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Artikel „Proksch, Joseph“ von Rudolf Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 646–661, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Proksch,_Joseph&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:35 Uhr UTC)
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Proksch: Joseph P., „der blinde Tonmeister“ genannt – geb. zu Reichenberg in Böhmen am 4. August 1794, † zu Prag am 20. Decbr. 1864 – zählt als Musikunterrichts-Reformator unter die glanzvollsten Erscheinungen am Kunsthorizonte. Sein Vater, ein schlichter Leinenweber, der Musik als Nebenerwerb betrieb, dadurch Leiter einer kleinen Capelle, die für die ortsüblichen Hochzeitsbälle und Faschingstänze gesucht wurde, hatte wohl kaum anderes wie die Züchtung eines billigen Gehilfen im Auge, als er den kaum siebenjährigen „Joseph“ – für [647] das Pauken- und Triangelschlagen – in sein Orchester einreihte. – Dabei sollte es freilich nicht bleiben, der gute Junge mußte über die Schulstunden hinaus noch Unterricht nehmen im Clavier- und Violinspiel, im Trompete- und Clarinetteblasen. So ging es bis ins achte Jahr, bis zum Erblinden des rechten Auges. – Aber wie von der Vorahnung des unabwendbaren Geschickes ergriffen, betrieb der Frühreife dann von selbst seine Weiterbildung, war denn auch im dreizehnten Jahre beim Erlöschen des anderen Auges schon vollkommen vertraut mit dem ganzen System der Tonschrift und mit der Handhabung sämmtlicher Orchesterinstrumente. – Da alle noch angewendeten Curen versagten, überging P. 1809 in die Prager Erziehungsanstalt für Blinde. Dort einer der gelehrigsten Zöglinge, vervollkommnete er sich unter Leitung der tüchtigen Lehrer, Wenz. Koscheluch und Wenz. Farnik, ganz besonders im Clavier- und Clarinettespiel. Und wie im „Instituts-Stammbuche“ geschrieben steht, leistete P. auch schon „werthvolle Compositionen für verschiedene feierliche Anlässe“. – Auf eigenes Ansuchen 1816 aus dem Institutsverbande mit dem ehrenvollsten Zeugnisse entlassen, frischen Geistes, fröhlichen Gemüthes, musikalisch durchgebildet wie selten ein Blinder, durchströmte ihn begreiflich die Lust für musikalisches Weiterwirken. „Mir war nach meinem Austritte, als müßte ich sofort die ganze Welt durchwandern und allen Begegnenden etwas vorspielen“ – lautet eine Stelle in seinen später dictirten „Jugenderinnerungen“.

Vorerst zu den Eltern heimgekehrt, traten aber dem Wandervorhaben allerlei Hindernisse entgegen, namentlich der Mangel eines geeigneten Begleiters. Der innewohnende Trieb nahm darum vorläufig andere Richtung. Ueber kurz entstand eine große Baßarie mit Instrumentalbegleitung, zur Einlage für eine Fest-Messe bestimmt, sie trägt die Bezeichnung „Opus 11“; dieser folgte (Op. 12) Ouverture und Zwischenmusik zum Singspiel „Die Hagestolzen“ für das Reichenberger Theater und ein äußerst frisches „Trinklied“ für Sängerkreise. – Mittlerweile, 1817, fand sich auch die ersehnte Gelegenheit zur Befriedigung der Wanderlust. Es kam nämlich durch den Anschluß an einen Reichenberg besuchenden Harfner, Namens Rieger, zur gemeinschaftlichen Kunstreise. Concertirend in Jung-Bunzlau, Pardubitz, Brünn und Olmütz, erfuhr P. in letzterer Stadt die Auszeichnung, zu einer Sonderproduction beim dortigen Cardinal-Erzbischof, Erzherzog Rudolph, eingeladen zu werden. Damit verknüpft waren äußerst wirksame Empfehlungsschreiben für die Weiterreise nach Tyrnau, Preßburg, Komorn, Pest, Graz und Wien, die P. selbständig unternahm. Dieser Umweg nach der Kaiserstadt hatte die ersprießliche Folge, daß ihm der bereits erworbene gute Ruf als virtuoser Clarinettist und Clavierspieler voranging. Dort sogleich von Musikfreunden aufgesucht und in ihre Kreise eingeführt, interessirte sich ganz besonders das als musikalische Autorität geltende (blinde) Fräulein Maria Theresia Paradies für ihn. Geebneten Weges trat hernach P. in die Oeffentlichkeit und errang einen kunstgeschichtlichen Erfolg. Denn der namhafte Componist und musikalische Schriftsteller Ign. Ritter v. Seyfried sicherte ihm in seinem Anhange zu den Schriften des berühmten Contrapunktisten Joh. Georg Albrechtsberger ein unverwelkliches Blatt, auf welchem P. mit Bezug auf sein damaliges Concertiren als einer der „ersten Clarinettisten“ verzeichnet steht. – Die tiefgreifende Wirkung solchen Gehobenwerdens bestätigt vor allem den Entschluß für einen letzten Versuch zur Wiedererlangung der Sehfähigkeit. – P. überließ sich denn auch freiwillig dem jener Zeit namhaftesten Ophthalmologen Wien’s, Dr. Beer, zur Operation, die – wie er selbst aussagte – eine langwierige und äußerst schmerzliche war, ohne mehr, als einen Sehschimmer im rechten Auge zu retten. Merkwürdigen Humores dictirte der also erfolglos Gequälte dann ein Schreiben an seinen Bruder Anton, aus dem sich eine Stelle besonders bedeutsam hervorhebt: [648] „Erfolgreicher für mein inneres Schauen war dagegen die Operation, die Zacharias Werner an mir vornahm“. Der gewaltige Kanzelredner und geniale Dichter, den P. im Verkehr mit Fräulein Paradies kennen lernte, dürfte eben der geistige Beistand gewesen sein während der Clausur bei Dr. Beer. Die tiefgreifende, läuternde Wirkung des Verkehrs mit Werner verräth nicht allein die weitere Mittheilung an den Bruder, sie leuchtet auch merkbar aus späteren Aeußerungen hervor.

In Wien bis zum August 1818, concertirte P. auf der Heimreise noch in Teplitz. Vorerst öffentlich, dann auf Einladung vor dem zur Cur anwesenden König Friedr. Wilhelm III. von Preußen. Andererseits nach Dresden berufen, befriedigte sich damit zugleich der längst gehegte Wunsch persönlicher Berührung mit Karl Maria v. Weber, die – laut späterer Notirung – von mächtiger Anregung war. Die Heimkehr erfolgt im Spätherbste. Weiteren Tagebuchdictaten ist zu entnehmen, daß P. diese glanzvolle Virtuosenfahrt nicht allzuhoch anschlug, vielmehr feinfühlig zu unterscheiden wußte, es gehöre ein bedeutender Gunsttheil dem – Blinden; auch genug selbstbewußt, um der Abhängigkeit vom Mitleid entrathen zu können, reiften Erfahrung und Erwägung eigenster Willenskraft den seine Zukunft umgrenzenden Plan. Umschrieben ist dieser in einer Mittheilung an den früheren Blindeninstitutsgenossen Isidor Schönberger … „So weit ich zeither den Musikbetrieb zu übersehen vermochte, mein eignes Treiben eingerechnet, zeigte sich allenthalben ein plan- und zielloses Musikmachen, das anstatt zur Bildung und Veredlung blos etwa wie das Kartenspiel zum Tödten der Langeweile, meist aber zur Pein für die Mitmenschen betrieben wird“ … „Die Musik, das ist mir jetzt klar geworden, bedarf zu ihrer gehörigen Werthachtung der Weihe einer guten Schulung. Der heutige Stand der Dinge drängt denn auch voller Entschiedenheit zur Reform des Musikunterrichtes. Du frägst vielleicht, ob ich mich dazu berufen fühle – und ich sage ja! Freilich in der Voraussetzung, daß es mir vorher noch gelinge, mich selbst zu reformiren“. – Unter freundlicher Beihilfe des Reichenberger Hauptschullehrers Ant. Neuhäuser und des Chorrectors J. Wollek unternahm P. daraufhin die eingehendsten pädagogischen Studien, durchforschte in dieser Gemeinschaft die gesammte Musiklitteratur älterer wie neuerer Zeit, ging mit dem Erkenntnißgewinnste aber sofort auch an die Gründung einer Musikschule. – Darüber ins Jahr 1825 gekommen, in welchem ausländische Zeitungen zu berichten wußten über das Außerordentliche einer von Bernh. Logier in Berlin geleiteten Akademie für Pianisten, wird es wol begreiflich, daß es unseren Reformer anstieß, sich Ueberzeugung zu holen, inwieweit sein Wollen übereinstimme mit jenem des gepriesenen Methodikers. Und über kurz saß P. im Lehrsaale Logier’s. Das also von diesem Erlangte gewann erhöhte Bedeutung durch die Uebereinstimmung im genetischen Vorgehen, wie sich dieses P. bereits festgestellt hatte. Der Vorsprung Logier’s lag einzig in der schon fertigen methodischen Durchführung, die indeß wieder nur den mechanischen Theil des Clavierspiels umfaßte und sich auf den von ihm erfundenen Handleiter (Chiroplast) stützte, indeß P. auf der gegebenen rationellen Grundlage weiter baute und sein System künstlerisch giebelte.

