Gemein-Nachrichten - Beylagen 1774,3: No. IV

No. III.) Beylage zur 12. Woche 1774 Gemein-Nachrichten - Beylagen 1774,3 (1774) von Herrnhuter Brüdergemeine (Hrsg.)
No. IV.) Beylage zur 16. Woche 1774
No. V.) Beylage zur 20. Woche 1774
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No 4.
Beylage zur 16.ten Woche 1774.
enthaltend folgende
Auszüge aus eingelaufenen Nachrichten.
I. Lebensläufe.

1.) Die am 30ten Aug. 1773. in Berlin heimgegangene Wittwe Anna Kreitschin geb. Brschen hat folgendes von sich aufschreiben laßen:

„Ich bin anno 1707. in July zu Breitenthal in Leitomischler-Gebiet geboren. Meine Eltern hatten einige Erkenntnis des Heils, u. des göttlichen Worts, u. führten mich auch dazu an. Ich erinnere mich auch noch, daß ich in meinem 10. ten Jahr apart vom Heiland angefaßt worden, u. gerne Seine werden wollte. Als sich aber hernach mein Natur-Verderben, in mir zu regen anfing, u. ich mich davon hinreißen ließ, so ging ein Streit u. Unruhe in mir an. Ich wuste noch nicht viel vom Heiland; die Welt liebte u. lobte mich sehr, u. ich fühlte auch nicht wenig Lust zu ihr. Wenn daher meine Eltern nicht ein so scharfes Auge auf mich hatten gehabt hätten, so würde ich schon damals ganz in die Welt u. Sünde gerathen seyn.

Anno 1726. verheyratheten mich meine Eltern an meinen seeligen Mann Thomas Kreitschi, weil sie mich gern vor der Welt bewahren wolten; denn sie fanden bey diesen Mann einige Erkenntnis [370] u. Trieb zur heiligen Schrift u. eine Furcht-Gottes. Wir lebten auch friedlich mit einander, u. wollten nur Kinder der Seligckeit werden. Anno 1731. besuchte uns ein erweckter Böhme aus Sachsen, u. sagte uns mit einem lebendigen Herzen etwas von Jesu, wobey unser beyder Herzen etwas besonders fühlten, u. es wurde uns gleich so, Haus u. Hof zu verlaßen, u. nur einzig u. allein, unsrer Seelen Seligckeit zu suchen.

1732. gingen wir aus, u. kamen glücklich zu den Böhmen nach Gerlachsheim. Der heilige Geist führte uns hier durch die Predigten des lieben Pastors Schulz auf unser Herz, u. machte uns klar, daß wir ohne Jesum verdamungs würdige Creaturen wären, u. ich suchte u. fand Vergebung meiner Sünden in Jesu Tod, u. der Heiland erzeigte mir viel Gnade, u. ich kam in eine seelige Gemeinschaft mit den dortigen Seelen, woran ich noch immer mit besondern Vergnügen dencke. Als die ganze Gerlachsheimische Gemeine Anno 1737. aus Sachsen ging, kam ich u. mein Mann hieher nach Berlin, welches ein schwerer Weg für mich war, weil mir mein jüngstes Töchtergen von ¾tel Jahren unterwegs kranck wurde, u. auch auf der Land-Straße in meinen Armen heimging. Wir trugen das Kind ins nächste Dorf, wo der Prediger so geneigt war, daß er es begrub, da er von [371] unsern Ausgang Nachricht erhielte. Hier in Berlin ging es uns im innern u. äußern anfangs sehr schwer, bis es wieder zu einiger Anfaßung unter den Seelen kam. Anno 1740. kam eine neue Erweckung unter uns; im Anfang ging es recht gefühlig gegen den Heiland, hernach aber kamen wir in allerhand Confussionen, u. ich hätte um alle Gnade kommen können, wenn der treue Heiland nicht seine Hand über mich gehalten hätte. Hierauf wiederfuhr uns die Gnade, daß sich die Gemeine unsrer annahm u. uns die Geschwister Jaeschkens schickte. Der Heiland schenckte mir den Geist der Offenherzigkeit u. ein kindlich zutrauliches Herz zu diesen lieben Geschwistern. Ich fühlte mich ganz los gemacht von meinen Banden, u. es ging bey mir eine neue Gnaden-Zeit an, in der ich mein Grund-Verderben sünderhaft erkennen lernte. Bey der Einrichtung der Böhmischen Gemeine 1745. ward ich ihr zu meinen großen Segen einverleibet, u. gelangte auch mit zum heiligen AbendMahl. 8. Kinder hat der Heiland mir geschenckt, nemlich 1. Sohn u. 7. Töchter, davon 6. zum Heiland gegangen, u. 2. Töchter sind noch in der Pflege der Gemeine.“ So weit ihre Erzehlung. Von obbenannten 2. Töchtern ist die Aelteste so wie ihr Mann ihr auch noch voran gegangen, [372] die jüngste noch lebende ist vorm Jahr an unsern Bruder Prozzen verheyrathet worden, u. sie hatte noch die Freude ein Enckel Töchtergen zu erleben. Die vorgedachte Gnaden-Zeit ist ihr so wie vielen andern unsrer theils noch lebenden, theils schon vollendeten Böhmischen Geschwistern eine wahre Erledigung aus den Banden gewesen, da sie Gnade in Jesu Blut als eine Sünderin gesucht u. gefunden hat. Allein sie verlor diese Sünder-Spur, u. der Heiland erreichte nicht ganz seinen Zweck mit ihr. Er aber, der alles, auch das verborgen bleibende weiß, u. sie nicht wollte verloren gehen laßen, wußte Mittel, da es mit Liebe nicht ging, sie genau zu nehmen, u. zur Erkenntniß u. Reue über ihren untreuen Gang zu bringen, welches ihr freylich tiefe, aber heilsame Schmerzen machte. Sie war schon Jahr u. Tag sehr schwach, u. oft zum Heimgehen Kranck; hatte da viele Zeit u. Gelegenheit mit dem Heiland aus zu reden, u. man traf sie oft darinn an. Als ihr Enckelgen am 28tn Aug. 1773. heimgegangen war, sagte sie: ich werde wol balde folgen. U. als sie das Leichlein am 30ten zum Begräbniß beschickten, überfiel sie eine Schwäche, u. kaum konnten ihre Kinder herein gerufen werden, so hatte schon ein Schlagfluß sie zur ewigen Ruhe befördert. [373] Da denn das Begräbnis ihres Enckelgen bis auf den 1. ten Sept. verschoben, u. beyde Leichen zugleich beerdigt wurden. Ihr Alter hat sie auf 67. Jahr u. 1. Monat gebracht.

Die in Ebersdorff heimgegangne kleine Maria Magdalena Rumpel war d. 21. ten Oct. 1769. in Neusaltz geboren. Ihr lieber Vater ging daselbst d. 27. ten May. 1772. zum Heiland. Dieser Vorgang machte, weil sie ihn zärtlich liebte, einen sehr starcken Eindruck auf ihr Gemüth, so daß ihr von der Zeit an, wenn sie wegen eines Heimgangs blasen hörte, gar bald die Thränen in den Augen standen, u. sie immer sagte, sie wolle auch zum Heiland gehen, wo ihr Vater wäre. 1772. d. 9. ten Jul. kam sie mit ihrer lieben Mutter hier in Ebersdorf an. Sie war von Geburt an ein kränckliches Kind; ihr Herz aber war sehr zärtlich gegen den Heiland. Seit ihren lezten Geburts-Tag war sie besonders gefühlig, u. redte sehr viel vom Heiland u. vom Heimgehen u. das mit großer Lebhaftigkeit. Im singen u. Versel lernen war sie unermüdet. Die Gesellschaften der Kinder liebte sie sehr, ingleichen die Singstunden derselben. Am lezten Kinderfest. d. 17. ten Aug. wurde sie gefragt, was sie sich beym Anbeten vom Heiland ausgebeten, da sagte sie: ein blutigs Herze.

D. 28. ten kriegte sie einen heftigen Anfall von [374] ihrer Nerven Kranckheit. Ihre Mutter muste sie mit singen ihrer liebsten Versel während ihres Kranckseyns unterhalten. D. 31. ten Vormittags waren ihre lezten Worte: ich gehe zum Heiland! U. so ging ihr Seelgen am bemeldtem Tage in die Arme des treuen[WS 1] Kinder-Freundes, ihres Alters 3. Jahr, 9. Monat u. etliche Wochen.

3.) Die am 2. ten Sept. 73. entschlafene verwittwete Schwester Maria Susana Truxin geb. Dropp hat folgendes schriftlich hinterlaßen:

„Ich bin 1707. d. 13. ten Aug. zu Wiesenthal in Sachsen geboren. Meine Eltern verlor ich frühzeitig, aber meine älteste Schwester nahm sich meiner mit Mutter Treue an. Ich war von Kindheit an um meine Seligkeit bekümmert, dahero ich mich eines fromen u. ehrbahren Lebens befließ. Ich war oft so unruhig, daß ich mir keinen Rath wuste. Denn daß man in den Wunden Jesu allein Ruhe vors Herz findet, das war mir verborgen. 1733. verheyrathete ich mich an Daniel Trux, mit dem ich 27. Jahr in einer vergnügten Ehe gelebet u. 5. Kinder hatte. 1750. war die erste Erweckung in Wiesenthal, dabey meine älteste Tochter auch vom Heiland ergriffen wurde. Da sie aber zu den Erweckten gehen wollte, wollte ich sie nicht laßen, denn ich glaubte, sie möchte verführt werden. Sie wagte es aber u. ging wider meinen Willen. Weil ich u. mein Mann nun darüber [375] bekümmert waren; so ging mein Mann einmal in die Versammlung, um zu sehen, wies da zu ginge. Da kam Ihn der Heiland auch ans Herz; ich aber behielt noch immer eine Wiedrigkeit gegen die Sache. Darüber kam ich endlich ins Nachdencken; ich wurde kräftig gerührt, u. kriegte den Sinn, mich von ganzen Herzen zu bekehren. In der Zeit bewieß sich der liebe Heiland öfters sehr kräftig an meinem Herzen; aber mein eigengerechtes Wesen machte mir viel Noth u. Unruhe, weil ich nicht als eine Sünderin zum Heiland kommen wollte. Der heilige Geist aber brachte mich nach u. nach auf mein tiefes Verderben. 1756. krigten wir den ersten Besuch aus der Gemeine, das war der liebe Bruder Buttler. Anno 1758. wurde mein Mann sehr schmerzhaft kranck. Dieses war nicht nur ihm, sondern auch mir eine Gelegenheit uns dem Heiland ganz zu ergeben. 1760. ging er selig heim. 1761. kam ich mit meinen Kindern zu unsrer großen Freude hier in Ebersdorf an. Wie mir bey den ersten Anblick der Gemeine war kan ich nicht beschreiben. Der heilige Geist nahm mich in die Arbeit, u. zeigte mir die Feindschaft gegen den Heiland, u. den Unglauben, da ich mir vor Angst meines Herzens keinen Rath wuste. D. 22.tn Jul. ej. a. trat mir der blutige Heiland [376] in Seinen Wunden vor mein armes Herz, so daß ich in 1000. Thränen zerfloß, u. Er versicherte mich der Vergebung meiner Sünden. Ich wurde d. 29. ten Sept. in die Gemeine auf genommen, u. d. 13. ten Jan. 1762. Seines Leichnams u. Blutes im heiligen AbendMahl theilhaftig. O Die Gnade u. Barmherzigkeit des Heilands, die mich von Kindheit an begleitet, ist unbeschreiblich u. in der Ewigkeit werde ich dem Heiland nicht genug davor dancken können, daß Er mich zu Seinem Volck gebracht hat, u. die Güter in Seinem Leiden genießen laßen! Ach Sein Tod u. Leiden ist das jenige was mich arme Sünderinn durchgebracht hat! So weit ihr eigener Aufsatz:

Ihre Chor-Schwestern thun noch hinzu: Sie konnte sich über ihre Gnadenwahl, daß der Heiland sie samt ihren Kindern in die Gemeine gebracht hatte, nie genug ausdrucken. An den Gemein u. Chor-Gelegenheiten hatte sie einen wahren Genuß, u. versäumte nie gerne sie. Sie war überhaupt sehr Danckbar. Sie war überhaupt sehr Danckbar für alles, u. in ihrem Chor sehr geliebt. Seit einigen Jahren war sie sehr kräncklich, konnte aber dabey noch immer auf seyn. 1773. aber nahm ihre Schwachheit mercklich zu, sie war bey allen Schmerzen sehr geduldig, u. sagte oft: ich nehme alles aus [377] Seinen Händen an, vieleicht ist das eine Gelegenheit zu meiner baldigen Heimholung. Vor 14. Tagen muste sie sich ganz legen, u. man sahe bald, daß sie ihrer Vollendung entgegen eilte. Da sie von dem Chor-AbendMahl am 31. Aug. hörte, freute sie sich sehr u. sagte: Ach das ist mir etwas wichtiges! mein Verlangen darnach ist sehr groß, vieleicht ist dieses das lezte hienieden! Sie genoß darauf dieses hohe Gut mit hungrig u. durstigen Herzen. Den Tag drauf bezeugte sie, wie sie die vergangne Nacht im loben u. dancken mit dem Heiland verbracht habe. Sie wurde drauf immer schwächer; u. nachdem sie noch am 1.tn Sept. Abends ganz munter zu Bette gegangen war, so tratt d. 2. ten morgens um 7. Uhr ziemlich unvermuthet der seelige Moment ein, da sie, mit dem Segen ihres Chors in ihres ewigen Mannes Arme überging, ihres Alters 66. Jahr u. 3. Wochen.

4.) Die ebenfalls in Ebersdorf am 17.ten Sept. 73. heimgegangne ledige Schwester Anna Henriette Vollrath war 1750. d. 13. ten Aug. hier in Ebersdorf geboren. Sie hat folgendes von ihrem Lebenslauf hinterlaßen: 1755. kam ich in die Kinder Anstalt, worüber ich mich sehr freute. Vom Heiland hatte ich in meinen Kinder-Jahren wenig Gefühl. Ich bat Ihn zwar oft, mich zu [378] so einem Kinde, wie ich es aus den Nachrichten von andern hörte, zu machen, u. mein Herz mit seinem Blute zu besprengen; aber es hatte keinen Bestand. Anno 63. d. 25ten Merz kam ich ins Mädgen-Chor. Da lag es mir an, mich den lieben Heiland ganz zu ergeben, u. bat Ihn in diesen Jahren besonders über mich zu halten u. mich recht selig zu machen. Es ging auch eine Weile ganz gut, aber es war nichts bleibendes. Doch schenckte der Heiland mir die Gnade, am 26. ten Dec. a. e. in die Gemeine aufgenommen zu werden, da ich einen Bund mit Ihm machte, Seine zu seyn mit Leib u. Seele. Im folgenden Jahre hatte ich auch die Gnade zum AbendMahl mit der Gemeine zu gelangen. Ich ergab mich dabey als die ärmste Sünderin dem Heiland zum Eigenthum, u. hatte darauf eine recht seelige Zeit u. lernte mich immermehr als eine Grund verdorbene Sünderin kennen. Ich kan es dem lieben Heiland nie verdancken, was für Barmherzigckeit u. Treue Er in diesem Chore an mir gethan, u. ich will, wenn ich zu Ihm komme Seine durchgrabne Füße mit Tausend Thränen küßen.

