Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Spohr, Louis“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 239–259, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spohr,_Louis&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 16:01 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 35 (1893), S. 239–259 (Quelle).
Louis Spohr bei Wikisource
Louis Spohr in der Wikipedia
Louis Spohr in Wikidata
GND-Nummer 118616366
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|35|239|259|Spohr, Louis|Hans Michael Schletterer|ADB:Spohr, Louis}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118616366}}    

Spohr: Louis S., geboren am 5. April 1784 in Braunschweig, † am 22. October 1859 als kurfürstlicher Hofcapellmeister und Generalmusikdirector in Kassel. – Nicht nur als auf allen Gebieten seiner Kunst hervorragender Musiker, auch als verehrungswürdiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, zählt S. zu den bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Als Violinspieler unerreicht und bis heute immer noch der erste, wenn die großen Geiger unseres Jahrhunderts genannt werden, als Componist sich den besten Meistern zur Seite stellend, als Dirigent wie kein anderer gesucht, gefeiert und geehrt, als Lehrer von größtem Einflusse auf die Technik seines Instrumentes, eine bis heute nachwirkende Schule bildend, war er auch durch seinen lautern, tadellosen Charakter, edle Gesinnung und patriotische Begeisterung, wie durch seine imposante, machtvolle Persönlichkeit eine wahrhaft erhabene gottbegnadete Erscheinung. Von dem weitreichenden Einfluß, den der treffliche Mann nach allen Richtungen hin übte, geben zahllose an ihn gerichtete Briefe Beweis. Nicht nur Briefe seiner angesehensten Zeitgenossen, welche höchste Achtung und Verehrung athmen, auch von seinen vielen Schülern, die alle mit gleicher inniger Liebe ihm anhingen, von Dichtern und Schriftstellern, kurz von Personen aus allen Ständen und Berufsclassen. Dem Meister war eine lange Laufbahn beschieden; mehr als ein halbes Jahrhundert war er in seiner Kunst, seinem Berufe thätig, und man darf sagen, daß er die ihm vergönnte Lebenszeit wohl ausgenützt hat. Allerdings mußte auch er am Ende es erleben, daß er zuletzt in eine Periode hinüberragte, die andere Bahnen einschlug und von den hohen, reinen Idealen sich abkehrte, denen er stets treu folgte; aber neidlos und mit edler Seelenruhe schätzte und förderte er aufstrebende Talente, auch wenn sie, wie das nicht überraschen darf, sein Entgegenkommen schlecht lohnten und gerne den gewaltigen Mann, dem sie Dank schuldeten, zurückgedrängt hätten. Die Liebe und Achtung der [240] besten seiner Mitlebenden blieb ihm dennoch und wurde ihm, wenn auch von einer kleiner gewordenen Gemeinde weit über das Grab bewahrt, ja ist, wenn nicht alles täuscht, in höherer Würdigung seiner Werke und Verdienste wieder in erfreulicher Zunahme, so rücksichtslos eine aller Pietät bare Kritik auch gegen ihn vorgegangen ist und noch vorgeht. Da derer nur wenige sind, die S. selbst noch als Violinspieler gehört haben, als welcher er so Ueberragendes leistete, daß man zwischen ihm und besten späteren Künstlern kaum einen Vergleich ziehen kann, da die tüchtigsten seiner Schüler nun auch bereits hinübergegangen und Mitwirkende und Hörer der Concerte und Feste, die er einst geleitet, längst keine Aufführungen mehr besuchen, kann sich die Beurtheilung des Meisters, dessen würdevolles Aeußeres (vielleicht nur mit dem Goethe’s zu vergleichen), dessen bewußt künstlerische Haltung allerdings seinem Eingreifen in musikalische Vorkommnisse so bedeutsamen Nachdruck verlieh, nur an dessen Werke halten. Aber nur die Wenigsten und wie gewöhnlich, gerade die Absprechendsten, kennen auch nur den kleinsten Theil derselben, sind fähig, das tiefe überquellende Gemüthsleben, das in ihnen pulsirte, zu verstehen, noch auch die besondere Zeitströmung, in der sie entstanden sind und die so großen Einfluß auf des Meisters Schaffen übte, daß man sie als den musikalischen Gesichtsausdruck ihrer Periode bezeichnen kann, zu würdigen. Dazu kommt noch die ganze Eigenartigkeit der Spohr’schen Compositionen, die so durch und durch originell sind, daß man sie mit denen anderer Tonsetzer kaum vergleichen kann, die ein förmliches Hineinleben in sie voraussetzen, wie die Bach’schen, will man sie richtig beurtheilen. So viel ist sicher, daß solche, die sie einmal lieben lernten, dem süßen Zauber und der traumhaften Stimmung, die sie stets hervorrufen, sich nimmermehr entziehen können. Allerdings ist das Gebiet des Spohr’schen Schaffens ein insofern beschränktes, als er, der romantischen Schule angehörend, mehr dem Weichen und Innigen, als dem Kräftigen und Glänzenden huldigte. Man kann nicht behaupten, daß er nicht unter Umständen groß, gewaltig, ergreifend zu schreiben vermochte, aber der immer Maaß, Ordnung, Ruhe und strenge Form wahrende, stets höchste, ideale Bahnen wandelnde Meister geht nicht darauf aus, wilde Leidenschaft zu entflammen, maßlose Verzweiflung zu schildern, höchster Sinnlichkeit verzehrenden Ausdruck zu geben. Ihm ist die musikalische Kunst eine beglückende, beruhigende, veredelnde, Leid und Aufregung stillende, keine berauschende und verwirrende. In der frühesten Zeit seiner compositorischen Thätigkeit schloß er sich innig an Mozart an, der ihm auch durch sein ganzes Leben Idol und Vorbild blieb. Seine vielseitige künstlerische Beanlagung geht vorzugsweise auf das Liebliche, Zarte, Milde, Schwermüthige. Für die Klage findet er leichter entsprechenden Ausdruck, als für ausgelassene Lust, selbst auf seiner Heiterkeit liegt ein elegischer Schatten. Dabei aber weiß er dem Humor köstliche Töne, dem Frohsinn neckende Weisen zu geben, jedoch weniger naiv als sentimental. Ohne Bach’s strenge Größe, Händel’s elementare Gewalt, Beethoven’s hohen Flug zu besitzen, vermag er, durch fein ausgebildeten Formensinn geleitet, des Empfindens geheimste Regungen zu wecken und die Seele mit beseligenden Eindrücken und unvergleichlichen Tonbildern zu erfüllen. –

S. wurde als der Sohn des späteren Medicinalrathes Karl H. S. (Predigerssohn a. Woltershausen im Hildesheimschen, † 1. Dec. 1843) und seiner seit 26. Nov. 1782 mit ihm verheiratheten Gattin, der Predigerstochter E. J. Henke aus Braunschweig (1763–1840), geboren. Er war das älteste Kind beider (vier Brüder und eine Schwester folgten) und offenbarte schon bald ungewöhnliche Empfänglichkeit und Feinheit der Sinne. Das häusliche Musiciren der Eltern (der Vater blies Flöte, die Mutter war eine gute Clavierspielerin und Sängerin) weckte die frühesten Aeußerungen musikalischen Talentes. In den ersten Jugendjahren schon nahm [241] der Knabe als Sopranist an den Abendmusiken Theil, mit dem 6. Jahre begannen seine Violinübungen. Der Vater war 1786 als Physikus nach Seesen versetzt worden und siedelte erst 1815 nach Gandersheim über, wo er über 25 Jahre wirkte. Als um 1790 ein französischer Emigrant, Dufour, der zugleich ein guter Geiger und Violoncellist war, sich in Seesen niederließ, wurde dieser sein Lehrer. Ueber die schnellen Fortschritte des Knaben höchst erstaunt, war er es auch, der den zwar strengen, aber verständigen und vortrefflichen Vater zu bewegen wußte, daß derselbe sich ganz der Musik widmen durfte. Nun begann er auch, ohne je theoretischen Unterricht erhalten zu haben, seine ersten Compositionsversuche (Duette für 2 Violinen und eine unvollendet gebliebene Oper, Text von Weiße). Nachdem er vom Großvater in Woltershausen confirmirt worden war, kam er, um nun endlich systematischen Musikunterricht zu erhalten, nach Braunschweig. Kammermusiker Kunisch und Organist Hartung, dieser aber nur kurze Zeit, wurden seine Lehrer. Bald betheiligte er sich (mit meist selbstcomponirten Violinvorträgen) an den Concerten des Schulchors, an den Abonnementsconcerten des deutschen Hauses und im Theaterorchester. Sein ihm väterlich wohlwollender, ehrlicher Lehrer drang nach kurzer Zeit schon darauf, daß der beste Geiger Braunschweigs, Concertmeister Maucourt, ihn als Schüler annahm und schon binnen Jahresfrist soweit förderte, daß er, vierzehnjährig, als reisender Künstler sein Glück zu versuchen wagte. Zwar mißglückte der zu ungünstiger Jahreszeit unternommene erste Versuch einer Kunstreise nach Hamburg; aber nachdem er nach seiner Rückkehr nach Braunschweig des Herzogs Gunst gewonnen und dieser ihn in der Hofcapelle angestellt hatte (15jährig, mit 100 Thlr. Gehalt), konnte er nun bei äußerster Sparsamkeit auf eigenen Füßen stehen und sich seinen Studien und seiner Musiklust ungehindert überlassen. Jetzt schon bethätigte der junge Künstler jenes stolze Selbstbewußtsein und feine Ehrgefühl, dessen Aeußerungen sich in seinem Lebensgange oft finden. Als ihn ein herzoglicher Kammerdiener „Er“ nannte, beschwerte er sich energisch beim Herzog, und als er gelegentlich eines Hofconcertes, bei welchem zugleich die regelmäßigen Spielpartien der Herzogin Auguste, einer geb. Prinzessin von Wales, stattfanden und ein- für allemale strenger Befehl gegeben war, um die Spielenden nicht zu stören, nur ganz piano zu musiciren, überließ er sich trotz des ihm besonders wiederholten Verbots seiner ihn fortreißenden Begeisterung und strich seine Geige mit feuriger Kraft. Verhältnißmäßig dürften nur selten fremde Künstler nach Braunschweig gekommen sein, aber Kunstfahrten waren ja von Alters her der Sport aller Musiker. So besuchten denn einmal auch C. Aug. Seidler, Concertmeister in Berlin (1778 bis 1840), dessen schöner weicher Ton und seltene Correctheit S. hinriß und sein Schüler Fr. Wilh. Pixis, dessen außerordentliche Fertigkeit ihm imponirte und zu größtem Nacheifer entflammte, Braunschweig. Mit letzterem trug S. ein Doppelconcert vor. Herzog C. W. Ferdinand, der leider schon wenige Jahre nachher (1806) seinen in der Schlacht bei Auerstädt erhaltenen Wunden erlag, war selbst guter Geiger, feiner Kenner und großer Freund der Tonkunst, der sich seinem Schützling S. stets wohlgeneigt erwies. Er forderte ihn auch auf, sich unter den berühmtesten lebenden Geigern einen Lehrer zu wählen. S. nannte ohne Bedenken Viotti. Aber der war Weinhändler in London geworden. Dann Friedr. Eck[WS 1] in Paris; doch der hatte kurz vorher eine sehr reiche Dame, die Gräfin Tattenbach in München, entführt und lebte mit ihr in floribus auf einem von ihrem Gelde erworbenen Gute bei Nancy. Nun fiel die Wahl auf dessen Bruder[WS 2] Franz, der gerade mit großem Beifall in Berlin concertirt hatte und, als er jetzt in Braunschweig spielte, auch dem Herzog sehr gefiel. Derselbe war jedoch momentan im Begriffe nach Petersburg zu reisen und, wollte S. seines Unterrichts [242] theilhaftig werden, mußte er sich entschließen, die Fahrt dorthin mitzumachen.