Die Reichenberger Schule wurde 1826 erweitert, und behufs entsprechender Unterrichtstheilung Bruder Anton und Schwester Anna zu Hilfslehrern eingeschult. – Die erste öffentliche Prüfung, die P. nach Ablauf des zweiten Schuljahres abhielt, wirkte dann auch gleich einem die Stadtbevölkerung bewegenden Ereigniß. – Dieses allgemeine Interesse für P. erhöhte noch eine, für die Enthüllungsfeier des im Stadthause ausgestellten Kaiserbildes componirte, äußerst ansprechende Festcantate, und bewirkte eines zum andern seine Ernennung zum Ehrenbürger von Reichenberg. Die Schule, bis 1829 bereits derart fest organisirt, daß ihr Fortbestand [649] unter Leitung obgenannter Geschwister und aus ihr hervorgegangener Lehramtscandidaten vollkommen gesichert erschien, ließ weiteres Ausgreifen zu. P. durfte ohne weiteres Bedenken der vielfachen Aufforderung, besonders des ihm längst gewogenen Grafen Christian Clam-Gallas, seine Unterrichtsreform in die Landeshaupstadt zu verpflanzen, nachgeben. Diesem Zwecke galt die am 16. Aug. 1830 unternommene Reise nach Prag. – – Durch den von Anfang an ziemlich ebenen Gang seiner Zulaßbewerbung sich schon bodensicher fühlend, zögerte P. nun auch nicht länger mit dem Eintritte in den Ehestand. Es geschah dieses in Reichenberg am 22. Nov. 1830, bei welcher Gelegenheit die dortige Stammanstalt förmlich und feierlich dem Bruder Anton übergeben wurde. – Und nachdem er unter dem 30. December die behördliche Bewilligung für Prag erhalten, verkündigten in den ersten Märztagen 1831 an den Straßenecken große Zettel die Eröffnung der „Musikalischen Lehr- und Bildungsanstalt des Jos. Proksch“. – Was er damit anstrebte, ist verständlich ausgesprochen in der an die oberste Landesbehörde gerichteten Eingabe: … „Diese neue Unterrichtsmethode des Pianofortespieles in Verbindung mit der Harmonielehre berücksichtigt bei den Schülern, vom zartesten Alter ab, eine gleichmäßige Verstandes- und Gefühlsbildung, dadurch das Erziehen zu wahrhaft musikalischer Leistung“ … „Der elementare Vorgang besteht a) in theoretischen Uebungen; b) im Gebrauche des Handbildners (Chiroplasten); c) im gemeinschaftlichen Spielen. – Die Methode ist ein organisches Ganzes, dessen einzelne Theile durch einander bedingt sind und in gegenseitiger Wechselwirkung stehen“ … „Grundsatz der Methode ist, das Unbekannte durch das Bekannte zu finden. Ein Lehrsatz ist durch den anderen bedingt, alles muß folgerecht und logisch entwickelt werden“ … „Die zum Unterrichte bestimmten Lehrbücher bestehen aus vier Abtheilungen; daran schließen sich 12 Abschnitte theoretisch-praktischer Studien, enthaltend Compositionen von den besten alten und neuen Meistern“. – Den Lehrkörper bildeten nebst Director P. drei Classenlehrer und ein Assistent. Die Schülerzahl, bald eine bedeutende, bewies auch das für die neue Anstalt vorhandene Vertrauen. Parallel damit ließ allerdings eine wohlerklärliche Opposition, die P. in seinen „Mittheilungen an vertraute Freunde“ (in Reichenberg) voll Humor dahin kennzeichnet: „Draußen stand in aller Beharrlichkeit der landläufige Troß von Stundengebern, mich anklagend der Beeinträchtigung, ja des „Broddiebstahls“ durch dieses „Zusammenraffen von Schülern“; drinnen war ich wieder genöthigt, für die zu Unterrichtenden vorerst noch die Lehrer gehörig zu präpariren. Das Eine ließ sich endlich überhören, das Andere überwinden, einem Dritten nur weiß ich noch immer nicht beizukommen. – Da sitzen nämlich die großen Herren vom Metier fort und fort beisammen und studiren, wie sie mich doch noch „fangen“ könnten. Ich bleibe eben für diese Sorte Alleinseligmachender der „Usurpator“, der „Fremdling“, der „Landschulmeister“ und weiß der Himmel was noch weiter. Das in ihren Augen Unverzeihlichste aber ist mein „als simpler Clavierlehrer in die Theorie der Musik und Compositionslehre Hineinpfuschen!“ – Ueber den Weiterverlauf verständigt ein späterer Bericht … „Beruhigt Euch, ich hab’s verwunden, habe durch festes Standhalten die Einen in’s Verlaufen, durch unbekümmertes Weiterarbeiten den Anderen – wenigstens – einen Scheinfrieden abgerungen. Das Wesentlichste hiefür dürfte durch die eben abgehaltene erste öffentliche Prüfung meiner Prager Schüler geschehen sein. Dabei konnte doch Jeder, dem daran lag, bis in die Tiefen meiner Seele hineinschauen und erkennen, was ich eigentlich wolle“. Mächtige Förderung diesem rastlosen Sichselbstvorwärtsdrängen gab auch der traute Verkehr mit dem berühmten Maler Joseph Führich. Durch Landsmannschaft und geistverwandtes Streben gegenseitig angezogen, bildeten sie dann zugleich das Centrum eines Kreises von Männern der Wissenschaft und Kunst, [650] deren Thätigkeit sich über das ganze Culturgebiet erstreckte, und der so von deutschem Geiste durchdrungenen Stadt nach außen maßgebendes Ansehen gab. – Auf P., vermöge seines ausgedehnten Wirkens, wie seiner geistigen Regsamkeit schon immer Vordermann jenes Kreises, überging infolge der Berufung Führich’s (1834) nach Wien auch die weitere Führung. In Bezug auf die Schule schrieb er unter dem 6. August 1835 an Bruder Anton: „Das Hauptergebniß der heutigen Jahresprüfung war, daß das Publicum sich mir endlich anbequemte und sich einverstanden zeigte, daß ich die mir anvertrauten Zöglinge harmonisch und zwar von Innen nach Außen durchbilde. Denn ich erachte die Kunst nicht blos als obenauf anzubringende Politur, sondern als ein zum Verschönen des ganzen Menschen bestimmtes Element … den Schreckschuß von der „Mode“, den muß man ruhig an sich vorbeisausen lassen; sie ist im seltensten Falle Bildungsmittel, weitmehr das Gegentheil … Schwere Schuld an all’ den beklagenswerthen Musikzuständen tragen die sogenannten Virtuosen; diese haben die Mittel zum Selbstzweck erhoben, die Kunst aus dem Herzen in die Finger verlegt“ … „Gelingt es mir, tief genug einzugreifen, dann sind auch die Elemente gegeben für eine gesunde musikalische Volksbildung“ … Aus dem Jahre 1835 ist noch die bedeutsame Thatsache zu verzeichnen, daß durch die aus der Prokschschule hervorgegangenen Lehrer Ign. Stanzel und Frz. Sachers in Preßburg, durch Bernh. Pelz in Leitmeritz Zweiganstalten gegründet wurden. – Den Notizen des Folgejahres seien folgende Bruchstücke entnommen: … „Besten Wissens und Gewissens habe ich nun daraufhin vorgearbeitet, daß meine Schule zugleich ein Pädagogium für Musiklehrer werden könne“ … „Die Schulung nach der reformirten Methode ist schon vor sich gegangen, und wurde damit in sechs Monaten erreicht, wozu es früher das volle Schuljahr bedurfte“ … „Logier hat unzweifelhaft ein Bedeutendes für den Unterricht gethan: wie mir jedoch jetzt, nach wieder und wieder erneuter Prüfung erkennbar wurde, that er öfter zu viel, und auch wieder zu wenig, so daß er dadurch selber zum Weiterarbeiten zwingt“ … „Die Zahl der Schüler (beiderlei Geschlechts) beträgt gegenwärtig 75. … Instrumente sind jetzt 14 im Gebrauche“. –

