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Artikel „Grell, August Eduard“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 540–542, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Grell,_Eduard&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 18:53 Uhr UTC)
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Grell: August Eduard G., ein hervorragender Contrapunktiker im Gesangsstil, geboren am 6. November 1800 zu Berlin, † am 10. August 1886 in seiner Sommerwohnung in Steglitz bei Berlin. Der Sohn eines Subalternbeamten, der auch musikalisch begabt war und den Organistenposten an der Parochialkirche zu Berlin seit 1808 bekleidete. Eduard’s musikalische Veranlagung zeigte sich schon in den frühesten Jahren, so daß ihn der Vater selbst in die Kunst einführen konnte, später übernahm Türrschmied den Clavierunterricht, darauf der Chordirector Lehmann, Violinunterricht erhielt er bei dem Kammermusikus Lagus, und als er das Gymnasium zum grauen Kloster besuchte und sich im Gesange auszeichnete, unterrichtete der Gesangslehrer Ritschel ihn freiwillig privatim. Compositionsunterricht erhielt er von Zelter, später von Rungenhagen. An Ostern 1816, als er noch Gymnasiast war und die Secunda besuchte, hatte er freiwillig die Vertretung seines Lehrers Lehmann als Organist an der Nicolaikirche übernommen, und als derselbe bald darauf (1816) starb, meldete er sich zu dem Posten, erhielt ihn und verließ mit dem Reifezeugniß für Prima das Gymnasium. Seit 1. Januar 1817 bezog er den erbärmlichen Gehalt von 150 Thlr. 2 Groschen (450 Mk. 20 Pf.) und von dem Rentamte Mühlenhof jährlich einen Wispel Roggen, erhielt aber erst am 23. December die definitive Anstellung. In demselben Jahre trat er auch als Mitglied in die Singakademie, obgleich er gar keine Gesangsstimme besaß, sondern an Athemnoth litt, selbst sein Sprachorgan war tonlos, dennoch war er als Bassist eingetragen und betrachtete die wöchentlichen Uebungen als Studien im Gesangsfache, worin er einst Meister werden sollte. Auch gab ihm Zelter hier Gelegenheit, seine eigenen Compositionen zu Gehör zu bringen, ein Vortheil, der nicht hoch genug anzuschlagen ist. Sein Biograph Bellermann führt eine Gesangsfuge über den Text: „Et incarnatus est“ an, die das Datum trägt „Am 7. December 1818 auf der Singakademie gesungen“. Exemplar in der Berliner Singakademie. Eine Cantate „Laßt hoch in neuen Hallen“, Text von Rudolph Agricola, für Chor, Soli und Flöte, 2 Violinen, Viola, Violoncell und Contrabaß ist sogar schon datirt vom 23. October 1817 und befindet sich in derselben Bibliothek. Auch für Festlichkeiten in der Nicolaikirche schrieb er mehrfach Cantaten, die daselbst aufgeführt wurden und über die sein Biograph schreibt: sie zeugen von Grell’s auffallender Sicherheit in der Compositionstechnik, doch enthalten die Stücke fast alle große Härten in den Harmonien, aber sie sind schnell und leicht hingeworfen, oft in wenigen Tagen entstanden. Zur selben Zeit genoß der Concertmeister Michael Gotthardt Fischer in Erfurt den Ruf eines ausgezeichneten Orgelvirtuosen und Contrapunktikers und durch Vermittlung des Bischofs Ritschl erhielt G. auf ein halbes Jahr Urlaub, freie Reise und vom Cultusministerium 50 Thlr., um während des Winterhalbjahres 1819/20 sich bei Fischer zu vervollkommnen. Daß er redlich den Unterricht benützt hat, beweist das günstige Zeugniß, was ihm Fischer am 30. Mai 1819 ausstellte. Interessant