Auch darein willigte der Herzog, und man einigte sich bald zu beiderseitiger Zufriedenheit über alle Bedingungen. Schweren Herzens und in traurigster Stimmung, schied, Ende April 1802, der junge Künstler von Eltern und Freunden. Ueber diese interessante und vergnügliche Reise, die in aller Gemächlichkeit und mit längerem Aufenthalte in verschiedenen Städten über Hamburg, Strelitz, Danzig, Königsberg, Mitau, Riga, Narwa nach Petersburg, wo man am 22. December anlangte, ging, theilt S. in seiner Autobiographie aus seinem sehr sorgfältig geführten Tagebuche höchst anziehende Bruchstücke mit. Am 2. Juni des folgenden Jahres verließ er die nordische Hauptstadt wieder, in Begleitung des Directors der Leibeigenencapelle des Senators Teplow, Leveque, der seine Eltern (sein Vater war Hofconcertdirector und berühmter Geiger) in Hannover besuchen wollte, die Heimreise antretend. Er wählte diesmal den Seeweg über Kronstadt, Bornholm und Travemünde. Am 5. Juni, früh 2 Uhr, traf er in Braunschweig wieder ein. Wir müssen es uns versagen, näher auf diese Reise einzugehen, auf der das Violinconcert op. 1 und die 3 Violinduette op. 3, entstanden, viele interessante Bekanntschaften, namentlich auch in Künstlerkreisen gemacht (Fodor, Clementi, Field u. a.) und viel Schönes und Großartiges gesehen und gehört wurde. Nur drei für S. sehr charakteristische Stellen dieses Berichts seien hier angeführt. Gelegentlich des Hamburger Aufenthaltes, allwo eine 13jährige Musiklehrerstochter starken Eindruck auf sein Herz gemacht, gesteht er: „Es möchte nun an der Zeit sein, zu erwähnen, daß der junge Künstler von frühester Jugend an sehr empfänglich für weibliche Schönheit war und daß er schon als Knabe sich in jede schöne Frau verliebte.“ War es bei Beethoven und andern großen Künstlern anders? Und ist nicht diese rasche sinnliche Erregbarkeit ein Merkmal jeder echten Künstlernatur? Allerdings, das Lebensschiff vieler scheitert an dieser gefährlichen Klippe. S., der nie seinen hohen Beruf aus den Augen verlor, ging ungefährdet und rein, innerlichst doch nur von Liebe für seine himmlische Kunst erfüllt, aus allen Versuchungen hervor. Und an anderer Stelle sagt er, als er von seinen anstrengenden Violinstudien spricht: „Ich wurde in ihnen durch kräftige Gesundheit und herkulischen Körperbau unterstützt.“ Erstere bewahrte er sich bis in sein hohes Alter, letzterer, durch abhärtende Leibesübungen gestählt, ließ ihn über alle seine Collegen, nicht nur als Künstler, eines Hauptes Länge hervorragen. Als ihn einst eine Dame, der er erzählt hatte, daß ihn sein Vater ursprünglich zum Studium der Medicin bestimmt gehabt, bemerkte, es wäre doch besser gewesen, wenn er Doctor geworden wäre, antwortete er, von der Würde seines Berufes durchdrungen, entrüstet: „So hoch der Geist über dem Körper steht, so hoch steht auch der, welcher sich der Veredlung des Geistes widmet, über dem, der nur den vergänglichen Körper pflegt.“ Für die Anschauung und den Charakter Spohr’s gewiß die markanteste Aeußerung. Eck, der eines Liebesverhältnisses mit einer hohen Dame wegen seine Stellung in der Münchner Hofcapelle hatte aufgeben müssen, war damals von einem bösartigen Leiden heimgesucht. Wurde dadurch nun auch mehrfach der Unterricht unterbrochen, so muß man doch anerkennen, daß er sich gewissenhaft demselben widmete. Sein Schüler dagegen, mit dem ihn bald ein freundschaftliches Verhältniß verband, strebte mit rastlosem Fleiße vorwärts und vergalt alle Mühe seines wirklich vortrefflichen Lehrers, der ein ausgezeichneter Virtuose gewesen sein muß, und die künftige Größe Spohr’s richtig ahnte und anerkannte, reichlich. Zwischen eifrigstem musikalischen Vorwärtsstreben und vielfacher Beschäftigung mit Zeichnen und Miniaturmalerei, wofür er ebenfalls höchst talentirt war, verflog das ihm vergönnte Studienjahr nur zu rasch. Eck konnte ihn mit dem [243] Reifezeugniß eines ausgezeichneten Künstlers nach demselben entlassen. Beide sahen sich nicht wieder. Eck kam in die getrübtesten Familienverhältnisse, wurde irrsinnig und starb geistesumnachtet 1809 oder 10 in Bamberg. Als S. wieder in Braunschweig eintraf, war gerade der berühmte Rode, dieser trefflichste Schüler Viotti’s anwesend. Es war dies eine der einflußreichsten Begegnungen des jungen Künstlers, der von dem Spiele dieses großen Geigers ganz hingerissen wurde und sich nun durch sorgfältiges Studium von dessen Compositionen bald zu dessen getreuestem Nachahmer ausbildete, so zwar, daß beider Spiel kaum mehr zu unterscheiden war. Kurze Zeit nach Rode gab auch S. mit außerordentlichem Erfolge sein Concert. Der Herzog, der sich ihm noch immer als treuer Gönner erwies und ihn seit seiner Rückkehr durch wiederholte großmüthige Beweise seiner Huld ausgezeichnet hatte, stellte ihn nun mit 300 Thalern in seiner Hofcapelle an. In Petersburg hatte S. die Freundschaft eines jungen Künstlers, Remi, gewonnen, der sich ihm sehr ergeben erwies und mit dem er öfters Duette spielte. Am 5. April, seinem Geburtstage, geschah dies wieder und darnach machte ihm Remi den Vorschlag, zum Andenken an diesen genußreichen Tag, die Geige mit ihm zu tauschen. Es war eine prachtvolle Guarneri, die so in seinen Besitz gelangte, viel besser als die bis jetzt von ihm gespielte. Er war glücklich über dies kostbare Geschenk und hütete das prächtige Instrument wie seinen theuersten Besitz. Leider sollte er sich desselben nicht lange erfreuen, denn auf einer Kunstreise nach Paris, die er 1804 mit dem Violoncellisten Benecke unternahm, wurde ihm diese Violine sammt seinem Koffer nahe dem Thore von Göttingen, gestohlen. Folge dieses fatalen und für ihn höchst schmerzlichen Vorfalls, der ihn plötzlich seines köstlichen Instruments beraubte, war die sofortige Heimkehr nach Braunschweig. Man darf übrigens fragen: Würde S. dieser ganz eigenartige deutsche Meister geworden sein, wäre es ihm möglich gewesen, in seiner Jugend schon Paris zu besuchen? In diesem Sommer entstanden das Violinconcert Nr. 2 (d-moll) und das Potpourri op. 5. Im Herbst ward eine neue Kunstreise angetreten, über Halberstadt und Magdeburg nach Leipzig, Dresden und Berlin. Ueberall fand sein Spiel sensationellen Beifall. Er durfte sich auch rühmen, der erste gewesen zu sein, der in Leipzig und Berlin Beethoven’sche Quartette spielte, die jedoch, von den damaligen Hörern nicht verstanden, abgelehnt wurden. Der nun schon gefeierte Geiger ward allerwärts höchst ehrenvoll aufgenommen. Auf dieser Reise entspann sich auch ein ernsthaftes Liebesverhältniß mit einer schönen und trefflichen Sängerin Rosa Alberghi aus Dresden, das beinahe zur Verehelichung geführt hätte. Im folgenden Jahre (5. August 1805) wurde S. als herzogl. Concertmeister mit 500 Thalern in Gotha angestellt. Vorher noch war er Gast des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen in Magdeburg, mit jugendlichem Behagen sich hier am sonderbar wildbewegten Leben, das der Prinz führte, betheiligend. Ueber diesen Besuch findet man, wie über so vieles andere, nähern Bericht in der schon angeführten Autobiographie Spohr’s, einem der lesenswerthesten, gehaltvollsten und angenehmsten Bücher der musikalischen Litteratur. Hier endlich, in Gotha, sollte der Schmetterling gefangen, die „Hopfenstange“, wie er von einer Freundin seiner Erwählten bei der ersten Begegnung genannt wurde, mit Blumengewinden festgehalten werden. Während einer kurzen Anwesenheit in Altenburg, wohin die Gotha’sche Hofcapelle im Herbste befohlen worden war, verlobte er sich dort mit Dorette Scheidler, einer ausgezeichneten Clavier- besonders Harfenspielerin aus Gotha (er selbst hatte mit Eifer einst längere Zeit dies Instrument geübt und besaß von je eine Vorliebe dafür). Am 2. Feb. 1806 fand in der Schloßcapelle zu Gotha die Trauung statt. Eine von den jungen Gatten alsbald geplante Kunstreise wurde indessen durch die Kriegsereignisse und die freudige Aussicht auf einen [244] Familienzuwachs vereitelt. Die glücklichen Eltern wurden am 27. Mai 1807 durch die Geburt eines Töchterchens erfreut (Emilie, in der Folge Gattin des Fabrikanten Zahn, jetzt noch (1892) in erfreulichem Befinden in Kassel lebend), deren Taufpathe der durch seine originellen Sonderbarkeiten bekannte Herzog Emil Leopold August von Sachsen-Gotha war. Im Herbste wurden frühere Reisepläne wieder aufgenommen, für die Gattin eine vorzügliche Pariser Pedalharfe, für die Fahrt ein bequemer Reisewagen beschafft und so Mitte October die Reise angetreten. Sie ging über Weimar, wo Wieland und Goethe ihrem Concerte beiwohnten, Leipzig und Dresden nach Prag, wo sie besonders enthusiastische Aufnahme fanden, weiter nach Regensburg, München und Stuttgart (wo wieder sein künstlerisches Selbstbewußtsein den Sieg über brutale Hofgewohnheiten davon trug), Heidelberg und Frankfurt a. M. Die Künstler hatten auf dieser, auch lucrativen Reise, wieder vielen wohlverdienten und reichen Beifall gefunden und manche interessante Bekanntschaft gemacht, so in Prag die eines begeisterten Kunstfreundes, Kleinwächter, in München die des Capellmeisters Winter, in Stuttgart die Danzi’s und Karl Maria v. Weber’s. Schon in Braunschweig hatte S. die Freude, daß Schüler von auswärts seinen Unterricht begehrten. In Gotha fanden sich deren noch mehr ein, unter ihnen ein gewisser Hildebrandt aus Rathenow, dessen Talente sein Lehrer außerordentlich rühmt, der nachmals so berühmte Moritz Hauptmann aus Dresden, H. J. Wassermann aus Schwarzbach bei Fulda u. a. Bis zum Ende seines langen Lebens blieb S. seiner Lehrthätigkeit getreu. Er war seinen Schülern, die stets mit inniger Verehrung und anbetender Liebe zu