Merkwürdig genug hatte die Tagespresse bis dahin von dem opferwillig und rastlos für höhere Kunstbildung Arbeitenden vollständig geschwiegen. Erst 1837, nach einer mit seinen Zöglingn zum Besten des Prager Armenhauses veranstalteten Akademie, löste die „Bohemia“ den Bann und brachte einen überaus anerkennenden Bericht über die „schon zu unerwarteter Reife gediehene Anstalt“. Damit war gleichsam das Signal gegeben zu fortgesetzter Hervorhebung „der auf neuer Bahn erfolgreich einherschreitenden Prokschschule“. –

Im „engeren Zirkel“ bestand bis 1839 die nach Führich entstandene Lücke; endlich ausgefüllt durch den zur Leistung der Prager Malerschule aus Wien berufenen Director Frz. Kadlik, erfrischte sich in der Berührung mit diesem energischen Neuerer im Bildkunstgebiete auch bei P. der Vorwärtsdrang – ausgesprochen in den Worten: „Kadlik hat mich wieder in’s Feuer gebracht“. – Zur Beglaubigung der Ehrlichkeit des periodisch erneuten Anlaufs ist hervorzuheben, daß dieser Anlauf stets zusammenhing mit seiner eigenen „Nacherziehung“, wie er bescheiden das fortgesetzte, mittels mehrerer Vorleser betriebene Studium nannte. Geradezu bewunderungswürdig ist die Regsamkeit des bereits in das fünfundvierzigste Lebensjahr Vorgeschrittenen, wenn er in den „vertrauten Mittheilungen“ aussagt: „Meine Nacherziehung suche ich noch durch Folgendes zu ergänzen: 1. durch gründliche Kenntniß der allgemeinen wie Specialgeschichte; 2. durch das Studium der Bibel; 3. durch das der Philosophie, Psychologie, Physiologie und Anthropologie; 4. der Methodologie im allgemeinen; 5. der Kunstgeschichte und Aesthetik; 6. der Litteraturgeschichte sammt Detailstudien der [651] bedeutendsten Litteraturwerke. – Diese Privatstudien basire ich auf sorgfältig gewählte Werke und kümmere mich noch besonders darum, frische Kräfte zu gewinnen, die zum Zeug dafür auch die Lust haben, sich ins Studieren mit mir einzulassen“. – Zeitlang selbst betheiligt an dieser seiner „Nacherziehung“, vermag ich Zeugniß zu geben über die Unermüdlichkeit, mit der P. all’ den genannten Studien oblag, und wie diese auch bis an sein Lebensende das treibende Element blieben für fortschrittliches Wirken. – Wenn es an anderer Stelle heißt: „Als ich vor Jahren zum ersten Male eine Reihe von Abendunterhaltungen gab, suchte ich dadurch das Harte und Unerquickliche, das Manche in meinem Unterrichtsgange finden wollten, mit Kunstblüthen zu umweben“ – so ist diese selbstwillige und mit größtem Erfolge fortgesetzte und erweiterte Umwebung seiner Methode auch größtentheils Studienerfolg. – Ebenfalls im Zusammenhange damit steht die Notirung: „Die Umarbeitung des Logier’schen Systems – eine wahre Riesenarbeit – hält mich noch immer in Athem. Mittlerweile habe ich wieder Einiges im Wege der Praxis abgeändert. Der gesammte Uebungsstoff, stets theoretisch-praktisch gehandhabt, theils vereinzelt, theils mit der Gesammtheit der Schüler vorgenommen, ist nun eingetheilt: 1. In den Fingerbildungscurs; 2. in rhythmische Zählübungen nebst Rhythmisirung der Melodie; 3. Gehörbildung durch angewandte Melodik und Rhythmik; allgemeine Musiklehre und Compositionslehre mit beständiger Anwendung des Clavierspiels“. – „Die Schulung ist auf sechs Jahrgänge erstreckt“.

Der tiefreligiöse Zug, der sich an P. seit seiner Berührung mit Zach. Werner bemerkbar machte, bewog ihn 1840 zur Einführung der Cäcilienfeier. Der Tag wurde von da ab, früh kirchlich, Nachmittags musikalisch in der Anstalt begangen. Für diese hatte er auch von Kadlik eine äußerst sinnige Darstellung der christlichen Musikpatronin malen lassen und ein wunderlieblich Chorlied dazu componirt. – Waren schon während der „musikalischen Abendunterhaltungen“ in fortschreitender Folge Schüler aus dem Hintergrunde der Schule mit Ansehen erregenden Leistungen hervorgetreten, so setzte sich dieses wirksam fort durch die alljährliche Cäcilienfeier, welche den Charakter „historischer Concerte“ gewann vermöge der zu Gehör gebrachten, in Prag bis dahin fast durchweg unbekannten Werke classischer Meister. (Die Namennennung der vorragendsten, zu Künstlerruf gelangten Schüler, als Mitwirkender in diesen öffentlichen Vorführungen, bleibe dem Anhange vorbehalten.) P., trotz unablässiger Anfeindung durch die erbgesessenen musikalischen Amtsleute, allmählich Autorität geworden, gewann damit von selbst in fachlichen, an die Oeffentlichkeit gebrachten Fragen Gehör und entscheidende Stimme. – Zuvörderst sei hier erwähnt die, nach vielfacher Handanlegung seitens anderer Musiker, ihm übertragene Revision des Leitmeritzer Diöcesan-Gesangbuches. – Von großer Tragweite für sein Allgemeinstreben war die 1840 unternommene Reise nach Dresden und Leipzig, durch welche er – in Dresden – nachhaltenden Verkehr anknüpfte mit den gefeierten Organisten Joh. Schneider und Aug. Klengel; in Leipzig wieder mit Professor G. W. Fink, dem ausgezeichneten Redacteur der Allg. Leipz. Musikztg., mit C. F. Becker, dem berühmten Organisten, wie mit den namhaften Verlegern Peters und Hofmeister. Der gesuchte Verkehr mit Schumann blieb wegen dessen Abwesenheit auf die Kartenabgabe beschränkt, diese führte aber zur späteren freundlichsten Begegnung mit dem geistreichen Romantiker in Prag. – Einen nicht minder ehrenden Besuch erhielt P. – 1846 – von dem damals glänzendsten musikalischen Heroen Frankreichs, Hector Berlioz, der in das „Instituts-Denkbuch“ Folgendes einschrieb: „Je ne puis que complimenter Mr. le professeur Proksch sur le talent de ses élèves, il en a fait non seulement d’habiles pianistes, mais aussi d’excellents musiciens, qui sentent et comprennent. Ils font le plus grand honneur à la [652] science et au sentiment musical élevé de leur maître. Prague, 10. Avril 1846. Hector Berlioz.“ – Mit Bezug auf diesen Künstler berichtete P. an seinen Bruder u. A.: „Was ihn, wie es schien, speciell interessirte, war, zu erfahren, auf welche Weise ich mir die Kenntniß der Partituren verschaffe; daß auf dem einzig für mich möglichen Wege, dem des Gedächtnisses, wollte ihm lange nicht recht eingehen“. – Diese Gedächtnißkraft war bei P. auch eine wahrhaft wunderbare! Sie befähigte ihn nicht nur zum Festhalten aller bedeutenden Tonwerke älterer und neuerer Meister, sondern auch zum flüssigen Dictiren eigener Comspositionen, wie der für sein Lehrsystem erforderlichen theoretischen Erläuterungen. Ueberdies führte er eine – so zu sagen – riesige Correspondenz, für die, je nach der Richtung, verschiedene Schreiber bestimmt waren.

