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Artikel „Seyfried, Ignaz Ritter von“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 113–116, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seyfried,_Ignaz_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 08:36 Uhr UTC)
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Seyfried: Ignaz Ritter v. S., geboren am 15. August 1776 in Wien, † daselbst in der Nacht vom 26./27. August 1841. Sein Vater, Joseph R. v. S., war Hofrath des Fürsten v. Hohenlohe-Schillingsfürst, sein Bruder Joseph langjähriger Redacteur des „Wanderer“, seine Neffen Ferdinand und Heinrich dessen Nachfolger in der Redaction. – Schon frühe bethätigte Ignaz große Neigung und hervortretendes Talent für Musik. Abgesehen von allgemeiner sorgfältiger Erziehung und Schulung in allen Lehrgegenständen, erhielt er auch vorzüglichen musikalischen Unterricht. Im Clavierspiel waren Mozart und Kotzeluch, in den Elementen der Theorie war der Organist Hayda sein Lehrer. So vermochte er sich schon im jugendlichen Alter zu einem tüchtigen Musiker heranzubilden. Aber des Vaters Wille bestimmte ihn, den Beruf eines Juristen zu wählen, und dementsprechend bezog er 1792 die Universität in Prag, um hier zunächst die philosophischen Vorstudien zu absolviren. Diese Stadt erwies sich aber gerade seinem Vorhaben minder günstig, denn sie war damals wenigstens eine musikalische Stadt par excellence. Die nachmals hochangesehenen Musiker Dionys Weber, J. Nep. A. Wittassek, J. Wenz. Tomaczek u. a., gleich entflammt für die Kunst der Töne, wurden dort seine intimen Freunde. Nach Wien heimgekehrt, besuchte er nun zwar die Hörsäle, in denen die juristischen Fächer gelehrt wurden, trieb aber nebenher bei Albrechtsberger eifrige Compositionsstudien. Da kam 1794 der bairische Hofcapellmeister P. v. Winter nach Wien, um dort die Opern „Das Labyrinth“ (2. Theil der Zauberflöte) 1794, „Das unterbrochene Opferfest“ 1795/96, „Babylons Pyramiden“ zu schreiben und aufzuführen. S., der sich bereits einen Schatz praktischer Kenntnisse und Fertigkeiten erworben und nun von dem in der dramatischen Composition Erfahrenen weiter gefördert und in eine neue frischere Richtung hinübergeleitet wurde, war des Meisters unzertrennlicher Gefährte. Diesem, von dem bedeutenden Talente des jungen Mannes überzeugt, der keine Gelegenheit versäumte, seinen Gesichtskreis zu erweitern, zu hören, zu lernen, gelang es endlich auch den Vater umzustimmen. Ignaz durfte der Jurisprudenz entsagen, um sich nun ganz seiner heißgeliebten Kunst zu widmen. Dies Vorkommniß hat ihn für immer an den Freund gefesselt. Erst Winter’s Tod (1825) löste das Band, das beide ungeachtet der Verschiedenheit ihrer geistigen Richtung umschlungen hielt. Winter gelang vorzugsweise der Ausdruck des Süß-Zarten, das in seiner Potenzirung bei ihm nicht selten zu krankhafter Empfindsamkeit neigte, während S. mehr einem ernst-grandiosen Stil zuneigte. Durch des Freundes Vermittlung auch erhielt letzterer die Capellmeisterstelle am Theater an der Wien, damals im Besitze des bekannten Schikaneder. Der jetzt 21jährige behielt sie, nachdem seine erste Oper „Der Löwenbrunnen“ (1797) sehr beifällig aufgenommen worden war, nun durch drei Decennien bis 1825 (1827?), wo sich die Verhältnisse der Oper, schon längst auf schiefer Ebene, ganz ungünstig gestalteten. Die Hoffnung Seyfried’s, nach Salieri’s Tode (1825) die durch Eybler’s Vorrücken erledigte Vicecapellmeisterstelle zu erhalten, erfüllte sich nicht. – I. v. S. war ein äußerst fruchtbarer Opern- und Kirchencomponist. Doch stand mit dieser seiner überraschenden Productivität seine nur unzureichende und etwas beschränkte Erfindungsgabe in keinem Verhältnisse. Eine gewisse Gedankenarmuth macht sich bei seinen dramatischen Compositionen noch auffallender bemerkbar als bei seinen zu ihrer Zeit weit verbreiteten Kirchenmusiken, deren er seit seinem Rücktritte vom Theater sehr viele schrieb und denen er fortan seine ganze Zeit und Kraft widmete. Er stand im Rufe eines umsichtigen, vorzüglichen, wenn auch nicht [114] gerade sehr energischen Dirigenten, war mit Beethoven, zu dessen wärmsten Verehrern er zählte, sehr befreundet, wurde vielfach durch Orden, Medaillen und fürstliche Geschenke erfreut, war Ehrenmitglied vieler Akademien und Musikvereine und galt als eine für die Kunst, in der er als Musiklehrer bis zum letzten Athemzuge thätig blieb, warm fühlende, sie stets fördernde Persönlichkeit. Auch als musikalischer Schriftsteller hat er sich durch zahlreiche Beiträge in den bedeutendsten musikalischen Blättern ehrenvoll bekannt gemacht und sich außerdem namentlich durch Herausgabe der Werke Albrechtsberger’s (1825), der Wiener Tonschule Preindl’s (1832), der contrapunktischen Studien Beethoven’s (1832) Verdienste erworben. Weniger zu rühmen sind seine ziemlich eigenmächtigen Bearbeitungen und Neuorchestrirungen älterer, besonders französischer Opern. Unbestritten erscheinen aber wieder seine Leistungen als Lehrer. Sein Unterricht war klar, bestimmt, leicht faßlich, vielseitig, fesselnd und anregend. Zu seinen Lehrerfolgen trug sein sympathisches Wesen, weniger energisch als milde, viel bei, so daß die zwischen Lehrer und Schüler geknüpften Beziehungen sich gewöhnlich noch erhielten, wenn auch der Unterricht längst schon beendet war. Die Zahl seiner Schüler (seit 1803) ist eine sehr große, darunter N. Baldenecker, C. Binder, Gentiluomo, Walther v. Goethe, C. Haßlinger, C. Krebs, W. Kühner, L. Köhler, J. Mainzer, Eli Parish-Alvars, S. Sulzer, Fr. v. Suppé und viele andere. (Das vollständige Verzeichniß bei