Am 4. ten May. 1770. kam sie ins ledige Schwestern-Chor, u. sie wandelte in demselben dem Heiland zur Freude u. Ehre. Ihre tägliche Unterredungs Stunde mit dem Heiland, war ihr zum besondern [379] Segen, u. sie war sehr püncktlich darinnen, daß sie sowol ihre eigene, als der ganzen Gemeine Angelegenheiten[WS 2] dem Heiland vortrug. Sie war von Kindheit auf kräncklich u. gebrechlich u. dieses Jahr hatte sie, wegen großer Engbrüstigckeit viel aus zu stehen. Ihren lezten Geburts-Tag beging sie in der angenehmen Hoffnung, daß es der lezte seyn könnte, u. so war es auch: denn nach demselben muste sie die Kranckenstube beziehen, u. hatte ein sehr schmerzhaftes Krancken-Lager. Ihre Sehnsucht heimzugehen nahm dabey sehr zu, u. sie bat oft ihre Schwestern ihr dieses Glück vom Heiland erbitten zu helfen. Es wurden fleißig bey ihrem Bette Liturgien gehalten, da sie ihre liebsten Verse selber angab. Am 17. ten Sept. früh erhörte der treue Heiland das Verlangen dieser Seiner Krancken, u. holte sie zu sich, unter einer mit seiner Nähe begleiteten Liturgie, u. mit dem Segen ihres Chors, ihres Alters 23. ten Jahr u. 5. Wochen.

5.) Die in Neuwied heimgegangene ledige Schwester Benigna Caritas Cossard, hat folgendes von sich hinterlaßen. „Ich bin d. 22. ten Oct. 1748. in London geboren, reisete im Junio 1755 mit meinen lieben Eltern nach Herrnhuth, u. kam in dasige Mädgen Anstalt. Der liebe Heiland bekannte sich in meinen Kinder-Jahren gar oft zu [380] mir, als der Freund der Kinder. Anno 1760. d. 25ten Merz kam ich ins große Mädgen-Chor, u. ich gab mich dem Heiland aufs neue hin. 1762. wurde ich zu meiner Herzlichen Freude u. Beschämung in die Gemeine auf genommen. Nachher aber wurde ich gleichgültig gegen dem Heiland. Es zeigte sich das in mir liegende Verderben u. fehlte mir die Offenherzigkeit. So ging ich etliche Jahre hin ohne meinen Zustand zu entdecken. Als aber einmal in einer Chor-Viertelstunde über den Text geredet wurde: Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist p. Ob uns die Welt an einem Halme, ob sie uns an der Kette hält ist alles eins in Seinen Augen; fühlte ich eine große Unruhe, der liebe Heiland schenckte mir die Gnade, offenherzig zu seyn, u. ich bat Ihn zugleich über alle meine Untreuen um Vergebung, u. versprach Ihm ganz für Ihm zu leben. Anno 66. hatte ich die große Gnade, eine Mitgenossin am heiligen Abend Mahl zu werden.

D. 4. ten May. 1767. wurde ich ins ledige Schwestern Chor aufgenommen, u. kam d. 26. ten Aug. 1768. hieher nach Neuwied. In der folgenden Zeit war mein Gang nicht zu des Heilands Freude; Der Heiland zeigte mir aber die Größe meines Verderbens. Ich sahe mich als eine verlorne u. verdammungswürdige Sünderin an, u. nahm in diesem Zustande [381] meine Zuflucht zu dem Versöhner meiner Sünde, der auch für mich gebüßet, u. rief Ihn um Gnade u. Barmherzigkeit an. Er trat auch meinem Herzen wieder nahe, u. ich fand in Seinen Wunden Vergebung aller Sünden.“ So weit ihr Aufsatz. Im vergangnen Frühjahr bekam sie die Auszehrung, so daß sie im Jun. die Kranckenstube beziehen muste, u. vergnügte sich an dem stillen Umgang mit dem Heiland. Sie war ganz in den Willen des Heilands ergeben, u. wünschte, nur Ihm, für Seine angewandte Mühe u. Treue hier noch recht zur Freude u. Ehre zu werden. Macht Er mich wieder gesund, sagte sie: so soll es mein einziges Verlangen seyn: Ihn aus aller meiner Macht zu umfangen Tag u. Nacht. In dieser seeligen Herzens-Stellung blieb sie, bis d. 22.tn Sept. Abends in der 12. ten Stunde der so sehnlich erwünschte Moment eintrat, da sie unter einem sanften Friedens-Gefühl mit dem Segen ihres Chors in Jesu Arm u. Schoos erblaßte, ihres Alters 25. Jahr weniger 1. Monat.

6.) Der aus der Teutschen Societaet in Berlin heimgegangene verheyrathete Bruder Georg Lange schreibt von sich: „Ich bin 1697. d. 20ten Jan. in Lippen in der Neumarck geboren. Meine Mutter verlor ich balde, dahero mich meine Groß-Mutter zu sich nach Schönfließ nahm. [382] Mein alter Groß-Vater, ein frommer Mann, erzehlte mir ofte, daß Gott alles geschaffen, u. uns zu Seinem Ebenbilde gemacht hätte; Er hätte uns auch seinen einigen Sohn gegeben, um für unsre Sünden zu sterben. Anno 1711. nahm mich mein Vater zu sich, um sein Handwerck zu treiben. 1714. verließ ich meines Vatershaus u. ging nach Pohlen. Ich wurde für einen frommen Menschen gehalten, weil ich fleißig in die Kirche ging, u. erbauliche Bücher las. Ich gewann aber Lust zur Welt, u. da ich nach meines Vaters Tode 1719. nach Hause kommen muste; so wurde ich ganz in dieselbe verflochten. Endlich aber ließ ich alles im Stich, ging hieher nach Berlin, wurde bald Bürger u. Meister hieselbst, u. trat in die Ehe, in der der Heiland mir 5. Kinder geschencket, die aber schon alle bey Ihm daheime sind.

Weil ich stille u. eingezogen lebte, so ward ich für fromm gehalten, dachte auch selbst meiner Seligkeit gewiß zu seyn, ob mir gleich der Heiland u. Seine Wunden immer unbekannt blieben. 1740. wurde ich mit den Brüdern bekannt, kam aber wegen meiner eingebildeten guten Sachen nicht zum Genuß der wahren Seligkeit. Die Brüder redten mir treulich zu, u. ich bat den Heiland mir doch meines [383] Herzens-Zustand auf zu decken. Er erbarmte sich auch über mich, u. ließ mich meine Gnadenwahl in Seinem Wunden lesen. Ich wurde gebeugt u. klein, u. will nun sonst nichts wißen, als daß ein Lamm geschlachtet war.“

So weit seine eigene Nachricht:

Er ging von der Zeit seinen Gang stille u. selig fort, dachte gering von sich, u. nahm zu in kindlicher Bekanntschaft mit dem Heiland. Bey seinen Hausleuten u. Nachbarn war er als ein Kind des Friedens legitimiret, u. er hatte die Freude, daß verschiedene in seinem Hause mit dem Heiland u. den Brüdern bekannt wurden u. gediehen. Als sein Sohn, ein junger Mensch noch lebte u. Bruder Betschler u. noch mehrere Brüder bey ihm wohnten, war sein Haus ein rechtes Friedenshaus. Er hing dem Heiland u. dem Brüder Volcke treulich an, u. ließ sich von den Versammlungen nichts abhalten, bis 2. vor 2. Jahren ein Blutsturtz ihn sehr entkräftete. Endlich wurde er ganz Bettlägerig, u. sehnte sich nach seiner Auflösung. Der liebe Heiland hatte ihn vor etlichen Jahren einen tüchtigen u. treuen Gesellen zu geführt, der auch den Heiland lieb gewann, u. dem unser seeliger Bruder seine ganze Werckstatt mit allem Geräthe u. guter Kundschaft übergab. Nun war er aller irrdischen Sorge [384] überhoben, u. beschäftigte sich nur mit dem lieben Heiland besonders in seiner Kranckheit. Als die Geschwister ihr AbendMahl hatten, konnte er sich nicht genug aus drücken, wie nahe ihm der Heiland als seinem schwachem Kinde, die Nacht vorher gewesen wäre. Endlich erfüllte der Heiland am 17. ten Oct. 73. sein Verlangen, u. holte ihn zu sich ins gesunde Reich. Seiner Hütte die er 77. Jahr bewohnt, war es anzu sehen, an wem er geglaubt, u. sie hatte einen sehr lieblichen Blick.

7.) Die am 4. ten Nov. 73. in Zeist heimgegangene ledige Schwester Christiane Eliesabeth Staude hat von sich auf geschrieben.

„Ich bin 1741. d. 16. ten Nov. zu Uhyst in der Ober-Lausitz geboren. Meine Eltern erzogen mich bis in mein 5tes Jahr. Als die damalige Anstalt in Uhyst eingerichtet wurde; so baten sie, mich in die selbe zu nehmen, u. ich kam hinein. Der liebe Heiland ließ mich es auch genießen, wie gut es ein Kind in der Pflege der Gemeine hat. Als 1750. die Anstalt auf gehoben wurde, so kam ich wieder zu meinen Eltern. Anfangs that es mir sehr bange, doch endlich gefiel mir die ganz andere Gesellschaft. Der Heiland ließ mir aber keine Ruhe, sondern ging mir unaufhörlich nach. 1754. ging ich mit [385] meinen Eltern nach Bautzen, von da aus ich öfters in Kleinwelcke besuchte zu meinen großen Segen. Ich so wol als meine Eltern baten drauf um ein Pläzgen für mich in der Gemeine, u. ich zog 1756. auf erhaltene Erlaubniß nach Herrnhuth ins Chor-Haus zu den großen Mädgen, froh u. danckbar daß ich wieder in der Gemeine war, ob mir gleich der eigentliche Zweck davon vor die Zeit noch nicht klar war. Der heilige Geist arbeitete indeßen kräftig an meinem Herzen, u. brachte mich recht mehr auf mich selber. Ich bat den Heiland mit vielen Thränen, sich über mich zu erbarmen, u. mir zu zeigen, was mir fehle. Er ließ mich auch nicht lange weinen, sondern bewieß sich an mir, als das treueste u. mitleidigste Herz, das sich nicht lange suchen läßt; Er nahete sich mir auf eine unaus sprechliche Weise, so, als ob ich Ihn leibhaftig vor mir sehe. Diese Stunde vergeß ich mein lebtage nicht, da ich Friede fand vor Seinem Augen. 1757. d. 28. ten Oct. gelangte ich zur Aufnahme in die Gemeine, u. Anno 1758. im Jan. zum heiligen AbendMahl. Von da an ging ich einen stillen u. seeligen Gang mit meinen besten Freunde fort.“ So weit ihr eigener Aufsatz. Anno 1760. d. 25ten Merz kam sie ins ledige Schwestern Chor u. ging in einen seeligen Umgang mit dem Schmerzens-Mann fort, lernte auch ihr Elend von Zeit [386] zu Zeit immer beßer kennen. Anno 66. d. 10tn Merz wurde sie Acoluthen u. zu Ende des Jahrs nahm unsre liebe Comtesse Gräfin Agnes sie zu ihrer Bedienung zu sich, bey welcher sie 7. Jahr lang bis an ihr Ende war. Sie bewieß sich die ganze Zeit als über, so wol zu Hause, als auf den verschiedenen Reisen mit ihr, als eine Magd des Heilandes. Zu Ende des Jahrs 1769. bekam sie einen Husten der endlich die Gelegenheit zu ihrer seeligen Auflösung wurde. Im May. 1772. reiste sie mit ihrer Herrschaft, weil selbige, da ihr die Reisen jederzeit sehr gut zu gesaget, kein Bedencken fand, sie dis malen wieder mit zu nehmen, von Herrnhuth über Holland nach England.

Diese Reise schien Anfangs auch einen guten effect zu haben, allein nach u. nach vermehrte sich in England ihre Kranckheit, u. sie wurde immer schwächer. Doch erholte sie sich so weit daß sie 1773. zurück nach Zeist kommen konnte. Hier schien es anfangs, als wenn sie sich etwas beßerte. Allein bald nach dem Genuß des heiligen AbendMahls, da sie mit auf dem Saal war wurde sie zu sehens schwächer, u. der Heiland präparirte sie in der Stille auf ihren Heimgang. Sie äußerte sich in einem Brief davon folgender maaßen: Der Heiland hat in aller Stille seit ich hier bin, in mir darauf gearbeitet, [387] mich von allem los zu machen, so daß ich in Wahrheit sagen kan: ich bin ganz in Seinen Willen ergeben. Er hat mich über alles Seine Vergebung u. Tröstung fühlen laßen; Er kennt mein Herz, das Ihm gänzlich ergeben ist. Ich freue mich bald zu Ihm zu kommen, u. bitte Ihn täglich mich in dem Sinne bis ans Ende zu erhalten, seine arme Sünderinn zu seyn u. zu bleiben, die von einer Stunde zur andern nur von Seiner Gnade lebt. Für die sehr viele Liebe u. Treue, die ich von meiner lieben Herrschaft genoßen u. noch genieße, bin ich von Herzen Danckbar, u. bitte den Heiland, es derselben für mich zu vergelten.

In dieser Situation bezog sie d. 18ten Oct. die Kranckenstube, war vergnügt u. selig, u. man konnte gar deutlich fühlen, daß sie als eine wahre, arme aber auch begnadigte Sünderin in Jesu Verdienst u. Marter lebte. Nachdem sie sich am 30tn Oct. am Leibe u. Blute unsers Herrn im heiligen AbendMahl gestärckt u. erquickt hatte, wurde sie immer schwächer, u. am 4. ten Nov. morgens entschlief sie sanft u. selig in Jesu Arm u. Schoos, unter den Worten: Nun soll die Myrrh der Leiche, die aus der Seite floß dem sterbenden Gebeine, die lezte Oelung geb´n: Sie vollendete an eben dem Tage ihren Lauf, da ihre liebe Herrschaft in Barby eintraf. Ihr alter hat sie auf 32. Jahr gebracht.

[388] 8.) Der in Herrnhuth heimgegangne ledige Bruder Peter Stahlberger, schreibt von seinem Gang durch diese Zeit:

„Ich bin d. 4. ten Jun. 1716. zu Zelle in Saltzburgischen von eifrig catholischen Eltern geboren, in deren Religion ich auch erzogen ward. Weil es mir von Jugend an um meine Seligckeit zu thun war; so war ich in meiner Religion sehr eifrig, so daß ich auch des wegen bey hohen, so wol Geist- als Weltlichen Personen in Achtung war. Allein, bey allem meinen Ernst u. Eifer blieb ich immer in Unruhe u. Ungewißheit meines Herzens, bis ich 1731. mit einem heimlichen Lutheraner bekannt wurde, der mir aus der Bibel wieß, daß kein ander Heil u. Seligckeit zu finden sey, als bey Jesu Christo, u. in Seinem Verdienst u. Leiden. Ich fragte ihn, wo solche Leute wären, die diese Lehre hätten; er antwortete: das wären die Lutheraner, die man Ketzer nennte; es gäbe deren sehr viel in andern Ländern, u. wenn wir verjagt würden, so zögen wir zu ihnen. Ich sagte ihm zu, daß ich als denn mit ziehen, u. bey dieser Lehre leben u. sterben wollte. Dieses gefiel dem Manne, u. wir verbanden uns mit einander bey der Wahrheit u. dem Evangelio wie es in der Bibel stünde vest zu halten, es möchte uns auch gehen wie es wolle.