Schwere Bedrängniß brachte ihm das Jahr 1848. Die Schule, derzeit aus der Gründungsstätte, dem „Täublhause“ in der Schwefelgasse, ins Eckhaus des Altstädtet Ringes zur Zeltnergasse verlegt, somit in der Linie des am Pfingstmontage ausgebrochenen Kampfes zwischen Militär und aufrührerischem Volke, brachte es mit sich, daß Rotten von Letzterem eindrangen, um die Fenster zu besetzen zum Angriffe gegen die in der Gasse vorrückenden Soldaten, die ihrerseits nicht säumten, nachzudringen und blutige Vergeltung zu üben. P. sammt Familie in größter Beängstigung, flohen, dem Schutze des Himmels alle Habe überlassend, nach Reichenberg und kehrten erst nach einer langen, bangen Woche wieder zurück auf die Heimstätte, wo es wie auf „einem Kampfplatze aussah, die Fenster sämmtlich zertrümmert waren, der Fußboden ein grauenhaftes Gemenge von Steinen, Sand und Blut aufwies. Nur wunderbar genug, hatten die vielen Pianos keine erheblichen Verletzungen erlitten. Erheblicher war dagegen die durch den Rückschlag auf die socialen Verhältnisse erlittene Schädigung. Denn die schon erreichte Hundertzahl der Schüler minderte sich momentan um ein Bedeutendes – aber auch nur momentan. Der festbegründete Ruf der Anstalt; das durch sie geweckte Bedürfniß nach höherer musikalischer Ausbildung, schloß bald wieder die entstandene Lücke, führte sogar zum unanfechtbaren Beweis, daß die Prokschmethode in jeder Richtung durchgegriffen habe. – Diesen Beweis erbrachten die in weiterer Folge in Prag von Lehrern der Anstalt errichteten Schulen, durch Jiranek, Frömter und Smetana. Alle gediehen, hatten Nachfolge, ohne Nachtheile für die Mutterschule. – Die durch den Abgang dieser Lehrer entstandenen Lücken konnten jetzt leicht mit aus dem Schulcurse hervorgegangenen Lehramtscandidaten ausgefüllt worden. P. wollte indeß noch eine, bisher in Frage gebliebene „Concertmeisterstelle“ zur Besetzung bringen, und übertrug diese auf seinen in Wien lebenden jüngeren Bruder Ferdinand. Aus der Reichenberger Schule hervorgegangen, dann vom Gymnasium übergetreten ins Studium der Medicin, nach Absolvirung wieder dem inneren Zuge nach Musiker im Geiste der alten, tüchtigen Wiener-Schule und zu Rufe gelangter Beethoven-Spieler, schien er denn auch der Geeignetste für die in Aussicht genommene Stelle. – So unter fortgesetztem Wirken und Schaffen am Ablaufe des zwanzigsten Schuljahres, vollzog sich damit zugleich etwas von P. fast ängstlich Hintangehaltenes, nämlich das Heraustreten von Schülern in die Virtuosenlaufbahn. Längst schon finden sich einige musikalische „Wunderkinder“ in den Schülerreihen – zuvörderst Frl. Mery Boussifet de Moricourt und Frl. Pauline Rischawy – er aber ließ sie freiwillig über die für seine Absicht gezogene Grenze nicht hinaus, sondern bestimmte sie vorläufig noch zu Sendboten der Geschmacksreform in adeligen Kreisen. Nur eines davon, Frl. Wilhelmine Clauß, vermochte er nicht zurückzuhalten. Diese drängte es im Interesse ihrer Mutter in die Virtuosencarriere, dazu mit derartigem glücklichen Erfolge, daß schließlich auch der bescheidene Meister sich vollkommen beruhigen durfte. Eroberte [653] doch Frl. Clauß von vornherein nebst einem guten Stück von Deutschland, die Hauptstadt von Frankreich für die Lehre desselben. Vollends dann, nachdem sie sich als Frau Clauß-Szarvady bleibend in Paris niedergelassen.

Mit dieser Periode hatte auch P. den angestrebten Höhepunkt erreicht. Im Weiterlaufe minderten sich die Kämpfe, ungehindert drang sein Ruf nach weit und breit, gewann Ausbreitung über ganz Europa. Denn in seinem Geiste als Lehrer fortwirkende Schüler hatten bis dahin nicht nur in den bedeutendsten Städten Böhmens, Oesterreichs, mehreren Deutschlands, sondern auch Rußlands, Russisch-Polens Berufsstellungen inne: zwei davon waren sogar nach den jonischen Inseln und nach Amerika vorgedrungen.

Bezeichnend für die nun schon aus der Erfahrung gewonnene Ueberzeugungskraft ist die Antwort, die er zur Zeit einer hohen Dame gab, auf die Frage, ob denn die Theorie so unerläßlich sei für gutes Clavierspielen: „Mag es anderweitig jeder treiben, wie er will, in meinem Gefriede bleibt Wissen und Können in der Musik für untrennbar gehalten, wie Seele und Leib; das den musikalischen Leib beseelende aber ist die Theorie.“ – Seine bereits in der Composition bewährten Schüler nach allen Richtungen „Probe bestehen“ zu lassen, regte er sie 1851 an für die Herausgabe einer Tänzesammlung. Diese erschien unter dem Titel: „Album eleganter und concertanter Tonstücke in den gebräuchlichsten modernen Tanzformen“ (Prag, bei Jak. Fischer). Den instructiven Zweck zu wahren, versah P. die Sammlung mit einem erläuternden Text. (Einer von den mitarbeitenden Schülern, Pius Richter, hatte vorausgehend schon eine Vocalmesse componirt, die auch zu wiederholter Aufführung gelangte.) – Da zeither bloß einzelne, allerdings die wesentlichsten Theile seines Schulwerkes, als „Manuscript“ Vervielfältigung erhielten, verstärkte sich bei der von Jahr zu Jahr wachsenden Zahl selbständig wirkender Schüler und nach seiner Methode geleiteter Schulen, auch das Andrängen nach Drucklegung des ganzen Werkes. Wenn er dann einem dieser Dränger die dahin lautende Antwort gab: „Denken Sie mich in einer Lebensstellung, in welcher es keine Ruhe gibt, weder bei Tag noch am Abende; wo ein stetes Herandrängen und Herantönen mich im Officium hält; wo die widersprechendsten Aemter sich in einer Person vereinen, als: des Directors, Lehrers, Compositeurs, Correctors, Arrangeurs, Buchhalters, Zahlmeisters, Correspondenten, nebenbei auch des Hausvaters und Erziehers seiner Kinder – wie frage ich, ist da Alles in Ausgleich zu bringen mit dem systemgebärenden Autor und Herausgeber?!“ – so ist damit zugleich Einblick gewonnen in sein rastloses Triebwerk. – Uebrigens lag der in Frage gebrachte Gegenstand nicht allzu weit ab. Ende December 1853 erschien nämlich zum ersten auch die zweite Abtheilung seiner „Musiklehre“, bis wohin er ebenfalls eine längst vorbereitete „Liedersammlung für Kirche, Schule und Haus, ausgewählt, geordnet und zum Theil componirt und harmonisirt“, zunächst für den Gebrauch seiner Musikbildungsanstalt, herausgab. Der erste Theil enthält geistliche, der zweite weltliche Lieder. Auch ein „Musikalisches Vademecum“ von 50 Paragraphen, als bündige Sammlung trefflicher Grundsätze, abgetheilt in „ästhetische Ideen für Kunstbildung“ und „Pädagogisch-didactische Rathschläge für musikalische Kunstjünger“ war mittlerweile erschienen. – Nebenbei überraschte er seine Tochter mit einer eigens für sie componirten, äußerst geschmackvollen, concertanten „Mazurka bravoura“. – Einem Schreiben an Bruder Anton ist ferner zu entnehmen, daß das für den Druck bestimmte Schulwerk in raschem Fortschreiten schon bis zur vierten Abtheilung gedieh; „zuvörderst – heißt es – modificirte ich den theoretischen Theil, dessen Hauptabschnitte: a) Technik, b) Dynamik, c) Methodik, d) Litteratur in sich fassen.“ Weiter ist erwähnt, daß die Aphorismen über katholische Kirchenmusik“ druckfertige wurden (erschienen 1858 bei Bellmann in Prag). – Diese unverkennbar erhöhte [654] Spannkraft leitet P. selbst aus jenem neuen Kreise ab, der ihn nach dem Ableben Kadlik’s, jetzt als „wiederholt renovirter Führichkreis“ umfing. Renovirt unter Beitritt frischer, wissenschaftlicher, aus Deutschland an die Prager Universität berufener Männer, wie die Professoren Brinz, Chambon, Curtius, Esmarch, Höfler, Mischler, Schleicher; des Wiener Professor Herbst; des Dichters Egon Ebert; der Bildhauer Joseph und Emanuel Max, der Maler Müller etc., paralysirte gerade der von diesem Kreise in deutschem Geiste bewirkte Aufschwung die bereits keck vortretenden slavischen Ansprüche.

Ein Schlaganfall, 1854, während der Ferien in Teplitz erlitten, machte zwar allgemein besorgt, daß er die Vorankündigung der nachfolgenden Lebenspause sei: die Jenseitsgemahnung war aber eine so gelinde, daß er vollkommen schadlos blieb, ja, bald nachher besten Humors dem Bruder berichtete: „Am 23. August machte, wie mir schien, der Sensenmann einen Vorversuch, wie fest ich noch in der Haut stecke; bald wäre ihm der Scherz gelungen – wenigstens versicherte meine überbesorgte Frau, sie habe mich schon für leblos gehalten.“ – Rüstig, wie ehedem, fand man ihn denn auch zu Beginn des neuen Schuljahres an der Arbeit, und steigerte sich zusehends der Erfolg seines Wirkens, erkennbar durch vermehrte Bestellungen des Schulwerkes, durch fortgesetzte Ansuchen um Vermittelung von „Musikmeistern“ und in seiner Schule gebildete Lehrer. Mit vorzüglichem Wohlwollen begleitete ihn jetzt zugleich die Journalistik – die ausländische, wie die heimische. Letztere anerkannte P. nun sogar „als den hochbegabten Componisten“, vermöge seiner jetzt vielfach in den Hauptkirchen Prags zur Aufführung gebrachten Messeeinlagen: Gradualien, Offertorien, Hymnen etc. – Besonders frischthätig trat er wieder anläßlich der hundertsten Geburtstagsfeier Mozarts vor. Zu der allgemeines Aufsehen erregenden musikalischen Festfeier in der Anstalt erschien ein mit großer Umsicht redigirtes „Mozart-Album“. Die erste Abtheilung mit 10 Nummern aus Mozart’s Kinderjahren; die zweite mit einer Auswahl classischer Compositionen für das Clavier zu 2 und 4 Händen in den verschiedensten Kunstformen aus Mozarts späteren Lebensjahren; die dritte mit einer Auswahl der schönsten und beliebtesten Melodien aus Mozart’s Opern. (Erschienen bei Jacob Fischer in Prag.) Im selben Jahre – 1856 – betrat auch seine Tochter Maria besten Erfolges die Virtuosenlaufbahn – überging jedoch später ins Lehrfach – für welches, nebenbei bemerkt, schon siebenzig Lehrer und Lehrerinnen aus der Prokschschule hervorgegangen und activ geworden waren.

