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Artikel „Schildener, Karl“ von Adolf Häckermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 204–207, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schildener,_Karl&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 10:30 Uhr UTC)
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Schildener: Karl S., Rechtsgelehrter und Kunstforscher, am 26. August 1777 zu Greifswald geboren und † am 28. December 1843 ebendaselbst, besuchte seit 1783 das Gymnasium und seit Ostern 1793 die Universität seiner Vaterstadt; für seine geistige Bildung wurden zwei Lehrer der letzteren von Bedeutung: Gottfried Quistorp, welcher durch seinen gediegenen und sinnvollen Zeichenunterricht die Liebe zur Kunst in ihm anregte, und der Jurist Emanuel Friedrich Hagemeister, dessen strengsittlicher Charakter und geistvoller Vortrag ihn bewog, sich dem Fach der Jurisprudenz zu widmen. Zu Jena, woselbst er von Ostern 1796 ab seine rechtswissenschaftlichen Studien unter Eckart, Schnaubert und Hufeland fortsetzte, übte die mächtige Persönlichkeit Fichte’s einen tiefergreifenden Einfluß auf ihn. Die philosophische Durchbildung, welche S. durch ihn erhielt, gab, im Verein mit dem schon früh geweckten religiösen Sinn und Schönheitsgefühl, seinem Leben einen eigenartigen Charakter, der Freunde wie Fremde mächtig anzog und ergriff. Während seines Aufenthalts in Jena und auf den von dort unternommenen Reisen gelangte er zu der Ueberzeugung, daß Deutschland unter dem Einfluß der französischen Revolution einem gewaltsamen Umschwung seiner Verfassung und seiner Rechtsverhältnisse entgegengehe. Im J. 1798 zum Doctor promovirt, unternahm er, um jener Entwicklung auch persönlich näher zu treten, eine Wanderfahrt in die Schweiz, wurde jedoch durch die immer heftiger ausbrechenden Kriegsunruhen zur Rückkehr genöthigt und hielt sich nun bis Ostern 1800 in Göttingen auf. Hier hörte er bei Sartorius Politik, bei Blumenbach Physiologie und vergleichende Anatomie, bei Jordan Geologie, bei Lichtenberg Physik und besuchte auch Heyne’s Vorlesungen über Archäologie. Zugleich benutzte er mit großem Eifer die Schätze der Bibliothek und studirte die Werke von Montesquieu, de Solme und Adam Smith, welche seinen Anschauungskreis wesentlich erweiterten. Gelegentlich besuchte er den Oberharz, ging sodann im Sommer 1800 nach Dresden und lernte hier, nachdem sein durch Quistorp’s Unterricht geweckter Kunstsinn durch Heyne’s archäologische Vorträge eine classische Schulung erlangt hatte, an sich selber [205] kennen, welchen Einfluß vollendete Kunstwerke auf ein empfängliches Gemüth ausüben. Nach Greifswald zurückgekehrt, empfand er den in Dresden gewonnenen Kunsteindrücken gegenüber das lebhafte Verlangen, sich mit den nordischen Rechtsverhältnissen zu beschäftigen und unternahm, um diesem Bestreben zu genügen, im Herbst 1800 eine Reise über Stockholm nach Upsala, woselbst er ein Jahr lang das geltende schwedische Recht studirte, ohne jedoch vorher einen Blick in die früheren Rechtsquellen, namentlich in die alten Provinzial- und Volksrechte thun zu können. Diese Erweiterung und Vertiefung seiner Studien indeß gelang ihm im weiteren Verlauf seiner Reise. Angezogen von dem nationalen Charakter der Schweden durchwanderte er die nördlichen Provinzen, welche mit dem gemeinsamen Namen Norland bezeichnet werden, und hier sollte er den ersten Anlaß zu derjenigen Wirksamkeit finden, welche ihm selbst später als die bedeutendste seines Lebens erschien. Dort, inmitten einer grandiosen, aber einförmigen Natur fand er die Menschen in ihrer Gestaltung mächtiger, ihre geistigen Anlagen sicherer, ihre Sitten einfacher und reiner, fand er ein Natur- und Volksleben in seiner vollen Ursprünglichkeit. Als er dann an der Grenze von Dalekarlien durch längeren Umgang mit dem Volke dessen Rechtsgewöhnungen und Sitten aus eigener Anschauung kennen gelernt, kehrte er im Herbst 1801 nach Greifswald mit dem bestimmten Vorsatze heim, das Studium der alten Volksrechte der Scandinavier zur Hauptaufgabe seines Lebens zu machen. Zunächst als Adjunct in der juristischen Facultät habilitirt, las er über schwedisches und deutsches Recht und gewann bald einen solchen Ruf, daß