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Autor: August von Kotzebue
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Untertitel: Ein Lustspiel in Einem Akt
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Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Hartmann
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ = Commons
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Lustspiel in Einem Akt.


[74]
Personen.


  • Baron Eschenholz, ein Landedelmann.
  • Wilhelmine, seine Tochter.
  • Hauptmann von Thal.
  • Krips, sein Bedienter.
  • Rittmeister von Blum.
  • Zauser, sein Bedienter.
  • Michel, ein Ziegelbrenner.


(Die Scene ist ein Platz im Dorfe. An einer Seite das Landhaus des Barons mit einem Balcon; unter dem Balcon eine dichte Laube.)




Anmerkung. Die Hauptidee zu diesem Scherz ist mir in einem Briefe von demselben Freunde mitgetheilt worden, dem ich vor mehreren Jahren den Plan zu der Oper: Der Spiegelritter, verdankte. Da ein Herr Vulpius diesen letzten Plan nachher als sein Eigenthum vindicirte, und es also möglich wäre, daß auch der hier bearbeitete Stoff ihm oder einem andern ursprünglich zugehörte, so will ich solches lieber hiemit angezeigt haben, obgleich es bekannt genug ist, daß nur die Verarbeitung des Stoffes Anspruch auf Originalität gibt.


[75]
Erste Scene.
Der Baron und Wilhelmine.

Baron. Nun, Minchen, entschließe Dich kurz und gut, denn ich habe Deinen Freiern kund gethan, daß Du heute zwischen ihnen wählen würdest.

Wilhelmine. Daran haben Papa sehr übel gethan.

Baron. Ziererei! sagtest Du nicht noch gestern, sie gefielen Dir beide?

Wilhelmine. Eben deswegen. Sie gefallen mir beide, und beide so gut –

Baron. Daß Du sie allenfalls beide heirathen würdest –

[76] Wilhelmine. Bewahre der Himmel! unser Geschlecht hat sich nie durch Vielmännerei entadelt, wie das Ihrige in der halben Welt durch Vielweiberei. Wir sind schon zufrieden, wenn Ein Mann uns treu bleibt.

Baron. Nun so wähle den Einen.

Wilhelmine. Wer steht mir dafür, dass ich den rechten wähle? Ein Mädchen sollte sich nie mehr als Einen Liebhaber wünschen; wird der ein schlechter Ehemann, so hat sie wenigstens keine Wahl gehabt, und folglich auch nichts zu bereuen.

Baron. Aber die Herren sind nun schon ein paar Monat hier? Zeit genug, um sie kennen zu lernen.

Wilhelmine. Die selige Mamma pflegte zu sagen: Männer lerne man nie vor der Hochzeit kennen.

Baron. Der Hauptmann ist brav.

Wilhelmine. Der Rittmeister auch.

[77] Baron. Der Rittmeister ist ein lustiger Patron.

Wilhelmine. Der Hauptmann auch.

Baron. Der Hauptmann hat gefällige Manieren.

Wilhelmine. Der Rittmeister auch.

Baron. Der Rittmeister ist wohlhabend.

Wilhelmine. Der Hauptmann auch.

Baron. Höre, Minchen, das macht mich verdrüßlich. Die seufzenden Schäfer liegen mir täglich in den Ohren. Ich will Ruhe haben, es muß entschieden werden.

Wilhelmine. Nun so entscheiden Sie.

Baron. Das lass’ ich wohl bleiben. Gäb’ es einmal einen Zwist in Deiner Ehe, so würde es gleich heißen: Papa, daran sind Sie Schuld, ich hätte mir den Andern genommen.

[78] Wilhelmine. Dafür will ich nicht schwören.

Baron. Drum lass mich aus dem Spiele.

Wilhelmine. Aber wie solls denn werden?

Baron. Das ist Deine Sorge. Kannst Du keine Wahl treffen, so verabschiede sie beide.

Wilhelmine. Nein, Papa, ich habe Ihren alten Rabner gelesen.

Baron. So weiß ich Dir nicht zu helfen.

Wilhelmine. Ich bin doch fürwahr eine unglückliche Person. Zwei Freier – verliebt in keinen – und doch an keinem etwas auszusetzen!

Baron. Wenn Du wenigstens errathen könntest, welcher von beiden Dich am meisten liebt?

Wilhelmine. Sie bringen mich da auf eine Idee. – Ja das [79] mag entscheiden. Sagen Sie den Herren – doch so, als ob es Ihr Einfall wäre – sie möchten sich auf irgend eine Weise unter einander vergleichen; derjenige, der den Andern vermöge, freiwillig das Feld zu räumen, solle mein Gemahl werden.

Baron. Närrchen, dann werden sie sich die Hälse brechen.

Wilhelmine. Das wird bei Strafe meiner höchsten Ungnade untersagt. List, Ueberredung, Bestechung, Alles sey erlaubt, nur das Halsbrechen nicht.

Baron. Und was meinst Du, daß geschehen werde?

Wilhelmine. Derjenige, der mich am meisten liebt, wird schon Mittel und Wege finden, den Andern bei Seite zu schaffen. – Ich sehe sie kommen. Die Schranken werden geöffnet. Der Herold stößt in die Trompete. Der Sieger führt die Braut heim. (ab.)

Baron (schüttelt den Kopf). Ich stehe nicht für Unglück.

[80]
Zweite Scene.
Hauptmann Thal. Rittmeister Blum. Krips. Zauser. Der Baron.

Thal. Da sind wir auf den Flügeln der Liebe.

Blum. Auf den Schwingen der Hoffnung.

Baron. Steigen Sie ein wenig herab, wenn ich bitten darf; ich bin zu Fuße, wie Sie sehen.

Thal. Hat ihre schöne Tochter entschieden?

Blum. Geschwind! welcher von uns beiden muß sich vor den Kopf schießen?

Baron. Meine Herren, sie hat entschieden – daß sie nicht entscheiden kann.

Thal. Das heißt mit andern Worten: wir haben jeder unsern Korb.

[81] Baron. Nein, das heißt es nicht. Sie findet Sie beide gleich liebenswürdig –

Thal und Blum (sich verbeugend). Ah!

Baron. Sie bittet, ihr die Wahl zu erleichtern –

Beide. Wodurch?

Baron. Indem Einer von Ihnen freiwillig zurücktritt.

Blum. Wie wäre das möglich?

Baron. Das ist Ihre Sorge.

Thal. Nur der Tod Eines von uns beiden –

Baron. Der Tod ist ausdrücklich ausgenommen. Sie haben einander hier kennen lernen und Freunde geworden; Sie haben sich beide in mein Minchen verliebt, und sind Freunde geblieben, das will viel sagen; ein so seltnes Band will meine Tochter durchaus [82] nicht zerreißen, sondern bloß demjenigen ihre Hand reichen, dem es gelungen ist, den Andern vor der Hand zu entfernen. Wie er das anstellen werde, das gilt ihr gleich; nur Gewalt muß aus dem Spiele bleiben, sonst nimmt sie keinen.