Ueber dem Weiterblättern im vorliegenden, wahrhaft colossalen Material, in hunderten von Briefen, Monatsheften mit Berichten an vertraute Freunde, Tagebüchern und „Memorabilien“, überkömmt mich immer und immer wieder die Versuchung zur Anführung von Stellen, durch welche das krystallklare Wesen, der hoher, sittlicher Kraft beigehende, kindlich heitre Sinn des seltenen Mannes vollkommen umschrieben erscheint. Eine Versuchung, der jedoch in Rücksicht auf den zulässigen Raum widerstanden werden muß. – Allen für weitere Ausführungen Interessirten sei darum das am Schlusse angemerkte Buch empfohlen, das einen vollständigen Auszug seines schriftlichen Nachlasses enthält. – Hier möge nur noch den letzten Lebensjahren so viel entnommen werden, als zur Abrundung der Bildskizze nothwendig. – Wie vielsagend sind z. B. die Stellen aus dem Jahre 1857. … „Mit jedem weiteren Jahre will es mir bedenklich erscheinen mit dem Fertigwerden.“ … „Es kommt dabei zu Statten, daß so Viele mit so vielerlei an mich angewiesen sind. Denn das damit verbundene stete an mich Andrängen neutralisirt die innere Beunruhigung, läßt die Reflexion nicht allzu lange Stand halten und treibt vorwärts – sei es willig oder unwillig.“ … „Ich bedauere jetzt mehr denn je die einseitige Richtung der modernen Bildung, durch welche dem Gemüthe das eigentliche Schatzkästlein [655] geplündert und erbarmenswerthe Leere dafür gelassen wurde. Was gäbe es denn Aermeres und Mitleiderregenderes als ein glaubensloses Gemüth!“ – In einem anderen Schreiben heißt es: … „Sie sind so gütig, mich für beneidenswerth zu halten wegen meiner materiellen Sicherheit. Ich wollte, Sie hätten in Wahrheit Ursache hiezu. – Doch meine 20 dienstthuenden Claviere, meine an viele Hunderte von Nummern zählende Bibliothek von Büchern und Musikalien – sämmtliche auf 5000 fl. versichert; einige als Nothnägel noch reservirte Salinenscheine, bilden in Summa gewiß noch keine beneidenswerthe, materielle Sicherheit.“ – Seinen Standpunkt zur Bewegung im Kunstgebiete kennzeichnet die einem ehemaligen Schüler gegebene Antwort: … „Wie ich merken kann, fürchten Sie ganz ungeheuerlich die sogenannten Zukunftsmusiker. – Ich glaube, es hilft nichts, sie müssen mitgenommen und auch studirt werden.“ – Eine Tagebuchnotiz vom 8. November besagt: „Durch Hrn. Jahn wurde mir aus Berlin berichtet, daß daselbst Herr Dr. Adolph Kullak meine Lehrmethode eingeführt habe“; eine weitere: „Herr Heinr. Gottwalt, bisher in Hohenelbe, errichtete ein Musikinstitut nach meiner Methode in Breslau.“ – Das Jahr 1858 machte sich besonders bemerkbar durch das directe Inverkehrkommen mit einer Reihe von musikalischen Berühmtheiten, so mit Jenny Lind, Rubinstein, Liszt – der P. ermuthigte, „die mit seiner Unterrichtsreform unternommene Riesenarbeit unverdrossen zu Schutz und Schirm einer neuen Kunstgeneration fortzusetzen und zu vollenden“. Der blinde Meister dedicirte aus diesem Anlasse Liszt sein für gemischten Chor componirtes „Vater Unser“, über das er selbst aussagte: „Ich wollte damit noch ein Scherflein zur Ehre Gottes, wie zur Erbauung der christlichen Gemeinde beitragen; wollte zugleich meinem Ideale von katholischer Kirchenmusik in Etwas näher kommen, mindestens mit Anstoß geben helfen zu der so überaus dringend gewordenen Umkehr aus dem jetzt herrschenden Wirrwarr zu einer dem katholischen Wesen entsprechenden Einfachheit.“ – Im Weiterlaufe des Jahres erhielt er noch Besuche von Ignaz Moscheles und Ludwig Spohr; auch der Königsberger Louis Köhler suchte Anknüpfung mit P., die zu einem äußerst regen, jahrelang fortgesetzten brieflichen Verkehr führte. Sehr beachtenswerth ist der diesem Verkehr entsprungene Aufsatz von L. Köhler in der Leipziger „Neuen Zeitschrift für Musik“ (1859, Nr. 15) „Ein still Wirkender“ überschrieben, in welchem u. A. zu lesen ist: … Es gibt einzelne verdienstvolle Künstler und Kunstpädagogen, deren Thätigkeit im practischen Kunstleben sehr einflußreich ist und ungemein gewürdigt wird, über die aber wenig oder gar nichts in die Oeffentlichkeit gelangt … Mir ist das Glück geworden, einen solchen bedeutenden Mann zu finden, dessen Name nur wie zufällig genannt wurde, und der sich gewiß zu bescheiden verbirgt. Ich bitte Herrn Josef Proksch in Prag um Vergebung, wenn ich ihn hier namhaft mache und es ihm vielleicht nicht besonders lieb ist. Es geschieht auf Grund seiner neuen Werke für den Clavierunterricht … Proksch hat auch Schüler gezogen, wie Wilhelmine Clauß etc., und somit lebendige Zeugnisse seiner Lehrmethode geliefert, die schwerlich gediegener und vielseitiger gedacht werden kann.“ – Die Prokschschule, seit langem schon Haltestation für Prag berührende musikalische Würdenträger, behielt diese Anziehung auch in nächster Zeit. Verzeichnet findet sich – 1859 – der Besuch des Breslauer Domcapellmeistets Mor. Brosig, von Hans v. Bülow, Clara Schumann und der Londoner Pianistin Oxfort. – Ueberrascht wurde P. noch im selben Jahre durch das Ansuchen seitens der Direction des Dresdner Conservatoriums um „freundliche Zumittelung“ seines Schulwerkes, „indem dessen Einführung daselbst in Absicht genommen sei“. – Das Folgejahr brachte anläßlich der Aufführung des „Vater Unser“ in Reichenberg von dorther den Auftrag für eine Passions-Cantate, dem er bereitwilligst nachkam durch eine äußerst gediegene [656] Composition, die auch in Brauch blieb. – Auf weiteres Verlangen componirte er für die Vaterstadt ein prächtiges Offertorium für Vocalmusik in C-dur. – Tief eingreifende Störung der bislang allen Anstürmen gegenüber behaupteten Seelenruhe verursachte 1861 das Ableben seiner treuen Lebensgefährtin. Von da ab in sich gekehrt, nur selten noch in der an ihm gewohnten heiteren Stimmung, wehrte er auch Alles ab, was seinem Lehramte Abbruch thun konnte, vereinigte dafür hastend alle Kräfte für die Vollendung des großen Schulwerkes durch eine sechste Abtheilung, die „Technik des höheren Clavierspiels“. In solcher Stimmung schrieb er am letzten Jahrestage auch an Bruder Anton: … „Bin zwar nicht mehr, der ich war: bleibe aber doch, der ich bin, der auf von Gott zugestandener Frist unermüdliche Schulmeister.“ – Die Jahresprüfungen, ununterbrochen bis ins letzte Lebensjahr fortgesetzt, waren stets zugleich eine Art Musikercongreß, zu welchem die Fachmänner Prags, der Provinzstädte, vielfach des Auslandes sich einfanden. So gedenkt das „Diarium“ von 1862 wieder der Anwesenheit einer Anzahl für die Methode interessirter Musiker aus Dresden und Leipzig, genannt sind indeß nur Musikinstitutsdirector Zschocher und Gesangvereinsdirector C. Riedel aus Leipzig. Ihr Besuch reflectirte auch in einem äußerst anerkennenden Berichte über die Prüfungsresultate in der „Neuen Leipziger Musikzeitung.“ – Verzeichnet ist ferner ein Ansuchen des Virtuosen Mortier de Fontaine um Beirath für Errichtung einer Clavierschule nach der Prokschmethode in München. – Eine längere Aufzeichnung gilt dem Verkehr mit dem Musikgelehrten Dr. Aug. Ambros, der P. seine eben zur Herausgabe vorbereitete „Geschichte der Musik“, behufs der Beurtheilung, in abendlichen Zusammenkünften vorlas. Das mit angemerkte Urtheil ist ein für den Autor sehr günstiges: … „So weit ich die musikalischen Geschichtswerke kenne, wird das Werk von Dr. Ambros unstreitig das gründlichste und umfassendste sein, überdies nach vielen Richtungen ganz Neues bringen.“

