ADB:Rungenhagen, Karl Friedrich

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Artikel „Rungenhagen, Karl Friedrich“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 694–696, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rungenhagen,_Karl_Friedrich&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 04:57 Uhr UTC)
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Rungenhagen: Karl Friedrich R., ein der ernsten Muse huldigender Componist, der mit dem jüngst verstorbenen Eduard Grell, seinem Nachfolger als Director an der Singakademie, das gleiche Schicksal theilt: in hoher Achtung bei seinen Zeitgenossen zu stehen, dabei wenig gekannt und nach dem Tode sehr bald vergessen zu sein. Er war am 27. September 1778 in Berlin geboren. Sein Vater, ein Kaufmann, übte die Musik als Dilettant und war erfreut über des Sohnes musikalisches Nachahmungstalent, wollte aber nichts von einer Ausbildung in der Musik wissen, dagegen verhalf ihm die Mutter heimlich zu einem Lehrer, der aber schlecht gewählt war. R. zeigte aber noch bedeutenderes Talent zum Zeichnen und hierin erhielt er einen geregelten Unterricht. Als er dann mit 10 Jahren (!) sich nach dem Willen seines Vaters einen Beruf auswählen sollte und ihm die Wahl zwischen Kaufmann, Musiker oder Maler gelassen wurde, entschied er sich für letzteres und wurde unter Daniel Chodowiecki Schüler der Akademie der Künste zu Berlin. Zu der Ausstellung von 1793 lieferte er bereits eine größere Zeichnung, wurde aber nicht als reif für die höchste Classe erkannt; „Lebensclasse“ wird sie genannt; diese Zurücksetzung kränkte ihn dermaßen, daß er der Kunst seine Gunst absagte und in das Geschäft seines Vaters eintrat. Doch lange sollte die Freude des Vaters nicht währen: die Bekanntschaft mit dem Concertmeister Benda lockte die alte Liebe zur Musik hervor [695] und der Vater sah zu seinem Verdruß auf dem Pulte des Sohnes mehr Notenblätter als Comptoirbücher. R. erklärte noch in späteren Jahren, daß der Umgang mit Benda und sein Unterricht ihm erst die Pforten der Kunst erschlossen hätten. Als der Vater schon 1796 starb und das Geschäft in zerrütteten Zuständen hinterließ, konnte R. Mutter und Geschwister bereits durch den Ertrag seines Musikunterrichts ernähren, schrieb auch für das Privattheater Urania Operetten, half bei den Aufführungen als Decorationsmaler, Sänger oder Dirigent, wo es irgend fehlte, und führte ein lustiges Künstlerleben. Durch die Bekanntschaft mit Hellwig und Zelter wurde er der Singakademie als Mitglied zugeführt und hier lernte er die Wirkungen der reinen Gesangsmusik kennen und die älteren Meister schätzen. Er hatte sich schon früher durch einige dem Könige eingesandte Märsche bekannt gemacht, und wie das Komische im Leben oft entgegengesetzte Wirkung ausübt, so sollten diese Märsche Ursache werden, daß man ihn dazu erwählte, eine Festmusik für den Cadettenchor zu schreiben und die dadurch eingeleitete Verbindung benützte er, 1809 bei der Rückkehr des Königs ein Te Deum zu schreiben, welches ihn mit einem Schlage zum gefeierten Kirchencomponisten machte und die Vereine veranlaßte, ihn mit Ehrendiplomen zu überschütten. Die betretene Bahn brachte ihn bald in Verbindung mit den Spitzen der Residenzstadt, wie Fürst Radziwill, Graf Brühl, General von Witzleben u. A. 1815 wurde er zum Unterdirector der Singakademie gewählt und nach Zelter’s Tode am 22. Januar 1833 zum Director. Als nach der königlichen Cabinetsordre