Wir gingen recht vertraulich mit einander u. mit [389] denen, mit welchen er mich bekannt, machte, um, die eben den Sinn hatten, u. wir liebten einander herzlich als Brüder, die auf einem Grunde stehen. Als nun die Verfolgung anging; so wurden viele ins Gefängniß geworfen, u. es wurde auf Obrigckeitlichem Befehl im ganzen Lande scharf inquirirt, wer catholisch oder ein Kezer wäre. Diese Untersuchung traf mich auch 1732. Auf die Frage, was ich glaubte, antwortete ich: Ich glaube an dem Herrn Jesum, u. was Er u. Seine Apostel gelehrt u. geschrieben haben. Frage: Was für eine Religion hast Du? antwort: Ich bekenne mich zur Augspurgischen Confession oder zur Evangelischen Religion. Da wurde ich verkezert, verflucht u. verdammt. Ich schwig aber u. blieb bey meinem kurzen Bekenntniß, u. endlich da sie nichts bey mir aus richteten, gaben sie mir 3. Wochen lang Bedenck Zeit, mit dem Bedeuten, woferne ich mich keines beßern besönne, so müste ich das Land räumen, welches auch nach nochmaliger scharfen Untersuchung im Merz. 1732. geschahe. Alle meine Verwandten, die eifrig catholisch waren, sezten mir sehr zu; ich aber blieb bey meinen Sinn, u. Bekenntniß. Der liebe Heiland stärckte mich, daß ich freudig, auf seine Hülfe mich verlassend, auszog. Ich kam hierauf nach Biberach [390] zu einem Kaufmann, um die Kaufmannschaft zu erlernen. Hier sahe ich, daß die Lutheraner eben so schlecht lebten, als meine vorigen Glaubens-Genoßen. Auch kriegte ich Nachricht von Leuten die man Pietisten nannte, welchen man viel Böses nachsagete. Ich wurde mit ihnen bekannt, kam in ihre Gemeinschaft, u. lernte meinen elenden Herzens-Zustand immer beßer kennen, kam aber auch in eine solche Verwirrung, daß die guten Leute über mich verlegen wurden. Sie verschaften mir so dann Gelegenheit, daß ich anno 37. im Sept. von Biberach abreiste, u. d. 9. ten Oct. nach Ebersdorf kam, wo die gnädige Herrschaft mich sogleich in ihre Dienste nahm. Hier gefiel es mir sehr wohl, u. die Geschwister beschämten mich mit ihrer Herzlichkeit u. Liebe. Ich fühlte mich sehr elend u. verdorben, u. war sehr verlegen, ob der Heiland sich noch über mich erbarmen würde. So ging ich fort, bis am 24. ten Jan. 1738. der Heiland sich mir auf eine so kräftige u. fühlbare Weise offenbahrte, daß ich vor Freude u. Gefühl Seiner Nähe u. Freundlichckeit gegen mich Armen, ich möchte wol sagen, außer mir war, ich fühlte in dem blutigen Verdienst meines Heilands Gnade u. Friede, konnte Ihn über alles lieben, u. gab Ihn mein ganzes Herz hin. Bald darauf wurde ich bey innigstem Wohlseyn meines Herzens des [391] heiligen AbendMahls Theilhaftig. Nun dachte ich, den Himmel auf Erden zu haben; allein, ich muste mich noch beßer kennen lernen, was für ein armes Wesen ich ohne des Heilands Gnade u. Erbarmen sey, u. wurde dadurch sehr kleinlaut. Ich hielt mich aber doch an meinem blutigen Versöhner, der mich auch Seine Gnade u. Seinen Frieden immer wieder fühlen ließ, wenn ich mich vor Ihm beugte. Ich blieb bis 1751. in Ebersdorf, da ich auf erhaltene Erlaubniß, d. 8. ten Aug. in Herrnhuth ankam. Hier wurde ich von der gnädigen Frau Gräfin v. Zinzendorff in ihre Dienste genommen.“ So weit des seeligen Bruders Aufsatz:

In diesem Dienste blieb er noch etliche Jahre war auch auf einige Zeit im Dienst des damaligen Paedagogio zu Groß Hennersdorf. Nachher nahm unser lieber Graf Heinrich (d. XXVIIIte.) ihm in seine Dienste. Wegen seiner Zunehmenden Schwachheit, wozu ein anhaltender Husten kam vergönnte ihm seine liebe Herrschaft im vorigen Jahre ins Chorhaus zu ziehen. Er verbrachte da seine Zeit recht vergnügt, u. besuchte, so lang er nur konnte die Versammlungen fleissig. Am 5ten Nov. 73. muste er sich ganz legen, u. äußerte daß er nun balde das Stündlein erwarte, da ihn sein treuer Heiland zu sich holen werde. Am 11. ten sagte er zu seinem Chor-Helfer mit Thränenden Augen, daß [392] er sich freue, seinen Versöhner, von dem er durch dieses Thränen-Thal reichen Trost u. Erquickung genoßen bald leibhaftig zu sehen, er gehe als ein armer Sünder zu Ihm, der nichts aufzuweisen habe als Christi Blut. Er erkundigte sich auch noch nach seiner lieben gnädigen Herrschaft, u. bat dieselbe nebst Bezeugung seiner Danckbarkeit für alle genoßene Liebe u. Vorsorge, herzlich zu grüßen; er bäte den Heiland derselben es zu vergelten, u. sie dafür vielfach zu segnen. Am 12. ten Nov. entschlief er unvermuthet sanft u. selig mit dem Segen der Gemeine, seines Alters 57. Jahr, 4. Monate u. 8. Tage.

9.) Die in Herrnhuth heimgegangne verheyrathete Schwester Anna Rosiene Böhloin, verwittwete Kaulfusin geb. Ziegenbalg, war d. 31.ten Dec. 1723. in Amte Stolpen geboren. Von da zogen ihre Eltern als Pächter nach Wohlau bei Elster. Die Frau v. Döhler dasige Herrschaft sorgte für ihre Erziehung, u. nahm sie in ihre Dienste. Von hier kam sie als Kinder-Mädgen zu den 2. Töchtern der Frau Hauptmanin v. Sack, Von denen die Älteste hernach die Gelegenheit zu ihrer Bekehrung wurde. Denn als dieselbe jezige Frau Cammerräthin v. Heyniz, mit der Fräulein Charlotte v. Heynitz einstmalen von ihren Herzens-Zustand sich unterredeten, u. [393] sie glaubten von niemand bemerckt zu werden so kam die seelige Schwester mit häufigen Thränen dazu, u. äußerte ihres Herzens-Verlangen, auch der Welt abzu sagen, u. ein Eigenthum Jesu Christi zu werden. Sie hatte bereits im Dienst bey der Frau v. Döhler, den seeligen Bruder Joh. Gottl. Kaulfus Bürger u. Schneider-Meister in Dresden kennen gelernt, da er vor die Herrschaft arbeitete, u. auch bey ihm einen Sinn, den Herrn Jesu zu leben, wahrgenommen, als derselbe nun um sie bey ihrer Herrschaft anhielt; so war sie gleich willig ihn zu heyrathen. Dieses erfolgte 1748. in Prischwitz. Darauf zog sie zu ihm nach Dresden, u. wurde durch ihn mit der Gemeine bekannt. Es war ihnen jederzeit eine besondere Freude, die durchreisenden Geschwister zu beherbergen, u. sie bezeugte nachher, daß sie allemal einen Segen für ihr Herz dabey gehabt habe. Anno 1760. ging ihr lieber Mann selig zum Heiland, u. hinterließ sie, nach einer 12. jährig vergnügten Ehe, in der sie 5. Kinder gehabt, mit noch 3. lebenden. In eben dem Jahre muste sie bey der Belagerung von Dresden alles das ihrige, im Feuer aufgehen sehen, u. sich mit ihrem Kindern auf das kümmerlichste behelfen. Nachher richtete sie sich wieder von neuen in Dresden ein in ihre Wirthschaft ein, war aber kaum wieder in Ordnung, [394] so fiel die Torgauer Schlacht vor, da alles, was nur konnte aus der Stadt flüchtete, u. die seelige Schwester kam bey der Gelegenheit. d. 27. ten Nov. 1760. mit ihrer ganzen Haus-Familie nach Berthelsdorf, wo sie liebreich aufgenommen wurde, u. dem Heiland Danckbar war, daß Er sie durch diese schwere Umstände nun so nahe zu Seinem Volck gebracht habe. Man rieth ihr, wieder nach Dresden zu ziehen, sie bezeugte aber, lieber mit ihren Kindern auf das kümerlichste zu leben, als das Volck Gottes wieder zu verlaßen. Sie heirathete darauf d. 9. ten Apr. 1761. den Bruder Böhlo, u. 1762. d. 26. Apr. schenckte ihnen der Heiland ein Töchterlein Anna Eliesabeth. Anno 64. d. 6. ten Apr. erhielten sie Erlaubniß nach Herrnhut zu ziehen, u. d. 3.ten Dec. zogen sie in ihr fertig gewordenes Haus. Am 11. ten Febr. 1765. ward sie in die Gemeine aufgenommen, u. gelangte d. 27.tn Merz 1766. mit der Gemeine zum heiligen AbendMahl. Sie ging ihren Gang in der Gemeine still u. vergnügt fort. Über ihre, u. ihrer Kinder Gnadenwahl bey der Gemeine zu seyn, drückte sie sich öfters mit vielen Thränen so aus: Ach wenn ich doch alle Tage Seine heilge Füße dafür küßen könnte! doch das ist noch zu wenig für die Gnade, die Er an mir gethan hat. Wenn ich Ihn nur noch inniger lieben, u. Sein Herz noch mehr erfreuen könnte!

Sie war eine treue Saal-Dienerin u. unermüdete [395] Krancken-Besucherin. Auch war sie eine Gehülfin in der Diaspora, u. gab sich treulich mit den Besuchenden ab. Seit einigen Jahren war sie Kräncklich. Im Oct. 1773. besuchte sie in ihrer Unpäßlichckeit ihren Bruder in Niesky u. ihre 2. Schwestern in der Nachbarschaft, weil sie glaubte, die Reise würde ihr nüzlich seyn; als sie aber zu ihrer Schwester kam,. wurde sie bis zum heimgehen kranck, u. sie kam jedoch am 25.ten Oct. noch nach Hause, u. freute sich, wieder bey der Gemeine zu seyn. Bey ihrer Schwäche sahe man, daß der Freund ihrer Seelen mit ihrer Vollendung eile. Sie erklärte sich, daß sie als eine arme, aber versöhnte Sünderin, die nichts als Sein Blut u. Gerechtigkeit auf zu weisen habe, zu Ihm gehen wolle; sie freue u. tröste sich Seiner. D. 13.tn Nov. redte sie mit ihren Kindern, u. gab ihnen ihren mütterlichen Segen. U. nachdem sie dieses ihren Manne erzehlet, u. von ihm Abschied genommen hatte, bezeugte sie, daß sie nun ganz fertig, u. in den Willen des Heilands ergeben sey. U. so entschlief sie am 15ten früh nach 3. Uhr sanft u. selig, unter der Einsegnung ihres Mannes. Ihre Hütte hatte einen lieblichen Blick. Ihr Alter war 49. Jahr, 10. Monate u. 15. Tage. Sie hinterläßt 4. Kinder in der Gemeine, u. 2. sind ihr voran gegangen.

10.) Die in Ebersdorf heimgegangene verwittwete [396] Schwester Eliesabeth Leiningerin geb. Löwel, hat folgendes auf schreiben laßen: „Ich bin am 25ten Febr. 1711. in Furth geboren. Meine Eltern hielten mich zu allem guten an, u. suchten mich vor allem schädlichen zu bewahren. Ich war auch, so viel ich mich besinnen kan, denselben gehorsam, u. wollte sie nicht gerne betrüben. Nach meines Vaters Tod begab ich mich in Dienste, da ich dann freylich nicht viel gutes sah u. hörte. Der liebe Gott aber, erhörte mein Gebet, u. bewahrte mich vor schädlicher Verführung. Anno 37. heirathete ich Joh. Georg Leiningern, Bürger u. Goldschmidt in Furth. Gott segnete unsre Ehe mit 6. Kindern, davon 4. schon heimgegangen, 2. aber sich in hiesiger Gemeine befinden. Darauf wurden wir mit Brüdern bekannt, die beym durchreisen uns zu unsrer großen Freude besuchten. Ich kam bey der Gelegenheit mehr auf mein Herz u. lernte einsehen, daß ich bey meiner blosen Frömmigkeit nicht selig werden könnte. Ich seufzete u. betete dahero unaufhörlich zum lieben Gott, um Seine Erbarmung. u. um Ruhe für meine Seele. Anno 60. kamen Geschwister Dupps nach Furth, sich des dasigen Häufleins anzunehmen, zu denen ich gleich ein Zutrauen faßte, u. ihnen meinen Zustand entdeckte. Sie prießen mir den Heiland u. Seinen Tod u. [397] Leiden an, als die einige uns beruhigende Sache, welches sich auch so bey mir bewieß. 3. Jahr lang beherbergten wir diese lieben Geschwister in unserm Hause zu unserm großen Segen. Anno 65. d. 19. Nov. ward ich Wittwe, u. ob mir gleich der Verlust meines lieben Mannes sehr nahe ging; so tröstete mich doch der Heiland doch vielmehr, u. versicherte mich, Er wolle sich meiner u. meiner Kinder annehmen; daher ich mich Ihm ganz in meinen Wittwenstand ergab. Ich hatte schon einmal in Ebersdorf besucht, war aber noch nicht gesinnt, hinzu ziehen, wegen einiger Bedencklichkeiten. Weil aber meine Kinder sehr dahin verlangten, so erlaubte ich es ihnen, da denn mein Sohn zu seiner großen Freude, auf erhaltene Erlaubnis 1766. hinzog. Von der Zeit an ging ich ebenfalls damit um, nach des Heilands Willen dahin zu ziehen. Nachdem meine Tochter mir alles noch einmal erzehlet hatte, wie es in der Gemeine sey: so zog ich nachdem ich meine äußerlichen Sachen in Ordnung gebracht hatte, auf erhaltene Erlaubnis 1768. nach Ebersdorf mit meiner Tochter, u. gleich in mein liebes Chorhaus.“ So weit ihre Erzehlung.

Sie gelangte noch indemselben Jahre zu den Gemein-Gnaden, u. erkannte sich jederzeit für eine arme, blutbedürftige Sünderin. Dem Leibe nach war sie schon seit vielen Jahren kräncklich, sezte sich aber so lange sie konnte, darüber weg u.[WS 3] [398] verrichtete ihre Geschäfte. Seit einem Jahre wurde sie immer schwächer, u. bezog im Apr. 1773. die Kranckenstube. In ihrer Kranckheit die zulezt sehr schmerzlich wurde, bat sie den Heiland, sie balde zu sich zu nehmen, u. es währte ihr nur zu lange bis ihr Stündlein käme. Ihre sie öfters besuchende Kinder empfahl sie dem treuen Heiland angelegentlich u. bat sie ja beym Heiland u. der Gemeine zu bleiben. Sie erblaßte d. 18. ten Nov. mit dem Segen ihres Chors sanft u. selig, ihres Alters 62. Jahr 8. Monat u. 10. Tage.

11.) Die in Berlin heimgegangne verheyrathete Schwester Dorothea Pospischill geb. Jandik hat folgendes von sich aufschreiben laßen:

„Ich bin 1719. zu Hermanitz in Leutomischel in Böhmen geboren. Meine Mutter erzog mich nach ihrer Erkenntnis, die sie aus der Bibel hatte, in der Zucht u. Vermahnung zum Herrn, zu meinen tiefen Eindruck, u. nahm mir alles sehr genau. Bey zunehmenden Jahren fühlte ich eine große Zuneigung, zum Bösen; aber meiner Mutter Ermahnungen hielten mich beständig davon ab. Da ich nun merckte, daß meine Mutter aus Böhmen aus gehen wollte, wünschte ich, daß ich zurückbleiben u. als dann nach meinen Begierden leben könnte möchte. Der Heiland aber hatte Gedancken des Friedens über mich. In derselben Zeit entstand eine Erweckung, in unserm Dorf, u. die Erweckten [399] versamleten sich bey uns, da ich dann zu meinem Segen ihre Erbauungsstunden hörte. Ich wurde darauf nebst meiner Mutter ins Gefängnis geworffen, u. 3. mal in Leutomischel mit Schlägen hart behandelt, daß ich unsre Bücher ausliefern sollte. Sie richteten aber nichts aus, u. ließen mich endlich gehen. Im folgenden Jahr 1733. ging unsre Familie ganz aus, u. entkam glücklich nach Gerlachsheim, wo ich durch die Predigt des seeligen Pastors Schulze erweckt u. über die Menge meiner Sünden sehr betreten u. niedergeschlagen wurde. Als ich aber eins mal auf meinen Knien lag, hörete ich eine Stimme zu mir sagen: Dir sind Deine Sünden vergeben, sündige hinfort nicht mehr! Da fiel mir meine schwere Last von meinen Herzen weg, u. ich wurde lichte u. heiter in meiner Seele. Es ging freylich nicht immer so fort, u. ich kriegte mein Verderben noch oft zu fühlen. Der liebe Pastor Schulze aber, wies mich immer zum Sünder-Freund hin, u. gab sich überhaupt viel mit mir ab.

