Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Geschichten, Erzählungen und Sagen von Aesop
Band VI,2 (1909) S. 17041736
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Fabel. Literatur (außer den Handbüchern): Für die Gesamtauffassung maßgebend: E. Rohde Der Griechische Roman2, Leipzig 1900 und Über griechische Novellendichtung und ihren Zusammenhang mit dem Orient, Verhdl. der 30. Philol. Versamml. (Rostock) 1875 (= Gr. Roman2 578–601). Neben ihm jetzt zu nennen Ed. Meyer Forschungen zur alten Geschichte II 236ff. Erster Versuch einer Zusammenfassung Edélèstand du Méril Histoire de la fable Esopique (Poésies inédites du moyen âge, Paris 1840), ungeschickte Aufhäufung von Einzelnotizen. Aus der älteren Literatur hervorzuheben Bentley Dissertatio de fabulis Aesopi, 1699, jetzt am bequemsten in den Prolegomena von Furias Aesopausgabe CXXXVII und die ebenfalls heut noch wertvolle Dissertation von Grauert De Aesopo et fabulis Aesopicis, Bonn 1825. O. Keller Untersuchungen über die Geschichte der griechischen F., Jahrb. f. Philol. Suppl. IV 307–418, wertvoll namentlich als Materialsammlung. Kellers Urteil ist in vielen Punkten berichtigt durch die zahlreichen Arbeiten, die O. Crusius seit seiner Dissertation De Babrii aetate, Leipz. Stud. II 1879, diesem Gebiet zugewandt hat. Auf Crusius beruht fast ganz Rutherford The history of Greek fable, Kapitel II der Einleitung zu seiner Babriusausgabe, London 1883. Ungezügelte Phantasien bei Jacobs History of the Aesopic fable, erster Band einer Neuausgabe der ältesten englischen Aesopübersetzung (by William Caxton 1484), London 1889. Vorläufiger Überblick Hausrath Problem der Aesopischen F., Neue Jahrb. I (1898) 305ff. Im einzelnen manches Bemerkenswerte bei Mich. Marchianò L'origine della favola greca e i suoi rapporti con le favole orientali, Trani 1900 und in der Gegenschrift von Franc. Ribezzo Nuovi studi sulla origine e la propagazione delle favole indo-elleniche comunemente dette Esopiche, Napoli 1901.

Weiteres unter den einzelnen Abschnitten.

I. A. Name und Begriff.

1. Αἶνος. Die ältesten F. finden sich in ionischer Poesie unter der Bezeichnung αἶνος, d. h. Gleichnisrede. Die Stellen sind schon von den Grammatikern des Altertums, so von Lukill von Tarrhae, gesammelt, vgl. Ammon. de differ. ed. Ammon p. 9–11, seitdem viel behandelt, vgl. Grauert 83–86. Crusius o. unter Αἶνος Bd. I S. 1029f. Wartensleben Begriff der griechischen Chreia (Heidelberg 1901) 8–15. Αἶνος umfaßt sowohl das Gleichnis, aus dem sich die Tier-F. und eine bestimmte Art des Sprichworts entwickelt, wie das Rätsel in sich und führt in jene Anfänge der Kultur zurück, wo der Seher bei indogermanischen Völkern ebensowohl Orakeldeuter wie Rätsellöser ist (Ohlert Rätsel u. Gesellschaftsspiele der alten Griechen, Berl. 1886, 4ff. Ribezzo 39ff. Crusius [1705] o. Bd. I S. 1029). Man kann an den ähnlich umfassenden Gebrauch von exemplum (W. Hertzberg Begriff der F. usw., Einleitung zu seiner Babriusübersetzung, Halle 1846, 89) und von bîspel im Mittelhochdeutschen erinnern. In der speziellen Bedeutung als Tier-F. findet sich αἶνος zuerst bei Hesiod im Rügegedicht an Perses, Werke und Tage 202–211 (F. von ἴρηξ καὶ ἀηδών, Fab. Aesop. 9 Halm), vgl. Neubner Apologi Graeci historia antiquissima, Leipziger Dissertation, Köln 1887. Aus dieser Verwendung haben die Rhetoren später einseitig αἶνος als Terminus technicus für die F. abgeleitet (Crusius a. a. O.).

2. Μῦθος und λόγος. Der geläufigste Ausdruck für die F. bei den Dichtem ist μῦθος, zum erstenmal so nachweisbar bei Aischylos Myrmidones frg. 133 N.2 Ὧδ' ἐστὶ μῦθων τῶν Λιβυστικῶν κλέος, von der F. vom Adler und dem Pfeil (Halm 4). Daß der Begriff auch das Märchen mit umfaßte, empfand der Scholiast zu Aristoph. vesp. 1251 μῦθος δ' αἶνου διαφέρει τῷ τὸν αἶνον μὴ πρὸς παῖδας ἀλλὰ πρὸς ἄνδρας πεποιῖσθαι καὶ μὴ ψυχαγωγίαν μόνον ἀλλὰ καὶ παραίνεσιν ἔχειν τινά. Die Scheidung zwischen μῦθος und λόγος geben die Rhetoren so: Theo prog. c. 3 (περὶ μύθου) .. προςαγορεύουσι δὲ αὐτοὺς τῶν μὲν παλαιῶν οἱ ποιηταὶ μᾶλλον αἴνους οἱ δὲ μύθους · πλεονάζουσι δὲ μάλιστα οἱ καταλογάδην συγγεγραφότες τὸ λόγους ἀλλὰ μὴ μύθους καλεῖν, ὅθεν λέγουσι καὶ τὸν Αἴσωπον λογοποιόν. Πλάτων δὲ ἐν τῷ διαλόγῳ τῷ περὶ ψυχῆς (= Phaedon 60 B. 61 C) πῇ μὲν μῦθον, πῇ δὲ λόγον ὀνομάζει κτλ. (Rhet. Gr. I 174 W.). Charakteristisch die Stelle im Platons Gorgias 523 A ἄκουε δὴ ... μάλα καλοῦ λόγου ὃν σὺ μὲν ἡγήσει μῦθον .. ἐγὼ δὲ λόγον. Bei der ersten Bezeichnung erhält das phantastisch Märchenhafte, bei der andern das rationelle Element den Nachdruck; vgl. Wyttenbach und Stallbaum zu der Phaedonstelle. Grauert 86, 19. Keller 310, 1. Λόγος findet sich zuerst bei Herodot. I 141 ἁλιεὺς αὐλῶν (Halm 27) und dann weiter parallel mit μῦθος, das aber trotz der Theonstelle auch späterhin noch zu überwiegen scheint. Ebenso ist die Bezeichnung συνθέτης μύθων für Aesop die gebräuchlichere – s. u. – und in den Hss. der Titel Αἰσώπου μῦθοι.

3. Ἀπόλογος ist als Bezeichnung für F. in griechischer Literatur nicht überliefert, aber mit Recht aus dem Lateinischen, wo es stehender Ausdruck ist (vgl. namentlich auch Cic. de orat. II 66) auch für das Griechische erschlossen, vgl. Crusius o. Bd. II S. 167ff. Eine scharfe Definition des Inhalts läßt sich aus dem Gebrauch der Antike von keinem der drei Begriffe geben. Märchen, F., Parabel, Allegorie, auf deren Scheidung Lessing (Abhandlungen über die F.) und der ihm geistesverwandte Hertzberg viel Scharfsinn verwendet haben, sind bei den Griechen ursprünglich nicht durch eigene Bezeichnung gesondert worden. Vielmehr reiht sich unter wechselnden Namen hier die ganze stets wachsende leichte Unterhaltungsliteratur von Märchen, F., Witzwort, Paradoxon, Schwank und Novelle ein. Von allen diesen Schöpfungen der Laune sind Tiermärchen und Tier-F. die ältesten, aber die Grimmsche Anschauung, daß die F. auf dem [1706] Hintergrund einer zusammenhängenden großen ,Tiersage‘ entstanden seien, ist heute wohl aufgegeben (trotz Keller 313. Ludwich Einleitung in die Batrachomachie 37, 103).

B. Die Fabel in der Poesie der Griechen.

Die Tatsache, daß der erste αἶνος sich in den Werken und Tagen findet, spiegelt sich wieder in der Anekdote, daß Hesiod der Lehrer Aesops gewesen sei (Plut. sept. sap. conv. 158 B. Quintil. V 11, 19. Priscian. praeexerc. p. 551 Halm). Selbstverständlich fehlt auch der Versuch nicht, die Erfindung der F. Homer zuzuschreiben (Theo prog. 3. Philostr. imag. I 3). Möglicherweise spielen hier Reminiszensen an den Margites mit herein oder an die Batrachomyomachie, deren Verfasser Tierschwänke zu seiner Travestie der Ilias benutzte. Der Homer, den wir kennen, hat keine Tier-F., sondern nur Vergleiche mit der Tierwelt (Grauert 11f. Neubner 7f. Marchianò 450f.). Der Versuch von Marchianò Hom. Il. VIII 247. XII 200–229. Aesch. Agam. 103 und an andern Stellen symbolische Beziehungen auf vorarische Göttermythen zu finden und so eine in Indien und Hellas parallel laufende Entwicklung vom Mythos, der bildlichen Erzählung von Götterkämpfen ohne lehrhafte Absicht, zur bewußt lehrhaften F. hin zu konstruieren, erscheint mir verfehlt (über Ribezzos favola cosmogonica s. u. unter IV). Anderseits ist das Bild von den zwei Fässern an der Türschwelle des Zeus später leicht überarbeitet in die F.-Sammlungen übergegangen (ἀγαθὰ καὶ κακά Babr. 184. Halm 1). Ansätze zu Apologen, das Wort in der weitesten Bedeutung genommen, liegen also bei Homer vor, mehr nicht.

Auch der Versuch Marchianòs (456) bei Hesiod Scutum 214f. die Vorstufe einer F. nachzuweisen, ist verfehlt.

Dagegen ist Archilochos, wie schon die alten Grammatiker erkannt haben (die Stellen bei Grauert 12), der Vater der ,Aesopischen‘ Tier-F.; vgl. die Ausführungen von Crusius o. Bd. II S. 500 (dort ist zu den bei Archilochos nachgewiesenen F. hinzuzufügen frg. 39 Bgk. = σφῆκες καὶ πέρδικες καὶ γεωργός Halm 392). Auch ihm dient die F. meist zum Rüstzeug im Kampfe, wie dem Hesiod. Aber daneben erklingt hier auch der volle Ton, das gemütvolle Eingehn aufs Detail, das den Märchenerzähler kennzeichnet.

Es ist wichtig, hervorzuheben, daß bei dem ersten Schriftsteller, bei dem das Material es erlaubt, die Auffassung des Autors mit einiger Sicherheit zu beurteilen, poesievoll ausgeführte Märchen, die jeglicher Tendenz ermangeln, neben bewußt lehrhaften F. stehen.

Von da an sind F. in der Lyrik häufig zu finden, entweder als Selbstzweck behaglich ausgeführt oder in allgemein verstandenen Anspielungen, wie bei Solon (11 Bgk.) ὑμέων δ' εἶς μὲν ἕκαστος ἀλώπεκος ἴχνεσὶ βαίνει, wo der Schluß: εἰς ἔργον δ' οὐδὲν γιγνόμενον βλέπετε deutlich genug auf die Löwenhöhle hinweist.

Einiges aus dieser ersten Periode der F.-Dichtung sei hier zusammengestellt. Bei Semonides von Amorgos sind frg. 8 und 9 Bgk. wohl sicher einer F. (Reiher und Aal) entnommen, ebensowohl auch 11 und 12 (Weihe). Für die große Weibersatire sind F. die selbstverständliche Grundlage [1707] (Ribbeck Rh. Mus. XX 1865, 74–80). In dem Skolion Bergk PLG III 648 = Halm 346, ὄφις καὶ καρκίνος, das ohne zureichenden Grund dem Alkaios zugeschrieben wird, wirkt das Vorbild des Archilochos weiter. Alkman (vgl. Crusius Bd. I S. 1568. 1571) scheint nach Aelian. hist. an. XII 3 Tier-F. erzählt zu haben. Stesichoros hat nachweislich mit großer Kunst F. ausgeführt (Aristot. rhet. II 20. Aelian. hist. an. XVII 37. Bergk frg. 66). Auch bei Ibykos fanden sich nach Aelian. hist. an. VI 51 Tiergeschichten. Aus Timokreon berichtet Plutarch Themist. 21 die F. vom ἀλώπηξ κόλουρος (Halm 46).

So ward die F. rasch vielfach von Dichtern ausgebildet, nachdem sie der ländliche Sänger von Askra aus der mündlichen Tradition der Volkskreise aufgegriffen hatte. Welche Rolle sie dort spielte, beweisen die bekannten Aristophanesstellen in den Wespen und die übrigen Anspielungen, die Keller 381, 91. 94. Crusius Verhandl. der Görlitzer Philologenvers. (1889) 33, 1. Friedländer Sittengeschichte I5 468ff. zusammengestellt haben.

Aus der weiteren Entwicklung sei nur noch auf die eine wichtige Tatsache hingewiesen, daß sich namentlich die ionische Prosaliteratur der Tiermärchen annahm – daher die Rolle, die Milet und der Maeander in alten Fabeln spielen (vgl. Semon. frg. 9. Halm 30. 333 b) – so auch Hekataios, der als Quelle für Herodot in Betracht kommt (Diels Hermes XXII 422), vgl. Crusius de Babrii aet. 202 und Wochenschr. f. klass. Phil. 1891, 625.

Nach griechischer Gepflogenheit, für jedes Ding und jeden Brauch einen εὑρετής bei der Hand zu haben, ist seit ältester Zeit mit der F. ein Name unlösbar verbunden, der des Aesop.

II. Aisopos.

1. Name. Der Name Αἴσωπος weist nach Phrygien und Mysien, wo der Fluß und der Flußgott Αἴσηπος zu Hause sind, s. o. Bd. I S. 1085. Auch die Künstlerinschrift des Weihgeschenks von Sigeion Ἥσοπος CIG I 8 erscheint verwandt, o. Bd. I S. 1087. Keller 375. Der Name ist früh als Eigenname angefochten und als Appellativum = Αἰθίοψ erklärt worden. Αἴσωπος ἀπὸ τοῦ αἴθω, ὅ ἐστι λάμπω, καὶ ἀπὸ τοῦ ὤψ – Αἴθωψ Eustath. ad Od. I p. 17, ταυτὸν γὰρ Αἴσωπος τῷ Αἰθίοπι der Verfasser des Aesopromans Fab. Rom. ed. Eberhard p. 228. Von den Neueren hat namentlich Welcker Aesop eine F., Kl. Schr. II 229ff., diese Deutung wieder aufgenommen, gegen die Keller 374f. begründete sprachliche Bedenken vorbringt (vgl. auch Fick Griechische Personennamen 7).

2. Heimat. Fast immer der Osten. Die gewichtigsten Zeugen sprechen für Samos, so namentlich die späteren Partien der Aesopromans, der (s. u.) die ältesten Überlieferungen über Aesop zum Kern hat. Dort läßt ihn Herodot (II 134) bei Iadmon Sklave sein, auch Aristoteles Rhet. II 20 läßt ihn dort verweilen. Ebenso spricht das Epigramm des Agathias, Anthol. Planud. 332, auf die Aesopstatue des Lysipp ihn als Samier an. Die Mehrzahl der Angaben jedoch weist nach Phrygien: Phaedr. prol. III 52; app. 11. Dio or. 32 p. 684. Lucian. vera hist. II 18. Gell. II 29. Maxim. Tyr. III 1. Aelian. [1708] var. hist. X 5. Himerius XIII 5 u. an andern Stellen. Stob. serm. XLVII. Isid. orig. I 39, 1, ebenso die dritte Aesopvita (p. 309 Ebh.) und die Paroemiographen unter μᾶλλον ὁ Φρύξ. Als Geburtsort wird Κοτύαιον genannt bei Suidas und bei Konstantin Porphyrogen. de them. I 4, daneben Ἀμόριον im Aesoproman (p. 227 Ebh.), Σαρδιηνός heißt er in den Versen (des Kallimachos? Babr. ed. Crusius p. 210) bei Apollon. soph. lex. Homer. p. 10, 13 s. ἄειδε und bei Suidas. Nach Lydien weist auch eine der Aesopviten (II p. 306 Ebh.). Als Thraker dagegen spricht ihn Herakleides Ponticus (res publ. Sam. frg. 5, FHG II 215, darnach das Scholion zu Aristoph. av. 471) an, vielleicht als Schicksalsgenossen der Rhodopis, mit der ihn schon Herodot (d. h. das alte Volksbuch vom Aesop) zusammenstellt. Dazu stimmt wieder eine Notiz bei Suidas Εὐγείτων (Εὐγείων alte Vermutung, vgl. Grauert 66. FHG II 16) δὲ Μεσημεριανόν εἶπεν.

