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Artikel „Loewe, Karl“ von Max Runze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 300–311, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:L%C3%B6we,_Karl&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 11:36 Uhr UTC)
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Loewe: Johann Karl Gottfried L., der durch seine Balladen berühmt gewordene Componist, wurde, unter 12 Geschwistern der Jüngste, geboren am 30. Novbr. 1796 zu Löbejün, einem Städtchen zwischen Halle und Köthen. Er entstammte einem alten Pastorengeschlecht; – nur sein Vater Andreas Löwe hatte, um nicht nach damaliger Art lange Jahre auf eine endlich erledigte Pfarrstelle warten zu müssen, die Prima der lutherischen Schule in Halle verlassen, und bekleidete zu Löbejün das Amt eines Kantors und Organisten. Dieser, musikalisch bedeutend, von wissenschaftlicher Bildung, dabei ausgezeichnet durch Ernst und Pflichttreue, gab dem talentvollen Knaben selbst den ersten Unterricht in Musik und den Elementen der Wissenschaft. Im Verein mit seiner Gattin Marie, geb. Leopold, ließ er dem Knaben eine musterhafte Erziehung angedeihen und pflegte in der jungen Seele desselben ebenso sehr festen moralischen Sinn wie kindlich frommen Glauben. Neben der geistigen Ausbildung wurde seine Aufmerksamkeit in ungewöhnlicher Weise dem praktischen Leben zugewandt. Die Musik aber wurde in dem Grade geübt, daß der Notenschatz des Hauses bald erschöpft war. Weder die Anfangsgründe noch größere Sachen bereiteten L. irgendwelche Schwierigkeit. Er erzählte selbst: „Als ich zum Bewußtsein kam, spielte ich Clavier und Orgel und sang vom Blatte weg, ohne daß ich mich erinnern könnte, die Elemente auch nur mit einer Anstrengung gelernt zu haben.“ Als Sänger avancirte er bei den Passionsaufführungen bald zum Solodiscantisten. Den Jahrgang der Kirchenmusiken wußte er bald auswendig und solfeggirte mit dem Vater alle Primo- und Sekondo-Violinstimmen um die Wette durch. Die Choräle konnte er schon lange singen und spielen, und die Türk’schen Handstücke sang er ebenso fließend wie die Violinstimme mit. Bald ließ er zur Ueberraschung der Eltern in den Prä- und Postludien seiner Phantasie freien Lauf. Daneben genoß der Knabe der größten Freiheit, die er benutzte, um in den heimathlichen Fluren seinen schon früh und stark entwickelten Sinn für die Natur und das Romantische zu nähren. Vor Allem beschäftigte seine Phantasie damals das Kohlenbergwerk bei Löbejün, es erschien ihm als Vermittelung für das Leben der Geisterwelt. So trieb er sich in den Schachten der Bergleute, in den Kalköfen, und wieder auf dem Kirchthurm und unter dem Kirchendach umher, überall um sich her das Wirken und Weben der Naturkräfte fühlend; Nachts litt er oft an Gespensterfurcht; in den Feldern und im Freien [301] war ihm am wohlsten. In den Wäldern suchte er Maikäfer (diese pflegte er noch später zu lieben; vgl. auch sein herrliches Fabellied „Der Maikäfer“, op. 64 1.), pflückte seiner Mutter duftende Maiglöckchen, sammelte Heidelbeeren in einem Töpfchen, pflückte sich Nüsse frisch vom Strauch und kam dann mit Schätzen der Natur beladen nach Hause. Ganz besonders aber, erzählt er, „beschäftigte mich das lustige Volk der Vögel, und es machte mir Vergnügen, jeden Bewohner der Zweige an dem ihm eigenthümlichen Gezwitscher und Gesang zu erkennen … Besonders dem Rothkehlchen stellte ich gerne nach, überall hatte ich Sprenkel, und der Stand eines Hirsches, die Hirschtränke genannt, blieb mir nicht unbekannt. Wie lebhaft habe ich mich später dieser Zeit erinnert, als ich meinen Heinrich der Vogler componirte“. Im Winter aber wurde sein romantischer Sinn besonders durch die Märchen und poetischen Erzählungen seiner phantasievollen Mutter geweckt, „wunderschöne Erinnerungen aus ihren Jugendjahren, alte längst verklungene Geschichten“, die später noch immer wie seltsame Märchen vor seiner Seele standen. Besonders, wenn sie einen schönen wunderbaren Traum geträumt, wußte sie ihn dem Knaben so deutlich zu erzählen, als hätte er ihn selbst geträumt. „Meine Augen streiften dann oft aus den Fenstern unserer Wohnstube, die auf einen alten verfallenen Kirchhof hinausgingen, über dessen zerfallene Hügel und morsche Kreuze hinaus und gruben sich in das dunkle Laub der alten Linden ein, die ihn in ein so tiefes Dunkel einhüllten. Die Traumgestalten der Mutter schienen sich im Mondenschein auf diesen Hügeln zu beleben. Sie wandten sich mir zu, und halb ängstlich, halb begehrend, suchte ich sie in mir festzuhalten. Wenn so die Mutter endlich still geworden war und ich mich fester an ihre Kniee drückte, dann pflegte ich auch zu bitten: „Mama, nun spiele noch etwas“; dann nahm sie lächelnd die Violine und spielte auf ihr die schönsten Melodien. Ach wie diese Melodien sich mir außen im Mondenschein belebten. Nie hatte sie Unterricht im Violinspiel gehabt, doch sang ihr Ton mir so tief in das Herz hinein!“ Auch seine Geschwister regten ihn merkwürdig an, namentlich eine Schwester durch Vorträge der damals ganz neuen Bürger’schen Balladen, eine andere durch improvisirte begeisterte religiöse Reden. Der älteste Bruder, Theologe und hochbegabt, hatte, als Hauslehrer bei Righini, die Gesangsmethode desselben sich gründlich angeeignet und nahm den Bruder tüchtig in die Schule des italienischen Gesanges. Doch blieb der Knabe der ernsteren Musik zugewendet; der Theatermusik möglichst fern zu bleiben, bat ihn der Vater stets aufs Eindringlichste. Der Choral und das Volkslied waren und blieben für die Loewe’sche Musik der Grundton.

