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Artikel „Hauptmann, Moritz“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 81–83, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hauptmann,_Moritz&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 12:40 Uhr UTC)
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Band 11 (1880), S. 81–83 (Quelle).
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Hauptmann: Moritz H., ein guter Violinspieler, achtbarer Componist und berühmter Musiktheoretiker, der uns jedoch noch höher als Mensch steht. Seine Briefe, von seinen Freunden in 3 Bänden herausgegeben, athmen den reinsten, edelsten Charakter, ein kindliches Gemüth und ein scharfes schlagfertiges Urtheil. H. war am 13. October 1792 zu Dresden geboren. Sein Vater war Oberlandbaumeister und ließ sich die Pflege seines Sohnes in jeder Hinsicht angelegen sein. Nach einer gründlichen Schulbildung, in der ihn ganz besonders die Mathematik anzog, ging er 1811 nach Gotha, um bei Spohr sich zu einem Violinspieler auszubilden. Nach einjährigem Cursus wurde er 1812 Violinist in der Hofcapelle in Dresden und 1813 in der Theatercapelle in Wien. Hier traf er abermals mit Spohr zusammen, welcher Capellmeister war. Von hier kehrte er zurück nach Dresden, von wo aus er 1815 als Musiklehrer nach Rußland in das Haus des Fürsten Repnin ging und bis 1820 Rußland in allen Gegenden kennen lernte, wie Petersburg, Moskau, Pultawa, Odessa u. a. Hier war es auch, wo er seine Studien wieder aufnahm und besonders das der Mathematik, auch beschäftigte er sich fleißig mit Compositionen. 1820 kehrte er nach Dresden zurück, lebte hier zwei Jahre als Privatmann und wurde 1822 nach Kassel als Violinspieler berufen, auf Wunsch seines ihm bereits befreundeten [82] früheren Lehrers Spohr, der in demselben Jahre die Hofcapellmeisterstelle daselbst angenommen hatte. Hier entwickelte H. eine mannichfaltige Thätigkeit: als Componist und Theoretiker. Eine Oper, „Mathilde“, wurde mehrfach aufgeführt, deutsche Lieder und Gesänge, größere Kirchengesänge, wie ein Offertorium, ein „Salve regina“, „Salvum fac regem“, eine Vocalmesse und zahlreiche Kammermusik, bestehend in Clavierstücken und Sonaten, Duos für Violine und Clavier, Duos für 2 Violinen, Quartette für Streichinstrumente, ein Concert für Pianoforte und kleines Orchester erschienen im Druck. Unter seinen zahlreichen Schülern, die er im Contrapunkt unterrichtete, erwähnen wir den bekannten Liedercomponisten Curschmann. Ueber seine Thätigkeit als Componisten schreibt C. Koßmaly im J. 1841 (Neue Zeitschrift f. Mus., Lpz.): „In M. H. lernten wir eine sinnige, echt deutsche tiefe Künstlernatur kennen, die bei allseitiger vollendetster Ausbildung, bei Durchdringung und Aneignung der fremdartigsten Elemente und Stoffe sich ihr Ursprüngliches, die individuelles Selbständigkeit ihres Wesens ungetrübt und unverkümmert zu erhalten weiß“. Als H. am 12. September 1842 das Cantorat an der Thomasschule in Leipzig antrat, ging durch Leipzig, ja durch ganz Deutschland ein freudiger Ruf der Zustimmung, einem so geschätzten und gelehrten Manne eine seiner würdige öffentliche Stellung einnehmen zu sehen. Selbst die stets sich in ein vornehm kaltes Gewand hüllende Allgemeine musikalische Zeitung (Leipzig 1842, p. 803) schreibt: „Die gewissenhafte Umsicht unserer städtischen Behörde verdient alle Anerkennung, einen so rühmenswerthen Künstler gewählt zu haben; wie er, dürften wol nur sehr Wenige geeignet sein, den hohen Anforderungen zu entsprechen, welche man gewohnt ist an die Cantoren der Thomasschule zu stellen.“ Am 2. October begann er seine öffentliche Thätigkeit mit der Aufführung seiner Messe in G-moll in der Thomaskirche. „Ein so durch und durch treffliches Werk“, heißt es in obiger Zeitschrift weiter, „wie diese Missa, reich an Erfindung, meisterhaft und geschmackvoll in der Arbeit, schreibt nur ein Künstler ersten Ranges.