ist das eigene Urtheil Grell’s über seine Lehrer, was er im J. 1857 in seinen Emser Aufzeichnungen niederlegte. Er schreibt dort, Zelter habe ihn, nach der Ansicht vieler, zu streng in der Beobachtung der Kunstregeln unterrichtet (Mendelssohn hat sich dagegen darüber nie beklagt, nebenbei bemerkt), Rungenhagen dagegen habe hiervon ganz abgesehen und nur auf einen treffenden musikalischen Ausdruck gehalten. „Nach dieser Zeit bin ich zu Fischer in Erfurt gekommen, der brachte mich, obgleich sein Lehrer Kittel ein unmittelbarer Schüler Sebastian Bach’s war, in die Spohr’sche Chromatik, kurzum ich kann gar nicht beschreiben, wie ich hin- und hergeworfen worden bin.“ Nach Berlin zurückgekehrt, entwickelte G. eine rastlose Compositionsthätigkeit, nicht nur in geistlichen Gesängen, die er theils [541] in der Nicolaikirche zur Aufführung brachte, sondern er schrieb vier Oratorien, eine Oper, fünf Singspiele, Lieder für eine und mehr Stimmen, Sinfonien, sechs Streichquartette u. a. Als im J. 1822 das Kgl. Institut für Kirchenmusik in Berlin errichtet wurde, erhielt G. die Stelle als Clavierlehrer mit einem Gehalte von 100 Thlr. jährlich bei vier Unterrichtsstunden die Woche, doch reichte dies nebst dem kleinen Gehalte von der Nicolaikirche zum Lebensunterhalte nicht aus und Privatclavierunterricht, den G. als „tötendes Gift“ bezeichnet, mußte das Fehlende ersetzen, er griff daher mit Freuden im J. 1830, nach Gründung eines kirchlichen Normalchores, zu der ihm durch Zelter angetragenen Gesangslehrerstelle, die allerdings auch wieder bis auf 100 Thlr. jährlich beschnitten, trotzdem dieselbe auf Befehl Friedrich Wilhelm III. ins Leben gerufen wurde. Dieser, aus Knaben- und Männerstimmen – letztere wurden durch den Major Einbeck aus dem Soldatenstand ausgewählt und eingeübt – bestehende Chor bildete den Grundstock des späteren von Friedrich Wilhelm IV. errichteten sogenannten Domchors, zu dem man aber nicht mehr Soldaten commandirte, sondern gebildete Sänger mit entsprechendem Honorar anstellte. Dies geschah im J. 1843 und Neithardt und G. erhielten die Gesangslehrerstellen für den Knabenchor, der täglich zwei Unterrichtsstunden erhielt. Die beiden Lehrer erhielten je 400 Thlr. jährlich. Doch schon am 1. Januar 1845 kündigte G. seine Stellung, da sie mit seiner inzwischen erfolgten Wahl zum zweiten Director der Singakademie, sowie mit dem Organistenamte am Dome, welches er seit 1839 bekleidete, unvereinbar war. Seit 1841 war er auch am Gymnasium zum grauen Kloster Gesanglehrer mit einem Gehalte von 732 Mk. jährlich und schon seit 1832 Lehrer am Kgl. Institut für Kirchenmusik. 1841 wurde er zum ordentlichen Mitgliede der Kgl. Akademie der Künste ernannt und 1852 zum Senatsmitgliede und zum Lehrer der „musikalischen Composition“ an der Akademie. Als er am 1. März 1853 zum ersten Director der Singakademie gewählt wurde, gab er alle anderen Aemter auf und verwandte alle Kraft auf die sehr heruntergekommenen Leistungen des Chores der Singakademie. Im J. 1839 componirte er das Oratorium „Die Israeliten in der Wüste“ für Chor, Soli und Orchester, Text von Hermann Bitter (dem späteren Finanzminister). Dies scheint sein letztes Werk mit Orchester zu sein und wandte er sich von da ab mehr und mehr der Gesangsmusik zu, bis er schließlich ein solcher Verächter der Instrumentalmusik wurde, daß er ihr jegliche Berechtigung absprach und nur die Gesangsmusik für Musik hielt, ein Standpunkt, der