Über Grimms „Deutsche Sagen“

Textdaten
Autor: Reinhold Steig
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Über Grimms „Deutsche Sagen“
Untertitel:
aus: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Band 135, S. 47–68, 225–259
Herausgeber: Alois Brandl, Oskar Schultz-Gora
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1916
Verlag: Georg Westermann
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Braunschweig und Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Internet Archive, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[47]
Über Grimms „Deutsche Sagen“.

Vor einiger Zeit fiel mir die Aufgabe zu, die vierte Auflage der „Deutschen Sagen“ der Brüder Grimm zu besorgen. Ich wies in meinem Vorworte darauf hin, daß ich bei der Zurüstung der Auflage durchweg das Handexemplar Jacob und Wilhelm Grimms zu Rate gezogen, ihre schriftlichen Besserungen und Zusätze genutzt und mich bemüht habe, den reinen Text der Sagen nach Möglichkeit wiederzugewinnen. Dies Bestreben führte mich, was den letzten Punkt anbelangt, gar bald zu der Erkenntnis, daß schon der Originaltext der Brüder, wie er in den beiden 1816 und 1818 nicht in Kassel gedruckten Bänden vorliegt, mehrfachen Schaden gelitten hat. Die handschriftlichen Druckvorlagen aber, die damals in den Druckereien verbraucht wurden, sind verlorengegangen, so daß auf diesem Wege mir keine Hilfe zukam. Es blieb das einzige Mittel, soweit möglich und nötig, zu den Quellen aufzusteigen, aus denen Stoff oder Text der Sagen einst geschöpft wurde. So mühevoll auch dieses Verfahren war, es enthüllte sich dadurch erst recht die fortblühende Unvergänglichkeit der Sage. Wie sich daraus so manche notwendige Berichtigung des Sagenvortrages ergab, wurde auch wiederum gar manche Bestätigung dessen erzielt, was, dem ersten Blicke auffällig, zu einer Änderung geneigt machen möchte, oder tatsächlich schon geändert worden war. Auch gewährte die Vergleichung der Sagen mit ihren Urstellen den eigentlichen Einblick in die historisch und dichterisch schaffende Tätigkeit der Brüder Grimm, wie es sonst nicht möglich gewesen wäre. Die sicheren Ergebnisse hielt ich damals der neuen, vierten Auflage nicht vor, versprach aber, Rechenschaft über die geschichtlich-literarische Seite meines Verfahrens in einem besonderen Aufsatze zu geben.

Dies tue ich jetzt, und zwar in dem Umfange, als er durch meine Arbeit an den Sagen bedingt ist.


I.

Das literarische Wirken der Brüder Grimm vollzieht sich in zwei großen, voneinander verschiedenen Epochen. Während sie bis in das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts hinein in die poetisch-produktive Art der romantischen Dichter einstimmten und in diesem Sinne brüderlich-gemeinsam ihre Arbeiten anlegten und zu Ende führten, wandten sie sich mit dem Beginn der zwanziger Jahre zu vorwiegend wissenschaftlicher Behandlung [48] des deutschen Altertums. Seitdem ihre Korrespondenz mit Arnim vorliegt, sehen wir, daß Jacobs stärkere Persönlichkeit mehr und mehr von der Gegenwart abrückte und Wilhelm mit sich zog. Es war außerdem die Zeit, wo durch Lachmanns Nibelungenkritik (1816) eine Reaktion gegen die bis dahin geltenden Grundsätze eingeleitet wurde, und die Brüder Grimm entzogen sich diesem Einflusse nicht, der zumal durch persönliche Freundschaft gesteigert wurde. Die Altdänischen Heldenlieder, die Märchen, die Edda, die Sagen (1818) sind die entscheidenden Werke der ersten, die Grammatik (seit 1819), die Heldensage, die Mythologie die der zweiten Epoche, bis die Brüder nach mehr als zwanzigjähriger getrennter Arbeit sich wieder zum Deutschen Wörterbuche vereinigten. Ihren freien Standpunkt aber gaben sie auch der Lachmannschen Schule gegenüber niemals auf. Der latente Gegensatz brach ab und zu sogar in Zusammenstöße aus. In einzelnen Schriftstücken von beiden Seiten, sowohl in gedruckten wie noch ungedruckten, liegen dafür die Beweise vor. Sie konnten sich nicht dazu entschließen, bestimmte Ergebnisse der Nibelungenkritik, die allmählich heute sogar von erklärten Anhängern der Schule aufgegeben werden, auf ihre wissenschaftliche Überzeugung hinzunehmen. Das Bewußtsein ihrer literarisch-poetischen Herkunft mit praktischen, vaterländischen Gegenwartszielen blieb immer stark genug in ihnen, um auch ihren späteren Werken die wohltuende, unverletzende Behaglichkeit poetisch-künstlerischer Grundauffassung zu verleihen, die das meiste, was sie schrieben, aus dem engeren Bezirk der Fachwissenschaft in das breitere Gebiet der allgemeinen geistigen Teilnahme hinüberführte.