Die Fülle der Angaben beweist nur, daß eine feste Tradition nicht vorhanden war. Das Überwiegen der Stimmen für Phrygien mag sich daraus erklären, daß Phrygien das Hauptexportland für Sklaven war. Auffällig aber bleibt, daß so viele Quellen die Heimat des F.-Dichters außerhalb Griechenlands suchen.

3. Zeit. Herakleides Ponticus setzt ihn in die Zeit des Pherekydes von Syros (Ol. 59), Hermippos bei Diog. Laert. I 72 in die 52. Olympiade, Eusebios in die 54. Die Angabe bei Suidas ist rettungslos korrupt, doch erwähnt er seinen Aufenthalt am Hofe des Kroisos, folgt also der Kombination, die ihn mit Solon und den sieben Weisen gleichsetzt. Derselbe Ansatz liegt auch der im dritten Jahr des Tiberius abgefaßten Tabelle auf einer der ilischen Bildertafeln CIG IV 6855 d (IG XIV 1297). Jahn-Michaelis Bilderchroniken 77. A. Schäfer ebd. 79, zu Grunde, ἀφ' οὖ Πεισίστρατος ἐτυράννευ[σεν ἐν Ἀθή]ναις καὶ Αἴσωπος ὑπὸ Δελφῶν κατεκρημνίσθη ἔτη ψοθ'. Unmittelbar voraus geht dort ἀφ' οὗ οἱ σοφοὶ ὠνομάσθησαν ... Auch Phaedrus scheint diesen Ansatz zu kennen I 2, 1–9.

4. Legende. Ausgangspunkt die Notiz bei Herodot. II 134, als dessen Quelle vielleicht Eugeion in Betracht kommt (s. o. unter 2). Er erwähnt den Aesop nur gelegentlich, wie er bei seinen Erzählungen von Sappho auf die Rhodopis zu sprechen kommt, um derentwillen sich Sappho mit ihrem Bruder überwarf δούλη δὲ ἧν Ἰάδμονος τοῦ Ἡφαιστοπόλιος, ἀνδρὸς Σαμίου, σύνδουλος δὲ Αἰσώπου τοῦ λογοποιοῦ. καὶ γὰρ οὕτος Ἰάδμονος ἐγένετο, ὡς διέδεξε τῇδε οὐχ ἥκιστα, ἐπεὶ τε γὰρ πολλάκις κηρυσσόντων Δελφῶν ἐκ θεοπροπίου, ὃς βούλοιτο ποινὴν τῆς Αἰσώπου ψυχῆς ἀνελέσθαι, ἄλλος μὲν οὐδεὶς ἐφάνη, Ἰάδμονος δὲ παιδὸς παῖς ἄλλος Ἰάδμων ἀνείλετο. οὅτως καὶ Αἴσωπος Ἰάδμονος ἐγένετο. Hieraus ergibt sich 1. Aesop war Sklave auf Samos, 2. die Priester in Delphi ermordeten ihn, 3. der Gott selbst nahm die Rache in die Hand.

Eine weitere innerlich zusammenhängende Gruppe von Nachrichten – Herakleides Pont. res publ. Sam. 5 (FHG II 215, 16) und res publ. Magn. 2 (ebd. 219), die Scholien zu Aristoph. aves 471; pax 129; vespae 1466–68. Duris von Samos bei Antigon. mirab. c. 132 – geht, wie [1709] das Scholion zu Aristoph. aves 471 καὶ Ἀριστοτέλης ἐν τῇ Σαμίων πολιτείᾳ εἰπόντα φησὶν αὐτὸν μῦθον ηύδοκιμηκέναι beweist, in letzter Linie auf Aristoteles zurück. Sie geben einige Details zum ersten Punkt – ἠλευθερώθη ὑπὸ Ἴδμονος τοῦ κωφοῦ (τοῦ σοφοῦ der Scholiast zu den Vögeln, vgl. Grauert 60 und Koraes zu der Herakleidesstelle), ἐγένετο δὲ πρῶτον Ξάνθου δοῦλος Herakl. Pont. res publ. Sam. 5. Das wird dann noch oft wiederholt, die Stellen – nicht immer richtig zitiert – bei Marchianò 55–58. Wichtiger erscheint die Angabe über den Anlaß zum Zusammenstoß mit den Delphern und die Details des Mords. Nach den Scholien zu den Wespen soll er die Delpher geschmäht haben, weil sie nicht selbst arbeiteten, sondern von den Opfergaben lebten. Aristophanes in den Wespen, die Scholiasten und Herakleides res publ. Magn. 2 erzählen dann, wie die Delpher ihm eine goldene Schale aus dem Tempelschatz zuschoben und ihn dann wegen Tempelraubs töteten. Auch der dritte Punkt, daß der Gott die Delpher hart strafte, war in der Fassung, die Aristoteles kannte, ähnlich ausgeführt, wie bei Herodot. Denn auf Aristoteles Δελφῶν πολιτεία geht auch das Sprichwort Αἰσώπειον αἷμα ἐπὶ τοῖς δυσαπονίπτοις zurück (Aristot. frg. 487 Rose). Weitere Ausmalung dieses Vorgangs bei Plutarch de sera numinis vindicta 556, der sich (s. u.) im wesentlichen eng an die alte Tradition zu halten scheint, dann – außer in kurzen Anspielungen bei Libanius apologia Socratis (II p. 53. 54 Reiske) und de ulcisc. Iul. nece (III p. 66 R.) – bei Himerius or. XIII 5. 6. Aesop kommt nach Plutarch im Auftrag des Kroisos und soll nicht nur dem Gotte opfern, sondern auch jedem Bürger vier Minen schenken; ὀργῆς δὲ τίνος, ὡς ἔοικε, καὶ διαφορᾶς αὐτῷ γενομένης πρὸς τοὺς αὐτόθι, τὴν μὲν θυσίαν ἐποιήσατο, τὰ δὲ χρήματ' ἀνέπεμψεν, ὡς οὐκ ἀξίων ὄντων ὠφεληθῆναι τῶν ἀνθρώπων. Daher die Nachstellung und der Sturz vom hyampischen Felsen, bei dessen Schilderung die Opferbräuche der Thargelien die Vorlage bilden (Wernsdorf zu Himerius a. a. O. Usener Stoff des griechischen Epos 47. 48). Das Verhältnis des Fabulisten zum Gotte scheint in der Legende immer enger gestaltet worden zu sein, Himerius nennt ihn πάνσοφον καὶ διὰ τοῦτο ἱερόν τοῦ Ἀπόλλωνος, woraus Keller (365) fälschlich ableitet, Aesop habe in Delphi ein Priesteramt bekleidet.

Wann nun die Aesoplegende in den Sagenkreis von den sieben Weisen einmündete, ist mit Sicherheit nicht zu ermitteln, v. Wilamowitz (Herm. XXV 218) vermutet auf Grund von Plutarch Solon 28, daß schon Ephoros diese Verbindung kannte. Solon gegenübergestellt finden wir den Fabulisten in des Alexis Komödie Αἴσωπος Athen. X 431. Kock II 299, und zwar, da die Szene offenkundig nicht in Athen ist, auch hier wohl schon am Hofe des Kroisos. Die Rolle, die Aesop in diesem Kreise spielte, ist leicht zu erkennen. Er trat zu ihnen ,als der Schalk, dessen Mutterwitz über die Schulweisheit triumphiert‘ (v. Wilamowitz). Die wichtigste Quelle für die Rekonstruktion des alten Volksbuchs, in dem wir uns die Legende zur Zeit der λογοποιοί niedergelegt zu denken haben, ist Plutarchs Gastmahl der sieben Weisen (v. Wilamowitz a. a. O.). [1710] Die Rolle, die Aesop hier spielt, muß daher kurz festgestellt werden. Er nimmt an dem Gastmahl teil ὑπὸ Κροίσου νεωστὶ πρός τε Περίανδρον καὶ πρὸς τὸν θεὸν εἰς Δελφοὺς ἀπεσταλμένος καὶ παρῆν ἐπὶ δίφρου τινὸς χαμαιζήλου παρὰ τὸν Σόλωνα καθήμενος ἄνω κατακείμενον c. 4 (der Wortlaut in Anlehnung an Plat. Phaedon. 89 B; vgl. Wyttenbach z. d. St.). Ebenso wird die Rätselerzählerin Kleobulina, die in dieser Literatur öfters mit Aesop in Parallele gesetzt wird, nicht für voll genommen und muß zu Füßen der Melissa Platz nehmen. Aesop beteiligt sich ungezwungen und witzig am Gespräch οἷον ἐλεγκτικός, doch tut er nicht mit, wenn die Weisen ihre feierlichen Sentenzen formulieren. Gelegentlich wird er von diesen kurz abgewiesen, ἐπιστομισθεὶς ὑφ' ἡμῶν c. 13. Eine Reihe seiner F. werden teils von ihm selbst, teils von andern erwähnt, er wehrt sich gegen deren Mißachtung, c. 19, und weiß auch den Rätseln der Kleobulina Anerkennung zu schaffen, c. 10. Zu Solon scheint er in einem zärtlichen Verhältnis zu stehen, ἁψάμενος οὖν αὐτοῦ τῆς κεφαλῆς ὁ Σόλων καὶ διαμειδιάσας εἶπεν c. 7 (die Fassung wieder nach dem Phaedon 89 B; vgl. Wyttenbach). Dagegen kann in der Bemerkung des Chilon c. 4 καὶ τύνη βραδύς καὶ τρέχεις τὸν ἡμίονον (offenkundig korrupt; ἡμιόνου Kaibel, ὑπὲρ τὸν ἡμίονον v. Wilamowitz) ein Spott liegen.

Später ward die Zeichnung wesentlich vergröbert, vgl. Lukian. ver. hist. II 115 τούτῳ δὲ ὅσα καὶ γελωτοποιῷ χρῶνται, dann Himerius or. XIII 5 Αἴσωπος, οὖ μὴ ὅτι τοὺς λόγους τινὲς ἀλλ' ἤδη καὶ αὐτὸ τὸ πρόσωπον καὶ τὴν φωνὴν γέλωτα καὶ χλεύην ἥγηντο κτλ.

Einem dritten Stadium der Legende gehören wohl erst die Berichte von der Wiedererstehung Aesops vom Tode und von seinen Taten in einem zweiten Leben an. Der Komiker Platon (Kock I 619) läßt einen beschwören, daß zwar sein Körper tot sei ψυχὴν δ' ἀνήκειν ὥσπερ Αἰσώπου ποτὲ (ἀνῆκεν sc. Ἅιδης Kock). Diese Parodie Pythagoreischer Lehren wirkt dann weiter. Plutarch Solon 6 berichtet ταῦτα μὲν οὖν Ἕρμιππος (der Kallimacheer, der auch περὶ τῶν [ἑπτὰ] σοφῶν schrieb Diog. Laert. I 42, FHG III 38) ἱστορεῖν φησι Πάταικον, ὃς ἔφασκε τὴν Αἰσώπου ψυχὴν ἔχειν, d. h. Pataikos gab sich als ,zweiter Aesop‘ und suchte wohl sein berühmtes Vorbild zu überbieten (Preller Jahns Jahrbücher VIII 178; bei Plutarch ein Schwank, der das Motiv der rückschreitenden Aufhellung eines entsetzlichen Unglücks gibt, die mit einem ganz unbedeutenden Detail anhebt, vgl. An. Grün Botenart, Hebel Ein Wort gibt das andere (Tandel Neue Jahrb. VIII 1904. 601–607]).

Bei Ptolemaios Hephaistion (Phot. bibl. cod. 252) wird dann daraus Αἴσωπος ἀναιρεθεὶς ὑπὸ Δελφῶν ἀνεβίωσε καὶ συνεμάχησε τοῖς Ἕλλησι ἐν Θερμοπύλαις. Vielleicht erhält dadurch die kuriose Notiz bei Suidas s. Αἴσωπος einen Sinn ἔγραψε τὰ ἐν Δελφοῖς αὐτῷ συμβάντα ἐν βιβλίοις β'.

Wenn schließlich in einem Mimus alexandrinischer Zeit (Grenfell and Hunt Oxyrh. Pap. III 47ff., jetzt am bequemsten Herondas ed. Crusius4 p. 110–116) ein redseliger, eigenwilliger (ὁ ὑπερήφανος) Sklave Αἴσωπος auftritt, so soll der Name natürlich an den Fabulisten erinnern, aber [1711] das Material scheint mir nicht auszureichen, um Crusius Vermutung (zu v. 117) zu begründen: loquiturne nanus (hinc nomen ad fabellam Romanensem referendum) ?

Die Deutung der Legende, die ersichtlich in Ionien zu Hause ist – auch bei Plutarch im Leben Solons ist Aesop von auswärts, d. h. von Samos, zu Kroisos berufen – ihre weitere Verbreitung aber erst seit der Verbindung mit den delphischen Tempellegenden erhielt, ist dadurch erschwert, daß ursprünglich fremde Motive eingeschaltet sind. Das Märchenmotiv vom goldenen Becher, der ihm untergeschoben wird, um ihn des Diebstahls zu verdächtigen (vgl. Joseph und seine Brüder I Mos. 42), wird von Usener (Sintflutsagen 184; Stoff des griech. Epos 47) mit der Entwendung der goldenen Schalen des Apoll durch Pharmakos, der von Achilleus ertappt und gesteinigt wird, FHG I 422, 33 (vgl. auch Crusius in Roschers Myth. Lex. II 2833*) und weiter mit dem Raub des delphischen Dreifußes in Parallele gesetzt und dem Sagenkreis vom Raub des himmlischen Schatzes zugewiesen. Ganz ohne Beweis denkt Jacobs 38 an Beseitigung des Demagogen (!) Aesop durch die delphische Priesterschaft aus politischen Motiven. Der charakteristische Zug ist offenbar der Gegensatz zwischen professioneller und volkstümlicher Weisheit, wobei der Gott im Konflikt sich nachdrücklich auf die Seite der letzteren stellt. Die erbitterte Rivalität zwischen Aesop und den Priestern und die mehr freundschaftlichen Neckereien mit den 7 Weisen sind ersichtlich Parallelen, von denen nur eine, und zwar die erstere Fassung ursprünglich sein kann.