Anno 37. zogen wir von Gerlachsheim nach Berlin wo ich bey unserm Häuflein blieb. Anno 44. kam Bruder Jaeschke zu uns, u. ich gelangte im folgenden Jahr zu den Gemein-Gnaden. Anno 1749. ward mir angetragen zu heirathen. Anfangs war ich sehr bedencklich doch ergab ich mich endlich in den Willen des Heilands u. tratt d. 2.tn Oct. mit dem Bruder Pospischill in die Ehe in der wir mit [400] 4. Kindern gesegnet wurden, die aber alle schon Daheime sind.“ So weit ihr Aufsatz.

Wir können von unsrer lieben seeligen Schwester bezeugen, daß sie den Heiland von ganzen Herzen geliebet. Sie diente mit ihren lieben Mann der Gemeine in unsrer Wirthschaft 14. Jahre lang, mit aller Treue, u. ob sie wol schon verschiedene Jahre her kräncklich gewesen; so grif sie sich doch oft über Vermögen an. Sie war so wol bey ihrem Saal-Dienst, als überhaupt treu u. legitimirt, u. war auch in der großen Helfer-Conferenz. Ohnerachtet ihrer Entlegenheit, da sie außer dem Thor wohnte, besuchte sie die Versamlungen fleißig. Ihr lezter Ausgang war in eine Abendmahls viertelstunde, u. sie war den Abend noch recht munter. In der Nacht aber überfiel sie ihre Kranckheit besonders heftig. Ihr Mann machte drauf auch Abschied mit ihr, da sie ihn dann versicherte, sie habe gegen niemand einiges Mißvergnügen, u. sie sey auch mit dem Heiland ganz verstanden. Am Christ-Abend wurde sie vom Schlag gerührt, u. am 2. ten Feyertag d. 26. ten ertheilte ihr ihr Mann den Segen zu ihren Heimgang, worauf sie sanft u. selig entschlief, im 55 sten Jahr ihres Alters.

[401]
II. Auszug aus dem Bericht der Gemeine in Sarepta vom Jul. Aug. u. Sept. 1773.

Am 2tn Jul. hielte die Calmuckische Fürstin Samian, die gestern hier angekommen war, mit ihrem Hofstaat ihr Frühstück auf unserm Plaz unter freiem Himmel, u. sezte darauf ihre Reise nach der Derbetischen Horde fort.

Bruder Machatschek kam auf der Wolga mit 2 Schiffen voll Holz u. Eichen Rinde von den Colonien zurück. Die Stürme u. contraire Winde hatten ihn auf der Reise von Sebastianovska, die man sonst in 5 Tagen thun kan, 14 Tage aufgehalten. D. 5tn traten Geschwister Helterhofs ihre Rückreise nach Moscau an, wozu sie der Gemeine ins Andencken empfohlen worden. D. 7tn redte Bruder Rebel in der Gemeinstunde einfältig u. nachdrücklich über den Text des Tages (welcher ist der 18te n. st.) das sollt ihr wissen, daß kein Hurer, od. unreiner, od. geiziger (welcher ist ein Gözendiener) Erbe hat an dem Reich Christi u. Gottes p. u. beschloß mit einem Gebet auf den Knien zu unserm barmherzigen Hohenpriester [402] u. Heiland, daß Er eilen u. alle unsre Gebrechen heilen möge. Der Apotheker Fritsche von Astracan, der uns einige Jahre her allerley Liebesdienste erwiesen hat, hielt sich nebst seiner Frau, auf ihrer Reise nach Petersburg, ein paar Tage hier auf, freute sich die Brüder kennen zu lernen, u. wohnte unsern Versammlungen mit bey. D. 16tn hatten wir, wies die Calmucken nennen, einen tödtenden Süd-Wind. Nach Fahrenheits-Tabelle war die Hize 18 Grad höher, als die Wärme des menschlichen Bluts; das Laub der Garten-Gewächse verbrante u. fiel ab, od. stand so da, als wenn es mit heißem Wasser übergoßen wäre, u. der starcke Wind wehete einem so warm an, als wenn man vor einem eingeheizten Backofen stünde. D. 18tn reisten die Brüder Hasse, Daniel u. Pauli nach Zarizin, u. retournirten d. 19tn, nachdem sie daselbst die Rechnung unsrer Cron-Vorschüsse mit den Büchern der Commendanten-Canzeley verglichen u. richtig befunden hatten, welches darum geschehen, weil von der Tutell-Canzley ein General-Bericht [403] aus der Commendanten-Canzley von allen unsern Vorschüssen verlangt worden ist. In den folgenden Tagen wurden die Geschwister in den Chören herzlich u. gründlich gesprochen. D. 22 u. 23tn war die Hize wieder außerordentlich drückend, u. das Gras in der Steppe zur Weide unsers Viehes wurde immer seltener.

Die zu Colonisten bestimten Cosaken, die bisher auf unserer Grenze gestanden, fingen nun allmählich an ihren Zug fortzusezen, nachdem sich die Tartarschen Unruhen gelegt hatten.

D. 27tn hatten sämtliche Brüder der großen Helfer Conferenz eine Bandenmäßige Unterredung, u. ein sünderhaftes Friedens-Gefühl war dabey zu spüren. D. 28tn erhielten wir durch einen Diaspora Bruder Weckeser von Sebastianovska Briefe vom Bruder Jannet, von seinem u. seiner lieben Frau Wohlbefinden. Heute wurde an dem sandigten Wolga-Ufer eine giftige Tarantel gefunden, die von den hier so gewöhnlichen großen Erd-Spinnen sehr unterschieden, u. deren Biß, wenn man keine Mittel dagegen braucht, ohnfehlbar tödlich ist. Es ist auch, Gott Lob! die erste, die hier lebendig [404] gefangen u. gesehen worden ist. D. 29tn kühlte sich durch ein starckes Donnerwetter, ohne Regen, die auf dem höchsten Grad gestigene Hize, unter der alles schmachtete, mercklich ab. Unsere neu gebaute Sarpa-Schleuße wurde, ohne daß mans zeitig genug gewahr worden, im Grunde wieder schadhaft, daher einer der besten Ochsen von unserm Vorwerck, als er über den Damm ging, in den Schlamm fiel u. versanck, ohne gerettet werden zu können. D. 30tn wurde die Schwester Schürger in Schönbrunn von einer großen Spinne an der Hand gebissen. Sie hatte große Schmerzen, die Hand schwoll auf, u. sie konnte den Arm einige Tage nicht brauchen; jedoch besserte es sich nach dem Gebrauch der gehörigen Mittel. Zu Anfang Aug. bekamen verschiedene Brüder ein heftig kaltes Fieber. D. 2tn Aug. besuchte der Ober-Priester aus der Calmuckschen Horde in unserm Orte mit einem großen Gefolge von Geistlichen.

An der Ausbesserung der neuen Sarpa-Schleuße wurde durch Calmuckische Taglöhner gearbeitet. Diese Schleuße hat uns bisher so viel genüzt, daß unsre Mahlmühle auch in der größten Dürre noch Wasser [405] genug gehabt hat. Seit langer Zeit haben die beständigen Ost- u. Süd-Winde allen Regen verjagt. D. 9tn überbrachte uns ein von Mostok kommender Husar ein freundliches Schreiben vom General-Leutnant v. Medem, darin dieser HErr, der unsre 4 Brüder, die nach dem Terek gegangen sind, kennen gelernt hat, sich um die Preise verschiedener Waaren in unserm Laden erkundigte. In der folgenden Woche wurde mit allen verheiratheten Brüdern einzeln durch geredet. D. 12tn hatten wir einen freundschaftlichen Besuch von einem Fürsten Dolgoruki, seiner Gemahlin u. Kindern, ingleichen vom HErrn Commendanten von Czarizin u. seiner Gemahlin, welche sich den Ort mit Vergnügen besahen.

D. 13tn reiste der ledige Bruder Machatschek nach Tschornojar, um bey dem Kaufmann Baranov, auf dessen freywilliges Anerbieten, das Juchten machen zu lernen. D. 14tn ging der kleine Phil. Friedr. Suter heim. Er war d. 1tn Mart. 72 allhier geboren, u. ein munteres Kind, hörte vom Heiland u. seinen blutigen Wunden gern erzehlen, u. machte seinen Eltern und andern Geschwistern viel Vergnügen. [406] Seit 2 Wochen wurde man eine merckliche Abnahme seiner Kräfte gewahr. Er hatte viele Schmerzen aus zustehen, war aber dabey sehr geduldig. Einmal, da er auf seiner Mutter Schoos lange Zeit stille u. wie es schien in tiefer Betrachtung gelegen hatte, sahe er endlich mit freundlichem Lächeln auf eine Stelle hin u. wieß mit dem Finger drauf. Auf Befragen, was er sähe, sagte er ganz vernehmlich: Ja, komm! An bemeldtem Tage kam der Kinder-Freund u. holte ihn in seine ewige Sicherheit.

D. 16tn wurde beschloßen, für die zu uns kommende Geschwister noch in diesem Herbst 2 kleine Familien-Häuser, eines in Sarepta u. das andre in Schönbrunn, aufzublocken.

D. 18/29tn Aug. beging das Chor der ledigen Brüder, u. d. 27tn Aug./7 Sept. das Ehe-Chor, nach einem sünderhaften Beschluß ihres Chor-Jahrs, ihr Chorfest mit einem Morgensegen u. einer eindrücklichen Chor-Rede. Von beiden Chören heist es: Wir müssen bekennen, daß uns dieses weniger feyerlich als sonsten begangene Chorfest eines der eindrücklichsten u. gesegnetesten bleiben wird. Wir haben mehr Gelegenheit genommen, uns in der Stille über unsern [407] seligen Beruf u. Erwehlung mit dem lieben Heiland zu unterreden. Unsre Herzen waren kleinlaut u. gedemüthiget, u. wir konnten uns auf nichts, als auf Seine Gnade und Barmherzigkeit berufen.

D. 31tn Aug. ging der als Russischer Consul in Persien gewesene Major Bagolubov hier durch nach Petersburg. Auch besuchte von Zarizin ein Tirckischer Gefangener Aga, der sich durch seine Curen in Zarizin berühmt gemacht hat, in unserm Orte.

D. 2tn Sept. hielt Bruder Johann eine Rede über die Losung: „Meine Seele hanget dir an; deine rechte Hand erhält mich; Ich halte mich zu dem, der mich gemacht hat“, von dem sünderhaften u. gläubigen Anhangen am Heiland, welches verhütet, daß man nicht wieder von der einmal empfangenen Gnade abkommt. Wir fielen hierauf nieder, u. bekannten dem Heiland unter häufigen Sünder-Thränen unsre bisherigen Abweichungen von Seinem Sinne u. den Regeln seines Hauses, baten Ihn, um seines Blutes willen uns zu vergeben, und uns über das vergangene, dem wir von Herzen gram worden, zu absolviren. Wir fühlten Sein gnädiges Vergeben in [408] unsern Herzen, u. ertheilten uns als Seine absolvirten Sünder wiederum den Kuß des Friedens. Sodann hatten zuerst sämtliche Schwestern, u. darauf sämtliche Brüder ein seliges Fußwaschen. D. 3/14 Sept. versamlete sich die Gemeine, die zu ihrem Fest mit frölichem Posaunen Schall geweckt worden, um 9 Uhr. Nach dem Gesang einiger passenden Texte redte Bruder Johann mit angethanem Herzen über die Losung, u. empfahl sodann in einem Gebet auf den Knien das hiesige Gemeinlein, das ganze Land und unsre liebe Obrigkeit der Gnade unsers HErrn Jesu Christi, der Liebe Gottes, des Vaters, u. der Gemeinschaft des heiligen Geistes. Nachmittag war das Fest-LiebesMahl mit einer lieblichen Music u. einem Danck-vollen Psalm, u. Abends um 7 Uhr eine liturgische Singstunde, zu deren Anfang musicalisch gesungen wurde: Wie sollen wir dem HErrn vergelten alle seine Wohlthaten, die Er an uns thut! wir sind viel zu geringe aller der Barmherzigkeit u. Treue! Zum Schlusse genoßen wir, nachdem wir diese Gnade 3 Monat lang hatten entbehren müssen, mit hungrigen u. durstigen Seelen den Leib u. Blut unsers HErrn im [409] heiligen AbendMahl. Wir können nichts weiter dazu sagen, als: Gott Lob für diesen Gnadentag, den uns der Heiland wieder hat erleben laßen! D. 6tn Sept. hatten wir wiederum ziemlich häufigen Zuspruch der uns immer näher gekommenen Calmucken der Derbetschen Horde. ☉ d. 8tn kurz vor der Litaney brachte uns ein expreß abgeschickter Cosacke die Nachricht von der glücklichen Ankunft unserer Geschwister 30 Werste von Zarizin; u. so eben, da die Gemeine vom Saal kam, fuhren sie in den Ort hienein. Sie wurden unter Posaunen Schall u. mit herzlicher Freude bewillkommet. Nachmittags freute sich die Gemeine bei einem LiebesMahl der Ankunft dieser 10 Geschwister, nehmlich Geschwister Jonde u. Rink, der ledigen Brüder Jacob Lange, Rose, Tiedemann u. Barth. Jacob, u. der ledigen Schwestern Anna Groß u. Cath. Zürch, die vom Bruder Brandt waren begleitet worden. Es war gerade der Tag, an welchem auch 1766 die erste große Colonne mit Bruder Johann Nitschmann hier eingetroffen ist.

D. 11tn erhielten wir durch die Zarizische Commendanten-Canzeley abermal eine schriftliche Warnung wegen der unruhigen Cubanen [410] u. der Tartern in den Gebürgen. Weil unsre Besazung so klein ist, daß wir nicht ein mal alle Thore besezen können, so baten wir uns noch eine kleine Verstärkung[WS 4] aus, die wir auch erhielten. D. 12tn wurde dem Bruder Rink die Gehülfenschaft beym Bruder Oertel auf der Mühle angetragen. Dem Bruder Jorde wurde alle Unterstüzung bei seinem Anbau auf dem Dörfgen Schönbrunn u. Einrichtung einer kleinen Bauer-Wirthschaft versprochen. Der ledige Bruder Rose wird sich auf sein Handwerck einrichten. D. 14tn hatte das Ehe-Chor zu unsers lieben Bruder Johann Nietschmanns 62tn Geburts Tag ein LiebesMahl u. wünschte ihm von Herzen neue blutige Segen Jesu. D. 15tn wurde der ledige Bruder Jacob Lange den ledigen Brüdern als ihr künftiger Chorhelfer, an Bruder Rebels Stelle, vorgestellt, und von den Brüdern Johann u. Rebel dazu eingesegnet. D. 16tn in der Nacht hatten die Calmucken ein auf der Weide zu Schönbrunn gehendes Pferd geschlachtet, so viel Fleisch, als sie fortbringen konten, abgeschnitten, u. das übrige liegen gelassen. Eine Art des Diebstals, die bey den Cal- mucken nichts seltenes ist. D. 17tn wurde [411] Bruder Daniel zu seiner bevorstehenten Reise nach Petersburg, in Angelegenheiten der Gemeine, ins Andencken empfohlen. D. 22tn Nachmittags entstand bey einem heftigen Wind ein starckes Steppen-Feuer, das bey den Teichen anfing, u. sich bis auf einige Werste unserm Orte nahete. Es eilten gleich einige Brüder hinaus, da es dann bald gelöschet wurde.

Nun folget ein Auszug aus Bruder Scheuerls Bericht von seinem Besuch in verschiedenen bey Saratov gelegenen Colonien vom 1/12 Febr. bis 14/25 May 1773.