ihm emporsahen, stets ein väterlicher, theilnehmender Freund und es ist wahrhaft rührend, die vielen Briefe zu lesen, welche dieselben noch in spätern Jahren, da sie selbst längst in ehrenvollen Stellungen sich befanden, immer noch an ihn richteten. Durch sie aber, die aus allen Ländern Europas sich um ihn sammelten, und deren Zahl sich zuletzt auf nahezu 200 belief, gelang es ihm, ebensoviele begeisterte Apostel seiner Kunst hinauszusenden und mit der ganzen musikalischen Welt stets in enger Fühlung zu bleiben. Eine reiche Thätigkeit füllte in der stillen thüringischen Residenz seine Zeit aus. Die ihm unterstellte Capelle erhob er auf eine Aufsehen machende Kunsthöhe, an eigener künstlerischer Vollendung, wie der seiner Gattin, arbeitete er unaufhörlich, bis beide es zu Leistungen brachten, die von Andern weder erreicht, noch übertroffen wurden, dem Unterrichte seiner Zöglinge widmete er sich mit größter Gewissenhaftigkeit und zu neuen Compositionen, die allmählich alle Gebiete der Kunst umfaßten, sah er sich unausgesetzt veranlaßt. Außer vielfachen Werken für Violine und Harfe, componirte er nun auch für seinen Freund Hermstedt, Concertmeister in Sondershausen, eine Anzahl wundervoller Clarinettconcerte, das beste was überhaupt je für Clarinette geschrieben wurde; schrieb seine ersten Quartette und Sinfonien, wie seine drei frühesten Opern und sein erstes Oratorium. Höchst anziehend ist wieder, was die Autobiographie vom Fürstencongreß in Erfurt und andern politischen Ereignissen erzählt. Am 6. Nov. 1808 vermehrte sich die Familie durch die Geburt eines zweiten Töchterchens (Ida, nachmals mit Professor Wolff in Kassel vermählt), welches Ereigniß aber leider eine lange Krankheit Dorettens nach sich zog. Nachdem sie glücklich wieder genesen, wurden verschiedene Reisepläne besprochen. S. bestand auf einer Kunstreise nach Rußland, zu der sich seine Gattin nach langem Widerstreben endlich doch geneigt zeigte. Beide traten dieselbe im October 1809 an, concertirten in Weimar, Leipzig, Dresden, Bautzen und Breslau. Hier wurden sie aber durch ein nicht abzulehnendes Anerbieten der Herzogin von Gotha, die sie nicht lange entbehren wollte, von der Weiterreise abgehalten und zur Rückkehr veranlaßt, die nun auch über Liegnitz, Glogau, Berlin und Hamburg, [245] wo die Bekanntschaft A. Romberg’s und des Musikdirectors Schwenke gemacht wurde, erfolgte. Besonders interessant gestaltete sich der folgende Sommer dadurch, daß der Cantor Bischoff von Frankenhausen daselbst das erste deutsche Musikfest ins Leben rief (20.–21. Juni 1810), das, wie auch das zweite (1811), S. dirigirte. Dadurch gründete er seinen großen Ruf als vorzüglicher Dirigent. Das erste dieser Feste wurde für ihn auch noch dadurch wichtig, als er hier die Bekanntschaft eines seiner treuesten und besten Freunde machte, des Amtsrathes Lüder in Catlenburg. Bischoff veranlaßte ihn auch zur Composition des Oratoriums „Das jüngste Gericht“, das in einem Festconcerte am 15. August 1812, dem Napoleonstage, in Erfurt aufgeführt und von ihm geleitet wurde. Im Herbst 1812 erbat sich S. neuen Urlaub zu einer Kunstreise, der von der Herzogin, als wenn sie den Verlust ihres berühmten Concertmeisters vorgeahnt hätte, nur mit Widerstreben gewährt wurde. Da jetzt S., ohne es zu wissen, für immer aus Gotha schied, sei noch erwähnt, daß er hier Freimaurer geworden war und den zweiten Grad erreicht hatte; später erhielt er in Berlin den dritten, den Meistergrad. In Leipzig spielten die Gatten in einem von Freund Hermstedt gegebenen Concerte, dann in Prag, worauf sie ihrem Reiseziel, Wien, zusteuerten. Sie gaben dort am 17. December ihr erstes Concert. Auf dieser Reise wurde auch das neue Oratorium wiederholt aufgeführt, vom Componisten aber, der sehr streng in Beurtheilung seiner Werke war, dann zurückgezogen. In Wien traf S. wiederum mit Rode zusammen, erwies sich aber nun als ein ihm weit überlegener Geiger. Schon wollte er seine Reise nach Italien fortsetzen, als ihm vom Grafen Palffy, dem Eigenthümer des Theaters an der Wien, der Vorschlag gemacht wurde, unter nicht zu verachtenden Bedingungen als Concertmeister, neben dem Capellmeister Ritter Ignaz v. Seyfried, bei demselben einzutreten. Im Orchester fanden auch als liebe Genossen seine Schüler, Bruder Ferdinand und M. Hauptmann, Anstellung. In diese Zeit fällt ein eigenthümlicher Vertrag mit einem Fabrikbesitzer und reichen Kunstfreunde, einem H. v. Tost, der ihm alle seine Kammermusikwerke für die Dauer von 3 Jahren, wornach sie wieder sein Eigenthum werden sollten, abkaufte, nur um stets dabei sein zu können, wenn sie gespielt wurden! Hier in Wien ward den dadurch hochbeglückten Gatten im Herbste 1813 ein Sohn geboren, der aber nur 3 Monate alt wurde. In Gesellschaft eines Leipziger Kaufmanns erfolgte, um dort alte Beziehungen zu lösen, die von S. allein unternommene Rückreise über Prag und Chemnitz, wo er das Unglück hatte, sich bedenklich den Finger zu lädiren, was ihm den einzigen Ohnmachtsfall in seinem Leben zuzog, nach Leipzig und Gotha. Der Abschied von seiner Gönnerin, der Herzogin, die sehr verstimmt über seinen Weggang war, von den Mitgliedern der Capelle, von seiner Schwiegermutter, von so vielen lieben Freunden, fiel ihm sehr schwer. Endlich saß er mit seinem Bruder Ferdinand, den Kindern und einem Dienstmädchen im Wagen, der die Richtung nach Regensburg nahm, von wo auf einem gemietheten Schiff bei herrlichstem Wetter die sehr vergnügliche Fahrt nach Wien auf der Donau zurückgelegt wurde, wo sie am Landungsplatz Dorette sehnsüchtig erwartete. Die wichtigsten Früchte des reichen und anregenden Wiener Aufenthaltes waren: die herrliche Oper „Faust“ (Ende Mai bis Mitte September 1813) und einige auf Tost’s Wunsch geschriebene Kammermusikwerke, darunter, einzig in ihrer Art, das „Nonett“, op. 31 und das „Octett“, op. 32. Auch eine große, zweitheilige Cantate: „Das befreite Deutschland“ (Januar bis März 1814), zur Siegesfeier der Deutschen, entstand in Wien. Leider hörte der Tonsetzer beide Compositionen, die Oper, die doch schon zur Darstellung angenommen und zum Einstudiren vertheilt war, und die Cantate, die auch bereits geübt wurde, in Wien nicht mehr. Erstere kam bald nachher [246] erstmalig unter Weber’s Leitung in Prag, letztere erst gelegentlich eines Musikfestes in Frankenhausen zur Aufführung. Man hatte, und nicht ganz ohne Grund, gegen die Spohr’schen Gesangscompositionen, jetzt schon wie später, den Vorwurf erhoben, daß man ihnen allzusehr anfühle, daß ein Violinspieler sie geschrieben habe, und sie unsangbar und undankbar auszuführen seien. An diesem Vorwurf scheiterte in Wien vornehmlich die Inscenirung des Faust. In die Zeit des Spohr’schen Aufenthaltes fällt auch der Wiener Congreß mit seinen glanzvollen Festen, der fast alle bedeutenden Persönlichkeiten dieser Tage in Oesterreichs Hauptstadt sich begegnen ließ und namentlich auch die besten Künstler dorthin führte, C. M. v. Weber, Hummel, Fesca, Pixis, Hermstedt u. v. a. Auch mit Beethoven trat S. in diesen Jahren in intime freundschaftliche Beziehungen. Inzwischen hatte sich in seiner Stellung zum Grafen Palffy manches geändert, was ihm ein Scheiden aus derselben wünschenswerth machte. Der auf 3 Jahre abgeschlossene Contract wurde daher nach beiderseitigem Uebereinkommen schon nach 2 Jahren gütlich gelöst und S., jetzt wieder frei, beschloß nun, seinen lange gehegten Plan einer Reise durch Europa auszuführen. Er gab in Wien noch ein gut besuchtes Abschiedsconcert, ging 8. März 1815 nach Brünn und Breslau, wo wieder concertirt wurde, und verbrachte dann mit seiner Familie den Sommer sehr angenehm bei dem Fürsten Carolath auf dem Schlosse Carolath in Schlesien. Von dort wurde die Reise nach mehrmonatlichem Aufenthalt über Dresden und Leipzig nach Gotha, wo wiederum eine längere Rast gemacht wurde, fortgesetzt. Ein Besuch bei den jetzt in Gandersheim wohnenden Eltern, ein Concert in Hannover und das von S. dirigirte Frankenhauser Musikfest, brachten Abwechslung in sein stilles, behagliches Leben. An Spohr’s Stelle war in Gotha A. Romberg getreten. Ende October wurde die begonnene Reise über Meiningen, Würzburg, Nürnberg, Frankfurt, Heidelberg, Karlsruhe, Straßburg, durch den Elsaß nach Basel, Zürich und Bern bis zu dem Dorfe Thierachern bei Thun, fortgesetzt, wo vom 26. April bis 2. September 1816 Sommerfrische gehalten und fleißig componirt und studirt, aber auch manch interessanter Ausflug gemacht und im August das Musikfest in Freiburg besucht wurde. S. hatte für alle Naturschönheiten einen sehr empfänglichen Sinn. In Thierachern fand er, was sein Herz begehrte und war unersättlich in der herrlichen Umgebung seines Wohnortes zu schwelgen und alle Reize derselben aufzusuchen und durchzukosten. Nun sollte sich endlich auch ein seit früher Jugend von ihm gehegter Wunsch erfüllen. Nachdem ein sehr beschwerlicher Weg zum Leuker Bad und darüber hinaus zurückgelegt war, war es ihm am 5. September vergönnt, zum ersten Male einen Blick in das Land seiner Sehnsucht und Träume, in das Land, wo die Citronen blühn, zu werfen. Die Reisenden hielten sich einen Tag am Lago Maggiore auf und gelangten 7. September nach Mailand. In sehr vielen Dingen sahen sie sich allerdings grausam enttäuscht, insbesondere fanden sie die musikalischen Zustände in einem mehr als erbärmlichen Zustande. Für alles sonst Vermißte aber entschädigten sie die Zauber der Natur, die großartigen und herrlichen Bauten, die unerschöpflichen Kunstschätze. Sie besuchten von Mailand aus Venedig (wo S. die persönliche Bekanntschaft Paganini’s machte), Florenz, Rom und