Blum. Eine wahre Turandot.

Thal. Diese Aufgabe ist schwerer zu lösen, als die Räthsel der Prinzessin Kieselherz.

Blum. Nimmermehr entsage ich freiwillig meinen schönsten Hoffnungen.

Thal. Ich auch nicht.

Baron. Es ist auch nur von Entfernung die Rede.

Thal. Sehr wohl, aber ich gehe nicht.

Blum. Ich auch nicht.

Baron. So bleibts beim Alten.

[83] Thal. Was nennen Sie Entfernung?

Blum. Der Begriff ist sehr relativ.

Baron. Das mögen Sie unter einander bestimmen.

Thal. Für einen Verliebten ist das nächste Dorf schon eine weite Entfernung.

Blum. Wenn ich auch nur Ihre Gränze überschreite, so erkenne ich mich für überwunden.

Baron. Nun, da hätten wir ja gleich einen Maßstab. Die Verabredung wäre etwa folgende: wer den Andern dahin bringen kann, daß er meine Gränze überschreitet – Sie kennen ja den Gränzstein draußen vor dem Dorfe – der hat das Spiel gewonnen.

Thal. Ich bin es zufrieden.

Blum. Topp!

[84] Thal. Aber machen Sie sich nur gefaßt, Herr Baron, mich in zehn Jahren nicht los zu werden.

Blum. Ich pränumerire auf die Ewigkeit.

Baron. Das weiß ich besser. Mit der ersten Runzel auf meiner Tochter Wangen flattern Sie beide davon. (Geht ins Haus.)


Dritte Scene.
Die Vorigen, ohne den Baron.

Thal. Herr Bruder, das ist eine drollige Situation.

Blum. Wir bleiben Freunde wie bisher.

Thal. Das versteht sich.

Blum. Vielleicht wärst Du gar so gefällig, aus purer Freundschaft für mich Deinen Wünschen zu entsagen?

[85] Thal. Nein, Herr Bruder, daraus wird nichts.

Blum. Du erklärtest noch gestern, Du würdest für mich ins Wasser springen?

Thal. In Wasser und Feuer, aber nicht über die Gränze. Du hingegen hast ein weit edleres Gemüth als ich; wie wär’ es, wenn Du um meinetwillen –

Blum. Nein, Herr Bruder, daraus wird nichts.

Thal. Wie oft hast Du mir gesagt, Du würdest Deinen letzten Bissen mit mir theilen.

Blum. Meinen letzten Bissen, o ja, aber nicht meine Frau.

Thal. Nun, so müssen wir sehen, wer am hartnäckigsten das Feld behaupten wird.

Blum. Ich weiche nicht eher, bis meine Fahne von der Festung weht.

[86] Thal. Sieg oder Spott ist die Losung. (ab.)


Vierte Scene.
Die Vorigen, ohne Thal.

Blum (zu Krips, der seinem Herrn folgen will). He! Krips! verweile noch einen Augenblick.

Krips. Was befehlen der Herr Rittmeister?

Blum. Ich will Dich bestechen.

Krips. Gott sey Dank! das ist mir lange nicht wiederfahren.

Blum. Du sollst mir helfen, Deinem Herrn über die Gränze persuadiren.

Krips. Ein Complott gegen meinen Herrn?

Blum. Ein Complott, pfui! man nennt es eine Allianz oder eine Coalition.

[87] Krips. Das lass’ ich gelten. Ein vornehmer Name bemäntelt Alles.

Blum. Du bist doch vertraut mit allen Umständen Deines Herrn?

Krips. Ich stehe zwar erst seit drei Monaten in seinen Diensten, und er ist so gnädig, selten ein Wort mit mir zu sprechen, aber man erfährt denn doch so manches.

Blum. Zum Exempel, die Familienverhältnisse?

Krips. O ja. (bei Seite) Für Geld weiß ich Alles.

Blum. Ich sollte freilich besser unterrichtet seyn als Du, aber unsere Bekanntschaft ist noch blutjung, und wir haben vor lauter Herzensgeheimnissen an die Familiengeheimnisse noch gar nicht denken können.

Krips. Man ist sich selber der nächste.

[88] Blum (gibt ihm Geld). Nimm das zum Handgeld.

Krips. Potz tausend! nun bin ich Ihr Recrut mit Leib und Seele.

Blum. Komm mit auf mein Zimmer, ich will Deine Geschicklichkeit auf die Probe stellen.

Krips. Ohne Ruhm zu melden, Sie werden finden, daß ich große Talente besitze.

Blum. Für die Spitzbüberei?

Krips. Nicht doch, für die Politik.

Blum. Das kommt auf Eins heraus. – Dich, Zauser, ernenn’ ich zu meinem Spion. Bleibe hier und gib wohl Acht auf alles. (ab mit Krips.)

[Ξ]

Das ganze Menschengeschlecht besteht doch nur aus zwei Classen von Spitzbuben, nehmlich aus solchen, die gehangen werden, und aus solchen, die nicht gehangen werden.

[89]
Fünfte Scene.
Zauser allein.

Großen Dank! Spione werden gehangen. Das hätte weiter nichts zu bedeuten, ist auch keine Schande, denn das ganze Menschengeschlecht besteht doch nur aus zwei Klassen von Spitzbuben, nämlich aus solchen, die gehangen werden, und aus solchen, die nicht gehangen werden: hat man aber das Unglück, zu der ersten Klasse zu gehören, so will man doch wenigstens dafür bezahlt seyn. Mein Kamerad hat einen vollen Beutel davon getragen; ich bin mit dem Ehrentitel Spion abgespeist worden. So machen es die großen Herren alle. Fremde bekommen immer mehr als die eigenen treuen Diener.


Sechste Scene.
Hauptmann Thal. Zauser.

Thal. So allein, mein lieber Zauser?

Zauser. Ach, gnädiger Herr! man ist nie allein, wenn man die Tugend zum Begleiter hat.

[90] Thal. Bist Du wirklich so tugendhaft?

Zauser. Ganz entsetzlich.

Thal. Doch nur wie in der Welt gebräuchlich?

Zauser. Wie ist es denn gebräuchlich?

Thal. Man bleibt so lange tugendhaft, als mit der Spitzbüberei nichts zu verdienen ist.

Zauser. Ei ich bitte recht sehr, Herr Hauptmann; ich habe mit Respekt zu melden ein Gewissen und eine Moralität – hu! die sind so zart wie die Fäden einer Spinne.

Thal. Folglich reißen sie leicht?

