überzeugt verzichtete Alexander zwar auf die 100 Bürger, nahm aber die 300 Reiter mit sich und den Sohn und Tochtersohn des Akuphis, die dieser ihm selbst mitgab (Arrian. anab. V 2, 2–4). Die gleichen Bedingungen, mit Ausnahme der 300 Reiter, liegen in der Epit. Mett. 102, 14–19 vor; bei Plut. 58, 5 ist die Unterhaltung ins Anekdotische umgebogen: auch hier wird jedoch Akuphis zum Archon eingesetzt, von den Reitern wird nichts erwähnt; bei Curtius und Iustin steht überhaupt nichts von dem Friedensschluß.

Alexander kamen die in der Rede des Akuphis enthaltenen Anspielungen auf die Beziehungen von N. zu Dionysos gelegen und er wünschte, daß die sagenhaften Erzählungen über die πλάνη des Dionysos und die Gründung N.s durch ihn glaubhaft seien; denn dadurch zeigte er, daß er nicht nur so weit wie der Gott, sondern noch weiter als dieser vorgedrungen sei, welcher Umstand die Makedonen im Wetteifer mit den Taten des Dionysos zum Ertragen der weiteren Beschwerden anspornen werde (Arrian. V 2, 1). Mit der Redensart πόθος ἔλαβεν leitet Arrian. V 2, 5 [1646] die Beschreibung der Besteigung des Meros durch Alexander ein. Mit der Hetairen-Reiterei und dem Hypaspistenagema (vgl. Berve Alexanderreich Ι 126, 1) sei Alexander auf den Meros gekommen, dort habe er den Berg voll mit Efeu und Lorbeer, allerlei Haine, schattigen Wald gesehen, auch Jagden auf allerlei Jagdtiere gebe es dort. Die Makedonen, die schon lange keinen Efeu gesehen hätten – denn in Indien gebe es nicht einmal dort Efeu, wo Wein vorkomme – freuten sich bei diesem Anblick, wanden Kränze, bekränzten sich, sangen Loblieder auf Dionysos und riefen den Gott bei seinen Beinamen an. Alexander habe dem Dionysos geopfert und den Hetairen ein Gelage veranstaltet; einige berichten, viele angesehene Makedonen hätten sich mit Efeu bekränzt und hätten, über die Anrufung des Gottes durch Dionysos begeistert, dem Gotte unter Rufen zugejubelt und seien in bakchantische Verzückung geraten (Arrian. V 2, 5–7). Bei Curtius liegt N. am Fuße des von den Einwohnern Meros genannten Berges. Sobald der König (Alexander) von den Einwohnern die Lage des Berges in Erfahrung gebracht hatte, schickt er Lebensmittel voraus und begibt sich mit dem gesamten Heere auf den Gipfel des Berges. Der ganze Berg ist mit Efeu und Wein bewachsen, viele das ganze Jahr hindurch fließende Gewässer gibt es, verschiedenartige und heilkräftige Säfte der Obstfrüchte sind das Erträgnis der in dem fruchtbaren Boden von selbst gedeihenden Keime. Auf den wilden Felsen stehen Wälder von Lorbeer-, Buchs- und Myrtenbäumen. Das Heer pflückte die Blätter von Efeu und Weinreben und streifte mit bekränzter Stirn gleich Bakchanten durch den ganzen Hain; von den Rufen der Tausende, die den Gott als Herrn des Hains anbeteten, widerhallten Berg und Tal, als sich die Ausgelassenheit von wenigen auf alle ausgebreitet hatte. Wie mitten im Frieden warfen sie sich in die Pflanzen und angehäuftes Laub nieder. Auch der König war der sich bietenden Fröhlichkeit nicht abgeneigt, veranstaltete für alle reichliche Gelage und ließ das Heer zehn Tage lang dem Gotte opfern (Curt. VIII 10, 12–17). Bei Iustin. XII 7, 7f. führt Alexander das Heer zur Besichtigung des heiligen Berges, der von Natur aus mit Efeu und Weinreben bedeckt war, wie wenn er von Menschenhand und durch den Fleiß der Verehrer des Gottes bepflanzt worden wäre; das Heer verstreut sich, durch eine plötzliche Eingebung begeistert zu den heiligen Anrufen des Gottes, zum Staunen des Königs, der durch die Schonung nicht so sehr für die Bewohner als für das Heer Sorge getragen zu haben erkennt. In der Epit. Mett. 102, 19–21 ist der Meros kurz beschrieben: die ganze Flur (ager) hat einen Überfluß an Wasser und ist voll mit dem reichen Ertrag aller Arten der fruchtbarsten Bäume. – Diese Schilderung des Meros und des Aufenthaltes Alexanders auf seinem Gipfel trägt keine individuellen Spuren; unter die τεκμήρια der Anwesenheit des Dionysos in Indien gehören der Efeu und Wein, die auch hier, am Meros, vorkommen. Bei Kleitareh (FGrH 137 F 17) ist es ein dem Efeu ähnliches, σκινδαψός genanntes Gewächs (s. Jacoby Komm. 492); von Lorbeer, Efeu und Reben auf dem N. spricht Philostr. vit. [1647] Apoll. II 8; Lorbeer- und Buchsbaum neben Wein und Obstbäumen schreibt Plin. n. h. VI 79 den Astacani zu, die die Nachbarn von N. waren (Arrian. Ind. I 1).

§ 3. „Beweise“ für ersteres und Kritik des zweiten im Altertum.

An diese ,Beweise‘ für den Zug des Dionysos nach Indien schloß sich in der Zeit nach Alexander die Kritik im Altertum an.

Megasthenes hielt mit wenigen, wie Strab. XV 1, 7 p. 687 sagt, das über Herakles und Dionysos Erzählte für glaubhaft, während die Mehrzahl, unter ihnen Eratosthenes, es als unglaubhaft und fabelhaft erklärte. Megasthenes hat zu den vor ihm gebräuchlichen Beweisstücken noch ein neues hinzugefügt. Nach Strab. XV 1, 58 p. 711f. (= frg. 41 Schw.) hat er die Bergbewohner als Verehrer des Dionysos bezeichnet, die als Beweis auf den allein bei ihnen vorkommenden wilden Wein hinwiesen, auf den Efeu, Lorbeer, die Myrte, den Buchsbaum und andere immergrüne Gewächse, von denen keines über den Euphrat hinaus wachse, außer einigen wenigen und mit großer Sorgfalt in Lustgärten gepflegten. Als weiteres Kennzeichen für dionysische Sitten fügt er zu den schon aus Curtius und Plinius bekannten Gewächsen das Tragen von Baumwollgewändern (vgl. 1, 71) und Kopfbinden (ebd. vgl. L. v. Schroeder Wiener Ztschr. f. Kunde d. Morgenl. XIII 1899, 397ff.) hinzu, das Benützen von Salben (vgl. 1, 54), buntgefärbter Kleidung (vgl. 1, 8. 54. 71), das Glocken- und Paukenspiel bei Auszügen der Könige (vgl. 1, 55). Diese Auszüge werden einerseits von Megasthenes allgemein den indischen Königen zugeschrieben (Strab. XV 1, 59. 69), andererseits bei den Sydraken (Oxydraken) lokalisiert (1, 8), die als Nachkommen des Dionysos gelten. Daß Megasthenes an Dionysos’ Zug nach Indien geglaubt hat, geht auch aus seiner Schilderung der ältesten Geschichte Indiens, seiner kulturellen Entwicklung dank Dionysos (Arrian. Ind. V 4–10. VII 2 bis VIII 3) hervor; in dieser Archaiologie kehrt V 9 N. und der Meros wieder, der Efeu und die unter Pauken und Cymbeln erfolgenden Auszüge in die Schlacht, die bunten Kleider, der Hinweis auf die Ähnlichkeit mit den Bakchen (vgl. VIII 1, wo Spatembas als König der Inder von Dionysos eingesetzt wird, der unter dessen Gefährten der bakchisch begeistertste war).