bei seiner Einseitigkeit auch nur ganz wenige Freunde fand. Grell’s zahlreiche Gesangscompositionen schließen sich mehr oder weniger den Werken des 16. Jahrhunderts an, d. h. sie sind auf kleinen Motiven im contrapunktischen Stile aufgebaut. G. und seine wenigen Nachfolger übersahen dabei nur, daß das 16. Jahrhundert eine Harmonielehre nicht kannte, sondern Stimme an Stimme reihte und dadurch den harmonischen Wohlklang erreichte, der aber nur allein durch die contrapunktische Führung erzeugt war, während die Neueren in der Harmonielehre erzogen, trotz aller Bemühungen contrapunktisch zu schreiben, doch stets harmonisch denken und empfinden und daher nur einen nachhaltigen Eindruck durch ihre Compositionen erhalten, wenn sie eine fesselnde und tief ansprechende Melodie denselben zu Grunde legen. G. hat nur ein Werk geschaffen was allen Ansprüchen eines Kunstwerkes entspricht und das ist seine 16stimmige Messe, die er von 1855–1858 schrieb und die seit 1861 mehrfach aufgeführt wurde. In diesem Werke weiß er mit geschickter Hand den Contrapunkt auf fesselnde melodische Motive und ausgesponnene Melodien zu stützen und erreicht damit einen tiefen Eindruck. Seine übrigen Gesangswerke sind zwar durchweg geschickt gemacht, ähneln aber einander durch die Benützung [542] von kleinen, unbedeutenden Motiven in einer Weise, daß sie bei Anhörung von mehreren seiner Gesangssätze monoton wirken. Recht charakteristisch für Grell’s musikalisches Empfinden und seine Erfindungskraft ist das Duett mit Pianofortebegleitung „Lorbeer und Rose“, was allerdings in seine jugendliche Periode fällt, aber doch bezeichnend für seine sentimentale Empfindungsweise ist. Im ganzen wurden von Grell’s Compositionen Opus 1 bis Opus 86 gedruckt, vom J. 1836 ab bis 1870. Außerdem erschienen 21 Werke ohne Opuszahl und einige Gesangswerke in Sammlungen verschiedener Componisten. An Instrumentalwerken sind nur unter Opus 4, Sechs kurze und leichte dreistimmige Vorspiele für Orgel, Opus 29, Sechsunddreißig kurze und leichte vierstimmige Orgelpräludien bei Bote & Bock in Berlin erschienen und Vier Piècen für 1 und 2 Violoncells. Nur einige frühere Gesangswerke, wie Lieder, Duette und Terzette, haben eine Clavierbegleitung, Opus 26 und 27 sogar eine Orchesterbegleitung, doch die späteren Gesangswerke sind alle ohne jegliche Begleitung. Ein ausführliches Verzeichniß enthält Bellermann’s Biographie Seite 160 ff. Im J. 1873/74 erblindete G. am grauen Staar, wurde 1875 operirt und erhielt wieder sein Augenlicht. So vortrefflich G. einen Chor zu schulen verstand und auf absolut reine Klangfarbe achtete, so wenig war er zum Dirigiren begabt, besonders, wenn es sich um Orchester und Chor handelte. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts trat diese Schwäche, wohl durch das Alter Grell’s bedingt, ganz besonders hervor und die Oratorienaufführungen gingen selbst in den Chorleistungen immer mehr zurück. Als nun G. durch sein Augenleiden an der Ausübung seines Amtes verhindert und dem zweiten Dirigenten, Martin Blumner, die alleinige Leitung überlassen war, beschloß der Vorstand 1876 G. zum Ehrendirector mit vollem Gehalte und freier Wohnung im Gebäude der Singakademie zu ernennen und Blumner zum ersten Director (eingeführt am 13. Juni 1876). Zehn Jahre waren G. in behaglicher Ruhe noch gegönnt, dann schloß er auf immer seine Augen.

Biographie von Heinr. Bellermann, Berlin 1899, Weidmann. Gr. 8°. 220 S.