D. 1/12 Febr. reiste ich in Gesellschaft des Bruder Walthers nebst den 4 zum Besuch hergekommenen Colonisten von Sarepta ab. Da wir den 7tn nach Achmath kamen, begegneten uns etliche unsrer lieben Freunde aus Sebastianovka, welche so gleich vor Freuden mit uns zurück kehrten, u. uns bis dahin begleiteten, allwo wir mit herzlicher Liebe u. Freude empfangen wurden. Ich grüßte die dasigen Seelen [412] von der Gemeine aufs herzlichste, danckte dem HErrn für die glückliche Reise, und empfahl unser wieder beisammen seyn dem Herzen Jesu zum Segen.

D. 9tn reiste ich Geschäfte halber nach Saratov, von wo ich d. 21tn wieder nach Sebastianovska zurück kam. Ein krancker Mann ließ mich zu sich rufen, der mir die Bangigkeit u. Verlegenheit seines Herzens klagte. Ich wieß ihn damit zum Heiland, u. fühlte, daß ihm zum Herzen ging, was ich mit ihm redte. Es kam auch einer meiner Bekannten von Koloikaranisch, redte recht zerfloßen von seinem Herzen, und äußerte sein u. der übrigen Erweckten Verlangen, daß ich sie bald besuchen möchte, welches ich auch zu thun versprach. D. 23tn redte ein Mann mit mir kindlich und gerade von dem, was seit meinem lezten Besuch in seiner Sache vorgegangen, und bezeugte, daß er, seitdem er sich damals von dem Gedrenge seines Herzens entlastet, alles bekannt u. um Gnade geweint habe, viel zutraulicher zum lieben Heiland geworden sey, u. oft Freude u. Wonne empfände, wenn er als ein armer Sünder unter Jesu Creuze kniete, u. s. w.

[413] D. 24tn kam unser lieber Pastor Jannet hieher zu predigen. Wir freueten uns herzlich u. unterhielten uns davon, was unter den erweckten Seelen hie u. da vorgegangen ist. Nachmittag hielt ich den Kindern der hiesigen Erweckten eine Versammlung. Bald drauf kam ein Mann von jenseit der Wolga herüber, um mit mir zu sprechen. Er ist in Potsdam durch die Predigten des Pfarrers der daselbst wohnenden Böhmen erweckt worden, u. auch in die Versamlungen der dasigen Brüder gegangen. Nun hat er seit kurzem mit den hiesigen Erweckten Bekantschaft gesucht, weil er in seiner Colonie u. Gegend niemand hat. D. 26tn hatte ich mit etlichen Eheleuten eine herzliche Unterredung, wobey dieselben viele Thränen vergossen u. sich erklärten, daß sie ganz für den Heiland leben, u. auch ihre Kinder nach dem Maße ihrer Erkentniß treulich erziehen wollten. D. 27tn schenckte mir der liebe Heiland die Gnade, in der Versammlung der Erweckten ihnen nachdrücklich ans Herz zu legen, wie manche von ihnen sich nur bey dem Lichte der Gemeine wärmen u. gerne vom Heiland hören wollen, ohne selbst zu Ihm zu kommen, u. von Ihm [414] Leben u. eine bleibende Seligkeit zu erlangen. Diese Rede verursachte bey vielen eine besondere Bewegung und Thränen. Ein Mann kam Tags drauf zu mir u. sagte, er habe deswegen die ganze Nacht nicht schlafen können, er könne mir die Bangigkeit seines Herzens nicht genug beschreiben. Ich wieß ihn zu Jesu; der die Mühseligen u. Beladenen zu sich ruft, u. immer bereit sey, ihnen zu helfen, u. sie selig zu machen. Nachdem ich zum Beschluß meines dismaligen Aufenthalts in Sebastianovfka die Seelen in einem herzlichen Gebet dem Heiland empfohlen hatte, so reiste ich d. 1tn Mart. nach Koloikaranisch ab, wo ich von den Bekannten herzlich[WS 5] bewillkommt wurde. Ich hielt hier ebenfals den Erweckten eine Versammlung und hatte gesegnete Unterredungen mit ihnen; wobey ich von verschiedenen hörte, wie ihnen der Heiland seit meinem vorjährigen Besuch nach gegangen sey u. ein sehnliches Verlangen in ihnen erweckt habe, der Seligkeit in seinem Blute theilhaftig zu werden. Vom 6tn u. bis 9tn war ich in Popovka. Unter dasigem großen Häuflein sind noch wenige, die Gnade im Blute Jesu [415] gefunden haben. Ich redte ihnen dahero nachdrücklich zu, als arme, verlorne Sünder zum Heiland zu kommen u. bey Ihm Vergebung der Sünden zu suchen. Ich kam den 9tn nach Gololopovka, wo sich Abends bey mir 6 Männer u. 4 Weiber versammleten, die sich seit meinem vorjährigen Besuch hier zusammen geschlossen u. mit einander erbauet haben. Ich redte mit ihnen von dem Rathe Gottes zu unserer Seligkeit, u. nahm mit Vergnügen wahr, daß sie aufmercksam zuhörten u. gerührt wurden. D. 10ten Besuchte ich auf einer andern Colonie, wo verschiedene Personen durch die Predigten des Pastor Jannets währender Kranckheit des dasigen Pfarrers, gerührt u. aufmercksam geworden sind. Es wäre zu wünschen, daß auch auf dieser eine Werst langen u. 170 Familien starcken Colonie ein Leitschaaf wäre, das die übrigen anfaßte, so möchten manche Seelen mehr gegründet, u. mehrere herbey gelockt werden: Ein Mann, den ich zum erstenmal sahe, u. welcher vor etlich u. 20 Jahren mit den Brüdern in Stettin bekannt gewesen ist, sagte mit Wehmuth seines Herzens: Auch auf der schlimmen Colonie Popovka ist durch Sie [416] ein großes Häuflein Seelen gesammlet worden, die nun ganz anders leben, u. Versammlungen halten, u. hier ist noch nichts. Ach daß es auch hier dazu kommen möchte! D. 12tn erfuhr ich auf dem hohen Berge von Sebastianovka eine besondere Bewahrung. Ich war zu meinem Glück ausgestiegen, um den Berg hinunter zu gehen. Als ich mich umsahe, stürzte mein Schlitten an der gefährlichen glatten Seite des Berges hinunter. D. 13tn reisete ich nach Saratov, ging d. 15tn über die Wolga, u. kam Abends in Krasnojar, einer ziemlich großen Colonie, wohlbehalten an. Daselbst besuchte ich den alten, im vorigen Jahr aus Deutschland angekommenen Valentin Schaefer. Er hat viele Jahre in Hänchen gewohnt u. unsern lieben Bruder Pastor Jung gut gekannt u. lieb gehabt, hat auch von Zeit zu Zeit in Marienborn besucht. Ich reisete noch nach verschiedenen Colonien, u. traf d. 18tn wiederum zu Krasnojar ein. Ein junger Mann Joh. Scharg, von Steinbergen bei Marienborn gebürtig, kam zu mir ganz verlegen, u. sagte mir ehrlich, daß er ein böser u. ungerathener Sohn seines redlichen Vaters Johann Georg Scharg, eines Diaspora Bruders [417] in Steinbergen, sey. Nun falle es ihm oft ein u. reue ihn, er wisse oft vor Jammer nicht, was er machen solle. Ich prieß ihm die Sünder-Liebe Jesu an. Er fragte auch nach seiner Schwester Catharina, die schon verschiedene Jahre bey der Gemeine in Marienborn sey, u. wünschte, ihr und seinem Vater melden zu können, wie es ihm ginge, u. daß er nun überzeuget sey, daß die Brüder den rechten Glauben hätten, wenn er jezo nur wieder bey seinem Vater u. nahe bey der Gemeine seyn könnte, er wollte sich es besser zu nuze machen p.

Die Lage der Colonie über der Wolga ist sehr angenehm; es ist aber Schade, daß der ganze Strich von 15 bis 18 Colonien nur einen einigen Luther: Pastor hat; daher mit Grund zu befürchten ist, daß die Nachkommen der Colonisten so tumm aufwachsen werden, daß viele nichts mehr von der Religion wissen werden. Wollte Gott, daß, da das Tutel-Comtoir keine Pfarrer mehr beruft, sich freywillige ordinirte evangelische Lehrer finden möchten, die diesem Volcke mit warmen Herzen das Evangelium predigten, so würde manche Seele gewonnen u. zum Lohn der Schmerzen hinzu gethan werden.

[418] D. 19tn kam ich nach Saratov u. d. 21tn nach Tolovka, wo ich erfuhr, daß sich außer meinen alten Bekannten noch eine neue Gesellschaft versammlete. Sie bewillkomten mich in meinem Logis. Es waren 10 Männer und etliche Weiber, mit denen ich über den Text redte, u. ich konte glauben, daß der heilige Geist ihre Herzen angefaßt habe.

D. 22tn besuchte ich sie u. redete mit jedem über seinen Herzens-Zustand. Einer der neuen Leute, ein Hofnungs-voller u. um seine Seligkeit bekümmerter Mann sagte mir, daß er die ganze Nacht mit dem, was ich Tages zuvor von dem lebendigen Glauben an Jesum, den gecreuzigten, geredet habe, umgegangen sey. Den alten Bekanten mußte ich überhaupt meinen Schmerz darüber bezeugen, daß der Heiland nicht ihr ganzes Augenmerck ist; und ich ermahnte sie, sich von ganzem Herzen zu Ihm zu wenden u. Gnade in seinem Blute zu suchen. D. 23tn reiste ich nach Ustsolicha u. d. 24tn nach Sebastianovka ab, wo ich Abends mit dem dasigen Häuflein einen seligen Eintritt in die Marter-Woche machte. Wir lasen täglich aus der Leidens-Geschichte unsers HErrn. D. 26tn hatte ich eine Bandenmäßige Unterredung mit verschiedenen, [419] wobey manchen die Thränen in die Augen kamen, u. sie verbanden sich mit einander, dem Heiland ganz zur Freude und Ehre zu werden, sich von Herzen zu lieben u. im Friede auf einem Sinne zu bleiben. Am Grünen Donnerstag unterhielte ich mich mit meinem Freunde allein auf dem Felde, u. konte Ihm mich, meinen Plan u. das ganze Volck der Gnadenwahl mit einem kindlich gläubigen Herzen empfehlen, und aus dem Gefühl Seines Wohlgefallens hoffen, Er werde mir meine Bitte geben, Amen! Am Oster Morgen früh ging ich in der Stille auf den hiesigen Gottesacker, wo unser Bruder Grüzmacher u. die Schwester Langin begraben liegen, schloß mich an meine lieben Geschwister in den Gemeinen an, u. erbat mir die ewige Gemeinschaft mit den an allen Orten dieses Jahr heimgegangenen u. den 2 hier ausgesäeten Geschwistern. Nachmittag kamen 28 Kinder zu mir, mit denen ich kindlich u. beweglich von der Fest-Materie redte. Der Kinder-Freund nahete sich so fühlbarlich, daß mir unbeschreiblich wohl wurde, und verschiedene von den Kindern [420] weinten von Herzen, und waren so hingenommen u. zerfloßen, daß etliche der Väter, die dabey waren, auch weich wurden.

D. 1tn Apr. kam unser lieber Bruder Pastor Jannet hieher u. hielt die Predigt und Communion, wobey ich die selige Nähe meines lieben HErrn ganz ausnehmend fühlte. D. 2tn hörte ich von verschiedenen, was für einen Eindruck die neuen Leute aus den Versammlungen bekommen, u. daß sie gegen ihre natürlichen Anverwandten, die sie darüber zu Rede sezten, schöne Bekentnisse abgelegt haben, so daß jene selbst Lust bezeigen, zu sehen u. zu hören, was unsre Sache ist. Andre aber sagten: Nun wenn das so fort geht, daß so viele hingehen, so werden sie wol noch gar in der Kirche die Versammlungen halten müssen, u. die Herrnhuther werden hier die Oberhand kriegen; wir wollen versuchen, wenn sie Abends so zusammen laufen, sie mit Dreck zu werfen, vielleicht schämen sie sich u. bleiben aus einander.

Nachmittag redte ich zu einer großen Anzahl Kinder einfältig u. herzlich von der Liebe Jesu zu den Kindern, u. fragte sie, ob [421] sie nach meinem Rath den Heilnend um gute Herzen u. um die Erfahrung der Kraft seines Blutes gebeten hätten; worauf ich von verschiedenen eine gefählige Antwort bekam, u. die Thränen flossen ihnen über die Wangen. D. 4tn fuhr ich nach Colaikaramisch u. unterhielt mich mit dasigen Bekannten. 2 davon sind ein paar lieben Leute, die auf Grund kommen, und ein guter Saame in dieser Colonie seyn werden. In den folgenden Tagen kam ich nach einigen Colonien; in Papovka unterhielte ich mich einige Tage mit den Seelen. Bey meinem Abschied d. 12tn weinten etliche Männer u. sagten: mein Abschied sey ihnen schmerzlicher, als ihnen der Abschied von ihren leiblichen Vätern gewesen sey. Bis zum 17tn war ich in Ustsolicha, u. d. 18tn kam ich nach Norca. Unterwegs traf ich mit 10 Kindern zusammen, die zu dasigem Pfarrer in den Unterricht gingen. Ich erzehlte ihnen, wer sie erlöset hat, u. warum Er sich habe Wunden schlagen lassen u. sich so erbärmlich zurichten lassen; sie waren sehr aufmercksam. In Norca sprach ich unter [422] andern mit dem Schulmeister Pauli, der mir mit vieler Wehmuth seinen elenden Zustand klagte. Ich rieth ihm, sich als ein armer Sünder zu Jesu zu wenden. Er war sehr danckbar für meinen Besuch, und empfiehlt sich besonders dem Andencken u. Gebet der Gemeine. D. 19tn kam ich nach Golopovka, u. hörte, daß meine bekannten wegen ihrer Zusammenkunft manche Lästerung u. Beschimpfung hatten aus stehen müssen, u. auch deswegen beym Vorsteher der Colonie verklagt worden wären, welcher sich aber ihrer angenommen u. gesagt hätte, er wollte, daß er lauter solche Leute hier hätte. Ich empfahl die 8 Familien, die sich hier zusammen halten, zum Abschied in einem gläubigen Gebet der Gnade u. Liebe Gottes.

D. 22tn traf ich in Coloikaranisch ein, wo sich Abends die erweckten Seelen versammleten. Etliche Männer, die voriges mal zum erstenmal in der Versammlung gewesen, baten sichs aus, sie es wissen zu lassen, wenn ich wieder käme, denn sie wären von dem, was sie gehört hätten, so überzeugt worden, daß sie zugeben [423] müsten, daß sie mit ihren bösen Herzen nicht in den Himmel kommen, noch der Himmel ihnen ein Himmel seyn könnte, wenn auch Gott sie so hinein nehmen wollte, sondern man müste einen andern Sinn u. Herz vom Heiland erlangen. Ich empfahl auch dieses kleine Häuflein in einem herzlichen Gebet dem liebes vollen Herzen Jesu u. der Pflege des heiligen Geistes.

