ADB:Schwencke, Christian Friedrich Gottlieb
Philipp Emanuel Bach gewann eine so große Theilnahme an dem zwölfjährigen Knaben, daß er ihn als Diskantisten [378] in seinen Kirchenchor aufnahm und in seinem Hause mit ihm die Werke seines Vaters (Sebastian Bach) studirte. S. gab sich diesem Studium mit eisernem Fleiße hin, so daß er sich jedes der Werke selbst abschrieb, eine Gewohnheit, die er zeit seines Lebens gepflegt hat. Auch als Componist soll er in demselben Jahre durch das Oratorium „David’s Sieg im Eichthale“, seine Begabung gezeigt haben. Als seine Stimme sich brach, erhielt er 1781 die Stelle eines Begleiters am Flügel bei der Kirchenmusik, betrieb dabei eifrig Theorie und Mathematik. Im J. 1782 sandte ihn der Vater zur weiteren Ausbildung nach Berlin und hier fand er an der Prinzessin Amalia, der strengen keuschen Priesterin der Kunst, vor der nur ein Seb. Bach Gnade fand, eine treue Beschützerin und an Kirnberger den Lehrer und Freund, der ihn sogar in sein Haus aufnahm. Nach einem Jahre wandte er sich nach Hannover und erregte dort als Clavier- wie Orgelvirtuose Aufsehen. Als aber 1783 die Stelle eines Organisten an der Nikolaikirche in Hamburg zu vergeben war, eilte er nach Hause, um sich der vorgeschriebenen Probe zu unterwerfen. Ihm wurde jedoch ein ganz unfähiger Mitbewerber, Lambo mit Namen, vorgezogen und S. äußert sich in einem noch vorhandenen Briefe dahin, daß der Examinator, der kein andrer als Ph. Emanuel Bach war, von Lambo bestochen sei, indem Bach ihm die Aufgaben vorher zur Einsicht vorgelegt haben müsse. Zur Erklärung dieser auffälligen Thatsache fügt er bei: „geizig genug war er dazu“. S. begab sich wieder auf Kunstreisen, bezog 1787 die Universität in Leipzig und ein Jahr darauf die in Halle, von wo aus er seine ersten Violinsonaten ankündigte. Bach war Ende 1788 gestorben. Die Hamburger Rathsherren hatten alle Lust an der Kirchenmusik, die ihren Säckel so leerte, verloren und langwierige Berathungen zwischen dem Kirchenrath und den Stadträthen zogen eine Neuwahl bis Ende 1789 hin. Jede der Behörden wollte sparen und doch dabei die Kirchenmusik nicht ganz eingehen lassen, wie es der Kirchenrath beabsichtigte. Endlich einigte man sich dahin, den jährlichen Beitrag von 3424 Mark auf 1700 zu ermäßigen und die am 1. October 1789 erfolgte Wahl eines Cantors und Musikdirectors fiel auf unsern S. Sein Gehalt wurde auf 600 Mark festgesetzt, nebst einem jährlichen Geschenk von 300 Mark. Die Wahl desselben rief bei allen einsichtigen Männern Hamburgs große Freude hervor, welcher der Hamburger Correspondent in Nr. 157 dieses Jahres Ausdruck gibt. Dem armen S. sollte die Stellung indessen nichts als Enttäuschungen und Aerger bereiten. Mit den so knapp bemessenen Mitteln war es unmöglich gute Kräfte anzustellen und so mußte er sich, ohne auch nur einen nennenswerthen Erfolg zu erreichen, mit den ungenügendsten Mitteln herumquälen. Das Stadtarchiv bewahrt zwei Schreiben von ihm, die auf das überzeugendste nachweisen, daß es in der Weise nicht mehr weiter gehen könne. Doch er fand nur taube Ohren, die ängstlich den Säckel bewahrten. Diese Verhältnisse entfremdeten ihn eine Zeit lang dermaßen der Kunst, daß er seine Zeit der Lösung mathematischer Fragen widmete und einen starken Quartband von Logarithmen ausarbeitete. Erst als Hamburg unter die französische Herrschaft kam, der Fremdenzufluß ein starker wurde, das französische Theater errichtet und an dem trefflichen Paris ein ausgezeichneter Musikdirector gewonnen wurde, nahm S. von neuem theil an den städtischen musikalischen Leistungen. Seine Berichte an die Allgem. musikal. Zeitung in Leipzig zeichnen sich durch Geist und kritische Schärfe aus. Auch mit dem Dichter Klopstock verkehrte er. Klopstock, obgleich wenig musikalisch gebildet, sah es doch gern, wenn seine Oden von den Musikern componirt wurden, und er gab sich viel Mühe dieselben zu überzeugen, daß sie den Rhythmus des