Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Flavius Alexanderhistoriker aus Nikomedia
Band II,1 (1895) S. 12301247
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9) Flavius Arrianus (FHG III 586–601. Geogr. Gr. min. I p. CXI–CXV; über sein Leben soll ausführlich handeln Doulcet Quid Xenophonti debuerit Flavius Arrianus, Paris 1882, mir nicht zugänglich; auf unrichtigen Voraussetzungen beruht die Skizze von Nissen Rh. Mus. XLIII 236ff.) stammte aus Nikomedia in Bithynien, von einer angesehenen Familie; sein Vater muss schon das römische Bürgerrecht besessen und seinen griechischen Namen fallen gelassen haben. In seiner Vaterstadt erhielt er das lebenslängliche Priestertum der städtischen Schutzgottheiten, der Demeter und der Kore (Phot. cod. 93. Inschrift von Nikomedia Ἑλληνικὸς σύλλογος III p. 253, 5, abgedruckt in A. scripta minora ed. Eberhard p. LIX). Nach vollendeter Erziehung hat er seine Heimat verlassen und ist, jedenfalls schon in seinen jungen Jahren, unter Traian (Diss. IV 5, 17. II 22, 22; falsch Schenkl Epict. diss. p. IX) eine Zeit lang in Nikopolis gewesen, um Epiktets Umgang zu geniessen; die Strasse von Lenkas beschreibt er Ind. 41, 2ff. aus eigener Anschauung. Es mag dahingestellt bleiben, ob er den neuen Sokrates hörte, weil ihm schon damals Xenophon als Ideal vorschwebte; das ist gewiss, dass dieser Anfang viel mehr dem römischen Bürger Flavius Arrianus ansteht, als dem griechisch sprechenden und schreibenden Nikomedier. Epiktet ist in der Capitale das geworden, was er war, und hat zu seinen Lebzeiten in viel engeren Beziehungen zu Rom und der römischen Gesellschaft gestanden, als zu den hellenischen Litteratenkreisen. Dass aber A. ursprünglich den Ehrgeiz hatte, sein römisches Bürgerrecht zu realisieren und ein Glied des herrschenden Standes zu werden, zeigt seine politische Laufbahn, die ihn von den bei aller Gunst der Kaiser doch stets entschieden unrömischen Vollbluthellenen wie Dion und Plutarch auf das bestimmteste unterscheidet. Dabei darf freilich nicht vergessen werden, dass, als A. zum Manne reifte, ein Kaiser auf dem Thron sass, der die Consequenzen der Weltherrschaft ohne Rücksicht auf nationalrömische Vorurteile zog und für die östliche, nicht romanisierte Reichshälfte lebhafte Sympathien hatte. Nur durch kaiserliche Gunst war es möglich, dass der Bithynier die Laufbahn eines clarissimus vir in glänzender Weise zurücklegte, aber Hadrian waren solche Männer grade recht, und von ihnen wurde er verstanden; was A. am Schluss seiner Taktik von der militärischen Verwaltung Hadrians und ihren Zielen und Gesichtspunkten sagt, in denen sich archaische und kosmopolitische Tendenzen amalgamieren, das allgemein gehaltene Lob der Römer cap. 33, die das Gute nehmen, wo sie es finden (ἐπὶ τῷδε ἄξιοι ἐπαινεῖσθαι Ῥωμαῖοι ὅτι οὐ τὰ οἰκεῖα καὶ πάτρια οὕτω τι ἠγάπησαν ὡς τὰ πανταχόθεν καλὰ ἐπιλεξάμενοι οἰκεῖα σφίσιν ἐποιήσαντο), charakterisiert den Regierungskurs des Weltkaisers so scharf und bestimmt, wie nur einer es kann, dem ein Platz am Ruder vergönnt ist. Im einzelnen ist von A.s öffentlichem Leben bekannt, dass er als Officier und im Verwaltungsdienst weit herumkam – er [1231] ist sicher in Noricum und Pannonien (Ind. 4, 15) und nach den Schilderungen im Kynegetikos höchst wahrscheinlich auch in Gallien und Numidien gewesen –, um 130 consul suffectus mit einem Severus zusammen war (Borghesi IV 157 nach Ziegelstempeln, das Consulat bezeugen auch Phot. cod. 58. Suid.) und danach als leg. Aug. pro praetore die Provinz Kappadokien mehrere Jahre verwaltete. Inschriftlich bezeugt sind die Jahre 133 (CIG II 2108f. mit Doulcets Ergänzung Φ[λ. Ἀρρ]ιανοῦ) und 137 (21. Jahr Hadrians, Rev. archéol. 1877, 200 und Eberhard a. a. O.); der Periplus, den A. bald nach seinem Amtsantritt geschrieben haben muss (s. u.), erwähnt den Tod des bosporanischen Königs Kotys als eben geschehen (17, 3), was auf 130/1 führt (Müller Geogr. Gr. min. CXII); die schon erwähnte Inschrift von Nikomedia ist nach seinem Abgang gesetzt, aber nicht datiert. Ein Rescript Hadrians an A. steht Dig. XLIX 14, 2. Die Aufgabe, an der pontischen Küste die Ordnung aufrecht zu erhalten (Peripl. 11, 2) und die bosporanische Thronfolge zu regeln, war nicht besonders schwer, aber in ernsthafte Gefahr wurde die Provinz von den Alanen gebracht; indes verhüteten die energischen Massregeln A.s eine Invasion (Dio LXIX 15). Die folgenden Lebensjahre A.s zeigen ein total verändertes Bild. Zwar steht zunächst nur fest, dass A. noch vor Hadrians Tode (10. Juli 138) von Kappadokien abberufen wurde (CIL X 6006[WS 1]; vgl. Borghesi a. a. O.), nicht hingegen, dass seine officielle Laufbahn damit zu Ende war; aber in nicht gar langer Zeit, im J. 147/8, finden wir ihn als Archon Eponymos in Athen (CIA III 1116), später als Prytanen der Pandionis, Demos Paiania (CIA III 1029 und 1032), im. J. 171/2 und etwas vorher, wo er ein hochbetagter Greis gewesen sein muss. Der hohe Beamte, der Vertrauensmann des Kaisers, der Schirmer der Reichsgrenze, kauft sich das attische Bürgerrecht, lässt sich die wohlklingende, aber kostspielige Last attischer Municipalämter gefallen und sucht im übrigen sich die Zeit so zu vertreiben, wie es einem General a. D. und vornehmen Herren ansteht, mit seinem treuen gallischen Jagdhund, mit Parforcejagden und der Schriftstellerei, die, früher eine Frucht kärglicher Musse, nun Lebensberuf wird und nicht mehr Broschüren, sondern Werke und schliesslich recht dickbändige Werke produciert; ein solcher Contrast zwingt zu dem Schluss, dass A. durch einen neuen Kurs aus der Fahrt gebracht ist, und es bleibt nur fraglich, ob dieser Kurs auf Rechnung des Kronprinzen oder des Kaisers Antoninus Pius zu setzen ist. A. ist der vornehme römische Beamte auch nach diesem Schiffbruch geblieben und hat, während er in den Broschüren, die er als Statthalter verfasste, aus seiner hohen Stellung und der Gunst des Kaisers kein Geheimnis macht, in seinen späteren Schriften über seine Ehren und sein Unglück ein stolzes Stillschweigen bewahrt; im Kynegetikos stellt er sich als attischen Bürger vor und in der Einleitung zu den Βιθυνιακά, wo er von sich selbst erzählte, als den Priester der Demeter und Kore von Nikomedia; wenn er mehr berichtet hätte, würde Photios, der auf derartiges achtete, es nicht verschwiegen haben.