Dr. C. v. Wurzbach XXXIII, 187.) Die Gesammtzahl seiner Compositionen (seit 1797) umfaßt 26 große Opern, 20 Operetten, 5 biblische Dramen, 24 Melodramen, über 200 Musikstücke zu Opern und Schauspielen: Ouverturen, Zwischenacte, Ballete, Einlagen, Chöre, Märsche u. s. w. Außerdem schrieb er viele 4-, 6- und 8stimmige Vocalchöre und zahlreiche Hymnen, Lieder und Sologesänge. – Weiter verdankt man ihm (seit 1811) 13 solenne Messen, 4 Requiem, 17 Graduale, 18 Offertorien, 2 Tedeum, 9 Tantum ergo, und eine ansehnliche Menge anderer kirchlicher Werke aller Art, Hymnen, Cantaten, Motetten, Psalmen, Libera u. s. w. Sie alle, wie die dramatischen Arbeiten (eine vollständige Aufzählung würde hier zu weit führen), finden sich in dem Wurzbach’schen Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich (s. o.) ebenfalls sorgfältig zusammengestellt. – S. war von 1804–17 verheirathet. Dieser Ehe entstammten 12 Kinder, von denen aber nur drei den Vater überlebten. Sein Sohn Leopold trat in das Benedictinerstift Melk. Als Director Carl das Theater an der Wien übernahm und eine Bahn betrat, die jede ernstere, tiefere Kunstschöpfung entbehrlich machte, zog sich S., durch sorgenlose Wohlhabenheit begünstigt, in ein stilles, zufriedenes und glückliches Privatleben zurück, von jetzt nur noch der Composition von Kirchenmusik und seinen Schülern lebend und als musikalischer Schriftsteller unausgesetzt thätig. Er starb, 65jährig, an einem Magenleiden, an dem er von je gelitten, das sich aber zuletzt auf einen edlen Körpertheil geworfen hatte, und ward feierlich und unter allgemeiner Theilnahme seiner Kunstgenossen, auf dem Währinger Kirchhof, gegenüber von Schubert und Beethoven, beerdigt. Sein Grab bezeichnet dort noch ein einfacher Gedenkstein. Sein gesammter musikalischer Nachlaß gelangte in den Besitz seines Schülers Binder, Capellmeisters am Josephstädter Theater in Wien, der die Absicht hatte, ihn zu veröffentlichen, was aber nicht geschah. Da nun auch er seit 1860 ohne Erben verstarb, besteht die Befürchtung, daß Seyfried’s immerhin sehr werthvollen Manuscripte möglicher Weise verzettelt wurden. – Wenn auch nicht zu den Größten seiner Kunst zählend, ist S. doch in der Kunstwelt eine sehr beachtens- und achtungswerthe Erscheinung. Er hat keine ewigen Werke, aber doch, namentlich für seine Zeit, höchst bedeutende geschrieben und sich stets als tüchtiger, in allen Sätteln gerechter Tonsetzer bewährt. Er wußte sich ebenso dem Geiste Mozart’s anzuschmiegen (wie seine lange benutzte Chorcomposition im ersten Finale des „Don [115] Juan“, die Instrumentalrecitative zu „Titus“ u. a. beweisen), wie dem Haydn’s (die Operette „Das Ochsenmenuett“ 1823). Mit bestem Erfolge und großem Geschick stellte er aus Mozart’s Clavierwerken die Musik zum Drama „Ahasverus“ (1823) und dem Singspiel „Der hölzerne Säbel“ zusammen. Seine großen Opern „Die Druiden“ (1801), „Cyrus“ (1803), „Moses“ (1813) u. a. fanden lebhaftesten Beifall und blieben lange Zugstücke. Ebenso seine Zauberopern und Singspiele (letztere vielfach zusammen mit Fischer, Haibel, Henneberg, Lickl und Tayber componirt). Er besaß unbestreitbar eine komische Ader. Seine Stellung an einer Bühne, die vorherrschend dem Comus huldigte, wies ihn darauf, diese Begabung zu pflegen. Vorzüglich sind „Die Ehemänner nach der Mode“ (1804) und die Parodie zu Castelli’s „Roderich und Kunigunde“ (1807). Nicht minder gelungen sind aber auch die biblischen Dramen „Saul“, Melodram a. d. Französischen (1810), „Abraham“ (1817), „Die Makkabäer oder Salomena und ihre Söhne“ (1818), „Noah“ nach J. A. Eckschläger von Kuffner (1819), und seine allbekannten, vielgegebenen Melodramen. – S. nimmt in einer Uebergangsperiode der Kunst eine vermittelnde Stellung ein. Das ist immer eine undankbare Aufgabe. Wenn er heute noch nicht völlig vergessen ist, tritt er doch mehr und mehr in den Hintergrund, bald wird er es ganz sein. Wenn auch nicht einen unerschöpflichen Fonds geistvoller, glänzender Ideen, besaß er doch seltenes Geschick, ausdauernden Fleiß, unermüdlichen Thätigkeitstrieb. Seine Werke, die sich selten zu subjectiver Großartigkeit erheben. sind stets gefällig, zweckentsprechend, den Forderungen des Tages genügend und durchaus nicht gewöhnlich oder trivial. In jedem Genre der Composition hat er sich mit Geschick, in der Kirchenmusik mit dem glücklichsten Erfolge versucht. Was er hier schuf, hat classischen Werth. Diese Kirchenwerke sind es auch, die sich theilweise in unsere Zeit herübergerettet haben und noch immer vielfach gehört werden. In seinen komischen Tonsätzen ist er unübertrefflich. Es geschieht ihm wirklich Unrecht, gerade hier so sehr ignorirt zu werden. Weiteste Verbreitung gewannen seine Melodramen, in Wahrheit Meisterschöpfungen ihrer Gattung, in denen sich orientalische Phantasie, charakteristische Wahrheit und populäre Einfachheit einen und die sich nie in bloß äußerlicher unkünstlerischer Malerei verlieren. Seine Gesangswerke sind Musterarbeiten, von genauer Kenntniß der Kehle wie des Kunstmäßigen zeugend. Ebenso ist er ein Meister in der Instrumentation. Der geschickte Theaterdirigent bewährt hier seine langjährige Erfahrung durch Umsicht, Gewandtheit und verständige Verwendung aller Tonmittel zur Erreichung erstrebter Effecte. Nicht Zufall oder äußere Nöthigung, sondern wahrer innerer Beruf hatten ihn der Kunst zugeführt. Wie er sich in sie eingelebt, machte er sie auch zum Mittelpunkte all seines Empfindens, Fühlens, Lebens und Sinnens. Er war ein ebenso großer Künstler als liebenswürdiger Mensch. – Sein Porträt, von Kriehuber lithographirt, erschien in Wien.

