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Artikel „Seyfried, Joseph Ritter v.“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 117–119, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seyfried,_Joseph_von&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 19:10 Uhr UTC)
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Seyfried: Joseph Ritter v. S., Schriftsteller, Theaterdichter und Kritiker, geboren in Wien am 24. März 1780, † daselbst am 28. Juni 1849 und seine Söhne Ferdinand, † am 9. October 1865 und Heinrich. – Joseph war ein Bruder von Ignaz (s. d.). Er erhielt wie dieser wissenschaftliche Bildung und bezog 1801 die Wiener Universität, ebenfalls um Jura zu studiren und sich für einen staatsdienstlichen Beruf vorzubereiten. Ein Freund seiner Familie aber, der Kaufmann Zitterbarth, der 1801 das Privilegium des Schikanederschen Theaters an der Wien erworben hatte, obgleich er in Theatergeschäften ganz unerfahren war, bewog ihn als Secretär und Theaterdichter bei ihm einzutreten. Joseph eröffnete seine neue Laufbahn mit einer Uebersetzung des „Titus“ von Mozart, der bald zahlreiche ähnliche aus dem Französischen, Italienischen und Englischen übertragene Bearbeitungen, sowie Originaldichtungen folgten. Wie er für die Texte, so sorgte dann sein Bruder für den musikalischen Theil (für Instrumentation, Ergänzung der Tonstücke, Einlagsnummern u. s. w.) der vorzugsweise aus dem Französischen herübergeholten Opern und Operetten. Viele dieser Uebertragungen wurden in ihrer neuen Gestalt Zugstücke und mit durchschlagendem Erfolge im In- und Auslande aufgeführt. Man ward dadurch auf Joseph aufmerksam; 1804 erhielt er ehrenvollen und vortheilhaften Ruf an das deutsche Hoftheater in Petersburg. Aber das Wiener Kind vermochte sich nicht zu entschließen, der geliebten und gemüthlichen Heimath zu entsagen und den dasigen angenehmen Verhältnissen. Als Freiherr v. Braun (der Dichter des von K. Kreutzer componirten „Nachtlager von Granada“) das Theaterprivilegium erworben hatte, blieb auch unter ihm S. bis 1806 in seitheriger Stellung und erst als die Leitung des Theaters an der Wien an eine Gesellschaft von Cavalieren überging, gab er seine Stellung auf, ohne jedoch aufzuhören, seine Feder dieser Bühne auch in der Folge zu widmen. So übersetzte er noch die Opern „Die beiden Füchse“, „Der Schatzgräber“, „Pachter Robert“, „Die Vestalin“, „Das befreite Jerusalem“, „Moses“, „Armida“, „Die vornehmen Wirthe“, „Joh. von Paris“, „Joconde“, „Saul“ und andere. – Als 1811 Castelli Theaterdichter beim k. k. Hoftheater wurde, übernahm Joseph die Redaction der seither von jenem herausgegebenen Zeitschrift „Thalia“, bis ihn 1813 der Wiener Buchdrucker Strauß veranlaßte, den seit 1809 begründeten „Sammler“ zu redigiren, ein vom litterarischen Raube ein schmähliches Dasein fristendes Blatt, denn dasselbe druckte nur das Beste aus anderen Blättern ab, ohne Honorare zu zahlen oder auch nur die Quellen zu nennen, aus denen es schöpfte. Ein [118] Mann von Geschmack und von Verständnis für das Bedürfniß seines Leserkreises konnte solch Piratenblatt mühelos mit Stoff versehen. Joseph übernahm daher im nächsten Jahre auch noch den „Wanderer“ und besorgte nebenher, aushülfsweise, die „Vaterländischen Blätter“ und die amtliche „Wiener Zeitung“. Da in der vormärzlichen Aera Oesterreichs derartige Redactionsarbeiten wenig Kopfzerbrechen machten, ja nicht einmal viele Zeit beanspruchten, so konnte er noch unter Director Hensler (1818) als Theaterdichter seine Stelle versehen und immer mit der Bühne in so enger Fühlung bleiben, daß er zehn Jahre später, als Graf Gallenberg Pächter des k. k. Hofopernhauses wurde, die ihm angebotene Canzleidirectorstelle an der k. k. Hofoper noch übernehmen konnte. Er machte sich nun vornehmlich um die Organisation der deutschen Oper verdient, unternahm zu diesem Zwecke mit dem damaligen Capellmeister dieser Bühne Fr. Lachner eine Reise durch