A. schrieb sich während der Zeit, die er bei [1232] Epiktet zubrachte, die Gespräche des Meisters auf, zur eigenen Erinnerung, in dem vulgären Griechisch, das jener sowohl wie A. selbst im täglichen Leben sprachen. Nach dem Tode des Meisters wurden solche Aufzeichnungen, da er selbst nichts Schriftliches hinterlassen hatte, ein begehrter Artikel, und die Abschriften, die A. früher von seinen Aufzeichnungen aus privater Gefälligkeit hergegeben hatte, wurden nun massenhaft vervielfältigt und unter seinem Namen herausgegeben, wie er selbst sagt, wider seinen Willen. Die Form, oder richtiger der Mangel jeder Form zeigt, dass er die Wahrheit sagt. Aber er fügte sich ins Unvermeidliche und gab nun die Originale selbst heraus, so wie sie waren, in dem richtigen Gefühl, dass jede glättende Überarbeitung die Frische des Eindrucks stören würde. Photios a. a. O. kannte acht Bücher Διατριβαί, von denen die vier ersten erhalten sind, mit der Widmung an L. Gellius; Gellius I 2 citiert II 19 als Dissertationum Epicteti digestarum ab Arriano primum librum und XIX 1 quintum Διαλέξεων, (frg. IX Schenkl). Ausserdem führt Photios zwölf Bücher Ὁμιλίαι an, womit das Citat Stob. flor. XLVII 28 ἐκ τῶν Ἀρριανοῦ Προτρεπτικῶν ὁμιλιῶν zusammenzustellen ist. So hoch der sachliche und sprachliche Wert dieser Aufzeichnungen anzuschlagen ist, sie sind eben doch nur Aufzeichnungen, die bei der Würdigung von A.s schriftstellerischer Persönlichkeit aus dem Spiel bleiben müssen und nur unter Epiktet erörtert werden können. A. hat mit der Herausgabe gewissermassen einen Strich unter seine Lehrjahre gemacht, und wenn das kernige, tüchtige Wesen des Menschen durch den phrygischen Prediger gefestigt sein mag, der Beamte und der Schriftsteller verraten nichts von der Studentenzeit in Nikopolis, und A. scheint auch hiervon später geschwiegen zu haben.

Soweit es sich noch erkennen lässt, hat A. zuerst als Statthalter von Kappadokien und in engstem Zusammenhang mit seiner amtlichen Thätigkeit die Feder ergriffen. Der Περίπλους Εὐξείνου Πόντου ist 130/1 als Brief an den Kaiser veröffentlicht und nichts anderes als ein litterarisches Seitenstück zu dem amtlichen lateinischen Bericht (τὰ Ῥωμαϊκὰ γράμματα 6, 2. 10, 1) über die Inspectionsreise, die A. nach seinem Amtsantritt an die Küste seiner Provinz, von Trapezunt bis Sebastopolis (Dioskurias) unternommen hatte. A. selbst gehören nur die recht kurze Erzählung der Fahrt und die aus dem officiellen Bericht entlehnte Aufzählung der Völkerschaften an der Küste, die Flussnamen und die Distanzen sind aus einem Περίπλους eingeschaltet. An diese Strecke schliessen sich zwei weitere Περίπλοι an, der vom Bosporos nach Trapezunt und der von Dioskurias bis Byzanz, beide aus älteren Quellen entlehnt, wie die Vergleichung mit dem durch die Epitome des Marcianus von Heraklea erhaltenen Stück des Περίπλους τῆς ἐντὸς θαλάσσης von Menippos von Pergamon auf den ersten Augenschein hin lehrt. Aus A., der Epitome Marcians, dem sog. Skymnos und anderen, noch unbekannten Quellen ist in frühbyzantinischer Zeit ein neuer Περίπλους Εὐξείνου Πόντου (Geogr. Gr. min. I 462ff., der im Heidelberger Codex 398 verlorene, nur in dem vom Athos stammenden cod. [1233] Lond. mus. Brit. 19391 erhaltene Teil in FHG V 1, 174ff.) zusammengeschrieben. Dagegen hat der berühmte Periplus maris Erythraei, ein echter Periplus, der in der Heidelberger Hs. ebenfalls Ἀρριανοῦ überschrieben ist, mit A. nichts zu thun, wie schon der treffliche Vincent erkannt hat. Um auf den echten A. zurückzukommen, so war das Büchlein, vom Standpunkt des Dienstes oder der Politik aus betrachtet, wertlos, und A. hat das sicher gewusst, trotz der Bemerkung 17, 3, die nur stilistische Floskel ist. Aber es verfolgt auch solche Tendenzen gar nicht – dafür war der lateinische Bericht da –, sondern es will eine litterarische Leistung sein, so sonderbar es uns auch erscheinen mag, wenn ein Schriftsteller seine Laufbahn mit Portulanen eröffnet. Es ist die Macht der überlieferten Gattung, die A. darauf brachte, ja dazu zwang, die Erzählung einer Seereise in die tralaticische Form des Hafenbuches zu bringen, und die ehrliche Ungeschicklichkeit des dilettierenden Beamten, welche alle Fugen des Machwerks noch so deutlich erkennen lässt. Nicht anders steht es mit der Τέχνη τακτική, die im 20. Jahre Hadrians (44, 3), 136, also noch zur Zeit der Statthalterschaft, veröffentlicht ist. Auch für diese Schrift ist ein officieller Bericht der Anlass gewesen, der nämlich, den A. über Infanteriemanöver dem für taktische Neuerungen und für Manöver sehr interessierten Kaiser eingereicht hatte (33, 2). Das brachte ihn darauf, einige, durchaus nicht alle Übungen der römischen Cavallerie zu beschreiben, nicht technisch, als Instruction, sondern in rein litterarischer Form, und da ihm das nicht genügte für den festen Rahmen einer Τέχνη τακτική, so verband er auch dieses selbständige Geistesproduct mit der Überarbeitung eines schon vorhandenen Buches, der ebenfalls erhaltenen Τέχνη τακτική des Aelianus, die wiederum nichts als eine sehr wenig veränderte Auflage der Τέχνη τακτική des Asklepiodotos, des Schülers des Poseidonios war. Dies ist der wirkliche Sachverhalt, wie R. Förster (Herm. XII 426ff.) gegenüber den Hypothesen Köchlys (vgl. Förster a. a. O.) abschliessend bewiesen hat. Obgleich das Buch Asklepiodots – Aelian unterscheidet sich sachlich von dem Original so gut wie gar nicht – nur die Elemente der Phalangitentaktik enthält und für einen römischen Militär ohne den mindesten Wert war, hat A., der doch etwas davon verstand, sich die Mühe genommen, es umzuschreiben. Dies würde unbegreiflich sein, wenn nicht die totale Veränderung des Stils die Erklärung lieferte. Asklepiodot legte als Stoiker allen Wert darauf, die Elemente der Taktik in streng systematischer Form darzustellen, und die straffe schematische Durcharbeitung fand in langen, kathedermässigen Perioden ihren passenden Ausdruck. Bei Aelian ist davon noch viel stehen geblieben, aber A. hat etwas ganz anderes daraus gemacht, indem er die stoische Lehrbuchsweisheit in eine lose, mit kurzen Sätzen arbeitende, Naivetät anstrebende Belehrung umsetzte, was denn freilich dem Compendium den letzten Rest von Seele austrieb. Wahrscheinlich gehört zu diesen Schriften auch die Ἀλανική, die Photios cod. 58 aufzählt und aus der ein Fragment, Ἔκταξις κατ’ Ἀλανῶν genannt, in dem berühmten Taktikercodex Laur. 55, 4 erhalten ist; wenigstens [1234] rechtfertigt die Haltung dieses Fragments durchaus die Vermutung, dass die Ἀλανική das litterarische Seitenstück zu dem officiellen Bericht war, den A. über die drohende Invasion und die von ihm zum Schutz der Provinzen getroffenen Massregeln abstattete, und mit der Taktik und dem Periplus, nicht etwa mit der bithynischen und parthischen Geschichte zusammengestellt werden muss. Ein nicht zu übersehender Zug in dem merkwürdigen Bilde des kaiserlichen Provinciallegaten, der das Rapporteschreiben und das Einheimsen litterarischer Lorbeern gar zu gern vereinigen möchte, ist die bis zum Ungeschmack durchgeführte Rolle des νέος Ξενοφῶν (Peripl. 1, 1. 12, 5. 25, 1; tact. 29, 8; ac. c. Alan. 10). A. will damit nicht sagen, dass Xenophon sein Stilmuster sei – das ist er nur in sehr beschränktem Mass gewesen, sondern die ganze Persönlichkeit, wie sie sich ihm darstellte, war das Original, das er mutatis mutandis zu copieren hatte (Kyneg. 1, 4, vgl. u.). Das ist die Romantik der hadrianeischen Epoche nicht nur, sondern vor allem des Kaisers selbst, und rechnet man alles zusammen, das Xenophonspielen, die Widmung des ersten litterarischen Products an den Kaiser, die stets sich wiederholende Anlehnung der litterarischen Leistung an einen officiell zu erstattenden Bericht, so erscheint dem Schluss auszuweichen nicht möglich, dass die eigentümliche Persönlichkeit des Kaisers selbst, sein directer Einfluss es gewesen ist, der den im Handeln tüchtigen, aber im Geistigen weichen, einer festen Bildungstradition, wie sie die attische Philosophenuniversität oder die kleinasiatischen Rhetorenschulen boten, entbehrenden Bithynier zum neuen Xenophon und zum dilettierenden Schriftsteller ausprägte. Dann wird auch verständlich, was A. nach dem Ende seiner Beamtenlaufbahn nach Athen trieb, wo ihm Nikomedia viel näher lag. Auch Hadrian hatte Athener sein wollen, es nicht verschmäht, einem attischen Jahr seinen Namen zu geben, und in der klassischen Stadt unvergängliche Spuren seines Wirkens hinterlassen, so dass A. hier die Erinnerung an seinen Kaiser in der natürlichsten Weise pflegen konnte und, ein neues Leben beginnend, das behielt, was ihm von dem alten am tiefsten gegangen war.