Neapel. Mit dem Concertiren sah es allerdings überall sehr windig aus, da die Italiener für Instrumentalmusik kein Verständniß besaßen; aber wo er zum Spielen gelangte, erregte seine seltene Kunst stets größte Bewunderung und so wußte er sich denn selbst neben Paganini, den man in seinem Vaterlande vor allen Geigern schätzte, mit Ehren zu behaupten. Leider mußte, da Dorette immer noch an den Nachwehen ihrer Krankheit litt, die Harfe in der Schweiz zurückgelassen werden. Sonst wäre es mit dem Solospielen auch gewiß glänzender vorangegangen. Jetzt war man nur auf Concertstücke mit Orchesterbegleitung [247] angewiesen und S. kann nicht genug klagen und schildern, wie überaus jämmerlich es damit, selbst in den größten Städten, bestellt war. Die Rückreise von Neapel, die anfangs April angetreten wurde, ging rasch und glücklich von statten. Am 2. Mai verließen die Reisenden Mailand wieder, am 8. Mai 1817 trafen sie in Genf ein. Unterwegs riskirte Versuche in Rom und Mailand zu concertiren, waren ungünstig ausgefallen, wie ein weiterer, der nun in Genf gemacht wurde. Die Reise fiel ins Hungerjahr. Ueberall war Theuerung und große Noth, daher es auch mit dem Concertspielen, wenn es überhaupt infolge des herrschenden Elends gestattet wurde, in Zürich, Freiburg, Karlsruhe, Wiesbaden und Ems, gar nicht nach Wunsch ging. S. kam dadurch momentan selbst in peinliche materielle Verlegenheit. Erst in Aachen nahmen die Verhältnisse wieder günstigere Wendung. Die Weiterreise nach Köln und Düsseldorf gestaltete sich höchst erfreulich; in Cleve wurde mit der Familie des Notar Thomae, wie einst mit der des H. Kleinwächter in Prag, ein inniger Freundschaftsbund geschlossen, und dann die Schritte nach Holland gelenkt. Schon waren erfolgreiche Concerte in Rotterdam, dem Haag und Amsterdam gegeben, als ein Antrag aus Frankfurt a. M. eintraf, der S. dorthin als Opern- und Musikdirector engagirte. Er trat diese Stellung zu Anfang 1818 an, konnte hier endlich auch seinen „Faust“ einstudiren und zur Aufführung bringen, so selbst erstmalig das prächtige Werk hören und zu neuen größeren Arbeiten gelangen. Ein erster Anlauf zu einer solchen: „Der schwarze Jäger“, zu dem Döring den Text geschrieben, wurde unterbrochen, weil die Handlung ganz mit der des Freischütz identisch war. S., der richtig erkannte, daß seine Musik nicht geeignet war ins Volk zu dringen und die große Menge zu enthusiasmiren, hat diese Unterbrechung nie bereut. Statt dieser Oper schrieb er nun die in den Solopartien leider durch Rossini’s Stil, der damals fast allein alle Bühnen beherrschte, etwas beeinflußte: „Zemire und Azor“, am 2. April 1819 erstmalig mit großem Beifall aufgeführt. In Frankfurt entstanden noch die Quartette op. 45 und 61, veranlaßt durch die sehr beifällig aufgenommenen Kammermusikunterhaltungen, die S. ins Leben gerufen hatte und eine große, für London componirte Concertouvertüre. (Ebenso wie eine Sonate für Harfe und Violine, ungedruckt.) Hier wurde auch Spohr’s drittes Töchterchen, (Therese, 29. Juli 1818, geb.), deren Pathe einer seiner begeistertsten Anhänger, der ihm sehr befreundete Banquier W. Speier war. Zerwürfnisse mit dem sehr arroganten und aufgeblasenen Vorsitzenden des Theater-Comités, einem rechthaberischen unausstehlichen Dilettanten, Kaufmann Laars, veranlaßten S. seine Stellung in Frankfurt, zum lebhaften Bedauern aller echten Kunstfreunde, zu kündigen und einem Rufe der philharmonischen Gesellschaft in London, die ihn durch Capellmeister F. Ries zum Concertmeister berief, zu folgen. Die Gatten benützten ihre noch verfügbare Zeit dazu, in Norddeutschland und Belgien eine Reihe Concerte zu geben und erreichten dann, nach sehr stürmischer Seefahrt, glücklich, von Calais aus, den Ort ihrer Bestimmung, wo ihrer eine ununterbrochene Reihe ehrenvollster Triumphe harrte. Interessant war für S. die Bekanntschaft mit dem französischen, durch seine überraschende Aehnlichkeit mit Napoleon I. berühmten Geiger, Alex. Boucher, der mit seiner Frau, auch einer Harfenistin, ebenfalls eine Concertreise machte, in Brüssel, und die mit Viotti, welcher in London eines der von ihm dirigirten Concerte besuchte. In London gelang es dem Meister auch, gegen zwei Vorurtheile mit Glück anzukämpfen, was bei dem am Herkommen hartnäckig haltenden englischen Publicum viel heißen wollte. Man war bisher dort gewohnt die Concerte vom Clavier aus zu leiten; er setzte es durch, den Taktstock benützen zu dürfen. Schwieriger und wichtiger erwies sich die andere Neuerung, welche gegen die entwürdigende Sitte ankämpfte, wonach die in einem Privatconcerte mitwirkenden Künstler nur zu ihrem Vortrage [248] in das Concertzimmer gerufen und dann ohne einen verdienten Achtungsbeweis wieder entlassen wurden. S., der bisher, um sich solcher demüthigenden Behandlung nicht auszusetzen, keine Einladung zu Musikpartien angenommen hatte, konnte eine solche des Herzogs von Clarence nicht ablehnen. Hier aber, wo die höchste Gesellschaft versammelt war, setzte er seinen Willen mit Erfolg durch. Er blieb mit seiner Gattin nicht wie die andern Künstler im Vorsaal, sondern verfügte sich sofort ins Gesellschaftszimmer, sich den übrigen Gästen gleichstellend, ward vom Herzog und seiner Gemahlin, einer geborenen Herzogin von Meiningen, auch sehr freundlich empfangen und zu dem nach dem Concerte stattfindenden Souper geladen. Diese entschlossene, selbstbewußte Handlungsweise hatte die engherzigen Schranken durchbrochen, mit denen eine hochmüthige Kaste sich zu umgeben wußte, und von da an den ausübenden[WS 3] Künstlern zu einer würdigeren Stellung verholfen. Vorzüglichen Erfolg hatte sein unter eigenartigen Umständen stattfindendes Benefizconcert, in welchem Dorette, die sich noch immer schwach und angegriffen fühlte, leider zum letzten Male als Harfenspielerin auftreten sollte. Sobald seine Verpflichtungen gegen die philharmonische Gesellschaft gelöst waren, wurde die Rückreise nach Deutschland resp. Gandersheim angetreten, wo die Kinder in der Pflege der Großeltern zurückgeblieben waren und diesmal der Sommeraufenthalt genommen wurde. Nachdem S. im Herbst einen sehr vergnüglichen Abstecher nach Quedlinburg, wohin jetzt Cantor Bischoff versetzt war, gemacht und da ein Musikfest dirigirt hatte, machten sich die Gatten zu einer Reise nach Paris fertig. Dorette hatte die Harfe mit dem Clavier vertauscht und excellirte namentlich im Vortrage des wunderschönen c-moll Quintetts (op. 52), das ihr Gatte für sie componirt hatte. Die Reise ging über Frankfurt a. M., Heidelberg, Karlsruhe, Straßburg. Die Künstler wurden sehr freundlich von den Pariser Kunstgrößen aufgenommen und erfreuten sich namentlich des Umgangs und liebenswürdigen Entgegenkommens von Cherubini, der beiden Kreutzer, Habeneck, Baillot, Moscheles, Lafont, Lessueur, Plantade u. a. Trotzdem der Meister nach Frankreich eine ganz neue Kunst des Violinspiels gebracht, mit der nicht mühelos durchzudringen war, und er gegen viele vorgefaßte Meinungen und die bekannte Eitelkeit der Franzosen, die wähnten, die ersten Geiger der Welt zu besitzen, anzukämpfen hatte, fand er doch die brillanteste Aufnahme; der Beifall des Publicums sprach sich in dem von ihm gegebenen Concerte in lebhaftem Applaudiren und Bravorufen aus. Die Rückreise nach Gandersheim erfolgte auf dem gleichen Wege, wie die Hinreise (1821). Concertirt wurde in diesem Sommer nur in Alexisbad und Pyrmont. Dann erfolgte die Uebersiedlung nach Dresden, wo die beiden älteren Töchter durch den berühmten Gesanglehrer Miksch ihre Ausbildung als Sängerinnen erhalten sollten. Er lebte hier in engem Verkehr mit Weber, der gerade seinen Freischütz einstudirte; dies regte auch in ihm wieder die Lust an, sich in einer Oper zu versuchen, aber bevor noch deren Textbuch fertig gestellt war, übernahm er an Weber’s Statt, der zunächst dahin berufen ward, die Capellmeisterstelle in Kassel, das ihm nun für die zweite Hälfte seines Lebens zur Heimath werden sollte. Er traf Neujahr 1822 dort ein, ward sehr wohlwollend vom Kurfürsten empfangen und den meisten seiner Vorschläge zur Hebung der Oper ein geneigtes Gehör geschenkt. Bald nach ihm traten wieder sein Bruder Ferdinand und M. Hauptmann in die Capelle ein. Er übernahm nun auch die Direction der Abonnementsconcerte und gründete einen Cäcilienverein. Dann, nach der sehr beifällig aufgenommenen Aufführung von „Zemire und Azor“, und nachdem seine Familie von Dresden eingetroffen war, begann er die Composition seiner neuen Oper: „Jessonda“, des Werkes, das sich unter seinen dramatischen Compositionen am längsten in unvergänglicher Frische auf dem Repertoire erhalten hat und das am Geburtstage [249] des Kurfürsten, 28. Juli 1823, erstmalig, glänzend aufgenommen, zur Darstellung gelangte. Hier in Kassel entstanden nun alle die Meisterwerke, die er seit dem Jahre 1822 schuf, seine Opern, Oratorien, Psalmen, die 7 letzten Sinfonien, die Doppelquartette, Quintette von op. 69 und Quartette von op. 68 an, die Trios, die letzten Concertstücke für Violine, namentlich aber seine Violinschule (1831), dieses einzige, unübertroffene Meisterwerk seiner Art, das obenanstehend unter allen für die Violine erdachten Unterrichtswerken, allein im Stande wäre, seinen Namen unsterblich zu machen. Eigentliche Kunstreisen, obwohl er deswegen auf das Solospiel nicht verzichtete, unternahm der Meister jetzt nicht mehr. Seine contractliche Vacanz verbrachte er meist in Karlsbad oder auf Vergnügungsreisen; dagegen ward er häufig in die Städte berufen, in denen Musikfeste stattfanden, so nach Düsseldorf 1826, Halberstadt 1828 und 1832, Nordhausen 1829 u. a. O.