Zauser. Beileibe nicht! ich will damit sagen: gleichwie ein solcher Faden bei der leisesten Berührung die Spinne selbst von dem Daseyn irgend eines Feindes avertirt, gleichergestalt avertirt mich mein zartes Gewissen, [91] wenn die Sünde auch nur mit einem Finger daran tippt.

Thal. So? das thut mir leid. Ich hatt’ ein Plänchen im Sinne –

Zauser. Darf man unterthänigst fragen?

Thal. Wozu? bei Deiner horrenden Gewissenhaftigkeit bin ich genöthigt, es aufzugeben.

Zauser. Hören Sie, lieber Herr Hauptmann, wenn Sie mich etwa bestechen wollen, machen Sie keine Umstände, sagen Sie es gerade heraus.

Thal. Ich fürchte mich vor Deiner Tugend.

Zauser. Alle hübsche Mädchen sind tugendhaft bis der Rechte kommt.

Thal (gibt ihm Geld). Ist das der Rechte?

Zauser. Ja, hol mich der Teufel! das ist er.

[92] Thal. Wirst Du unter meiner Fahne dienen?

Zauser. Marschiren gegen Freund und Feind.

Thal. Hast Du an Deinem Herrn nicht irgend eine Schwäche bemerkt?

Zauser. Schwächen so viel als Sommersprossen. Es gibt ja keinen großen Mann für seinen Kammerdiener.

Thal. Wovor fürchtet er sich am meisten?

Zauser. Vor ansteckenden Krankheiten, die scheut er ärger als eine Batterie.


Siebente Scene.
Krips. Die Vorigen.

Krips. Eben jetzt ist die Post durchgegangen. Haben Sie nicht blasen hören? Da ist ein Brief, Herr Hauptmann.

[93] Thal (erbricht ihn und liest). Hm! das klingt sonderbar. Von wem hast Du diesen Brief empfangen?

Krips. Von der reitenden Post.

Thal. Da schreibt mir ein Notarius aus meiner Vaterstadt, meine Mutter liege auf dem Todbette und wünsche sehnlichst, mich noch einmal zu sprechen.

Krips. Ach, die gute Dame!

Thal. Wenn ich diesen Wunsch erfüllen wolle, so dürfe ich keinen Augenblick versäumen.

Krips. Da muß ich wohl schnell die Pferde satteln?

Thal. Du weißt, daß die Liebe mich hier gefesselt hält.

Krips. Aber die kindliche Pflicht, Herr Hauptmann, das vierte Gebot –

Thal. Da hast Du freilich Recht.

[94] Krips. Mich dünkt, ich sehe die brave Dame, wie sie auf ihrem Krankenlager sich herum wälzt und seufzt: mein Sohn! ach! wo ist er! mein theurer Sohn! daß ich ihn noch einmal segne!

Thal. Das ist allerdings sehr rührend, ich habe nur einen einzigen kleinen Zweifel.

Krips. Der wäre?

Thal. Meine Mutter ist schon vor zehn Jahren gestorben.

Krips. So?

Thal. Und hat Dir in ihrem Testamente hundert Stockprügel vermacht.

Krips. Ei das muß eine scheneröse Dame gewesen seyn.

Thal. Das Legat soll Dir auch richtig ausgezahlt werden.

Krips. O es hat damit keine Eile.

[95] Thal. Spitzbube! Du hast Dich von meinem Nebenbuhler bestechen lassen?

Krips. Ei wo denken Sie hin, gnädiger Herr? ich konnte ja nicht wissen, was in dem Briefe steht. Wenn ich ein Postbeamter wäre, so hätte ich verstanden ihn aufzumachen.

Thal. Sagtest Du nicht, die reitende Post habe den Brief mitgebracht?

Krips. So hat der Herr Rittmeister mich versichert, und vornehmen Herren glaub’ ich aufs Wort.

Thal. Daran thust Du sehr übel. Wenn vornehme Herren Krieg mit einander führen, so lügen sie trotz den Zeitungsschreibern.

Krips. Lieber Gott! wir andern sind ja zum glauben auf der Welt.

Thal. Dießmal schlüpfst Du so durch. Ertapp’ ich Dich [96] wieder, so schlag’ ich Dir Arm und Beine entzwei. – Komm, Zauser, ich habe mit Dir zu reden. (ab mit Zauser.)


Achte Scene.
Krips allein.

So? – den Zauser nimmt er mit? – o ich verstehe, der hat auch seine Waare an den Mann gebracht. – Bravo, Kamerad! uns armen Leuten wird heutzutage das Hemd vom Leibe genommen, so müssen wir ja wohl unsere Ehrlichkeit verkaufen. Die ist Gott sey Dank eine gesuchte Waare. Die großen Herren pflegen sie zwar ihren eignen Dienern anzupreisen, sind aber herzlich froh, wenn sie sie bei Fremden nicht finden.


Neunte Scene.
Blum. Krips.

Blum. Nun, wie stehts?

Krips. Gott sey Dank! ich befinde mich noch in heiler Haut.

[97] Blum. Narr! ist die List gelungen?

Krips. Sie wäre ganz sicher gelungen, aber ein einziger kleiner Umstand hat alles verdorben.

Blum. Hat er meine Handschrift erkannt?

Krips. Das eben nicht.

Blum. Vermuthlich warst Du ein Dummkopf und hast Dich verrathen?

Krips. Keinesweges, aber die gnädige Frau Mamma hat uns den verdammten Streich gespielt, schon vor zehn Jahren zu sterben.

Blum. Verflucht! das war dumm.

Krips. So geht es mit den meisten Menschen, die man in ihrem ganzen Leben nicht braucht; hat man sie endlich einmal nöthig, so sind sie gestorben.

[98] Blum. Immerhin. Ein vorsichtiger Jäger hat mehr als Einen Schuß in der Tasche.

Krips. Ich sehe meinen Herrn und mache eine retrograde Bewegung.

Blum. Der Ziegelbrenner wird doch Wort halten?

Krips. Er zog schon hinaus mit der brennenden Lunte, (ab.)

Blum (ruft ihm nach). Entferne Dich nur nicht zu weit.


Zehnte Scene.
Thal. Blum. Zauser (verkleidet mit einem Pflaster auf dem Auge).

Thal. Herr Bruder, wir müssen beide fort über Hals und Kopf.

Blum. Wie so?

[99] Thal. Erinnerst Du Dich der Fuhrwagen mit Baumwolle beladen, die vor ein paar Tagen hier durchs Dorf gingen?

Blum. O ja.

Thal. Die Baumwolle kam aus Smyrna.

Blum. Meinetwegen.