vom 31. März 1833 eine Section für Musik an der königlichen Akademie zu Berlin errichtet ward, wurde R. zum Mitgliede des akademischen Senats und Lehrer der damit verbundenen Musikschule ernannt; Titel und preußische Orden gab es außerdem in Fülle und auswärtige Gesellschaften standen nicht zurück, so daß man ihn als einen der Glücklichen preisen konnte, dem Ehren und Anerkennung schon zu Lebzeiten vollauf zu Theil wurden. Dennoch stand er mit seinen Bestrebungen vereinzelt da, und nur was er aus Gefallen für Freunde und Gesellschaften nebenbei schrieb, fand Anklang, während seine größeren ernsten Werke, seine geistlichen Tonsätze für a capella-Gesang keinen rechten Boden fanden. R. hat viel, sehr viel componirt, und die Gabe einer leichten Erfindung hat er redlich ausgenutzt. Ledebur im Berliner Tonkünstler-Lexikon rechnet ihm 6 Opern, 3 Oratorien, 30 geistliche mehrstimmige Lieder und Choräle zu, über 100 zwei-, drei- und mehrstimmige geistliche Versette und Gesänge, ein Te Deum, eine Messe für Männerstimmen, viele Kirchen- und Festcantaten, wohl über 1000 weltliche ein- und mehrstimmige Lieder, Clavierstücke mit und ohne Begleitung anderer Instrumente, größere Compositionen für Orchester, einzelne Scenen, Duette, Terzette und eine große Anzahl Solfeggien, die er bei der Ausbildung der Singstimme für seine Schüler schrieb. Ein und das andere Lied wurde im Publicum beliebt und viel gesungen, doch die übrigen ernsten Werke haben nur selten die Schwelle der Singakademie überschritten. Seine Freunde veranstalteten nach dem Tode eine Gesammtausgabe seiner kirchlichen Gesangswerke, doch war die Betheiligung eine so geringe, daß nur mehrere Lieferungen bei Trautwein in Berlin erschienen, und dann die Fortsetzung aufgegeben wurde. Die Neuzeit ist keineswegs dem a capella-Gesang abgeneigt, im Gegentheil wird er heute mehr gepflegt als im vorigen Jahrhundert, und wir können heute Chorleistungen verzeichnen, die gewiß denen im 16. Jahrhundert wenig nachstehen, obgleich unsere Chöre heute nur mit Dilettanten besetzt sind – mit Ausnahme der wenigen sogenannten Domchöre, die aus angestellten und bezahlten Knaben und Männern bestehen, wie in Berlin und Schwerin – während sie einst aus gebildeten Sängern und Musikern bestanden. Der Grund, warum aber in diesen Gesangvereinen nur das weltliche Lied gepflegt wird, liegt in der Bestimmung der [696] Vereine und in der geringen Hinneigung zum kirchlichen Gemeindeleben. Daß dabei der kirchliche Kunstgesang nicht gepflegt wird, ist eine natürliche Folge. Rungenhagen und Grell, die modernen Vertreter der Kirchencomposition im a capella-Gesange, verfügten aber beide nur über einen geringen Grad von tieferer Erfindungsgabe. Ihre Compositionen klingen wohl ernst und stilvoll, sie erfassen aber nicht den ganzen Menschen. Kleine Motive und weicher Wohlklang sind nicht geeignet auf längere Zeit zu fesseln und die Vernachlässigung ihrer Werke beruht nicht in einem principiellen Verneinen, sondern in der Abneigung gegen Langeweile. Daher wählt man, wenn dem ernsten Stile einmal Rechnung getragen werden soll, lieber einen kirchlichen Gesang aus alter Zeit, als einen von Rungenhagen oder Grell. R. empfand diese Zurücksetzung bitter und er hing mit desto größerer Liebe an seiner Singakademie, die ihm Gelegenheit bot, seinem Hange nach kirchlicher Musik voll zu entsprechen. Geliebt und geachtet von den Mitgliedern derselben entschlief er am 21. December 1851.