Deutschland, um Künstler und Künstlerinnen kennen zu lernen und das Engagement vorzüglicher Kräfte zu realisiren. Das gelang denn auch in sehr befriedigender Weise. Noch unter dem Nachfolger des Grafen, Duport, blieb er in seiner Stellung, nebenher immer lustig den „Wanderer“ und „Sammler“ fortredigirend, ja 1832 auch noch den „Jugendfreund“ übernehmend. Endlich 1843, von allen Geschäften sich zurückziehend, übergab er die durch drei Jahrzehnte von ihm innegehabte Redaction des „Wanderers“ seinem Sohne Ferdinand. In seinem 69. Jahre machte ein Schlagfluß seinem thätigen Leben ein plötzliches Ende. Er hinterließ vier Söhne und drei Töchter. Man besitzt von ihm mehr als 200 übersetzte und bearbeitete Texte von Opern, Singspielen, Dramoletten. Aber auch eigene Arbeiten für die Oper und den Concertsaal lassen sich einzelne aufführen, z. B. die zur Rückkehr des Kaisers Franz nach Abschluß des Preßburger Friedens geschriebene Cantate: „Die Rückkehr des Vaters“. Während der verhängnißvollen Jahre 1805–1809 und später verfaßte er zahlreiche poetische und prosaische Artikel zur Belebung einer patriotischen Gesinnung, die nachträglich zumeist in dem seit 1812 erscheinenden Castelli’schen Almanach „Selam“ neu abgedruckt wurden. Außerdem gab er 1825 ein seiner Zeit beliebtes Hausbuch: „Heldenspiegel der österreichischen Armee“ und die Volksschrift: „Die Gesellschaft im Volkgarten“ heraus. – Joseph’s Sohn, Ferdinand, wie sein Onkel musikalisch sehr talentirt, aber von Jugend auf kränklich, war Beamter an der k. k. ersten österreichischen Sparkasse und mit seltener Ausdauer, wie sein Papa, der denkbar harmloseste Theaterkritiker. Seit dessen Rücktritt redigirte er den „Sammler“, der sein unsauberes Dasein noch immer fristete und den „Wanderer“, der aber 1848 aus einem Unterhaltungsblatt ein politisches Blatt wurde. Trotz aller Wandlungen der allgemeinen Ansichten, die es nun vertrat, bewahrte sich die Theaterkritik in ihm rührende Stabilität. Ferdinand hatte sich diese Sparte als seine besondere Domäne vorbehalten. Er, eine Specialität in dieser Branche, schrieb alle zahllosen größeren Kritiken und pflegte das Feld der Theaternotizen mit Bienenfleiß, weshalb man ihn auch im Hinblick auf die Riesenbiene, die im Frontispice des Wiener Sparcassengebäudes, wo er bedienstet war, prangte, die „Theaternotizenbiene“ nannte. Dabei war der Charakter dieser Notizen, ganz dem Seyfried’schen Familiencharakter entsprechend, in hohem Grade wohlwollend und gutmüthig. Eben seine Ruhe und Sanftmuth ließ ihn auch alles Ungemach verschmerzen, das über ihn manchmal als Redacteur eines politischen Blattes hereinbrach und ihn nicht selten in unangenehme Situationen brachte. Nur einmal gab er seiner Entrüstung rückhaltlos Worte, als man ihm, wie allen Redacteuren Wiener Journale, seinen lange innegehabten Freiplatz im Opernhause entzog. „Seit 30 Jahren (rief er) ging ich täglich in dies Theater, ich setze fortan keinen Fuß mehr hinein.“ Und er hat Wort gehalten. 1849 traf ihn ein Schlagfluß, der ihn einseitig lähmte, seit 1859 konnte er sein Lager nicht [119] mehr verlassen. Obwohl immer noch litterarisch thätig, mußte er nun doch die Redaction des „Wanderers“ niederlegen. Aber die Theaternotiz in diesem Blatte, deren Nähr- und Ziehvater er mit liebender Sorgfalt war, fristete ein gemüthliches Dasein fort, wenn auch nicht mehr in der Ueppigkeit, Mannigfaltigkeit und Unantastbarkeit wie einst. In der Einsamkeit und Ruhe seiner späteren Tage, sammelte er seine Erinnerungen, das Ergebniß eines beinahe 50jährigen täglichen Theaterbesuches: „Rückschau in das Theaterleben Wiens in den letzten 50 Jahren“ (Wien 1864). Sie enthalten durchaus Erlebtes und Gesehenes und sind stets auf Wahrheit basirt. – Ferdinand’s Bruder Heinrich übernahm nach dessen Ausscheiden die Abfassung der Theaternotizen im „Wanderer“ bis zu dessen Aufhören. Er war zugleich ständiger Correspondent der Leipziger Theaterchronik.