Nun aber sollte den edlen Meister, bisher von den Göttern so sehr begünstigt, der härteste Schlag treffen, den das Geschick ihm vorbehalten hatte. Seine geliebte Dorette, die Mutter seiner Kinder, die Genossin und Zeugin seiner vielen künstlerischen Triumphe, seit längerer Zeit schon kränkelnd, wurde ihm, nachdem eine Cur in Marienbad anscheinend mit bestem Erfolge gebraucht worden war, am 20. November 1834 durch den Tod entrissen. Ebenso plötzlich schied im Seebade Zandfort bei Haarlem, das ihr im folgenden Jahre verordnet war, deren Schwester, die seit dem Ableben ihrer Mutter in seinem Hause aufgenommen war, aus dem Leben. Der Aufenthalt in der nun vereinsamten Wohnung wurde ihm auf die Dauer unerträglich. Er entschloß sich deshalb zu einem neuen Ehebunde und heirathete am 3. Januar 1836 eine hochgebildete, auch sehr musikalische, vortreffliche Dame, Fräulein Marianne Pfeiffer, Tochter des bekannten hessischen Patrioten, Oberappellationsrathes Pfeiffer, deren einziges Bestreben es fortan war, seine Tage zu verschönen und ihm des nahenden Alters Lasten vergessen zu machen. Diese ausgezeichnete Frau, auch dichterisch hochbegabt, schied, ihren Gatten lange überlebend, erst am 3. Januar 1892, 84jährig aus dem Leben. – Die nächsten Theaterferien benutzte S. dazu, seine junge Frau seinen Verwandten vorzustellen; er reiste über Gotha, Erfurt, wo ihm zu Ehren große Festlichkeiten veranstaltet wurden, und Leipzig, wo die alten Freunde Rochlitz und Weiß seiner harrten und eine ausgezeichnete Pianistin, Frau Voigt, alle denkbaren Aufmerksamkeiten vorbereitet hatte, nach Dresden; hier wohnten die drei Capellmeister Reissiger, Morlacchi und Rastrelli einer interessanten, von ihm gegebenen Quartettpartie bei. Hier traf er auch mit seinen alten Freunden Kleinwächter und Familie aus Prag und A. Hesse aus Breslau zusammen, worauf die ganze Gesellschaft eine sehr genußreiche Tour durch die sächsische Schweiz nach Herniskretschen machte, der die bald darauf componirte Reisesonate für Clavier und Violine, op. 96, ihren Ursprung verdankte. Von hier aus wurden dann die Brüder in Braunschweig, wo eben ein Musikfest stattfand, und auf der weiteren Heimreise auch Freund Lüder auf der Catlenburg besucht. Ein weiterer Abstecher führte den Meister noch zum 1000jährigen Jubiläum des heiligen Liborius nach Paderborn, bei welcher Gelegenheit sein einstiger Schüler, Gerke, die „letzten Dinge“ zur Aufführung brachte. Sein Bestreben, 1837 in Kassel ein Musikfest zu veranstalten, scheiterte am Widerspruch des Kurprinzen, und beinahe hätte er auch seine diesjährigen Ferien nicht rechtzeitig antreten können, um in Prag seinen „Berggeist“ zu dirigiren, da der Prinz die Urlaubsausfertigung verzögerte. Er ging also als der betreffende Tag gekommen war, ohne eine solche, und besuchte von Prag aus noch Wien, Salzburg, München und Erlangen. Im folgenden Jahre ward ihm leider der Schmerz, seine jüngste Tochter, Therese, ein ebenso talentvolles als gutgeartetes, blühendes Mädchen, [250] vom Nervenfieber schnell dahingerafft zu sehen. In Karlsbad, wo jetzt die Ferien zugebracht werden sollten, fand er seinen Freund Hesse und machte er die Bekanntschaft de Beriot’s und Pauline Garcia’s. Auf der Rückreise dann in Leipzig die R. Schumann’s, was ein dauerndes freundschaftliches Verhältniß zwischen beiden zur Folge hatte. Unter den fremden Künstlern, die in dieser Zeit das bei den Virtuosen nicht im besten Ruf stehende Kassel besuchten, um dort zu concertiren, müssen Paganini, Ole Bull, Liszt, Mortier de Fontaine, hervorgehoben werden. Alle hatten Ursache des Meisters liebenswürdiges Entgegenkommen zu rühmen. Im J. 1839 schrieb er seine vielangefochtene „Historische Sinfonie“ und folgte dann einem Rufe nach England, um beim Musikfeste in Norwich sein Oratorium: „Des Heilands letzte Stunden“ zu dirigiren. Diese Reise erwarb ihm einen neuen treuen Freund in Professor Taylor, dem Hauptleiter des ganzen Festes. Derselbe ist auch der Textdichter des Oratoriums „Babylons Fall“, des leider letzten, aber auch großartigsten Werkes Spohr’s dieser Gattung. Es sollte 1842 beim nächsten Norwicher Musikfeste aufgeführt werden. Der starrsinnige Kurfürst aber versagte seinem Capellmeister den erforderlichen Urlaub, obgleich das Comité des Festes Monate lang darum petitionirt hatte und der Minister Aberdeen, der das Gesuch abgefaßt, dadurch am tiefsten indignirt und beleidigt wurde; auch eine dringende Bitte des Herzogs von Cambridge ward abschläglich beschieden und eine Adresse von 100 000 Bewohnern der Grafschaft Norfolk, worin der hessische Herr förmlich angefleht wurde, S. ziehen zu lassen, blieb unbeachtet. Dieser Vorfall erregte s. Z. größtes Aufsehen. Pfingsten 1840 ward er nach Aachen zur Direction des Musikfestes geladen und kurze Zeit darauf finden wir ihn in Gandersheim, wo das Befinden der geliebten Mutter zu schweren Befürchtungen Anlaß gab, die sich denn leider auch in den nächsten Wochen schon erfüllten. Diesem Besuche folgte ein Abstecher nach Lübeck, wo Marianne einst glückliche Jugendjahre verlebt hatte. Auf der Rückreise leitete er in Hamburg eine Aufführung seiner „Jessonda“ und begann nun in den nächsten Jahren, vom Verleger Schuberth dazu veranlaßt, seine 5 Claviertrios zu schreiben, damit ein neues, ihm bisher noch fremdes Feld mit größtem Erfolg cultivirend. Die Theaterferien benutzte er diesmal zu einem Ausflug über Stuttgart und Hechingen, wo ihm große Ehren zu theil wurden, nach der Schweiz, wo „Des Heilands letzte Stunden“ auf dem Musikfeste in Luzern gegeben wurden, dem er aber nur als Zuhörer beiwohnte. Auf der Rückreise hörte er in Frankfurt a. M. zum ersten Male eine Gluck’sche Oper: „Iphigenia in Aulis“. In Kassel hatte sein starrköpfiger Herr nie gestattet, eine solche aufzuführen. Gleich nach der Ankunft in der Heimath begann er die Composition seiner in ihrer Art einzigen Doppelsinfonie (eine Nachahmung seiner Meisterwerke, der Doppelquartette) „Irdisches und Göttliches im Menschenleben“. Die Ferien des nächsten Jahres verbrachte er wieder in Karlsbad. Nach seiner Rückkehr ward ihm die schmerzliche Kunde, daß sein langjähriger, lieber Freund, M. Hauptmann, von ihm in der Folge schwer und schmerzlich vermißt, nach Leipzig als Cantor der Thomasschule berufen sei. Noch ist zu bemerken, daß im Winter 1842 S. sich auch in der Composition einer, Mendelssohn dedicirten, Claviersonate mit Erfolg versuchte, und daß in diesem Jahre Bach’s „Matthäuspassion“ und Wagner’s „Fliegender Holländer“ in Kassel zur Aufführung gelangten. Ebenso daß ein, von ihm aber abgelehnter, Ruf an ihn erging, die Direction des Prager Conservatoriums zu übernehmen. Die Sommervacanz des nächsten Jahres (1843), die ihm von seinem eigensinnigen Machthaber nicht beeinträchtigt werden konnte, verbrachte der Meister in London, daselbst unter außerordentlichen Ehrungen, auch seitens der königlichen Familie, seinen „Fall Babylons“ und andere seiner Werke leitend. Von dem landeskundigen Taylor geführt, ward nun auch eine [251] Reise durch die bedeutendsten englischen Städte und das paradiesische Wales gemacht. Mit Albums aus allen Gegenden des Landes beladen, verließ er endlich die gastliche, kunstbegeisterte Insel und vertrieb sich die Stunden der Ueberfahrt damit, die zahlreichen, an ihn ergangenen Bitten um Einschreibung zu erfüllen. Die Vacanzreise des Jahres 1844 ging nach Paris, wo die große Ausstellung alle Welt anzog und S. mit Habeneck, Halevy, Auber, Adam, Berlioz u. a. viele traulich angenehme Stunden verlebte, und nun auch das Conservatorium seine Anwesenheit feierte.