Thal. Die Leute übernachten in der Schenke, der Wirth ist ein Spitzbube, stiehlt einen Pack, man wird es nicht gewahr, der Transport geht am andern Morgen weiter. Flugs öffnet der Dieb die gestohlne Waare, wird ohnmächtig, bekommt auf der Stelle ein Fieber; man schickt nach diesem ehrlichen Manne – es ist der Chirurgus aus dem nächsten Städtchen – er kommt, er sieht Beulen, er erschrickt, und kurz, es ist die Pest.

Blum. Die Pest?

Thal. Ja, die Pest, nicht wahr, mein Herr?

[100] Zauser (nickt).

Blum. Das wär der Teufel!

Thal. Der Wirth und seine Frau sind schon gestorben, die Kinder liegen in den letzten Zügen. Alle Bauern, die in der Schenke ihren Schnaps getrunken haben, fühlen schon die Pest in allen Gliedern. Nicht wahr, mein Herr?

Zauser (nickt).

Blum. Das ist eine schreckliche Begebenheit.

Thal. Im Schlosse wird eingepackt, der Baron mit seiner ganzen Familie eilt nach der Stadt –

Blum. Daran thut er sehr wohl.

Thal. Der Herr Chirurgus meint, man dürfe keinen Augenblick in dieser verpesteten Luft verweilen, nicht wahr, mein Herr?

Zauser (nickt).

[101] Thal. Es müsse ein Cordon gezogen werden.

Blum. Ei freilich.

Thal. Meine Kalesche ist angespannt, mein Reitpferd ist gesattelt. Gegen den Feind hab’ ich Courage, aber nicht gegen die Pest.

Blum. Der Henker mag mit der Pest anbinden.

Thal. Wirf Dich in meinen Wagen, Herr Bruder, ich trabe neben her, unsere Leute kommen nach. Hier ist kein Augenblick zu versäumen, nicht wahr, mein Herr?

Zauser (nickt).

Thal. Die Freundschaft hat mich ohnehin schon verleitet, mein Leben aufs Spiel zu setzen, denn es war mir unmöglich, ohne Dich das Dorf zu verlassen.

Blum. Ich bin sehr gerührt von Deiner brüderlichen Liebe.

Thal. Nun so komm, ehe es zu spät wird.

[102] Blum. Ich will es denn doch noch ein wenig abwarten.

Thal. Bist Du rasend? Die Pest abwarten?

Blum. Herr Bruder, daß wir beide eine ansteckende Krankheit am Halse haben, daß ist leider gewiß, aber die Baumwolle aus Smyrna ist nicht Schuld daran; ein paar schöne Augen haben das Fieber in uns entzündet. Laß Deine Kalesche nur wieder abspannen, denn hol mich der Teufel! und wenn die Pest mir über die Schultern guckte, ich ginge nicht von der Stelle. (ab.)


Eilfte Scene.
Thal. Zauser.

Thal. Das war nichts.

Zauser. Und wie hab’ ich meine Rolle gespielt!

Thal. Freilich, eine schwere Rolle.

[103] Zauser. Allerdings. Das Maul halten und zu Allem nicken, das ist heutzutage der Triumph der Kunst!

Thal. Ich möchte doch fast wetten, daß er Dich erkannt hat.

Zauser. Schwerlich, sonst hätte er mich auch geprügelt.

Thal. Geh, und kleide Dich wieder um, wir müssen schnell eine andere Mine springen lassen.

Zauser. Wenn ich nur nicht am Ende selbst mit in die Luft springe. (ab.)

Thal. Man ist doch nie fruchtbarer an Erfindungen, als wenn es darauf ankommt, den Nächsten zu prellen.


Zwölfte Scene.
Michel. Thal.

Michel (sein Geld betrachtend). Schöne Dukaten. – Ein kurioser Herr. Für das Geld hätte er das schönste Feuerwerk kaufen können.

[104] Thal (von ungefähr sich nach dem Hintergrunde wendend). Was seh’ ich! eine Feuersbrunst!

Michel. Hat nichts zu bedeuten, ist nur eine alte Ziegelscheune.

Thal. Wie könnt Ihr das wissen, mein Freund? Der Brand scheint ziemlich fern.

Michel. Ein halbes Stündchen von hier.

Thal. Kommt Ihr vielleicht eben von dort?

Michel. Ich habe sie selber angesteckt.

Thal. Warum das?

Michel. Weil sie mein war, denn ich bin ein Ziegelbrenner, und weil sie mir gut bezahlt wurde. Da sehn Eure Gnaden, eine ganze Hand voll Gold – Dafür kann ich drei solche Scheunen wieder bauen.

[105] Thal. Wer hat euch geheißen, sie anzuzünden?

Michel. Ich darfs nicht sagen.

Thal. Mir schon.

Michel. Keiner Christenseele.

Thal (zieht den Degen). Kerl, du bekennst auf der Stelle, oder ich jage Dich selber ins Feuer.

Michel. Ja, wenn Sie mir so liebreich zureden – der Herr Rittmeister, Ihr Kamerad –

Thal. In welcher Absicht?

Michel. Das weiß ich nicht. Er mag wohl ein Liebhaber von Feuersbrünsten seyn.

Thal. Halt, es geht mir ein Licht auf. Die Scheune liegt außer den Gränzen dieses Dorfes?

[106] Michel. Freilich. Für den nächsten Gutsbesitzer habe ich dort Ziegel streichen müssen.

Thal. Ich weiß genug. Jetzt geh.

Michel. Wenn Ew. Gnaden etwa auch Belieben tragen, eine Ziegelscheune brennen zu sehen? ich habe deren noch an verschiedenen Orten.

Thal. Ich sehe den Rittmeister kommen. Pack Dich fort.

Michel. Für hundert Dukaten stecke ich sie alle in Brand. (ab.)

Thal. Ich werde mich stellen, als wär’ ich nichts gewahr geworden. (Er nimmt eine nachdenkende Stellung an.)


Dreizehnte Scene.
Blum. Thal.

Blum (hinter sich rufend). Geschwind! mein Pferd gesattelt – mache Lärm im Dorfe – laß die Sturmglocke läuten.

[107] Thal. Was gibts, Herr Bruder?

Blum. Mein Gott, siehst Du denn nicht? die gewaltige Feuersbrunst.

Thal. Ja, wahrhaftig.

Blum. Ein ganzes Dorf scheint in Flammen zu stehen.

Thal. Ums Himmels willen, man muß helfen, man muß retten.

Blum. Darum lasse ich eben mein Perd satteln. Geschwind! thue ein Gleiches.

Thal. Das versteht sich. Man liest jetzt so oft in den Zeitungen, von großmüthigem Militair, welches bei Feuersbrünsten Wunder gethan hat –

Blum. Eben deswegen, wir wollen uns auch hervorthun.

[108] Thal. Und wenn auch nicht wegen der Zeitungen, die Menschlichkeit befiehlt.

Blum. Ja wohl, die Menschlichkeit. Mach nur fort.