Mit dem wie auch immer erfolgten Abschluss seiner amtlichen Laufbahn, jedenfalls mit dem Tode seines kaiserlichen Freundes, musste dies Spielen mit litterarischem Wesen sein Ende finden, und es kam nun darauf an, ob der ausser Dienst gesetzte Consular, der bis dahin in den festen Gleisen der Reichsverwaltung seine Strasse gezogen war, genug Tüchtigkeit des Charakters und geistigen Rückhalt besass, um sich selbständig eine geachtete Stellung zu erwerben. Ich vermute, nur aus allgemeinen Gründen und ohne dass ich es beweisen könnte, dass der Kynegetikos die erste Schrift dieser, von der vorhergehenden sich auf das bestimmteste abhebenden Periode ist; sicher steht, dass sie in Athen und zu der Zeit, in der A. athenischer Bürger war, verfasst ist (1, 4). Noch giebt er sich als den neuen Xenophon, als wenn er diese Romantik für eine bleibende Frucht seiner vergangenen Glanzestage gehalten hätte, ja dieses romantische Spiel hat nach eigenem Geständnis A.s (1, 4, λέξω ὁμώνυμος τε [1235] ὢν αὐτῷ καὶ πόλεως τῆς αὐτῆς καὶ ἀμφὶ ταὐτὰ ἀπὸ νέου ἐσπουδακὼς, κυνηγέσια καὶ στρατηγίαν καὶ σοφίαν) das Büchlein wesentlich veranlasst. Es sind Ergänzungen und Berichtigungen zu Xenophons Jagdbuch, so recht das Product eines sich noch nicht sicher fühlenden, der Anlehnung bedürfenden Schriftstellers, und es liegt nahe daran zu erinnern, dass A., wie früher seine amtlichen Rapporte an den Kaiser, so hier ein Buch seines ihm vom Kaiser, wie vermutet wurde, gesetzten Originals gewissermassen zum Sprungbrett nimmt, um ins litterarische Gebiet hinüberzukommen. Wie früher, so bewegt er sich auch hier noch ganz oder wenigstens zum grössten Teil im Persönlichen, was zusammen mit dem befangenen Anschluss an etwas Gegebenes das typische Kennzeichen eines Schriftstellers ist, der nicht oder noch nicht das Producieren als technischen Beruf betreibt.

Auf die Dauer genügte das dem wackeren Manne nicht, und er empfand den unwiderstehlichen Trieb, etwas Bleibendes, das über die ephemere Broschüre hinausging, zu schaffen. Wie allen, die am Gang der Geschichte mitgeschoben oder glauben mitgeschoben zu haben, lag ihm Historisches am nächsten, und jetzt, wo sein Römertum zu Ende war, ist es nicht zu verwundern, dass ihm die Erinnerung an seine Heimat wieder eine innere Macht wurde und ihn daran mahnte, dass sein Vaterland Bithynien eines Geschichtschreibers bedürfe. Er machte sich ans Werk, fühlte aber bald, wie er selbst erzählt hat (Phot. cod. 93), dass er noch nicht genügend vorbereitet war. Sehr mit Unrecht denkt der Moderne bei einer solchen Äusserung zunächst an archivalische Vorarbeiten, Quellenforschungen u. s. w., da vielmehr der Mangel der stilistischen Vorbereitung gemeint ist. Die Untersuchungen über A.s Stil (weitaus die beste ist die von Grundmann Quid in elocutione Arriani Herodoto debeatur, Berl. Stud. II 177ff., daneben noch zu erwähnen die fleissige, aber der Ordnung und der Gesichtspunkte entbehrende Sammlung von Boehner De Arriani dicendi genere, Acta semin. philol. Erlang. IV 1ff.) lehren unwiderleglich, dass er Herodot und Thukydides für die Muster des grossen historischen Stils hielt, ganz in Übereinstimmung mit seinen Zeitgenossen, wie die von Lucian in Πῶς δεῖ ἱστορίαν συγγράφειν kritisierten Versuche, die Geschichte von Marc Aurels Partherkrieg zu erzählen, beweisen. Um sich aus der Sprache dieser beiden Muster – gerade der Versuch beide zu vereinigen, ist für A. typisch – einen Stil zu bilden, übte er sich zunächst an Themen, die ihm kleiner und leichter erschienen, und nicht nur die völlig verlorenen Biographien Timoleons und Dions, sondern auch das Werk, das ihn, ohne dass er es ahnte, unsterblich machen sollte, die Alexandergeschichte (über den Titel s. u.), sind eine Frucht dieser vorbereitenden stilistischen Studien. Um sich recht in Herodots Schreibweise hineinzuarbeiten, verfasste er den Anhang zur Alexandergeschichte, die Ἰνδικὴ ξυγγραφή, im ionischen Dialekt, der natürlich alles andere als echt, aber doch lange nicht so schlecht war wie der, welchen die Herausgeber erst in die Texte hineingebracht haben. Durch diese ionischen Studien ist er wohl auch dazu gekommen, Hekataios [1236] zu lesen (anab. II 16, 5. V 6, 5). Nachdem er diese Werke vollendet hatte, fühlte er sich reif, um sein grosses Werk, die Βιθυνιακά in acht Büchern (Phot. cod. 93), abzufassen; in der Einleitung gab er, wie es sich bei einem Lebenswerk gehört, Rechenschaft von sich und der Entstehung des Buchs. Es begann mit der Sagengeschichte und reichte bis zum Tode des Nikomedes Philopator, der 74 v. Chr. sein Reich den Römern vermachte. Das Werk lag den Byzantinern noch vor und ist von Eustathios im Commentar zu Homer und Dionys dem Periegeten viel benutzt, meist für Mythisches. A. konnte sich nun als einen Historiker betrachten, der jeder Aufgabe gewachsen war, und machte sich mit dem Gefallen, das ein glückliches Gelingen erzeugt, an ein neues Thema, jetzt, im Alter, auf die Zeitgeschichte zurückkommend: er beschrieb in den Παρθικά von siebenzehn Büchern (Phot. cod. 58) die Partherkriege Traians, die er selbst erlebt, aber nicht mitgemacht hatte. Ausser einem Resumé der Einleitung über die Anfänge des parthischen Reichs sind im wesentlichen nur Ortsnamen bei Stephanos von Byzanz erhalten, keine grösseren erzählenden Stücke, aus denen sich über Art und Anlage des Werks etwas erschliessen liesse. Doch wage ich so viel zu vermuten, dass das Werk nicht mit urkundlichem Material gearbeitet war, das A. sich in Athen und ausser Verbindung mit den regierenden Kreisen nicht verschaffen konnte, sondern auf schon veröffentlichten Darstellungen Früherer aufgebaut gewesen sein muss. Endlich verfasste er eine Fortsetzung der Alexandergeschichte (Τὰ μετ’ Ἀλέξανδρον) nach Photios cod. 92 in zehn Büchern. Das Werk ist nicht nur von Dexippos epitomiert (Phot. 64b 32), sondern muss noch lange gelesen sein, und Reitzenstein hat in einem Palimpsest des 10. Jhdts. (cod. Vat. gr. 495) Fragmente des VII. Buches entdeckt (Bresl. philol. Abhdl. III 3). Photios Excerpt aus den zehn Büchern schliesst mit der Rückkehr Antipaters nach Europa im J. 321, mitten im Gang der Ereignisse, so dass, wenn er das vollständige Werk hatte, angenommen werden muss, A. habe es nicht vollendet. Wenn Photios p. 71b 12 mit Τὰ περὶ Ἀλέξανδρον beide Werke, die Geschichte Alexanders und die der Diadochen zusammenfasst, was sehr wohl möglich ist, hat A. das Buch, weil es ihn zu lange aufzuhalten und von seinem Plan, die bithynische Geschichte zu schreiben, ganz abzubringen drohte, liegen lassen. Wann A. das Leben des Räubers Τιλλιβόρος oder Τιλλορόβος beschrieben (Lucian. Alex. 2) und was ihn auf dies sensationelle Thema gebracht hat, ist bei dem völligen Mangel an Fragmenten nicht mehr auszumachen.

