Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Tomaschek, Wenzel Johann“ von Rudolf Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 431–433, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tomaschek,_Wenzel_Johann&oldid=- (Version vom 8. Oktober 2024, 19:33 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Tomaschek, Karl
Band 38 (1894), S. 431–433 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wenzel Johann Tomaschek in der Wikipedia
Wenzel Johann Tomaschek in Wikidata
GND-Nummer 119010003
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|38|431|433|Tomaschek, Wenzel Johann|Rudolf Müller|ADB:Tomaschek, Wenzel Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119010003}}    

Tomaschek: Wenzel Joh. T., Tonkünstler, geboren zu Skutsch in Böhmen am 17. April 1774, † in Prag am 3. April 1850. Als jüngster Sohn eines verarmten Leinwebers, hatte er es bloß den beiden älteren Brüdern – einer Pfarrer, der andere Amtmann – zu danken, daß ihm eine seiner Neigung gemäße Ausbildung zu theil wurde. Zum Schulunterrichte erhielt er zugleich den im Gesange und Violinspiel; begabt mit schöner Altstimme, bewirkte diese seine Aufnahme als Vocalist an dem Kirchenchore der Minoriten zu Iglau, wo T. das Gymnasium besuchen konnte, und auch unter dem Chorregenten P. Donat weitere musikalische Ausbildung erlangte. Nach dem Brechen seiner Stimme aus dem Verbande des Kirchenchores entlassen, zog der sechzehnjährige T. nach Prag, um sich vollständig dem Studium der Harmonielehre und des Tonsatzes [432] zu widmen. Besonders fördernd wirkten während dem auf ihn die Werke von Kirnberger, Marpurg und Abbé Vogler. Bald versuchte er sich auch im eigenen Erfinden, schrieb mehrere ungarische Tänze, Menuetten und Walzer. Dabei zu Ruf gelangt als fertiger Clavierspieler, ward er dadurch noch ein gesuchter Clavierlehrer. Für seine Zukunft entscheidend wirkte indeß erst die ihm zu theil gewordene Gunst des kunstsinnigen Grafen Georg Buquoy, der ihn 1808 zu seinem „Hofcomponisten“ bestellte. Dadurch aller Lebenssorge überhoben, vermochte er von da ab nicht nur voll und ganz seiner musikalischen Vervollkommnung obzuliegen, sondern auch vermöge seiner Stellung als Günstling des Adels, unter dessen Vormundschaft zu jener Zeit die Prager Musiker sich befanden, eine Art von Schutzherrlichkeit zu üben. Und wer einem höheren Ziele in der Musik zustrebte, bewarb sich dann um seinen Beistand, wo möglich, um die letzte Weihe durch seinen Unterricht. So zählte T. eine stattliche Reihe von Musikern, wie Friedr. Kittel, Wilh. Kuhe, Jul. Schulhoff, Jos. Dessauer und Alex. Dreyschock zu seinen Schülern. Der eigentlichste, von ihm mit allem Eigensinne ausgebildete Schüler war Dreyschock, mit dem er auch das viel angefochtene Kunststück des Concertirens mit der linken Hand zuwege brachte. Wohl erhob sich allmählich gegen die von T. geübte, der Würde der Kunst abträgliche Oberherrschaft ein berechtigter Widerstand, namentlich nachdem Joseph Proksch (s. A. D. B. XXVI, 746) als Reformator des Musikunterrichts auf den Plan getreten war; der nun entstandene Kampf blieb freilich zeitlang ein unentschiedener, denn T. hatte eben einen mächtigen Anhang; war auch vermöge seiner reckenhaften Gestalt und Redegewalt geeignet, seine Anhänger noch auf lange hin in Reih und Glied zu halten, indeß Proksch seine Kämpen erst schulen mußte. Dieser scheinbar persönliche Widerstreit war aber nichts weniger wie ein solcher. Es war vielmehr ein für Prag hochbedeutsamer Cultur- und Entscheidungskampf zwischen dem bis dahin üblichen mechanischen und dem frisch belebenden, dem Wesen und der culturellen Bedeutung der Musik entsprechenden Unterrichte. Und wie in dem reich begabten, durch seine Stellung machtvoll gewordenen T. gewissermaßen das musikalische Zopfthum Prags seinen letzten Ritter gefunden hatte, fand sich in Proksch der geniale Vorkämpfer für eine musikalische Wiedergeburt im Sinne der classischen Meister. Thatsächlich schloß T. mit Haydn, Ign. Pleyel und Mozart ab; setzte Proksch zuvörderst mit Beethoven, C. M. Weber und Mendelssohn ein. – Das Schaffen Tomaschek’s war ein ziemlich reiches; er versuchte sich in den verschiedensten Richtungen; schrieb nebst einer Oper „Seraphine“ eine Missa Sacra, ein Te deum, mehrere Symphonien, Sonaten, Concerte, Eklogen, Fantasien, Cantaten und zahlreiche Lieder, es werden ihm an hundert Compositionen zugeschrieben, die auch meist Verleger fanden, doch nur für kurz gesucht und in Aufnahme geblieben sind wegen der vorwiegend allzu doctrinären Fassung. – Eine treffende Charakteristik seines Wesens brachte s. Z. Dr. August Schmidt in der von ihm redigirten „Wiener Musikzeitung“ … „Gleichwie der Meister durch seine imponirende Gestalt an Händel gemahnt, der schon durch seine äußere Erscheinung seinem souveränen Willen bei der ihm unterstehenden Capelle den gehörigen Nachdruck verschaffte, so schien auch bei T. der Geist übereinstimmend mit der Hülle, die er bewohnte, eine prädominirende Macht über seine Umgebung auszuüben. Die Ueberlegenheit seines Wissens und Könnens in den musikalischen Kreisen, in welchen er sich bewegte, das Lehramt, das er beinahe sein ganzes Leben hindurch bekleidete, mochten in seiner Seele wol den Keim einer Selbstüberschätzung genährt haben, die ihn bei der Beurtheilung fremder Verdienste nicht immer unparteiisch erscheinen ließ. Uebrigens barg die stachelige Schale einen süßen Kern, und wenn der aufgährende Mißmuth, hervorgerufen von einer sein Verdienst nicht vollständig würdigenden Anerkennung, die seine Eitelkeit tief [433] verletzte, allmählich einer ruhigeren Anschauung Platz gemacht hatte, dann kamen auch die Lichtseiten eines echten Künstlergemüthes zum unverkümmerten Ausdruck“ … „Wie in seinem ganzen Wesen ein mitunter eigensinniges Verharren auf vorgefaßten Meinungen vorherrscht, so ist auch seinen Compositionen mitunter die Absichtlichkeit anzumerken, eine gefälligere Form, einen geschmackvolleren Zuschnitt eigenwillig zu verleugnen“. Vollkommner Uebereinstimmung spiegelt sich diese Wesensschilderung auch in der von 1847 an, durch mehrere Jahrgänge – in dem von Paul Alois Klar in Prag herausgegebenen Jahrbuch – der „Libussa“, fortgesetzten „Selbstbiographie“ Tomaschek’s.

Gerber’s Neues histor.-biogr. Lex. d. Tonkunst. – Hormayr’s Archiv f. Gesch., Litt. u. Kunst XVI. Jahrg. – Meyer’s Conv.-Lex. Bd. XI. – Univers.-Lex. d. Tonkunst v. Schladebach u. Bernsdorf. – Oesterr. National-Encykl. v. Gräffer u. Czikann. – Riemann’s Mus.-Lex. – Dlabacz, Allg. histor. Künstl.-Lex. – Eigene Notizen.