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Artikel „Runge, Philipp Otto“ von Theodor Pyl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 692–694, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Runge,_Philipp_Otto&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 09:00 Uhr UTC)
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Runge: Philipp Otto R. wurde am 23. Juli 1777 in Wolgast als Sohn eines dortigen Kaufmanns und als der neunte von elf Geschwistern geboren. Von zartem Körperbau und sanfter Gemüthsart zeigte er sich weniger für die exacten Wissenschaften begabt, erregte jedoch schon früh durch die Tiefe seines religiösen Sinnes und sein angeborenes Talent für künstlerische Gestaltung die Aufmerksamkeit des Dichters L. Th. Kosegarten, welcher von 1785–92 Rector der Wolgaster Schule war und einen bleibenden Einfluß auf die poetische Lebensrichtung Runge’s ausübte. Eine im J. 1788 unternommene erste Fahrt nach der benachbarten Insel Rügen legte ohne Zweifel die frühsten Keime seines später so reich entwickelten Farbensinnes und seiner idealen Auffassung der Natur. Er fand jedoch weder in seiner Häuslichkeit noch in der Umgebung seiner Vaterstadt Verständniß für seine Bestrebungen und, ausgenommen einen dürftigen Zeichenunterricht bei einem Wolgaster Decorationsmaler und fleißige Uebung im Ausschneiden von Figuren in Papier, kaum Gelegenheit, sich künstlerisch auszubilden, wurde auch von seinem Vater für den kaufmännischen Beruf bestimmt, und zu diesem Zwecke von seinem älteren Bruder Johann Daniel (geb. 1767) in der von diesem in Hamburg begründeten Commissions- und Speditionshandlung seit 1795 beschäftigt. Zu dieser Zeit schloß er innige Freundschaft mit den Buchhändlern Besser und Perthes, sowie mit den Künstlern Eiffe und Herterich, gewann auch durch die Sammlungen des seinem Bruder nahe stehenden Speckter und die von beiden u. a. gehaltenen Leseabende einen willkommenen Einblick in das Gebiet der Kunst und Litteratur, welcher sowol das classische Alterthum als die Neuzeit, Goethe’s und Schiller’s Dichtungen, sowie die Romantiker umfaßte. Da jedoch der Bruder zu gleicher Zeit erkannte, daß R. für die Handlung untauglich sei, und die Eltern ihre Zustimmung gaben, so wurde seit 1798 die Kunst für ihn als Lebensberuf angesehen; er empfing, außer Herterich’s Anleitung, Unterricht im Zeichnen bei Gerold Hardorf, einem Schüler Casanova’s und Anton Tischbein’s und im Malen bei Eckhardt, hatte auch Gelegenheit, durch die in Hamburg zugänglichen Sammlungen, Kunstausstellungen und anatomischen Studien sich theoretisch weiter zu bilden, während Reisen in Holstein und in die Heimath sein Talent für die Landschaft erwärmten. Am 18. October 1799 begab er sich dann zur weiteren Förderung auf die Akademie nach Kopenhagen, wo er Abildgaard’s und Juel’s Unterricht genoß, mit Böhndel und Eiffe gemeinschaftlich arbeitete, und im Hause der Dichterin Friederike Brun, sowie im Verkehr mit Bonstetten, der jene begleitete, sich auch einer wissenschaftlichen Anregung erfreute. Die Frucht dieser Studien erblicken wir in seinem „Triumph Amors“, seiner ersten größeren Composition, welche classische Formen mit zarter Gemüthsweise verbindet. Nachdem jedoch Jos. Grassi 1800 als Director nach Dresden berufen wurde und R. auch mit seinem Heimathsgenossen, dem seit 1798 in Dresden lebenden Landschaftsmaler Friedrich befreundet worden war, begab er sich am 20. Juni 1801 nach Dresden, wo er auch die Dichterin Brun wiedersah, bei den dortigen Künstlern eine freundliche Aufnahme fand und sich auch an der in Weimar gestellten Preisaufgabe „Achilles im Kampf mit dem Flußgotte“ betheiligte, jedoch ohne Erfolg. Von besonderem Einfluß auf sein Leben war seine Freundschaft mit dem Musiker Ludwig Berger (geb. 1777, † 1839), welche ihm den Geist der Tonkunst tiefer erschloß, sowie seine Neigung für Pauline Bassenge, durch die nicht nur sein Herz des höchsten Glückes theilhaftig wurde, sondern auch seine schöpferische