Die erhaltene Alexandergeschichte trägt in den Hss. den Titel Ἀναβάσεως Ἀλεξάνδρου βιβλίον ᾶ u. s. w., der nach Steph. Byz. s. Ἀσσακηνοί für echte Überlieferung gelten muss, obgleich Photios cod. 91 Τὰ κατὰ Ἀλέξανδρον, cod. 93 Τὰ περὶ Ἀλέξανδρον (doch vgl. o.) ebenso wie Eust. in Dionys. 976 und Bekk. Anecd. gr. p. 129, 27 citiert. A. ist also noch immer insofern der neue Xenophon geblieben, als er auch eine Anabasis schreiben will. Der xenophontischen Anabasis, wie er sie kannte, hat er auch die Einteilung in sieben Bücher nachgemacht und es sogar für passend [1237] gehalten, die Buchabschnitte in der Darstellung in keiner Weise hervorzuheben, da Xenophon so wenig wie Herodot und Thukydides dies gethan zu haben schienen. Aus dem oben erklärten Excerpt des Photios aus den Βιθυνιακά (cod. 93) ergiebt sich, dass das Buch in die erste Zeit der zweiten Periode A.s und seines Aufenthalts in Athen gesetzt werden muss, da nicht nur die Βιθυνιακά, sondern auch die sehr umfangreichen Παρθικά, weil in dem Prooimion der Βιθυνιακά noch nicht erwähnt, später fallen müssen. Wenn gesagt worden ist (Nissen Rh. Mus. XLIII 251), dies Werk mache den Eindruck, im Alter geschrieben zu sein, so ist dieser Eindruck durch das Missverstehen einer stilistischen Floskel (VI 28, 6) zu stande gekommen und zum Argument untauglich; die Barbarenvölker nördlich der Donau und die Pontonbrücken über diesen Strom waren dem ehemaligen Officier, der in Passau und Belgrad gewesen war (Ind. 4, 15), selbstverständlich längst bekannt, ehe Marc Aurels Feldzüge jene Gegenden auch jedem unwissenden Schwätzer nahe brachten. Die Berührungen mit Lucian beweisen vollends nichts für eine spätere Abfassung, da die in Frage kommenden Schriften Lucians meist nicht zu datieren sind, und würden auch, wenn dies möglich wäre, nichts beweisen, da sie nicht vorhanden sind. Der römische Consular und vornehmste Mann in Athen konnte zu dem bettelnden syrischen Litteraten höchstens das Verhältnis haben, dass er ihn mit einem der Almosen abspeiste, wie sie jene Sippschaft von den grossen Herren unter Umständen unverschämt genug forderte, aber sich nie in eine litterarische Debatte mit ihm einlassen oder ihn der Ehre eines Citats würdigen.

A. berichtet selbst im Prooimion, dass er als hauptsächlichste Gewährsmänner den König Ptolemaios Lagu und Aristobulos von Kassandreia benutzt habe (vgl. V 7, 1. VII 15, 6). Wo sie mit einander übereinstimmten, da sei er gewiss die Wahrheit zu erzählen – demgemäss notiert er öfter die Abweichungen der vulgären Tradition von dieser Concordanz II 12, 5. IV 14, 1. VI 10, 5. 28, 2. VIII 13, 5 –, in Fällen, wo sie abwichen, habe er so gut es ginge, eine Entscheidung zu treffen gesucht. Solche Fälle notiert er ausdrücklich III 3, 5ff. 4, 5. 30, 5. IV 3, 5. 6, 1. V 14, 3ff. mit ausführlichem Räsonnement. 21, 2. Merkwürdig ist III 26, 2, wo nach (26, 1) und vor (27, 1) einem Citat beider Gewährsmänner Ptolemaios für ein Stück der Erzählung allein citiert wird, doch wohl ein Zeichen, dass A. Aristobuls Erzählung hier verwarf; umgekehrt wird VII 4, 4 etwas aus Aristobul zugesetzt. Es versteht sich von selbst, dass das noch viel häufiger vorkommen wird, auch wo keine ausdrückliche Angabe vorliegt. Schwieriger ist die Entscheidung darüber, warum A. an manchen Stellen einen seiner Gewährsmänner allein citiert. Am einfachsten liegt die Sache da, wo Aristobul allein, nicht Ptolemaios, der Vulgärtradition entgegengesetzt wird (II 3, 7. 4, 7. IV 8, 9. 13, 5. VII 22, 4. 5): die Fälle sind regelmässig der Art, dass sie die Annahme rechtfertigen, die officielle Darstellung des Ptolemaios habe hier nur ganz wenig oder nichts ausgegeben. Wo aus Ptolemaios einmal die vulgäre Tradition widerlegt wird (VI 11, [1238] 7. 8), handelt es sich um etwas Besonderes, um Alexanders Verwundung, von der der Adjutant, trotz momentaner Abwesenheit, natürlich den besten Bericht lieferte. Wie ferner VII 18 Aristobul als persönlicher Zeuge angeführt wird, so hat ein ähnlicher Sachverhalt, den das Parallelcitat bei Strabon XV 730 aufklärt, das Citat VI 29, 4 veranlasst, und das Gleiche gilt von dem Citat des Ptolemaios II 11, 8. V 21, 8 wird bei einer geographischen Angabe Ptolemaios genannt, da derartiges sonst bei ihm nicht vorkomme, umgekehrt macht A. gelegentlich (III 28, 5. 30, 7. VI 22, 4) darauf aufmerksam, dass er für geographische Dinge sich an Aristobul halte. Im übrigen kann man mit Grund behaupten, dass A. einen einzelnen Gewährsmann dann nennt, wenn er einen wichtigen Punkt oder ein auffallendes Detail durch Angabe der Quelle decken will: so wird Ptolemaios I 2, 7. 8, 1. III 17, 6. V 28, 4. VI 2, 4. 10, 1 citiert, Aristobul III 3, 3. 11, 3. 28, 3 (hier wohl auch um des Übergangs willen). VII 17, 5. 19, 3. 20, 5. 24, 1. 29, 4. Ganz ungerechtfertigt wäre die Meinung, dass ein solches Citat eine Einlage aus dem anderen Gewährsmann bedeute, eher ist das Gegenteil richtig, dass das Citat meist den Hauptgewährsmann der ganzen Partie verrät. Die genauere Analyse von A.s Erzählung, die hier nicht gegeben werden kann (vgl. mein Buch ,Einleitung in die Geschichte Alexanders‘), beweist, dass, wie von vornherein für jeden wahrscheinlich sein muss, A. beide Autoren gelesen und in einander gearbeitet hat, wodurch nicht selten Dubletten und Incongruenzen entstanden sind; Luedeckes Versuch, die beiden Autoren zu scheiden (Leipz. Stud. XI), übertrifft zwar das Buch von Fränkel (Die Quellen der Alexanderhistoriker, Breslau 1883), das höchstens als Materialsammlung einen gewissen Wert hat, bei weitem, ist aber doch als misslungen anzusehen, Schoenes Hypothese (De rerum Alexandri Magni scriptorum imprimis Arriani et Plutarchi fontibus, Leipz. 1870), dass A. nur ein Sammelwerk wie auch Plutarch benutzt hätte, die immer noch vereinzelte Anhänger hat, ist, von der damals herrschenden, aber verkehrten Auffassung Plutarchs abgesehen, schon darum unhaltbar, weil ein so citatenreiches Sammelwerk, in dem A. die einzelnen Berichte sauber geschieden gefunden und gleich erkannt hätte, was Aristobul und was Ptolemaios sagte, im Altertum nie existiert hat und existiert haben kann. Citiert wird immer nur vereinzelt; auch Strabon macht das nicht anders. Ferner steht unwiderleglich fest, dass A., der Militär und Beamte, mit richtigem Blick die officielle Darstellung des Ptolemaios für die beste und reinste Quelle der Geschichte Alexanders gehalten und ihn durchaus zu Grunde gelegt hat. Weniger glücklich war er darin, dass er die nicht originale, mit rationalistischer Pseudokritik zusammengestellte Compilation Aristobuls zur Ergänzung des öfters unangenehm sachlichen und kurzen königlichen Werks heranzog. Doch ist es verzeihlich, dass ihm der nüchterne Philister mehr imponierte, als die farbensatten, die Legende überall verratenden Erzählungen primärer Historiker, wie z. B. des Onesikritos, deren innere Treue zu erkennen und zu verwerten A. nicht im stande sein konnte. Es versteht sich von selbst, dass A.s [1239] Compilation den Verlust der benutzten Werke nicht entfernt ersetzt; andererseits ist es nicht gerecht, ihm Nachlässigkeit und Verdrehung als hervorstechende schriftstellerische Eigenschaften vorzuwerfen. Wo sein Auszug einmal mit dem Original verglichen werden kann (II 5, 2 = Strab. XV 672. Athen. XII 530 a, vgl. Niese De Sardanapalli epitaphio, Ind. Marburg. 1880), lässt sich nichts nachweisen, als dass er im Text Aristobuls, wie auch bei Athenaios steht, ἐπικροτοῦντα statt ἀποκροτοῦντα las; alles andere sind stilistische, für A. notwendige Änderungen oder sogar genauere Wiedergabe des Originals.