Versmaßes nicht zerstören dürften, sondern ihn durch ihre Compositionen noch beleben müßten. Klopstock hat in dieser Hinsicht einen reinigenden und klärenden Einfluß auf die Gesangscompositionen ausgeübt, da [379] Gluck, Emanuel Bach und Reichardt begeisterte Anhänger seiner Muse waren und gern seinen Vorschriften folgten. Die unsinnige Behandlung des Textes, der bis dahin nur der Knecht war und sich jede Zerstückelung und Wiederholung gefallen lassen mußte, ohne jede Beachtung des Inhaltes, hörte durch Klopstock’s Bemühungen auf; der Text wurde als mit der Musik gleichberechtigt behandelt. Als Bach todt war, wandte sich Klopstock an S. und wußte ihn für seine Ideen zu begeistern. S., kraft seiner allgemeinen Bildung, gab sich der Aufgabe mit Hingebung hin und so entstand das „Vater unser“ zu vier Stimmen und Orchester, welches Breitkopf und Härtel im Anfange dieses Jahrhunderts im Clavierauszuge herausgaben (Kgl. Bibl. Berlin) und die Ode „Der Frohsinn“ (bis jetzt unbekannt). Von anderen Compositionen besitzen wir drei Sonaten für Clavier, sechs Fugen für Orgel, ein Oboeconcert (Bibl. Berlin im Autograph) u. a. Als Componist ist S. nicht bedeutend, die technische Ausbildung und das Wissen standen höher als das Können. Es fehlte ihm an Erfindung und Gestaltungstalent, daher haben sich auch seine Compositionen wenig verbreitet. Die Allg. musik. Ztg. in Leipzig schreibt 1818 (Sp. 716): S. versündigte sich auch neben Mozart an Händel’s Messias und that noch hinzu was Mozart vergessen hatte. Das Bestreben ältere werthvolle Werke unserer Zeit zugänglich zu machen, indem man den dünn gehaltenen Orchestersatz harmonisch reicher gestaltet, soll an und für sich nicht für verwerflich gelten, nur die Art der Bearbeitung geht meist über das erlaubte[WS 1] Maaß einer harmonischen Ausfüllung. Der sogenannte Bassus continuus oder Generalbaß, der in den älteren Werken stets eine große Rolle spielt, wurde einstmals bei Aufführungen in der Kirche von der Orgel und bei denen im Concertsaale vom Clavier ausgeführt, und hatte eben die Bestimmung, die Harmonie reicher auszuschmücken. Die Fertigkeit, diese nur in wenig Zahlen angedeutete harmonische Ausfüllung zu gestalten, besaß einstmals jeder gebildete Musiker in hohem Grade und gerade darin seine Kunst zu zeigen war einst der Stolz jedes Musikers. Den neueren ging nicht nur diese Fertigkeit nach und nach verloren, sondern auch die Art der Ausführung kam schließlich in Vergessenheit. Sie ist erst neuerdings durch eifriges Nachforschen der Musikhistoriker so zusagen wieder neu entdeckt worden. Daher kam es, daß die Bach’- und Händel’schen Werke den neueren in ihrer Instrumentirung nicht genügten, da die wenigen vorgeschriebenen Instrumente eigentlich nur das Gerippe anzeigen und daß schon Mozart den Versuch machte, mehrere der Händel’schen Oratorien durch Hinzufügung von Instrumenten harmonisch auszuschmücken. Sein Fehler bestand nur darin, daß er sich nicht allein auf das Harmonische beschränkte, sondern durch thematisch-imitatorische Behandlung der hinzugefügten Instrumente in die Composition eingriff.
Schwencke: Christian Friedrich Gottlieb S., ein um die Hamburger Musikverhältnisse sehr verdienter Musiker, geboren am 30. August 1767 zu Wachenhausen im Harz, † am 28. October 1822 zu Hamburg, Sohn des Rathsmusikanten Johann Gottlieb in Hamburg. Er zeigte bereits als Knabe ein so ausgesprochenes Talent zur Musik, daß der Vater mit Sorgsamkeit dasselbe ausbildete. Im J. 1776 wurde die Familie nach Hamburg versetzt, wo sich noch weitere Mittel fanden die Ausbildung des Sohnes zu fördern, sodaß derselbe bereits am 18. März 1779 in einem Concerte seines Vaters im Schauspielhause als Clavierspieler auftrat. Der anwesende- Sittard, Geschichte des Musik- und Concertwesens in Hamburg. – Allg. musik. Ztg. in Lpz., Bd. 24, 756. – Koller, Klopstockstudien, Kremsier 1889.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: erlaute