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Artikel „Gutenberg, Johann“ von Antonius van der Linde in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 218–220, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gutenberg,_Johannes&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:21 Uhr UTC)
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Gutenberg: Johann G., geboren zu Mainz, Geburtsjahr nicht bekannt, gest. im Februar 1468. Mit Beseitigung der fortwährend abgeschriebenen Fehler läßt sich die Abstammung und Verwandtschaft Gutenberg’s feststellen wie folgt: I. Friele zum Gensfleisch, kommt urkundlich vor 1331–1348. – II. Petermann zum Gensfleisch, 1356, 1379, verheirathet mit Nese zum Jungen 1370. – III. Friele zum Gensfleisch, 1359, gest. vor 1372, verheirathet mit Grede zu der Laden. – IV. Friele zum Gensfleisch, gest. vor 1430, verheirathet mit Else zu Gutenberg, 1425–30. – V. Friele zum Gensfleisch, genannt zu Gutenberg, 1429–34; sein Bruder Henne (Johann) Gensfleisch genannt Gutenberg, 1430–68, der Erfinder der Buchdruckkunst mit gegossenen Metalltypen 1450.[1] Zu den zwischen 1411 und 1420 aus politischen Gründen ausgewanderten alten Mainzer Geschlechtern (Stadtadel) gehörten auch die Gensfleisch. In der Sühne des Erzbischofs Konrad III., vom 18. März 1430, wird „Henna zu Gudenberg“ namentlich als „nit inlendig“ (nämlich nicht im damaligen Kurfürstenthum befindlich) bezeichnet. Im J. 1434 treffen wir „Johann Gensfleisch der Junge (ein älterer „Henne zum Gensfleisch“ zu Mainz hatte nach dem Zinsbuche des heil. Geistspitals von 1412 von dem Stifte aus Hechtsheimer Gütern 12 Schilling zu bekommen) genannt Gutenberg“ in Straßburg, wo er die erste und größere Hälfte seines Lebens sich aufgehalten hat. G. wohnte im Kloster St. Arbogast, in der Nähe der Stadt, und war damals u. a. Meister im „Poliren von Steinen“, d. h. im Schleifen von halbedlen Schmucksteinen (Agat, Chalcedon, Onyx). Sein Schüler war Andreas Dritzehn. Der Goldschmidt Hans Dunne verdiente 1436 durch G. gegen hundert Gulden mit dem was „zum drucken gehört“; ich habe diese Bezeichnung durch den schon um 1100 in der Fachlitteratur bekannten Stanzendruck mit heißen Eisen erklärt. Denn G. befaßte sich damals auch noch mit einer andern Industrie. Er schloß nämlich 1437 mit dem Vogt zu Lichtenau, Hans Riff, einen Vertrag ab, dessen Gegenstand die „Anfertigung von Spiegeln für die bevorstehende Wallfahrt nach Aachen“ war. Die Einfassung dieser Spiegel, – verzierte Wände eines Kästchens, mit dem die kleinen Spiegel im Mittelalter geschlossen wurden, – sollte von Goldblech hergestellt und dann mit geschmolzenem Blei vollgegossen werden, eine Manipulation, die bedeutenden Gewinn versprach. Bald darauf wurden Andreas Dritzehn und Andreas Heilmann, gegen ein Lehrgeld von achtzig Gulden, in diese Gesellschaft aufgenommen. Da die siebenjährige Wallfahrt nach Aachen aber von 1439 auf 1440 ausgesetzt worden war, machten G., Dritzehn und Heilmann einen neuen Vertrag für den fünfjährigen Zeitraum vom Sommer des J. 1438 bis zum Sommer des J. 1443. Gegen ein Lehrgeld von je 125 Gulden sollte G. seine Gesellschafter in Allem unterrichten, was er kann. Im Sterbefalle sollen die betreffenden Erben, nach Ablauf der fünf Jahre, für den eventuellen Vorrath eine Abfindungssumme von 100 Gulden erhalten. Im December 1438 schickt G. seinen Knecht, Lorenz Beildeck, nach Dritzehn und Heilmann um „alle Formen zu holen“, und schmilzt sie ein in Gegenwart des Geistlichen Antonius Heilmann (Andreas’ Bruder), dem noch „etliche dieser Formen dauerten“. Andreas Dritzehn, der sich noch im Herbst zu Bischofsheim „einen Spiegelmacher“ nannte, erkrankte am 23. December, beichtete am 25. December 1438 und ist bald darauf verschieden. Am 26. December schickt Andreas Heilmann den Drechslermeister Conrad Sasbach, der für