Kaum war S. nach Kassel zurückgekehrt, als er sich wieder zu neuer Reise rüsten mußte, um das Musikfest, das seine Vaterstadt Braunschweig Ende September eigentlich ihm zu Ehren veranstaltet hatte, zu leiten. Auf der Fahrt dahin, in Seesen, wo er seine früheste Jugend verlebte, schon mit rührender Aufmerksamkeit und Auszeichnung empfangen, geschah in Braunschweig das Denkbare, um seine Anwesenheit zu feiern. Bei St. Aegidien, wo er einst getauft worden, fand die mit Begeisterung executirte und aufgenommene Aufführung von „Der Fall Babylons“ statt. – Eine Einladung zu einem großen Musikfeste nach Newyork mußte er, der weiten Reise wegen, ablehnen. – Am Neujahrstage 1845 kam seine letzte Oper: „Die Kreuzfahrer“, in Kassel zu erster Vorführung, dort eine beispiellos glänzende Aufnahme findend. Immer bestrebt, neu in Form und Ausdruck zu sein, hatte er auch für dies Werk eine überraschende Darstellungsweise gewählt, indem er, um ganz die Wahrheit, welche die Situation heischte, zu erreichen, allen Flitterstaat der neuern Opernmusik, als Coloraturen, Instrumentensoli und Lärmeffecte, verschmähte, und jede unnöthige Note vermied, die nur des Glänzens wegen angebracht war. Die Oper wurde nachher mit großem Beifall noch in Berlin u. a. O. gegeben, in München und Dresden des Textes wegen (nachdem die Kreuzfahrer von Kotzebue unbeanstandet auf allen Bühnen deutscher Zunge Jahrzehnte hindurch aufgeführt worden waren), aber abgelehnt. Durch die Art, wie an letzterem Orte die Rücksendung dieses Werkes durch den Intendanten v. Lüttichau (nach 14 Monaten) erfolgte, nachdem alle Vorproben dazu gehalten und in Sängerkreisen große Begeisterung dafür herrschte, war für den Meister höchst kränkend und verletzend und in bittern Worten sprach er sich darüber aus, daß dieser Vorfall in seiner langen Künstlerlaufbahn einzig dastehe. – Die diesjährigen Ferien führten ihn zunächst nach Oldenburg, wo sein Schüler, der Capellmeister Pott, ein großes Concert zum Besten eines zu gründenden Orchester-Pensionsfonds veranstaltete, das S. theilweise dirigiren sollte. Leider überfiel ihn, während er seine 5. Sinfonie und sein herrliches „Vater unser“ leitete, ein furchtbarer Magenkrampf, so daß er sich kaum mehr aufrecht erhalten konnte und auf alle ihm zugedachten Ehren verzichten mußte. Er vermochte nun auch sein Versprechen, in Bremen seine „Jessonda“ zu dirigiren, nicht zu lösen, sondern mußte sich direct nach Karlsbad begeben. Die Cur daselbst schlug ihm aber diesmal so gut an, daß er schon nach 14 Tagen sich nach Berlin wenden konnte, um dort seine „Kreuzfahrer“ zu leiten. Meyerbeer, Taubert, sein Schüler H. Ries, überhäuften ihn mit Aufmerksamkeiten und der König lud ihn, nebst A. v. Humboldt, L. Tieck, v. Savigny u. a. zur Tafel. Da er als Dirigent des großartigen bei der Enthüllung des Beethoven-Denkmals in Bonn (11. August) geplanten Musikfestes erwählt war, konnte er sich nach der Rückkehr aus seiner diesjährigen Vacanz in Kassel keine Ruhe gönnen, denn es galt, in den nächsten Wochen schon wieder am Rhein zu sein. Er leitete in Bonn die D-dur Messe und die 9. Sinfonie Beethoven’s, Liszt den übrigen Theil der Aufführungen. Nach seiner Heimkehr schuf er noch eine ganze Reihe bedeutender Werke (op. 128, 129, 130, 132). – Im folgenden Jahre ward der Besuch Karlsbads erneuert. [252] Auf der Durchreise durch Leipzig war es ihm gewährt, wonnevolle Tage zu verleben und in schönsten musikalischen Genüssen zu schwelgen. Er traf hier mit R. Wagner zusammen und ward von Mendelssohn mit Liebenswürdigkeit überhäuft. Eine an ihn nach Karlsbad gelangte Einladung des Landgrafen von Fürstenberg in Wien, sein letztes Oratorium dort zu dirigiren, mußte abgelehnt werden, da sein charmanter, wie immer entgegenkommender Fürst, trotzdem diesmal Metternich eigenhändig das Gesuch der Wiener Musikgesellschaft unterstützte, eine abschlägige Antwort beliebt hatte. – Am 20. Januar 1847 war es ihm nun vergönnt, sein 25jähriges Jubiläum als Capellmeister des Kasseler Hoftheaters zu begehen. Leider müssen wir es uns versagen, der Festlichkeiten, die bei dieser Gelegenheit stattfanden, näher zu gedenken. Die Stadt verlieh ihm das Ehrenbürgerrecht, das Festcomité überreichte eine silberne Vase, vom Kurfürsten ward er zum Generalmusikdirector ernannt, womit er zugleich die Hoffähigkeit erhielt, der König von Preußen verlieh ihm den rothen Adlerorden III. Classe, König Max II. von Baiern den Maximiliansorden u. s. w. Nah und fern wetteiferte man, ihm begeisterte Huldigungen und ehrenvollen Dank darzubringen. – Wieder entschloß er sich in diesem Jahre einer Einladung nach London zu folgen. Er reiste über Brüssel, Gent und Ostende. Während dieser Triumphzeit verlebte er mit den Familien Horsley, Taylor, Benedict köstliche Stunden. Doch ging das Jahr nicht ohne herbe Schmerzen, die ihm der Tod Mendelssohn’s und der seiner Schwiegermutter bereiteten, zu Ende. – Es beginnt nun die Zeit der großen politischen Bewegung des Jahres 1848, an der er die lebhafteste Antheilnahme äußerte und von deren Errungenschaften er, der so sehr für Freiheit, Wahrheit und Recht Entflammte, sich die besten Folgen für sein Volk versprach. In solch gehobener Stimmung schrieb er sein wundervolles Sextett für Streichinstrumente (op. 140), das er mit den Worten in den Katalog seiner Compositionen eintrug: „Geschrieben im März und April zur Zeit der glorreichen Volksrevolution zur Wiedererweckung der Freiheit, Einheit und Größe Deutschlands.“ Beseelt von dem edelsten Patriotismus, verlebte er die diesjährigen Sommerferien theilweise in Frankfurt, um den Verhandlungen in der Paulskirche beiwohnen zu können. Diesem Besuche folgte eine Harztour und eine kurze Einkehr in Göttingen; dann zog’s ihn wieder nach Karlsbad, doch wurde auf der Reise in Leipzig einige Tage gerastet. – Am 22. Januar 1849 hatte er das Unglück, auf seinem gewohnten Gang zur Theaterprobe bei eingetretenem Glatteis einen schweren Fall zu thun und eine nicht unbedeutende Quetschung am Kopfe zu erleiden. – Nach seiner glücklichen Wiederherstellung reiste er während der Theatervacanz zu einem „14tägigen Spohrfest“ – so kann man die ununterbrochene Kette von Festlichkeiten, Ehrenbezeugungen und Musikgenüssen aller Art nennen, die ihm bereitet wurden, und als deren Hauptanreger sein Freund A. Hesse genannt werden muß –, nach Breslau, welche Stadt er nach 10 Tagen wieder verließ, um, von Hesse geleitet, eine Tour durch das Riesengebirge zu machen, dessen überraschende Naturschönheiten er mit Entzücken genoß und wo es ihm auch in Warmbrunn und Hirschberg an musikalischen Ovationen nicht fehlte. – Die am 23. Februar 1850 erfolgte Rückkehr Hassenpflug’s auf seinen Ministerposten in Kassel, setzte Hessen in größte Betrübniß und Unruhe. Ueber das ganze Land wurde am 8. September der Belagerungszustand verhängt und am 13. verzog sich der Landesvater mit seinen Ministern bei Nacht und Nebel nach seinem Lustschlosse Wilhelmsbad bei Hanau, dorthin auch sein Garderegiment mitnehmend. Diese anscheinend für die musikalischen Zustände Kassels gleichgültige Thatsache, hatte aber nun, da der größte Theil der Hofcapelle aus Gardemusikern bestand, die Folge, daß S. nur noch ein Drittel seiner Capellmitglieder behalten hatte und jetzt die Opernaufführungen, [253] die nicht aufhören durften, fast unmöglich wurden. Doch brachten ihm die nun kommenden Tage tyrannischen Druckes auch freundliche Momente, da die nach Kassel verlegten Baiern und Preußen gute Capellen und Männerchöre besaßen, die nicht versäumten, dem berühmten Meister jede mögliche Huldigung darzubringen. In dieser Zeit schmählichster Vergewaltigung konnten keine Concerte für den Pensionsfond gegeben werden; die aus diesen Concerten gewöhnlich entfallenden Einnahmen konnte aber dessen Casse nicht entbehren. S. veranstaltete daher an ihrer Statt sehr besuchte Quartettsoiréen und in ihnen war es auch, wo er zum letzten Male in Kassel öffentlich spielte. Daß in dieser trostlosen Zeit S. mit größter Ungeduld dem Beginn der Theaterferien entgegensah, ist begreiflich. Er wollte keinen Tag derselben versäumen, aber er hatte seine Rechnung ohne den, nun von seinem Volke bestgehaßten Landesvater gemacht, der erst zögerte, sein Urlaubsgesuch ausfertigen zu lassen und dann ohne Grundangabe die Urlaubsbewilligung abschlug. S., auf sein gutes Recht vertrauend, reiste nun ohne dieselbe, mußte aber diese Kühnheit nach seiner Rückkehr mit 550 Thalern Gehaltsabzug büßen. Inzwischen verbrachte er seine Vacanzzeit in einem von ihm noch nicht besuchten Theile der Schweiz und in Oberitalien (Mailand und Venedig), schließlich deren letzten Rest in Göttingen. 1852 finden wir ihn wieder in London. Er hatte, vom Theaterdirector Gye veranlaßt, den Dialog seiner Oper „Faust“ in verbindende Recitative umgearbeitet und war dadurch einem dringenden Wunsche der Königin, die dieses Werk in der italienischen Oper zu hören wünschte, entgegengekommen. Die wahrhaft vollendete Aufführung dieses genialsten Spohr’schen Bühnenwerks in der neuen Gestalt rief einen Sturm von enthusiastischem Beifall und von Begeisterung hervor. Doch wiederum suchte ihn nach dieser Reise ein leidvolles Geschick heim. Am 4. Oct. verlor er seinen geliebten Schwiegervater, das Land den unerschrockensten und standhaftesten Vertheidiger seiner Verfassung. Auf sein Leben warf dies ihn tiefberührende Ereigniß einen dunklen Schatten. – Im Herbst 1852 erhielt er durch Ernennung seines Schülers J. Bott zum Concertmeister, unerwartete Erleichterung seines Berufes, da derselbe sich mit ihm in die Direction der Opern zu theilen hatte. Nochmals entschloß er sich, 1853, zu einer Reise nach England, um die Sommerconcerte der New Philharmonic Society zu dirigiren. (darin Beethoven: Sinfonie Nr. 2 und Nr. 9; Spohr: Doppelsinfonie, Ouvertüren Berggeist, Jessonda, Im ernsten Stil u. s. w.) Zum letzten Male schied diesmal der Meister von Englands gastlichen Küsten, über Calais die Rückreise antretend. Gleich nach seiner Heimkehr schrieb er dann sein Clavierseptett. – Im nächsten Jahre ging die Ferienreise durch Baden aufwärts an den Genfersee, nach Freiburg und Bern (wo gerade „Die letzten Dinge“ aufgeführt wurden), dann über den Vierwaldstädter- und Bodensee nach München (zur Industrieausstellung) und von da wieder nach dem stillen, lieblichen Alexanderbad, das er fortan regelmäßig aufsuchte, um in diesem, von herrlicher Bergluft durchwehten Curorte, seine Lebensgeister zu erfrischen. – Im Frühjahr 1855 folgte er einer Einladung des Königs von Hannover. Der kostbare Taktstock, den ihm nach glänzend vorübergegangenen Concertaufführungen derselbe durch die Capelle überreichen ließ, fand des Kurfürsten Billigung nicht, da er seiner Ansicht nach wohl dem kurfürstlichen Generalmusikdirector, aber nicht seinem Capellmeister gewidmet war.

