Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Schlachtort in Assyrien: Alexander d. Gr. - Dareios Kodomannos
Band VII,1 (1910) S. 861863
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Gaugamela (Γαυγάμηλα), Dorf in Assyrien; vgl. Arrian. III 8, 7. VI 11, 5. Plut. Alex. 31. Strab. XVI 737. Plin. n. h. VI 30. Ptolem. VI 1, 5. [862] Cass. Dio LXVIII 26. Itin. Alex. (Anhang zu Dübners Arrian) 57, bietet die korrumpierte Form Gausamelis. Ammian. Marc. XXIII 6, 22. Steph. Byz. (ed. Meineke) 200 (Zitat aus Apollodor). Berühmt durch die am 31. Oktober 331 in dessen unmittelbarer Nähe stattgefundene große Entscheidungsschlacht zwischen Alexander dem Großen und Dareios Kodomannos. Strabon deutet den Namen G. als ,Haus des Kameles‘, und zwar soll dieser Ort seine Bezeichnung dem Umstande verdanken, daß Dareios I. ihn zum Unterhalte für jenes treue, mit dem königlichen Proviante beladene Kamel bestimmte, das ihn durch seine Ausdauer aus allen Fährnissen der skythischen Wüsten gerettet hatte; ähnlich berichtet Plutarch. Von dieser Erklärung ist nur soviel richtig, daß der zweite Bestandteil des Wortes die aramäische Form gamelā darstellt; aber ein aramäisches gau = ,Haus‘ gibt es nicht. Kamelhaus würde in dem aramäischen Idiom der Achämenidenzeit etwa Bai oder Bē (Abkürzung von Bait, Bēth) gamelā lauten. Die Strabonische Erklärung darf wohl lediglich als eine orientalische volksetymologische Legende bewertet werden; daß mit solchen die Semiten bei ihrer ausgesprochenen Vorliebe, um jeden Preis die Bedeutung geograpischer Namen zu entziffern, von jeher gern bei der Hand waren, ist bekannt. Man denke nur an die Etymologien der Bibel oder werfe z. B. einen Blick in das große arabische Wörterbuch Jāḳuts. G. kann, aus dem Aramäischen erklärt, kaum etwas anderes als ,Kamelsrücken‘ bedeuten; der stat. constr. gaὐ von aramäisch gabbā = ,Rücken‘ (assyrisch gabbu) erscheint hiebei infolge Dissimilation (vgl. zu dieser lautlichen Erscheinung Brockelmann Grundriß der vergleich. Gramm. d. semit. Spr. I 232ff. 246 und Ružička in Beitr. zur Assyriol. VI 4, 106f.) als gaw (gau). Demnach wäre G. zunächst die Benennung für einen Bergrücken oder Hügel, an dessen Fuße oder Abhange die gleichnamige Ortschaft lag. Analoge Bezeichnungen finden sich auch sonst im Oriente; so heißt z. B. ein Bergrücken bei Erzerum Dewe Bojūn (türkisch) = ,Kamelnacken‘ (s. Ritter Erdkunde X 388).

Was die Lage des Schlachtfeldes anlangt, so lehren die Darstellungen der Alten und der topographische Befund ganz deutlich, daß es sich nur um die Gegend westlich vom großen Zāb, zwischen ihm und den Trümmern von Ninive (das merkwürdigerweise in den antiken Berichten mit keinem Worte erwähnt wird), handeln kann. Wenn die Vulgata der klassischen Schriftsteller, im Anschlusse an Kallisthenes, immer von der ,Schlacht bei Arbela‘ oder ,bei Arbela und Gaugamela‘ redet, so ist dies ganz ungerechtfertigt (was übrigens schon Arrian. Plutarch und Strabon betonen; vgl. dazu auch Schwartz o. Bd. II S. 1245); denn Arbela liegt gegen 40 km östlich vom großen Zāb. Die Benennung des Schlachtterrains nach Arbela erklärt sich durch die Absicht, den Namen einer bekannteren Stadt zur ungefähren Orientierung zu gebrauchen, und aus der Tatsache, daß Alexander am Tage nach der Schlacht sein erstes Hauptquartier in Arbela aufschlug. Die ganze Klärung der topographischen Situation angelt in der Verifizierung des Flusses Bumodos (Βούμωδος: Arrian. III 8, 7. VI. 11, 10. Curt. IV 9, 10: Bumelus. Itin. Alex. 57: Bumodus, [863] var. Bulemus); denn westlich von diesem breitete sich die persische Schlachtlinie aus. Seit der eingehenden topographischen Untersuchung, welche der Ingenieur Czernik 1873 dem Territorium zwischen Niniveh und Ġehel Maḳlūb (im Osten) widmete, erblickt man den Bumodos zumeist in dem Ḫāzir oder Ḫāzir-ṣū (so!, vgl. Jākūt II 288; die europäischen Reisenden schreiben Ghazir, Chazer, Haser und ähnl.), einem Nebenflüsse des großen Zāb. Aber mit dieser Identifikation sind, wenn man (mit Czernik) den Ḫāzir-ṣū von der geographischen Breite von Kermelīs aus rechnet, die Angaben Arrians, wo die Entfernung des Bumodos von Arbela auf 500–600 Stadien (also rund ca. 100 km) taxiert wird, und die Notiz des Curtius, der den Abstand zwischen Lycus (großer Zāb) und Bumelus auf 80 Stadien (= 151/2 km) veranschlagt, keineswegs in Einklang zu bringen, da in ersterem Falle die Distanzangabe gut um die Hälfte, im letzteren etwa um ein Drittel zu hoch gegriffen ist.