Arrianus hat sich den Geschichten über N. gegenüber unentschieden verhalten, es hat den Anschein, als hätte er sie nicht zu verwerfen gewagt und lieber dem Leser die Entscheidung anheimgestellt. Anab. V 1ff. erzählt er die N.-Episode losgelöst von den Ereignissen des IV. Buches, schon dies ist vielleicht äußerlich ein Zeichen, daß er sie außerhalb des historisch Gesicherten gestellt haben will; darauf deutet auch die indirekte Darstellung zu Beginn, die Berufung auf die Berichte. Er verschanzt sich hinter die Mythologie über die verschiedenen Dionysoi und hinter die Überlegung, man dürfe bei Prüfung der alten Überlieferungen über die Gottheit nicht zu genau sein, da das Göttliche das als glaubhaft erscheinen lasse, was der Wahrscheinlichkeit nach unglaubhaft sei (V 1, 1f. Nach Kornemann Alexandergesch. d. Königs Ptolemaios 28. 147 stellt V 1 und 2 eine Kontamination [1648] aus Aristobul und Ptolemaios dar, beginnend mit ersterem, auf den V 1, 1 zurückgeht, dem auch die Verletzung der Chronologie zuzuschreiben sei). Die N.-Episode schließt er mit den Worten ab, jeder könne sie glauben oder ablehnen, wie er wolle, er selbst, Arrian, stimme nicht dem Eratosthenes bei, der alles, was die Makedonen auf die Gottheit zurückführen, Alexander zuliebe ins Übermäßige gesteigert erkläre (V 3, 1); eine Kritik Alexanders enthalten auch Arrians Worte (nach Strasburger Ptolemaios u. Alexander 42 und Kornemann 147 dem Ptolemaios zuzuschreiben) V 2, 1. In Ind. 17 nennt er die Dichter als Autoren der Erzählung über Dionysos in Indien, denen es die λόγιοι unter den Griechen oder Barbaren nacherzählen mögen, offensichtlich auch nur eine Verlegenheitsphrase. Während Diodor keinerlei Kritik am Berichte des Megasthenes übt (II 38), hat sich Strabo der ablehnenden Haltung des Eratosthenes angeschlossen (XV 1, 8); gegen das Vorkommen des Weins wendet er, auf Grund anderer Berichte offenbar (vgl. 1, 26. 58), ein, daß die Weintraube nicht zur Reife gelange, sondern durch die starken Regen auslaufe; 1, 9 p. 688 wendet er gegen die von Schmeichlern Alexanders erfundenen Erzählungen über Dionysos und Herakles ein, daß sie nicht von allen Berichterstattern überliefert sind, wiewohl sie große Taten waren und der Erwähnung wert; ferner, daß die Völker der Durchzugsländer nichts davon wissen. Curtius bezeichnet VIII 10, 12 die Ableitung der Sage von dem Verbergen des Dionysos im Schenkel des Zeus als eine licentia mentiendi der Griechen und macht, getreu seiner Einstellung gegen Alexander, im Anschluß an die Meros-Szenen hämische Bemerkungen (VIII 10, 18).

§ 4. Die moderne Forschung.

Die moderne Forschung hat sich an den Nachweis von N. gehalten. V. de Saint-Μartin (Mém. Acad. Inscr., I Sér., T. 5, 2, Paris 1858, 38) glaubt in dem Dorf Nysatta am Nordufer des Kābul, zwei Meilen unterhalb Hashtnagars (18 Meilen nordöstlich von Peshawar, vgl. Corp. Inscr. Indic. II 1, 117f.) das alte N. wiederzufinden. Aus dem iranischen Namen schließt er auf eine medische oder persische Gründung, indem er sich auf Nisāya in der iranischen Kosmo- und Geographie beruft (38, 2). Aus sprachlichen und topographischen Gründen kommt eine solche Beziehung nicht in Betracht; die Griechen unterscheiden ein Nisaia und das Νήσαιον πεδίον, wie die iranischen Quellen ein solches zwischen Mouru und Bāxdi (s. Bartholomae Altiran. Wörterbuch s. v. 1085f. Marquart Erānshahr 78f.; Untersuch. z. Gesch. v. Eran, Philol. Suppl.-Bd. X 1905, 66. 72, 1. 158ff. Herzfeld Arch. Mitt. aus Iran II 1930, 77). Lassen (Ind. Alt. II2 141ff.) glaubt, Akuphis sei mit seiner Gesandtschaft zu Alexander gekommen, als dieser im Lande der Assakener weilte (so auch Dunkker Gesch. d. Alt. III4 327), so daß Alexander die Stadt N. gar nicht berührt hätte; der Besuch der Gegend sei deutlich eine Dichtung. Er sucht N., das ein griechischer Namen eines ähnlich klingenden indischen sei, im Berge Niṣadha, der im Süden des Meru liege; als das Volk der Nysaier will er die Utsavasanketa ansprechen, die in den Norden verlegt werden, er verweist [1649] endlich auf die bei den modernen Bewohnern herrschenden Sitten, die reichlich Wein genießen (I2 500, 518ff.). Gegen diese Ansicht lassen sich mehrere Einwände erheben; zunächst sprechen die Nachrichten von einer Belagerung, die Rede des Akuphis dagegen, daß Alexander nicht selbst nach N. gekommen wäre; auch Arrian erwähnt den Anmarsch der Makedonen wie Plutarch; die Utsavasanketa sind ein mythisches Volk, das in sieben Verbände gegliedert war und dessen Lokalisierung unsicher ist (Mahābh. II 27, 16. 32, 9. VI 9, 61; Kālidāsa, Raghuvaṃśa IV 78; vgl. Pargiter Mārkaṇḍeya-Purāṇa, trsl. 319 Anm.*, der den Namen auf den freien Geschlechtsverkehr deutet; bei L. v. Schroeder Indiens Liter. u. Kultur 366 Niṣāda, die nicht mit Niṣadha, dem Berg bzw. Volk, verwechselt werden dürfen); der Niṣadha-Berg, westlich oder südlich des Meru, ist eines der großen Gebirgssysteme der indischen Kosmographie (s. Kirfel D. Kosmogr. der Inder 104. 109) und hat mit dem Parapanisos nichts zu tun.