Kraft größere Tiefe gewann und einen mächtigeren Aufschwung nahm. War seine Liebe anfangs freilich durch die Jugend der Braut und die Bedenklichkeit ihrer Eltern für ihn die Quelle mancher Sorge, so entsprang ihr in der Folge, als er sein Ziel erreichte, eine um so reinere Freude, je mehr sein zartes Gemüth eines innigen Familienlebens [693] bedurfte. In diese Zeit gehören seine beiden berühmtesten Compositionen „Die Lehrstunde der Nachtigall“ und „Die Tageszeiten“, sowie „Die Freuden des Weins“. Während letztere Zeichnung noch mehr dem antiken Geiste des „Triumphes Amors“ entspricht, zeigen jene den Einfluß, welchen die Romantiker auf ihn ausübten. Unter diesen wurde L. Tieck schon 1801 mit R. durch innige Freundschaft verbunden, doch traten auch später Brentano und Görres mit ihm in nähere Beziehung: der Genius freilich, welchem R. am verwandtesten war, Friedrich v. Hardenberg (Novalis), weilte nicht mehr unter den Lebenden, aber ein unsichtbares Band schien beide zu verknüpfen: die Sehnsucht, das Göttliche in den Gebilden der Natur zu finden, ein reiner kindlicher Sinn der Auffassung und die zarteste Form der Darstellung. Mochte die Sentimentalität seiner Schöpfungen und der mystische Zug, welcher manchen derselben zu Grunde lag, auch bei seinem Lehrer Hardorf, bei J. H. W. Tischbein und bei einigen seiner Freunde auf Widerspruch stoßen, so bildete sich dagegen zwischen ihm und Goethe, wo eher eine Disharmonie mit dessen Vorliebe für die Antike vorauszusetzen war, eine sehr nahe Beziehung. Beide waren auf der Kunstausstellung zu Weimar zufällig mit einander bekannt geworden, und die gegenseitige Sympathie veranlaßte eine briefliche Correspondenz, welche für sie die Quelle hohen Glückes wurde. Was sie vereinigte, war Goethe’s unbewußtes Streben, das Göttliche in der Natur zu erkennen, andererseites sein Studium der Farbenlehre, dem R. damals mit gleichem Eifer ergeben war. Letzteres hatte bei ihm eine besondere Anregung empfangen durch eine Reise, welche er mit seiner Braut und deren Mutter im August 1803 in die Heimath nach Wolgast unternahm, wo die nahe belegene Insel Oie und der Strekelberg auf Usedom in der Farbenverbindung des weißen Dünensandes mit dem Meeresblau einen besonders harmonischen Anblick gewährten. Nach Dresden zurückgekehrt, wurde er mit dem Bildhauer Rauch, den Malern Räcke und Ruscheweih, sowie mit seinen Landsleuten Titel und Klinkowström befreundet, von denen der letztere ihm besonders nahe stand, und bis zu seinem Tode mit ihm in Correspondenz blieb. Nach einem kürzeren Aufenthalte in Hamburg, wo Herterich bei seiner Abreise nach Paris von ihm Abschied nahm, einem Besuche beim Grafen Hahn (Vater des Theaterdirectors), welcher einem künstlerischen Auftrage desselben galt, begab sich R. über Wolgast nach Dresden zurück, wo er am 3. April 1804 seine Vermählung mit Pauline Bassenge feierte, und dann seit dem 13. Mai seinen bleibenden Aufenthalt in Hamburg nahm, wohin ihm auch Klinkowström folgte. Hier genossen beide die Unterweisung von Joh. Heinr. Wilh. Tischbein, welcher 1799 aus Italien zurückgekehrt war, und des Hofrath Eich aus Düsseldorff, auch gewannen sie, indem sie beim Abbruche des Hamburger Doms die in demselben befindlichen Gemälde der Sammlung des Malers Fried. Ludw. Heinr. Waagen einreihten, um sie für dessen Zeichenschule zugänglich zu machen, einen willkommenen Einblick in die ältere Kunst. Eine von R. 1805 angefertigte Reihe von Künstlerbiographien zu Waagen’s Katalog (vgl. Hinterl. Schriften I, 55) gibt uns eine Probe, wie er die bedeutendsten Künstler der Vergangenheit auffaßte. Von seinen eigenen Arbeiten dieser Zeit sind zu nennen die Gemälde: der Muse Urania, der Mutter an der Quelle, und der Flucht nach Aegypten, sowie die Zeichnungen der heiligen drei Könige, der Heimonskinder und zu Ossian’s Dichtungen, von denen letztere zu seinen bedeutendsten Schöpfungen gehören. Auch wurde er damals mit dem zwölf Jahre jüngeren Lübecker Künstler Fr. Overbeck bekannt.