Gewissermaßen am Vorabende des Scheidejahres – 1863 – kam P. noch in Berührung mit Rich. Wagner, der am 8. Febr. ein großes, stark besuchtes Concert gab. Von nachhaltiger Bedeutung sind die darüber dictirten Notizen: … „Wagner will Vieles, nur wahrscheinlich zu viel auf einmal: er will die alte und die neue Zeit ins Musikgehäuse zum Frieden zusammenzwängen; will den Rationalismus und die Romantik unter einen Hut gebracht wissen: Ist dabei aber gleicherweise verlegen über das Wie der Durchführung, als er befangen ist vom Geiste der eigenen Tradition mit den nach seiner Verbannung von der Capellmeisterei adoptirten Reformbestrebungen. Ich bezweifle darum auch das Erreichen seiner Absicht und glaube, es müsse einer nach ihm kommen, der frei von dieser Zwiespältigkeit erst fertig macht, was Wagner anstrebte“ …

Geradezu ergreifend wirkt es, im Ueberblicke des biographischen Materials von 1864, bei ganz geringer Ausnahme, dem alten ungetrübten Humor, der von jeher mit seiner Natur verbundenen Rührigkeit wieder zu begegnen. Launig ist der „unendlichen Neujahrsgratulationen“ gedacht; noch launiger des Gratulanten- und Weinflaschenaufmarsches am Namenstage, den er damit apostrophirt: „Ists doch, als müßt ich Alles, was anders nicht einwill, im Wege des Sorgenbrechers hinunterbringen!“ … Gleich fröhlich ins Tagebuch eingetragen, erscheinen die Notizen über eine lebhafte Correspondenz „mit der geistreichen Baronesse von Fröhnau, Vorsteherin des adeligen Fräuleininstituts in Zangberg (Baiern) wegen Einführung seiner Methode in diesem Institute, wie über den Verkehr mit dem Breslauer Musikinstitutsdirector Feltsch in gleicher Angelegenheit; ferner noch die Begegnung mit dem „nordischen Trillerkönig“ Rud. Willmers, den er scherzend anging, des Weiteren die für seine Compositionen zu wählenden Volksweisen nicht allzu gewaltsam in den „Virtuosenfrack“ zu zwängen. Geplant [657] wurde eine nächstes Jahr vorzunehmende Aenderung der Jahresprüfungsform, damit, unter Ausschluß alles Nebensächlichen, nur der wahre Stand der Schüler erwiesen werde. – So in fortgesetzter Regsamkeit wäre bald, wie er dem Bruder berichtete, der „siebenzigste Geburtstag“ unbemerkt vorübergegangen, wenn nicht das feierliche Herankommen der Kinder und Lehrer daran erinnert hätte. – In den Ferien, diesmal daheim verbracht, wurde fast ausschließlich das zeither verschobene Ordnen der Bibliothek und Manuscripte vorgenommen; das neue Schuljahr hierauf bester Zuversicht angetreten, denn wie eine Octobernotiz besagt: „war die Schule schon wieder bis zum Aeußersten gefüllt; zu den Schülern der früheren Curse hatten sich für diesen Curs mehr angemeldet, als untergebracht werden konnten“, der Stand derselben bezifferte sich auf 101 (10 mehr wie im Vorjahre). – Das übliche Veni sancte am Schuleröffnungstage, feierlicher als je, durch Aufführung einer Messe von Brosig, mit eingelegtem Graduale und Offertorio von P., Alles, Alles das ließ nicht im Entferntesten ahnen die in der Morgendämmerung des 20. December flugs die Stadt durchlaufende Kunde vom Ableben des nach seinem unermeßlichen Wollen und Wirken wahrhaft großen Mannes! – Heimgekehrt aus der Aufführung von Mozart’s Don Juan, seinen beiden Kindern die Schönheiten der Partitur des Meisterwerkes mit Beihülfe des Clavieres erläuternd, war P. am Wege zum Lehnstuhl plötzlich wankend geworden und lautlos zusammengesunken. – Alle Mühe der herbeigerufenen Aerzte blieb erfolglos, und konnte auch der Priester nur durch die „letzte Oelung“ seines Amtes walten. Der Pulsschlag hielt gegen 2 Uhr morgens inne.

Das Leichenbegängniß mit Tausenden Leidtragender gab beredtes Zeugniß für die wol erkannte Bedeutung des in Proksch vereinten lauteren Menschen und echten Künstlers. Sämmtliche Prager Tagblätter, wie auch die meisten Musikzeitungen Oesterreichs und Deutschlands widmeten dem Dahingeschiedenen ehrenden Nachruf. Den eingehendsten und kernigsten brachte die „Bohemia“ aus der Feder von Dr. Ambros, mit Zugrundelegung des über P. in der Weitzmann’schen Geschichte des Clavierspiels enthaltenen Ausspruchs: „Körperlich erblindet, aber geistig hellsehend.“ – Sogleich nach der Bestattung vereinigten sich Freunde und Schüler behufs Errichtung eines würdigen Grabdenkmals am Prag-Wolschaner Friedhofe, dessen Ausführung der Architekt Prof. Bernhard Grueber, Maler Rud. Müller und Bildhauer Eman. Ritter v. Max übernahmen. Letzterer führte das von Müller entworfene, die Capellennische zierende Relief aus: Proksch im Hausrocke dictirend am Clavier, seitwärts von ihm ein Engel, der mittels des Palmzweiges die Tasten streift und das „Tacet“ andeutet. Dem genannten Maler wurde auch 1852 die Porträtirung des blinden Meisters aufgetragen. Das so entstandene lebensgroße, überaus gelungene Bildniß (Kniestück), dem Concertsaale der Anstalt einverleibt, später von Moritz Golde lithographirt und mit eigenhändigem Namenszuge versehen, erschien im Verlage von W. Heß in Prag. Außer diesem existirt noch ein photographisches Bild aus dem Jahre 1862, das im Lichtdruck dem bereits erwähnten Buche von R. Müller beigegeben ist.

Die Persönlichkeit Proksch’s war eine sehr interessante. Den kräftig gebauten Körper beherrschte ein edelgeformtes, das Gepräge hoher Geistesbildung tragendes Haupt; die breitgewölbte Stirne umrahmten leichte, gebleichte Haarwellen, die scheinbar zusammenflossen mit der Bebartung der Wangen; das Kinn und der feingeschnittene Mund blieben bartlos gehalten. Die Augen – das linke davon geschlossen, das rechte mit einem Sehschimmer versehen – überschatteten ungewöhnlich lange Brauen. – Obschon er stets eine Begleitung zur Seite hatte, bedurfte er doch keines eigentlichen Führens, bloß der leisen Fühlung an den Mitgehenden, so daß nicht leicht Jemand zur Wahrnehmung kam, der seinen Krückenstock gewandt handhabende, rüstig Einherschreitende sei blind.

[658] Die Anstalt blieb in Bestand. Sohn Theodor und Tochter Marie theilten sich in die Leitung. Seit dem Ableben des ersteren ist letztere ausschließliche Leiterin, die auch versteht, als Lehrerin – im Geiste ihres Vaters – erfolgreich fortzuwirken.