Im J. 1807 – die Tage von Jena hatten schwer über den Bewohnern gelastet – ward der 10jährige Knabe als Solist für den Köthener Gesangchor angeworben; seitdem bedurfte der Knabe der elterlichen Mittel nicht, auch nicht für Schule und Gesangunterricht. Wichtiger für ihn sollte seine baldige Uebersiedelung nach Halle werden. Bei seiner Aufnahme in die Francke’sche Stiftung gab eine Probe beim Universitäts-Musikdirector Türk den Ausschlag. So lernte der Meister des Schülers musikalisches Talent kennen. Mit Leichtigkeit sang L. Alles, was Türk ihm vorlegte. Der Meister nahm sich in der Folge des Knaben mit besonderem Eifer an, der bald dessen Lieblingsschüler wurde und somit das rastlose musikalische Streben desselben aus erster Hand durchlebte. Mit dem sorgfältigsten Unterricht in der Gesangskunst und in der theoretischen Musik ging die Praxis stets Hand in Hand. In Türk’s zahlreichen Concerten – den einzigen, die damals in Halle zu hören waren – glänzte L. bald als der gefeiertste Sopranist, ja von seinen damaligen Leistungen in Concert und Kirche sprachen, wie Keferstein erzählt, noch lange nachher sachverständige Männer stets mit dem wärmsten Lobe. Hauptpartien sang er in allen Mozart’schen Opern, Opern [302] von Naumann, Himmel und Reichardt. Auch waren die Oratoriencomponisten Händel, Haydn, Graun, Winter in Uebung. In den Abonnementsconcerten dirigirte Türk Symphonien (auch von dem damals noch jungen Beethoven) und Clavierconcerte. In der Kirche wurden neben Seb. Bach, E. Bach, Doles und Hiller auch 20 Cantaten von Türk gesungen. L. sang damals viel mit einem Altisten Kögel im Duett, so daß beide besondere Beachtung von C. M. von Weber erfuhren. L. erregte größeres Aufsehen; Madame de Staël und König Jerôme widmeten ihm ihr Interesse. Letzterer bewilligte ihm aus den Mitteln des Staats 300 Thlr. jährlicher Unterstützung zur Vollendung seiner musikalischen Ausbildung. L., 15 Jahre alt, zog zu Türk ins Haus, der ihn durch einen strengeren Cursus der höheren theoretischen Musik führte. Bis Ende des Jahres 1813 erhielt er so von Türk täglich mehrere Lectionen in Theorie und Comsposition. Neben eigenen Werken legte Türk dem Unterricht Werke von Kirnberger, Forkel, Marpurg, Chladni zu Grunde. In der Composition hat L. sich dem Lehrer gegenüber volle Selbständigkeit gewahrt; eine Romanze „Chlotar“ von Kind, sowie einiges im liturgischen Stile, wurde damals (1813) gedruckt. Jahre vorher hatte er schon Compositionsversuche gemacht. Keferstein erzählt: „Die ersten Compositionen des Zöglings, die allerdings wohl etwas wildromantischer Natur gewesen sein mögen, strafte der joviale Lehrer mit unmäßigem Gelächter. Die kräftige Natur des Schülers bäumte sich dagegen auf, und so geschah es denn wohl manchmal, daß der alte, damals ohnehin vorzugsweise mit rein wissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigte, Meister den jungen musikalischen Wildfang fortjagte, um – ihn nach ein paar Tagen wiederkommen zu lassen.“

Während L. sich in lebhafter Arbeit und mit dem besten Erfolge in seine Kunststudien vertiefte, begann 1812 der Sturm der deutschen Befreiungskriege. L., damals von nicht gerade kleinem aber sehr zartem Körperbau, bemühte sich vergebens, für die freie Sache sich anwerben zu lassen. Dies, die Drangsale des Krieges und der 1814 erfolgende, ihn empfindlich treffende Tod Türk’s veranlaßten ihn, mit Ernst nun der wissenschaftlichen Vorbildung vollkommen zu genügen. Er erhielt das Maturitätszeugniß und bezog Michalis 1817 die Universität Halle, um Theologie zu studiren. Keferstein erzählt: „Hier traf Ref. in den theologischen und philosophischen Collegien eines Knapp, Niemeyer, Gesenius, Maaß, Gruber u. A. täglich und stündlich mit ihm zusammen, und diesen abermals eifrig betriebenen wissenschaftlichen Studien haben wir unstreitig die Tiefe und Wahrheit zu verdanken, mit welcher L. späterhin in den hebräischen Gesängen und in den Vokal-Oratorien das alt- und neutestamentliche Leben ergriffen und musikalisch geschildert hat. L. gewann dabei überhaupt jene höhere, allgemein wissenschaftliche Bildung, welche sich im Geiste seiner Compositionen und sonstigen Leistungen vielfach zu erkennen giebt, und ohne welche in unserer Zeit nicht leicht ein Künstler sich geltend zu machen vermag.“ Gegen Ende des akademischen Trienniums predigte L. öfter und mit Beifall; aber auch in der Musik vervollkommnete er sich in dieser Zeit außerordentlich. Besonders betrieb er damals das Studium Mozart’scher, Dussek’scher, Beethoven’scher Werke im Clavierspiel Und nahm an den Uebungen der unter Maaß und Naue bestehenden Singakademie Theil. Auch gab er viel Musikunterricht. Als Tenorist belebte er einen Musikverein, in welchem die damals beliebtesten Opern mit Pianofortebegleitung von einem Kreise ausgewählter Sänger und Sängerinnen aufgeführt wurden. Auch componirte L. damals seine ersten klassischen Balladen, so vor allen „Wallhaide“, die er 1817 auf einer Fußreise zur Universität im Thüringerwalde concipirte, in einem Pfarrhause daselbst improvisirte und später aufschrieb. „Edward“, „Erlkönig“, „Treuröschen“ folgten 1818, nicht ohne daß seine Gefühle zu der talentvollen und hochgebildeten Julie v. Jakob, Tochter [303] des Curators der Universität, Staatsraths v. Jakob, ausgezeichnet auch durch seine staatswissenschaftlichen und philosophischen Werke, die Schöpfung derselben beeinflußten. Auch „Elvershöh“ entstand so. Würdige Studienfreunde verherrlichten diese übrigens für L. an romantischen Verwickelungen reiche Studentenzeit, wie Referendarius A. B. Marx, Oehlschläger, Naumburg, Bergner, Keferstein. Letzterer, welcher in jenem Privatverein in dem kunstsinnigen v. Jakob’schen Hause die Pianofortebegleitung zu besorgen hatte, erzählt 1840, daß er „noch immer mit Vergnügen an die Erscheinung eines jungen blonden Mannes im allerschlichtesten Soldatencostüm zurückdenke, der, zumal wenn er die damals geschriebenen Balladen vortrug, Alles mit sich fortriß“. „Das war unser Künstler, dessen Genius damals in hellaufleuchtenden Blitzen immer reicher und kräftiger hervortrat, und der als Student zugleich seinen Dienstcursus als preußischer Freiwilliger machte, als welcher er jedoch wegen Einrichtung und Leitung eines Sängerchors beim Regimente vom beschwerlichen Dienste dispensirt wurde, und beiläufig den ersten Grund zu seiner später bewährten Routine in Benützung größerer Männerchöre legte.“ In jenem Kränzchen erregte L., vorzüglich auch durch seinen unübertrefflich runden und gewandten prima vista Vortrag der schwierigsten Arien mit eigenem Accompagnement die Bewunderung der auszgezeichnetsten Musikfreunde, wie eines Niewandt und Maaß, vor allem des Baron von Lehmann, der L. wie ein Mäcen protegirte; – hier gewann sich L. auch das Herz der erwähnten Julie v. Jakob, mit der er sich nunmehr verlobte. „Nie“, berichtet Keferstein, „habe er späterhin Mozart’sche und andere Duette mit wärmerem Ausdrucke vortragen gehört, als von diesem in der begeisterungsvollsten Jugendliebe vereinigten Paare.“ Händel, Haydn, Mozart’s Requiem, die Opern von Gluck und Spontini wurden außerdem in einem Marx’schen Quartettzirkel geübt. Im Winter 1819–20 besuchte L. seine damals in Dresden weilende Braut, erneuerte die Bekanntschaft mit Weber, der ihm in hohem Maße Wohlwollen und dauernde Freundschaft entgegenbrachte. Auch Tieck und Kind lernte er hier kennen. Ende Sommers 1820 reiste er nach Weimar, wo er bei Hummel für sein Clavierspiel profitirte, und nach Jena. Hier erhielt er Zutritt zu Goethe, der sich mit L. eingehend über das Wesen der Ballade, und zwar unter vollkommener Uebereinstimmung der Auffassungen, unterhielt, und eine Sammlung von L. componirter Balladen und Lieder mit Interesse entgegennahm. Gegen Ende des Jahres 1820 folgte L. einem Rufe nach Stettin, wo er dauernd seine neue Heimath fand. Werfen wir hier einen ergänzenden Rückblick auf seinen Bildungsgang, so ist zu bemerken, daß an musikalischen Autoritäten sein Lehrer Türk und neben den ältern Classikern und Mozart, Beethoven, Weber besonders Zumsteeg für sein eigenthümliches Kunststreben von maßgebendem Einfluß war.