Seyfried’s Dramen, Opern, Operetten, Singspiele, Possen: 1798: „Das Jägermädchen“ (1 A.) 1799: „Der Wundermann am Rheinfalle“. Gr. O. in 2 A. „Die Königspflicht“ (1 A.). „Der rothe Geist im Donnergebirge“ (1 A.). 1801: „Die Druiden“. Gr. O. in 3 A. 1803: „Cyrus“. Gr. O. in 2 A. 1804: „Die Ehemänner nach der Mode“. K. O. in 3 A. 1806: „Zum goldenen Löwen“. S. in 1 A. 1807: „Alamor der Maure“. O. in 3 A. „Mitternacht“. S. in 1 A. „Idas und Narcissa“. K. O. in 3 A. 1808: „Der Ehedoctor“. K. S. in 3 A. „Der politische Schuster“. P. in 4 A. „Der Briefbote“. Operette in 1 A. 1809: „Bertha von Werdenberg.“ H. O. in 2 A. „Rochus Pumpernickel“. Quodl. in 3 A. (in der Folge noch 2. und 3. Theil). 1810: „Die rothe und die weiße Rose.“ R. O. in 3 A. 1811: „Feodora“. S. in 1 A. 1812: „Czech und Cech“. K. O. 1814: „Die [116] 100jährigen Eichen“. Festsp. 1815: „Er hält wahrhaftig Wort“. K. O. in 2 A. „Niclas am Scheidewege“. P. in 3 A. „Der Wald von Bondy“. D. in 3 A. 1816: „Drei Treppen hoch“. 1817: „Die Waise und der Mörder“. D. in 3 A. „Amors Triumph“. Festsp. „Montag, Dienstag, Mittwoch“. P. in 2 A. 1821: „Die Waise aus Genf“. „Ugolino“. D. in 2 A. 1823: „Das Ochsenmenuett“. S. 1826: „Bozena“. D. 1829: „Der hölzerne Säbel“. Operette in 1 A.