Das Verzeichniß der Compositionen, deren Beginn in das Jahr 1815 datirt, mit dem Liede „Gefühl eines Blinden am Abende“ anhebt und bis zur Errichtung der Reichenberger Anstalt – 1825 – schon 70 Nrn. erreichte, werde hier nur auszugsweise angeschlossen. In späteren Jahren angelegt, hebt auch das Verzeichniß selbst die zu größerer Würdigung gelangten Stücke hervor, unter diesen eine Anzahl noch der ersten Periode angehörige Märsche und Walzer für die „Schützenbrüder“-Gesellschaft. Diesen folgte eine „Motette“, mehrere Lieder, ein romantisches Singspiel „Der Hungerthurm“, „Elementarstücke für das Clavier“, ein Offertorium und Agnus, ein „Concertino“, drei Polonaisen fürs Orchester in A-, H- und C-dur, – jene in A erhielt sich am längsten. Anreihend entstanden: Quadrille in Es mit Paukenschlag, vier Menuetten, großer Walzer in Es, „ein contrapunctischer Scherz“, zwei Grablieder, Pastorale in A für Sopran, Tenor, Baß, mit Instrumentalbegleitung; weiter ein 4stimmiges Pastorale, eine Hymne mit eingestreuten Pastoralsätzen, eine Anzahl von Märschen und Tanzstudien, Musik zum Trauerspiele „Die Flibustier“ von Auffenberg, Musik zu einem kleinen Ballet, „Deutsche Hymne“ für 4 Singstimmen und Blasinstrumentbegleitung, Adagio concertant in Es für Piano und Orchester, Cantate für oblig. Sopranst. mit Chor zur Kaiserfeier, Pastoralmesse für Singst. und kleines Orchester, Hymne für Gesangchor und Blasinstrumente in C-dur für die Frohnleichnamsfeier, Große Messe in D mit voller Instrumentation, 1824 aufgeführt in der Malteserkirche zu Prag, Bearbeitung und Clavierauszug aus Mozart’s Requiem. – So weit bis 1825. – Im Folgejahre componirte P. über Auftrag anläßlich der Kaiserbildaufstellung im Rathhause, eine „Große Cantate“, die ihm das Ehrenbürgerrecht von Reichenberg eintrug. – Nächst einer Reihe von Arbeiten für seine Anstalt: ein Concertino für 3 Pianos in D-moll, instructive Variationen über die österreichische und englische Volkshymne, fallen in die Reichenberger Zeit noch: ein Capriccio für Streichquartett, ein Pastoral-Offertorio in D für Singstimme und Orchester, mehrere Lieder, mehrere Stücke für die Schützencapelle und ein Concert für Piano und Harfe in F. – Aus Prag, vom Jahre 1831 an, datiren: Meßlied in F-dur für die Carmelitinenkirche, Cantate für Männerquartett, Sonate für Piano und Violine, Arrangement der Titus-Ouverture für 8 Pianos, neun Offertorien für den Sonntagskreis von Septuagesimä bis Palmarum f. 4 Singstimmen mit Saiten- und Orchesterbegleitung, Gloria zur Messe am Gründonnerstag, instructives Rondoletto à la Polacca in G, instructive Scalen-Sonate in F, Festgesang für 4 Männerstimmen für Reichenberg; folgen von 1837–1840 verschiedene kirchliche wie für die Anstalt bestimmte Compositionen, 1841 wurde die neue Clavierschule begonnen, die 1. und 2. Abtheilung vollendet und im Druck ausgegeben. Aus 1843 datirt: Ein Männerquartett (Rundgesang) in D für den Gesangverein in Groß Schönau, ein kirchlicher Viergesang und ein Meßlied mit 6stimmiger Harmonie. Von 1844–48 beschäftigten P. vorwiegend Compositionen für seine Clavierschule, nebst Arrangements von zumeist classischen Orchesterwerken für mehrere Claviere; 1849 entstand ein großes Oratorium in Es-dur für 4 Singstimmen, Orgel und großes Orchester für das Kirchenfest in Warnsdorf; ebendahin componirte er 3 Kirchenlieder für 4stimmigen Chor, und ein Offertorium, Halleluja und Graduale; für Reichenberg einen Trauergesang für 4 Stimmen in D-dur. (Angemerkt ist im Verzeichnisse, daß das Kirchenmusikarchiv zu Schönlinde 19 verschiedene rituale Compositionen von P. enthalte.) Notirt ist noch ein 1850 für Reichenberg componirtes Lied für 4 Männerstimmen in Es-dur und die schon [659] erwähnte Mazurka bravoura. Die Zwischenzeit, bis in die sechziger Jahre, galt der Durcharbeitung, Vollendung und Herausgabe des großen Schulwerkes. Die meisten in demselben enthaltenen Uebungen und Tonstücke – sogenannte Hauptstücke – sind von P., bloß einige als „Muster“ beigehende Nummern sind fremden Ursprungs und auch namhaft gemacht. – Die begonnene riesige, genial gelöste Reformarbeit läßt schon nach dem aus dem Inhalte des Schulwerkes hervorleuchtenden Plane eine beiläufige Beurtheilung zu. Diesen Inhalt bilden: „Die Fingercurse. 1. Abthlg.: Uebungsstoff für die natürliche Handstellung im Raume von 5 Tönen für die diatonische Grundlage derselben; 2. Abthlg.: Uebungsstoff für die ausgedehnte Lage der Hand im Raume der Texte, Decime und Octave in diatonischer, chromatischer und accordischer Grundlage der Melodie; 3. Abthlg.: Uebungsstoff für das Tonleiterspiel nebst den nothwendigen Vorbereitungen, das Auswechseln, Ueber- und Untersetzen der Finger bezweckend, durch alle Positionen der Tastatur; 4. Abthlg.: Doppeltöne (Doppelgriffe), Doppel-Scalen, Accorde und die melodische Zerlegung daraus entspringender Motive und Passagen in allen gebräuchlichen Intervallen; 5. Abtheilung: Fortsetzung der Figuration als Uebungsstoff zur Beförderung der Geläufigkeit und eines gleichmäßigen Tonanschlages bei melodischen Passagen, um durch das Zusammenziehen und Ausdehnen, Unter- und Uebersetzen der Finger die nöthige Leichtigkeit und Geschmeidigkeit zu erlangen; 6. Abthlg.: Vermischter Uebungsstoff: a) für Spannung und Aussdehnung der Finger und Hände, b) für Sprünge, c) für das Tremolo, d) für die melodischen Verzierungen der gebräuchlichsten Spielmanieren, e) für das Auswechseln, Ineinandergreifen und Ueberschlagen der Hände, f) für besondere Licenzen der Fingerordnung und g) für die polyphone Spielart. Den Elementarcurs bilden weitere 6 Abtheilungen: die 1.: Kurze leichtfaßliche Uebungsstücke für die natürliche Handstellung im Umfange von 5 Tönen als rhythmisch-melodische Vorbildung größerer Tonstücke, mit einem Supplement, enthaltend eine Reihe progressiver Vorübungen und melodischer Tonsätze, für die ausgedehnte Lage der Hand, ohne Untersatz des Daumens, als unentbehrliche Vorbereitung zur 2. Abtheilung des Elcmentarcurses; die 2.: Kurze, leichtfaßliche Uebungsstücke für die ausgedehnte Lage der Hände in Sexten, Septimen und Octaven, ohne Untersatz des Daumens, als rhythmisch-melodische Vorbereitung größerer Tonstücke; die 3.: Enthaltend eine Reihe progressiver Lectionen im Auswechseln, Vertauschen, Ueber- und Untersetzen der Finger bei melodischen Motiven, Gängen, Passagen, Tonleitern u. s. w. mit Bezugnahme auf Fortbildung der rhythmisch-melodischen Elemente; die 4.: Enthaltend eine Reihe progressiver Lectionen als Uebungsstoff in Doppelgriffen, Doppel-Scalen, namentlich im Terzen–, Sexten- und Octaven-Spiel mit Bezugnahme auf Fortbildung der rhythmisch-dynamischen Elemente des Vortrages; die 5: Enthaltend eine Reihe progressiver Lectionen, sowohl zur Bereicherung und Erweiterung der technischen Fertigkeit melodischer Passagen, Zerlegungen und Brechungen der Accorde, als auch zur Fortbildung der rhythmisch-dynamischen Elemente; die 6: Enthaltend die höhere Claviertechnik in künstlicher Darstellung concertanter Charakterstücke, Etuden, Studien etc., componirt auf Grundlage des Uebungsstoffes der 6. Abthlg. des Fingerbildungscurses von einigen seiner Zöglinge.“ Als theoretischen Theil zur Clavierschule ließ P. eine „Allgemeine Musiklehre“ in 2 Abtheilungen, dargestellt nach pädagogischen Grundsätzen in Fragen und Antworten, erscheinen. (Carl Bellmann’s Verlag, Prag 1857.) – Das große Schulwerk erschien im Selbstverlage, später in Commission von Jacob Fischer. – Als Hilfslitteratur folgte „Sammlung zweckmäßiger Studien und Passagenübungen“; „Die Kunst des Ensembles im Pianofortespiel“, eine Reihe instructiver Tonstücke für 3, 4 und mehrere Pianos zu 2 und 4 Händen; „Große Tonleiterpassagen durch alle Tonarten [660] des Parallelkreises fortgesetzt“. – Von späteren Compositionen sind bloß noch angemerkt: 1858: Große Orgelphantasie über den Choral „Segne Jesu Deine Heerde“ in Des-dur; 1859: Variationen über das Volkslied „Freut Euch des Lebens“ in G-dur, vierhändig für 3 Pianos; 1860: Rondino in C-dur; Variationen über Schubert’s „Forelle“ zu 4 Händen; Gründonnerstag-Cantate und „Vater Unser“ für 4 Männerstimmen für Reichenberg; 1861: für eben dort: Offertorium in Es-dur für 4 Chorstimmen mit Tenorsolo und Orgelbegleitung; 1863: Zwei Kirchenlieder für die Fasten- und Osterzeit für Warnsdorf; „Lied der Freude“, Festgesang; „Trost“ und „Cäcilienlied“, sämmtlich für 4 Männerstimmen für Reichenberg. Damit schließt das Compositionsverzeichniß ab. – Einen gesonderten und sehr werthvollen Theil seines Nachlasses bilden Beurtheilungen über musikalische Vorkommnisse, Concert- und Opernaufführungen, Charakteristiken berühmter Musiker etc.