Bei aller Festigkeit und Abgeschlossenheit seines inneren Wesens und Lebens bewahrte er sich für sein ganzes Leben eine gewisse herzige und natürliche Naivetät. Mittlerweile war er bewandert in den meisten Lebensformen; nicht nur die Musik, sondern auch die Kunst des Schwimmens (– er rettete u. A. zweimal Ertrinkende vom Tode), des Fechtens, des Schießens und Jagens war ihm ungemein geläufig. Heimisch war er dabei in fast allen Wissenschaften, neben der Theologie namentlich in der Philologie, Philosophie, Erd- und Völkerkunde, welches alles seinen Arbeiten sehr zu statten kam, und treffend erscheint es von O. Gumprecht bemerkt: „Heimisch ist seine Phantasie in allen Zonen. Sie jagt um die Wette mit Wind und Wolken über die nordische Haide und schwelgt trunken in der glühenden Farbenpracht des Südens. Wohl ergötzt sie sich gelegentlich an dem lauten Gewühl der Gassen und Märkte, aber am meisten zieht es sie doch ins Freie und Weite. Vertraut sind ihr [304] sämmtliche Stimmen der Natur, das Leben und Weben des Waldes und der Flur, das Brausen des Sturmes, der Gesang der Wellen.“

Ueber Berlin, wo er sich noch einer scharfen Prüfung bei Zelter unterwerfen mußte, ging er dann nach Stettin. Hier mußte er zuerst seine philologische Prüfung mündlich und schriftlich ablegen und erhielt eine Anstellung als Lehrer am dortigen alten Gymnasium; hauptsächlich hatte er in der Musik, daneben in der Naturgeschichte zu unterrichten. Er arbeitete für das Gymnasium eine Gesanglehre –, für das pommersche Lehrerseminar, in welchem ihm der musikalische Unterricht gleichfalls übertragen ward, eine Clavier- und Generalbaßschule aus (beide erschienen bald und erlebten mehrere Auflagen), und interimistisch verwaltetete er das Cantorat an St. Jacobi. Da er seine theologische Laufbahn nicht aufgegeben hatte, so studirte er fleißig weiter Theologie und predigte auch gelegentlich. Besonders befreundet ward er in Stettin mit dem berühmten Physiker und Mathematiker Graßmann (s. Bd. IX, S. 598) und mit dessen berühmtem Sohne Hermann Günther (l. c. S. 595), die, beide selbst musikalisch, L. für seine akustischen Studien sehr hülfreich waren. Durch Loewe’s Tüchtigkeit bewogen, begründeten im J. 1821 die königlichen und städtischen Behörden daselbst die amtliche Funktion eines Musikdirectors für Stettin, und L. ward dazu erwählt. „Ich übernahm mit diesem Amte das Orgelspiel und die musikalische Leitung des Gottesdienstes in der Jakobikirche (Stettins Hauptkirche), sowie die Aufführung von Kirchenmusiken an allen hohen Festtagen, ferner den musikalischen Unterricht am Gymnasium und Seminar zu wöchentlich 18 Stunden und bezog dafür einen Gehalt von 850 Thlrn. Im Jahre 1850 erhielt ich dazu noch die durch den Tod des Cantor Liebert erledigte Stelle für den Kirchendienst an den Wochentagen, wodurch mein Gehalt um 300 Thlr. erhöht wurde“. Dazu mußte sich L. verpflichten, nie für das Stettiner Theater zu arbeiten. Neben der Familie Graßmann ward ihm besonders das Haus der kunstsinnigen und geistvollen Geheimräthin Tilebein und dann der anregende Umgang mit Ludw. Giesebrecht (Bd. IX, S. 159) von Werth. In seinem Amte „wirkte er nun mit aller Energie eines Feuergeistes auf die Verbesserung des städtisches Musikwesens, vorzüglich durch Begründung eines Gesangvereins, machte sich durch Bildung tüchtiger Schüler im Seminar um die ganze Provinz hochverdient, und begann zugleich eine Reihe von Werken herauszugeben, durch welche bald sein Ruf auch im Auslande mehr und mehr verbreitet wurde“ (Kfrst.). Am 7. Septbr. 1821 vermählte er sich mit Julie v. Jakob; doch schon nach 11/2 Jahren wurde das wonnige Glück auf erschütternde Weise durch den Tod der Gattin zerstört. Aus der düsteren Stimmung, die ihn damals beherrschte, flossen mehrere Balladen, z. B. „Der Wirthin Töchterlein“ und die „Hebräischen Gesänge“. 1824 ward L. von der königl. Regierung nach Berlin gesandt, um dort Logier’s Methode kennen zu lernen; vom Minister Altenstein wurde er über die Anwendbarkeit der Methode officiell befragt. Zurückgekehrt nach Stettin gab er die ersten Hefte seiner Balladen (die abschriftlich schon weit verbreitet waren) bei Schlesinger heraus. Die trübe Zeit gewann für ihn erst ein Ende, als er sich mit der edeln und schönen, als Malerin und Sängerin hervorragenden Auguste Lange vermählte. Sie ward ihm eine musterhafte Hausfrau und ebnete ihm fortan den Weg auch für seinen Künstlergang. Bei den kirchlichen Aufführungen, zumal an den Hauptfesten, wurden zunächst geistliche Stücke von Mozart, Händel, J. A. P. Schulz gegeben. Bald konnte er sie mit seinen eigenen, zu diesem Zwecke geschriebenen, Cantaten wechseln lassen. So entstand allmählig (von 1824–36) das kirchliche Oratorium „Die Festzeiten“, eines seiner vorzüglichsten Werke. 