Nochmals lenkte er seine Schritte dann nach Hamburg und Lübeck, besuchte Braunschweig und Gandersheim wieder und kehrte, von Sehnsucht nach dem Rosenflor seines Gartens getrieben, bald nach Kassel zurück. – Die Vacanz des Jahres 1856 ward erst zu einer Erholungsreise nach Dresden und Prag, dann zum Besuch des Männergesangsfestes in Braunschweig, zu einer Tour durch den [254] Harz, zuletzt zum Besuch des Musikfestes in Wernigerode benutzt, wo er mit Liszt, Tausig, Markull, Dr. Zander, Tschirch u. a. frohe Tage verlebte. – An Stelle Bott’s, der sich mit der Theaterintendanz in Kassel überworfen hatte und von dort abgegangen war, trat als zweiter Capellmeister C. Reiß aus Mainz. Im nächsten Jahre besuchte er nochmals Holland, wo seine Schüler, die Musikdirectoren Böhm aus Dortrecht und Kufferath aus Utrecht diesmal seine Cicerone waren. Auf der Heimfahrt kehrte er bei F. Hiller in Köln ein und lernte M. Bruch dort kennen. Unverhofft sah er sich nach seiner Rückkehr am 14. November wegen vorgerückten Alters allergnädigst mit 1500 Thlrn. pensionirt. Erfrischt und neugekräftigt hatte er sein, wenn auch nur mit Herbstblumen geschmücktes heimisches Eden wieder betreten, mit Eifer alle Pflichten wieder aufgenommen, mit Entschiedenheit es ausgesprochen, daß seine Jahre ihm wol gestatteten, seine Berufsgeschäfte beizubehalten, nun war das Geahnte doch eingetreten. Mit der ihm eigenen Seelengröße erhob er sich über diese neue Kränkung, ja nahm es auch jetzt wieder, wie bei seiner zweiten Verheirathung, zu der man die Erlaubniß nur gab, nachdem er auf den contractlich gesicherten Gehalt für seine Witwe verzichtet hatte, ruhig hin, daß man ihn statt mit vollem Gehalte, wie es das Anstellungsdecret aussprach, nur mit einem Theile desselben in den Ruhestand versetzte. Hätte er remonstrirt, es wäre nach langem Processiren gekommen, wie bei der ungerechten Bestrafung nach der Rückkehr von seiner Vacanzreise vor einigen Jahren. Er tröstete sich über all das ihm Zugefügte verhältnißmäßig leicht, war er nun doch der Rücksichten gegen seinen chicanösen Fürsten enthoben, fühlte er sich doch frei, konnte er nun doch reisen wann und wohin er wollte. Nachdem die ihm bereiteten, ebenso ehrenden, wie rührenden und herzlichen Abschiedsfeierlichkeiten vorüber waren, benutzte er gleich am folgenden Morgen seine Freiheit, um seinen alten, bewährten Freund Lüder in Catlenburg zu besuchen. – Noch aber waren die Schicksalstücken, die ihn heimsuchen sollten, nicht erschöpft. Als er am zweiten Weihnachtstage den gewohnten Gang vom Lesemuseum heim machen wollte, stürzte er in der Abenddämmerung auf der am Eingang befindlichen steinernen Treppe und brach den Arm. Derselbe wurde zwar rasch wieder geheilt, gewann aber nicht mehr die erforderliche Kraft und Elasticität, um frühere Leistungen ferner zu ermöglichen. Aber seiner Reiselust vermochte er wenigstens noch immer zu genügen. Er folgte einer Einladung nach Magdeburg, wo unter Mühling’s Leitung am Charfreitag „Des Heilands letzte Stunden“ aufgeführt wurden, dann nach Bremen, wo man unter Engel den „Fall Babylons“ gab. Darauf ging er im Juli nach Prag, wo das Conservatorium sein 50jähriges Jubelfest mit drei großen Musikaufführungen (darunter „Jessonda“) beging und die berühmten Schüler dieser Anstalt, Dreyschock und Laub, gegenwärtig waren. Im September wohnte er dem Musikfeste in Wiesbaden, im October großen Aufführungen, die Rietz dirigirte, in Leipzig und endlich noch im April 1859 einem, von dem jüngst dort angestellten J. Bott veranstalteten Festconcerte in Meiningen bei, gelegentlich dessen er selbst zum letzten Male den Directionsstab, um einen Theil der auf dem Programm stehenden Tonstücke zu dirigiren, ergriff. Bei diesem Besuche erhielt er das Großkreuz des Sächsisch-Ernestinischen Hausordens, wie denn der Herzog und ebenso der Hofcapellintendant v. Liliencron alles aufboten, den illustren Gast zu ehren. Auch die Freimaurerloge verherrlichte seine Anwesenheit durch ein glänzendes Fest. Noch machte er darnach einen kurzen Besuch in Detmold (Concertante Nr. 1. Kiel und Bargheer. 9. Sinf. Jahreszeiten) und ging dann über Hildburghausen nach seinem lieben Alexanderbade. Auf der Rückreise wohnte er in Würzburg noch einer Aufführung der „letzten Dinge“ bei. Das war seine letzte Fahrt. Seit Jahren schon hatten sich die lästigen Merkmale, die mit dem nahenden Alter [255] immer verknüpft sind, geäußert. Viele schwere Schicksalsschläge, so manche schmerzvolle, ihn tief ergreifende Verluste geliebter Familienglieder, von denen auch sein sonst so glücklicher, beneidenswerther Lebensgang nicht verschont geblieben war, hatte er muthvoll und über alle Prüfungen sich immer wieder kräftig erhebend, überstanden. Jetzt, da er erst dem Componiren, dann dem Violinspielen, zuletzt auch dem Dirigiren entsagen mußte, da ihm sein sonst so feines Gehör versagte, für ihn eigentlich der deprimirendste Verlust, empfand er es doch sehr peinlich, daß er zu gar keiner Leistung mehr fähig, so gar nichts mehr für das Leben nütze war. Ein trüber, schmerzvoller Ausdruck lagerte auf seinen Zügen. Fortwährende Schlaflosigkeit raubte ihm den letzten Rest seiner Kräfte. Erst in den spätesten Lebenstagen war ihm einige Male wieder sanfter Schlummer gegönnt. Sonnabend, den 22. Nov. 1859, 9½ Uhr abends ging er in das Land hinüber, dessen himmlischen Harmonien er längst gelauscht, schloß er in stillem Frieden seine im Scheiden noch verklärt blickenden müden Augen für immer. Keinem andern Sterblichen sind je so viele Zeichen der Verehrung geworden, wie S. Es kann ja sein, daß einem Fürsten, einem Staatsmanne, als den höchstgestellten unter den Völkern, großartigere und massenhaftere Huldigungen dargebracht wurden, aber ihm gegenüber hatten sich die Auserwählten der Kunstwelt, die Gebildeten der Gesellschaft allerwärts vereint, ihrer Liebe, Begeisterung und Bewunderung unzweideutigsten, oft überwältigenden Ausdruck zu geben. Sein Leben war ein ununterbrochener Triumph und wohin er auch seine Schritte lenken mochte, in Deutschland, Oesterreich, Italien, der Schweiz, Frankreich, Holland, England, durchzog er wie ein Sieger die Lande. Seine Brust zierten zahllose Orden. Jeder Regent beehrte sich, dieselbe zu schmücken. Den meisten Kunstakademien oder größeren Musikgesellschaften gehörte er als correspondirendes oder Ehrenmitglied an. S., obwol durch jedes ihm gewordene Zeichen von Verehrung und Achtung erfreut, wurde durch solche Auszeichnungen nicht aus seinem Gleichmuthe gebracht, noch weniger suchte er damit zu prunken oder wies er eitel darauf hin. Als einst, im Hochsommer, in Kassel eine Festvorstellung im Theater stattfand, sah man ihn, fest in seinen Wintermantel gehüllt, mit großen Schritten dem Theater zuschreiten. Als ihn ein Begegnender verwundert frug, was diese Einhüllung bedeute, schlug er fast verlegen den Mantel zurück und stand nun im schwarzen Anzug mit allen seinen Orden geschmückt da: „In diesem Aufputz kann ich mich doch nicht auf der Straße sehen lassen?“ Der für diese Biographie gewährte Raum gestattet nicht, Auszüge aus den vielen, seine Persönlichkeit, sein Spiel, seine Compositionen, sein Wirken als Dirigent und Lehrer ihn ausnahmslos in enthusiastischen Worten preisenden Artikeln wiederzugeben. Einerseits beweisen derartige Berichte wol die allgemeine Begeisterung und Hochschätzung der Zeitgenossen für ihn, andererseits bilden sie einen beherzigenswerthen Beleg dafür, welch ein flüchtig vergängliches, eitles Ding es um das ist, was man Ehre, Ruhm und Unsterblichkeit nennt. Noch muß der von ihm durch viele Jahre mit Vorliebe fortgeführten privaten Quartettunterhaltungen hier gedacht werden. Mit den besten Mitgliedern seiner Capelle hatte er ein ständiges Quartett arrangirt, mit dem er zunächst seine eigenen Kammercompositionen übte und vor Eingeladenen und Freunden vorführte. (Trios, Quartette, Quintette, Doppelquartette u. s. w.) In jeder Soiree wurden unabänderlich drei Piecen gespielt, zwei Compositionen von ihm selbst und ein anderes classisches Quartett, in welchem er dann die zweite Violine zu übernehmen pflegte. Sein Vortrag war bei diesen Gelegenheiten ausgezeichnet durch Fülle des Tons, Reinheit, Kraft und Leichtigkeit der Bogenführung; er schien sich dabei stets zu verjüngen. Jugendlich aber erschien er auch bei dem kleinen Abendessen, das diese Musikabende schloß. Da verschwand sein angeborener hoher Ernst allmählich von seinem [256] Antlitz, einer Art Aufgeräumtheit, ja sogar Heiterkeit Platz machend. Gewöhnlich kalt und abgeschlossen, wurde seine Miene nun lächelnd und liebenswürdig. Jedem, dem es vergönnt war, diesen Ernst in Frohmuth übergehen zu sehen, wird dies frohe Aufleuchten in den Spohr’schen Zügen unvergeßlich sein. Dann wurde er lebendig und aufgeräumt und erheiterte die Gesellschaft mit pikanten Anecdoten, Witzen und Scherzen. Diese Quartettabende fanden auch wiederholt im Hause der Frau v. Malsburg, einer treu ergebenen, von S. hochgeschätzten Dame, voll Talent, Anmuth, Geschmack und Bildung, statt. Unvergeßlich ist dem Schreiber dieses Aufsatzes auch sein Concertspiel. Seine hohe, majestätische, alle anderen Mitwirkenden überragende Gestalt imponirte schon zum voraus jedem; dann trat er wie ein junger Soldat in fester Haltung vor die Zuhörer, begrüßte sie mit einer unbeschreiblichen Verbeugung, voll Würde ohne Stolz, voll Anmuth ohne Nonchalance und beobachtete während des ganzen Vortrags, selbst bei Ueberwindung größter Schwierigkeiten, tadellose Ruhe. Sein Spiel, voll Empfindung, Seele und Reiz, aber auch Strenge und Gründlichkeit neigte zum Großen, in sanfter Wehmuth Schwärmenden; vollkommene Reinheit, Sicherheit, Präcision, ausgezeichnetste Fertigkeit, alle Künste des Bogenstriches, namentlich ein wundervolles Staccato, alle Verschiedenheiten des Geigentons, welch letzterer bei ihm von einer Größe, einer Macht, einem Adel war, wie man ihn vor- und nachher nicht wieder hörte; die ungezwungenste Leichtigkeit machte ihn zu einem vollendeten Virtuosen; aber die Seele, die er seinen Melodien und Passagen einhauchte, der Flug der Phantasie, das Feuer, die Zartheit, die Innigkeit des Gefühls, der feine Geschmack, seine Einsicht in den Geist der verschiedensten Compositionen, seine Kunst, jede ihrem Charakter und Inhalt entsprechend wiederzugeben, machten ihn zum wahren, unübertrefflichen und unübertroffenen Künstler.