Und selbst wenn man, mit Droysen, den beim heutigen Kermells vorbeifließenden Hazna Dere (auf R. Kieperts Karte bei Oppenheim II 152: Schōr Dere) für den Bumodos hält, so ist damit noch keineswegs die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der bei Arrian überlieferten Distanzberechnung behoben. Doch würden diese Bedenken nicht zu stark in die Wagschale fallen, da auf die überlieferten Zahlen kaum ein zu großes Gewicht zu legen ist. Was aber vor allem dagegen spricht, die Position von G. in einigen Ruinen unweit der Mündung des Ḫāzir in den großen Zāb (so Czernik, dem sich auch Kaerst anschließt) oder in den heutigen Kermelīs (Petermann Reis. im Orient. II 323: Kermelēs und Kelmelēs; andere: Karmelis, Ka(e)ramli(e)s; syrisch Ke(a)remlē(ī)š; Jāḳūt IV 267: Karmalīs) zu finden (so schon J. Rennel; dann Droysen und Forbiger Handb. d. alt. Geogr. II 613) – von dem von manchen (z. B. Sandreczki) hervorgehobenen, entfernten Namensanklang als Stütze für die Gleichung Kermelīs-G. ganz zu schweigen – ist die Existenz des heutigen Teil Gōmel nördlich vom Ġebel Maḳlūb, gut 30 km nordöstlich von Ninive.

Dieser Hügel wird im Süden von dem westlichen Hauptarme des Ḫāzir, dem Gōmel (bezw. Gōmel-ṣū) bespült, welcher, verstärkt durch verschiedene vom Ġebel Maḳlūb kommende Bäche, in ostsüdöstlicher Richtung fließend, mit seinen Wasseradern die ausgedehnte Ebene der Landschaft Naukūr, in deren Mitte sich der Teil Gōmel erhebt, berieselt. Einen in diese Gegend zu verlegenden Ort Gōmal (arabisch Ġaumal) kennen wir aus syrischen und arabischen Quellen; vgl. die syrische Chronik des Barhebraeus (ed. Abbeloos et Lamy II 122) und Jāḳūt II 159, welch’ letzterer speziell die dort befindliche in den arabischen Historien mehrfach erwähnte Steinbrücke (ḳanṭara) hervorhebt. Dieser Platz wird demnach unmittelbar oder ganz nahe dem Gōmel-ṣū zu suchen sein. Jāḳūt weiß auch von dem Gebrauche des Wortes (Ġaumal als Landachafts- oder Distriktsbezeichnung. In diesem Sinne begegnet es außerdem in der aus dem 9. Jhdt. stammenden Historia Monastica des Thomas von Margā (ed. Budge, London 1893), I 164 Z. 1 und zwar in der sehr wichtigen Form [864] גרגמל‎ (vokalisiert Gōgmal), worin, wie Nöldeke (Literar. Zentralbl. 1893, 1752) erkannt hat, nur G. stecken kann. Unter G. (Gōgmal, Ġaumal) als Gaubenennung wird man mithin die Gegend mit dem Teil Gōmel als Zentrum, d. h. den heutigen Distrikt Naukūr oder wenigstens den südlichen Teil desselben zu verstehen haben. Meine obige Deutung von G. als ursprüngliche Bezeichnung eines Bergrückens oder Hügels, dessen Profil mit einem Kamelhöcker verglichen wurde, findet also in dem Vorhandensein des Teil Gōmel eine vortreffliche Stütze. Der Name G. haftete wohl ursprünglich nur an diesem Hügel, wurde dann auf den ihn bespülenden Fluß, sowie auf die dortige, gewiß seit uralter Zeit als Brückenpassage (die Flußübergänge reichen im Orient fast alle in graues Altertum hinauf!) wichtige Ortschaft und schließlich auf den ganzen umliegenden Bezirk übertragen.

Die Entstehung der Form Gōmal (Ġaumal) aus Gōgmal bezw. Gōgamelā (G.) erklärt sich einfach durch die Annahme von Silbenhaplologie (vgl. zu dieser lautlichen Erscheinung Brockelmann a. a. O. I 259ff.); ganz ähnlich heißt eine Landschaft am großen Zāb bei Arbela bei den Arabern sowohl Bābaġīš als Bāġāš (vgl. G. Hoffmann Syrische Akten persischer Märtyrer 227). Es mag noch darauf hingewiesen werden, daß auch in den aus der Zeit des Dareios II. stammenden Geschäftsurkunden von Nippur mehrmals eine Ortschaft Gammalē = ,die Kamele‘ vorkommt (s. Clay Babylon. Exped. of the Univers. of Pennsylv., vol. X, Philadelphia 1904, 68), die aber, wie wohl alle übrigen in diesen Urkunden namhaft gemachten Plätze, in Babylonien zu suchen sein wird.