1825 componirte L. eine Oper „Rudolf der deutsche Herr“, die, zwar von Marx, Tschoppe, Spontini, dem [305] Fürsten Radziwill u. A. sehr gelobt, dennoch – vielleicht war der Text schuld – von der königl. Bühne zu Berlin abgelehnt wurde. Bald darauf wurde das große Oratorium „Die Zerstörung Jerusalems“, Text von G. Nicolai, fertig gestellt, welches 1830 bei den Aufführungen in Stettin, Berlin, Lübeck u. a. O. großen Beifall fand und vom König von Preußen durch ein kostbares Ehrengeschenk ausgezeichnet ward. Inzwischen wurde der Kronprinz von Preußen, Friedrich Wilhelm, auf L. aufmerksam und ward mit Veranlassung, daß L. sich für das Gebiet des Oratoriums eine ganz specifische Aufgabe stellte. In Betreff des Textes besprach er sich mit seinem Freunde Giesebrecht, und es entstanden die „Siebenschläfer“, die allenthalben Beifall gewannen. L. unterschied fortan zwischen dem geistlichen und dem eigentlichen „Oratorium“ und war überzeugt, für seine Art des Oratoriums das historische Recht für sich zu haben. In dem Sinne folgten noch bis 1849[1] „Palestrina“, „Meister von Avis“, „Guttenberg“, die in Stettin, Berlin und weiterhin aufgeführt, reiches Lob ernteten. In den Aufführungen zu Stettin glänzten als erste Solisten L. selbst und seine Gattin. Händel und Bach wurden darüber nicht vergessen. Im Auftrage des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der Loewe’s Musik ganz besonders lieb gewonnen, mußte L. später noch schreiben das Oratorium „Polus von Atella“, Text von Giesebrecht; außerdem die Cantate „Die Hochzeit der Thetis“; 5 horazische Oden, die große (ausgezeichnete) Ballade „Des Bettlers Tochter“ und den „Sturm von Alhama“. Eben in der Ballade selbst hatte L. inzwischen sich zu einem großen Meister durchgebildet. Auf das erste Heft war bald das zweite und dritte gefolgt mit „Herr Oluf“, Alexis’ „Walpurgisnacht“, „Der Abschied“, „Die 3 Lieder“, dann „Die Spreenorne“ und „Der späte Gast“, ersteres von Marx enthusiastisch gerühmt. Seine Schwägerin Talvj dichtete ihm nach dem Altschottischen „Der Mutter Geist“ (Lieblingsballade Richard Wagner’s). Es folgte in op. 8 „Goldschmieds Töchterlein“ und op. 17 „Der Gang nach dem Eisenhammer“. Aber auch in der Instrumentalmusik that sich L. rühmlich hervor; bis 1830 erschienen u. A. „Abendphantasie“, „Groß. Trio für Pianoforte, Violine und Cello“ (von Fink z. Th. als vorzüglichste instrumentalische Leistung der neueren Zeit gerühmt), gr. Sonate in E-dur, gr. Duo für Pian. und 4 Streichquartette. 1834 erschienen 2 Sonaten, deren eine, in F-moll, Schumann, der sie eingehend bespricht, an Beethoven’s Sonaten zu reihen geneigt ist.

Besonders fruchtbar wirkte L. in der Zeit von 1830–40. Schon im J. 1826 hatte er Reisen nach Berlin, Halle etc. unternommen, die ihm wichtige persönliche Bekanntschaften zuführten. 1830–32 wiederholte er dieselben und gewann die dauernde Freundschaft eines Spontini, Fürsten Radziwill, v. Redern, Raupach. In Privatkreisen, zumal der genannten Persönlichkeiten, rief er durch seine Balladenvorträge die höchste Sensation hervor. Am 31. März gab er in Berlin ein Concert. Neben einigen Balladen erhielten die Rudolf-Ouverture und sein A-dur-Concert für Pianoforte mit Orchester (beides unveröffentlicht) lebhaftesten Applaus. Zur Improvisation übersandte ihm Fürst Radziwill Goethe’s „Zauberlehrling“. Die Improvisation gelang vorzüglich, und unendlicher Beifall ward dem genialen Künstler zu Theil. Musterhaft ward dann sein „Gang nach dem Eisenhammer“ vom Orchester executirt. 1832 wohnte L. in Berlin der Aufführung der „Zerstörung Jerusalems“ bei, die, von Spontini dirigirt, ihm allerseits großen Ruhm einbrachte. Auch für Stettin sorgte L. damals durch tüchtige Concerte, in denen er u. A. Schneider’s „Weltgericht“ und Beethoven’s Pastoral-Symphonie aufführte; außerdem machte er die Stettiner bekannt mit Werken von Bach, Spontini, Kalliwoda, Klein u. A., wie es überhaupt sein Princip war, möglichst die Compositionen der früheren und gegenwärtigen Meister [306] dem Publikum entgegen zu bringen. An größeren Werken vollendete L. 1833 Ouverture und Chöre zu Raupach’s Schauspiel „Das Märchen im Traum“, welches in Berlin, und die Oper „Malekadhel“, die im Stettiner Concert mit größtem Erfolg gegeben ward. Gleichen Erfolg hatte die Goethe’sche, Spontini gewidmete, „Walpurgisnacht“ mit Orchester. Außerdem erschien eine große Anzahl von Liedern (vgl. op. 9), Gesänge für 4 Männerstimmen und die herrlichen 10 geistlichen Gesänge (op. 22), die Balladen: das Hochzeitlied, der Zauberlehrling, die wandelnde Glocke, die Gruft der Liebenden, die nächtliche Heerschau, die Braut von Corinth (dem Fürsten A. Radziwill gewidmet), sodann „Bilder des Orients“ und „Stimmen der Elfen“ (3 Duettinen).