D. 23tn kam ich wiederum nach Sebastianovka. Von einer Frau, die mit ihrem Manne in einer unglücklichen Ehe lebet, wurde erzehlt, daß sie am ersten Ostertage sich eine Ausrede genommen habe, als ob sie die Kühe suchen u. nach Hause treiben wollte; statt dessen aber sey sie in den Hof des Hauses, wo die Versammlungen sind, gegangen, sey vor dem Fenster, wo ich saß, niedergekniet, u. habe die ganze Stunde zugehört; dabey sey sie in ihrem Herzen so angefaßt worden, daß sie von der Zeit an ganz anders ist. Dieses habe sie auch ihrem bösen Manne zugestanden u. ihn sehr gebeten, sie in die Versammlungen gehen zu lassen, er würde sehen, daß es mit ihr und der ganzen Haushaltung besser werden würde. Allein er erlaubte es ihr nicht. Ein Mann, der seit meinem lezten Besuch allhier in die Versammlungen kommt; [424] erzehlte mir, wie seine ehmalichen Bekannten u. der ganze Ort, darin er für den aufrichtichsten u. ehrlichsten gehalten worden, von ihm sagten, daß er sich nun auch habe verführen lassen, u. vom Glauben abfallen wollte; allein dieses mache ihn nicht irre: er wisse nun, was es wäre u. wie seinem Herzen dabey sey. Nachdem ich einige Tage Geschäfte halber in Saratov gewesen war, so kam ich d. 7tn May nach Sebastianovka zurück, wo ich Abends zum Abschied das hiesige Werck Gottes in einem gläubigen Gebet dem treuen Herzen Jesu, der Liebe des Vaters u. der Pflege des heiligen Geistes empfahl. Die Anwesenden weinten überlaut, waren danckbar für den dismaligen gesegneten Besuch, u. empfahlen sich dem fernern Andencken der Gemeine. D. 8tn reiste ich nebst Bruder Machatschek, der von Sarepta gekommen war, nach Ustsolicha. Wir beide u. Bruder Walther nebst Geschwister Jannets hielten eine gefühliche Singstunde, u. theilten zum Schluß den Kelch der Verbindung unter uns. Ich fuhr nebst Bruder Walther d. 9tn ab, u. trafen d. 14tn glücklich in Sarepta ein. Ich brachte meinem lieben HErrn Danck, Lob, Preiß u. Anbetung für die erfahrne Liebe, Gnade, Treue und Bewahrung.

[425]
III.) Auszug aus dem Diario der Geschwister unter den Frey-Negern in Suriname vom May bis Ende Aug. 1773.

D. 2tn May redte Bruder Kersten in der Vormittags-Versamlung über die Kirchen-Litaney, womit er vor 8 Tagen den Anfang gemacht hatte, um seinen Zuhörern einige Stellen ein wenig zu erläutern. D. 3tn starb das Kind eines Mannes, der sonst in unsre Versamlungen gekommen war, u. dieses gaben die so genannten Obia-Männer als die Ursache vom dem Tode des Kindes an. Da aber gedachter Mann sich schon 4 Wochen lang aus Furcht unsrer Versamlung entzogen u. ihren Götzen aufs neue Treue versprochen hatte, so schoben die Weiber die Schuld davon auf unserm Johannes, weil er ihre Götter nicht mehr ehren wolle. Er hatte sehr ernstlich gegen diese Weiber, die alle seine leibliche Schwestern u. Verwandten sind, geredet. Sie verstopften aber aus Bosheit, Herz u. Ohren, u. sagten ihm frey heraus, sie wollten nichts von unserm Gott hören. Wir trösteten uns u. ihn damit, daß unser lieber HErr die Seinen allhier schon zu rechter Zeit wird aufzuwecken wissen, u. daß nur allein die Geschichte von [426] Seiner Menschwerdung, Leiden u. Tod die steinernen Herzen zerschmelzen muß u. kan. Denn wo die Liebe Jesu nicht kan solches thun, da thuts die Vorstellung vom Tod, Hölle u. Verdammniß gewiß nicht. D. 4tn ging unser Simeon[WS 6] mit einer Gesellschaft Neger nach Paramaribo, u. nahm unsern Bericht u. Briefe dahin mit. In den folgenden Tagen war ein groß heidnisches Fest, indem einer von den größten Teufels Dienern herzu gerufen wurde, um einen neuen Gözen zu machen, u. die vor 2 Monaten geborne todte Mißgeburt mit vielen abendtheuerlichen Cermonien in einen Fluß zu versencken. Alle Mißgeburten werden hier für Götter gehalten. Bleiben sie beym Leben, so werden sie die elendesten Creaturen, indem sie allen Eigenwillen frey aus üben können. Gemeiniglich bringen sie sich selbst um, da es denn heist, es habe dem Gott nicht mehr gefallen, bey ihnen zu wohnen, weil er beleidigt u. nicht genug geehret worden sey. D. 16tn kam unser Johannes von Aure-Creek zurück, wohin er am 7tn gegangen war. Er freuete sich, daß er doch daselbst einige geneigt gefunden, die Geschichte von Jesu Menschwerdung u. Tod zu hören, da hingegen hier sich [427] alle, besonders die Weiber, sich aufs äusserste wiedersetzen. D. 21tn Beym Sprechen mit unserm Johannes zum heiligen AbendMahl wurde man mit Vergnügen gewahr, wie der heilige Geist ihn immer mehr auf die Erkenntniß sein selbst bringt u. ihm den Umgang mit dem Heiland nothwendiger u. schäzbarer macht. Ach hätten wir doch bald mehrere solcher Erstlinge aus diesen armen Heiden! Am Pfingsttage wurde zu erst die übersezte Geschichte dieses Festtages gelesen, u. so dann nach einer Rede, Gott dem werthen heiligen Geist herzlich gedanckt, daß Er auch uns arme Sünder zum Genuß des Verdienstes Jesu gerufen habe; wir baten um Vergebung unsrer Unachtsamkeit, empfahlen uns Ihm zur fernern Pflege, u. wünschten sehnlich daß Er bald die Herzen mehrerer hiesiger armen Heiden von der Wahrheit des Evangelii überzeugen möchte.

D. 1tn Juny. kam unser Simon mit seiner Gesellschaft von Paramaribo glücklich zurück. Auf der Hinreise waren bey den grossen Wasser daselbst 5 Boote gesuncken. D. 8tn kam der Heddiman Jacki von Blackwater, uns zu besuchen, u. zu vernehmen, ob ein paar Brüder von uns bey ihm zu wohnen kommen würden. [428] Wir sagten ihm: wir hätten sie u. ihr Verlangen, Brüder bey sich wohnen zu haben, nicht vergessen; für jezt könnten wir aber nichts darinn thun, bis die Einwohner des Landes wieder in guter Ruhe u. Friede mit der Regierung wären. Es war ihm also deutlich und er sagte: Sobald sie wieder mit derselben in guten Vernehmen wären, wollte er uns Botschaft senden, ferner von dieser Sache zu reden. D. 14tn ging Bruder Rudolph nach Sarramackuradu, um den krancken Officier Dauniz, auf seine Bitte, zu besuchen. Johannes u. Konjo begleiteten ihn, um weiter nach Blackwatra zu gehen, wo sie den Leuten zu reden wolten, daß sie die Sclaven der Europäer, deren sie allein 20 haben, die sie verleugnen wollen, ihnen ausliefern möchten, damit Friede im Lande bleibe. Sie kamen d. 18tn wohlbehalten zurück, mit der Hofnung, daß ihr Zuspruch nicht vergeblich seyn wird. D. 27tn starb der älteste Mann hier im Orte, der als ein Vater geehrt wurde, der aber einen schlechten Gemüths-Character hatte, u. unserm Johannes sehr hinderlich war. Es war uns sehr wehmüthig ums Herz, da bey Gelegenheit dieses Sterbefalles so viele Leute von [429] andern Dörfern sich 8 Tage lang hier aufhielten, u. man nicht eine Seele fand, die von ihrem Schöpfer ein Wort hören möchte. Die meisten sind todt in Sünden, u. andere verstopfen Herz u. Ohren durch ihre Wiedrigkeit. In der Nacht auf d. 4tn Jul., hatte ein den Europäern entlaufener Sclave, der hier vor 8 Tagen gefangen worden, Mittel gefunden, den Kloz an seinen Füßen los zu machen u. zu entlaufen. Man suchte ihn den folgenden Tag, aber vergeblich. Uns u. unsern Johannes sezte es in große Verlegenheit, weils seinem guten Namen bey der Regierung nachtheilig seyn könnte. D. 8tn ging Bruder Rudolph mit Johannes u. einem grossen Theil der hiesigen Einwohner nach Bombey, um Grund zur Kost an dem neuen Wohnplaz zu fällen; andere gingen nach Paramaribo, mit denen wir den Bruder Schreyer von dort erwarteten. D. 11tn ging Bruder Simon mit seiner Familie auf seinen Pinda-Grund, so daß wir 3 (Geschwister Kerstens u. Bruder Rothe) nun ganz allein waren, ausser etlichen Leuten im Dorfe, die man aber mit einem Worte von Jesu gleich von sich jagen kan, mit denen wir jedoch übrigens freundschaftlich leben.

[430] In diesem Monat hatten wir unsre Coffe-Erndte die sehr geringe war, weil der hiesige Grund sehr schlecht ist. Dem Gebet der Kirchen-Litaney d. 1tn Aug. wohnte der Fähnrich Dauniz bey, der einige Tage auf einen freundschaftlichen Besuch bey uns war. D. 2tn Aug. wurde unserm Simon ein Söhnlein geboren. Weil aber nach hiesiger Landes-Einrichtung der Neger kein Vater etwas über seine Kinder zu sagen hat, u. die Mutter u. deren Brüder eifrige Gözen-Diener sind, so durften wir weder an Taufe noch am Segnen desselben dencken. D. 6tn hatte Bruder Kersten eine herzliche Unterredung mit unserm Simon, des Inhalts: „Lasset uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebet.“ D. 8tn Aug. kamen unsre Leute vom Fort u. vom Grund-Fällen wieder nach Hause.

Bruder Kersten, der eben das Fieber hatte, stand auf u. ging ihnen entgegen; um die Brüder Rudolph u. Schreyer zu bewillkommen. Die Augen gingen uns über von herzlicher Freude auf beyden Seiten. Abends in der Versamlung danckte Bruder Rudolph in einem herzlichen Gebet unserm lieben HErrn für seine gnädige Bewahrung auf der Reise u. bey dem schweren Bäume-Fällen. [431] Bruder Rudolph hätte auf einem Damm oder Fall, da sie bis über die Hüften im Wasser gehen mußten, u. er in ein Loch zwischen die Steine fiel großen Schaden nehmen können; die Engel aber hatten ihn bewahrt. Ein leiblicher Bruder unsers Johannes, Namens Mauhweri, der ein Weib auf einem andern Dorfe hat, kam u. erzehlte, daß ihm seine dortigen Leute gesagt hätten, wenn er mehr in unser Bethaus ginge, so könne er nicht bey ihnen wohnen, sein verstorbener Vater würde sie sonst alle umbringen. Er machte sich aber nichts daraus. Wir haben Hofnung, daß er des Heilands Eigenthum werden wird. Auch erzehlte uns Johannes folgendes von einem kleinen Knaben, der gerne bey uns aus- u. eingehet: Seine Mutter rief dem Gott der wilden Schweine zu, daß er dieselben herbey bringen sollte. /: dieser Gott ist ein kleiner Vogel, wie ein Sperling, auf dessen Pfeiffen sich die wilden Schweine versamlen sollen. Wenn die Neger ihn hören, so sagen sie: Gran danki Mascra mehi dem kom! das ist Großen Danck Herr, mache daß sie kommen! der Knabe sagte: Gott hat den Vogel die Stimme gegeben nach seiner Art, wie soll er doch die Schweine herbey bringen können! [432] Sie verboten ihm aber gleich mit großem Zorn, zu reden. D. 19tn schickte ein Capitain von Blackwatra Botschaft an uns: er hätte gehört, daß nun noch ein Bruder zu uns gekommen sey, u. er käme doch nicht zu ihm: ob wir nicht mehr des Sinnes wären, daß jemand von uns bey ihm zu wohnen kommen sollte? Wir ließen ihm sagen: wir hätten schon mit dem Capitain Jacki Abrede genommen; auch könne der neue Bruder für die Zeit nicht dahin kommen, weil er erst bey uns die Sprache lernen u. das hiesige Clima gewohnt werden müste; endlich müßten sie erst mit der Landes-Obrigkeit in ein beßers Vernehmen kommen. D. 20tn erzehlte uns Simon, daß seine Schwieger-Mutter wegen der Kranckheit seines jüngst gebornen Kindleins die Obia um die Ursache der Kranckheit habe fragen lassen; worauf die Obia, oder vielmehr der Betrüger, der die Obia hat, geantwortet habe: die Seele des Simons mache das Kind kranck: er müsse dahero seine Seele opfern u. zu ihr beten, so würde das Kind gesund werden. Er hat ihr aber geantwortet, er hätte mit solchen Dingen nichts mehr zu thun, denn er wisse nun besser, daß seine Seele in [433] ihm selbst wohne, u. also keinen Schaden thun könne, ohne sein eigen zu thun. Wir riethen ihm, sich u sein Kindlein dem Heiland zu empfehlen.

D. 22tn redte Bruder Rudolph mit angethanem Herzen zu unserm kleinen Häuflein. Es entsteht dabey oft der Wunsch: Ach wenn doch viele, viele kämen, das Wort Gottes zu hören, vielleicht würde es ins Herz hinein dringen! Bruder Kersten hielt mit Bruder Simon eine gründliche Herzens-Bande von seinem Gang u. Wachsthum in der Gnade. Bruder Schreyer bekam d. 24tn das Fieber. Es ließ sich zwar bald zur Besserung an, wurde aber d. 27tn u. am 28tn so starck, daß die Brüder bey ihm wachen mußten. D. 29tn Aug. konte er noch dem Fest-Morgensegen der ledigen Brüder beywohnen, bekam aber bald wieder sein Fieber sehr heftig. Und unserm lieben HErrn gefiel es, diesen jungen, muntern, lieben Bruder am 31tn zu sich heimzurufen. Unsre Thränen begleiteten ihn, u. der liebe Heiland muß uns über dieses Bruders so geschwinden Heimruf selber trösten. Er war nur 3 Wochen u. 2 Tage bey uns, gleichsam auf einem Besuch.

Unser seliger Bruder Johann Michael Schreyer hat von seinem Gange durch diese Zeit folgende eigenhändige Nachricht hinterlassen:

[434] „Ich bin d. 16tn Febr. 1746 in dem Dorfe Geilenkirchen bey Schwäbisch-Hall geboren. Seit meinem 7tn Jahr muste ich das Vieh hüten, ging aber zu Winters-Zeit in die Stadtschule. Da ich nun zum Lernen große Lust hatte, meine Eltern aber zu arm waren, mir das nöthige zu geben, so bat ich oft um Almosen, u. kaufte mir Papier, bis mir endlich der Schulmeister, da er meine grosse Lust zum Lernen sahe, behülflich war, daß ich das Nöthige umsonst erhielt. Weil ich gerne studiren wollte, u. wußte, daß der Stadt-Rath verschiedene arme Kinder umsonst studiren ließ, so ersuchte ich den Herrn Ober-Pfarrer deswegen Fürbitte für mich einzulegen.

Er aber rieth mir, anstatt dessen, meine Schulzeit wohl anzuwenden, u. als dann das Schneider Handwerck zu erlernen, u. einen christlichen Wandel zu führen, so wolte er mir mit der Zeit zu einem Schuldienst behülflich seyn.

Beym Unterricht zum heiligen AbendMahl sagte der Pfarrer, nachdem er uns über alle Hauptstücke des christlichen Glaubens geprüft hatte, zum Schluß: So ihr solches wißet, selig seyd ihr, so ihr solches thut. Wir mußten ihm auch mit Hand u. Mund versprechen, unsern Glauben [435] nicht zu verläugnen, nach Gottes Wort zu leben, u. dem HErrn Jesu bis ans Ende treu zu bleiben. Er segnete uns darauf mit Handauflegung, u. that noch ein Gebet, dadurch wir so hingenommen wurden, daß wir anfingen laut zu weinen, u. der Pfarr weinete mit uns.