Die antiken Quellen lokalisieren N. im Gebiete zwischen Kophen und Indos; bei Strab. XV 1, 27 p. 698 sitzen in diesem Raume die Astakenoi, Masianoi, Nysaioi und Hypasioi; dann folgt die Hauptstadt der Assakaner, Masoga, am Indos liegt Peukolaitis; bei Arrian rückt Alexander vom Kophengebiet nach Teilung des Heeres ins Land der Aspasier, Guraier und Assakener vor, zieht erst längs des Choes, überschreitet ihn, erobert eine ungenannte Stadt, besetzt Andaka, nach einem Kampfe mit den Einwohnern einer am Euaspla? gelegenen Stadt, wo sich der Führer der Aspasier aufgehalten hatte; nach Verfolgung der geflüchteten Feinde findet er die Stadt Arigaion gleichfalls in Brand gesteckt, läßt sie aber durch Krateros aufbauen, dann lagert er am Fuße eines Berges, unternimmt von da aus einen Angriff auf die die Höhen besetzt haltenden Feinde, während ein Teil des Heeres im Lager bleibt (anab. IV 23–25, 4). Durch das Land der Guraier zieht Alexander gegen das Land der Assakenoi; er stürmt Massaga, wo sich Mutter und Tochter des Assakanos aufhielten, erobert Ora und Bazira, alle drei Städte werden befestigt (25, 5–28, 3). In das Land der Assakener fällt er nach Eroberung des Aornosfelsen ein (30, 5). Bei Curtius liegt N. vor den Aktionen gegen Daedala, Acadira, Beira, Mazagae, schließt sich gleich den ersten Kämpfen an, bei denen Alexander durch einen Pfeil verwundet worden war, was bei Arrian. IV 23, 3 entspricht, nachdem er den Choes überschritten hatte. Auch nach Iustin. XII 7, 6–9, wo die montes Daedali der Königin Kleophis erwähnt sind (vgl. Oros. III 19, 1), und nach der Epit. Mett. 102, 22, wo von den Cordiaei montes die Rede ist, müßte N. am Anfang der indischen Kampfhandlungen gestanden haben. Demgegenüber nennt der Geograph Ptolem. VII 1, 43 in der Goryaia die Stadt Ναγάρα ἢ Διονυσόπολις, die man mit N. identifizierte; dieser Ort des Ptolemaios dürfte bei Begrām, 2 Meilen westlich von Jalālābād, zu lokalisieren sein (s. Ναγάρα o. Bd. XVI S. 1573, 53; ferner: Bābur-nāma [s. u.] II App. E); dort sucht auch die Mehrzahl der Forscher N. Schuffert (Progr. Colberg 1886, 12f.) setzt das Gebiet der Nysaier westlich des [1650] Choaspes ,in dem Thale des Katlan, eines rechten Nebenflusses des Choaspes, der oberhalb Tschijar Seraj mündet‘ an, den er für identisch mit dem Choes (Koas) und Euaspla und dem heutigen Kunar entsprechend hält; er verweist auf einen Bericht des afghanischen Missionars Syud Schah (Peterm. Mitt. 1883, 406) über den mit Tanz und Weingenuß verbundenen Feiertag in jeder Woche, der Aggar heißt und mit dem Montag zusammenfällt, bei dem Kamos-Stamm der Sijah-Posh in Kāmdesh oder Kāmbagrām. Im Kunar-Gebiet, bei Nizhai am Petsch, einem Nebenfluß des Kunar, glaubte G. S. Robertson (The Káfirs of the Hindukush, London 1896; s. o. Bd. XV S. 1068) N. wiederzufinden, und ihm stimmt E. Trinkler (Peterm. Mitt. Ergh. 196, 1928, 59f.) bei, der es westlich von Choaspes-Kunar im östlichen Kāfiristān nach Curtius ansetzt. Marquart (Unters. z. Gesch. v. Eran II 243) denkt bei N. an das Gebiet von Kāfiristān, und hält es für möglich, daß Hekataios von Abdera (s. 94ff.) das am Parapanisos ,wohnende Schlaraffenvölkchen der Nysaier mit den seligen Hyperboreern der hellenischen Sage kombinierte‘; zu einer solchen Annahme besteht kein Anlaß, weil von N. keine paradiesischen Zustände berichtet werden und für eine indische Analogie zu den Hyperboreern die Ottorokorrai mit dem Berg Ottorokorras bei Ptolem. VI 16, 2f. und ihrer Stadt Ottorokorra (VI 16, 5. 8. VIII 24, 7) eher herangezogen werden könnten. Von einer Namensähnlichkeit ausgehend lokalisiert F. Pincott (Journal R. Asiat. Soc. 1894, 677ff.) N. 45 Meilen nordöstlich von Chitrāl, beim heutigen Dorfe Nisār, in der Nähe von Mastūj, das 10 000 Fuß hoch liegt; der Meros ist der Große Pamir am Kunar. Berthelot (L’Asie ancienne d’après Ptolémée, Paris 1930, 281) sucht N. nahe beim Zusammenfluß des Kophen und Koas, das ist Kābul und Kunar. Lassen (142) nimmt die Lage von einer N. entsprechenden Örtlichkeit im östlichen Kābulistān an wegen der Nachbarschaft der Assakener, die er mit Rücksicht auf den Fürsten Astes in der Peukelaotis und auf den Astor genannten nördlichen Zufluß des Indos an der Westgrenze Indiens ansetzt. Anspach (De Alex. m. exped. Ind. I 20f.) entscheidet sich für eine Lage N.s diesseits des Guraios (Panjkora) an einem nicht genannten Flusse, beim modernen Danishkol, das westlich von einem Fluße begrenzt wird, der sich in den Panjkora ergießt. Holdich (Geogr. Journ. VII 1, 1896, 46ff.) sieht in den Nysaiern Nachkommen eines westlichen Volkes, die im Swāt und Bajaur wohnten und Weinbau pflegten; Männer aus Kāmdesh (s. o. S. 1650, 11) kannten einen Kriegsgott Gish, dessen Geburt sie in einem Lied auf den Gir-Nysa verlegten; Smith (Early History of India4 57 n.; vgl. Cambridge History of India I 353f.) schließt sich Holdich an, zumal dieser (43f.) auf den dreigipfeligen Koh-i-Mor, einen auf dem rechten Ufer des Panjkora, fast gegenüber der Vereinigung mit dem Swāt gelegenen Berg verweist, den er im Anschluß an die Notiz des Polyain. I 1, 2 über den Meros mit diesem identifiziert.

§ 5. Analyse der griechischen und indischen Elemente.

Diese verschiedenartigen Vorschläge für die Lage von N. zeigen die Unsicherheit, die sich [1651] aus der Unklarheit der Topographie in den antiken Quellen ergibt.