In Folge angestrengter Arbeit war L. 1833 leidend und ward ihm das Componiren vom Arzte untersagt. Er vermochte indes nicht geistig unthätig zu sein, studirte den zweiten Theil von Goethe’s „Faust“ und verfaßte einen Commentar dazu, der von Logier in Verlag genommen ward. Loewe’s Tagebuch von 1833 verzeichnet ferner die Composition von Raupach’s Märchen „Die drei Wünsche“ und der Oper „Die Neckereien“. Nach Berlin zog ihn darauf die Aufführung der „Siebenschläfer“. Nicht den durchschlagenden Erfolg derselben scheinen 1834 „Die drei Wünsche“ erzielt zu haben, obgleich die Oper vom Hofe und von Kennern anerkannt ward. Bei einem Hoffest wurde dann die große Ballade „Des Bettlers Tochter“ mit lebenden Bildern aufgeführt, wofür der Kronprinz eine goldene Medaille für L. prägen ließ. Aehnlich belohnte ihn die Großherzogin von Weimar für die derselben dedicirte G-moll-Sonate. Zu Raupach’s antiker Tragödie Themisto schrieb L. eine classische Chormusik. 1835 führte ihn die Ferienreise über Berlin hinaus nach Dresden und Leipzig, wo seine Balladenvorträge ihm die genaue Bekanntschaft und dauernde Anerkennung u. A. Reissiger’s, der Cl. Wieck und R. Schumann’s gewannen. Von letzterem war L. sehr eingenommen. Weiter rief ein großes Musikfest L. nach Mainz, wo seine „eherne Schlange“ von 700 Sängern mit mächtigem Erfolge wiederholt aufgeführt wurde. „Man betet die Musik der ehernen Schlange hier beinahe an und weiß den Chören ein ungeheures Feuer und Leben mitzutheilen“. L. wurde von der Mainzer Liedertafel zum Ehrenmitgliede ernannt. Aehnlichen Erfolg hatte 1836 sein zweites Vocaloratorium für Männerchor „Die Apostel von Philippi“, namentlich in Jena, wo wieder L. selbst dirigirte. „Nach wohlgelungener Aufführung wurde dies allgemein als das größte und erhabenste aller bisher für Männerstimmen erschienenen Werke anerkannt und schlug beim Publicum auch den letzten Zweifel an der Statthaftigkeit dieser neuen Gattung von Oratorien zu Boden“ (Kfst.). Für die Einweihung der Gutenberg-Statue in Mainz ward L. von dort mit der Composition eines Festoratoriums beauftragt; so entstand „Gutenberg“, 1837 in Mainz, Leipzig u. a. O. mit abermaligem großem Erfolge gegeben. Außer den beiden Vocaloratorien für Männerstimmen waren von L. zwischen 1830–40 vornehmlich erschienen: 6 Hefte Legenden (13 and. Z.), von denen „Jungfrau Lorenz“, „Des frommen Kindes Christ“, „Milchmädchen“, „St. Mariens Ritter“, „Muttergottesbild“, „Moosröslein“, „Paradies“, „Der große Christoph“ hohe Auszeichnung –, „Gregor auf dem Stein“ aber vielleicht vor allen seinen Werken den Preis verdient. Dazu kamen zwei Liederkreise in Balladenform: „Der Bergmann“ und „Esther“ (dies hochbedeutend); die Balladen: „Der Fischer“, „Der Räuber“, „Das braune Mädchen“, „Der Bettler“, „Der getreue Eckardt“, „Todtentanz“, „Harald“, „Mahadöh“, sechs polnische Balladen (z. B. „Die Lauer“ und „Die drei Budrisse“), „Heinrich der Vogler“, „Der Gesang“, „Urgroßvaters Gesellschaft“, Goethe’s „Paria“ (hochvollendet), „Wirkung in der Ferne“, „Sänger“, „Schatzgräber“, „Fridericus rex“, „Gen. Schwerin“, „Das vergessene Lied“, „Das Erkennen“, „Wittekind“, [307] „Die Glocken zu Speier“, „Landgraf Ludwig“, „Schwalbenmärchen“, „Edelfalk“, „Der Blumen Rache“, „Feuersgedanken“, „Kl. Haushalt“. Dann Lieder von Rückert, vier Fabellieder und „Frauenliebe“ (Liederkranz, in Schumann’s Zeitschrift als eine der köstlichsten Gaben der neueren Zeit gerühmt).

Aus den 40er Jahren sind noch zwei größere Reisen Loewe’s zu erwähnen: 1844 nach Wien, wo er enthusiastisch aufgenommen wurde, und in der Goethe’schen Familie (Walther v. Goethe, ein großer Bewunderer Loewe’s, war zugleich dessen Schüler gewesen), den Kreisen u. A. eines Fischhof, Vesque, Fürsten Schwarzenberg, Tschabuschnigg, Vogl verkehrte und mit seinen Balladen („Erlkönig“, „Mohrenfürst“) ungewohnten Beifall erzielte; – und 1847 nach London, wo er schließlich vor der königlichen Familie seine Triumphe errang, zumal mit dem Vortrage seines „Erlkönig“, „Heinrich“, „Hochzeitlied“, „Abschied“, „Prinz Eugen“, „Heerschau“, – so, daß z. B. der Prinz Gemahl ihm eigenhändig die Noten umgewendet. Leider riefen L. nach Ablauf der Ferien stets die Pflichten zu bald in die Heimath zurück, und als besonderes Mißgeschick ist der Umstand zu bezeichnen, daß an den meisten Orten, die er besuchte, die höheren kunstverständigen Personen auf Reisen oder im Sommeraufenthalt sich befanden. Loewe’s fernere Reisen beschränkten sich meist auf die nahen Ostseebäder. Als im J. 1851 seine geliebte und talentvolle Tochter Adele plötzlich gestorben war, nahm er die Einladung zu einer Reise nach Norwegen dankbar an, um seine vom Kummer ernstlich angegriffene Gesundheit zu stärken. Damals componirte er die Ballade „Meister Oluf der Schmied auf Helgoland“ und legte in die Töne, was ihn in Norwegen so wunderbar angehaucht und gehoben hatte.