Dritzehn „eine Presse“ gemacht und mithin Bescheid weiß, nach dessen Wohnung, um „die Stücke aus einander zu nehmen, damit man nicht wisse was es sei“. Sasbach sah nach, aber „das Ding war fort“. Seinerseits schickte G. den Lorenz Beildeck zu Claus Dritzehn, einem Bruder des Verstorbenen, mit der [219] Bitte: „die Presse, die sein seliger Bruder Andreas unter sich hatte, Niemanden zu zeigen, sondern dieselbe mit den zwei Wirbelchen zu öffnen; die vier Stücke in der Presse würden dann voneinander fallen, und die möchte er auf die Presse legen, damit man nicht wissen könne, was es sei, denn das hätte sein Junker Johann Gutenberg nicht gerne“. Claus Dritzehn sah nach, fand aber eben so wenig wie Sasbach. Ohne vorgefaßte Meinung kann kein Sachverständiger hier eine Spur von Druckerpresse oder Typographie entdecken! Die Sucht nach Verheimlichung ist aus der oben angedeuteten Erklärung verständlich genug (vgl. mein „Gutenberg“ S. 515); es handelte sich blos um „Goldmacherei“. – Georg und Claus Dritzehn verklagten im J. 1439 G. vor dem großen Rath in Straßburg. Ihr Bruder Andreas hatte sich nämlich, mit Hinblick auf den außerordentlichen Gewinn in Aachen, stark verschuldet und seinen Besitz verpfändet. Für diesen ganzen Verlust wollten die Kläger, obgleich sie das Abkommen der Gesellschaft aus dem Vertragsentwurf ihres verstorbenen Bruders kannten, durch G. entschädigt werden! Der daraus entstandene und von G. am 12. Decbr. 1439 gewonnene Proceß hat uns die vorerwähnten, äußerst wichtigen Thatsachen urkundlich und in der Form beeidigter Zeugenaussagen überliefert. – Angesichts Gutenberg’s Steinschleiferei, Stanzendruck, Goldschmiedekunst, Bleieinkäufe, Schmelztigel und beschworener Spiegelfabrikation , kann zunächst bei ehrlichen Leuten von der landläufigen Xylographie, vom Holzdruck, nie wieder die Rede sein. Die Behauptung, daß die Typographie mit „beweglichen Lettern von Holz“ ihren Anfang genommen habe, sollte für immer unter die Ammenmährchen verbannt bleiben. Die Typographie ist technisch zusammengesetzt aus dem Graviren von metallenen Letternstempeln (Patrizen, Punzen), dem Einschlagen dieser Stempel in Kupferstäbchen (Matrizen), der Herstellung einer Gießform für diese Matrizen, dem Guß der Typen, der Adjustirung dieser Typen, und endlich aus dem Schriftsatz und Abdruck. Diese Erfindung war nicht ein Handwerk, sondern eine Kunst, und mit Recht hat sie das fünfzehnte Jahrhundert begrüßt, ausposaunt, als eine ars subtilissima, ars artium et scientia scientiarum, ars sancta, ars divina! Nur ein mit Metallarbeiten beschäftigtes industrielles Genie, nicht aber ein sogenannter Briefdrucker, konnte zu dieser gewaltigen Erfindung prädisponirt sein! Und darum ist der Straßburger Proceß von so hoher Wichtigkeit: er zeigt uns technisch und psychologisch a priori den Mann, der sich a posteriori als den ersten Typographen der Welt herausgestellt hat. – Im J. 1441 verbürgte sich G. mit dem Ritter von Ramstein für Junker Hans Karle beim St. Thomascapitel in Straßburg, lieh aber am 17. Novbr. 1442 von besagtem Capitel selbst 80 Gulden. Am 12. März 1444 zahlte er noch einen Gulden Weinzoll, von da an aber verliert sich die urkundliche Spur seines Aufenthalts in Straßburg. In Mainz begegnen wir ihm im October 1448. Die Jahre 1445, 1446 und 1447 sind in seiner Biographie ein unbeschriebenes (von Fabeldichtern wie Schaab und Wetter mißbrauchtes) Blatt. Hier nähern wir uns aber dem wirklichen Zeitpunkt seiner Erfindung. Er war damit fertig im J. 1450, und erklärt selbst im J. 1460, in der berühmten Schlußschrift seiner Ausgabe des Catholicon, Mainz für den Ort der Erfindung, dieses „außerordentlichen Gnadengeschenkes Gottes“. Eine aus feindlicher Quelle stammende Tradition (Chronik von Köln, 1499) muß der Wahrheit gemäß eingestehen: „Im Jahre unseres Herrn 1450, damals war ein Jubiläum, – begann man zu drucken, und das erste Buch das man druckte, war die lateinische Bibel, und diese ward gedruckt mit eine groben Schrift, womit man jetzt Meßbücher druckt.