Die Andeutungen bei Arrian. anab. V 1, 5 in der Rede des Akuphis, wo er einen Vergleich zwischen Dionysos und Alexander als Städtegründer zieht, die Bezugnahme auf Alexanders Wunsch über die Glaubhaftigkeit der Erzählungen (2, 1), und die Alexanders selbst in seiner Ansprache an die zur Umkehr mahnenden Soldaten (V 26, 5f.), die Ansicht des Strabon (XV 1, 9 p. 688) von den Erdichtungen der Schmeichler, des Eratosthenes (1, 7 p. 687; Arrian. anab. V 3, 1), des Curtius (VIII 10, 12), endlich des Philostratos (vit. Apoll. II 9), sie alle zusammen bereiten keinen allzu günstigen Boden für die Glaubwürdigkeit der N.-Episode vor. Die Nachahmung des Dionysos auf dem Rückzug durch Karmanien haben Ptolemaios und Aristobulos nicht berichtet, wie Arrian. anab. VI 28, 2 feststellt, sie geht wahrscheinlich auf Kleitarch zurück (vgl. Diod. XVII 106, 1. Curt. IX 10, 24–27. Plut. Alex. 67), der ja auch von einer sonst nicht bekannten Efeuart am Berge N. spricht und vielleicht mehr darüber berichtet hatte (vgl. Plin. n. h. VIII 141). Arrian hat Ind. I 4 die Nysaier als nichtindisches Volk erklärt; die Verbindung des indischen Welt- und Götterberges Meru mit dem Meros und der Schenkelgeburt des Dionysos stammt also nicht unmittelbar aus der Zeit Alexanders, sondern erscheint vielleicht bei Megasthenes, der aus dem Namen des Berges die griechische Sage vom μηροτραφής ableitet. Wenn auch Curtius und Arrian den Meros und die Schenkelgeburt des Dionysos erwähnen, so ist damit noch nicht deren Vorkommen bei Kleitarch erwiesen, zumal Curtius die Akuphis-Episode nicht überliefert. Unsicher ist ferner, ob der Meros mit dem Meru zusammenzustellen ist; letzterer ist nicht nur der Götter- und Weltberg, sondern auch ein im Norden gelegener Berg (Varāhamihira, 6. Jhdt. n. Chr., Bṛhatsaṃhitā XIV 24). Die Kenntnis des Götter- und Weltberges ist eher bei Megasthenes zu erwarten als bei den unmittelbaren Alexanderschriftstellern. Wenn Polyainos’ drei Gipfel: Korasibie, Kondaske und Meros auf Megasthenes zurückgehen (= frg. inc. 57 Schw.; anders Philostr. vit. Apoll. II 8), so hätte er über ihn noch mehr geschrieben; vom Gipfel des Meru, des Götter- und Weltberges, heißt es, daß er eine Fläche mit der Stadt des Brahman bildet (Kirfel 16*. 94) oder daß die Gaṅgā in vier Teile geteilt auf seine vier höchsten Kuppen stürzt (ebd. 109), wie nach jinistischen Quellen ,im Haine Paṇḍaka, der die vom Aufsatze freigelassene Gipfelfläche einnimmt, vier große halbmondförmige Felsen aus Silber und Gold liegen‘ (ebd. 16*); oder der Meru hat die Form eines abgestumpften Kegels mit drei ringförmigen Absätzen (ebd. 23*. 229); endlich gibt es bei den Jaina mehrere Meru (ebd. 250).

Die Griechen überliefern als Namen des an der Spitze von N. stehenden Mannes Ἄκουφις (Arrian. anab. V 1, 3f. 2, 2–4; Plut. Alex. 58, 5; in der Epit. Mett. 102, 15. 17: Augypes; vgl. Berve Suppl.-Bd. IV S. 12; Alexanderreich II 17 nr. 36); ein iranisches (s. Justi. Iran. Namenbuch s. v.) oder indisches Äquivalent ist nicht nachweisbar; man könnte an eine Vṛddhiform von Kubhā, dem indischen Namen für den griechischen [1652] Κωφήν, Kābul, denken, an ein *Kaubheya; dabei bliebe jedoch nicht nur das anlautende A unberücksichtigt (vgl. jedoch andererseits Ὀξυδράχαι: Kṣudraka), sondern es besteht die griechische Namensform Κωφαῖος (Arrian. IV 28, 6) für den wahrscheinlich am Unterlauf des Kophen herrschenden Fürsten (s. Berve II 229 nr. 458; o. Bd. XI S. 1361). Die Verfassung von N. entspräche der eines griechischen Stadtstaates, obgleich es sich um einen Bergstamm handelt. (Die von Kornemann 147 aufgezeigte Analogie mit der Verfassung der indischen Staaten jenseits des Hyphasis in anab. V 25, 1 übersieht nicht nur die Verschiedenheit der Quellen beider Nachrichten, die keine gegenseitige Stütze bilden können und von denen die erstere eine Vorwegnahme der zweiten sein müßte, sondern auch Arrians ausdrückliche Bemerkung in Ind. I 4, daß die Nysaier kein indischer Stamm seien, zumal ihre Stadt auch auf Ansiedelung griechischer Veteranen zurückgehe.) Seine Leitung liegt in der Hand von 300 προεστῶτες, die als die angesehensten Bürger des πολίτευμα gelten; ihr Vornehmster (κρατιστεύων: Arrian. anab. V 1, 3) oder Ältester (πρεσβύτατος: Plut. Alex. 58, 5; vgl. Epit. Mett. 102, 7f.) wird von Alexander als Hyparch eingesetzt (Arrian. V 2, 2). Die Bevölkerung soll zur Zeit der Besiedelung 50 000 Seelen betragen haben (o. S. 1642). Die 300 Reiter waren nur ein Teil der zur Verfügung stehenden Reiterei; sie werden Arrian. VI 2, 3 nach N. zurückgeschickt. Vielleicht hat bei der gewiß unverdächtig aussehenden Friedensbedingung, 300 Reiter mitzugeben, im Zusammenhang mit der übrigen romanhaften Verhandlung zwischen Alexander und Akuphis die Vorstellung (und Verwechslung?) von N. mit dem durch seine Pferdezucht berühmten Nesaia mitgespielt; Philostrat. vit. Apoll. II 12 spricht vom Nisaischen Pferde, einer aus Νισαίου (Νυσαίου?) und Νησαίου kontaminierten Form, wie es scheint, oder in Anlehnung an die Νισαῖοι bei Ptolem. (VI 17, 3; vgl. 10, 4) eingetretenen Verwechslung. (Über den vermutlichen Autor dieser Notiz, Ptolemaios oder Nearchos, s. zuletzt Kornemann 28. 147. 153.)

Unter die τεκμήρια für die Anwesenheit des Dionysos gehören der Efeu, Lorbeer, Myrte und Wein; zu beachten ist, daß Arrian weder anab. V 2, 6f. noch Ind. V 9 von Wein spricht, und daß Strab. XV 1, 8 p. 687f. das Ausreifen des Weines wegen der starken Regen leugnet. Wein überhaupt in Indien wird bei den Sydrakoi, den Nachkommen des Dionysos, bei Strab. a. O. bezeugt, also im Punjab (vgl. 1, 33 p. 701. 1, 58 p. 711f.), womit im Widerspruch steht, daß in Indien kein Wein gedeihe (in 1, 58 ist es wildwachsender Wein), mit Ausnahme des Gebietes des Musikanos nach Onesikrit. (FGrH 134 F 22 = Strab. XV 1, 22 p. 694). Die Weinrebe soll, wie Theophrast. h. pl. IV 4, 11 (vgl. Solin. 52, 24) berichtet, in Indien vorkommen; es handelt sich um das Grenzgebiet, im Kābulgebiet, Kašmir, Persien; für die chinesischen Berichte vgl. B. Laufer Studia Sino-Iranica 220ff., bes. 239ff.; für die Zeit Bābers (16. Jhdt.) bezeugt ist der Wein in Kāfiristān in seinem Bābur-nāma (trsl. Beveridge Lond. 1922, I 211f.); dieser Wein, aus Trauben gekeltert, hat keine berauschende [1653] Wirkung (Peterm. Mitt. 1883, 408; Bābur-nāma I 212 n. 4) und wird in Bajaur eingeführt (ebd. 372), im Gegensatz zum Wein aus Kābul (ebd. 203, vgl. n. 7; über Wein aus Lamghān 210f.). Der französische Reisende Tavernier (trsl. Ball-Crooke Lond. 1925, I 77. 229) weiß von dem in Lahore erhältlichen Wein und seiner Seltenheit in Indien zu berichten, der eingeführt werden muß. Den Reichtum an Früchten in Afghanistan, besonders im Kābulgebiet erwähnt das Bābur-nāma I 202f. (die gleichen Imper. Gazetteer, of India, Afghānistān 31; 60 über den Wein), aber über Lorbeer, Myrte, besonders Efeu schweigen die Berichte (vgl. Bretzl Botan. Forsch. d. Alexanderzuges, Lpz. 1903, 241ff.). Auch die altindischen Quellen, die zwei Arten von Wein kennen (drākṣā und mṛdvīkā), deuten auf sein Vorkommen im Norden und Nordwesten. So ist die Erzählung vom Weingenuß im nördlichen Kābulgebiet glaubwürdig.