Schon 1842 hatte L. wieder ein Oratorium „Johann Huß“ (Text von Zeune) gefertigt, das sich allenthalben Beifall errang und von vielen heute noch als Loewe’s bedeutendstes Oratorium angesehen wird. Andere Oratorien, nach A. Telschow’s Text, „Hiob“, „Das Sühnopfer“, „Das hohe Lied“, entstanden zwischen 1848–55. In der letzten Zeit seines Schaffens hat L. noch drei kleinere Vocaloratorien mit Orgelbegleitung vollendet: „Die Heilung des Blindgeborenen“, „Johannes der Täufer“, „Lazarus“, zu denen er sich den Text aus den Evangelien selbst zusammenstellte. Unter seinen Opern schien ihm „Emmy“ in Stoff und Musik die vorzüglichste zu sein, die er, obgleich sie das hohe Interesse Friedrich Wilhelms IV. gewann, vergebens im Berliner Opernhause zur Aufführung zu bringen versuchte. Das Oratorium „Der Segen von Assisi“ blieb unvollendet. Als letztes Lied componirte er 1864 das romantische Gedicht „Spirito santo“ von der Baronin v. d. Goltz; – nur kurze Zeit vor seinem Tode schrieb er noch das kleine Lied „Die Nacht am Rhein“. In der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1864 traf L. ein schwerer Schlaganfall; erst nach sechs Wochen wich der betäubende Schlaf von ihm. Wenn auch nicht ganz in alter Kraft, so vermochte er doch mit gewohnter Rührigkeit und Pflichttreue seines schweren Amtes wieder zu warten. Schreiber dieses erinnert sich mit Freuden der Zeit, da der alte Meister seine Orgel wieder rührte und ihr mit jugendlicher Kraft den zauberhaftesten Gesang entlockte. – Der 24. Febr. 1865 und 1866 war glücklich vorüber: da traf am 25. Febr. 1866 ein anderer nicht geahnter Schlag in Loewe’s stille Behausung. L. ward von der städtischen Behörde aufgefordert, seinen Abschied einzureichen. L., der sich wenigstens das Recht, zuweilen seine geliebte Orgel spielen zu dürfen, erkaufen wollte, wagte die Bitte, ihm einen von ihr selbst zu wählenden und von ihm zum Theil zu besoldenden Vertreter zu gewähren. Aber der Magistrat forderte, daß er seinen Abschied nehme. Die Familie siedelte nach Kiel über zu der ältesten Tochter, die, an den Capitän zur See v. Bothwell vermählt, dort lebte. Seitdem war Loewe’s Kraft wirklich gebrochen, – eine Orgel aber hat er nie wieder berührt. [308] Abends spielte er wol seinen Choral; die liebreiche Pflege der Seinen that ihm wohl; auch manch musischer Liebesgruß aus der Heimath, im Namen seiner Freunde von dem edelsten derselben, dem Prof. Calo, ihm bereitet, stimmte ihn fröhlich. Einige Tage vor seinem Tode, 1869, äußerte er zu seinem Begleiter: „Die Welt wird immer schöner, und ich“ – – ein schwerer Seufzer verschloß seine todesahnenden Gedanken. Das verklärende Gefühl der Gottesnähe ließ ihn fast mit jugendlicher Freudigkeit noch am 7. April zum Tische des Herrn treten. Am 20. April führte ihn ein zweitägiger Schlummer sanft in das Reich der reinen Geister über. Seine Gebeine liegen wenige Schritte vom ewigen Meer bestattet, sein Herz aber ruht bei seiner Orgel in St. Jacobi.

L. ist einer der begabtesten, geistig bedeutendsten und vielseitig gebildetsten unter den deutschen Tonkünstlern; er bewegte sich in allen Zweigen musikalischer Produktion. Er schuf fünf Opern. Von seinen 16 Oratorien sind acht[2] erschienen. Unter ihnen ist das geistliche Oratorium „Die Festzeiten“ von hoher classischer Vollendung, ohne daß es dabei der Vorzüge der meisten anderen seiner Oratorien entbehrte. Ein Werk von hervorragender Kraft und Schönheit sind die für die Geschichte des Männergesanges epochemachenden „Apostel von Philippi“. Daneben ist besonders bedeutend „Die Zerstörung von Jerusalem“ und von seinen specifischen Oratorien „Die Siebenschläfer“. Als musikalisch hochstehende Leistungen sind noch zu nennen „Der Meister von Avis“, „Palestrina“, „Gutenberg“ und „Huß“. „Das hohe Lied“ wird von der Familie des Componisten und von Kennern, wie E. Grell, besonders hoch gestellt. L. hat mehrere Cantaten und ausgeführtere dramatische Scenen für Solo und Chorgesang componirt, die Beachtung verdienten: „Isabella“, „Die Kaiserin“ (beide unedirt) und die „Hochzeit der Thetis“; außerdem ein sehr edel gehaltenes „Te deum“ und eine größere Menge von Psalmen, Festcantaten, Motetten, Oden, Hymnen, darunter das berühmte salvum fac regem. Im Instrumentalfach hat er gesetzt zwei Symphonien, zwei Clavierconcerte (diese vier unedirt), zwei große Duo für Piano und Violine (unedirt), großes Duo für Pianoforte, op. 18, ein Trio, vier Streichquartetts, fünf Sonaten, eine Reihe von Phantasien und Programmstücken für Pianoforte (zwei Alpenphantasien, Mazeppa, biblische Bilder, welche viel gerühmt sind, vier Phantasien op. 137 u. A.). Für die Orgel, die er selbst bezaubernd spielte, bietet er Nummern im „Musikalischen Gottesdienst“. – L. hat in seinen Gesangswerken, obgleich er ursprünglich seine Balladen für seinen eigenen enormen Stimmumfang geschrieben zu haben scheint, mit erstaunlichem Geschick die verschiedensten Stimmen bedacht: die Altstimme, Baß, Tenor, Baryton; überhaupt aber möchte es nicht leicht einen Componisten geben, der so gesanglich zu schreiben verstand wie L. – Auch sind von ihm erschienen mehrere Duette, Terzette und eine größere Zahl trefflicher Lieder für gemischten Chor, eine noch größere für vier Männerstimmen (für den Männergesang hat L. mit das beste geschaffen) und einzelnes für mehrere Frauenstimmen. Mehrere Lieder hat er für das Freimaurergesangbuch geschrieben. In allen möglichen Stimmungen bewegt sich L. mit unvergleichlicher Treue, – das tiefst Tragische und der feinste Humor ist stets von ihm mit treffendster Objectivität wiedergegeben. So sind auch mehrere vorzügliche Humoresken, Fabeln und Märchen von ihm verfaßt (z. B. Fabellieder op. 64, „Die Heinzelmännchen“ op. 83). Das Ausgezeichnetste sind seine Lieder, Legenden, Balladen. die in einer Anzahl von etwa 550 Nummern vorliegen (davon viele ungedruckt). Unter den ersteren sind hervorzuheben die hebräischen Lieder nach Byron, sodann die sämmtlichen Compositionen Goethe’scher Gedichte (meist in op. 9, z. B. „Meine Ruh ist hin“, „Ach neige, du Schmerzensreiche“, die Lynceuslieder, „Ich denke Dein“, „Mädchenwünsche“), ferner die Heine’schen Lieder (op. 9, Heft 7), Rückert’s Gedichte [309] (op. 62, z. B. „O süße Mutter“). Außerdem „Wie der Tag mir schleichet“, „Mondlicht“, „Alles in Dir“, die Lieder der Dilia Helena, „Gruß vom Meer“, „Wolkenbild“ und die fünf Lieder für Baß op. 145. An Legenden sind noch zu merken op. 75, 76 (das „Grab zu Ephesus“, der „Weichdorn“, „Franziscus“, „Das Wunder auf der Flucht“, „Die Einladung“, „Scholastica“) und op. 142 „Der Traum der Wittwe“. Unter den seit 1840 componirten Balladen sind classisch: Das Schifflein (ohne op.-Zahl), Prinz Eugen op. 92, Meerfahrt op. 93, Die Ueberfahrt und die schwarzen Augen op. 94, der Graf von Habsburg op. 98, Tod und Tödin op. 105, Die Reigerbaize op. 106, Hueska, der Schützling op. 108, Die verfallene Mühle op. 109, Der Mönch zu Pisa op. 114, Der gefangene Admiral op. 115, Die Dorfkirche, Der alte König und der Mummelsee op. 116, Die Begegnung am Meeresstrand op. 120, Kaiser Otto’s Weihnachtsfeier und Der Drachenfels op. 121, Landgraf Philipp op. 125, Archibald Douglas op. 128, Der Nöck, Der Teufel, Die Schwanenjungfrau op. 129, Der Afra op. 133, Agnete op. 134, Tom der Reimer und Nebo op. 135, Die Gottesmauer op. 140, Der seltene Beter op. 141. Hoch hervorragend endlich sind Der Mohrenfürst, drei Balladen, op. 97, Kaiser Karl V, vier Balladen, op. 99, Odhins Meeresritt op. 118, Kaiser Heinrichs IV. Waffenweihe op. 122, Der letzte Ritter, drei Balladen, op. 124.