5. Der Aesoproman. Dies alte Volksbuch des 6. Jhdts. (H. Wulf De fabellis cum collegii septem sapientium memoria coniunctis, Diss. phil. Hal. XIII 213) ist in hellenistischer Zeit mit allerlei orientalischen Überlieferungen zusammengearbeitet worden im βίος Αἰσώπου τοῦ μυθοποιοῦ, dem sog. Aesoproman. Als Verfasser wird in den Hss. – alle aus dem 14. Jhdt. – Maximus Planudes genannt, eine Angabe, die, durch das gleichlautende Urteil Bentleys (De fab. Aes. VIII) gestützt, heute noch in modernen Handbüchern wiederholt wird, aber jeder Begründung entbehrt (vgl. Hausrath Unters. zur Überl. der äsop. Fabeln, Jahrb. f. Philol. Suppl. XXI 263–265). In Wirklichkeit hat Planudes den Roman ohne jede eigene Zutat einer von ihm veranstalteten Schulausgabe Aesopischer Fabeln vorangestellt, die heute noch im Borbon. 118 II D 22 saec. XIV vorliegt (vgl. Byz. Ztschr. X 91ff.). Der Roman existierte in verschiedenen Rezensionen. Eine ziemlich ausführliche gab Westermann Vita Aesopi, Braunschweig 1845 heraus, eine im Detail knapper gefaßte Eberhard Fab. Roman. (1872) 226ff. Neuerdings ist im Papyrus Golenischeff ein Fragment einer dritten, noch ausführlicheren Fassung hinzugekommen und von H. Weil (Revue de phil. 1885, 19ff. = Etudes de lit. et rhythm. Gr. 119ff.) teilweise herausgegeben worden, leider mit zur Rekonstruktion des sehr lückenhaften Textes nicht genügendem Apparat. Weil setzt das Papyrusblatt ins 6. Jhdt., Th. Reinach Revue des études juives XXXVIII (1899) 5, 3 hält es, wohl mit Recht, für wesentlich älter. [1712]

Die Quellenanalyse dieses für die Beurteilung der griechischen Novelle und ihrer Geschichte wichtigen Werks ist begonnen von Keller 361–374. Rohde Griech. Roman2 394, 2. M. Gaston Ilchester lectures etc., London 112–115. Marchianò 51ff. Paul Marc Studien zur vergl. Lit.-Gesch., Berlin 1902 II 393–411. III 52–53, aber noch nicht zu klarem Ende geführt. Der Roman zerfällt ersichtlich in drei Teile. Der erste (c. 1–18 West. = c. 1–22 Ebh.) erzählt, wie in Samos der Sklave Aesop den ,Philosophen‘ Xanthos, der an die Stelle der 7 Weisen bezw. der delphischen Priester getreten ist, auf mannigfache Weise beschämt und schließlich seine Freilassung erlangt. Der zweite (19–20 W. = 23–32 E.) berichtet, wie der weise Aesop an den Höfen von Babylon und Ägypten durch Klugheit und Zauberkraft die Könige und ihre Weisen übertrifft. Der dritte (21 W. = 33 E.) berichtet das Ende Aesops in Delphi. Abschnitt I und III gehen auf das alte Volksbuch zurück, II, der die orientalischen Abenteuer enthält, die auf orientalischem Boden in der Achikarsage selbständig gestaltet sind, ist stark beeinflußt von Ps.-Kallisthenes. Aber auch hier wirken die alten griechischen Novellen von den 7 Weisen nach; Aesop spielt z. B. genau die Rolle, die in Plutarchs Gastmahl dem Bias zugewiesen ist, d. h. er ist an die Stelle seiner alten Gegner getreten.

Inwieweit andererseits die alte griechische Legende aus dem Roman ergänzt werden darf, bedarf noch sehr der Untersuchung. Alles, was Griechenland in langen Jahrhunderten an Witz und Weisheit ersonnen hatte, ist hier auf Aesop gehäuft. Es finden sich im Roman Züge aus der Göttersage, alte Märchen, Aesopische F. in alter Gestalt und in Nachbildungen, Gnomen, die aus dem Epos, der Komödie, der Spruchdichtung stammen, ebenso Anekdoten und Wortwitze der verschiedenartigsten Provenienz. Der Grundstock aber ist, wie die weitgehende Übereinstimmung z. B. auch in den Namen beweist, mit dem alten Volksbuch identisch, und zwar haben die Byzantiner, wie jetzt der Papyrus Golenischeff beweist, die Form, die dieses in alexandrinischer Zeit hatte, nur unwesentlich und meist nur durch Weglassungen (Weil 19 = 119f.) verändert. Daher sei hier einiges, namentlich aus dem Papyrus, mit Reserve nachgetragen, was sich auf die Vorgänge in Delphi bezieht, die abweichend von der oben mitgeteilten Version geschildert werden. Aesop kommt περαὼν τὰς πόλεις τῆς Ἑλλάδος καὶ τὴν ἑαυτοῦ ἐπιδεικνύμενος σοφίαν auch nach Delphi, wo ihn das von allen Seiten zusammenströmende Volk wohl gern anhört, ihm aber nicht die gebührenden Ehren erweist. Daher verspottet er sie. Das Papyrusblatt (nur zur Hälfte erhalten, es fehlen in jeder Zeile 25–28 Buchstaben) hat hier einen Satz mehr, der vielleicht eine Anspielung auf dunkle Hautfarbe des Fabulisten enthält. Mit aller Reserve ergänze ich οἱ δὲ [ὄχλοι ἡδέως αὐτοῦ ἀκροώμενοι] τὸ κατ' ἀρχὰς οὐδὲν αὐτῷ παρεῖχον [τιμῆς (πρᾶγμα oder ἀηδὲς Weil, der auf weitere Herstellung verzichtet). ὁ δὲ εἰκάσας τὰ θηρία τὰ τ]οῖς ἀνθρώποις ὁμόχρωμα ἔφη πρὸς αὐτοῦς οἱ [κόρακες θεῶν σημάντορες αἱ δὲ κορῶν]αι ἀνδρῶν, vgl. Halm 212 κορώνη καὶ κόραξ. Plut. VII sap. conv. c. 7 (152 D) σὺ δὲ δεινὸς εἶ κοράκων [1713] ἐπαίειν καὶ κολοιῶν, τῆς δὲ θεοῦ φωνῆς οὐκ ἀκριβῶς ἐξακούεις. Im folgenden vergleicht er die Delpher mit einem auf dem Meer herantreibenden Holzklotz, der von fern gesehen sehr großartig aussieht (daraus fab. 310 Halm), und nennt sie würdig ihrer Vorfahren, nämlich der von überallher dem Apollon als Tempelsklaven geweihten Kriegsgefangenen. Aus Furcht, daß Aesop anderswo sich noch schlimmer über sie äußere, beschließen die Delpher, ihn zu beseitigen, greifen aber zur List, damit nicht die anwesenden Fremden für ihn Partei nehmen. Nach der Version des Papyrus hilft sogar Apollon mit: ἐβουλεύσαντ[ο ἀνελεῖν δόλῳ, καὶ αὐτοῦ τοῦ Ἀπόλλω]νος σὐνεργοῦντος αὐτοῖς διὰ τὴν ἀτ[ιμίαν, ὅτι βωμὸν ὁ Αἴσωσος καθιδρύσας τ]αῖς μούσαις οὐ καθίδρυσεν (καθίδρευσεν Pap.) αὐτῷ. Die Ergänzungen Weils scheinen unabweislich, da schwer ersichtlich ist, wer sonst die Ehrung der Musen und die eigene Mißachtung so verübeln sollte. Doch scheint Apollons Mithilfe nur darin bestanden zu haben, daß er gestattet, daß die goldene Schale dem Tempelschatz entnommen und in das Gepäck von Aesops Sklaven geschoben wird, als dieser vor den Toren der Stadt schläft. Unmittelbar vor dem Ende wird Aesop im Roman weich gestimmt, in mannigfachen Fabeln beklagt er sein unverdientes Los: Halm 109 ,Witwe von Ephesus‘, kaum hier wurzelecht (aus ,Aesop‘ zitiert, jedoch nach Athen verlegt in dem vulgärgriechischen Weiberspiegel des Collegio Greco in Rom [16. Jhdt.] Krumbacher S.-Ber. Akad. Münch. 1905, 335ff. v. 377 λέγει δὲ καὶ ὁ Αἴσωπος διὰ μίαν γυναῖκα εἰς τὴν Ἀθήναν κτλ.). Halm 65 ἄνθρωπος καὶ τέττιξ, wo die Beziehung auf Aesop auch nicht ursprünglich erscheint. Korais 345 πατήρ καὶ θυγάτηρ, wozu μήτηρ καὶ θυγάτηρ in der Westermannschen Fassung und im Papyrus ein noch obszöneres Seitenstück liefert, und schließlich, allein der Stimmung und Situation entsprechend, Halm 3 ἀγροῖκος καὶ ὀνάρια: γεωργὸς ἐπ' ἀγροῦ γεγηρακὼς καὶ μηδέποτε εἰς πόλιν εἰςελθών κτλ. und am Schlusse: ὦ Ζεῦ, τί σὲ ἠδίκησα ὅτι οὕτως παρὰ λόγον ἀπόλλυμαι καὶ ταῦτα οὐχ ὑφ' ἵππων ἐντίμων οὔδ' ὑφ' ἡμιόνων γενναίων ἀλλ' ὑπ' ὀναρίων εὐτελεστάτων (Vorbild wohl die Klage Achills, der befürchtet, im Schlamme der empörten Flüsse ersticken zu müssen, Il. XXI 281).

Der Schluß beweist ebenso, wie die oben erwähnten Entlehnungen aus bekannter Literatur, wie häufig das beliebte Volksbuch überarbeitet worden ist. Auffällig ist außer der koniventen Haltung Apollons der Umstand, daß mit keinem Worte des Kroisos als des mächtigen Beschützers des Fabulisten Erwähnung getan wird. Es gab also wohl eine Version, die ganz ohne den Lyderkönig auskam.

Leider sind im Papyrus Golenischeff nur die letzten Partien des Romans erhalten. Aber die wörtliche Übereinstimmung mit den Hss. erweist, daß der Anteil der Byzantiner an Teil III und damit vermutlich auch an Teil I des Romans nur gering ist. Sie haben das altgriechische Volksbuch vom klugen Knecht Aesop – mit Till Eulenspiegel vergleicht ihn zuerst Reiske Brief an Lessing, nr. 433 der Ausgabe von R. Förster Abh. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 1897 – nur überarbeitet und seine derbe Komik ihrem Geschmack [1714] entsprechend gesteigert. Stärker mag ihr Anteil an Teil II sein, in den Partien, wo Aesop an Klugheit mit Nektenabo wetteifert, wie Markolf mit Salomo, und ein Magier ist wie Vergil im Volksbuch, Partien, die erweislich erst in hellenistischer Zeit entstanden sind. Aber auch dafür, daß Aesop als verwachsener Zwerg von abschreckender Häßlichkeit geschildert wurde, wie in I (vgl. die Eingangsworte und die Einführung ins Haus des Xanthos c. 5 W. = 8 E.), fehlen sichere Belege aus klassischer Zeit.

6. Bildnisse. Die angebliche Häßlichkeit Aesops. Als Vertreter volkstümlicher Weisheit erhält Aesop dann auch Statuen gesetzt gleich den 7 Weisen, vermutlich meist in Hermenform wie diese (bei Phaedr. II epil. ist natürlich mit dem Gudianus ingenio zu lesen statt ingentem). Ein Bildwerk des Lysipp ist bezeugt durch das Epigramm des Agathias Anth. Plan. 322, wo der Künstler gelobt wird, daß er der heiteren Muse des Samiers vor dem finsteren Ernst der 7 Weisen den Vorzug gegeben habe. Mit dieser Lysippischen Statue bringt man vielfach das Kabinettstück der Villa Albani in Verbindung (Springer-Michaelis Kunstgesch. d. Altertums7 334–335. Helbig Führer II 25. Friederichs-Wolters Gipsabgüsse nr. 1324. Bernoulli Griech. Ikonogr. I 54–56. 214. Furtwängler bei Christ Griech. Lit.-Gesch.4 985, dazu Tafel II). Diese Deutung geht von der Voraussetzung aus, daß Aesop ein verwachsener Zwerg war. Diese Darstellung entstammt aber, soviel wir bis heute wissen, erst dem Aesoproman, wo die charakteristischen Worte ... δυςειδέστατα τῶν ἐπ' αὐτοῦ πάντων ἀνθρώπων εἶχεν. καὶ γὰρ φοξὸς ἦν, σιμὸς τὴν ῥῖνα, σιμὸς τὸν τράχηλον, πρόχειλος, μέλας – ὅθεν καὶ τοῦ ὀνόματος ἔτυχε · ταύτὸν γὰρ Αἴσωπος τῷ Αἰθίοπι – προγάστωρ, βλαισὸς καὶ κυφός, τάχα καὶ τὸν Ὁμηρικὸν Θερσίτην (der ist also die Vorlage!) τῇ αἰσχρότητι τοῦ εἴδους ὐπερβαλλόμενος doch stark den Eindruck byzantinischer Übertreibung machen, obgleich Marc wohl mit Recht als Grundlage ein literarisches Porträt in Steckbriefform annimmt, wie sie in hellenistischer Zeit in der Form asyndetischer Aneinanderreihung der Charakteristika beliebt waren (J. Fürst Philol. LXVII [1902] 376ff.). Nur zu dem folgenden τὸ δὲ δὴ πάντων ἐν αὐτῷ χείριστον ἧν τὸ βραδύγλωσσον καὶ τὸ τῆς φωνῆς ἄσημόν τε καὶ ἀδιάρθωτον können wir die oben S. 1710 schon zitierte Stelle aus Plutarchs Gastmahl καὶ τύνη βραδύς anführen, man beachte aber, was daraus geworden ist! Ebenso kann auch der Eingang nur eine Vergröberung der ebenfalls oben angeführten Himeriusstelle (bezw. eines Passus im alten Volksbuch, auf den des Himerius Worte zurückgehen) sein, daß bei Aesop – wie bei jedem guten Erzähler von γελοῖα – nicht nur die Erzählungen, sondern auch Antlitz und Stimme zum Lachen reizten. Denn es giebt doch zu denken, daß Phaedrus, der nach seiner Art diesen Zug vortrefflich zu moralischen Betrachtungen hätte verwenden können – vgl. z. B. III 8 soror et frater –, nie von der Häßlichkeit Aesops spricht. Auch Philostrat, der I 3 ein Gemälde schildert, das Aesop inmitten seiner Freunde aus der Tierwelt darstellt, erwähnt nichts von der Mißgestalt, an der kaum vorbeizukommen war, wenn die Tradition allgemein feststand (vgl. [1715] das 10. Kapitel von Bentleys Dissert. de fab. Aesopi, Aes. ed. Furia CXLIX–CLI). So wird also auch das Bildwerk des Lysipp ein Idealporträt gegeben haben, ebenso wie sein Bild der Dichterin Praxilla. Vielleicht ist ein Nachhall von ihm noch in einem der vielen noch nicht mit Sicherheit bestimmten Dichter- und Philosophenköpfe erhalten. Die Figur der Villa Albani aber, die Furtwängler a. a. O. als Porträt einer Person aus Antoninischer Zeit anspricht, ist mit Burckhardt (Cicerone I5 152) als der ,konzentrierte Idealtypus eines geistreichen Buckligen‘ aufzufassen. Ganz eigenartig ist der um die Lippen gelagerte schmerzhafte Zug, der jeden Gedanken an eine Karikatur ausschließt. Angeblich denselben Kopf auf durchaus normalem Körper trägt eine jetzt unzugängliche Statuette im Kasino des Pirro Ligorio im Vatican (Em. Braun Mon. d. Inst. III tav. XIV 1; Annali 1839, 94; Abguß im Bonner Kunstmuseum Kekulé nr. 511, vgl. Bernoulli 56. 214).

Ganz im unklaren sind wir über die Aesopstatue, die Aristodemos nach Tatian. c. Graec. 55 geschaffen haben soll; vgl. oben Bd. II S. 929 Aristodemos Nr. 35.

Von Werken der Kleinkunst hat zuerst O. Jahn (Arch. Beitr. 434 und Taf. XII 2) das Bild einer Vase des Museo Gregoriano auf Aesop gedeutet. ,Auf einem Stein sitzt ein Mann ganz in seinen Mantel gehüllt, aus dem ein Krückstab (?) hervorragt; er trägt auf einem kleinen Körper einen ungeheuren Kopf mit krummer Nase, spitzem Zwickelbart. Aufmerksam und, wie es scheint, lächelnd, hört er einem Fuchs zu, der ihm gegenüber mit untergeschlagenem Schwanz auf einem Stein sitzt und im Gespräch die Pfote aufhebt.‘ Daß hier eine Karikatur vorliegt, die aber, wie bei den Pygmäen, allein durch das Mißverhältnis von Kopf und Körper erreicht wird, ist klar. Aber zu der Schilderung im Roman paßt auch diese Figur nicht, und sie Aesop zu nennen, bloß weil der Fuchs der Lieblingsheld des Fabulisten ist, ist nicht überzeugend. Mir scheint eine Genreszene vorzuliegen: schön frisierter Stutzer, den der kluge Fuchs verlacht?

Die Heranziehung einer Reliefbüste auf einer Tonlampe durch Em. Braun a. a. O. scheint ebenso unhaltbar, wie die eines Negerkopfs auf delphischen Silbermünzen des 5. Jhdts. (Catalogue Greek coins Brit. Mus., Central Greece 25, 6ff. Taf. IV 5ff.).