Auch in der darstellenden Kunst Altindiens lassen sich Szenen nachweisen, die man als bakchantisch bezeichnet hat, so auf der Innenseite der Verschalplatte des obersten Architravs am östlichen Stūpa-Tor von Sanchi, wo von zwei auf gehörnten Löwen reitenden Männern einer in der linken Hand eine Weinrebe mit Traube hält. Man hat dabei an griechischen Einfluß gedacht, besonders in der Gandhārakunst Nordwest-Indiens. Smith (A History of Fine Art In India and Ceylon2, Oxford 1930, 74f.) lehnt die Entlehnung gerade der Weinszenen ab, da Wein in Indien vorkomme (vgl. Pl. 40 C. 42 A); aber gegenüber dem reichen Material an bakchantischen Szenen, mit der durch Wein, Weib und Tanz betonten, zur religiösen Sphäre der buddhistischen Kunst so abstechenden Lebensfreude, wird man um so weniger den griechischen Einfluß verkennen wollen (vgl. Foucher L’art gréco-bouddhique I Fig. 127–131 p. 255ff.), als gerade Satyrn, Silen und Dionysos selbst, wenn auch indisch abgewandelt, entgegentreten (ebd. II p. 53 Fig. 330; p. 150ff., s. Fig. 504. Coomaraswamy Gesch. d. ind. u. indones. Kunst 70, Anm. 2 mit Lit. J. Ph. Vogel La sculpture de Mathurā, Ars Asiatica XV 52ff. Pl. XLVII a. XLVIII).

Auf der anderen Seite hat die unter dem Einfluß des Alexanderzuges ausgebildete Vorstellung vom Siegeszuge des Dionysos nach Indien auch in der griechisch-römischen Kunst ihren Ausdruck gefunden (s. B. Graef De Bacchi exped. Ind., Diss. Berl. 1886. H. Graeven Jahrb. Arch. Inst. XV [1900] 195ff.; Österr. Jahresh. IV [1901] 126ff.).

§ 6. Zusammenfassung.

Zusammenfassend läßt sich über N. sagen: die bei den Griechen bestehende Sage von Göttern als Kulturbringern, besonders über Dionysos, hat durch die Erschließung Indiens infolge des Feldzuges Alexanders d. Gr, eine Ausdehnung dieser göttlichen Expeditionen über die schon bekannte Oikumene gebracht. Alexander selbst nährte die Vorstellungen der Griechen, der Vergleich mit Dionysos und Herakles, von Schmeichlern nahegelegt, fand bei ihm gern Gehör. Andererseits boten die Gegend und ihr Reichtum an Früchten, darunter Wein, der an Griechenland erinnerte, vielleicht auch religiöse Gebräuche der Bergstämme im Kābulgebiet Anknüpfungspunkte für die Verlegung [1654] eines N. nach Indien; unter der Einwirkung der Mythe von der Schenkelgeburt und einer verballhornten Kenntnis des indischen Götter- und Weltberges Meru hat wahrscheinlich Megasthenes, der zunächst in Arachosien wirkte, dann durch den Nordwesten nach Osten (Pāṭaliputra, d. i. heute Patna) als Gesandter des Seleukos Nikator kam, bestärkt durch gewisse Bräuche (Kleidung, Musikinstrumente, prächtige Aufzüge u. dgl.), die Mythe von der Anwesenheit des Dionysos in Indien bestätigen zu können geglaubt. Von einem Nachweis einer Örtlichkeit N. in Indien kann keine Rede sein: ,Nysa ist ein Land der Phantasie‘ (o. Bd. V S. 1035), das muß auch für N. in Indien gelten (so auch Aurel Stein Serindia I, Oxford 1921, 3 n. 5). Das einzige aus dem mythenhaften Charakter herausfallende Zeugnis der Realität von N. sind die von Alexander zurückgesandten 300 Reiter bei Arrian. anab. VI 2, 3; das kann auch die Notiz des gewissenhaften Historikers sein, da er sie nirgends bei den Aktionen Alexanders erwähnt fand. Deswegen an die Existenz eines N. zu glauben (vgl. Niese Griech. und maked. Staaten I 129, 3) wäre eine Überschätzung dieser Bemerkung Arrians (vgl. Strasburger 42. Kornemann a. O.). Die Widersprüche der Autoren über die Aktion Alexanders bei N. (Belagerung: Kampf: friedfertige Verhandlung), die anekdotenartige und romantische Ausschmückung der Unterredung des Akuphis mit Alexander, die angebliche Rede des ersteren, die Meros-Szenen, die Alexander nach den antiken Quellen erwünschte Anknüpfung an die Mythologie und Religion, die Skepsis und Kritik in diesen Quellen, die verschiedenen N. in den Nachbarländern, die Unklarheit der Angaben für eine Lokalisierung N.s, die Verbindung mit dem Berge Meros, dem indischen Berge Meru, endlich die Anklänge gewisser Redensarten bei Arrian an ähnliche Situationen (z. B. Ind. I 4: anab. V 29, 3; vgl. die behauptete Besiedlung N.s durch Alexander V 1, 1), dies alles macht die Existenz eines Ortes wie N. wenig wahrscheinlich und legt den Verdacht nachträglicher Erfindung nahe. Die Auswirkung in der Alexander- und Dionysos-Mythe erstreckt sich nicht nur auf die Literatur, sondern auch auf die griechisch-römische Kunst; vielleicht hat der Indienfeldzug Alexanders und der angebliche des Dionysos mittelbar auch auf die indische Plastik und Malerei motivisch Einfluß gehabt.

II. Die Lage von Nysa.

Νύσα, Νῦσα, Νύση, auch Νύσσα, der Ort, wo Dionysos erzogen wurde und den ersten Weinstock anpflanzte, um durch Pressen der Trauben den Wein zu gewinnen. Darauf soll Dionysos die Welt durchzogen und überall den Weinbau eingeführt haben; Weinorte entstanden, die denselben Namen N. annahmen. Steph. Byz. s. v. kennt zehn Städte dieses Namens: in Helikon, in Thrakien, in Karien, in Arabien, in Ägypten, auf Naxos, in Indien, am Kaukasos, in Libyen, auf Euboia. Bei dieser großen Anzahl wußte man bald nicht mehr, welcher Ort das ursprüngliche N. war. Zwar konnte man die griechischen und einige andere Städte als spätere Gründungen ausscheiden, aber bis heute schwankt man, ob ein indisches, arabisches oder libysches N. als Heimat des Dionysos in Frage kommt. [1655]


Die Lage von Nysa und die Verbreitung des ältesten Weinbaus.
Nachtrag: Als Ursprung des Weinbaus kommt auch das Quellgebiet des Segia el-Hamra, 370 km östlich von Kerne, in Frage.