Wenn A. im Prooimion Ptolemaios und Aristobul seine Gewährsmänner nennt, so ist das insofern nicht ganz genau, als an einzelnen Stellen er auch andere heranzieht, die er jenen gleichstellt: er nennt sie eben deshalb nicht, weil er sie nicht durchweg benützt. So erzählt er Alexanders Tod nach den Acten der Ephemeriden (jetzt vortrefflich erklärt von Wilcken Pilolog. LIII 121ff.), als der treuesten Quelle, bemerkt aber, dass Aristobul und Ptolemaios ,nicht viel anders‘ erzählt hätten (VII 26, 3). Nearch, in dessen Glaubwürdigkeit A. mit vollem Recht keinen Zweifel setzte, wird öfter (VI 13, 4. 24, 2. VII 3, 6. 20, 9) citiert, und zwei ganze Partien, VI 1, 2–5 (vgl. Strab. XV 696) und VI 18, 2–21, 2 (vgl. die Distanzangabe 20, 3 mit Strab. XV 701; die Anschauung über die tropischen Regen 21, 2 ist die Nearchs und der Aristobuls gerade entgegengesetzt, vgl. Strab. XV 692) sind aus ihm entnommen, letztere in durchweg directer Rede und ununterbrochenem Anschluss an die Erzählung. Auch die leicht zu erkennenden Eratosthenescitate III 28, 5. V 5, 2ff. sind zu dieser Gruppe zu rechnen, trotz der Kritik V 3, 1ff.; die geographische Autorität des Eratosthenes war für A. unantastbar. Endlich ist VII 2, 2ff. Megasthenes ausgeschrieben, vgl. Strab. XV 718. So sind auch in der Anabasis die drei Autoren des indischen Buches, Nearch, Megasthenes und Eratosthenes (V 5, 1) vertreten. Aber ein Rest bleibt noch übrig.

Die Geschichte Alexanders war von Anfang an dem Verhängnis verfallen, Unterhaltungstoff zu sein, und in der Kaiserzeit, nicht früher, erhöhte das Motiv des allmählichen sittlichen Verfalls des Königs durch den Despotismus noch den Reiz des historischen Romans dadurch, dass unter Umständen actuelle, jedenfalls stets zum Erwachen bereite politische Stimmungen in der gegenwärtigen Weltmonarchie ins Vibrieren gebracht wurden. Curtius ist für diese Sorte Alexanderroman ein brillantes Beispiel und ist sicher nicht der erste gewesen, wie sein besonderes Verhältnis zu Trogus zeigt, das ein vor beiden liegendes Original verrät. Es muss A. sehr hoch angerechnet werden, dass er sich für diese Pfuscherei zu gut hielt; er wusste eben zu seinem Glück im Dienst der Verwaltung und des Heeres besser Bescheid als in den Wandelgängen der Rhetorenschulen, und da er einmal eine grosse politische Persönlichkeit, ebenfalls einen Weltherrscher, warm verehrt und gesehen hatte, wie leicht es ist, die Grossen der Erde falsch zu beurteilen, so erbaute er sich an dem Bilde des grossen Königs, das ihm aus der schmucklosen Zeichnung des getreuen [1240] Generals in voller Unmittelbarkeit aufstieg. A. verstand eine auf Rapporten und Bulletins aufgebaute Erzählung aus eigener Erfahrung. Aber ganz konnte er die Legende nicht ignorieren, da sie zu populär war, und instinktiv fühlte er, ohne sich dessen klar bewusst zu werden, dass auch das Nachleben des Grossen in der Erinnerung zur Geschichte gehört. Aristobul genügte dafür nicht, da er die Legende zu sehr zerstörte und sich von der allgemeinen Tradition infolge seiner halben und unklaren Kritik zu weit entfernte. So ist zu dem, was A. aus Aristobul in seine Überarbeitung des Ptolemaios hineinsetzte, noch ein Drittes hinzugekommen, die λεγόμενα, wie man nicht mit Unrecht dies Dritte bezeichnet, nach A.s eigenen Worten im Prooimion (3): ἔστι δὲ ἃ καὶ πρὸς ἄλλων ξυγγεγραμμένα ὅτι καὶ αὐτὰ ἀξιαφήγητά τέ μοι ἔδοξε καὶ οὐ πάντῃ ἄπιστα, ὡς λεγόμενα μόνον ὑπὲρ Ἀλεξάνδρου ἀνέγραψα, womit II 12, 8. III 2, 1. VII 15, 6 zusammenzustellen ist: die Polemik gegen des Eratosthenes Skepsis V 2, 7ff. ist gar nicht so übel. Gelegentlich wird die andere Tradition ganz verworfen, VI 28, 1. VII 13, 4, hier mit sehr charakteristischer Kritik; dass VI 11 ein ganzer kritischer Excurs zusammengehäuft ist und die Frage, ob die Schlacht bei Gaugamela oder Arbela geliefert sei, erst hier behandelt wird, hängt mit der Nachahmung Herodots zusammen, der seine Episoden auch in Gruppen, und zwar in oft sehr auffallender Weise, zerteilt; Pausanias lehrt, dass man in antiker Zeit diese Manier verstand und bewunderte. Anders ist die Verschiebung der Kleitosepisode und der Junkerverschwörung (IV 8–14) zu beurteilen. Beide, obgleich durch einen nicht geringen Zeitraum getrennt, scheinen schon früh zusammengerückt zu sein, wie von Kleitarch nach Diodor. XVII κζ κη; Plutarch muss dagegen aus dem Spiel bleiben, da er auch die Katastrophe des Philotas und Parmenion mit hineinzieht. Indes hatte Kleitarch um jener Gruppierung willen die ganze Erzählung von der Bezwingung Sogdianas anders angeordnet, während A. hier, von wenigem abgesehen, sich eng an Ptolemaios anschliesst und ausdrücklich darauf aufmerksam macht, dass er von der zeitlichen Folge der Ereignisse sich entfernt (IV 8, 1. 14, 4). Merkwürdig ist nur, dass er im weiteren Bericht die Stelle, wohin die Junkerverschwörung und Kallisthenes Katastrophe gehört, genau angiebt (IV 22, 2), nirgends aber, wo und wann Kleitos ermordet ist, was für die moderne Geschichtschreibung die unangenehme Folge hat, dass die Zeit nur durch complicierte und keineswegs unbedingt zwingende Schlüsse herauszubringen ist, der Ort aber nur auf dem in keiner Weise zuverlässigen Zeugnis des Curtius (VIII 1, 19) beruht. Da nun ferner A. für den Ausgang des Kallisthenes seine beiden Gewährsmänner nennt (IV 14, 1), in der mit Varianten vollgepfropften Kleitosepisode aber nicht einen einzigen Zug durch die ihm so hochstehende Autorität des Ptolemaios festlegt, so liegt die Vermutung nahe, dass er bei Ptolemaios über Kleitos Tod nichts fand, Aristobul aber in der Erzählung des sogdianischen Feldzugs ähnlich wie Kleitarch und die πολλοί so stark von Ptolemaios abwich, dass A. sich nicht zu helfen wusste und die Kleitosepisode an den Costümwechsel Alexanders [1241] anschloss, mit dem zwar nicht sie, aber die spätere des Kallisthenes, nach vielen wenigstens, zusammenhing.