Nachdem es ihm gelungen war, sich Haus und Garten zu erwerben, führte er ein zufriedenes, stilles, zurückgezogenes, äußerst gemüthliches Familienleben. Mochten die Stürme des Lebens diesen geweihten Besitz umtosen, sinnend und schaffend und voll Theilnahme für jedes kleinste Vorkommniß um ihn her, bildete dieser Besitz einen Großtheil seines Glückes. Er bestand aus einem nicht sehr umfangreichen, sorgfältig gepflegten Garten, in welchem rechtsseitig ein Treibhaus stand und einem bescheidenen, aber äußerst behaglichen zweistöckigen Wohnhaus mit Mansarde. Links vom Eingang waren ebenerdig sein Arbeits- und Unterrichtszimmer, rechts die Wohnräume, über einer Treppe ein hübscher Musiksaal mit einem schönen Flügel und dem kostbaren Glasschrank, in welchem alle die werthvollen und reichen Geschenke, die er allerwärts empfangen, von seiner eigenen Hand geordnet, aufbewahrt waren. Der ganze von einer Mauer umgebene Besitz war ein Heiligthum. Nie konnte ich ihn anders als in gehobener, ehrfurchtsvoller Stimmung betreten. Dieser Wohnstätte eines großen, edlen, herrlichen Mannes, so schlicht und einfach und doch durch seine Anwesenheit belebt und verklärt, vermochte man nur in Andacht zu nahen. Hier im Garten pflegte er, die Arme liebend um die vortreffliche Gattin gelegt, im traulichen Gespräche mit ihr, beglückt zu wandeln, sich jeder neuen Blüthe, jeder entfalteten Blume erfreuend. Je mehr er in den Jahren vorrückte, um so mehr hing er an diesen Räumen, um so stärker wuchs, war er verreist, seine Sehnsucht nach den Rosen und ihren Schwestern seines Gartens. Man konnte nicht anders denken, als daß diese heilige Stätte für immer unverändert conservirt, daß jede profane Benutzung von ihr ferne gehalten und ausgeschlossen bleiben, daß dies Haus einst alle Andenken und Erinnerungen an den Meister sammeln und aufbewahren, daß es ein Spohr-Museum werden würde. Bis zum Tode der Wittwe blieb denn auch alles unverändert, mit liebender Pietät wurde jede Kleinigkeit gehütet, bewacht und gepflegt. Nun ist doch alles anders gekommen. Der [257] Auctionator zog ins Haus; in den geweihten Räumen drängte sich eine pietätlose, neugierige Menge; was nach Vertheilung der Kostbarkeiten unter die Verwandten noch übrig war, kam unter den Hammer und in fremde Hände. Zuletzt sollte auch noch Garten und Haus versteigert werden, aber es fand sich niemand, der den von den Erben geforderten Preis (80,000 Mk.) geboten hätte; auch die Stadt lehnte einen Kauf ab. Was wird nun geschehen? Die Zahl der einstigen enthusiastischen Verehrer des seligen Meisters ist zu sehr geschmolzen, als daß eine Summe unter ihnen gesammelt werden könnte, die es ermöglichte, eine rettende That zu vollziehen. Kassel besitzt ja viele Schlösser und andere Prachtgebäude, aber der denkwürdigsten Stätte in seinen Mauern, verklärt durch das vieljährige Walten des Genius in ihr, ewig ein Mecca aller kunstbegeisterten Wanderer, ein Heiligthum für alle musikerglühenden Seelen, droht der Untergang.

S., so hochgebildet, mit seinem erhabenen Geiste das ganze Musikgebiet umfassend, allerwärts zum Schiedsrichter in Preis- und andern Musikfragen erkoren, wußte seine Compositionen ganz mit seinem edlen, kindlichen Gemüthe zu erfüllen; sie sind daher der Abglanz seines für die Natur, sein Vaterland und seine Mitmenschen in Liebe hingegebenen trefflichen Herzens. Obwol er in seinen Werken seltenste und anscheinend verwickelteste Kunstprobleme bot und mit meisterhaftem Geschick löste, alle sind einfach, klar und verständlich. Unter allen den hochnäsigen Aburtheilern über seine Tondichtungen wäre keiner im Stande, die Doppelquartette, die Doppelsinfonie, das Quartettconcert, ja nur die Violinduetten u. a. auch nur annähernd nachzuahmen. Ja, wir gehen weiter und behaupten, daß unter allen Componisten unserer Tage nicht einer befähigt ist, das zu thun. Die schöpferische Impotenz der Gegenwart würde an solchem Versuch kläglich scheitern. Und mit welchen neuartigen, glänzenden Gaben hat S. sein Kunstgebiet bereichert. Außer an die genannten Werke, sei hier an die Sinfonien: „Weihe der Töne“, „histor. Sinfonie“, „Jahreszeiten“ u. v. a. erinnert. Und den Mann, der so viel Großes und Herrliches schuf, wagt man zu bemängeln, weil ein gewisser weicher, elegischer Zug durch seine Werke geht und weil sie sich von jeder trivialen und rohen Aeußerung fern halten. Kein anderer Tonsetzer der neueren Zeit hat eine solche Fülle von Compositionen jeder Gattung, darunter eigentlich nichts Unbedeutendes, der musikalischen Welt geschenkt, wie er. Er schrieb 5 Cantaten und Oratorien („Das jüngste Gericht“, „Das befreite Deutschland“, „Die letzten Dinge“, „Des Heilandes letzte Stunden“, „Der Fall Babylons“), die sich dem Edelsten und Besten ebenbürtig zur Seite stellen, was auf diesem Gebiete geleistet wurde. Dann 11 Messen, Hymnen, Psalmen u. dergl.; eine größere Zahl von Concertarien, mehrstimmigen Gesängen und canonischen Stücken, sehr viele (mehr als 90) Lieder. Ferner 10 Opern („Die Prüfung“, „Alruna“, „Der Zweikampf mit der Geliebten“, „Faust“, „Zemire und Azor“, „Jessonda“, „Berggeist“, „Pietro von Abano“, „Alchymist“, „Die Kreuzfahrer“) und viele Arien, Chöre und Ouverturen zu Schauspielen. Für Instrumente allein, 10 Sinfonien: Op. 20, 49, 78, 86 [Weihe der Töne], 102, 116 [hist. Sinf.], 121 [Doppelsinf.], 137, 143 [Jahreszeiten], Nr. 10 [ungedruckt]), u. 20 Ouverturen; ferner Notturno Op. 34 für Blasinstrumente, Nonetto, Op. 31, Octetto, Op. 32, 4 Doppelquartette (Op. 65, 77, 87, 136), Sextett, Op. 140. 7 Quintette (Op. 33, I. und II., Op. 69, 91, 106, 129, 144), 39 Quartette, 1 Clavierseptuor, Op. 147, 2 Clavierquintette, Op. 52 und 130, 5 Claviertrios (Op. 119, 123, 124, 133, 142), 1 Harfentrio; 59 Sonaten und Duos für Clavier und Violine, Harfe und Violine oder 2 Violinen; 15 Violinconcerte (Op. 1, 2, 7, 10, 17, 28, 38, 47 [Gesangscene], 55, 62, 70, 79, 92, 110 [Sonst und Jetzt], 128). 11 Potpourris für Violine; 6 Doppelconcerte für Violine und andere Instrumente; 3 Stücke [258] für Harfe, 7 für Clarinette (darunter 4 Concerte), 1 für Fagott. Die Krönung all dieses reichen Schaffens bildet nun aber die in ihrer Art einzige, unübertreffliche Violinschule[WS 4]. Jedoch nicht nur als Componist hat sich S. ausgezeichnet; seine schriftstellerischen[WS 5] Arbeiten, d. i. seine Musikberichte, z. B. aus Paris, alle in der Allg. mus. Zeitung in Leipzig erschienen, sind, wie seine köstliche, für die Musikzustände s. Z. hochinteressante und ebenso belehrende als fesselnde Autobiographie, 2 Bände, Cassel und Göttingen 1860 und 61, besonderer Beachtung würdig.

Außer den Biographien in lexikographischen Sammlungen, Zeitschriften etc. sind zu berücksichtigen J. J. H. Ebers, Sp. und Halévy und die neueste Kirchen- und Opernmusik. Breslau 1837. – Spohr-Jubelfest im Januar 1847. – W. Neumann, L. Sp. Eine Biographie. Cassel 1854. – A. Malibran, L. Sp. Sein Leben und Wirken. Frankf. a. M. 1860. – H. Giehne, Zur Erinnerung an L. Sp. Ein Vortrag. Karlsruhe 1860. – 50. und 51. Neujahrsstück der allg. Musikgesellschaft in Zürich. 1862/63. – Dr. H. M. Schletterer, L. Sp. Leipz. 1881. – A. K. (Kempe), L. Sp. Ein Lebensbild. Cassel 1883. – H. M. Schletterer, Des Heilands letzte Stunden. Text und Briefe von Mendelssohn, Rochlitz und Spohr. Zürich 1885. – L. Nohl, Sp. Musikerbiographien Bd. VII. – A. Ehrlich, berühmte Geiger. Leipzig 1893. S. 228 ff. Um die Herausgabe des Spohr’schen Nachlasses hat sich sein Schüler C. Rundnagel, Hoforganist in Kassel, große Verdienste erworben.

Dorette (Dorothea) S., geb. Scheidler, geboren in Gotha am 2. Dec. 1781, † in Cassel am 20. Nov. 1834,[WS 6] Tochter des Gothaischen, auch wissenschaftlich gebildeten Kammermusikus J. Dav. Scheidler, Violoncellist (1748–1802) und seiner Gattin Sophie Elis. Susanne geb. Preysing, seit 1776 herzogliche Kammersängerin (ihre Stimme galt als unvergleichlich † 1832).[WS 7] Sie wurde am 2. Februar 1806 S. angetraut und in der Folge die berühmteste deutsche Harfenspielerin ihrer Zeit, die Genossin der seltenen künstlerischen Triumphe ihres Gatten, der ja ebenfalls die erste Stelle unter den deutschen Violinspielern einnahm, und seine Begleiterin auf allen seinen Kunstreisen. Sie war zuerst eine Schülerin des auch als Clarinettisten berühmten Backofen. Talent und Kunst brachte erst ihr Gatte zur Reife. Ein alter, in jene Tage zurückdenkender Musikfreund äußerte sich einst über das Spiel beider: „Man hörte dabei die Engel im Himmel singen!“ Die durch hohe Schönheit und Anmuth sich auszeichnende Dame, auf deren holdem Antlitz beglückender Liebreiz und Engelsmilde thronte, hing mit innigster Liebe an ihrem Gatten und ihren Kindern (3 Töchtern), folgte verständnißvoll dem genialen Schaffen desselben und bewährte stets ein herrliches, für ihre hohe Kunst begeistertes Gemüth und eine seltene Herzensgüte. Es war wol der härteste Schlag, der S. treffen konnte, diese anbetungswürdige Frau, die sich beim Einspielen einer neuen großen Pedalharfe à double mouvement, wie dann bei ihren Clavierstudien überanstrengt und dadurch ihre ohnehin zarte Gesundheit geschädigt hatte, zu verlieren. Selbst in Paris, dieser Heimath berühmter Harfenspieler, errang sie sich große Erfolge. Die Harfe, wie die meisten Blasinstrumente haben nur eine untergeordnete, ziemlich werthlose Litteratur. Wie mit vielen Concertstücken, unübertroffen und einzig in ihrer Art, nur meist zu schwer für unsere Hexenmeister von Geigern, S. die Violine bereichert hat, so auch die Clarinette und Harfe. Unermüdlich hat er sich mit dem Mechanismus dieses letzteren schwierigen Instrumentes vertraut gemacht und eine Reihe vortrefflicher Compositionen, von ihm und der Gattin wunderbar zusammengeübt und vorgetragen, Meisterwerke für dies Instrument, geschaffen. So wurde denn auch das Talent der schönen Dorette durch ihn vollständig entwickelt, ihr Geschmack [259] geläutert, ihre Technik vollendet, ihre Vorträge wahrhaft beseligend und hinreißend. Mit ihr vereint bezauberte S. durch Vorführung seiner Duette alle Hörer, erregte er allerwärts im wahrsten Wortsinne Sensation.

Ferdinand S., ältester[WS 8] Bruder Spohr’s, in Seesen 1792 geboren, † in Kassel 1831, war Schüler seines Bruders und kam durch ihn erst in das Wiener, dann in das Kasseler Orchester. Von ihm sind vortreffliche Clavierauszüge von Werken seines Bruders arrangirt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ferd.
  2. Vorlage: Brnder
  3. Vorlage: ausübende
  4. Vorlage: Violin schule
  5. Vorlage: schriftstell erischen
  6. Gegenwärtiger Forschungsstand (2013): * 2. Juli 1787 in Gotha; † 20. November 1834 in Kassel
  7. Dorettes Mutter, Susanne Scheidler, starb im Spätherbst 1821.
  8. Ferdinand war jünger als Louis.