Das ganze Problem kann nur im Zusammenhang mit der Frage des ältesten Weinbaus erörtert werden (s. auch den Art. Wein): wo sind die ältesten Funde der Edelrebe, wohin weisen die ältesten Überlieferungen der Orientalen und der Griechen? In beiden Fällen gelangen wir nach Nordwestafrika. Damit werden endlich alte griechische Überlieferungen verständlich, wonach N. eine bewaldete, fruchtbare Insel im Oberlauf des Tritonflusses war.

Prähistorische Funde der Edelrebe.

Während die Wildrebe (vitis silvestris) durch zahlreiche Funde aus der jüngeren Steinzeit bekannt ist, liegen uns über die Edelrebe (vitis vinifera), die sich von der Wildsorte durch ihre größere, schlankere und weichere Form unterscheidet, nur wenige gleichzeitige Fundorte vor (Werth Ursprüngliche Verbreitung und älteste Gesch. d. Weinrebe; Wein und Rebe XIII 1ff.); in den Pfahlbauten von Auvergnier und in Gräbern der ersten ägyptischen Dynastie. In letzterem Falle handelt es sich, was von besonderer Bedeutung ist, um Import aus dem Westen; es waren nämlich libysche Weinkrüge. Dies läßt für die jüngere Steinzeit auf eine geordnete Gartenwirtschaft in Libyen schließen (vgl. Baumgärtel Reallex. d. Vorgesch. XIII 480). Erst der Bronzezeit gehören entsprechende Funde aus Griechenland und Illyrien an; die ältesten Kerne der Edelrebe stammen dort aus den spätmykenischen Schichten des boiotischen Orchomenos (16.–13. Jhdt. v. Chr.). Dagegen liegt uns nichts vor aus den Kulturstätten Asiens (aus Troia II hat man nur Spuren der Wildrebe gefunden).

Überlieferungen über den ältesten Weinbau.

Dasselbe Bild ergibt sich aus einem Vergleich der Überlieferungen. China lernte die Edelrebe erst 114 v. Chr. durch den kaiserlichen Gesandten Chang K'ien kennen, als er nach Ta-wan (Ferghāna) kam (De Groot Chines-Urkunde z. Gesch. Asiens II 12. 109f.). Den Babyloniern war der Wein als Getränk zwar schon um 3000 v. Chr. bekannt (Meißner Babylonien u. Assyrien I 207. 242), er wurde aber im Lande noch nicht angebaut. Woher er eingeführt wurde, wissen die babylonischen Quellen nicht.

Man hat an den semitischen Landbaukreis gedacht, wenn nach Gen. 9, 21ff. Noah den ersten [1656] Weinberg pflanzte. Nun ist aber zu beachten, daß die vorliegende Sage die Umgestaltung und Erweiterung einer älteren Fassung ist, nach der Noah nicht als der Vater von Sem, Ham, Japhet gilt, sondern von Sem und Kanaan (J. Herrmann Ztschr. f. alttestamentl. Wiss. 1910, 127ff. A. Herrmann Die Erdkarte der Urbibel 87). Von beiden Völkern, Sem und Kanaan, war Kanaan der ältere Kulturträger; danach kann der erste Weinbauer Noah nur ein kanaanitischer Ahnherr sein. Das führt uns von Palästina nach Nordwestafrika, wo die biblische Völkertafel (Gen. 10, 6) und das Buch der Jubiläen 9, 1 Kanaan als Sohn Hams ansetzen (weiteres A. Herrmann 71). Hiermit werden wir wieder in dasselbe Gebiet verwiesen, das wir schon aus den ältesten ägyptischen Funden kennengelernt haben.

Ja, wir sind in der Lage, den Standort des ersten Weinstockes noch näher zu bestimmen. Wir haben keine Veranlassung, an die bekannten Weinbaugebiete Kleinafrikas (Tunesien, Algerien, Marokko) zu denken. Eine bisher übersehene Angabe des Peripl. Skyl. 112 führt uns nämlich viel weiter südlich bis zum 28° n. Br.; dort, wo gegenüber den Kanarischen Inseln beim alten Kerne das Trockenbett des Segia el-Hamra ausmündet, bezogen die phönizischen Händler von den Aithiopen eine Menge von Wein. Die Phönizier wären im 6. Jhdt. v. Chr. sicher nicht soweit nach Süden gefahren, wenn sich dieser Weinhandel nicht gelohnt hätte. Zunächst ist es von besonderer Bedeutung, daß es hiernach ein aithiopisches Volk Westafrikas war, das eine hochentwickelte Weinkultur besaß und soviel produzierte, daß es eine Menge ausführen konnte. Sodann erschließt uns die Angabe ein Weinland, das heute wegen der tropischen Hitze und der ungeheuren Wasser- und Regenarmut im allgemeinen keinen Weinbau zuläßt. Nur aus dem Hinterland des Segia el-Hamra, und zwar aus der Oase Tenduf wird uns noch etwas Weinbau bezeugt (vgl. Lee The North-West Coast of Africa, J. Manchester Geogr. Soc. 1886, II 151). Sonst hat sich das Landschaftsbild der nordwestlichen Sahara vielfach verändert.

Vor allem gilt dies von dem südlichen Hinterland Algeriens und Tunesiens. Heute entsteht [1657] in dem wild zerklüfteten Ahaggargebirge, der Heimat der Tuaregs, das Wadi Igharghar, um etwa unter 28° n. Br. bei dem französischen Fort Flatters im Sande der Großen Erg zu verschwinden; ein anderer Igharghar fließt weiter westlich und berührt die Oase Touggourt. Aus den zahlreichen prähistorischen Funden ergibt sich aber, daß die ganze zu den Schotts nordwärts sich abdachende Fläche, wie auch einige Spuren inmitten der Wüste schließen lassen, einst gut bewässert war und darum der südliche Igharghar seinen Lauf fortsetzte bis zum Schott el-Djerid, wo A. Herrmann ein ausgedehntes altes Delta wiederfand (Näheres mit weiterer Literatur Herrmann Unsere Ahnen und Atlantis 122ff.). Er glaubt hiermit den langgesuchten Triton wiedergefunden zu haben, der nach Herodot. IV 191 als großer Strom Libyen in zwei Teile, ein Nomadengebiet im Osten und ein Ackerbaugebiet im Westen, teilte und von Süden her in den Tritonsee, den Vorläufer des Schott el-Djerid, mündete.

Mit diesem Tritonfluß ist aber nicht ein anderer gleichen Namens zu verwechseln, über den eine libysche Quelle bei Diod. III 52ff. berichtet (Herrmann Triton und die hellfarbigen Libyer, Rh. Mus. 86), derselbe, den wir oben als den heutigen Segia el-Hamra in Rio de Oro kennengelernt haben. Für die Frage der Lage von N. ist diese Unterscheidung von zwei Triton ausschlaggebend.