Bei der Analyse und Beurteilung der λεγόμενα ergeben sich eigentümliche Schwierigkeiten dadurch, dass sich die λεγόμενα keineswegs immer reinlich von Ptolemaios und namentlich von Aristobul scheiden lassen, und die moderne Quellenforschung hat, weil sie A. nicht als Persönlichkeit nimmt, diesen Punkt ungebührlich vernachlässigt. Wenn A. nach ruhig objectiver Erzählung der Schlacht bei Issos die berühmte Geschichte von Alexander und den Frauen des Dareios mit λέγουσί τινες τῶν τὰ Ἀλεξάνδρου γραψάντων (II 12, 3) einleitet, so soll das doch wohl der Stelle eine bestimmte Farbe geben, auch wenn A. diesmal Aristobul und Ptolemaios selbst citiert (II 12, 6), wie er nachträglich bemerkt, ehe er zur eigentlichen Legende übergeht: ταῦτα μὲν Πτολεμαῖος καὶ Ἀριστόβουλος λέγουσι· λόγος δὲ ἔχει κτλ. Das λέγεται, mit dem die Darstellung von Alexanders Regierungsantritt beginnt und das bis in den Bericht vom Donaufeldzug hinein fortwirkt, um plötzlich (I 1, 5) in die directe Rede umzuspringen, kann unmöglich eine Einlage aus der Vulgärtradition bezeichnen, sondern soll nur andeuten, dass nunmehr die auf den genannten Gewährsmännern beruhende Erzählung anfängt (λέγεται δή). Legen diese noch klaren und einfachen Fälle in denen ein λέγει Πτολεμαῖος oder λέγουσι Πτολεμαῖος καὶ Ἀριστόβουλος durch λέγουσί τινες oder λέγεται vertreten wird, den Verdacht nah, dass die moderne Analyse es sich zu leicht macht, wenn sie bei jedem λέγεται λέγουσι u. s. w. sofort Ptolemaios und Aristobul unbedingt ausschliesst, so wird dieser Verdacht durch eine Reihe von durchschlagenden Beweisstellen bis zur Evidenz bestätigt. Was I 12, 8 mit λέγουσι berichtet wird, steht VI 10, 2 in der Erzählung, als deren Autor höchst wahrscheinlich Ptolemaios anzusehen ist und die keinenfalls aus der vulgären Tradition stammt. Die nysaeische Episode (V 1. 2) wird indirecter Rede mit wiederholtem λέγουσι und λέγεται erzählt, aber VI 2, 3 vorausgesetzt und ausserdem von der eigentlichen Legende (V 2, 7) deutlich abgetrennt. Endlich die entscheidende Stelle steht VII 20, 1 λόγος κατέχει κτλ.: der Vergleich mit Strabon XVI 741 beweist, dass Aristobul hier ebenso ausgeschrieben ist wie in dem vorhergehenden Kapitel, dass also λόγος κατέχει nicht einmal einen Quellenwechsel verrät. Der Ausdruck VII 18, 1 καὶ τοιόνδε τινα λόγον Ἀριστόβουλος ἀνεγέγραφεν ist damit zusammenzustellen. Ein sehr merkwürdiger Fall, der viele Irrtümer veranlasst hat, liegt VI 24 vor. Dass Alexanders Heer in der Belutschenwüste mehr Strapazen ausgestanden hätte, als im ganzen übrigen Asien zusammengenommen, wird mit λέγουσιν οἱ πολλοὶ τῶν ξυγγραψάντων τὰ ἀμφ’ Ἀλέξανδρον belegt, darauf ein Citat Nearchs eingeschoben, dass Alexander die Gefahr wohl gekannt, aber um Semiramis und Kyros zu übertreffen, sie nicht vermieden habe; das ist der allein mögliche, zum Überfluss durch Strabon XV 686 = 722 verbürgte Sinn der Stelle, die Luedecke (Leipz. Stud. XI 21) missverstanden hat. Auf dies Citat folgt in zunächst indirecter, aber sehr bald in die directe übergehender Rede eine Beschreibung [1242] des Zuges durch die Wüste, die aufs genaueste mit Strabon XV 2, 6. 7 übereinstimmt. Man pflegt auch diese Beschreibung Nearch zuzuschreiben, schon darum mit Unrecht, weil A. das eigentliche Citat deutlich mit τούτων τε οὖν ἕνεκα ...λέγει Νέαρχος ταύτην τραπῆναι Ἀλέξανδρον abschliesst. Vielmehr läuft die Concordanz zwischen Strabon und A. auf Aristobul zurück; denn dessen, nicht Nearchs Anschauung über die Regen in Indien und den Nachbarländern (Strab. XV 691) wird VI 25, 4 = Strab. XV 721 entwickelt. Jene Oratio obliqua hängt also nicht von λέγει Νέαρχος (VI 24, 3) ab, sondern ist die Fortsetzung des mit λέγουσιν οἱ πολλοί κτλ. (VI 24, 1) eingeleiteten, dann durch das Citat aus Nearch unterbrochenen Anfangssatzes und οἱ πολλοὶ τῶν ξυγγραψάντων τὰ ἀμφ’ Ἀλέξανδρον ist etwa in Ἀριστόβουλος καὶ ὁ πλείων λόγος (III 3, 6) aufzulösen, so wie II 12, 6 τινὲς τῶν τὰ Ἀλεξάνδρου γραψάντων von A. selbst als ein Citat aus Ptolemaios und Aristobul erklärt wird (s. o.). VII 2ff. ist aus Megasthenes (vgl. Strab. XV 718); auch hier folgt auf die anfängliche directe Rede ein λέγεται. VII 6, 2 erscheint mitten in der Erzählung, so dass nicht an eine Variante gedacht werden kann, ein λέγεται; dasselbe wird 8, 2 in directer Rede berichtet. Der Bericht über die Junkerverschwörung (IV 13) wird in directer Rede eröffnet und geht dann in ein λέγεται über; es wird aber nicht eine Variante, sondern etwas erzählt, das zum Verständnis des Ganzen unentbehrlich ist, wie denn auch 7 in directer Rede hierauf zurückgreift; dazwischen teilt sich die Erzählung in οἱ μέν ... , Ἀριστόβουλος δέ. VII 22, 2 scheint mit λόγος λέγεται τοιόσδε ein sog. λεγόμενον zu beginnen. Aber die Geschichte hat bei Aristobul gestanden, wie die zwei Citate 4 und 5 beweisen und ausserdem die Erwähnung der alten Königsgräber, vgl. Strab. XVI 741. Da nun aber οἱ μὲν πολλοὶ τῶν ἀναγραψάντων τὰ Ἀλεξάνδρου und εἰσὶν οἵ Aristobul entgegengesetzt werden, so ist dem Schluss nicht auszuweichen, dass Aristobul mit der anderen Tradition hier zusammengearbeitet ist. Ebenso liegen die Dinge VII 16. 17, wo der λόγος 16, 5 aus der Erzählung nicht herauszuschälen ist und für 16, 5 und 7 Aristobul durch 17, 5 als Quelle erwiesen wird; auch in 17, 2 muss in einer der beiden Varianten der Hauptgewährsmann, Aristobul, stecken. So wird das Citat Aristobuls IV 8, 9 an die Erzählung angehängt, und diese Stelle ist gewiss nicht die einzige, die in der Kleitosepisode auf ihn zurückgeht. III 3, 6 sagt A. selbst Ἀριστόβουλος δὲ καὶ ὁ πλείων λόγος ταύτηι κατέχει. Diese Stellen, alle zusammengenommen, predigen sehr vernehmlich Vorsicht in der Ausscheidung der λεγόμενα und warnen vor allzu mechanischer Ausdeutung der Vorrede. Ein λέγουσι oder λέγεται bedeutet im Griechischen nicht eine Herabminderung der Glaubwürdigkeit an und für sich, sondern nur, dass der Schriftsteller die Verantwortlichkeit von sich weg auf die Überlieferung schiebt. A. erklärt von vornherein, sich so zu der von Ptolemaios und Aristobul nicht gedeckten Überlieferung stellen zu wollen und hat sich nach dieser Erklärung auch gerichtet; in directer Rede wird die vulgäre Tradition nie berichtet, so weit sich nachkommen lässt. Aber das Umgekehrte trifft [1243] nicht zu, und es ist auch gar nicht abzusehen, warum A. nicht einmal für eine aus seinen eigentlichen Gewährsmännern entlehnte Erzählung die Verantwortlichkeit so ablehnen sollte, dass er ihre Namen nicht nannte. Dass in weitaus den meisten Fällen ein λέγουσι oder λέγεται die Abweichung von Ptolemaios und Aristobul bedeutet, bleibt darum doch bestehen.