ihn nach der Auflösung des Deutschen Reiches im J. 1806 König Gustav IV. Adolf, als er die schwedische Verfassung und Verwaltung in Vorpommern einzuführen beabsichtigte, nicht nur beauftragte, mehrere Teile der schwedischen Gesetzgebung ins Deutsche zu übertragen, sondern ihn auch zum Mitgliede der Commission in Lund ernannte, welche berufen war, die neuen königlichen Verordnungen in einem besonderen Gesetzbuche zusammenzufassen. Durch den unglücklichen Ausgang des Krieges zwischen Schweden und Frankreich kam der Plan der Einführung dieser Verfassung in Pommern zu keinem Resultat. Desto wichtiger aber wurde Schildener’s zweiter Aufenthalt in Schweden für seine wissenschaftliche Ausbildung, indem er zu Upsala mit Hülfe seines Freundes Holbergson seine Kenntniß der alten Rechtsbücher so erweiterte, daß er an eine kritische Bearbeitung derselben denken durfte. Nach seiner Rückkehr begann er die Bearbeitung des alten Rechtsbuches der Insel Gothland und wurde in Anerkennung seiner Verdienste von der schwedischen Regierung 1810 zum außerordentlichen, 1814 zum ordentlichen Professor der Jurisprudenz ernannt. Nach dem Uebergang Neuvorpommerns an die Krone Preußen fand er bei der neuen Regierung nicht minder Anerkennung; seine Bearbeitung des altgothländischen Rechtsbuches, Guta Lagh, wurde auf öffentliche Kosten gedruckt und dem Verfasser die Stelle des ersten Bibliothekars an der Universität Greifswald übertragen. Seitdem widmete er sich ununterbrochen als Lehrer dem deutschen Recht, Staats- und Privatrecht, hielt daneben Vorträge über altgermanische Rechtsquellen, insonderheit über das gothländische Rechtsbuch und entfaltete eine reiche litterarische Thätigkeit auf verschiedenen Gebieten. Als die Grundrichtung seines wissenschaftlichen Strebens aber bezeichnet S. selbst die Tendenz, dem deutschen Rechte eine nationale Richtung zu geben und zu diesem Behufe namentlich die altgermanischen Volksrechte auf ihre religiösen Grundlagen zurückzuführen. Der Gesammtheit seines geistigen Lebens und Wesens nach war er ein Zögling jenes Zeitalters, dem Schiller und Goethe für alle Nacheifernden die Signatur verliehen. Auch er erstrebte über den engeren Kreis des Gelehrtenberufs hinaus Universalität der Entwicklung und neben der Wissenschaft pflegte er Kunst und Poesie; mit vollendeter Meisterschaft [206] trug er im häuslichen und befreundeten Kreise poetische Schöpfungen vor. Für eingehende Kunststudien bot ihm eine sehr ansehnliche und wertvolle Sammlung von Oelgemälden, Kupferstichen und anderen Kunstwerken reichliche Nahrung. Durch solche Bestrebungen, welche aus der Vielseitigkeit seiner Bildung und der Empfänglichkeit für alle Zweige der Cultur und Kunst hervorgingen, erwarb er sich ein besonderes Verdienst um seine engere Heimat. In diesem Sinne wurden sein Haus, seine große Bibliothek, seine Kunstsammlungen für seine Zeit ein Mittelpunkt geistigen Lebens. Auch gab er die Anregung zur Stiftung der rügisch-pommerschen Abtheilung des Kunstvereins und zur Greifswalder akademischen Zeitschrift von 1822–1833, in welcher Bd. II, Heft 1-3 die Nachrichten über pommersche Kunst und seine eigenen Sammlungen unter Aufstellung höherer künstlerischer Grundsätze mitgetheilt und seine warme Heimathsliebe in dem Aufsatz über die Universität Greifswald, Bd. I, Heft I S. 3–21 ausgesprochen sind. – Feinsinn für das Schöne und ein warmes Herz für das Edle nennt sein vertrauter Freund E. M. Arndt Grundzüge seines Wesens. Seine schriftstellerische Thätigkeit war seinen vielseitigen Bestrebungen entsprechend eine mannigfache. Aus der Pflege seiner Berufswissenschaft gingen hervor: „Versuche über die Grundsätze der Civilgesetzgebung“ (1804). – „Ueber die schwedische Verfassung bei Gelegenheit der letzten Regierungsreform vom 6. Juni 1809“ (1811). – „Considérations sur la politique du gouvernement danois“ (1813). – „Bemerkungen zu Jakob Grimm’s Abhandlungen, betitelt: „Litteratur der altnordischen Gesetze“ (1818). – Guta Lagh, d. i. der Insel Gothland altes Rechtsbuch, übersetzt mit Anmerkungen“ (1818). – „Beyträge zur Kenntniß des germanischen Rechts“ (1822). – „Ueber die religiöse Gemeinschaft der alten Mitschwörenden unter einander und mit dem Principal. Nach deutschen und skandinavischen Rechtsquellen“ (1833). – „Das Gottesbewußtsein im Volksrechte der Germanen nebst einigen Betrachtungen verwandter Art über die neuere Zeit“ (1839). – „Zwei kleine Aufsätze über Gegenstände des altgermanischen Rechts“ (1841). – „Die Religion im Rechte, eine Vorlesung.