Die Frage nach dem ursprünglichen Nysa

Die Nachrichten über N. als Urheimat der Weinkultur klingen etwas verworren und haben daher der Erklärung die größten Schwierigkeiten bereitet; ein besonderer Gegensatz besteht darin, daß die einen N. nach Indien, andere nach dem Glücklichen Arabien, andere nach Libyen versetzen. Wer hat unter ihnen Recht? Wenn wir beachten, daß N. mit dem von Dionysos begründeten Weinbau schon in homerischer Zeit wohlbekannt war (Il. XIV 325; Hom. hymn. 26, 8f.), daß auf der anderen Seite Indien erst seit Hekataios, das Glückliche Arabien sogar erst in nachalexandrinischer Zeit in den hellenischen Gesichtskreis trat, so ergibt sich schon aus dieser Gegenüberstellung, daß nur der dritte Ansatz, der nach Libyen zu recht bestehen kann. Wie es zu den beiden anderen Ansätzen gekommen ist, soll im folgenden zunächst dargelegt werden.

Nysa in Indien vgl. o. S. 1640.

Nysa in Arabien.

So sehr vom Glücklichen Arabien der Reichtum an Weihrauch, Balsam und Gewürzen gerühmt wird, vom arabischen Wein ist kaum die Rede. Diodoros (III 46ff.) und Strabon (XV 767f.) erwähnen ihn bei der Beschreibung des Landes überhaupt nicht. Erst im Peripl. m. Erythr. 24 lesen wir von etwas Weinbau bei Mocha (Mokka).

Wenn es also bei Diod. I 15. III 64f. heißt, N., die Heimat des Dionysos, liege im Glücklichen Arabien, so kann diese Ansetzung nur auf einem Irrtum Diodors beruhen. Die Veranlassung gab offenbar Hom. hymn. 5, 8, N. liege fern von Phoinike, doch nahe dem Wasser des Aigyptos; denn hieran knüpft Diodoros jedesmal an. Wie er diese Angabe versteht, sagt er IV 2: zwischen Phoinike und dem Nil. Da zwischen beiden Arabien [1658] liegt, so schloß Diodoros auf ein arabisches N. Wir aber können dieser Schlußfolgerung schon deshalb nicht folgen, weil in jenem mythischen Zeitalter Arabien den Hellenen noch gänzlich unbekannt war. Die obige geographische Angabe muß daher ganz anders verstanden werden.

Nysa am Triton.

Wir beginnen mit Hom. hymn. 5, 8, da man die Angabe, wie wir eben sahen, bisher ganz mißverstanden hat: ἔστι δέ τις Νύση, ὕπατον ὄρος, ἀνθέον ὕλῃ, τηλοῦ Φοινίκης σχεδὸν Αἰγύπτοιο ῥοάων. Dazu kommt 26, 3: (Διόνυσον) ὃ τρέφον ἠύκομοι νύμφαι, παρὰ πατρὸς ἄνακτος δεξάμεναι κόλποισι, καὶ ἐνδύκεως ἀτίταλλον, Νύσης ἐν γυάλοις. Die ganze Beschreibung wird erst dann klar, wenn wir wissen, was an dieser Stelle Phoinike und der Fluß Aigyptos bedeuten. An das bekannte Phoinikien zu denken, wäre in diesem Zusammenhang abwegig. In Betracht kommt ein älteres Phoinikien, das sich aus verschiedenen Überlieferungen erschließen läßt (Näheres Herrmann Irrtümliche Namensversetzungen, Mžik Beitr. z. histor. Geographie 133ff.); ihr höchster Gott war der libysche Poseidon, dessen Heiligtum am Südufer des Tritonsees stand und mit der Umsiedlung der Bevölkerung durch Hanno an die Westküste Marokkos verpflanzt wurde (um 530 v. Chr., Hanno 4, Skyl. Peripl. 112). Der obige Ausdruck ,fern von Phoinike‘ kann also nur bedeuten: ,fern vom Lande am Tritonsee‘. Auch die weitere Lagebestimmung durch den Fluß Aigyptos erfordert eine andere Deutung. Nicht der Nil ist gemeint, sondern der Tritonfluß, wobei dahingestellt sei, ob der Triton Südtunesiens oder der Rio de Oros. Die Alten haben ihn natürlich wieder mit dem Nil des Pharaonenreiches zusammengeworfen; aber die beiden folgenden Zitate zeigen deutlich, daß er auch als Aigyptos den Fluß Nordwestafrikas bezeichnete: ,Triton ist der Neilos, weil dieser dreimal seinen Namen veränderte. Zuerst hieß er Okeanos, dann Adler, weil er reißend einherströmte, dann Aigyptos; Neilos ist aber ein neuer Name (Diod. I 19. Tzetz. Lykophr. 119).‘ ,Der Nil wird von Homer als Aigyptos, von anderen als Triton bezeichnet (Plin. n. h. V 53).‘ Hinzu kommt, daß auch der Name Aigyptos ursprünglich nichts mit dem Pharaonenreich zu tun hat, sondern den Stammvater eines Tritonvolkes bezeichnet, das sich ebenso wie der Stammvater der Phoiniker vom libyschen Poseidon herleitete (Näheres Herrmann Irrtümliche Namensversetzungen 127ff.). Der obige Ausdruck ,nahe den Wassern des Aigyptos‘ muß also bedeuten: ,nahe dem Tritonfluß‘. Wenn aber N. gleichzeitig fern von Phoinike liegen soll, so müssen wir am Fluß entlang weit nach Süden bis zum Ahaggargebirge gehen oder uns dem anderen Tritonfluß in Rio de Oro zuwenden.

Jetzt endlich verstehen wir, warum es heißt, N. liege auf hohem Gebirge in blumiger Waldung. Das Ahaggargebirge erhebt sich nämlich von 330 bis 3000 m und war, wie der Fund von Zypressen an seinem Nordhang beweist, in vergangenen Jahrtausenden weithin bewaldet (Lavauden Sur la présence d’un cyprès dans les montagnes du Tassili, Compte rendu Acad. Scienc. 22. févr. 1926). Wir befinden uns hier 550 bis 1000 km südsüdwestlich vom Schott el-Djerid [1659] (Tritonsee), eine Entfernung, die zugleich dem obigen Ausdruck ,fern von Phoinike‘ voll gerecht wird.

Aber auch auf den Tritonfluß Rio de Oros paßt die Angabe, da sein Oberlauf in ein Gebirgsland tief einscheidet, das noch heute zahlreiche Quellen besitzt, etwas Baumwuchs und anbaufähigen Boden aufweist (D'Almonte Descripción del Sáhara Español, Bol. Soc. Geogr. 1914, 174ff.). Der französische Reisende L. Panet, der 1850 hindurchkam, war erstaunt, daß hier die Flußufer von Bäumen eingefaßt sind, unter deren Schatten sich blumenreiche Wiesen ausbreiteten; auf der hochgelegenen Ebene Segia gedeihe die beste Gerste (Peterm. Mitt. 1859, 109).