Der Krieg von 1806, welcher Hamburgs Verkehr und auch die Handelsverbindungen seines Bruders auf äußerste schädigte, veranlaßte R. jetzt zu einem längeren Aufenthalte in der Heimath, wohin ihn auch Klinkowström begleitete. [694] Hier malte er einige Porträts in Wolgast und verkehrte in Greifswald mit dem Universitätsmaler Dr. Quistorp, sowie mit dem Kunstfreunde Prof. Schildener, mit dem er Rügen bereiste, Kosegarten wiedersah und auch dessen Schwiegersohn Pastor Baier, sowie den Dichter Lappe kennen lernte. Pläne, für die Capelle Kosegarten’s zu Vitte und die Marienkirche in Greifswald Altarbilder zu malen, kamen des Krieges wegen nicht zu Stande, an letzterem Orte wurde später Klinkowström’s Copie der Nacht von Correggio aufgestellt. Am 27. April 1807 nach Hamburg zurückgekehrt, wurde er mit Pastor Geibel aus Lübeck, C. v. Villers, v. Rumohr, Sieveking, Niebuhr und Steffens befreundet und gewann auch durch dessen Schwägerin Louise Reichardt einen hohen musikalischen Genuß. Außer mehreren Entwürfen: Petrus auf dem Meer (für Kosegarten’s Capelle bestimmt), Freuden der Jagd, Arion’s Meerfahrt und Nachtigallengebüsch, eine sehr anmuthige Composition, in welcher die Nachtigall dem Klange von Amor’s Flöte lauscht, beschäftigte ihn damals ein litterarisches Werk zur Farbenlehre, welches 1810 bei Perthes im Druck erschien. Ebendaselbst kamen auch die „Tageszeiten“ in Radirungen heraus, welche das begeisterte Lob von Görres hervorriefen; nach seinem Tode endlich die Umrisse nach seinen ausgeschnittenen Bildern von Doris Lütkens, Hamburg 1843; einen sehr schön angeordneten Blumenstrauß hatte er auch (1806) für Goethe ausgeschnitten. In der Fülle dieser künstlerischen Entwürfe starb er am 2. December 1810 an einem Brustleiden, das ihm und den Seinigen schon in den letzten Jahren viel Sorge gemacht hatte. Die Originalzeichnungen zu den Tageszeiten und der Nachtigall nebst anderen befinden sich im Besitz des Hamburger Künstlervereins. Die Platten zu den Tageszeiten u. A. gingen beim großen Hamburger Brande zu Grunde.

Hinterlassene Schriften von Philipp Otto Runge, von dessen Bruder Johann Daniel Runge herausgegeben, 2 Bde, Hamburg 1840–41, Perthes, enth. die Kunstwerke, Briefe und Dichtungen des Verstorbenen, mit Porträt und sieben Abbildungen. – Schildener’s Akademische Zeitschrift, 1826, II, 1 S. 58. – Petrich, pomm. Lebensb. II, 1, S. 235–81. – Kugler’s Kl. Schriften III, 422. (Was Dr. A. Hagen, Deutsche Kunst in unserem Jahrhundert, 1857, Th. I, S. 77, 102, 147, 209 von R. sagt, enthält thatsächliche Irrthümer und verräth, daß ihm das Verständniß für Runge’s Kunst mangelt.)