“ Ein Brief Hauptmann’s an Spohr, den er gleich nach der Aufführung dieser Messe schrieb, gibt das treffendste Bild dieses einzigen Mannes. „Wenn ich nur dem Herzen hätte folgen wollen“, schreibt H., „würden Sie schon nach den ersten Tagen unsers Hierseins (er war seit 1841 verheirathet) einen Brief von mir erhalten haben … Ich bin nach manchen sehr ceremoniösen Magistrats- und Schulaufnahmeacten seit fast 14 Tagen in den Dienst eingetreten. Ich hatte auf den Wunsch mehrerer Freunde meine Messe mit Orchester eingeübt, und um mit dieser zu beginnen, am vorigen Sonntag den bisherigen Interimsdirector Pohlenz noch ein Mal zu dirigiren ersucht. Am heutigen Sonntag als Anfang der Meßwoche ist es gebräuchlich, das Kyrie und Gloria der Messe zu geben; nach der ersten Orchesterprobe, die ich von meiner Messe gemacht hatte, wünschten die Musiker, daß sie das erste Mal und zu meinem Amtsantritt ganz gegeben würde, welches mir auf meine Anfrage der Superintendent auch gerne zugestand; so gab ich erst drei Sätze und nach der Epistel die übrigen. Es ist im Chor und Orchester eine sehr erfreuliche Willigkeit, ein Interesse für die Sache, das dem Dirigenten so erleichternd entgegenkommt, daß auch ein ungeübterer und wenig geschickter, als ich es bin, keine schwere Aufgabe hat, etwas so wenig schwieriges, als diese Messe ist, zur geebneten und von wirklichen Fehlern freien Ausführung zu bringen. Man ist mit der heutigen ganz zufrieden gewesen.“ Hauptmann’s Thätigkeit wurde in Leipzig nach allen Seiten hin in Anspruch genommen. Als 1843 das Conservatorium für Musik unter Mendelssohn’s Leitung in Leipzig gegründet wurde, trat er als Lehrer des Contrapunkts ein. Als 1850 sich die Bachgesellschaft bildete, behufs Herausgabe von Seb. Bach’s Werken, stand H. an der Spitze derselben. Was ihn besonders in den Kreisen der gelehrten Welt [83] bekannt gemacht hat, ist das Resultat seiner stets mit Vorliebe betriebenen mathematischen Studien, die in dem Werke „Die Natur der Harmonik und der Metrik. Zur Theorie der Musik“ (1857, 2. Aufl. 1873) zum Ausdrucke gekommen ist. Dies Werk war epochemachend, und so wenig es von den Musikern beachtet worden ist, so tief hat es in die musikalische Wissenschaft eingeschlagen und eine Reihe bedeutender Werke hervorgerufen, unter denen das von Helmholtz „Die Lehre von den Tonempfindungen“ oben an steht. Im J. 1862 wurde sein 70. Geburtstag, der ihn noch in voller Thätigkeit fand, in feierlicher öffentlicher Weise begangen (siehe Niederrheinische Musik-Ztg., 1862, p. 345) und er erhielt von allen Seiten Beweise der Liebe und der Hochachtung. Die sarkastische Seite seines Wesens tritt bei einem an Franz Hauser gerichteten Briefe, worin er kurz über die Eindrücke der empfangenen Ehrenbeweise berichtet, in sehr scharfer Weise hervor und sein klarer heller Verstand läßt ihn deutlich auf den Grund des menschlichen Daseins blicken, aus dem ihm das wenig tröstliche Wort entgegentönt: Es ist Alles eitel Stückwerk. Der Vergleich mit Sokrates und Christus – über den er fast selbst erschrickt – hat viel Zutreffendes, doch sind leider nur Wenige dazu berufen. Noch in voller Thätigkeit, obgleich lange kränkelnd, überraschte ihn am 3. Januar 1868 der Tod. In wie hoher Achtung er in ganz Deutschland stand, konnte man erst jetzt recht ermessen; keinen Ort, keine Zeitung gab es, die nicht Antheil an der Trauer um diesen Mann nahm und ihr einen öffentlichen Ausdruck verlieh. Von seinen Compositionen haben sich die Lieder und ein Violin-Concert noch einige Jahre erhalten, doch dann verschwanden sie, nur seine gemischten Gesangsquartette bewahren sich eine dauernde Stätte in den zahlreichen Gesangsvereinen und werden stets durch ihre edle und vornehme Ausdrucksweise und ihre wohllautende Klangfarbe das deutsche Herz erfreuen und erbauen. Lange wird sein Name noch in den überaus zahlreichen Schülern, die er ausgebildet hat und unter denen manch klangreicher Name sich findet, weiterklingen, ein bleibendes Denkmal jedoch hat er sich in den Briefen an seine Freunde gesetzt. Zwei Bände Briefe an Franz Hauser, herausgegeben von Dr. A. Schöne, Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1871, und ein Band Briefe an Spohr u. A., herausgegeben von Ferdin. Hiller, ebendaselbst 1876.

Oscar Paul, M. Hauptmann. Eine Denkschrift. Leipz. 1862.