Märchen, Zauberspiele, Feenmärchen, Ballets: 1797: „Die Wunderquelle“. „Der Löwenbrunnen“. 1798: „Der Feenkönig“. 1805: „Untreue aus Liebe“. 1816: „Der süße Brei“. „Der Rosenhügel“. 1817: „Undine“. 1819: „Der blöde Ritter“ (3 A.) 1820: „Oberon“. 1822: „Magandola“. 1823: „Der unsichtbare Prinz“. 1824: „Der kurze Mantel“ (3 A.).

Melodramen: 1804: „Tippo Saib“. 1811: „Friedr. v. Minsky“. „Die Cisterne“. 1817: „Hymne an die Sonne“. 1822: „Timur, der Tartarenchan“. 1823: „Sintram“.

Parodien: 1797: „Agn. Bernauerin.“ 1800: „Alceste.“ 1801: „Erwin v. Steinheim.“ 1807: „Roderich und Kunigunde (v. Castelli), oder Der Eremit vom Berge Prazzo oder Die Windmühle auf der Westseite oder Die lange verfolgte und zuletzt triumphirende Unschuld.“

Ouverturen, Entreactes, Chöre, Märsche, Tänze zu Schauspielen (abgesehen von zahllosen kleineren Einlagsnummern, Arien, Arietten, Canzonetten, Romanzen, Liedern, Duetten, Terzetten, Chören u. s. w. zu Opern und Dramen): 1798: Orion. 1804: Der Stein der Weisen. 1808: Räuber v. Schiller. 1809: Kreuzfahrer v. Kotzebue. Attila v. Z. Werner. 1811: J. Cäsar v. Shakespeare. Jungfrau v. Orleans v. Schiller. 1812: Preziosa. 1813: Moses v. Klingemann. 1814: Der Teufelssteg am Wienerberg. 1815: Adelheid v. Italien. 1816: Faust v. Klingemann. Das Haus v. Barcellona. 1817: Ahnfrau v. Grillparzer. Genoveva. Ludlamshöhle. 1818: Odins Schwert. Die Thronfolge. 1819: Eras. Bürger. Die Minnesänger auf der Wartburg. 1820: Bettina. 1825: Ottokars Glück und Ende v. Grillparzer. 1826: Die Blume v. Mull v. Lembach. 1817: Musikbegleitung zu den mimisch-plastischen Darstellungen der Frau S. Schröder.

Bearbeitungen: Die Samniterinnen. Rich. Löwenherz. Zemire und Azor, Opern v. Gretry. K. Theodor in Venedig v. Paisiello.

Für Concert, Kammer und Soloinstrumente schrieb er: Sinfonie in Es (1797) und in D (1799) und bearbeitete die c-moll-Fantasie und Sonate, die Spielorgelfantasie in f-moll mit Hinzuziehung des Allegro und Andante aus dem g-moll-Clavierquartett, und die vierhändige Sonate in C von Mozart für großes Orchester. Weiter ein Streichquartett in G, ein Clavierrondeau. Concertstücke für Flöte, Oboe, Clarinette, Horn, 10 Serenaden für 4 Hörner, und viele Märsche und Harmoniepartien, Menuette und Walzer. Außerordentlich zahlreich sind seine Arrangements beliebter Opern für 6– und 9stimmige Harmonie, für Quartett und Quintett, für Clavier.