Aus der überraschend großen Anzahl von Schülern übertrat ein sehr bedeutender Theil in das Lehramt, wirkten vorausgehend 21 männliche, 5 weibliche in der Anstalt, folgten dann Berufungen nach Städten der österreichischen Kronländer, nach Deutschland, Frankreich, England, Polen, Rußland und Amerika. Drei davon: Franz Frömmter, Joseph Jiranek, Franz Neumann, errichteten Zweiganstalten in Prag; Eduard Köhler und Jul. Rösler in Wien; Jos. Buva in Graz; Baron Milota in Mailand; W. Irgang in Görlitz; Joseph Pelz in Leipzig; Alois Saga in Linz; Steiner in Philadelphia; Frl. Anna Kunze und Julie Wollmann in Reichenberg. Aus der Zahl der übrigen Schüler betraten die Virtuosenlaufbahn: Franz Bendel, Eduard Horn, Wilh. Kuhe, Eduard Thomas, Charles Wehle; die Damen Wilhelmine Clauß, Auguste Kolar, Marie Proksch, Pauline Rischawy, Amalie Sachers. Ein anderer Theil gelangte zu einflußreichen Stellungen: Pius Richter wurde Organist der kaiserlichen Hofcapelle zu Wien, später auch Musikmeister der Frau Erzherzogin Gisela; Anton Mauermann fungirte als tüchtiger Militärcapellmeister; Friedr. Smetana als Theatercapellmeister in Gothenburg, später in Prag; Franz Bendel, Eduard Horn, Eduard Jantsch, Franz Kavan, Pius Richter erwarben sich Ruf als Componisten; weitere Prokschschüler wirkten vermöge ihrer vorragenden gesellschaftlichen Stellung, und zwar durch Pflege der Kammermusik, im Geiste ihres Meisters fort; so Jaroslaw Czermak, Prof. Heinr. Hlasiwetz, Dr. Ottokar Nickerl, Fabrikant Wilhelm Ringhofer, Dr. Cornel Schäffner; die Frauen Dr. Görner, Dr. Schwarz, Gräfin Anna Westphalen etc. – Im Ganzen finden sich 56 Schüler und 25 Schülerinnen verzeichnet, die zu bevorzugten Stellungen im Musikgebiete gelangten. Nach Amerika kamen außer Steiner noch Jacob Landesmann, Jacob Neustadtel, Adolf Willhartitz; nach Petersburg: Jos. Kunz; nach Kiew: Siegm. Kuhe; nach Paris: nebst Fräulein Clauß, Charles Wehle; nach London: Wilh. Kuhe. –

Die Proksch-Litteratur ist eine sehr bedeutende, sie durchzieht von 1837 bis 1864 alle Prager Blätter: „Bohemia“, „Prager Zeitung“, „Tagesbote“, „Constitutionelles Blatt“, „Ost und West“, „Salon“; ebenso die meisten Wiener, wie: „Theaterzeitung“, „Humorist“, „Wiener Ztg.“; Wiener National-Encyclopädie von Gräffer und Czikann etc. – Biograph. Lexikon v. Wurzbach. – Neues Univers.-Lexik. d. Tonk. von Schladebach-Bernsdorf. – Dr. G. Schilling, Das musikal. Europa. – Gaßner, Univers.-Lexikon der Tonkunst. – Julius Schuberth, Musikalisches Convers.-Lexikon. – Neue Leipz. Musikzeitung. – Leipz. Signale und Schlesische Zeitung vom Jahre 1860. – Das Ausführlichste über den blinden Meister brachte das 501 Seiten starke Buch „Joseph Proksch. Biographisches Denkmal aus dessen Nachlaßpapieren, errichtet von Rudolf Müller. Mit Bildniß und Facsimile des Meisters“. (Prag, im Commissionsverlage der J. G. Calve’schen k. k. Hof- und Universitätsbuchhandl.)

[661] Organist Anton Proksch, der in der voranstehenden Biographie schon mehrfach erwähnte Bruder – geb. am 4. Octob. 1804, † am 17. Mai 1866 – erhielt gleichfalls vom Vater den ersten Musikunterricht, wurde aber von 1818 an ganz eigentlicher Schüler von Joseph P., der ihn bester Absicht zur Mitverwendung in seiner Reichenberger Schule heranbildete, ihm auch später, anläßlich seiner Uebersiedelung nach Prag, diese Schule und den ins Leben gerufenen Gesangverein zur Weiterführung übergab. Nebenbei erhielt Anton P. nach dem Ableben des den Organistendienst versehenden Volksschullehrers Neuhäuser die Stelle des Stadtorganisten. Als solcher erst recht an dem seiner Neigung entsprechenden Platze, vertiefte er sich mit aller Hingebung in das Studium der Orgellitteratur, unternahm dazu Reisen nach Deutschland, um dort die Meister seines Instrumentes, wie Johann Gottlob Schmieder, A. Fr. Hesse u. A., zu hören, sich unter ihrer Leitung in das Spielen mustergiltiger Werke einzuüben und vertraut zu werden mit der Behandlung großer, vollkommener Orgeln, wie sie damals meist nur in den lutherischen Kirchen der Hauptstädte Norddeutschlands zu finden waren. Anton P. brachte es fürder auch zu wege, daß die Orgel der Reichenberger Decanalkirche überbaut und durch die zur Vervollständigung fehlenden Register ergänzt wurde. Dann ähnlich dem Bruder, jahrelang stillwirkend, nur von der Kleinzahl Kunstverständiger gewürdigt, gewann er 1843 unerwartete Geltung. Nach Prag gereist, um die dortigen größeren Orgeln und Organisten näher kennen zu lernen, kam es nämlich zu einem Orgel-Wettspielen, aus dem Anton P. als Sieger hervorging. Es blieb dies kein Geheimniß, stellte sich vielmehr noch durch das nachfolgende Urtheil ausländischer Fachautoritäten fest, daß er für seine Zeit der erste und beste Organist Böhmens sei. – Die Stamm-Musikschule behielt ihn gleichzeitig als mit Erfolg wirkenden Leiter. – Eine Anzahl von Orgel-Präludien und Postludien, Gesangsharmonisirungen, sowie Clavierarrangements erweisen auch seine Begabung für gediegenes musikalisches Schaffen.

Ferdinand Proksch, Claviervirtuose – geb. 1810, † am 12. Sept. 1866 – nahm gleich den Vorangehenden die Elemente der Musik im Vaterhause auf, vervollkommnete sich dann unter Leitung von Bruder Joseph, sodaß er bis zum Eintritt ins Leitmeritzer Gymnasium im Stande war, im Wege der Selbstübung fortzuschreiten. Entschieden für das Studium der Medicin, bezog er 1830 die Universität zu Prag und wohnte dort beim Bruder. Das Zusammenleben mit diesem förderte von selbst die musikalische Weiterbildung, und zwar bis zu einem Grade, der sein Abschwenken von der Medicin besorgen ließ. Aus diesem Grunde zur Vollendung des Studiums nach Wien gedrängt, erwies sich die Maßregel doch als zu spät getroffen. Als virtuoser Clavierspieler in die musikalischen Kreise der Residenz gezogen, mit Hummel und Streicher, den intimsten Freunden des verstorbenen Beethoven in Verkehr getreten, war damit auch über seine Zukunft entschieden. Bald im Rufe eines vorzüglichen Interpreten Beethoven’s, gesucht für das Vortragen seiner Werke, wurde aus dem Jünger Aesculap’s ein Concertmeister, den als solchen dann Bruder Joseph 1849 für seine Anstalt gewann. Die damit verbundene edle Absicht blieb indes unerreicht. Schon zu sehr ins Fürsichsein eingelebt, erschien ihm der Verband mit dem brüderlichen Lehrinstitute allzu beengend. Es kam darum 1859 zur Trennung, und trat Ferdinand P. in die Stellung eines Privatlehrers, in welcher er wol erfolgreich wirkte, aber nicht zur Geltung kam, wie vordem in Wien. Darüber zerfallen mit sich und der Welt, umnachtete sich sein Geist, anhaltend bis zu seiner Erlösung im Jahre 1866.