Wenn nun die Figur des buckligen Aesop erst auf Übertreibungen des ausgehenden Altertums beruht, erscheint die Frage, wie diese Vorstellung entstanden sei, weniger wichtig. Man hat an die Parallele zu Sokrates erinnert, die sicherlich zum Teil mitwirkte (Grauert 37), an ein Symbolisieren der ,äußerlich oft schmucklosen, fast abstoßenden, innerlich aber um so wertvolleren und tiefsinnigeren Fabel‘ (Keller 364), an ein Herausspinnen aus einer verkehrten Etymologie (αἰσχρὸς-ὤψ Rutherford XXXVI Anm.), an eine Übertragung des Phlyakenkostüms auf Aesop als eine parallele Personifikation des Volkshumors (Thiele Anfänge der griech. Komödie, Neue Jahrb. V [1902] 416) – alles wenig wahrscheinlich. Man kann an Übertragung der Krüppelgestalt von den φαρμακοί der Thargelien [1716] denken wie bei Thersites (Usener Stoff des Epos 61–63), man darf vielleicht auch darauf verweisen, daß ,schon die älteste Volksphantasie sich den witzigen und satirischen Erzähler als bucklig und verwachsen vorstellt‘ (Dieterich Pulcinella 37). Aber gerade die Geschichte des Aesoptypus – den Dieterich mit richtigem Urteil in seiner Liste nicht mit aufführt – beweist, daß das nicht immer und nicht stets von vornherein geschah.

Hier möge ein Verzeichnis der Darstellung von Fabeln auf Gemälden, Reliefs usw. eingeschoben werden, die meist ebenso zweifelhafter Natur sind. Crusius De Babrii aetate 203, 3 und Philol. XLVII 185 stellt folgende zusammen: Schildkröte, die vom Adler fliegen lernen möchte (Halm 419) auf trümmerhaftem Relief (Arch. Ztg. XXXIII 1876, 18), Wettlauf zwischen Hase und Igel auf Vasenbildern, Ann. d. Inst. 1838 tav. 4 und Gerhard Auserles. Vasenbilder Taf. 317, kranker Löwe, Hirsch und Fuchs (?) (Halm 243) auf einem pompeianischen Wandgemälde (Helbig Wandgem. nr. 1584). Schwank vom Esel und Eseltreiber (Halm 335), prägnant zusammengefaßt in dem Spruchvers νίκα, κακὴν γὰρ νίκην νικᾷς auf einem Wandgemälde, Antichità di Hercolaneo tab. XLVIII. Wolf als Pflüger (Halm 70) auf einer athenischen Stele bei Pervanoglu Grabst. der alt. Griech. 33. Sehr zweifelhaft dagegen ist die Beziehung eines Wandgemäldes im Kolumbarium der Villa Pamphili auf die Fabel vom Pferd und Esel (Halm 177), vgl. O. Jahn Abh. Akad. Münch. VIII 272 Taf. II 4. Eine Darstellung des ἀνὴρ κακοπράγμων, der den Apollon überlisten wollte (Halm 55), erkennt Crusius Festschrift für Overbeck 102ff. in einem Vasenbild aus Apulien (Heydemann Vas. Neap. 2846. Overbeck Gal. her. Bildwerke II 3 p. 46. Schreiber Bilderatlas V 12) und auf einer Tonlampe von Castelvetrano (Not. d. scavi 1885, 272). Die Vermutung von Furtwängler Berl. Vasenkatalog 784 (danach Fränkel Antike Denkmäler I Taf. 8, 2), daß auf einem korinthischen Pinax des Berliner Antiquariums die Fabel vom Raben mit dem Käse und dem Fuchs (Halm 204) dargestellt sei, hat sich als irrig erwiesen (Pernice Archäol. Jahrb. XII [1897] 33–35). Unbestreitbar ist dagegen auf einem römischen Grabstein aus der Gegend von Florenz die F. vom Fuchs und Storch (Halm 34) dargestellt (Bormann und Benndorf Österr. Jahresh. I 1902, 1ff.). Die Verwendung der bekannten F. auf dem Grabstein ist natürlich rein dekorativer Natur, entsprechend den auf andern Grabsteinen dargestellten Ranken mit Vögeln, Kaninchen usw., und die Vermutungen Bormanns über ein gespanntes Verhältnis der einst unter ihm schlummernden Brüder Asper und Mansuetus sind freie Erdichtungen (W. Becher Neue Jahrb. XI 1905. 74).

7. Die moderne Kritik. Die Persönlichkeit Aesops. Den Glauben an eine persönliche Existenz Aesops scheint zuerst Luther erschüttert zu haben, der in ganz richtiger Beurteilung des Materials – freilich versteht er, wie das ganze Mittelalter, unter ,Aesop‘ den Romulus, die mannigfach erweiterte Prosaparaphrase des Phaedrus (s. d.) – schreibt: ,das man’s aber dem Esopo zuschreibet, ist meines Erachtens ein geticht und [1717] vielleicht kein Mensch auf Erden Esopus geheißen, sondern ich halte, es sey etwo durch viel weiser Leute zutun mit der Zeit Stück nach Stück zu Haufen bracht und endlich etwa durch einen gelerten in solche Ordnung gestellet‘ usw. (Etliche Fabeln aus Esopo verdeutscht usw. 1530).

Zum Symbol verflüchtigte den Aesop zuerst Vico Scienze nuove I 8 (S. 268–270 der Übersetzung von Weber, 1822), der in ihm den Repräsentanten des antiken Demos sieht, der der Sklave des ,Herrn‘ war, daher auch die angebliche Mißgestalt. Die Deutungsversuche der Folgezeit bei Marchianò c. IV. Wissenschaftliche Begründung gab dem Zweifel Welcker Kl. Schr. I 228–261, die richtige Lösung deutete Crusius in gelegentlichen Bemerkungen an, deren knappe Fassung dadurch erklärt wird, daß er an dieser Stelle den Nachweis ausführlich zu erbringen dachte.

Auszugehen ist von der Beobachtung, die schon Lessing gemacht hat (Abhandl. ü. d. Fabel I, Werke V 359 Lachm.), daß die F. Aesops ursprünglich an ein Erlebnis ihres Autors geknüpft erscheinen. Aristoph. Wespen 1446ff. Αἴσωπον οἱ Δελφοί ποτ' ... φιάλην ἐπῃτιῶντο κλέψαι τοῦ θεοῦ. ὁ δ’ ἔλεξεν αὐτοῖς ὡς ὁ κάνθαρός ποτε κτλ. (Halm 7). Dieselbe Verbindung von F. und Erlebnis ja noch im Aesoproman c. 33 (s. o.). Ebenso leitet Aristoteles Rhet. II 20 die Erzählung vom Fuchs mit den Hundsläusen ein Αἴσωπος ἐν Σάμῳ δημηγορῶν, κρινομένου δημαγωγοῦ περὶ θανάτου ἔφη κτλ. (Halm 36). Auch in den hsl. überlieferten Aesop-F. findet sich gelegentlich diese Verbindung: Αἴσωπός ποτε ὁ λογοποιὸς σχολὴν ἄγων εἰς ναυπήγιον εἰςήχθη κτλ. (Halm 19). Noch Phaedrus läßt ja den Aesop durchgehend an einen konkreten Fall anknüpfen, vgl. I 2. 6. II 3. III 3. 5. 14. 19 (= Aesoproman p. 260 Ebh.). IV 5. 17; app. 7. 10. 11. 15. 18. Das ist auch wie oben gezeigt die Technik des Aesopromans, der hierin dem alten Volksbuch, dem Niederschlag der Aesoplegende, folgte. Nimmt man noch die Stellen hinzu, an denen bei Schriftstellern seit Herodot auf die populäre Weisheit Aesops hingewiesen wird – das Material einstweilen in den Prolegomena der älteren Aesopausgaben von Hudson, Hauptmann, Heusinger –, so erscheint es allerdings sehr wahrscheinlich, daß die F. Aesops zuerst im Rahmen einer Lebensbeschreibung Aesops in Umlauf gesetzt wurden. Das alte Volksbuch von Aesop, die Grundlage des Aesopromans, war auch die erste F.-Sammlung. Die Anlage ist ähnlich zu denken, wie im ἀγῶν Ὁμήρου καὶ Ἠσιόδου, so daß also die Tendenz die war, den Volksmann im Widerspiel mit Gegnern durch allerlei F. seine Überlegenheit erweisen zu lassen (Crusius o. Bd. V S. 2272).

In den Rahmen dieses Volksbuchs wurden alle alten Aesopika aufgenommen und all die neuen, die man auf seinen Namen hinzuerfand, vgl. die bekannte Phaedrusstelle im Prolog zu V Aesopi nomen sicubi interposuero, dann den Prol. zu II 6–11. IV 21. Auch das unter dem Namen Aesops gehende Gedicht der Anthologie X 123 kann ursprünglich im Volksbuch seinen Platz gehabt haben (Crusius Philol. LII 202–204), ebenso die παροιμίαι Αἰσώπου. Ganz ähnlicherweise [1718] waren wohl die Rätsel der Kleobulina, die in der Literatur stets eng an Aesop herangerückt wird, zuerst auch in einem solchen Volksbuch vorgetragen (Crusius Philol. LV 3). Andererseits trug man kein Bedenken, auch Erzählungen und Sprüche herüberzunehmen, die früher unter andern Namen umgelaufen waren (du Méril 40). Und da das Volksbuch ebenso Sprichwörter und Anekdoten aufgriff, wie F. und Rätsel, beginnt Aesop auch auf diesen Gebieten dieselbe Rolle zu spielen, wie in der F.

II. Die ,Aesopische‘ Fabel.

So wird man gut tun, die Persönlichkeit des Aesop preiszugeben und ihn als den Träger alter Spruch- und F.-Dichtung aufzufassen. Dazu stimmt auch, daß bereits in den ältesten Aesopika nicht nur der Typus der Tier-F. vertreten ist, den die Späteren allein als aesopisch empfanden. So erwähnt. Aristoph. aves 650: ὅρὰ νῦν ὡς ἐν Αἰσώπου λόγοις ἐστὶν λεγόμενον δή τι· τὴν ἀλώπεχ' ὡς φλαύρως ἐκοινώνησεν ἀετῷ ποτε, d. h. eine Erzählung (Halm 5), die durchaus als Märchen anzusprechen ist, eine poesievolle Erfindung, hervorgegangen aus der den Indogermanen in besonderem Maße eigenen Freude an der Heimlichkeit der Tierwelt (vgl. Jakob Grimm Einleitung zu Reinhart Fuchs Kap. 1). Zur gleichen Gattung gehört die Erzählung vom Fuchs vor der Löwenhöhle (Halm 246), die im größeren Alkibiades (123 A) dem Aesop zugeschrieben wird. Solche rein märchenhafte Stücke fanden ihr dankbares Publikum bis in späte Zeit, das beweisen bei Babrius die Szenen aus des Löwen Haushalt nr. 95. 97. 106, von denen die letzte ganz mit Unrecht von Rutherford athetiert wird. Zur F. wird das Märchen durch bewußtes Betonen des lehrhaften Zugs, der unbewußt schon in vielen der alten Tiergeschichten enthalten ist, so z. B. in der von Arist. pax 128 als aesopisch angeführten Erzählung vom Adler und Mistkäfer (Halm 7), die auf der Grenze zwischen Märchen und F. steht. Rein lehrhafte F. sind die von Plutarch dem Aesop zugeschriebenen Erzählungen αἴλουρος καὶ ὄρνιθες (Halm 16) und κύνες λιμώττουσαι (Halm 218) und andere. Ganz verschieden davon sind wieder einige durch Aristophanes und Aristoteles für Aesop gesicherte Nummern. So ist κορυδαλὸς θάπτων τὸν ἑαυτοῦ πατέρα Aristoph. aves 471–475 (Halm 211) eine aitiologische Legende, auf die im Kapitel von der Heimat der F. noch zurückzukommen sein wird. Ähnliche mythologische Spielereien enthalten zwei bei Aristoteles erwähnte μῦθοι Αἰσώπου. Der eine (Arist. meteor. II 3. Halm 19) läßt Aesop sich mit den Schiffsbaumeistern herumnecken, daß das Meer, das ursprünglich die ganze Erde bedeckt habe, zu ihrem Schaden schließlich ganz verschwinden könne. Die Anwendung erinnert hier an die des αἶνος im Rügegedicht bei Hesiod und Archilochos. Der andere Mythus (Arist. de part. anim. III 54. Halm 155, auch bei Lucian vera historia II 3 und Hermotimus 20 zitiert) zeigt Momus als kritischen Beurteiler der Geschenke, die Zeus, Athene und Prometheus den Menschen machen, und enthält eine Reihe witziger Bemerkungen. So sind schon unter den gut bezeugten Aesopika auch Anekdoten vertreten. Dazu stimmt, daß Aristophanes in den Wespen 566 in einem Atem mit den μῦθοι auch die γελοῖα Αἰσώπου [1719] nennt, der selbst bei Suidas λόγων καὶ ἀποκριμάτων εὑρετής genannt wird.

III. Sonstige Fabelgattungen.

Λόγοι Λιβυστικοί (Λιβυστῖνοι), Συβαριτικοί, Καρικοί, Κίλικες καὶ Κύπριοι, Λυδικοί (Φρυγικοί), Αἰγύπτιοι, Σικελικοί. Von Anfang an stehen neben den μῦθoι oder λόγοι Αἰσώπειοι eine Reihe von andern, deren Namen von den Männern oder Volksstämmen genommen sind, denen ihre Erfindung zugeschrieben wird – ἀπὸ τῶν εὐρόντων Hermog. Rh. Gr. I 10 W., πρὸς τοὺς εὑρόντας μεταθεὶς τὰ ὀνόματα Aphthon. Rh. Gr. I 59 W.

1. Λόγοι Λιβυστικοί (Λιβυκοί, Λιβυστῖνοι). Ältestes Zeugnis Aischylos Myrmidonen (139 N.) ὥδ' ἐστὶ λόγων τῶν Λιβυστικῶν κλέος, die F. (Halm 4) vom Adler, der sieht, daß der Todespfeil mit Adlerfedern beschwingt ist. Dann Aristoteles Rhet. II 20, wo als Unterarten der παραδείγματα angeführt werden 1) παραβολαί, 2) λόγοι Αἰσώπειοι καὶ Λιβυκοί (offenbar gleichbedeutend mit Λιβυστικοί und Λιβυστῖνοι, Keller 355). Weiter an den verschiedensten Stellen erwähnt, so Diod. XIX 25. Paus. I 14. Dio Chrysost. V 1 (188 R.). Theo de musica 18. Hesych. s. Λιβυκοὶ λόγοι. Suid. s. ταυτί, ohne daß ein Unterschied von den Aesopika hervorträte. Nur Himerius XX p. 718 λόγον δὲ ὑμῖν οὐ Λιβυκόν τινα ἢ Αἰγύπτιον ἀλλ' ἐκ μέσου τῶν πάνυ Φρυγῶν, ὅπου καὶ τὸ πρώτον ὁ μῦθος ἐγένετο, ἐν αὐτοῖς εὑρὼν τοῖς Αἰσωπείοις ἀθύρμασιν ἐθέλω καὶ ὑμῖν διηγήσασθαι, stellt die libyschen als jüngere Spezies den phrygischen F. Aesops gegenüber. Dann haben diese wie die andern F. ihren stehenden Platz in den Progymnasmata, wo im Kapitel περὶ μύθου die einzelnen Unterarten aufgezählt werden (vgl. Hermogenes Rh. Gr. Ι 10 W. Theon ebd. 172. Die Scholiasten zu Aphthonius – bei dem die Λιβυκοί an der betreffenden Stelle nur durch Zufall ausgefallen sind – Rh. Gr. II 12 W.) und in den Einleitungen der Paroimiographen (Diog. Paroem. II 178. 180 Gott.) Aus solchen Quellen schöpfte auch Babrius – vgl. Crusius o. Bd. II S. 2662 – im zweiten Prooemium: μῦθος ... Συρῶν παλαιῶν ἐστιν εὔρεμ' ἀνθρώπων ... πρῶτος δὲ φασιν εἶπεν παισὶν Ἑλλήνων Αἴσωπος ὁ σοφὸς, εἴπε καὶ Λἰβυστίνοις λόγους Κυβίσσης. Derselbe Κυβίσσης oder Κυβισσός wird erwähnt bei Theon und Diogenian an den oben angeführten Stellen, während Hesych s. Λιβυκοὶ λόγοι die Notiz bietet Χαμαιλέων δὲ φησι Λίβυν τινὰ εὑρεῖν τοὺς λόγους τούτους. Zwei sprichwortartige Apophthegmata dieses Libys bei Arist. Oecon. I 6, 1345 a 2–5; vgl. Crusius Wochenschr. f. kl. Phil. 1891, 625.