Auf einen bestimmten Namen lässt sich ein λεγόμενον nur einmal zurückführen: IV 12, 2 ist ἀναγέγραπται δὲ δὴ καὶ τοιόσδε λόγος ein Citat des Chares von Mytilene nach Plut. Al. 54. Das Citat des Aristos VII 15, 5 beweist, dass A. noch ziemlich späte Zeugen benützt hat. Wie A. dieses Material gesammelt hat, ist eine müssige und bei der ungeheuren Masse von Alexandergeschichten nicht mehr zu beantwortende Frage. Die Versuche der Modernen, in dies Geheimnis einzudringen, haben der politischen und litterarischen Geschichte nicht den mindesten Nutzen gebracht und nur Irrtümer auf Irrtümer gehäuft. Lange Zeit schien der Vorschlag A. Schäfers (Jahrb. f. Philol. CI 443ff.) die Hypothese Schoenes insoweit zu acceptieren, dass A. zwar Ptolemaios und Aristobul direct, für die λεγόμενα aber dasselbe ,Sammelwerk‘ wie Plutarch benutzt hätte, von der aurea mediocritas eingegeben zu sein und die richtige Entscheidung zu enthalten. Dabei war nur übersehen, dass Plutarch die ,Sammelwerke‘ nicht liebte, sondern auf solche Autoren fahndete, die ihm viel persönliches Detail lieferten, wie es Chares und Onesikritos, die er zweifellos gelesen hat, für Alexander in reichem Mass hergaben; auch Kallisthenes wird er eingesehen haben. Andererseits pflanzten sich aber auch einzelne, berühmte Motive, die von diesen Historikern aufgebracht waren, in reiner und überarbeiteter Form, direct und durch Polemik fort, so dass es gar kein Wunder ist, wenn ein paarmal A.s λεγόμενα und Plutarch sehr nahe rücken. In der Geschichte von dem Arzt Philippos stellen allerdings A. (II 4, 7) und Plutarch (Al. 19) die Versionen Aristobuls und der πολλοί einander gegenüber, aber Aristobul ist von A. und Plutarch sicher direct benutzt, und in der Erzählung der Legende weichen sie ab, indem Plutarch wie Curtius (III 5, 4ff.) und Iustin (XI 8, 5) Alexander den Brief Parmenions erhalten lassen, ehe Philippos ihm den Trank bringt, bei A. dies schon in Gegenwart des Arztes geschieht. Eine gleiche Gegenüberstellung findet sich Arr. II 3, 7 und Plut. Al. 18; hier ist im Wortlaut des Orakels eine Discrepanz wahrzunehmen, und diesmal stellen sich Curtius (III 1, 16) und Iustin (XI 7, 4) zu A. Wie oft, so stellt auch IV 14, 3 A. Aristobul und Ptolemaios zusammen: Plutarch (Al. 55) thut das hier auch, fügt aber Chares noch hinzu. Die Frage ist hier nicht, woher das gemeinschaftliche Doppelcitat kommt, da A. Ptolemaios und Aristobul selbständig gelesen hat, sondern wie Plutarch zu dem Citat des Ptolemaios, den er nicht zu kennen scheint, gelangt ist. Aber es hat tralaticische Citate des Ptolemaios gegeben; das beweist Curtius IX 5, 21.

Später hat ein Gedanke, den v. Gutschmid einmal aufs Geratwohl hingeworfen hat, dass dies ,Sammelwerk‘ die Alexandergeschichte Strabons sein möchte, die Analyse der Überlieferung in [1244] den Sumpf geführt. Diese Alexandergeschichte Strabons ist einzig aus dessen Worten II 70 erschlossen: ἅπαντες μὲν τοίνυν οἱ περὶ τῆς Ἰνδικῆς γράψαντες ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ ψευδολόγοι γεγόνασι .... καὶ ἡμῖν δ’ ὑπῆρξεν ἐπὶ πλέον κατιδεῖν ταῦτα ὑπομνηματιζομένοις τὰς Ἀλεξάνδρου πράξεις. Der Schluss wird durch kein sonst erhaltenes Citat zur Evidenz erhoben, und was noch schlimmer ist, diese Alexandergeschichte Strabons ist in seinem grossen Geschichtswerke, der Fortsetzung des Polybios, gar nicht unterzubringen. Andererseits waren die Feldzüge Alexanders von der grössten geographischen Bedeutung, die Orientkarte des Eratosthenes beruhte auf den makedonischen Itineraren, Strabon kommt bei der Topographie von Innerasien fortwährend auf die Geschichte Alexanders zu sprechen (vgl. z. B. XV 724 γνοίη δ’ ἄν τις τὰ περὶ τὴν λεχθεῖσαν ὀρεινὴν ἔτι μᾶλλον προσιστορήσας τὴν ὁδὸν ᾗ ἐχρήσατο διώκων τοὺς περὶ Βησσὸν ὡς ἐπὶ Βάκτρων Ἀλέξανδρος ἐκ τῆς Παρθυηνῆς), seine indischen Kapitel – und gerade bei der Frage nach den besten Quellen der indischen Geographie spricht er von dem berufenen ὑπόμνημα – sind zum weitaus grössten Teil Auszüge aus den Alexanderhistorikern: mit einem Wort, Strabon hat sich für seine Geographie geographisch wichtige Stellen aus den Alexanderhistorikern excerpiert, und sein ὑπόμνημα ist nicht ein verlorenes x, ein bequemer Haken, um alle möglichen Combinationen daran zu hängen, sondern es liegt unverkürzt und allen zugänglich in seinem erhaltenen geographischen Werk vor.

Nach jener v. Gutschmidschen Hypothese müsste Strabons ὑπόμνημα so ungefähr das Allerweltscompendium für alle gewesen sein, die von Alexander lesen und schreiben wollten. Dies litterarische Ansehen steht in merkwürdigem Gegensatz zu der Thatsache nicht nur, dass von dem vermeintlichen ὑπόμνημα kein einziges Citat aufzutreiben ist, sondern auch zu der Stellung, die Strabon in der Litteratur eingenommen oder besser nicht eingenommen hat. Der vornehme Kappadokier, schulmässig in Rhetorik und Philosophie erzogen, angesehen in der römischen Gesellschaft, ein nüchterner, fleissiger Dilettant, glaubte ein zweiter Poseidonios sein zu können und begriff nicht, dass dessen Wirkung nicht auf seiner ἱστορία, sondern auf seinem Stil und auf der grossen, aufs Ganze gerichteten Persönlichkeit beruhte. Seinen sorgfältig, aber in hellenistischem Kathederstil geschriebenen Büchern fehlte das Publicum. Der Menge waren sie zu gelehrt und den Gelehrten, denen die Originalquellen zu Gebote standen, zu sehr Compilation. Die Geographie ist in guter Zeit unbenutzt und von den Byzantinern erst entdeckt; das Geschichtswerk wird nur von einzelnen für einzelnes nachgeschlagen. Da wäre es sehr sonderbar, wenn eine sonst spurlos verschollene Alexandergeschichte ein tonangebendes Werk gewesen wäre.