Dieses war das erstemal, daß ich im Gefühl der Gnade weinte. Dieses selige Gefühl hatte ich auch beym ersten AbendMahl am Charfreytag. Ich faßte dann den Entschluß, recht fromm zu werden; aber das Verderben regte sich bald in mir, u. ich gewann die Sünde u. die Lust zur Welt lieb. Jedoch fühlte ich dabey Bestrafung im Herzen, u. ich versprach oft dem lieben Gott, mein Leben zu ändern. Da ich 17 Jahr alt war, begab ich mich bey einem Schneider in die Lehre, weil ich glaubte, ich würde da weniger Reizung zum Bösen haben. Nach einem halben Jahr aber ging mein Meister aus der Zeit, u. ich kam zum Schulmeister des Dorfes, der auch ein Schneider war. Nach 14 Tagen ging mein Vater u. bald darauf auch meine Mutter aus der Zeit. Nun war ich in sehr betrübten Umständen. Ich hatte einen älteren Bruder u. Schwester, die aber ihr Brod nicht verdienen konnten; jedoch [436] erhielten sie auf meine Bitte einen Platz im Spital. Ich aber brachte mich die 4 Jahre meiner Lehrzeit mit Unterricht der Kinder im Rechnen u. Schreiben durch. Indeß wurde die Unruhe meiner Seele immer größer; ich wollte der Sünde wiederstehen, u. fiel immer wieder hinein. Einmal aber, da ich Abends spät aufs Feld ging u. den lieben Gott mit Thränen auf den Knien bat, sich meiner zu erbarmen u. meine Seele zu erretten, so empfand ich ein heimliches Wohlseyn. Ich faßte dann den vesten Entschluß, meine Seele zu bewahren u. Gott wohlgefällig zu werden; jedoch es fehlte mir an der Kraft, meinen guten Vorsatz auszuführen. Der treue Heiland aber suchte, mich zu Seinem Volcke zu bringen, von dem ich gar nichts wußte. Ein Brief, den mein Lehrmeister von seinem Bruder, welcher in Neudietendorf wohnte, erhielt, machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich mir gleich vornahm, nach Beendigung meiner Lehrzeit nach Neudietendorf zu diesem frommen Mann zu gehen; ja ich konnte meine Lehrzeit nicht auswarten, sondern bat meinen Meister, mir noch die übrige kurze Zeit zu schencken; welches er auch that.

[437] Meine Hausleute weinten sehr beym Abschied, konnten sich nicht vorstellen, wie ich, da ich noch so jung wäre, der Lust der Welt entsagen wollte, u. mochten nicht weiter hören, als ich anfing, auf ihr Begehren, ihnen die Ursach meiner Traurigkeit zu entdecken, weil ich, wie sie sagten, ihnen das Herz auch schwer machte.

Ich kam also d. 8tn Oct. 1766 nach Neuditendorf, u. war anfangs vergnügt. Da mir aber der heilige Geist mein Verderben aufdeckte, u. sich mir alles das Böse, was ich von Jugend auf gethan hatte, wieder vorstellte, so kam ich in grosse Noth. Ich bekannte zwar dem Heiland alles u. bat mir seine Vergebung aus, getrauete mich aber nicht, meinen Brüdern mich offenherzig darzustellen, weil ich befürchtete, sie würden mich als denn wieder wegschicken. Endlich half der liebe Heiland mir auch aus dieser Noth, Er schenckte mir Gnade, mit den Brüdern ganz offenherzig zu reden, gab mir auch die Versicherung im Herzen, daß Er für alle meine Sünden am Creuze gebüßet habe. Anno 68, im April u. Nov. gelangte ich zu dem Gemein-Gnaden, u. bat den Heiland, mich nach seinem Sinne zu gestalten. Wenn ich aus den Nachrichten hörte, daß noch so [438] viele Heiden wären, die nichts von ihrem Schöpfer u. Erlöser wüßten, u. dabey an mich dachte, wie ich auf seinem Namen getauft wäre, so viel von Ihm gehört hätte, u. doch nicht besser als ein Heide wäre, so vergoß ich viele Thränen, u. es entstand eine wahre Liebe zu den armen Heiden, besonders den Negern, u. ein Verlangen, ihnen des Heilands Liebe u. Geduld aus meiner eigenen Erfahrung anzupreisen. Ich meldete mich deswegen im Aug. 1769 bey der Direction der Unitaet, welche auch an mich zu dencken versprach. Indeß erhielt ich bald Gelegenheit, andern zu verkündigen, was der HErr an meiner Seele gethan hat, indem mir aufgetragen ward, mich der Brüder in der Diaspora anzunehmen, welches mir oft zum Segen gewesen ist.

Am Chorfest der ledigen Brüder 1770. erneuerte ich meinen Bund mit dem Heiland unter vielen Thränen u. mit einem so seligen Gefühl, daß ichs nie vergessen werde. D. 18tn Jan. 71. kam ich zu den Kindern in die Anstalt. D. 10tn Juny. 1772 erhielt ich einen Ruf, unter die Freyneger nach Suriname zu gehen. Der liebe Heiland thue die Barmherzigkeit an mir u. führe alle Seine Friedens-Gedancken [439] über mich zu Seines Namens Ehre aus. Preiß, Ehre u. Macht, sey Ihm von mir Armen, Erloseten gebracht!“ So weit er.

Er reisete d. 23 July 72 mit Bruder Kufud von Herrnhuth nach Barby ab, wurde daselbst d. 13tn Aug. zur Acoluthie angenommen, sezte von da seine Reise nach Holland, u. von da d. 14tn Sept. nebst Geschwister Wohns u. Bruder Kufud nach Paramaribo fort, wo sie d. 25tn Jan. 73 anlangten. Er war auf der Reise sowol als bey seinem halbjährigen Aufenthalt in Paramaribo gesund u. vergnügt, treu u. fleißig, diente in häuslicher Arbeit, u. ließ sich angelegen seyn, die Neger-Sprache zu erlernen. D. 25tn July reisete er, seiner Bestimmung zu folge, nach dem Frey-Neger-Lande ab, u. kam d. 8tn Aug. vergnügt u. munter in Quama an, zu seiner Brüder herzlichen Freude. Nun hofte er erst, dem Heiland, der ihn so geliebet u. selig gemacht hatte, zu etwas nüze werden zu können. Unser lieber HErr aber hatte ihm ein noch viel seligers Loos beschieden.

[440] Nach 14 Tagen wurde er unpaß. Es besserte sich zwar; er bekam aber bald ein hiziges Fieber, u. alle Mittel wollten nicht anschlagen. Er lag meist ganz stille, u. konte wenig reden. Auf Befragen, ob er gern zum Heiland gehen wollte, sagte er: Wie es unser lieber HErr über mich beschlossen hat, soll es mir recht seyn. Er ist ja in diesen Tagen meinem Herzen unaussprechlich nahe gewesen.

Dieses waren seine lezten Worte, u. am 31tn Aug. entschlief er sanft u. selig, nachdem er seine Wallfahrt auf 28 Jahr 6 Monate u. 16 Tage gebracht hatte.


[441]
IV. Auszug aus dem Diario der Brüder in Cairo[WS 7], vom Sept. bis zum 3tn Oct. 1773, nebst Bruder Antes Bericht von seinem Besuch in Benesse

D. 8tn Sept. muste Bruder Hocker wieder einen Besuch beym Bascha machen. D. 12tn besuchte uns der Cumus Georgius aus dem Kloster (des seligen Bruder Dankes guter Freund) mit noch ein paar Ghasis. Sie versicherten mich (schreibt Bruder Hocker) sie hätten den Heiland lieb. Da ich sie aber fragte, warum sie den Heiland lieb hätten, konten sie nichts drauf antworten. Das gab mir Gelegenheit, von der Beschaffenheit eines Herzens, das den Heiland lieb hätte, zu reden. Sie bejaheten nach ihrer Art alles, aber ohne Gefühl. D. 13tn hatte Bruder Hermann wieder einen Anfall vom Fieber. D. 22tn wurde ich zu dem Abuna deßen im vorigen Diario gedacht worden, gerufen. Er war sehr kranck, u. sahe finster aus. D. 23tn hatte es sich mit ihm gebessert. Ich fand Gelegenheit, mit ihm alleine zu sprechen, u. fragte ihn, wie sein Herz mit dem Heiland stünde; er klagte über Trockenheit [442] u. Gleichgültigkeit. Ich mahlte ihm das liebesvolle Herz des Sünder-Freundes ab, der alle Trockenheit u. Gleichgültigkeit ganz leichte mit Seinem Blute wegnehmen könnte, wenn man es Ihm nur einfältig sagte u. klagte. D. 24tn fand ich ihn sehr gebessert. Von ein paar kleinen, unschuldigen Kindern, die zugegen waren, nahm ich Gelegenheit, im Beyseyn noch einiger Personen davon zu reden, daß man, wenn man in das Reich Gottes eingehen wollte, gerade so gegen den Heiland seyn müste, wie ein unschuldiges Kind gegen seine Eltern, u. Ihn alles großes u. kleines ohne Bedencken in Sein treues Herz ausschütten. D. 27tn besuchte uns Michael Baschara von Benesse ganz unvermuthet. Er war die ganze Zeit über, da Bruder Antes sich in Bensse aufgehalten hat, in Benesuev gewesen; u. nun anstatt nach Benesse zurück zu kehren, wie er gedacht hatte, muste er nach Cairo gehen. Er hatte seine Reise so gleich nach Benesse berichtet. Das erklärte uns das lange Aussenbleiben des Bruder Antes, darüber wir oft verlegen [443] gewesen waren; u. wir erwarten ihn nun diese Woche gewiß zurück. Des Michael Baschara Physiognomie gefiel mir, u. war mir wohl bey dem, was er sagte. Er versprach uns, da er nun unser Haus wisse, öfters zu besuchen. D. 28tn besuchte mich obgedachter Abuna, der nun ganz hergestellt war. Ich fragte Ihn, wie er seine Zeit auf dem Lande zugebracht hätte; er sagte mir, er habe des Augustinae Meditationes u. andre seiner Schriften, die vor kurzem ins Arabische wären übersezt worden, abgeschrieben. Ich sagte: die Meditationes wäre schon ganz hübsch; ob er aber nicht befunden hätte, daß viel Spreu u. Stoppeln unter den Waizen wäre? Er sagte: es wäre so, u. die Reden, die er bey mir gelesen hätte, gefielen ihm besser; wenn er völlig gesund wäre so bät er sich aus, mehrere mit mir durchzulesen. Bruder Herrmann war heute ziemlich wieder hergestellt. D. 29tn kam endlich unser lieber Bruder Antes, zu unsrer Herzlichen Freude, wieder von Benesse zurück. Wie danckten unserm lieben HErrn in der Abend-Versamlung von Herzen dafür, daß Er diesen unsern lieben Bruder durch[WS 8] Seine heiligen Engel geleitet, daß ihn niemand geschrecket, u. er im Friede gewandelt hat.

[444]
Bruder Antes schreibt von seiner Reise nach Benesse folgendes:

D. 22tn Aug. reiste ich, nach herzlichem Abschied mit meinen Brüdern, nach Benesse mit Abdel-Melak ab. Ich fühlte mich überaus arm u. ungeschickt, etwas für den Heiland zu thun, u. bat Ihn deswegen, mich in allen Umständen mit Seinen Augen zu leiten, u. was ich hie u. da würde zu reden haben, mir selbst in den Mund zu legen; u. Er tröstete mich auch, u. ließ mich seine liebe Nähe kräftig fühlen. Wir kamen mit sehr guten Nord-Wind d. 23tn früh Behnesuev vorbey, u. erreichten Abends Faescht, einen Flecken, von wo wir d. 24tn vom Niel ab in kleine Canäle fuhren, die nach dem Bass'r oder Strohm Joseph, gehen. Dieser Canäle sind viele, u. manche haben jezt noch nicht hinlänglich Wasser. Dieses u. die Unerfahrenheit des Schiffs-Volcks, darunter niemand den rechten Weg wußte, machte die Fahrt überaus beschwerlich u. langweilig. D. 25tn legten wir Abends zeitig bey einem Dorfe an. Hier suchte das verhungerte Schiffs-Volck mich zu bereden, ich sollte zu dem Schech des Orts gehen, u. mich für einen Saratsch oder D'schmidi des Mahomed [445] Bey ausgeben, damit sie einmal eine gute Mahlzeit bekämen. Ich sagte ich wollte nicht um ihrentwillen lügen, u. auch nicht für einen Mahumedaner angesehen seyn. Sie wurden böse. Als sie aber sahen, daß ich nicht zu bereden war, gingen sie heimlich hin u. gaben mich doch dafür aus. Der Schaech kam auch bald, grüßte mich sehr freundlich u. brachte zu essen für alles Volck, fragte mich aber weiter nicht, woher oder wohin. Denn wenn jemand hier nicht den ganzen Bart trägt u. ganz bauernmäßig gekleidet ist, so wird er gleich für einen Saratsch oder D'schmide angesehen, u. vor solchem fürchtet sich jedermann auf dem Lande. Ob mir nun gleich diese ganze Sache nicht gefiel, so mußte ich sie doch d. 26tn früh bey einem andern Dorfe zu meinem Verdruß nochmals mit mir spielen sehen; wobey sie mir auch einen Türckischen Namen gaben. Da sie nun weder Brodt noch sonst etwas mit sich hatten, so sagte ich ihnen, ich wolte ihnen lieber etwas geben; als daß sie mich für einen Saratsch ausgeben sollten. Es war überhaupt ein rohes Volck. Nachmittags kamen wir zu einem kleinen Dorf am [446] Bass'r Joseph, wo ein Copte, Namens Geit Alla, ans Schiff kam, der vormals in Benesse gewohnt u. den seligen Bruder Dancke wohl gekannt hatte. Er bezeigte sich sehr freundlich u. brachte mir u. allem Schiffs-Volck zu essen. Er sagte, er hätte auch den Heiland lieb. Ich merckte aber wohl, daß dieses sehr leichte bey ihnen gesagt ist. Abends spät kamen wir endlich in Benesse an. Wir hatten von Faescht bis hieher 3 volle Tage zugebracht; da man diese Reise zu Lande bey trockener Zeit in einem halben Tag gemacht. Ich nahm hier meine Wohnung in des seligen Bruder Danckens Kämmergen, welches aus 2 Mauern von Erde, die in ein Eck von 2 andern Häusern geklebt sind, besteht, u. mit Welschkorn Stroh gedeckt ist. Es ist etwa 12 Fuß lang u. 10 breit. Noch diesen Abend kamen verschiedene von des seligen Bruder Dankes Bekannten, mich zu bewillkommen, u. d. 28tn Hannah der Silberschmidt u. 3 Priester, die ich auch in ihren Häusern besuchte. Michael Baschara fand ich nicht zu Hause. Er war vor 8 Tagen nach Benesuef gereiset, u. nun erwartete man ihn von daher alle Tage. Ich fragte die Bekannten des seligen Bruder Dankes, [447] ob sie noch fleißig an das gedächten, was er er ihnen vom Heiland gesagt hatte? Ich hätte ihnen nichts anders zu sagen, u. wünschte nur, daß sie alle einen recht tiefen Eindruck davon ins Herz kriegen möchten. Alle versicherten, sie hättens nicht vergessen. Ich merckte aber zu meiner Betrübtnis, daß es bey den meisten ein bloses Wissen im Kopf wäre; doch schien mir Hannah, der Silberschmid, noch am meisten darüber nachgedacht u. es zu Herzen genommen zu haben. D. 29tn Aug. früh bat ich meinen lieben HErrn auf dem Angesichte kindlich um meinen Antheil an den Segen, die Er heute seinen ledigen Brüder Chören in den Gemeinen zufließen läßt, bekannte Ihm meine viele Fehler u. Mängel, u. weihete Ihm Geist, Seel u. Glieder aufs neue. Er schenckte mir auch einen Anblick seiner Gnade u. das Gefühl Seines gnädigen Vergebens. Nachmittags besuchte ich den Hannah Sayich, u. traf ihn alleine. Ich redete herzlich mit ihm, so gut ich mich eben ausdrücken konnte. Er versicherte mich, daß ihm das, was der selige Danke ihm vom Heiland gesagt, noch immer neu wäre u. nie aus seinem Sinn u. Herzen kommen würde. Er sagte mir auch, es wären ihm alle [448] irrdische Dinge eine Last, u. er wünschte, frey von allem u. ganz beym Heiland zu seyn, damit ihn nichts mehr störe. Ich erwiederte: wir hätten ja in allem den Heiland zum Vorbilde, u. so lange Er uns hier haben wollte, dürften wir uns nur an Ihn halten: Er habe ja auch gearbeitet, gegessen u. getruncken, u. s. w. Was wir aber Seinem Wandel auf Erden nicht ähnlich an uns fänden, u. wo bey wir Sein Naheseyn nicht fühlten, das dürften wir Ihm nur einfältig klagen, so würde Er uns gewiß davon befreyen. Er weinte dabey, u. es war mir recht wohl bey ihm. Denn ich merckte mehr Ernst bey ihm, als ich noch bey einem Copten gesehen habe. Da ich d. 30tn hörte, daß ein Coptischer Schreiber des Kiaschavs nach Cairo ging, schrieb ich an meine Brüder daselbst, u. versprach dem Boten ein gutes Trinckgeld, wenn er den Brief übergeben würde, weil ich merckte, daß sie darin überaus nachläßig sind; denn es hat mich Hannah Sayich, der Goldschmid, versichert, daß er u. Michael 2mal an uns geschrieben haben, es sind aber weder ihre Briefe uns, noch unsre ihnen zu Händen gekommen. (Da ich nach Cairo zurück kam, fand ich, daß mein Brief auch nicht übergeben worden.)