Die Definitionen der Rhetoren für die einzelnen F.-Gattungen erweisen sich schon durch ihre Widersprüche als bloße Kombinationen. So wird von den libyschen ebenso behauptet, daß in ihnen nur Tiere aufträten (Doxopater Schol. zu Aphth. Rh. Gr. II 164 W.), wie daß sie sich zwischen Menschen und Tieren abspielten (Isid. orig. I 39, 2). Mit Sicherheit als libysch anzusprechen ist nur die oben aus Aischylos angeführte ,Fabel‘, die eher als philosophische Reflexion zu bezeichnen wäre. In ähnliche Richtung scheint die Bemerkung bei Sotion 108, 59 zu weisen μῦθός τις περιφέρεται Λιβυκὸς ὅτὶ ἡ λύπη παρ' οἷς ἄν τρέφηται, καὶ αὔξεται παρ' ἐκείνοις ἡδέως καὶ μένει, was man sich nach der Art wie Platon im [1720] Phaedon 60 B von Aesop den Wechsel von Lust und Unlust in einem μῦθος ausgeführt sehen möchte, leicht zur Allegorie ansgesponnen denken kann.

Dieses überaus dürftige Material ist nun willkürlich erweitert worden, indem man alles, was irgendwie nach Libyen, Kyrenaika, Africa zu deuten schien – die Λίβυσσα γέρανος, στρουθὸς Λίβυσσα bei Babr. 65, 1 und 206, die Tiergestalten der Arkesilaosvase (Keller 357f.) usw. – auf libysche F. bezog. So ist die Theorie vom ,libyschen‘ oder ,libystinischen‘ F.-Buch als einer Hauptquelle unsrer Aesopika entstanden, auf das Keller 355–359. Jacobs 121ff. Ribezzo 94ff. die disparatesten F. ohne jeden zwingenden Beweis zurückführen. Anderseits hat auch der Titel μῦθοι Κυβίσσου (oder Κυβισσοῦ) seit langem zu den gewagtesten Kombinationen herhalten müssen. Im Anschluß an Hitzig Kommentar zu den Sprüchen Salomos. Zürich 1858, S. XVI, der die μῦθοι Αἰσώπου = mishle Esob setzte und in diesen eine angeblich I Kön. 5, 13 dem Salomo zugeschriebene uralte F.-Sammlung sah (,er redete von den Bäumen, von den Zedern zu Libanon, bis an den Ysop [אֵזרֹב‎], der aus der Wand wächst‘), wies R. L. Roth Heidelb. Jahrb. 1860, 55 auf eine Talmudstelle (Succa 28 a) hin und sah in dem dort erwähnten mishle Kobsim (oder Kubesim) des Rabbi Iochanan ben Saccai (1. Jhdt. n. Chr.) die Vorlage der μῦθοι Κυβίσσου. Umgekehrt sieht jetzt Jacobs 122 in den mishle Kobsim (oder Kubsis) eine Übersetzung der μῦθοι Κυβίσσον ins Hebräische. Die weiteren phantasievollen Entdeckungen von Jacobs – das libystinische F.-Buch weist nach Indien, Κυβίσσης ist vielleicht identisch mit Kasyapa, der 27. Inkarnation Buddhas; nach Phaedrus Zeit, vermutlich durch Annius Plocamus zwischen 50 und 58, kam das Buch von Ceylon nach Rom usw. – können hier gerade nur angedeutet werden.

Demgegenüber kann als erweisbar nur folgendes gelten. Die Griechen kannten seit alter Zeit als eine den Aesopischen F. nah verwandte Gattung die libyschen F., für die die Rhetoren, wie für jede Gattung, einen εὑρετής zu nennen wußten, den Κυβίσσης-Κυβισσός (zum Namen Grauert 71). Das Charakteristische dieser F. ist heute nicht mehr mit Sicherheit erkennbar. Vielleicht spielte mit, daß Libyen seit alter Zeit als Wunderland gilt, Crusius Wochenschr. f. kl. Phil. 1891, 625. Das ,libysche F.-Buch‘, aus dem Jacobs und Ribezzo alle F. abzuleiten suchen, die nach dem Orient weisen, gehört ins Gebiet der Phantasie.

2. Λόγοι Συβαριτικοί. Dagegen läßt sich ein genauerer Begriff von den nach Sybaris genannten Erzählungen gewinnen, die schon Aristophanes in den Wespen in einem Atem mit den γελοῖα Αἰσώπου erwähnt. Er bringt die Geschichten vom abgeworfenen Sonntagsreiter, den ein Sybarit belehrt ἔρδοι τις ἣν ἕκαστος εἰδείη τέχνην, und die vom zerschlagenen Topf, dem eine Sybaritin rät, sich lieber einen Verband anlegen zu lassen, als lange Klagereden zu halten. Diese letztere Anekdote ist mit leichter Variation auf Aesop übertragen, wenn dieser ebd. 1401–1406 dem ihn anbellenden Hund den Rat erteilt εἰ ... ἀντὶ τῆς κακῆς γλάττης | πυροὺς πρίαιο σωφρονεῖν ἂν μοί [1721] δοκοῖς (also schon hier Benennung ἀπὸ τοῦ εἰπόντος? vgl. die Theonstelle am Schlusse dieses Abschnitts). Das Charakteristische dieser Sybaritika lag also, wie Rohde erkannt hat, in ihrer hochgesteigerten Albernheit, die am besten an Menschen und am wirkungsvollsten in knapper Form dargetan wurde. Dazu stimmen auch die Definitionen der Rhetoren und Grammatiker. Τῶν δὲ μύθων οἱ μὲν περὶ ἀλόγων ζώων εἰσὶν Αἰσώπειοι, οἱ δὲ περὶ ἀνθρώπων Συβαριτικοὶ. εἰσὶ δέ τινες οἳ τοὺς βραχεῖς καὶ συντόμους λέγουσι Συβαριτίδας καθάπερ Μνησίμαχος ἐν Φαρμακοπώλῃ (Kock II 299), Schol. Aristoph. aves 471, vgl. Schol. vesp. 1258. Doxopatres Rh. Gr. II 162–164 W. Suid. s. Συβαριτικαῖς. Diogenian Paroem. I 179, 21, wo als Muster die oben erwähnte Stelle der Wespen 1434ff. zitiert wird. Einen Nachhall solcher Schwänke geben zahlreiche tiefsinnige Bemerkungen im Philogelos.

Eine Erweiterung des Begriffs gibt die Definition bei Aphthonius Rh. Gr. II 12 W. ὡς οἱ μὲν Συβαριτικοὶ τρυφηλοὶ ὄντες ἐκ μόνων λογικῶν ζώων μύθους ἐξεῦρον. Hierzu stimmen eine Reihe von Erzählungen (Aristot. frg. 533 R. Aelian. v. h. XIV 20. IX 24. Tim. frg. 59, FHG I 205, vgl. Rohde Gr. Novelle 62. 63), in denen der Grundzug der Albernheit kombiniert ist mit der sprichwörtlichen Üppigkeit der Sybariten, so in der bekannten Anekdote von Σμινδυρίδης, der auf Rosenblättern lagernd, Schwielen bekommt. Die Neigung, ,einen extremen Einfall dadurch besonders eindringlich zu machen, daß man ihn bis zu einem der Einbildungskraft gar nicht mehr erreichbaren Superlativ des Albernen hinaufspannt‘, ist, wie Rohde hervorhebt, besonders der indischen Poesie eigen, die zu den oben angeführten Sybaritika auffallende Parallelen bietet, ohne daß jedoch die Priorität Griechenlands bestritten werden könnte.

Um das Vorkommen solcher Sybaritika bei Aesop zu erklären, ließ man diesen nach Unteritalien wandern und sich dort auch die Meisterschaft in den παροιμιώδεις λόγοι dieser Gegenden erwerben, Hesych. s. Συβαριτικαῖς. Crusius (Wochenschr. f. kl. Phil. 1891, 625) vermutet, daß diese Sybaritica erst von unteritalischen Dorern nach Sybaris vorlegt wurden, wie die Schildbürgerstreiche nach Abdera usw. Das dorische Lustspiel machte sie zum Gemeingut der Nation; erste Erwähnung bei Epicharm (frg. 215 Kaibel). Theon Rh. Gr. I 173 W. gibt andrerseits als Autor der Sybaritika einen Θοῦρος an, dessen Name natürlich auf Thurii zu beziehen ist (Grauert 71).

3. Die Καρικοὶ αἶνοι oder λόγοι, die Theon. Diogenian und Suidas s. Καρικῇ Μούσῃ erwähnen, sind wieder ganz schattenhafter Natur. Das Beispiel einer karischen F., die Simonides und Timokreon behandelt haben sollen, ἀλιέα τυγχάνοντα χειμῶνος θεασάμενον πολύποδα εἰπεῖν · εἰ μὲν ἀποδὺς κολυμβήσαιμι ἐπ' αὐτὸν, ῥιγώσω, ἐὰν δὲ μὴ λάβω τὸν πολύποδα, τῷ λιμῷ τὰ παιδία ἀπολῶ ist eine dialektische Antithese, die schlecht zur altertümlichen Bezeichnung αἶνος paßt. Versuche von Keller, Tiergeschichten bei Aristoteles, Plinius usw., die angeblich karisches Lokalkolorit tragen, hierher zu ziehen, haben ebensowenig Gewähr, wie die Marchianòs, aus karischen Sprichwörtern, die bei den Karern den Grundzug bäurischer [1722] Ungeschliffenheit festzuhalten scheinen, die Eigenart dieser F.-gattung zu erschließen.

4. Die Κίλικες καὶ Κύπριοι μῦθοι sind ebenfalls nur aus Rhetorenstellen zu belegen. Für die ersteren bietet Theon wieder einen leeren Autorennamen Κόννις, für die andern Diogenian eine Probe aus Timokreon (frg. 5 Bgk.): κέχρηται δὲ καὶ τούτῳ Τιμοκρέων ἐμφαίνων ὡς οἱ ἄδικα πράσσοντες καὶ ἐς ὕστερον τῶν προςηκόντων τυγχάνουσιν. καὶ γὰρ τῷ Ἀδώνιδι ἐν Κύπρῳ τιμηθέντι ὑπὸ τῆς Ἀφροδίτης μετὰ τὴν τελευτὴν οἱ Κύπριοι ζώσας ἐνίεσαν περιστεράς, αἱ δὲ ἀποπτᾶσαι καὶ διαφυγοῦσαι αὖθις ἀδοκήτως εἰς ἄλλην ἔμπεσοῦσαι πυρὰν διεφθάρησαν, eine Mythe, in der das ἄδικα πράσσοντες der vorausgeschickten Moral doch nur ungenügend illustriert wird. Der Einfall, die Κυπρικὰ mit den Φοινικικὰ ψεύδη der Odyssee zu identifizieren (Grauert 72f.), ist ebenso unfruchtbar wie die Heranziehung kilikischer Sprichwörter bei Marchianò 380f.

5. Λόγοι Λυδικοὶ [Φρυγικοί], Αἰγύπτιοι, Σικελικοί. Die lydischen F. hat man zu beleben gesucht, indem man eine Pflanzen-F. bei Kallimachos – frg. 5 – heranzog, die am Tmolus spielt. Aber Kallimachos spricht gar nicht von einer besonderen F.-Art (Hertzberg 104). Ebensowenig gewinnt man, wenn man (Marchianò 386f.) F. heranzieht, die in Lydien zu spielen scheinen (Habicht und Aal am Maeander, Semon. Amorg. frg. 8. 9 Bgk., Esel von Kyme, Halm 333b). Entweder hat die Tatsache, daß Aesop gelegentlich als Lyder bezeichnet wird (s. o.), auch von lydischen F. reden lassen (Grauert), oder, und dies ist wahrscheinlicher, sie verdanken ihre Entstehung an der einzigen Stelle, wo sie jetzt genannt werden, in dem schon öfters zitierten Scholion zu Aphthonius einer Dittographie: λόγους Λυδικοὺς δὲ καὶ Φρυγίους καὶ Λιβυκούς ... Die phrygischen F., die in der oben angeführten Himeriusstelle und außerdem bei Dio Chrysost. XXX 380f. genannt werden, werden dort nicht von denen Aesops geschieden und sind selbstverständlich mit diesen identisch.

Die Σικελικοί sind von Marchianò (387) in Anlehnung an eine einzige F. (Halm 370) erfunden und durch die bekannten Überlieferungen über die witzigen Einfälle der Sizilier ungenügend gestützt.

Dagegen sind Αἰγύπτιοι λόγοι sowohl bei Himerius wie Theon erwähnt und ja auch uns heute noch in reichem Maße zugänglich (Maspéro Contes populaires de l'Egypte ancienne 1882. Wiedemann Unterhaltungsliteratur der alten Ägypter 1902). Aber der Beweis, daß ägyptische F. in Griechenland weit verbreitet und auf die Entwicklung der griechischen F. von Einfluß waren (s. den nächsten Abschnitt), soll erst noch erbracht werden.

Gegenüber allen diesen Versuchen, aus versprengten Notizen über lokale Überlieferungen eigene F.-Gattungen zu konstruieren und deren Spuren in dem überlieferten F.-Material nachweisen zu wollen, muß auf die Stelle bei Theon verwiesen werden: τούτων δὲ πάντων μία ἐστὶ πρὸς ἀλλήλους διαφορὰ, τὸ προκείμενον αὐτῶν ἑκάστω ἴδιον γένος · οἷον Αἴσωπος εἶπεν ἢ Λίβυς ἀνὴρ ἢ Συβαρίτης ἢ Κύπρια γυνὴ καὶ τὸν αὐτὸν τρόπον ἐπὶ τῶν ἄλλων. ἐὰν δὲ μηδεμία ὑπάρχῃ [1723] προςθηκὴ σημαίνουσα τὸ γένος, κοινωτέρως τὸν τοιοῦτον Αἰσώπειον καλοῦμεν. οἱ δὲ λέγοντες τοὺς μὲν ἐπὶ τοῖς ἀλόγοις ζώοις συγκειμένους τοιούςδε εἶναι, τοὺς δὲ ἐπ' ἀνθρώποις τοιούςδε ... εὐήθως μοι ὐπολαμβάνειν δοκοῦσιν. ἐν πᾶσι γὰρ τοῖς προειρημένοις εἰσὶν ἅπασαι αἱ ἰδέαι. Αἰσώπειοι δὲ ὀνομάζονται ὡς ἐπίπαν. οὐχ ὅτι Αἴσωπος πρώτος εὑρετής τῶν μύθων ἐγένετο, ... ἀλλ' ὅτι Αἴσωπος αὐτοῖς μᾶλλον κατακόρως (? καιρίως ?) καὶ δεξιῶς ἐχρήσατο, Rh. Gr. I 172 W. Das ist auch sonst die Meinung, vgl. Aphth. I 59 W. und die Scholiasten II 8–11 W. Priscian. praeexerc. p. 551 Halm. Also schon die Grammatiker des Altertums kannten die richtigen Charakteristika der Sonderarten nicht mehr und glaubten, daß diese alle aus dem Gesamtbegriff der Αἰσωπικά hervorgegangen seien. Wir heute erkennen nur noch den Charakter der Συβαριτικά und sehen, daß die Λιβυκά sehr alt waren. Alles andere erscheint uns als Rhetorenerfindung.