Thal. Es ist so süß, Bedrängten beizustehen.

Blum. Es ist ein himmlisches Vergnügen.

Thal. Ein Kind aus den Flammen zu retten –

Blum. Es der verzweifelnden Mutter zu bringen –

Thal. Das Stammeln ihres Dankes zu vernehmen –

Blum. Aber wenn Du nicht bald gehst, so können unterdessen ein Dutzend Kinder verbrennen.

Thal. Reite nur voraus, ich komme den Augenblick nach.

Blum. Ich kann mich unmöglich entschließen, den Ruhm allein zu ernten.

[109] Thal. Der Ruhm meines Freundes erweckt keinen Neid in mir.

Blum. Aber ich begreife nicht, daß ein so mitleidiges Herz, wie das Deinige, Dir noch zu zögern erlaubt?

Thal. Ich muß Dir nur sagen, Herr Bruder, mein Herz steht selber in lichten Flammen, das ist eine Feuersbrunst, die mich näher angeht. Es thut mir leid um Deine Dukaten, aber wenn auch alle Ziegelscheunen in der ganzen Nachbarschaft brennten, so ginge ich nicht von der Stelle. Hahaha! (ab.)

Blum. Verdammt! ich bin verrathen. – Doch man muß den Muth nicht sinken lassen. Vielleicht glaubt er sich nun sicher, und allen meinen Fallstricken entgangen.


Vierzehnte Scene.
Wilhelmine erscheint auf dem Balcon. Blum.

Wilhelmine. Guten Abend, Herr Rittmeister. So allein?

[110] Blum. Ach, mein Fräulein! ich bin nie allein. Ihr Bild umschwebt mich, wo ich gehe und stehe.

Wilhelmine. Dann muß es Ihnen am Ende sehr lästig werden.

Blum. Freilich würd’ ich es lieber gegen das Original vertauschen.

Wilhelmine. Das Original hat keinen Willen, sondern ist der Preis des Siegers.

Blum. Ach, wer doch schon Victoria rufen könnte! aber wir sind beide so verzweifelt auf unserer Hut, daß die Neckerei noch lange währen kann.

Wilhelmine. Ich bin entschlossen, es geduldig abzuwarten.

Blum. Ja Sie, Sie haben ein Herz von Stein und eine Brust von Marmor.

Wilhelmine. Ich mach’ es wie die Herrenhuter: was das Loos mir zuwirft, empfang’ ich mit Ergebung.

[111]
Funfzehnte Scene.
Zauser. Die Vorigen.

Zauser (athemlos, ohne das Fräulein gewahr zu werden). Ach, gnädiger Herr! ich bin des Todes!

Blum. Dabei ist wenig verloren.

Zauser. Sie werden aber sogleich auch des Todes seyn.

Blum. Ist etwa die Pest wieder ausgebrochen?

Zauser. Nein, er hat sie entführt.

Blum. Wer? wen?

Zauser. Der Herr Hauptmann das gnädige Fräulein.

Blum. So?

Zauser. Springen Sie schnell auf Ihren Klepper, setzen Sie ihm nach, vielleicht holen Sie ihn noch ein.

[112] Blum. Hast Du selber gesehn?

Zauser. Mit meinen eignen Augen. Seitdem Sie mir befohlen haben, zu spioniren, seh’ ich Alles. Das Fräulein ging spazieren auf dem Hügel an der Landstraße, hinter dem Hügel lauerte der Hauptmann mit einer Postschaise – plötzlich sprang er hervor, hob das Fräulein in den Wagen und fort ging es im gestrecktem Galopp.

Blum. Und das sahst Du so geduldig mit an?

Zauser. Was sollt’ ich machen? ich schrie: Herr Hauptmann! Ew. Gnaden! das ist nicht Manier! ich wollte den Pferden in die Zügel fallen, aber da hielt er mir eine Pistole so dicht auf den Leib, daß mir der Respekt in alle Glieder trat. Ums Himmels willen, gnädiger Herr, machen Sie, daß Sie fortkommen, es ist keine Minute zu verlieren.

Blum. Schrie denn das Fräulein nicht?

[113] Zauser. Keinen Mucks gab sie von sich. Unter uns, ich glaube, es war so verabredet.

Blum. Ist das wahr, mein Fräulein?

Wilhelmine. Ei, ei, Zauser! hab ich denn nicht geschrieen?

Zauser (starrt sie mit offnem Maule an). Ist doch wohl möglich – ja, ja, ich entsinne mich – das gnädige Fräulein schrie so mörderlich, daß der Herr Hauptmann sie geschwind wieder nach Hause führte.

Wilhelmine. Es hat mich aber doch so angegriffen, daß ich nothwendig ein wenig ausruhen muß, hahaha! (ab.)


Sechszehnte Scene.
Blum. Zauser.

Blum. Nun, Zauser? hast Du mein Pferd noch nicht satteln lassen?

[114] Zauser. Gott sey Dank, daß es so glücklich abgelaufen.

Blum. Du verdammter Spitzbube! verdientest Du nicht wenigstens hundert Stockprügel?

Zauser. Ich verlange gar nichts für meine Mühe.

Blum. O ich kann unmöglich Dein Schuldner bleiben.

Zauser. Nehmen Sie mirs nicht übel, gnädiger Herr, das kommt dabei heraus, wenn man fremde Spitzbuben besticht, und seine eignen darben läßt. Der Krips verkauft seine Seele für einen Gulden. Mit bitterer Wehmuth hab’ ich sehen müssen, daß Sie kein Vertrauen auf meine Talente setzten; da ist mein Ehrgeiz erwacht, denn die Ehre ist meine schwache Seite; da bin ich flugs hingegangen, und habe mich auch bestechen lassen.

Blum (bei Seite). Der Schurke hat Recht. Wenn große Herren fremde Unterthanen verführen, so lockern sie zugleich die Treue ihrer eignen. (laut) Für dießmal möge es [115] Dir verziehen seyn. Geh, erzähle dem Hauptmann, wie es Dir ergangen, und sage ihm, ich hätte nothwendig mit ihm zu sprechen.

Zauser (bei Seite). Vermuthlich hat er wieder ein Stückchen ausgesonnen. (ab.)

Blum (zieht einen offnen Brief hervor). Nun hole ich meinen letzten Pfeil aus dem Köcher. Wenn auch der nicht trifft, so geh ich schlafen, damit der erschöpfte Geist neue Kräfte sammle. – He! Krips! wo steckst Du?


Siebenzehnte Scene.
Krips. Blum.

Krips. Hinter dem Baume hab’ ich gesteckt in meiner eignen Haut, die mir verzweifelt zu jucken anfängt.

Blum. Du sollst noch ein Meisterstück machen, meine Person repräsentiren.