Aber nicht nur Hom. hymn. 5, 8 gewinnt durch diese neue Deutung wieder Leben, sondern auch der unverstandene Reisebericht des Sängers Thymoites, eines Zeitgenossen des Orpheus; er ist uns über Dionysios Skythobrachion durch Diodoros (III 67–69) überliefert. Hiernach war Thymoites auf seinen Reisen auch nach dem westlichen Libyen gelangt und hatte dort N. besucht, wo nach einheimischen Berichten Dionysos erzogen wurde; da er von den Nysäern genaue Angaben über die Taten dieses Gottes erhielt, soll er darüber das sog. phrygische Gedicht verfaßt haben, wo er sich eines altertümlichen Ausdrucks und einer altertümlichen Schrift bediente.

Aus diesem Gedicht gehen uns hier nur seine eigenen Beobachtungen an. Die Stadt N. soll danach auf einer Insel liegen, die der Triton umströmt: also derselbe Fluß, der uns im homerischen Hymnos als Aigyptos begegnet. Weiter heißt es, die Insel habe ringsum steile Uferränder und gewähre nur an einer Stelle einen schmalen Zugang, das sog. Nysische Tor (πύλαι Νυσίαι); dies deutet darauf hin, daß diese νῆσος keine Insel in unserem Sinne, sondern wie die Pelopsinsel eine Halbinsel war, die in einer Schlinge des Tritonflusses lag.

Die Landschaft dieser Halbinsel wird als quellenreich und äußerst fruchtbar geschildert; sie trage allerlei Fruchtbäume und wildwachsenden Wein, der sich meist an Bäumen emporranke. Besonders entzückt ist Thymoites von dem Anblick einer riesigen Grotte, die in den verschiedensten Farben schillere und von üppigen Fruchtbäumen umgeben sei, in deren Ästen buntfarbige Vögel ihren lieblichen Gesang ertönen ließen; im Innern der Grotte wüchsen allerlei duftende Blumen, sie seien die natürlichen Lagerstätten der Nymphen, die einst den Knaben Dionysos aufgezogen hätten.

Es kann kein Zufall sein, daß diese Schilderung einer so üppigen Oase bis in ihre Einzelheiten übereinstimmt mit dem, was Homer von der Natur der Insel der Nymphe Kalypso singt (Od. V 57–74). Da nach Diod. III 67 Thymoites zu dem Dichterkreis gehörte, dem als jüngerer Zeitgenosse Homer nahestand, so ist dies nicht nur ein überraschender Hinweis darauf, daß Homer ein Gedicht des Thymoites für die Ausmalung seiner Kalypsoinsel benutzt hat, sondern daß uns in dessen Schilderung von N. tatsächlich eine sehr alte Überlieferung vorliegt, die man nicht als dichterische Phantasie beiseite schieben darf. Sie ist um so eher glaubwürdig, da sie sich auch in [1660] der Erwähnung der Grotte als Behausung der Nymphen mit dem homerischen Hymnos (s. o.) deckt, obgleich dieser, was schon der Name Aigyptos für Triton nahelegt, aus ganz anderer Quelle geschöpft hat.

Durch dieses Ergebnis wird endlich eine dunkle Stelle bei Herodotos klargestellt. III 97 spricht er von zwei Stämmen der Aithiopen; von den an Ägypten grenzenden Aithiopen und von denen, die um den heiligen Berg N. wohnen und dem Dionysos Feste feiern. Man hat auch bei der letzten Angabe an Nubien gedacht und darum dieses N. irgendwo am Obernil gesucht, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Nun läßt aber Herodotos selbst den Nil weit aus dem Westen kommen (II 33), so daß sein N. ebenfalls dort anzusetzen ist, wo das wirkliche N. lag. Aber warum hat er dann sein N. nicht direkt an den Oberlauf des Triton verlegt, den er ja doch kannte? Hier mag ihn sein eigener Gewährsmann irregeführt haben. Dieser war ein anderer als der Berichterstatter, der ihm in Kyrene über den Triton Angaben machte. Er wird ihm wohl ebenso von einem Fluß Aigyptos bei N. erzählt haben, wie dem Diodoros der homerische Hymnos. Während Diodoros auf das Glückliche Arabien verfiel, mag Herodotos den Aigyptos als den Nil hingenommen haben, so daß er N. oberhalb Ägyptens zu den Aithiopen hinübersetzte.

Wahrscheinliche Lage von Nysa.

Von den verschiedensten Seiten aus haben wir die Frage nach der Lage von N. erörtert; jedesmal gelangten wir zu demselben Ziel. Die ältesten Funde in Weinkrügen Ägyptens wiesen uns nach Libyen. In das libysche Kanaan führte uns die biblische Sage von dem ersten Weinbauer Noah. Aus dem westlichen Libyen stammte der Wein, den, wie Skylax berichtet, Aithiopier in großen Mengen nach Kerne an der Westküste Afrikas ausführten. Von den Überlieferungen erwiesen sich die beiden ältesten als unbedingt zuverlässig, Hom. hymn. 5, 8 und der Sänger Thymoites bei Diod. III 68–70; beide verlegen N. in ein ganz bestimmtes Gebiet Libyens an den Oberlauf eines Flusses, den der Hymnos Aigyptos, Thymoites Triton nennt. Wie der letztere angibt, war es eine Halbinsel, den der Fluß mit steilen Ufern umströmt, soll N. auf waldiger Höhe liegen, durch reiche Quellen gesegnet und mit Fruchtbäumen bestanden; eine Grotte war die Behausung von Nymphen, die dort den jungen Dionysos aufzogen. Es ist dies das Bild einer äußerst fruchtbaren Oase, wie wir sie uns noch heute in der westlichen Sahara vorstellen dürfen, nur daß der frühere Baumbestand inzwischen durch die Dattelpalme verdrängt ist.

Da es zwei Triton in Libyen gab, der Igharghar mit seiner Fortsetzung zum Schott el-Djerid und der Segia el-Hamra, kommen für N. zwei Örtlichkeiten in Frage, ohne daß wir uns für die eine oder andere entscheiden wollen. Einmal könnte es sich um eine Flußoase am oberen Igharghar handeln. Es liegen neuerdings über dieses Gebiet besondere Karten vor (Internationale Weltkarte in 1:1 Mill., NG 31 und NH 32); sie zeigen, daß nur auf kurze Strecken das Tal des Igharghar einigermaßen erforscht ist. Der antiken Beschreibung entspricht bisher allein eine [1661] bergige Flußinsel, die der Igharghar in Höhe von 380 m nördlich vom Fort Flatters (Temassinin) bildet; der einzige Zugang, de Col de Tadjentourt, wäre danach der antike Hohlweg, der nach N. führte.

Zum anderen werden wir in das Hinterland des aithiopischen Weinlandes, in das fruchtbare Quellgebiet des Segia el-Hamra, gewiesen; am wasserreichsten ist dort die von zwei Quellflüssen umgrenzte Ebene Hasian-Uhlad-Segia. Daß wir uns hier in einer alten Kultstätte befinden, darauf deutet an einem anderen Nebenfluß, dem Uad Tazúa, die höchst merkwürdige Angabe auf D’Almontes Karte (a. O. Bl. 2): Obelisco con inscripcèones.

Aber erst Ortsuntersuchungen können die endgültige Klärung der Frage herbeiführen; die Herkunft und Bedeutung des Dionysoskults würde dadurch in einem ganz neuen Licht erscheinen.