IV. Originalität der griechischen Fabel.

Bei Philostr. vit. Apoll. V 15 wird die F. von der Teilung der Welt in der Form erzählt, daß Hermes alle Weisheit vergibt und den Aesop, der hier als eifriger Schäfer aber mäßiger Verehrer der Götter – τί γὰρ δεῖ στεφάνους πλέκειν καὶ ἀμελεῖν τῶν προβάτων; – dargestellt wird, übergeht. Dann erinnert sich der Gott, daß ihm die Horen einst in der Wiege eine F. erzählten, die ihn zum Raube von Helios Rindern anstachelte, καὶ δίδωσιν ἐντεῦθεν τὴν μυθολογίαν τῷ Αἰσώπῳ, λοιπὴν ἐν σοφίας οἴκῳ οὖσαν ,ἔχε‘ εἰπὼν ,ἃ πρῶτα ἔμαθον‘. Während hier der Gedanke ausgesprochen wird, daß die F. – die hier übrigens in bemerkenswertem Grade von jeder Moral befreit erscheint – seit Uranbeginn in Griechenland heimisch war, scheint andrerseits die Angabe, daß Aesop Phryger, Lyder, Thraker gewesen sei, für fremdländische Provenienz zu sprechen. An dieses ,Selbstbekenntnis von Hellas‘ schließen sich die zahlreichen Versuche der Neueren an, ein anderes Heimatland der F. zu erweisen, über deren Ergebnisse hier kurz referiert werden muß.

Ein Hauptfehler ist fast allen diesen Untersuchungen gemein: sie scheiden – zum Teil durch Halms unkritische Ausgabe der Aesopika veranlaßt – viel zu wenig zwischen altem und jungem Fabelgut (Crusius Praef. ad Babr. XXIII 1). Daß in diese bewegliche Literatur später leicht Entlehnungen von auswärts eindringen konnten, ist selbstverständlich und durch die Geschichte der F. bei allen Völkern leicht zu belegen. Erzählungen, in denen Krokodil, Katze usw. eine Rolle spielen, stammen natürlich aus der Nilgegend. Aber diese gehören auch alle in den Aesopika den jüngsten Schichten an. So sind die Gründe, mit denen einst Zündel Rh. Mus. V (1847) 422ff. Ägypten als die Heimat der F. proklamierte, leicht von Wagener (Essai sur les rapports qui existent entre les apologues de l’Inde et les apologues de la Grèce. Mém. de l’acad. Belg. XXV 1852), Keller u. a. – für einen Einzelfall vgl. auch A. Marx Griech. Märchen von dankbaren Tieren und Verwandtes, 1889 – widerlegt worden. Beachtenswert bleibt nur der Hinweis, daß die auffällige Rolle, die schon in ältesten Aesopmärchen der κάνθαρος spielt, mit der Verehrung parallel geht, die in Ägypten der Skarabaeus genoß. [1724]

Die ,Nachweise‘, die neuerdings Levêque Les fables Ésopiques de Babrius ... avec une étude sur leurs origines et leur iconographie, Paris 1890, sowohl für Ägypten als den ganzen Orient auf Grund der Papyrustexte und bildlicher Darstellungen versucht hat, betreffen meist wieder jüngere Schichten und sind von so ungezügelter Phantasie eingegeben, daß sie ganz beweisunkräftig sind.

Daß weiterhin die Versuche von Landsberger und Goldberger, die Aesopischen F. aus einer hebräischen Quelle abzuleiten, die von Hirt u. a., in dem Araber Lokmân, die Matthaeis, in dem Syrer Syntipas die Quelle Aesops zu erweisen, die Verhältnisse einfach auf den Kopf stellen, bedarf nach den Arbeiten von Silvestre de Sacy, Grauert, Keller u. a keines Beweises mehr.

Mehr als je kontrovers ist dagegen die Frage, ob Indien die Heimat der F. sei, wie zuerst Huet Traité de l'origine des romans 1640 behauptet hat, dem eine große Anzahl von Orientalisten (die Namen bei Keller 382. Marchianò 11–13), dazu die Gräzisten Wagener und Keller beipflichteten. Für Priorität Griechenlands trat ein Weber Indische Studien III, während Benfey, dessen Name in diesen Debatten am meisten genannt wird, sich nicht konsequent bleibt. An einer viel zitierten Stelle (Pantschatantra I 24ff.) führt er, zum Teil richtig (vgl. Scherer Jakob Grimm2 111ff., dagegen aber auch Bédier Les fabliaux, Paris 1893, 97–246), aus, die indischen Erzählungen hätten durch ihre innere Vortrefflichkeit alles, was bei den Völkern, zu denen sie gelangten, Ähnliches schon existierte, aufgesaugt und mit dem Stempel ihres Geistes versehen und dann der Volksliteratur aller Länder zugleich mit der Masse ursprünglich indischer Erzählungen wieder zugeführt. Aber bei der Musterung der Tiermärchen und Tier-F., die Griechenland und Indien gemein sind, muß er zugeben, daß Griechenland nicht nur die erste, sondern auch die bleibende Fassung geschaffen hat (Pantschat. I, XXI. 95. 134. 171. 425. 429. 431. 463. 468). An die erste Seite dieser Ausführungen hält sich einseitig die Benfeysche Schule. Reinh. Köhler, Cosquin (contes pop. de Lorraine, Paris 1886) und von den Neueren v. d. Leyen Das Märchen in den Göttersagen der Edda 1899, 64 und das indische Märchen, Preuß. Jahrb. 1900, 62, an die andere ebenso einseitig Rutherford p. XXV.

A. Zur Methode.

Die Methode aller dieser Untersuchungen war bisher die, daß man die offenkundigen Parallelen aus dem Pantschatantra usw. neben die Aesopika druckte und über ihr Verhältnis disputierte ,bis jetzt ohne jedes sichere Ergebnis‘ (Oldenberg Liter. des alten Indiens 110). Doch lassen sich wenigstens einige Irrtümer bei diesem Verfahren erkennen (vgl. hierzu und zum folgenden J. Bédier 66–76. H. J. Polak Over Grieksche en Indische Fabels, de Gids XXI 1903, September- und Oktoberheft). So erklärte Weber (Ind. Studien III 347f.) die reizende Form griechischer Erzählungen als Beweis für deren Originalität, während umgekehrt Benfey (a. a. O. I 325f.) die minder vollkommene Form, falls sie sich nicht deutlich als eine herabgesunkene nachweisen lasse, als Beweis der Ursprünglichkeit anspricht. Hierbei [1725] ist übersehen, daß in der Form sich der Charakter des Volks und seiner Literatur wiederspiegelt. Die ,unvollkommene‘ Form bei den Indern erklärt sich also aus der Eigenart ihrer Dichtung, die Oldenberg (3) mit den Worten umschreibt: ,viel sinnige Zartheit, die Pracht bunter und glühender Farben, aber auch ... Mangel an Maß und plastischer Form, Künstlichkeit, Spielen mit einem immer übertriebenener zugespitzten Raffinement der Gedanken und Worte‘. Diese überquellende Freude an oft wenig zum Thema passenden Sentenzen hat auch Rutherford XXV zu einem ganz verkehrten Verdammungsurteil geführt. Weiter hält Keller (335) diejenige Erzählung für die ursprünglichere, bei der die zu Grunde liegenden, aus dem selbständigen Leben der Tiere oder ihrem Verhältnis zum Menschen entnommenen Züge dem wirklichen Verhältnis in der Natur entsprechen. Dies Argument könnte doch nur dazu dienen, größere Treue der Naturbeobachtung bei dem einen oder dem anderen Volk zu beweisen. Aber darauf kommt es den F.-Dichtern gar nicht an – über Einzelheiten, wie das Verhältnis von Löwe und Fuchs (Schakal) s. unter C –, sie legen vielmehr dem einzelnen Tier ein bestimmtes ἤθος bei, das sie in allen Situationen ohne ängstliche Rücksicht auf Naturtreue festhalten (A. Marx Griech. Märchen von dankbaren Tieren und Verwandtes, 1889).

Da also mit ästhetischem Räsonnement nicht durchzukommen ist, kann es sich nur darum handeln, bei parallelen Erzählungen nachzuweisen, ob die einzelnen Märchenzüge, volkstümlichen Anschauungen usw. in einer Zeit, wo an Übertragung nicht gedacht werden kann, in indischer oder in griechischer Literatur nachweisbar sind. Das ist der Weg, auf dem Rohde, Crusius, A. Marx u. a. die Priorität Griechenlands in vielen Fällen erwiesen haben. Hinderlich ist aber auch hier zweierlei. Erstens ist bei mangelndem Belegmaterial der Nachweis für einzelne Märchenzüge oft nicht zu erbringen. Zweitens gibt es für die in Betracht kommenden Werke der indischen Literatur keine sicheren zeitlichen Ansätze. Für die verschiedenen Schichten des Pantschatantra ließ Benfey den weiten Spielraum vom 2. Jhdt. v. bis zum 6. Jhdt. n. Chr. Heute sucht man diesen Ansatz hinaufzurücken, v. Schröder Indiens Literatur u. Kultur 521. Ribezzo 80ff. (4. Jhdt. v. Chr.?), aber ohne klares Ergebnis. Ein offenkundiger Circulus ist dabei die Beweisführung Ribezzos: das Pantschatantra müsse über die Zeit des Aristoteles hinaufgerückt werden, da dieser ,nachweislich indische‘ F. erwähne. Einstweilen ist daher auch für F., die erst bei Phaedrus erwähnt werden, die Priorität Griechenlands anzunehmen. Für die meisten wirklich übereinstimmenden F. liegen aber Beweise vor, daß die griechische F. in weit höhere Zeit hinaufreicht. Das entscheidende Material ist im folgenden kurz zusammengestellt, wobei gegen die historische Folge mit den Parallelen im Pantschatantra, als den ausschlaggebenden begonnen ist.

B. Das Material.

a) Parallelen im Pantschatantra.

1. Hirsch in der Löwenhöhle (Babr. 95. Halm 243) = Esel in der Löwenhöhle (Pantschat. IV 2). Diese F. ist bei Aristot. hist. an. VI 28 offenbar vorausgesetzt (Prantl Philol. VII 72. [1726] Crusius De Babr. aet. 214f.). Rutherfords Annahme (p. XXVII), daß auf diese F. Solon 11, 5 ὑμέων δ' εἶς μὲν ἕκαστος ἀλώπεκος ἴχνεσι βαίνει hinweise, erscheint auch mir wahrscheinlich. Vielleicht hat schon Archilochos die F. bearbeitet, denn Babr. 95, 81 ἀλλ' ἐλθὲ καὶ τὸ λοιηὸν ἴσθι γενναία klingen auffällig an an Archilochos frg. 107 πάρελθε, γενναῖος γὰρ εἶ. Sicherlich spielt Lucilius frg. 980–989 Marx (vgl. auch Porphyrio zu Horaz ep. I 1, 74) auf die F. an, die auch auf einem pompeianischen Wandgemälde wiederkehrt.

2. Bauer und Schlange (Halm 97. vgl. Babr. ed. Crus. 167. Romulus II 11) = Pantschat. III 5. Da die Aesopische F. bereits von Phylarch. frg. 27 (FHG I 340. Plin. n. h. X 208, vgl. Aelian. n. a. XVII 5. Marx Dankb. Tiere 104ff.) verwandt wird, ist die Priorität Griechenlands unbestreitbar.

3. Adler und Fuchs (Halm 5. Phaedr. I 28, vgl. Babr. ed. Crusius 186) = Krähe und Schlange (Pantschat. I 6). Archilochos hatte den Stoff behandelt frg. 81. 82. 83. 84 Hiller-Crusius, Aristophanes spielt Vögel 651ff. auf sie an mit der Wendung ὡς ἐν Αἰσώπου λόγοις ἐστὶν λεγόμενον, vgl. den Scholiasten z. d. St. und Huschke De fab. Arch. II; aus der F. entstammt das Sprichwort ἀετὸς ἐν νεφέλαις, Rutherford XLVII.

4. Fleischtragender Hund (Halm 233. Babr. 79. Phaedr. I 4) = Pantschat. IV 8, freilich mit der nicht unbedenklichen Variante, daß der Schakal nach einem Fisch schnappt und nicht nach dem eigenen Spiegelbild. Die F. ist als ältestes griechisches F.-Gut anzusprechen, da schon Demokrit (Stob. X 69 τῇ Αἰσωπίῃ κυνὶ ἰκέλη γενομένη) sie verwandte.

5. Wiesel als Braut (Halm 88. Babr. 32. Phaedr. VI 17) auch nur mit Reserve vergleichbar mit der Maus als Braut (Pantschat. III 12). Die eingehenden Untersuchungen über dies Märchenmotiv (Rohde Rh. Mus. XLIII 303 = Kl. Schr. II 212. Zielinski Rh. Mus. XLIV 156. Crusius Rh. Mus. XLIX 299; Jahrb. f. Philol. CXXVII 244) haben ergeben, daß die F., auf die schon Strattis (Kock I 731) im Spruchvers οὐ πρέπει γαλῇ κροκωτός anspielt, seit alter Zeit in Griechenland bekannt ist.

6. Dankbarer Adler (Halm 120 – aus Aphthonius –, vgl. Babr. ed. Crusius 144. Aelian. n. a. XVII 37), von Benfey I 363 mit Berufung auf die an das Pantschatantra angegliederte indische F.-Literatur als altindisch in Anspruch genommen. Da aber nach Aelian bereits Stesichoros (vgl. frg. 66 Bgk.) den Stoff behandelt hatte, ist auch in diesem Falle die Priorität Griechenlands erwiesen, vgl. Crusius De Babr. aet. 223. A. Marx 29. 33.

7. Esel in der Löwenhaut (Halm 333. Babr. 139 Cr.) = Esel im Tigerfell (Pantschat. IV 7). Hier haben wir zurzeit keinen älteren Zeugen als Lukian (fugit. 12 u. 33), denn die gewöhnlich zum Beweis hohen Alters der griechischen F. zitierte Platonstelle (Cratyl. 411 A) ὄμως δὲ ἐπειδήπερ τὴν λεοντῆν ἐνδέδυκα οὐκ ἀποδειλιατέον, bezieht sich, wie Ribezzo 127 erwiesen hat, ebenso wie Luc. adv. indoct. 23 und andere Stellen, auf das Löwenfell, das Herakles umlegt, ehe er zu Abenteuern auszieht. Auch die Horazverse sat. II 1, 62ff. ausus ... detrahere .. pellem, nitidus [1727] qua quisque per ora cederet, introrsum turpis und epist. I 16, 45 introrsum turpem, speciosum pelle decora sind nicht mit absoluter Notwendigkeit auf diese F. zu beziehen. Also wäre in diesem einen Fall höheres Alter der indischen F. eventuell zuzugeben.

Über die weiteren Stellen, wo Beziehungen zwischen Pantschatantra-F. und solchen der Aesopika vorliegen, ohne daß an ein Abhängigkeitsverhältnis gedacht zu werden brauchte, s. u.

b) Parallelen in den Dschatakas.

Die Dschatakas, d. h. die Erzählungen von den verschiedenen Inkarnationen Buddhas, stammen aus der Zeit der unbedingten Herrschaft des Buddhismus und werden nach ebenfalls nicht unzweifelhaft sicheren Ansätzen ins 2. oder 3. Jhdt. v. Chr. gesetzt. Diese Ansätze sprechen nicht für die Priorität Indiens in zwei Fällen, wo es sich nicht um Parallelen zu den Aesopika, sondern zu Herodot, nicht um Tier-F., sondern um Novellenstoffe handelt. R. Pischel (Herm. XXVIII 465–468) hat nachgewiesen, daß die Erzählung vom Losbitten des Bruders statt des Gatten oder Sohnes (Herodot. III 19, danach Sophocl. Antig. 905ff.) auch im Dschataka I 67, dann im Ramayana vorkommt. Weiter findet die Hippokleidesnovelle (Herod. VI 126ff.) ihre Parallele im Dschataka I 32 (vgl. Warren Herm. XXIX 476). Hier läßt ein Goldschwan, der König aller Vögel, seiner Tochter die Gattenwahl, und der Pfau vertanzt sein Glück. Aber das Vertanzen der Königswürde ist ein altgriechischer Märchenzug, vgl. die Aesopika 45 + 365 Halm, Fuchs und Affe, eines der ältesten Stücke, das Archilochos (frg. 89, vgl. Huschke De fab. Arch. III. Crusius Jahrb. f. Philol. CXXVII 228 und o. Bd. II S. 500), Aristophanes (Acharn. 120) und Pindar (Pyth. II 78) kannten. Wenn also die Novelle überhaupt durch Übertragung eines Vorgangs im Tierleben auf menschliche Verhältnisse entstanden ist, was nach einer Beobachtung von Benfey (I 339, vgl. Polak a. a. O.) sonst nie vorkommt, dann eher in Anlehnung an eine griechische F.