Krips. O zu viel Ehre!

[116] Blum. Das weiß ich wohl, drum laß von der Ehre Dich begeistern.

Krips. Ja, wenn man die Ehre trinken könnte, wie eine Flasche Wein.

Blum. Wir sind so ziemlich von gleicher Statur. Geh auf mein Zimmer, hülle Dich in meinen Mantel, setze meinen Hut mit der hohen Feder auf, drück ihn tief in die Augen, schlage den Mantel über das Gesicht und finde Dich dann hier ein.

Krips. Ist das meine ganze Instruktion?

Blum. Mein Wagen steht bereit. Der Hauptmann wird kommen, Du steigst mit ihm hinein –

Krips. Hinein?

Blum. Ja ja, hinein.

[117] Krips. Ach, gnädiger Herr! ich bin so gewohnt hinter den Wagen zu steigen, daß ich fürchte –

Blum. Narr! in unsern Zeiten haben viele Leute hinter dem Wagen gestanden, die jetzt drin sitzen. Kurz, Du steigst hinein, und zwar zuerst.

Krips. Wenn er aber mit mir redet?

Blum. Du antwortest nicht, oder nur durch einen Seufzer, und drückst Dich in die Ecke.

Krips. Was soll denn daraus werden?

Blum. Der Postillion ist unterrichtet, Ihr fahrt über die Gränze, dann magst Du Dich zu erkennen geben.

Krips. Da schlägt er mich todt.

Blum. Wenn das geschieht, so nehm’ ich Dich in meine Dienste.

[118] Krips. Gehorsamer Diener! das ist ein halsbrechendes Stück Arbeit.

Blum. Eine Tracht Prügel ist alles, was du dabei wagst.

Krips. So? eine reizende Aussicht.

Blum. Du hast die Aussicht auf meinen vollen Beutel. Für jeden Schlag einen Dukaten.

Krips. Auch wenn ich in der Angst mich verzählen sollte?

Blum. Auch dann. Bist du nun zufrieden?

Krips. Topp! frisch gewagt, ist halb gewonnen.

Blum. So mach fort.

Krips. Meine Mutter war eine Zigeunerin, sie hat mir oft prophezeiht, ich würde noch einmal Offizier werden; nun seh’ ich doch, daß sie ihre Kunst verstand. (ab.)

[119] Blum. Da kommt der Hauptmann. Wer jetzt ein Garrik oder Iffland wäre!


Achtzehnte Scene.
Thal. Blum.

Thal. Herr Bruder, Du hast mich rufen lassen?

Blum. Ja, mein Freund, ich habe ein ernstliches Wort mit Dir zu reden. Du siehst nun wohl, durch List werden wir einander schwerlich überwinden.

Thal. Man muß nicht verzweifeln.

Blum. Je nun, auf dem Trocknen wäre ich eben auch noch nicht; aber es hat sich ein Umstand ergeben, der Dir zu statten kommt.

Thal. Laß hören.

Blum. Ich habe Dir schon einmal erzählt, daß meine [120] erste Liebschaft ein gutes, schönes, aber viel zu reiches, viel zu vornehmes Mädchen war.

Thal. Ich entsinne mich. Der Papa, ein General mit Orden behangen, wollte seiner Tochter keinem Rittmeister geben.

Blum. Wir mußten scheiden, und schwuren uns ewige Treue.

Thal. Eine Ewigkeit von vier Wochen.

Blum. Mit nichten. Länger als ein Jahr hab’ ich geseufzt wie ein Poet. Aber als der Alte gar nicht sterben wollte, und als ich hier Fräulein Minchen erblickte –

Thal. Freilich, das entschuldigt.

Blum. Es ist aber doch ein wunderliches Ding um die erste Liebe. Sie schläft bisweilen, doch nur sehr leise; kaum weht der Wind eine Blüthe auf sie hin, so erwacht sie.

[121] Thal. Willst Du mich etwa überreden, die Deinige sey erwacht?

Blum. Ohne Scherz, mein Freund, lies hier dieß Briefchen, das ich so eben empfangen. Der alte General ist gestorben; meine Caroline, die reiche Erbin, meldet mir, sie werde von Freiern belagert und gequält, aber sie bleibe ihrem Schwur treu und erwarte mich mit Sehnsucht.

Thal. Ja ja, das steht hier.

Blum. Nun sprich, was soll ich thun?

Thal. Meinen Rath kannst Du Dir leicht denken.

Blum. Ich habe Betrachtungen angestellt: an Schönheit und Reichthum sind Wilhelmine und Caroline sich gleich, aber jene überläßt dem Zufall die Wahl ihres Gatten und diese liebt mich; jene hat nur Scherz mit mir getrieben, und dieser gab ich mein ernstes Wort; jene wünscht vielleicht sogar meinem Nebenbuhler [122] den Sieg, indessen Caroline um meinetwillen jeder andern Verbindung entsagt.

Thal. Sehr vernünftige Betrachtungen.

Blum. Und endlich die Freundschaft für Dich –

Thal. Ach! gehorsamer Diener!

Blum. Du lächelst ungläubig? Du meinst wohl gar, ich erzähle Dir ein Mährchen? Wenn ich Dir aber sage, daß mein Wagen schon angespannt ist, und daß ich eben im Begriff stehe, davon zu fahren?

Thal. Herr Bruder, wenn Du das thust, so wünsche ich Dir von Herzen eine glückliche Reise; aber nimm mirs nicht übel, ich traue Dir nicht eher, bis Du fort bist.

Blum. Ueberzeuge Dich selbst. Begleite mich bis auf die Gränze. Ich bitte Dich sogar darum. Denn ich muß Dir gestehen, so fest ich auch entschlossen bin, so wird das Herz mir doch verzweifelt schwer, da die Trennungsstunde von Wilhelminen heran rückt. Aber [123] ich will sie nicht wiedersehn. Ich will mich in den Wagen werfen und alle Store's aufziehn, und nicht eher hinter mich schauen, bis ich der Gefahr entronnen bin.

Thal. Topp, Herr Bruder! unter dieser Bedingung begleite ich Dich.

Blum. Unterhaltung mußt Du freilich von mir nicht erwarten. Ich werde mich in meinen Mantel hüllen und in mich hinein brummen wie ein betender Mönch.

Thal. Nach Deinem Belieben. Nur Eine Bedingung wirst Du mir noch zugestehen.

Blum. Welche?

Thal. Wenn wir an den Gränzstein kommen, so steigen wir aus, und Du spazierst vor mir her über die Gränze, dann setzen wir uns wieder ein und fahren weiter.

[124] Blum. Noch immer dieses Mißtrauen? Wohlan, auch das verspreche ich Dir.

Thal. So laß uns flugs in den Wagen steigen.

Blum. Ich hole meinen Mantel und bin sogleich wieder bei Dir. (ab.)