Als Schlachtfeld von G. ergibt sich also, nach vorstehenden Darlegungen, deutlich die Ebene westlich vom Gōmel-ṣū; dieser muß der Bumodos sein. Den Rückzug trat Dareios jedenfalls auf der von Tell Gōmel über Bardaresch nach dem großen Zāb laufenden Straße an, die jenseits dieses Flusses (bei Dere-bīrūsch) in einem von Norden (von Herīr) her nach Arbela eilenden Karawanenweg einmündet. Während die direkte Entfernung von Tell Gōmel und Arbela (in der Luftlinie) ca. 70 km beträgt, kommen, wenn man die fragliche Distanz nach dem Verlaufe der obigen Straßenzüge berechnet, wohl nahezu 100 km heraus, womit die Angaben Arrians ihre volle Bestätigung erhalten. Hingegen läßt sich die Notiz des Curtius über den Abstand des Bumodos von Arbela auch mit unserer Lokalisierung des Schlachtfeldes nicht in Einklang bringen; sie ist um mehr als die Hälfte zu niedrig. Es liegt aber hier wohl ebenso gut eine der Flüchtigkeiten dieses Autors vor, wie in seiner Behauptung, Dareios habe noch in der auf die Schlacht folgenden Nacht Arbela erreicht – eine schlechterdings unmögliche Leistung. Literatur: Über die Vorgeschichte und den Verlauf der Schlacht vgl. die Berichte von Arrian III 8–15 (Hauptquelle). Plut. Alex. 31ff. Diod. XVII 55ff. Curt. IV 9ff. (dazu Kaerst Forsch. zur Gesch. Alex. 39ff.). Iust. XI 13ff. Polyaen. IV 3, 6. 17ff. 26. Aus der neueren Literatur ist hervorzuheben: Droysen Gesch. des Hellenismus2 I 318ff. Rüstow und Köchly Gesch. des griech. Kriegswesens (1852) 283–291. Zolling Alexanders Feldzug in Centralasien (1875) 19ff. [865] B. Niese Gesch. der griech. und maked. Staaten I (1893) 91ff. H. Delbrück Gesch. der Kriegskunst im Altertum I (1900) 177ff. J. Kaerst Gesch. des hellenist. Zeitalters I (1901) 302ff.; vgl. auch desselben Darstellung oben Bd. I S. 1424. Fr. Hackmann Die Schlacht bei Gaugamela, Halle 1902 (Dissert.). Der Hauptwert der letzteren Monographie beruht in den quellenkritischen Untersuchungen; die militärisch-technischen Ausführungen werden von H. Delbrück (in DLZ 1902 nr. 51–52 S. 2230f.) scharf getadelt und als völlig verfehlt charakterisiert.

Speziell für die topographischen Fragen kommen in Betracht: Rich Narrat. of a residence in Koordiston (Lond. 1836) II 80 und Anh. 299–305. K. Ritter Erdkunde IX 699–702. Sandreczki Reise nach Mossul u. Urmia (Stuttg. 1857) II 213ff. v. Thielmann Streifzüge im Kaukasus, in Persien usw. (Lpz. 1875) 335ff. Czernik in Petermanns Geogr. Mitteil., Ergänzungsheft XLV (1876) 3–4. Droysen a. a. O.2 III. II 209. G. Hoffmann Auszüge aus syrisch. Akten persisch. Märtyrer (Leipzig 1880) 192–202, bes. 194 (grundlegende Topographie des Stromgebietes des Ḫāzir). Hackmann a. a. O. 42–45 (schließt sich an Czernik und Droysen an). J. Marquart Untersuch. z. Gesch. von Eran II (Leipzig 1905) 25. E. Herzfeld im Memnon I (Leipzig 1907) 128. Was die Kartographie anlangt, so berücksichtigen die auf genaue trigonometrische Aufnahmen (im 1852) beruhenden Karten von Niniveh und Umgebung von F. Jones (erschienen 1855 unter dem Titel: ,Vestiges of Assuria‘; dazu Text im Journal usw. im Journal of Roy. Asiat. Societ. 1855 Bd. XV, S. 297–397) im allgemeinen nur das Land bis zum Ġebel-Maḳlūb, vor allem also das vielfach für das Schlachtfeld angesehene Plateau von Kermelīs; das gleiche gilt von der eben falls auf Grund eigener Vermessungen (im J. 1873) entworfenen Czernikschen Karte des Schlachtfeldes (a. a. O.; wiederholt in Droysens Werke). Vgl. noch H. Kieperts Karte zu Sachaus Reise in Syr. u. Mesop. (1883) und R. Kieperts Karte bei M. v. Oppenheim Vom Mittelm. z. Pers. Golf (1900) II 182; in beiden ist die Identifizierung des Tell Gōmel mit G. vollzogen. Eine genaue topographische Aufnahme der Umgegend des Tell Gōmel und der Landschaft Naukūr fehlt noch.

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