“ – Um den Sinn für das Oeffentliche anzuregen, gab er „Einige Ideen über ständische Volksvertretung in Neuvorpommern und Rügen“ (1818), sowie „Kleine Aufsätze aus bedrängter Zeit“ (1833) heraus. Seinem regen und seinen Kunstsinn verdanken wir folgende Schriften: „Ueber die Beschäftigung mit Denkmalen unserer Vorzeit“ (1816) und „Anordnung des Vorrats von Kunstwerken, die sich in meinem Besitze oder nächstem Bereiche, insonderheit an öffentlichen Orten der Stadt finden, um sie in geschichtlicher Folge vorzuzeigen oder darauf hinzuweisen“ (1833), eine Schrift, welche Kugler im Museum 1839, No. 1 und in seinen gesammelten kleinen Schriften III, 42, mit großer Anerkennung beurteilt. Obwohl er sich bei zunehmendem Lebensalter immer mehr von der Außenwelt abschloß und ein fast einsiedlerisches Dasein führte, erstarkte dennoch sein kirchlicher wie bürgerlicher Gemeinsinn, und er bethätigte sein reges Interesse für Volkssitte und Volkspoesie auch durch Sammlung und Herausgabe von Liedern des Webers Jacob Drews, Schulzen zu Gristow unweit Greifswald (1884) und „Des Bauern Jacob Harder zu Gramtitz auf Wittow Versuch, seine Lebensbegebenheiten aufzuschreiben“ (1830). Seine Vorliebe für das Schwedische gab Anlaß zur Herausgabe der „Lebensbeschreibung des schwedischen Bauern und Malers Hörberg“ (1819). – In den Jahren 1822–1833 war er schließlich als Herausgeber betheiligt an der „Greifswaldischen akademischen Zeitschrift“, zwei Bände, 1822 bis 1833.

Sein dritter Sohn Hermann, geboren am 9. Februar 1817 zu Greifswald, † am 2. December 1860 ebendaselbst, offenbarte von Jugend auf glänzende Geistesgaben, und durch eigene Strebsamkeit, sowie durch den Einfluß des hochgebildeten [207] und allseitig anregenden Elternhauses entwickelten sich dieselben schnell. Privatim vorbereitet, besuchte er das Greifswalder Gymnasium, auf dem Theodor Parow’s Lehre und Vorbildung von nachhaltigster Bedeutung für ihn ward, förderte sich nebenher autodidaktisch und bestand zu Michaelis 1839 die Abiturientenprüfung. Seine akademischen Studien absolvirte er sodann in Philosophie, Philologie und anderen Wissenschaften zu Greifswald und Berlins und bereitete sich später für den akademischen Lehrberuf vor, so sehr auch Kränklichkeit ihn daran hinderte. Im J. 1852 habilitirte er sich an der heimathlichen Universität und fand durch seinen geistig anregenden wie tief speculativen Vortrag wachsende Anerkennung, so daß er 7 Jahre später zum außerordentlichen Professor der Philosophie befördert wurde. Inzwischen hatte sich jedoch sein andauerndes Siechthum immer bedrohlicher zu einer Brustkrankheit entwickelt, von der er vergebens durch mehrmaligen Aufenthalt in Lippspringe Heilung suchte. – Zwei Abhandlungen über den „Griechischen Artikel“ im Archiv für Philologie XVII, Heft 1, S. 101–126, und über „die Sophisten“, ebendaselbst XVII, Heft 3, S. 469–480, sowie das tiefsinnige Werk: „Der Prozeß der Weltgeschichte als Grundlage der Metaphysik oder Wissen des Wissens ist Wissen der Geschichte“ (1854), über welches sich eine scharfe Polemik mit dem jüngeren Fichte in Noack’s Zeitschrift für Philosophie entspann, bilden, von Manuscripten abgesehen, seine schriftstellerische Hinterlassenschaft.

Umriß meines Lebens, für das Konversationslexikon entworfen von K. Schildener. Leipzig 1840. – Einiges aus meinem Leben, zum Verständniß und Abschied. Handschriftlich für meine Freunde. Greifswald 1838. – Kleine Folge von Briefen zwischen Dr. Karl Schildener und Dr. Theodor Schwarz, Pastor zu Wieck auf der Insel Rügen, herausgegeben von einem beiderseitigen Freunde. Hamburg 1844. – E. M. Arndt’s Brief vom 17. September 1858 an Professor Pyl. – Pyl, pommersche Geschichtsdenkmäler IV, 3. Greifswald 1874. – Biederstedt, Nachrichten von pommerschen Schriftstellern S. 120. 1822. – Kosegarten, Geschichte der Universität Greifswald I, 312. – Konversationslexikon der Gegenwart, S. 854 ff. Leipzig, Brockhaus, 1840.