[449] Ich besuchte heute Ibrahim Baschara, Michaels Bruder u. sein Vater, u. redete manches mit ihnen. Ich fand, daß ihr Kopf voll genug, aber ihr Herz todt u. leer war. Man sollte kaum dencken, wie belesen in der Schrift viele von ihnen sind, u. führt man ihnen einen Spruch an, so sagen sie einem noch immer 10 dazu, um sich hören zu lassen; dabey sind sie aber sehr unempfindlich u. trocken, welches mir sehr wehe that, u. mich oft schweigen u. zum Heiland seufzen machte. D. 31tn Vormittag besuchte mich Hannah Sayich. Ich gab Ihm ein paar ins Arabisch übersezte Berliner-Reden, zu lesen, welches er mit Thränen in den Augen that. Wenn er etwas nicht verstand, so ließ er sichs erklären, welches ich sonst noch bey keinem Copten gesehen habe. Denn gemeiniglich bejahen u. loben sie nur alles oben hin, ohne weiter darüber zu dencken. Nachmittag besuchte ich den Ghasis Hanna, der den Kopf voll Wissen hat, u. sich einbildet, er habe den Heiland lieb, u. sey vollkommen; aber dabey ein betrogener Mensch ist, u. ein todtes u. leeres Herze hat. Ich hatte aber keine Freudigkeit, es ihm zu sagen, weil ich schon vormals gesehen habe, daß es [450] ihn nur aufbringt. Er hat die Bertholsdorfer u. Berliner Reden gelesen, u. weil er nichts dawieder einwenden kan, so liset er sie gelegentlich seinen Leuten, u. empfiehlt sie ihnen als Wahrheiten, ob er gleich selbst kein Gefühl davon hat, thut aber immer dabey, als hätte er das alles lange gewußt, u. als wäre er der Mann, der sie mit dem Heiland bekannt machen wollte; denn Hochmuth u. Einbildung beherrscht ihn sehr. D. 1tn Sept. besuchte ich den Abdel Melak, redte ihm zum Herzen, u. sagte unter andern, wie gefährlich es sey, wenn jemand einmal etwas vom Heiland gefühlt habe u. sich denn für vollkommen halte, u. nicht alle Tage als ein armer Sünder zu Ihm käme. Er sagte: Ja ich bin ein armer Mensch! Da er d. 3tn sehr kranck geworden, besuchte ich ihn wieder, u. sagte, wie gut es sey, beständig im nahen Umgange mit dem Heilande zu stehen, damit wir mit Freuden zu Ihn heimgehen könnten, wenn Er uns nehmen will. Er bejahete wieder alles, war aber sehr ungefühlich welches mir sehr wehe that. Ich hatte d. 5tn vielen Besuch von Copten, u. suchte hie u. da ein Wörtgen von der Liebe Jesu zu [451] armen Sündern anzubringen, fand aber keine Ohren dazu. Manche liefen weg, manche lobette u. bejaheten alles ganz trocken; viele stellten sich nur aus äußerlichen Absichten freundlich u. da sie diese nicht erhielten, verließen sie mich. Mit Hannah Sayich aber, der fast den ganzen Tag bey mir war, hatte ich vergnügte Unterredungen. D. 6tn besuchte ich Malim Baschara, Michaels Vater. Er u. die bey ihm waren fragten mich vielerley, unter andern auch übers Fasten. Ich sagte, ich wollte niemand darinn stören, ob ich gleich selbst nicht fastete; ein jeder möchte nach seiner Erkenntnis handeln. Wer aber glaubte, daß er damit beym Heiland etwas verdiente, der wäre ein armer betrogener Mensch: denn vor Ihm gelte nichts, als Sein Verdienst u. Gnade. D. 10tn gingen fast alle Einwohner aufs Feld, um Dorra, eine Art Türckisches Korn, zu pflanzen, so daß ich ziemlich alleine war, da ich dann manche selige Stunden im Umgange mit meinen besten Freunde hatte. D. 14tn wäre ich gern mit einigen Copten nach Cairo gereiset, wenn ich nicht bis zu Ende der Woche auf Michael Baschara, der immer noch kommen sollte, hätte warten wollen.

[452] D. 18tn wurde der Ghasis Hanna ins Gefängniß gesezt. Es hatte ein Copte seine Frau verstoßen u. eine andre genommen wolte aber jezt um eines Hauses willen, welches der erstern gehörte, dieselbe wieder nehmen, u. die 2te verstoßen. Da ihm nun der Ghasis sagte, daß er dazu erst Erlaubniß von dem Patriarchen in Cairo haben müste, so beklagte er sich bey dem Mahomedanischen Schaech des Orts, welcher den Ghasis einsezen ließ. So geht es unter ihnen zu: was sie von den Ihrigen nicht erhalten können, das können sie immer für Geld bey dem Türcken haben. Auf Fürbitte des Ibrahim Baschara u. einiger andern kam der Ghasis wieder los. D. 22tn besuchte ich Michaels Vater, der mir sagte, daß sein Sohn am 20tn von Beneseuv nach Cairo gereiset sey, u. ich also nicht mehr auf ihn zu warten hätte. Ich fand 3 hiesige Priester bey ihm, die mich mancherley fragten. Unter andern wollten sie von ihrer Herrn Oertern in Jerusalem u. von einem Lichte, welches daselbst alle große Sabbath erscheinen soll, u. woraus sie viel machen, meine Gedancken wissen. Ich sagte, ich wisse nur von einem Lichte, das [453] in die Welt gekommen wäre, u. das sey mein lieber Heiland, der müsse mein Herz u. eines jeden von ihnen erleuchten, wenn ihnen wohl seyn solte; wer den nicht habe, der wandele in Finsternis; mehr wüßte ich nicht. Ein jeder Ort, wo Er sich meiner Seele nahe, sey mir ein Heiligthum, u. ich brauche des wegen nicht erst nach Jerusalem zu gehen. Sie gaben mir alle Beyfall, aber dabey blieb es auch. Man muß überhaupt wissen, daß die orientalischen Christen von denen in den Abendländern in dem Theil ganz verschieden sind: Diese wiedersprechen gern, u. vertheidigen ihre eigene Säze mit grossen Eifer; jene hingegen bejahen alles, was man ihnen sagt, bekräftigen es noch dazu, u. loben einen aus aller Macht ins Gesicht, u. wenn man den Rücken kehrt, lachen sie einen aus u. dencken doch was sie wollen. Ihre schönen Ausdrücke scheinen einem, wenn man sie zum erstenmal hört, gar viel bedeutend, als: Der Tag ist gesegnet, da wir Deine Worte hörten! Gott verlängre dein Leben u. erhalte dich! – u. dgl. mehr. Lernt man sie aber kennen, so zeigt sichs, daß dieses Redens-Arten u. Höflichkeiten sind, dabey ihr Herz [454] ganz anders denckt. Und in diesen Heucheleyen sind die Copten[WS 9] vor andern Meister. D. 23tn nahm ich von allen Bekannten Abschied. Mit Hanna Sayich redte ich noch besonders. Er erzehlte mir, wie ihm war, da er zum erstenmal etwas vom Heiland in seinem Herzen gefühlt u. Vergebung seiner Sünden erlangt hat. Ich ermahnte ihn, immer dabey zu bleiben, u. täglich aufs neue als ein Sünder zum Heiland zu kommen, u. nie zu glauben, daß er nun alles habe u. vollkommen sey, denn wir blieben arme Sünder bis ins Grab, u. nichts als Jesu Christi Gnade ließe uns gerecht u. selig seyn; daran sollte er sich halten. Er versprach es zu thun, u. mir war wohl dabey. Mit Abdel Melak redte ich auch, u. sagte ihm unterandern, daß mir gar nicht gefiele, daß er wie ich sähe, seinen alten Vater zu seinem Knecht brauche, der ihn bedienen müsse, u. sich vor ihm fürchten, wie ein Sclave vor seinem Herrn. Er wollte aber dis nicht zu gestehen, u. suchte sich zu rechtfertigen. Er ist ein armer, betrogener Mensch, der da glaubt, es fehle ihm an nichts, u. sucht sich jezt nur im Aeussern zu verbessern. Hätte ich ihm dazu [455] behülflich seyn können, das wäre ihm recht angenehm gewesen. Man kan sich überhaupt die Begierde der Copten u. Araber nach Gold u. Gut nicht groß genug vorstellen, u. sie halten die Francken alle für reiche Leute. Ich erkundigte mich noch bey Hanna Sayich, ob auf keinem der andern Dörfer, wo der selige Bruder Dancke besucht hat, jemand sey, dem seine Rede einen tiefen Eindruck gemacht haben, oder der um seine Seligkeit verlegen sey? Er sagte aber, er wüßte gar niemand. Und hier fand ich zu meiner Betrübniß auch niemand, der über sich verlegen u. um den Heiland bekümmert ware. D. 24tn ging ich mit einem Fahrzeug in Gesellschaft eines Saratsch des Ismael Bey, der sich hier vergeblich bemühet hatte, Geld einzufordern, nach dem Dorfe Kufade, von wo aus man trocken nach Abugirge kommen kan. Wir kamen in diesem Dorfe, das doch nur einige Stunden von Benesse ist, erst Abends spät an. Abdel Melak u. andre Copten, die mit uns waren, brachten mich in das einzige Coptische Haus des Orts, wo auch Bruder Dancke einmal eingekehrt. D. 25tn gingen wir zu Lande weiter, u. mußten verschiedne ziemlich tiefe Canäle [456] durchwaten. Zu meinem Glück trafen wir, als wir an den Niel kamen, ein Fahrzeug an, das eben nach Cairo abgehen wollte. Der Saratsch Bascha eines Kjajah in Cairo, hatte ein Zelt von Matten drauf, u. erbot sich, mich u. den Saratsch, der mit mir gekommen war, mitzunehmen, welches ich annahm, u. wir gingen so gleich ab. Wenn man hier nicht gerade ein Schiff trift, so muß man am Ufer unter freyem Himmel darauf warten, weil Abugirga ½ Stunde vom Nil liegt, u. dieses kan wol 3, 4 Tage lang währen. So ging es dem seligen Bruder Danke, als er dazu kranck war u. nach Cairo wollte. Wir hatten so starcken Nordwind, daß er das Fahrzeug gegen den Strohm aufhielt; daher wir bey guter Zeit bey einem Dorfe anlegen musten.

In der Nacht kamen 2 Quams oder Taucher, (Leute die unter dem Wasser zu den Schiffen schwimmen, u. wenn die Leute schlafen, stehlen, so viel sie können) ohnerachtet wir gute Wache hielten, auf unser Schiff; wurden aber bald durch einige Pistolen- oder Flinten-Schüsse verscheucht. Wir legten d. 26tn bey Faescht an, wo wir des Nachts wieder 2mal von Quams [457] beunruhiget wurden. D. 27tn kamen wir nach Benesuef, u. d. 29tn früh glücklich nach Alt-Cairo. Der Saratsch Bascha erwieß mir unterwegens alle Freundschaft, u. ich muste beständig mit ihm essen u. trincken.

Um 9 Uhr kam ich zu meinen lieben Brüdern voll Lob u. Danck gegen den Heiland der mich so gnädig vor allem Leibes- u. Seelen-Schaden bewahret u. mich mit seiner unschäzbaren Nähe begleitet hatte.

Nun heißts im Diario von Cairo weiter:

D. 1tn Oct. besuchte uns Michael von Benesse. Wir behielten ihn bey uns zum Mittags-Essen. Die Verse, die wir vor u. nach Tische gesungen, wurden ihm zu seinem Vergnügen übersezt. Nachher erzehlte er von seiner Erweckung, woraus erhellte, daß er in seiner Jugend unruhig gewesen, jedoch nachher ganz in die Sünde hinein gerathen, durch des seligen Bruder Dankes Zeugnis aber zum Nachdencken gekommen sey, um Gnade in Jesu Blute geflehet, u. sie erlanget, u. darnach den Bruder Danke weiter um Rath gefragt habe, [458] wie ers machen müsse, um nicht wieder vom Heiland abzukommen. Bruder Hocker sagte ihm es sey eine grosse Gnade für ihn, unter den Erstlingen der Copten zu seyn, u. er würde ewig glücklich seyn, wenn er täglich u. stündlich als ein Sünder bey Jesu bliebe. Bruder Hocker that noch hinzu: Es würde ihm wol schon selbst eingefallen seyn: Ach wenn doch mehrere in meiner Kirche vom Tode erwachten u. in Jesu Tod Leben u. Seligkeit suchen u. fänden! Daher hoften wir, er werde seinen Brüdern[WS 10] nach dem Fleisch fein oft etwas von Jesu Sünder-Liebe u. von seinem blutigen Löse-Geld vorsagen, u. sie aufmuntern, auch zu Jesu zu kommen u. selig zu werden.

Er versicherte, daß er keine Gelegenheit versäumte, ein Wort von Gottes-Menschwerdung u. Tod anzubringen. Damit unsre Briefe richtiger als bisher überbracht würden, versprach er, von seinen vielen Bedienten zuweilen einen express nach Cairo zu schicken. Hanna Sayich (sagte er) sey der einige in Benesse, mit dem er brüderlich umgehen könte. Abdel Melak habe wol etwas im Kopf, [459] aber nichts im Herzen. D. 2tn kam Michael wieder, u. wollte bey uns übernachten, um desto ungestörter mit uns reden zu können. Wir sezten deswegen das AbendMahl, das wir heute halten wollten, aus.

Wir hatten verschiedene herzliche Gespräche mit ihm. Der Unterschied zwischen Herzens-Erklärungen u. Predigten wurde ihm deutlich gemacht, u. daß man bey erstern einfältig aus dem Gefühl seines Herzens rede, u. nicht wie bey leztern viele biblische Sprüche anführe. Als wieder davon geredt wurde, daß ein begnadigter Sünder auch gerne andern die erlangte Seligkeit anpreiße, so versicherte er, daß dieses sein ganzer Sinn sey, u. er daher in etlichen Monaten sein Mubascher-Amt niederzulegen, u. ein ganzer Diener des Heilands zu werden gedencke; wozu wir ihm Glück u. Segen wünschten. Er wohnte unsrer Abend-Versamlung bey, worin einige Verse gesungen, u. eine schöne Rede des Bruder Josephs vom Geist u. vom Fleisch gelesen u. zu Michaels herzlicher Freude, so gleich vom Bruder Hocker übersezt wurde.

[460] D. 3ten früh beteten wir die Kirchen-Litaney wobey Michael ein Arabisches Exemplar erhielt. Er bat nachher sehr um derselben communication, die ihm auch versprochen wurde. Beym Abschied versprach er, uns vor seiner Abreise nochmals zu besuchen.

Zum Schluß des Tages hatten wir ein sehr begnadigtes AbendMahl.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wort teilweise überschrieben, zuvor theuren
  2. Vorlage: Angefegenheiten
  3. Vorlage: Wiederholung u. auf der Folgeseite
  4. Vorlage: Verstärung
  5. Vorlage: herlich
  6. im Folgenden Simon genannt
  7. Vorlage: Cario
  8. Vorlage: dur
  9. Vorlage: Chopten
  10. Vorlage: Brüder