“ Dieses erste Buch war die großartige 36zeilige Bibel, der 1453–55 die 42zeilige Bibel nachfolgte. Beide Denkmäler eines [220] genialen Mannes und einer großartigen, in ihren kulturgeschichtlichen Folgen vielleicht größten Erfindung, liegen vor mir: die 36zeilige Bibel der Universitätsbibliothek zu Jena, die 42zeilige auf Pergament aus Fulda; aber ich muß aus eingehender Vergleichung mit der größtmöglichen Entschiedenheit die Resultate meines vor wenigen Monaten erschienenen Werkes bestätigen. – Mit einer dritten Type druckte G. sein drittes Hauptwerk, das Catholicon des Johannes de Balbis von Genua (1286), ebenfalls einen Folianten. Aus die kleinen Schriften – Ablaßbriefe mit den gedruckten Daten 1454 und 1455, Donatausgaben etc. – brauchen wir uns hier nicht weiter einzulassen. (Die finanzielle Seite und ihre schlimmen Folgen für G. findet der Leser Bd. VIII. S. 267 unter Johann Fust angegeben. Weiteres wird unter Peter Schöffer folgen.) Am 17. Jan. 1465 wurde G. vom Erzbischof Adolf von Nassau „zu unserem Diener und Hofgesinde aufgenommen und empfangen“. Der Märtyrer seiner Erfindung genoß diese Ruhe in Eltville, wo er indessen noch neue Schüler ausbildete, nicht lange. Im Todtenbuch der Dominicaner zu Mainz heißt es zum 2. Febr. 1468: „Obiit Dominus Johannes zum Gensfleisch cum duabus candelis super lapidem prope cathedram praedicantis habens arma Gensfleisch“ (nämlich Bettelmönch oder Pilger, mit Schale und Stab in den Händen). Und da der Kanzler Dr. Konrad Humery die ihm verpfändeten „Formen, Buchstaben, Instrumente, Geräthe etc. zu dem Druckwerk gehörend, und die Johann Gutenberg nach seinem Tode hinterlassen hat“, erhalten zu haben bescheinigt, erklären diese beiden Urkunden sich gegenseitig zur Genüge. – Die schnelle Verbreitung seiner „neuen, wunderbaren Kunst“ hat der Erfinder noch erlebt: die Typographie war – wie ich in einem neuen Werke nachweisen werde – 1460 schon in Straßburg, 1461 in Bamberg, 1463 in Köln, 1464 im Benedictinerkloster Subiaco bei Rom, 1467 in Eltville und in Rom, 1468 in Basel, Lübeck und Augsburg. – War G. ausgeplündert worden bei seinem Leben, der Raub wurde nach seinem Tode systematisch gegen ihn weiter getrieben! Seine Erfindung wurde einfach, erst seinem herzlosen Geldschießer Johann Fust (Faust), sodann dessen Schwiegersohn Peter Schöffer angelogen; sein Name und damit seine Person wurde als Gensfleisch und Gutenberg auseinander gerissen, und die erste Hälfte zu einem mythischen Diebe in Straßburg und Haarlem erniedrigt; seine 36zeilige Riesenbibel wurde von einer scheingelehrten Unkritik einem miserablen Briefdrucker in Bamberg (A. Pfister), seine 42zeilige Bibel seinem pfiffigen Gehülfen Schöffer, sein Catholicon Bechtermünz in Eltville, seine Ablaßbriefe dem Nachtwächter in Wolkenkukuksheim zugesprochen. Und sogar in den Mainzer „Ehrenrettungen“ (Schaab’s pragmatische Geschichte 1830 und Wetter’s kritische Geschichte 1836) verblieb ihm factisch nichts als dumme Schusterflickerei, die ihm sogar Wetter – nachmachen konnte! Da ich nun einmal, zur Sühne der Verbrechen meiner früheren Landsleute, meine Existenz zur Lösung dieser Frage eingesetzt habe, hielt ich in meinem oben S. 219 citirten Werke ein Todtengericht ab über eine ganz verfehlte Litteratur (über 1000 Nummern), wofür mich meine neuen Landsleute mit Injurienklagen heimsuchen. Die Zukunft wird richten.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 218. Z. 1 v. o. ff.: Zu der Gutenbergfrage ist zu vergl.: Arthur Wyß, Zur Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst (Quartalblätter d. histor. Ver. f. d. Großherz. Hessen, 1879, S. 9–26. Ausgegeben August 1880). [Bd. 12, S. 795]