Auch theoretische Arbeiten hat L. geschrieben, außer schon oben genannten Werken z. B. Clavier- und Generalbaßschule, und Fundamentalien der Tonkunst. Daneben war er litterarisch thätig, z. B. für Marx’ Zeitschrift und die „Caecilia“. Loewe’s künstlerische Vielseitigkeit zeigt sich besonders auch in der objectiven Behandlung der einzelnen Dichter und in der Individualisirung ihrer Dichtungen. Dichter, deren Texte er meisterlich bearbeitete, sind: Goethe, Uhland, Herder, Schiller, Byron, Körner, Kugler, Zedlitz, Alexis, Giesebrecht, Talvj, Platen, Rückert, Freiligrath, Grün, Schwab, Vogl, Chamisso, Kind, Raupach, Kopisch, Fontane. Dabei ist zu bemerken, daß L. selbst ausgezeichneter Sänger war und am genialsten improvisirend schuf. Keferstein urtheilt hierüber: „L. freilich singt mit seiner umfangreichen, zarten, überaus geschmeidigen und des tiefsten und mannigfaltigsten Ausdrucks fähigen Stimme fast alle seine Compositionen für Männerstimmen und namentlich die Balladen und Legenden ganz so, wie sie geschrieben sind und mit einem so trefflichen eigenen Accompagnement, daß Referent dem Gesammteffecte nicht leicht etwas gleich Eigenthümliches, wahrhaft zaubervoll auf das Gemüth des Hörers Einwirkendes an die Seite zu stellen wüßte. – Einige abweichende Urtheile vermag Referent, der L. zu verschiedenen Zeiten sehr oft gehört hat, nur aus einem gewissen gemächlichen Sichgehenlassen zu erklären, welchem unser Künstler beim unmittelbaren Vortrage eigener und fremder Compositionen schon als Student zuweilen gerade bei solchen Gelegenheiten sich hingeben mochte, bei welchen Andere die ganze Kraft aufbieten. Wer unsern Künstler nicht wiederholt in einem ihm ganz bekannten Locale und in seinen guten Stunden gehört hat, zumal beim Improvisiren vorgelegter Texte, worin sein Genius in voller Kraft sich geltend macht und seine Stimme in ihrer höchsten Energie hervortritt, der wird leicht über ihn ein ganz falsches Urtheil fällen“. – Als Familienvater und Bürger stand L. sein Lebtag gleich edel und vorbildlich da; mit treuester Liebe war er den Seinen ergeben und von ihnen zärtlich verehrt, obschon manche trübe Stunde sein wonnig-häusliches Glück störte (vgl. Biogr. S. 109 f.), und bei den Mitbürgern stand sein liebenswürdiger, gediegener und reiner Charakter in hohem Ansehen, Liebe und unbedingter Achtung. L. hat, wie das sein Leben zeigt, sehr viel für Stettin gethan, und der in der Provinz allmählig sich regende und wachsende Sinn für edle Musik ist fast ausschließlich ihm zu danken. Stettin zu Liebe hat er persönlich [310] so manchen Ruf nach außerhalb (z. B. nach Berlin) ausgeschlagen, da es doch keine Frage war und ihm selbst nicht verborgen blieb, daß er an einem Centralpunkt musikalischen Wirkens (Berlin, Dresden, Wien, Paris) ungleich fruchtbareren Boden für sein Talent gefunden hätte. Gebührender Dank für seine grundlegenden Leistungen scheint L., besonders in Stettin, nicht geworden zu sein, wie noch heute in Pommern, – bis auf seltene Ausnahmen, wie Stargard, Demmin – tiefes Stillschweigen über ihn beobachtet wird; ein Blick auf die Concertprogramme, z. B. von Stettin, genügt zum Beweise dessen – finden sich doch selbst untergeordneter Balladencomponisten Balladen dort weit häufiger vertreten, als des echten Meisters hochgeniale Werke. Dabei ist zu bedenken, daß L. vom Antritt seines verzweigten und schweren Amtes an 46 Jahre hindurch nur mit 850 Thlrn. honorirt blieb, daß zwar 1850 in Folge der Uebernahme noch eines anderen schweren Amtes das Gehalt auf 1150 Thlr. erhöht ward, ihm aber hiermit nur noch mehr alle freie Schaffenszeit verkürzt wurde und er sich überdies aus Rücksicht auf seine Familie gezwungen sah, für geringes Geld viele Privatstunden zu geben. Pommern, ganz Deutschland, hat L. gegenüber eine Schuld abzutragen. – Dagegen sehen wir, daß L. von den hervorragendsten Künstlern dauernd verehrt und hochgeschätzt ward, außer schon Genannten besonders von Grell und Richard Wagner. Friedrich Wilhelm IV. konnte seine Balladen von ihm selbst nicht oft genug hören, besonders die historischen (Karl IV., Kaiser Max, Kaiser Otto); L. mußte oft Tage, ja Wochen lang bei ihm weilen, um vor ihm zu singen. Die wissenschaftliche Welt ehrte ihn mit Ueberreichung des Ehrendiploms als Dr. philos. (Greifswald 1832). – L. ist vielleicht der patriotischste aller vaterländischen Componisten; abgesehen von seiner treuen Anhänglichkeit an das Hohenzollernhaus (persönlich sicherte er sich dabei volle Unabhängigkeit und schlug er auch mit aus dem Grunde Anerbietungen, an den Hof nach Berlin zu kommen, aus), sprechen dies auch zahlreiche Compositionen aus, z. B. Fridericus rex. – „Sieht man die fast zahllosen Loewe’schen Balladenhefte durch, so muß man über diese neue, ganz eigene Welt des Geistes, die sich hier öffnet – über diesen oft verschwenderischen Reichthum erstaunen. L. besitzt eine nicht gewöhnliche Phantasie, wahren Dichtersinn, Innigkeit, Kraft, Geist (diesen vor Allem)“ (Ambros). „L. zeichnet sich ganz besonders durch eine Vereinigung von drei sehr beneidenswerthen Dingen aus, Erfindung, Geist, Grazie, die wol selten bei irgend einem seiner Zeitgenossen in der Fülle anzutreffen sind, wie bei ihm“. Ed. Grell, der dies äußert, stellt besonders Loewe’s Oratorien hoch. Am schöpferischsten tritt L. mit Erfindung und Durcbbildung des Balladenstils auf. „Es ist vielleicht noch nie von einem Componisten mit solcher Kraft gesungen worden“ (A. B. Marx über Edward). Mit den ästhetischen Grundbedingungen der Ballade weist er auf Richard Wagner hin, der ihn als Vorläufer anerkannte; seine Meisterballaden sind wahre Tondramen zu nennen. Loewe’s Balladenstil haben sich zu eigen zu machen versucht, doch mehrfach unter zu unfreier Anlehnung, u. A. Robert Schumann (z. B. die Löwenbraut), Robert Emmerich (z. B. Vineta), Joh. Brahms (z. B. Walpurgisnacht), und mehrere Neuere, ohne daß hier eigentlich das Grundwesen der Ballade richtig erfaßt wäre (mit Glück Esser und v. Keudell). Eigentliche Schüler Loewe’s sind außer etwa Walther v. Goethe, Jul. Schladebach, H. Triest, Emmerich, A. Todt (dem uneigennützigen Stellvertreter Loewe’s 1864) kaum zu nennen. Loewe’s veröffentlichte Werke sind bei den verschiedensten Verlegern (hauptsächlich bei Schlesinger) erschienen, im Ganzen 145 opp. Als „Loewe-Album“ sind neuerdings ausgegeben Bd. I, II bei Peters, im Anschluß daran Bd. III–VI bei Schlesinger (Balladen, Bd. V die „Hebräischen Gesänge“). Der reiche Nachlaß ist jetzt übergegangen in den Besitz der königlichen Bibliothek zu Berlin. Verzeichniß der sämmtlichen Werke Loewe’s von Franz Espagne, Berl. 1870.

[311] Biographisches: Dr. Karl Loewe’s Selbstbiographie, von seiner Tochter Helene (†) ergänzt, von C. H. Bitter redigirt (Berlin, W. Müller, 1870), mit des letzteren werthvollem Vorwort und kritischen Textanmerkungen (vgl. das fehlerhafte Referat in der N. B. Musikzeitung von Naumann und in Chrysander’s Ztschr. das [bessere] von Deiters). Keferstein’s[WS 1] (pseudon. K. Stein) Biographie in Schilling’s Lexikon der Tonkunst, Bd. IV, Stuttg. 1840 (vorzüglich; doch in fast allen Tonlexicis in verstümmelnder Weise ausgeschrieben). G. Nauenburg: Neue Zeitschr. für Musik (R. Schumann), Bd. III, Nr. 25, 26, 1835. M. Runze[WS 2]: Bilder aus K. Loewe’s Leben (handschr. Aufzeichnungen seiner ältesten Tochter Julie) in Goldstein’s Musikwelt, Nr. 24, 25, 26, 28, 29, 46. Berlin 1881. – Monographisches: Ambros: K. Loewe der Romantiker in: Culturhistorische Bilder aus dem Musikl. d. Gegenw., Leipz. 1860. L. Giesebrecht: Loewe’s Bedeutung für Stettin, Stettin 1866. O. Gumprecht: K. Loewe in musikal. Charakterbilder, Leipz. 1870. August Wellmer: K. Loewe in: Musikal. Skizzen u. Studien, Hildburgh. 1884. – Runze: K. Loewe, eine ästhetische Beurtheilung in Samml. musikalischer Vorträge von P. Gr. Waldersee, Leipz. 1884. – Allgem. kritische Beurtheilungen: A. Reißmann in: Das deutsche Lied; van Bruyck in d. Wiener Fr. Presse, 1878. Heinroth (über Legenden), R. Schumann (über Balladen, Sonaten, Oratorien) in des letzteren Zeitschr. C. Hauer (N. B. Musikzeitg., 1865, Erlkönig). Lackowitz (Südd. Musikzeitg., Schott, 1869, Erlkönig). H. Bellermann (in Chrysander’s Musikzeitg., 1870, Oratorien). A. Wellmer (N. B. Musikzeitg., 1882 Nr. 3–6. 15. 16, Halleluja 1881/82 u. 82/83 und mehrfach). Runze (Echo, 1879. N. Pr. Z., 1879 Sonnt. Beil. Nr. 1, Nr. 19–21, 1880 Sonnt. Beil. 35–38, 1882 21, 22, 32, 33 und mehrfach). – L. als Hauptperson in dem Roman „König Mys von Fidibus oder 3 Jahre auf der Universität. Wahrheit und Dichtung aus dem Leben eines Künstlers („Leo Tonleben“) von K. Stein“ (Keferstein), 2 Bde., Gera 1838. Darin vieles authentisch. Vgl. auch den Roman „Die Geweiheten oder der Kantor von Fichtenhagen“, 2 Bde., Berlin 1829, von G. Nicolai. Endlich ist ganz der Verbreitung Loewe’s gewidmet: M. Runze, Die ästhetische Bedeutung der Ballade, Berlin 1884. Bilder: von Flach, von E. Hildebrandt, von Julius Grün. Zur Pflege und Verbreitung Loewescher Musik hat sich am 16. März 1882 in Berlin ein Loewe-Verein gebildet, der schnell einen starken Aufschwung genommen hat.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 305. Z. 13 v. o. l.: 1840 (st. 1849). [Bd. 19, S. 828]
  2. S. 308. Z. 13 v. o. l.: neun (st. acht). [Bd. 19, S. 828]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gustav Adolf Keferstein (1799–1861); deutscher evangelischer Pfarrer, Kritiker und Musikschriftsteller
  2. Maximilian „Max“ Runze (1849–1931); deutscher evangelischer Pfarrer, Abgeordneter und Autor; er engagierte sich für die Verbreitung der Werke des Komponisten Carl Loewe