Thal. Sollte das wirklich Ernst seyn?

Blum (kommt zurück). Noch eins, Herr Bruder, Du übernimmst doch meine Entschuldigung bei Wilhelminen?

Thal. Das versteht sich.

Blum. Und bei ihrem Vater?

Thal. Sey ohne Sorgen.

Blum. Nun so warte nur einen Augenblick. (ab.)

[125] Thal. Hm! hm! – diese plötzliche Verwandlung – ich meine immer, es steckt wieder eine Schelmerei dahinter. He! Zauser! komm hervor.


Neunzehnte Scene.
Thal. Zauser.

Thal. Hast Du unser Gespräch mit angehört?

Zauser. Von Wort zu Wort.

Thal. Sollte er es wohl ernstlich meinen?

Zauser. Ehrlich genug sah er dabei aus.

Thal. Hat er heute einen Brief empfangen?

Zauser. Das ich nicht wüßte.

Thal. Hast Du seinen Koffer packen müssen?

[126] Zauser. Keinesweges.

Thal. Also gar keine Reiseanstalten?

Zauser. Nicht die mindesten.

Thal. Das klingt sehr verdächtig. Offenbar ist es wieder ein Fallstrick, ob ich gleich nicht einsehe, wie er auf der Gränze mich täuschen könnte? – Doch gleichviel. Man muß auf seiner Hut seyn. Jetzt, mein lieber Zauser, will ich Deinen Muth auf die Probe stellen.

Zauser. Ach, gnädiger Herr! mit meinem Muthe hab’ ich noch nie geprahlt.

Thal. Es gibt noch einen schönen Beutel voll Dukaten zu verdienen.

Zauser. Reden Sie, denn ich fühle, daß mein Muth erwacht.

[127] Thal. Geh geschwind auf mein Zimmer, wickle Dich in meinen Mantel, zieh meine Reisemütze über die Ohren, komm dann zurück, und wenn Du Deinen Herrn hier findest, so setze Dich stillschweigend mit ihm in den Wagen. Für das übrige laß das Schicksal sorgen.

Zauser. Ach, Herr Hauptmann! wenn ich nur meinen Buckel zu Hause lassen könnte.

Thal. Du nimmst ja auf den Nothfall auch Deine Beine mit.

Zauser. Freilich, auf meine Beine kann ich mich so ziemlich verlassen. Aber, Herr Hauptmann, wenn es zum Laufen kommt, so laufe ich geradesweges in Ihre Dienste.

Thal. Du hast mein Wort.

(Zauser ab.)

Thal. Auf jeden Fall ist meine Partie genommen. Räumt er mir wirklich freiwillig das Feld, nun desto besser. [128] Wo nicht, so sind meine Pistolen blind geladen. – Er kommt. – Ich muß mich verstecken. – Wenn nur mein Repräsentant ihn nicht lange warten läßt. (er versteckt sich in die Laube.)


Zwanzigste Scene.
Krips (mit Blums Mantel und Hut). Thal.

Krips (sehr scheu und leise). Ich wollte, es wäre schon vorbei.

Thal (für sich). Das Schleichen ist mir auch verdächtig.

Krips. Wenn mein Herr nur das Maskenrecht respektirt.

Thal. Warum hat er sich vermummt bis an die Zähne?

Krips (mit leiser zitternder Stimme). Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus –

Thal. Ich glaube er fängt an zu singen.

Krips. Juchhe!

[129] Thal. Das ist fürwahr eine seltsame Gemüthsstimmung.

Krips. Meine Courage steht auf dem Sprunge, wenn es noch lange währt, so geht sie zum Teufel.

Thal. Wo bleibt der verdammte Zauser?

Krips. Alle Wetter, da kommt mein Herr.


Ein und zwanzigste Scene.
Zauser. Die Vorigen.

Zauser (mit Thals Mantel und Reisemütze. Er räuspert sich.)

Krips (scheint dadurch erst aufmerksam auf ihn zu werden, und bewillkommt ihn in den Bart brummend).

Zauser (steckt schüchtern die Hand aus dem Mantel hervor, und reicht sie Krips). Hum, hum.

Krips (schüttelt ihm die Hand). Hum, hum.

[130] Zauser (deutet, ob es gefällig sey zu fahren.) Hum, hum.

Krips (nickt). Hum, Hum.

(Beide komplimentieren noch ein Weilchen mit einander, wer voraus gehen soll, endlich läuft Krips schnell davon und Zauser hinter ihm her.)

Thal (tritt lauschend ein wenig aus der Laube hervor). Es geht – es geht gut – sie steigen ein – sie sitzen drin – nun Schwager fahr zu! – richtig – der Wagen rollt – (er geht nach dem Hintergrunde und schaut ihnen nach.) Es geht rasch im vollen Trabe – jetzt biegen sie um die Ecke – Ehe zehn Minuten vergehn, sind sie auf der Gränze und Wilhelmine ist mein! – horch! – ich höre nichts mehr – Doch ja – jetzt rasselt es wieder auf dem Steinpflaster. (er bleibt horchend stehen.)

[131]
Zwei und zwanzigste Scene.
Blum. Thal.

Blum (der im Vorgrunde escheint, ohne Thal zu sehen). Sie sind richtig fort. – Hab’ ich ihn doch überlistet. Wenn ers nun auch merkt, aus dem Wagen kommt er nicht. Der Postillion hat ein gutes Trinkgeld bekommen, der kehrt sich an kein Schreien, der hält nicht eher, bis er über die Gränze ist.

Thal. Jetzt hinauf zu dem Fräulein.

Blum. Jetzt zu Wilhelminen.

(Beide stoßen auf einander, prallen zurück, und betrachten einander eine Weile mit komischer Verwunderung.)

Blum. Ei sieh da, Herr Bruder?

Thal. Ich glaubte den Herrn Bruder schon auf dem Wege zu der reichen Braut?

[132] Blum. Der Herr Bruder hatten ja versprochen mit mir zu fahren?

Thal. Der Herr Bruder wollten mich übertölpeln?

Blum. Man hat gethan, was man konnte, aber der Herr Bruder ist ein verdammter Herr Bruder.

Thal. Wer hat denn die Ehre gehabt, die Rolle des Herrn Rittmeisters zu spielen?

Blum. Dein Krips.

Thal. Der Schurke!

Blum. Und wer war denn der Herr Hauptmann?

Thal. Dein Zauser.

Blum. Der Spitzbube!

[133] Thal. Also fahren die beiden Kerls mit einander über die Gränze?

Blum. Hahaha! die werden sich vor einander fürchten. Schade, daß ich den Spaß nicht mit ansehen kann.

Thal (sehr ernst). Herr Bruder, das ist mir außerm Spaß.