Diese allgemeinen Erwägungen treffen mit dem zusammen, was die Analyse der einzelnen, zum Beweis der v. Gutschmidschen Hypothese von Luedecke (Leipz. Stud. XI) zusammengebrachten Stellen ergiebt. Es ist zuzugeben, dass die Erzählungen von dem Vorzeichen, das Alexander in den babylonischen Sümpfen widerfuhr, bei Arr. VII 22 und Appian. Syr. 56 so völlig übereinstimmen, [1245] dass es nicht ratsam ist, hier den Zufall zu Hülfe zu rufen. Das ist aber, wie jetzt feststeht (vgl. o. S. 235ff.), kein Beweis für, sondern gegen Strabon als gemeinschaftlichen Gewährsmann. Bei Appian steht die Anekdote unter lauter Vorzeichen von Seleukos künftigem Glück, und es nimmt sich seltsam aus, dass die Beziehung auf Seleukos in dieser einen Geschichte nur als Variante gegeben wird, und überhaupt nicht Seleikos, sondern Alexander im Mittelpunkt der Handlung steht. Ich halte das für ein Anzeichen, dass Appian hier aus eigener Lectüre A.s ganz selbständig ein Stück eingeschaltet hat; jede andere Hypothese verwickelt in unlösbare Schwierigkeiten. Es wird besonderer Wert darauf gelegt, dass A. (VI 11, 4ff.), Strabon (XVI 737) und Plutarch (Al. 31), wo sie die Frage nach der richtigen Bezeichnung der Schlacht bei Gaugamela und Arbela behandeln, alle drei die gute Überlieferung in Gegensatz zu der vulgären Tradition stellen. Bei Strabon verrät die Polemik gegen die makedonische Legende, welche die Historiker irre geführt hätte, ohne weiteres Eratosthenes (vgl. XV 688). Plutarch giebt allerdings die gleiche Erklärung des Namens Γαυγάμηλα, aber nicht aus Eratosthenes, da er den Skythenzug des Dareios schwerlich mit τῶν πάλαι τις βασιλέων ἐκφυγὼν πολεμίους bezeichnet haben würde. A. endlich stellt die beiden Bezeichnungen einfach einander gegenüber, aber in einem Ton, der die stilistisch zurecht gemachte Ansicht des Eratosthenes verrät; diesen aber hat er direct benützt. A.s Polemik gegen die Vulgata, die Ptolemaios das Verdienst zuschrieb, Alexander vor den Mallern gerettet zu haben (VI 11, 8), soll aus Strabon sein, weil nach Curt. IX 5, 21 hinter der Vulgata Timagenes stecke und Strabon notorisch Timagenes citierte (IV 188. XV 711. Joseph. ant. XIII 319). Die Schlusskette muss bis zu Ende gedacht werden, dann führt sie zu dem Ergebnis, dass auch Curtius Strabon benutzt hätte. Arr. VII 3 und Strabon XV 717 führen beide Varianten über Kalanos Tod an; aber in dieser Geschichte waren die Varianten hergebracht, wie z. B. der Autor von Arr. VII 3, 3 gegen den von Plut. Al. 69 benützten polemisiert, und schon Onesikritos hatte als Kyniker die Meinung bekämpft, dass Kalanos nicht in ruhigster Haltung den Tod hätte an sich herankommen lassen (Lucian. Peregrin. 25). Nach diesem, für die Geschichte wesentlichen Gesichtspunkt, wie Kalanos sein Sterben eingerichtet hätte, ordnet Strabon die Varianten, aber bei A. ist davon nichts zu spüren; er folgt der für Kalanos günstigeren Version, und seine Varianten beziehen sich nur auf Nebendinge. Über den Namen Βουκεφάλας vertritt Strabon die bei Gell. V 2, 4 ausführlich berichtete Tradition, aber A., der V 19, 5 mehrere Erklärungen anführt, weiss gerade von dieser nichts; von seinem Tod ferner erzählt jener das, was A. und Plutarch (Al. 61) verwarfen. Kurz und gut, im ganzen wie im einzelnen erklärt die v. Gutschmidsche Hypothese nichts und schafft nur Schwierigkeiten, ist also falsch.

Die Ἰνδική ist nach A.s eigener Angabe am Schluss des Buches selbst und in der Anabasis (V 5, 1) ein Excurs zur Alexandergeschichte, der sich ihm von selbst ergab, als er bei Aristobul [1246] und Nearch die gewaltigen Massen topographischen und kulturgeschichtlichen Materials über Indien fand. Ihm schien das den Rahmen der historischen Erzählung zu sprengen, und so verfiel er darauf, in einer besonderen Schrift das, was in die Geschichtserzählung nicht hineinpasste, zusammenzustellen; so konnte er auch den klassischen Autor über Indien, Megasthenes, bequemer heranziehen. Von dem Dialekt ist schon die Rede gewesen. Als seine Gewährsmänner nennt A. selbst Nearch, Megasthenes und Eratosthenes (V 5, 1), thatsächlich die besten, die zur Verfügung standen, und wie er anab. V 6. 7 aus diesen dreien zusammengeschrieben hat (vgl. Nearch bei Strab. XV 691 und Megasthenes in der Parallelstelle Ind. 4, 2ff.), so im wesentlichen auch die ganze Ἰνδική, deren Analyse sehr leicht ist. Aus Eratosthenes stammen 2. 3, 1–8 (Citat 3, 1; vgl. ferner Strab. XV 689. 690 und das Parallelexcerpt anab. V 4, 1. 5, 1–6, 3. III 28, 5). 5, 10–12 (= anab. V 3, 1–4. Strab. XV 687f.). 6, 8. 9 (Strab. XV 690); sehr wahrscheinlich auch 25, 7. 32, 10. 43 (vgl. Berger Fragm. d. Eratosth. 94). Megasthenes hat für die eigentliche Beschreibung Indiens natürlich das meiste geliefert: 3, 9–5, 9 (vgl. Strab. XV 686f.), von der Einlage 4, 13–16 abgesehen; 5, 1 mit Diodor. II 37, 5 verglichen, zeigt, dass eine physikalische Erörterung gestrichen ist. 6, 2. 3 (vgl. Strab. XV 703. Diod. II 37, 7). 7–14. 15, 5. 6. Aber es finden sich Einlagen aus Nearch, zum Teil von erheblichem Umfang: 6, 4–8 (Strab. XV 692. 696). 11, 7. 15, 1–4. 8. 10–12. 16. 17, 1–5 (vgl. Strab. XV 716f. 705), und eine, ganz im Anfang (1, 1–8), aus Aristobul, wie die Nysaeer verraten, über die Megasthenes (Diodor. II 38, 4) anders berichtete: A. brachte hier das Stück aus Aristobul unter, das er in der Erzählung des indischen Feldzugs unterdrückt hatte, um nicht mit Ptolemaios zu arg in Conflict zu geraten. Den zweiten Teil der Schrift nimmt, von den kleinen Einlagen aus Eratosthenes und dem Schlusskapitel abgesehen, der Auszug aus dem Bericht Nearchs über seine Fahrt vom Indus an den Euphrat ein (vortrefflich erläutert von Tomaschek S.-Ber. Akad. Wien CXXI VIII), dessen Echtheit ohne den Schatten eines Grundes angezweifelt worden ist; im Gegenteil liegt hier ein Document von einziger Art vor, das schlicht und unmittelbar ein Bild davon giebt, wie sich in der Umgebung des grossen Königs heroischer Schwung und edelste Diensttreue paarten; dass er uns von dieser Urkunde soviel erhalten hat, ist allein ein Verdienst, das hinreicht, A. unsterblich zu machen. Freilich ist das Verdienst erworben durch eine schriftstellerische Sünde; denn diese Erzählung ist mit der vorhergehenden Beschreibung nur anorganisch verbunden. A. steckt hier noch in der Compositionsmanier, die für seine ersten Schriften so charakteristisch ist, und mag geglaubt haben, dass er durch die Aufnahme der Erzählung Nearchs gewissermassen ein Mittelglied zwischen der Beschreibung Indiens und der Alexandergeschichte schaffe und so diesem Anhang Berechtigung verleihe.

A. steht als Schriftsteller weit hinter den grossen Erscheinungen der flavischen und traianischen Epoche zurück. Es kann nicht die Rede [1247] davon sein, dass er wie Plutarch die peripatetische θέσις und Geschichtsphilosophie, wie Dio die kynische Sokratik, so die klassische Historiographie erneuert hätte; seine Nachahmung hat immer etwas Totes und Gemachtes. Aber es ist auch nicht billig, den Mann, der seine besten Jahre dem Kaiser geopfert hatte und erst spät den Dienst des Reichs mit dem der Musen vertauschte, an solchen zu messen, die von Anfang an sich die Aufgabe gestellt hatten, die hellenisch-römische Gesellschaft zu belehren und zu bessern, sondern die richtige Folie für ihn ist ein Mensch wie Appian, auch ein ausgedienter Beamter, der sich aufs Geschichteschreiben legte. Da wird klar, wie hoch der Consular und kaiserliche Provinciallegat über dem Advocaten, der es nur bis zur titularen Procuratur bringt, steht, und wie auch bei mässiger Begabung und in ungünstiger, unfruchtbarer Zeit eine im Leben gereifte Tüchtigkeit des Charakters und eine die Höhen dieser Welt mit umfassende Erfahrung sehr achtbare Leistungen hervorbringen können. Wenn das Bild des weltbezwingenden Königs der Nachwelt im Nebel des Romans nicht verschwommen ist, wenn wenigstens die Umrisse noch deutlich hervortreten, so hat nicht nur ein glücklicher Zufall, sondern vor allem die wackere, kernige Persönlichkeit des bithynischen Römers, der an diesem Stoff sich zum Historiker heranbilden wollte, das Verdienst.

Über die hsl. Überlieferung der kleinen Schriften A.s ist Eberhards Vorwort zu der neuen Auflage der Hercherschen Ausgabe zu vergleichen; eine Neubearbeitung namentlich der Ἰνδική ist keineswegs überflüssig. Von der Anabasis existiert noch keine kritische Ausgabe; selbst die für die besten geltenden Hss., Laur. 9, 31 und Paris. 1753, sind nur ungenügend bekannt.

Anmerkungen (Wikisource)

  • Siehe auch Arrianus 9a von Werner Eck (*1939) im Supplementband XIV, Sp. 58.