Dieselbe Beobachtung Benfeys trifft, nebenbei bemerkt, auch die sonderbare Legende von der Haubenlerche, die nach Arist. aves 475 (s. o. S. 1718) als frömmster aller Vögel angesehen wird, weil sie vor Erschaffung der Welt den Vater, den sie nirgends sonst beisetzen konnte, im eigenen Kopfe begrub (versprengte Trümmer dieser Legende bei Theokr. VII 23 und in den Scholien; vgl. Crusius zu Babr. 72, 20). Dieselbe Geschichte erzählt Aelian. n. h. XVI 5 vom jüngsten von drei indischen Prinzen (Motiv vom braven Jüngsten). Die oft herangezogene ägyptische Sage vom Phönix (Herodot. II 73) kann nach den starken Abweichungen im einzelnen auch nicht als Quelle der griechischen Legende betrachtet werden. Immerhin ist zuzugeben, daß diese merkwürdige Phantastik in einem der ältesten für Aesop bezeugten μῦθοι unhellenisch anmutet (Zündel 441. Keller 326. Polak 45 gegen Rutherfords oberflächliche Erklärung XXXIV 2). Gegen Ribezzo 64ff., der hier indogermanisches Gemeingut sehen will, vgl. Denis De la fable dans l’antiquité classique, Caen 1883 p. 16, 5. 49–51 und unten Abschnitt D.

Bei zwei Dschatakas sind wir im wesentlichen [1728] auf die inneren Kriterien angewiesen, deren Beweiskraft bestritten werden kann. Das Dschataka III 294 bringt eine Parallele zu der F. vom Fuchs und dem Raben mit dem Käse (Halm 204. Phaedr. I 13. Babr. 77), die zu Horaz Zeiten in Rom allgemein bekannt war (sat. II 5, 56; ep. I 17, 50; ars poct. 437); das angebliche Zeugnis des korinthischen Pinax für hohes Alter ist hinfällig geworden, s. o. S. 1716. Aber die Fassung, daß der Schakal eine Krähe wegen der Schönheit ihrer Stimme lobt, damit sie ihm Früchte vom Jambobaum herunterschüttle, erscheint als eine ungeschickte Mißbildung des griechischen Originals. Der Fuchs muß den Raben zum Krähen bringen, damit ihm der Käs aus dem Schnabel fällt, warum aber lobt der Schakal gerade die Stimme der Krähe und was will er, der Aasfresser, mit den Früchten? (Polak). Ebenso macht die Parallele zur F. vom Reiher und Wolf (Halm 276. Babr. 94. Phaedr. I 8) in dem Dschataka IV 308 offenbar den Eindruck einer ungeschickten Weiterbildung. Hier sichert sich nämlich der Specht zuerst dadurch, daß er dem Löwen ein Stäbchen in den Rachen steckt, so daß dieser nicht zuschnappen kann, und erinnert ihn außerdem erst später an seine Dankesschuld, als der Löwe gerade ein Beutestück verzehren will.

c) Angebliche Fabel-Spuren in den Veden.

Die Frage der Priorität wäre zu Gunsten Indiens entschieden, wenn in den Veden sich F. fänden, die mit den Aesopika im Inhalt oder in charakteristischen Details derart übereinstimmten, daß selbständiges Entstehen auf griechischem Boden undenkbar wäre. Aber die von Ribezzo 45–53 hierfür gebrachten Beweise sind nicht stichhaltig. Rigveda X 28 ist ein Zwiegespräch zwischen Indra und dem Dichter, das von anscheinend unmöglichen Dingen handelt, die der Gott möglich gemacht hat. Ribezzo übersetzt in der vierten Strophe hoc tu mihi aenigma, cantor, solve: renitentem trabem flumina vehunt, thos (lopâçah) leonem ex adverso adortus est, canis aprum aggressus est e latebra – und erkennt im ersten Vers die Quelle von κάλαμος καὶ δρῦς (Halm 179. Babr. 36), im zweiten eine F., zu der das Epimythium von Babrius 112 passe, und im dritten die Elemente eines andern Tiermärchens, dessen Einzelzüge er jedoch nur in indischer Literatur nachzuweisen vermag. Von der Unsicherheit der Deutung ganz abgesehen, liegen in diesen Rätselfragen doch offenbar Zusammenstellungen wunderbarer, des Gottes Wirken bezeugender Vorgänge aus der Natur und Tierwelt vor, nicht Anspielungen auf festumrissene allgemein bekannte F.

Noch weniger überzeugend sind Ribezzos Ausführungen zur neunten Strophe, die für den Unbefangenen nur eine neue Zusammenstellung von ἀδύνατα enthält. Er übersetzt im wesentlichen übereinstimmend mit Graßmann lepus cultrum ex adverso ore absorbuit, saxum gleba ego diffidi ex longinquo – potentem etiam parro subiciam, devoravit vitulus taurum aetate provectus, – aquila ibi unguem transfossum habuit, delapsus in compedem sicut leo. Aber die Deutung ist durchaus unsicher. Ludwig nämlich übersetzt: die säugende Brust (Wolke ?) hat hergespien das Schermesser (Blitz), und Gubernatis konstruiert aus der gleichen Auffassung den üblichen [1729] solaren Mythos. Im dritten Vers kann nach Ludwig statt des Erdkloßes auch eine Weidenrute gemeint sein. Zum Ganzen macht dieser die sehr einleuchtende Bemerkung: ,es ist nicht möglich, diese Rätsel, die zur Zeit des Dichters wohl zu den stehenden Rätselfragen gehörten, zu lösen. Die einzelnen Begriffe ... sind hier zu übertragen auf anderes, nicht zu Erratendes‘. Ribezzo jedoch zieht eine Mahabharatastelle (II 66, 8 der Ausgabe von Bombay) herbei, wo mit echt indischer Freude am Ausmalen unmöglicher Situationen geschildert wird, wie ein Ziegenbock ein Rasiermesser verschluckte, dann den Kopf gegen die Erde stieß und sich selbst den Hals abschnitt. So kommt er dazu im ersten Vers die Quelle der Aesopika ἔχις καὶ ῥίνη Halm 146 und γαλῆ καὶ ῥίνη Halm 86 zu sehen. In Wirklichkeit hat die griechische F. natürlich mit dem indischen Rätsel nichts zu tun. Sie richtet sich, wie die beste Behandlung bei Phaedrus IV 8 beweist, gegen den Kritiker, der sich zum eigenen Schaden an das Genie wagt. Zur Einkleidung benützt ist ein alter Märchenzug vom F.-Land ubi mures ferrum rodunt – die Stellen bei Crusius Philol. LIII 247; Unters. z. d. Mimiamb. d. Herond. 71ff., wo Senec. apocol. 2 nachzutragen ist. Ebenso unbegründet sind die Ausführungen von Ribezzo zu den folgenden Versen, in denen er die Originale zu δάμαλις καὶ βοῦς (Babr. 37. Halm 113) und λέων καὶ μῦς (Halm 256. Babr. 107) vermutet. Ganz ähnliche Rätselbilder finden sich übrigens noch an andern Stellen des Rigveda, vgl. das Gespräch zwischen Indra und dem Sänger X 27, den Lobgesang Agnis an Indra VIII 89 usw. Meist verherrlicht der Gott mit solchen Bildern seine Triumphe über die Feinde, Anspielungen auf F. liegen an keiner dieser Stellen vor.

C. Einzelargumente.

Eines der am öftesten wiederkehrenden Argumente für die Priorität Indiens ist bekanntlich dieses, das Verhältnis des Löwen zum Fuchs in der griechischen F. sei naturwidrig und dem von den Indern richtig beobachteten Verhältnis zwischen Löwe und Schakal (lopâçah) nachgebildet, wie überhaupt ἀλώπηξ von lopâçah abzuleiten sei. In Wirklichkeit gehört auch die Behauptung, daß der Schakal mit dem Löwen jage und ihn durch sein heiseres Bellen herbeirufe, in den Bereich der F. Erwiesen ist nur, daß er wie die Hyäne, der Fuchs und andere kleinere Raubtiere gelegentlich dem Löwen nachschleicht, um sich an den Resten von dessen Beute zu sättigen oder auch ihm diese streitig zu machen, vgl. Schinz Naturgeschichte I2 133. Brehm Tierleben I2 365. Der Schakal steht aber insofern dem Fuchs parallel, als er bei den Indern ebenso als das Urbild der Schlauheit gilt, wie Reinecke im Abendland, und gleich diesem eine Menge von F. ins Leben gerufen hat, Brehm I2 546. Indem beide Völker dem stärksten Tier das schlauste beigesellten, folgten sie einem einfachen Gesetze der F.-Schöpfung, das überall wirksam war. Die Erwägungen, die Weber Ind. Stud. III 336 anstellt, um zu erklären, warum die Inder, als sie die Aesopische F. von Griechenland übernahmen, den Fuchs durch den Schakal ersetzten, sind also ebenso müßig, wie die, mit denen Keller Tiere des klass. Altertums [1730] 193–95 und Ribezzo 104 das Gegenteil zu begründen suchen.

Auch die Gleichung lopâçah-αλώπηξ wird mit Recht bestritten, vgl. die Zusammenstellungen bei Schrader Reall. der idg. Altertumskunde s. Fuchs, und wäre nicht einmal entscheidend, da Homer wie Herodot, also die Griechen der Zeit, in der die ältesten Aesopika entstanden, den Schakal θώς vom Fuchse ἀλώπηξ schieden, vgl. Keller Tiere d. kl. Altert. 187. Schließlich ist auch sonst die Treue der Naturbeobachtung, auf die es aber, wie oben gesagt, den F.-Dichtern gar nicht in erster Reihe ankam, sehr bestreitbar in einer F.-Welt, wo der Schakal nach den Früchten des Jambobaumes lüstern ist (s. o.), der Widder aus der Küche maust (Pantschat. V 10) und die Schlangen in Ameisenhaufen hausen (Pantschat. III 4, 10. IV 1). Wenn Ribezzo (29ff.) weiter folgert, daß da, wo die Tierlegende in solchem Flor stand wie in Indien (aber zu welcher Zeit?), auch die Tier-F. zu Hause sein müsse, so wird erstens die Notwendigkeit dieses Schlusses zu bestreiten und dann auf die durchaus ebenbürtige Gestaltung der Tierlegende im alten Griechenland zu verweisen sein.

Auf die Menge von Einzelfällen einzugehen, wo du Méril, Benfey, Keller, Ribezzo aus einzelnen Wendungen, Tiernamen (,Brunnenfrosch‘, ,Ochsenbrüller‘) u. dgl. indischen Ursprung der betreffenden F. zu erweisen suchen, fehlt hier der Raum. Wo ihre Beobachtungen zutreffen, haben wir es mit späten Entlehnungen zu tun, in den meisten Fällen aber handelt es sich um Märchenzüge, die auf dem Boden jedes Volkes entstehen konnten, zum Teil sogar um Rhetorenerfindungen, die erst recht an kein Land und keine Zeit gebunden sind. Hier ist auf Rohde Griech. Novelle 67ff. zu verweisen, der darlegt, wie gerade in Griechenland die Vorbedingungen zur Entstehung von Märchen, F., Novelle im höchsten Grade vorhanden waren. So wird man bei den unzweifelhaft vorhandenen Parallelen zwischen indischer und griechischer F.-Literatur, dort wo weitgehende Übereinstimmung des Verlaufs im einzelnen, Verbindung von an und für sich nicht notwendig zusammengehörigen Zügen und Ähnliches zur Annahme einer Entlehnung zwingen, bei Tiermärchen und Tier-F. sich für die Priorität Griechenlands, d. h. der Aesopika, zu entscheiden haben. Viele Fälle weitgehender Ähnlichkeit aber werden anders zu erklären sein.

D. Die Entstehung von Märchen und Fabeln

Benfey Kl. Schr. II 160–162 hat ausgesprochen, daß er an außerindische selbständige Märchen nicht glaube, und die Möglichkeit einer generatio aequivoca geleugnet. Aber die Forschungen von E. B. Tylor, Andrew Lang, Bastian u. a. haben den Gegenbeweis geliefert, daß auf gewissen Stufen der Kultur auch gewisse Märchen und F. spontan entstehen. Auch der niedere Mythus – Märchen und F. – hat seine bestimmten Gesetze und notwendigen Anschauungen ebenso wie der hohe, dessen Wesen uns Usener erschlossen hat. Die Übereinstimmungen hier erklärt man sich bekanntlich ,aus der Gleichartigkeit der religiösen Anlagen, der übereinstimmenden Richtung des mythischen Denkens bei allen Völkern der Erde‘ (die Formulierung nach Kretschmer Einleitung [1731] in die Geschichte der griech. Sprache 86). Ebenso gibt es gewisse Elementargedanken beim Fabulieren aller Völker. Was aber Inder und Griechen betrifft, so darf man vielleicht hinzufügen, daß der Geist dieser beiden Völker sich nach der gemeinsamen Urverwandtschaft auf besonders ähnlichen Bahnen bewegen mußte. Damit aber erscheinen sowohl Jakob Grimms Vermutungen von einer einheitlichen indogermanischen Tiersage (Einleitung zum Reinhart Fuchs), wie Ribezzos Annahme einer indogermanischen Rätsel-F. als Grundlage der indischen wie griechischen F.-Dichtung hinfällig.

So erklärt sich die Tatsache, daß wir in Indien wie Griechenland eine ziemliche Anzahl (über 30) F. finden, die auf ähnlichen Gedankengängen aufgebaut, in der Ausführung doch nicht soweit übereinstimmen, daß ein unbefangener Beobachter direkte Abhängigkeit annehmen möchte. Wo aber eine solche Abhängigkeit vorliegt, da wird Benfeys Meinung, daß die Griechen in den meisten Fällen die Gebenden gewesen seien, dahin zu erweitern sein, daß dies für alle F. gilt, die bis ins 3. Jhdt. zurückreichen. Die Versuche von Keller, Ribezzo u. a. – so auch die von Gomperz Griech. Denker I 78. 432 – einen literarischen Austausch oder Übernahme aus dem Volksmund vor der Diadochenzeit nachzuweisen, sind mißglückt. Erst bei Aelian finden sich starke Spuren indischen Exports.

So führen Erwägungen und Beobachtungen der verschiedensten Art dazu, die Autochthonie der griechischen F. zu erhärten. Zum Schluß sei noch ein Argument ästhetischer Art hervorgehoben, das schon Benfey (Einl. XXI) verwandte, da es die beiden F.-Literaturen gut charakterisiert. In den griechischen F. guter Zeit handeln die Tiere schlicht ihrer Natur gemäß, bei den indischen hat man stets den Eindruck, es mit verkleideten Menschen zu tun zu haben. Die Aesopischen F. entstammen jugendfrischer volkstümlicher Poesie, die indischen abgelebter, geistlicher Rhetorik.