Blum. Du machst ja ein Gesicht wie der zornige Achilles?

Thal. Du hast mich beleidigt.

Blum. Wodurch?

Thal. Meinen Bedienten bestochen.

Blum. Und Du den meinigen.

Thal. In einen Officier hast Du ihn verkleidet.

Blum. Und Du den meinigen.

[134] Thal. Ich habe nur aus Nothwehr mich derselben List bedient; aber Du hast nicht allein den ganzen Stand, sondern auch besonders mich dadurch beschimpft.

Blum. Ach, Du bist nicht wohl gescheidt.

Thal. Ich sollte meinem eigenen Bedienten zum Spott werden.

Blum. Du solltest über die Gränze und weiter nichts.

Thal. Es wäre eine allerliebste Scene geworden, wenn ich, meinem Krips gegenüber, wie ein dummer Junge da gestanden, und er sich auf die Zunge gebissen hätte, um mir nicht ins Gesicht zu lachen. Ha! ich weiß nicht, wo ich noch so viel kaltes Blut hernehme, mit Mäßigung davon zu sprechen.

Blum. Höre, Thal, mach mich nicht verdrüßlich.

Thal. Ei wirklich, das wäre ein großes Unglück.

[135] Blum. Ich habe viel Geduld mit den Schwächen meiner Freunde, man kann aber alles übertreiben.

Thal. Ich dispensire Dich von der Geduld.

Blum. Du setzest meine gute Laune auf eine harte Probe.

Thal. Du hast die meinige bereits erschöpft, und kurz, ich fodere Genugthuung.

Blum. Du scherzest.

Thal. Zum Teufel, nein!

Blum. Wir haben beide versprechen müssen, uns nicht zu schlagen.

Thal. Nicht um das Mädchen, von dem ist auch hier nicht die Rede.

Blum. Im Grunde doch wohl. Du brichst eine Ursach vom Zaune, weil Du verzweifelst, mich überlisten zu können.

[136] Thal. Ei wie der Herr Rittmeister in meiner Seele liest. Vermuthlich weißt Du auch, was ich jetzt denke?

Blum. Du denkest mit Gewalt zu erobern, was Deine Schlauheit nicht zu erlangen vermochte.

Thal. Nein, ich denke, daß der Herr Bruder große Lust hat, einem Zweikampfe auszuweichen.

Blum. Herr Bruder, das hat mir noch niemand sagen dürfen.

Thal. Das nimmt mich Wunder, denn ich sehe, daß man nichts dabei wagt.

Blum (zieht den Säbel). Donner und Wetter! wenn Du durchaus ein Thor seyn willst, so muß ich mich wohl drein finden.

Thal. Endlich erwacht der militairische Geist.

Blum. Nun er einmal erwacht ist, so bitte ich nicht länger zu zögern.

[137] Thal. Mein Degen gegen Deinen Säbel ist eine ungleiche Waffe.

Blum. Suchst Du Vorwand einzulenken?

Thal. Ich schlage mich nur auf Pistolen.

Blum. Hast Du vergessen, daß ich meine Pistolen zum Schwertfeger geschickt habe?

Thal. Es steht Dir eine von den meinigen zu Diensten. (er zieht ein Paar Pistolen hervor.)

Blum (steckt den Säbel ein). Auch das, ich bins zufrieden.

Thal. Mein Pferd steht gesattelt. Wer von uns beiden das Glück hat, den andern zu Boden zu strecken, der schwingt sich darauf und rettet sich so gut er kann.

Blum. Es ist albern, daß ich mich mit Dir herum schieße, aber Du hast es so gewollt.

[138] Thal (reicht ihm die Pistolen). Wähle.

Blum (ergreift eine derselben). Gleich viel.

Thal. Acht Schritt?

Blum. Nach Belieben.

Thal (mißt ab). Wo willst Du stehen? hier oder dort?

Blum. Einerlei. (er stellt sich.)

Thal. Nun so schieß.

Blum. Du hältst Dich für beleidigt, schieß Du zuerst.

Thal. Wohlan. (Er zielt lange und schießt.)

Blum. Du hast gefehlt.

Thal. Das seh’ ich.

[139] Blum. Jetzt ist die Reihe an mir.

Thal. Das weiß ich.

Blum. Ich schieße meine Pistole in die Luft.

Thal. So laden wir aufs neue.

Blum. Bist Du ganz verblendet?

Thal. Ich muß Blut sehn.

Blum. Nun so geh zum Teufel! (er schießt.)

Thal (schreit ha! stürzt nieder, wälzt sich, und bedeckt die Brust mit seiner Hand).

Blum (eilt zu ihm). Um Gottes willen!

Thal. Mitten in die Brust.

Blum. Verdammte Hitze!

[140] Thal. Flieh! flieh!

Blum. Vergib mir, Bruder!

Thal. Ich allein bin Schuld.

Blum. Ja, weiß Gott!

Thal. Eile – mein Pferd – an jenen Baum gebunden –

Blum. Er stirbt. ich Unglücklicher! ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. (Er rennt fort.)


Drei und zwanzigste Scene.
Der Baron. Wilhelmine. Thal.

Baron. Was bedeutet das Schießen vor meiner Hausthür?

Wilhelmine. Mir ahndet ein Unglück.

Baron. Ich will nicht hoffen –

[141] Wilhelmine. Ach, mein Vater! da liegt der Hauptmann.

Baron. Todt?

Thal (lachend). Mausetodt. (Er richtet den Kopf ein wenig auf.)

Baron. Was ist geschehen?

Thal. Stille, stille, seyn Sie ruhig, ich befinde mich ganz wohl.

Wilhelmine. Wie Sie mich erschreckt haben!

Thal. Ich werde Sie nachher um Verzeihung bitten. Jetzt sagen Sie mir vor allen Dingen, ist der Rittmeister noch zu sehen?

Baron. Der sprengte fort wie ein Rasender.

Thal (springt auf). Victoria!

Wilhelmine. Erklären Sie mir –

[142] Thal. Er glaubt, er habe mich todt geschossen.

Baron. Ein Zweikampf?

Thal. Pro forma. Ich machte ihm eine querelle allemande. Ich wußte, daß er seine Pistolen nicht bei der Hand hatte, die meinigen waren blind geladen. Er flieht. Er ist nun schon über Ihre Gränze. Ich habe den Preis gewonnen.

Baron. Verdammter Schlaukopf!

Thal. Halten Sie Wort, mein Fräulein.

Wilhelmine. Ich muß wohl, obschon diese List mich ahnen läßt, was mir im Ehestande bevorsteht.

Thal. Nur die Liebe machte mich schlau.

Baron. Aber wir müssen dem armen Teufel doch nachschicken?

Thal. O er kommt noch früh genug zur Hochzeit.




(Mit Leipziger Universität-Censur).