V. Die Fabel nach Aesop.

Das Volksbuch von Aesop und die Aesopischen F. fanden rasch ihre Verbreitung in Kinderstube und Schule, auf dem Markt und in der Kneipe, in der wohl bereits in griechischer Zeit Lieblingsszenen des Volks aus dieser wie verwandter Literatur abgemalt waren, wie das Phaedrus aus Rom berichtet (IV 6, 2; Burmann z. d. St. sieht in diesen tabernae mit Unrecht die Buchhändlerläden, scriptis postibus hinc et inde totis omnes ut cito perlegas poetas, Martial. I 117, worunter doch nur kurze Reklameauszüge gemeint sein können, Christofferson Studia de fontibus fab. Babrianarum, Lund 1904, 59). So ist das οὐδ' Αἴσωπον πεπάτηκας bei Aristoph. aves 471 nach Analogie des Ἀρχίλοχον πατεῖν zu erklären: ne Aesopum quidem trivisti (Grauert 40. Bergk Gr. Lit.-Gesch. I 378, 1). Aesop selbst wird stets nur als Erzähler von F. erwähnt, aufgezeichnet wurden wohl Volksbuch wie F. verhältnismäßig spät. Aus der Phaedonstelle 61 B, daß Sokrates im Kerker die F. versifizierte οὓς προχείρους εἶχον καὶ ἠπιστάμην μύθους τοῦ Αἰσώπου, τούτους ἐποίησα (dieselbe Tradition bei Plut. de aud. poetis 16 c. Suid. s. Σωκράτης. Avian. epist. ad Theod. 10 [1732] Lachm. Augustin. de cons. evang. I 12), läßt sich kein Schluß auf die Existenz eines Buchtextes ziehen (die gegenteilige Ansicht von Keller 378. Flach Gesch. der griech. Lyrik II 577ff. widerlegen A. Eberhard Observationes Babrianae 1865, 1ff. und Crusius Lit. Centralbl. 1884, 1025–1026). Daß die bei Diog. Laert. II 42 überlieferte Probe dieser Versifizierung unecht sei, erkannte schon das Altertum (Dionysiod. ebd.). Koraes Einleitung seiner Aesopausgabe ιε' Anm. 5 weist richtig auf die Verwandtschaft dieses angeblichen Sokratischen Mythos mit dem hin, den Aesop nach dem Volksbuch den Delphiern vor seinem Tode vorhielt (Halm 3). Im Zusammenhang des Platonischen Dialogs soll diese Fiktion offenbar die unerschütterliche Seelenruhe des Sokrates charakterisieren, außerdem vielleicht auch die vorwiegend dem Ethischen zugewandte Richtung seiner Interessen: zum Musendienst aufgefordert bringt er Aesopische F. in Verse – sehr viel verwickeltere Beziehungen konstruiert mit Unrecht Schanz Sokrates als vermeintlicher Dichter, Herm. XXIX 597–603. Dagegen geht aus dieser Stelle mit Sicherheit hervor, daß damals noch keine metrischen Fassungen der Aesopika im Umlauf waren. Daß solche lange vor Babrius geschaffen wurden, ist anzunehmen; Spuren von F. in Iamben und Hinkiamben weist v. Wilamowitz Herm. XL 164 nach bei Dion Chr. or. 62, 15 und bei Plut. εἰ αὐτάρκης ἡ κακία κτλ. 500 c.

Die erste Sammlung von 100 Aesopischen F. veranstaltete Demetrius von Phaleron (Diog. Laert. V 80 λόγων Αἰσωπείων συναγωγή; ebd. V 81 Αἰσωπείων α' vgl. o. Bd. IV S. 2835). Aus dem Umstand, daß Demetrius auch den Überlieferungen über die sieben Weisen nachging (s. o. Bd. IV S. 2835–36), darf man vermuten, daß auch er Aesop als den Vertreter volkstümlicher Weisheit behandelte und nicht, wie man bisher (Keller 384) meinte, ein Handbuch zu rhetorischen Zwecken verfaßte. Daß freilich die F., die Aristoteles rhet. II 20 unter den rhetorischen Hilfsmitteln aufführte, von den Rednern gelegentlich im Übermaß verwandt worden zu sein scheint, ersehen wir zwar nicht aus der Praxis der uns erhaltenen Redner, aber aus dem Widerspruch, den spätere Erfindung sowohl den Demades (Halm 117), wie den Demosthenes (Plut. vit. X orat. 401. Halm 339) dagegen erheben läßt. In welch weitgehendem Umfang auch die populäre Literatur der Antike mit Fabeln und Anspielungen auf Fabeln durchsetzt war, werden die Zusammenstellungen im 3. Bd. des Corpus fabularum (s. u. VI) ergeben. Aus der Stelle in Plutarchs Leben Caesars c. 48 ... Κνιδίους τε Θεοπόμπῳ τῷ σὐναγαγόντι τοὺς μύθους χαριζόμενος ἠλευθέρωσε läßt sich über den Charakter dieser ,Mythensammlung‘ nichts ermitteln.

Währenddes war die F. in Rhetorenschulen in einer Weise verwandt worden, die ihren Charakter völlig umgestaltete. Sie wurde nun auch die erste Etappe im rhetorischen Schulunterricht. Zunächst wurden Muster-F. aus Historikern und Dichtern, aber auch aus Aesop auswendig gelernt (Theon Rh. Gr. I 147 W.). Weiter werden zunächst sehr elementare grammatische, dann rhetorische Übungen mit den F.-Texten vorgenommen. Dahin gehört der Beweis der Richtigkeit [1733] der in der F. enthaltenen Lehre aus einem historischen Ereignis: ἐκθέμενοι τὸν μῦθον ἐπιφέρομεν διήγησιν .. · οἷον πεπλασμένον ὅτι κάμηλος ἐπιθυμήσασα κεράτων καὶ τῶν ὤτων ἐστερήθη, τοῦτο προειπόντες ἐποίσομεν τὸ διήγημα τοῦτον τὸν τρόπον · παραπλήσιόν μοι δοκεῖ τι παθεῖν καὶ Κροῖσος ὁ Λυδός κτλ. (ebd. 177). So arbeitet ja noch Phaedrus. Dann werden schwierigere Aufgaben gestellt, der Aufbau eines neuen Mythus über bekanntem Epimythium oder die Ableitung einer neuen Moral aus einer bekannten F. (ebd. 178), auch Herausspinnen einer neuen F. aus einem Einzelzug einer altbekannten (Christofferson 138) – Gedanken, die bekanntlich Lessing (Werke V 418–22 Lachm.) neu aufgenommen hat, der hier übrigens nur einer Anregung von Camerarius folgte.

Auch für den Vortrag der F. ersannen die Rhetoren eigene Vorschriften. Teils bevorzugten sie übertriebene Straffheit, den χαρακτὴρ ἀφελής, der uns in den Musterbeispielen des Hermogenes (z. B. Halm 361) und vielen F. des Aphthonius entgegentritt, teils vindizierten sie ihr die γλυκεῖα λέξις und suchten durch poetische Ausmalung des Details zu wirken, wie das ja namentlich von Babrius mit viel Geschick geschehen ist. Die Neuschöpfungen der Rhetorenschüler knüpfen mit Vorliebe an bekannte F. an – daher die Unmenge von Parallelen in unseren Sammlungen –, andererseits suchten sie namentlich die im Sprichwort erhaltene volkstümliche Tradition – vgl. Crusius Verhandl. der Görlitzer Phil.-Vers. (1889) – zu F. zu verarbeiten, so daß schließlich Lukill von Tarrhae die F. überhaupt als παροιμία ἐξηπλωμένη bezeichnen kann.

Dieser Betrieb setzt die Existenz von F.-Sammlungen in Buchform mit Notwendigkeit voraus. Auch scheinen gewisse Varianten in einzelnen F. am einfachsten als divergierende Heilungsversuche unverständlicher Stellen in einem vielbenutzten rhetorischen Handbuch erklärt zu werden (Neue Jahrb. I 319f.). Ebenso erklären sich weitgehende Übereinstimmungen in F.-Texten, die sonst von Schriftstellern unbedenklich der eigenen Schreibweise angepaßt werden, bei verschiedenen Autoren aus der Benutzung der gleichen Sammlung. Das trifft zu auf Phaedrus und Plutarch einerseits (Crusius Rh. Mus. XXXIX 605. Denis 49–51), aber auch auf Phaedrus und Babrius andrerseits, denn die Zusammenstellungen bei Christofferson 12. 30–54 scheinen trotz mit unterlaufender starker Überschätzung der Ähnlichkeiten doch zu erweisen, daß beide dieselbe Sammlung benutzten, d. h. das alte Volksbuch in der Form, die es zu Anfang des 1. und zu Anfang des 2. nachchristlichen Jhdts. hatte. Ebenso verraten die gleiche Quelle die griechischen Texte der Sprachlehre des Ps.-Dositheus (± 207 n. Chr.) und die Tabulae Assendelftianae, Nachschriften eines Schülers in Palmyra aus der Mitte des 3. Jhdts. (Hausrath Jahrb. f. Philol. Suppl. XXI 299. Babrius ed. Crusius p. 3).

Den Bestand der Aesopika zu verschiedenen Zeiten zu ermitteln, wird die nächste Aufgabe sein. Anfänge hierzu für Babrius bei Crusius o. Bd. II S. 2663 und zum Teil, jedoch ohne die nötige Kritik, bei Christofferson (daß ,der Aesop' 2 Bände gehabt habe, deren erster die [1734] echten alten Tier-F., der zweite die aus andern Quellen stammenden Erzählungen enthielt, wie Christofferson meint, ist ein eigenartiges Mißverständnis meiner Ausführungen Neue Jahrb. a. a. O.). Dabei wird sich ergeben, daß die Schöpfungen der Rhetorenschulen die alte volkstümliche F. allmählich überwucherten. Wie in der Schule neben den Tier-F. rhetorische Kompositionen diktiert wurden (vgl. das Ostrakon Bull. hell. 1904, 208. Crusius Aus antiken Schulbüchern, Philol. LXIV 142), so finden sich bei Phaedrus (z. B. IV 7. V 8; app. 6) und in Halms Sammlung der Aesopika Stücke (wie nr. 67. 234. 349. 414 u. a.), die ebensogut in den Progymnasmata unter den ἐκφράσεις oder den ἠθοποιίαι stehen könnten. Ebenso sind aus den naturgeschichtlichen Schriften der Peripatetiker, Aelians u. a. eine Menge fabelhafter und paradoxer Erzählungen eingedrungen (Marx a. a. O. Marchianò 465ff.). Aber diese Aufgabe kann erst in Angriff genommen werden, wenn die in unsern Ausgaben kritiklos vermengten hsl. F.-Sammlungen nach Möglichkeit analysiert sind.

VI. Die handschriftlich überlieferten Sammlungen Aesopischer Fabeln;

Ausgaben. Die zwei Wege, auf denen sich die F. im Altertum verbreitete, das Volksbuch und das rhetorische Lehrbuch, haben in der Überlieferung ihre deutlichen Spuren hinterlassen: es gab im wesentlichen zwei Corpora im Altertum, die in unsern heutigen Ausgaben durcheinander geworfen sind (Neue Jahrb. I 312. P. Marc in einer für den Philologus bestimmten Abhandlung, die mir im Manuskript vorgelegen hat). Das rhetorische F.-Korpus wurde eingeleitet durch eine knappe Biographie, die dem Aphthonius zugeschrieben wurde, dann folgten ca. 300 F., meist aus Rhetorenschulen hervorgegangen, daher meist rein lehrhafter Art, Parallelen zu altbekannten, neue Kombinationen, erweiterte Sprichwörter, aber mit Einmengung alten volkstümlichen F.-Gutes. Bisher nannte man diese Sammlung die Recensio Augustana nach dem Codex Augustanus (Aug. Mon. 564, Ausgabe von J. G. Schneider Saxo, Breslau 1812), dessen Bedeutung Lessing zuerst erkannt hat (Wolfenb. Beitr. I 72 = Werke IX 57 Lachm.). Die älteste Hs. dieser Gruppe ist der Paris. 690 (saec. XI), herausgegeben von L. Sternbach Ber. Akad. Krakau XXI (1894) 320ff.

An der Spitze des Volksbuchs stand, wie selbstverständlich, der Aesoproman, doch hatten die F., die früher alle im Rahmen des Romans vorgetragen waren, bereits in einer Zeit, die weit vor der Entstehung unserer Hss. liegt, das Band gesprengt. Zu den alten Aesopika waren hier Nachahmungen Späterer, Sybaritika, Wortwitze, Schwänke und Ansätze zu Novellen getreten. Auch der Roman war mannigfaltig umgearbeitet worden, zuletzt gemeinschaftlich mit den F. in einer Schulausgabe, die uns wieder in zwei Rezensionen vorliegt (beste Vertreter für die ältere [vgl. Marc a. a. O.], der Borbonicus 118 II D 22 saec. XIV, für die jüngere der Laurentianus plut. 89 sup. cod. 79). Da die letzte Redaktion des Aesopromans fälschlich (s. o.) dem Maximus Planudes zugeschrieben wurde, hat diese Redaktion irrigerweise den Namen der Recensio Planudea erhalten. Sie ist in zahllosen Hss. des 13.–15. Jhdts. erhalten und nach [1735] einer dem Laur. 89 sup. 79 sehr nahestehenden Hs. von dem Pisaner Bonus Accursius ca. 1479 zuerst gedruckt worden, daher auch Accursiana genannt.

Neben diesen Hauptsammlungen bestanden noch weniger verbreitete, von denen die des sog. Casinensis (Ausgabe von de Furia, Florenz 1810), der in Wirklichkeit aus der Badia bei Florenz stammt (Marc a. a. O.), lange Zeit ungerechtfertigtes Ansehen genoß. Er bietet eine Mischung von rhetorischen und populären F. in einer zum Teil sehr verwilderten Überarbeitung der Augustana, zu denen noch eine ziemliche Anzahl von in Prosa aufgelösten Babrius-F. trat. Da bei diesen oft noch der Choliamb durchblickte, stellte Tyrrwhitt Dissertatio de Babrio 1776 (abgedruckt bei Furia CLXff.) die Originale in vielen Fällen wieder her, ehe noch Minas den Athous entdeckt hatte. Damit entstand zugleich die verkehrte Anschauung, daß alle Prosasammlungen nur aufgelöste Babrius-F. enthielten. Diese wurde gestützt durch die Tatsache, daß einige Hss. dieser Gruppe (bester Vertreter Vindob. hist. Gr. 130. Fedde Über eine noch nicht edierte Sammlung Aesopischer F., Breslau 1877) wirklich Skazonten bieten, aber byzantinische, die ihr Gesetz in der Zwölfzahl der Silben, der Cäsur nach der fünften oder siebenten Silbe und der Betonung der vorletzten Silbe sahen. Die letztern Bedingungen übersahen Cobet und Naber (Mnemosyne IV 387ff. VI 450ff. Cobet Novae lectiones 182ff.), die Hunderte von falschen Zwölfsilbern herstellten. Zur Grundlage benützten diese byzantinischen Versschmiede eine Babriusparaphrase, die sog. Paraphrasis Bodleiana (herausgeg. v. Knoell, Wien 1877). Die Tatsache, daß die überwiegende Anzahl der hsl. überlieferten F. ursprünglich in Prosa abgefaßt ist und auf Originale zurückgeht, die weit älter sind als Babrius, betonte zuerst wieder Crusius (De Babrii aet. 204–225).

Über illustrierte lateinische F.-Hss., die sicher auf ein griechisches Original zurückgehen, vgl. G. Thiele De antiquorum libris pictis (Marburg 1897) 37–43 u. Der illustrierte lateinische Aesop (= Cod. Gr. et Latini photographice depicti suppl. III) 36. 37. Dort ist eine griechische illustrierte Aesop-Hs. übersehen: Belluno. Bibl. Lolliniana cod. 17 saec. XV Aesopi fabulae – ogni favola è illustrata da un disegno, Mazzatinti Inventario dei manoscritti delle biblioteche d‘ Italia II 122.

Von älteren Ausgaben – Verzeichnis der bis 1500 erschienenen Inkunabeln bei G. C. Keidel A manual of Aesopic fable literature, Baltimore 1896 (vgl. auch The editio princ. of the Greek Aesop, Americ. Journ. of philol. XXIV 304ff. und Byz. Zeitschrift XI 461–467) – sind außer der Accursiana (144 F.) zu nennen die des Robertus Stephanus (25 neue F., meist aus dem Paris. 944), Paris 1546, dann die von Isaac Nicol. Nevelet, Frankfurt 1610 (293 F., die neuen aus 5 Pfälzer Hss., die jetzt im Vatikan sind), schließlich die von Hudson, Oxford 1718 (47 neue F., mit unzulänglichen Provenienzangaben, in Deutschland nachgedruckt von Hauptmann 1741). Furias Ausgabe (s. o.) hat ihren Wert darin, daß in den umfänglichen Prolegomena sonst schwer zu erreichende ältere Arbeiten über die F. und [1736] Aesop wiederabgedruckt sind, die gleichzeitig erschienene von Korais (Paris 1810) darin, daß in ihr zum erstenmal die verschiedenen Rezensionen neben einander gedruckt sind (366 Nummern). 1852 gab Halm bei Teubner zum erstenmal seine heute am meisten verbreitete Sammlung heraus (426 Nummern mit Einschluß der bei Schriftstellern überlieferten F.), über die das Urteil von Crusius Praef. in Babr. XXIII 1 zu vergleichen ist. Kritische Bearbeitung des gesamten Materials – Corpus fabularum Aesopicarum ed. Crusius, Hausrath, Knoell, Marc – in Vorbereitung.

Die Entwicklung der F. bei den Römern, die Verbindung zwischen der römischen F.-Dichtung und der des Mittelalters, das Verhältnis der deutschen Tier-F. zu der F. der Antike s. im Art. Phaedrus.