Als Marburger Studenten schon, am Anfang des 19. Jahrhunderts, wurden die jugendlichen Brüder Grimm durch Savignys Lehre und Umgang für die Absichten und Ziele der Romantik gewonnen. Damals lernten sie in Marburg Clemens Brentano, seinen Schwager, kennen, der mit Achim von Arnim alte deutsche Lieder sammelte und sich mit ihm 1805 in Heidelberg zur Herausgabe vereinigte. Diese Bestrebungen zündeten bei Jacob und Wilhelm Grimm, denen sich in Brentano und Arnim das allgemeine Zeitinteresse am wirksamsten und nachstrebenswertesten darstellte. In ihrer hessischen (eigentlich fränkischen) Heimat, den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, faßten sie nach mündlicher Erzählung Volkslieder, Märchen und Sagen auf, während daneben ihr literarisches Studium ihnen weitere gedruckte und handschriftliche Quellen erschloß. Die Arbeitsteilung unter den Freunden fand in der Weise statt, daß Arnim und Brentano das Volkslied in ihrer Pflege behielten, Jacob und Wilhelm Grimm in der Folgezeit für sich allein die Märchen und [49] die Sagen übernahmen. In wechselweiser Unterstützung führten die Freunde ihre Arbeiten durch. Es ist immer noch ein Wunsch von mir, den Grimmschen Anteil an dem Wunderhorn aufzuweisen.

Unter möglichster Einschränkung dessen, was sich auf Volkslied und Märchen bezieht, soll nun von der vorbereitenden Arbeit für die „Deutschen Sagen“ die Rede sein. Das früheste öffentliche Eintreten für Sagen finden wir in Arnims „Berlin, im Januar 1805“ geschriebenen programmatischen Aufsatze „von Volksliedern“, den Reichardt, an welchen er gerichtet war, zum Teil in seiner Musikalischen Zeitschrift veröffentlichte, und den Arnim dann mit einer Nachschrift „Heidelberg im Juli 1805“ dem ersten Bande des Wunderhorns zum literarischen Abschlusse mitgab. Darin heißt es (S. 462): „Dem, der viel und innig das Volk berührt, ihm ist die Weisheit in der Bewährung von Jahrhunderten ein offnes Buch in die Hand gegeben, daß er es allen verkünde. Lieder, Sagen, Sprüche, Geschichten und Prophezeiungen, Melodieen“ – und abermals (S. 463): „wir suchen alle etwas Höheres … den Glauben und das Wissen des Volkes … Lieder, Sagen, Kunden, Sprüche, Geschichten, Prophezeiungen und Melodieen“. Gerühmt darin (S. 441) werden Otmars Volkssagen (Bremen 1800) als eine Sammlung aus einem kleinen Flecken von Deutschland, die bis auf einzelne Zusätze und Wortüberfluß als Muster ähnlicher aufgestellt werden könne: „Es ist wie eine neue Welt schöner Erfindung, aber von den meisten vergessen, weil es weder Veilchensyrup noch Teufelskost, sondern weil es uns führt zu den Veilchen, auch wohl in die Behausung des Teufels.“ Ein Urteil, das in gleicher Art später bei den Brüdern Grimm wiederkehrt und bei ihrer Ausnutzung der Otmarschen Sammlung in die Tat umgesetzt wurde.

Die beiden Herausgeber des Wunderhorns suchten nun rasch hintereinander, jeder für sich, die gewiß oft im Gespräch erörterte Sammelarbeit weiterer Kreise wachzurufen und für ihre Zwecke nutzbar zu machen. In einer „Aufforderung“ von Arnim, die am 17. Dezember 1805 im Gothaischen Reichsanzeiger erschien, wurden, außer Volksliedern, auf die es für die Fortführung des Wunderhorns ankomme, auch „alte mündlich überlieferte Sagen und Märchen“ ins Auge gefaßt, um recht viele Fäden dem großen Gewebe wieder anzuknüpfen, worin unsere Geschichte sich darstelle. Brentano verfaßte in Heidelberg einen eigenen Zirkularbrief, den er im Juni 1806 versandte, und wenn er darin zunächst auch nur, mit guter Beschränkung auf das Nächstliegende, die Sammlung und Rettung der seiner Meinung nach am meisten gefährdeten Volkslieder[WS 1] einschärfte, so bewies doch die gerade damals (vom 1. Juli 1806 ab) mit Brentanos [50] tatkräftiger Hilfe ins Leben tretende „Badische Wochenschrift“, wie sein Sinn neben den alten Liedern auch auf die Sammlung und Erhaltung der Sagen des Volkes gerichtet war. Ich habe vor zehn Jahren in die Neuen Heidelberger Jahrbücher (6, 62 ff.) einen Aufsatz über Frau Auguste Pattberg in Neckaretz, geb. von Kettner, geschrieben, eine Frau, deren gesegnetes Andenken noch heute unter den Leuten der Gegend dort lebt, und die seinerzeit in freundschaftlicher Verbindung mit Brentano auch eine größere Anzahl von Sagen in die „Badische Wochenschrift“ geliefert hat: denen die Brüder Grimm wiederum durch Verwertung und Aufnahme in ihre Sagensammlung unbeschränkte Dauer und Wirksamkeit verschafften.

Die „Badische Wochenschrift“ ist von Arnim dankbaren Sinnes als Vorläuferin seiner Einsiedlerzeitung gepriesen worden, die mit dem 1. April 1808 zu erscheinen begann. In das sehr weit abgesteckte Arbeitsgebiet, wie es sich nach den zahlreichen Werbebriefen an Schriftsteller und Gelehrte, die zur Mitarbeit gewonnen werden sollten, darstellt, war Arnim von vornherein willens, auch die ihm bekannten Stoffsammlungen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm einzubeziehen. Sein Brief vom 18. Februar 1808 an Jacob spricht in rascher Kürze aus (Arnim und Grimms S. 6), was Brentano in Kassel mündlich ausführlicher besorgen konnte. Für die Sagen erhielt Jacob Grimm, zugleich im Namen seines Bruders Wilhelm, freies Feld, und er begann in Nr. 19 der Einsiedlerzeitung seine frühesten Gedanken auszusprechen, wie sich die Sagen zur Poesie und Geschichte verhalten. „In unserer Zeit“, sagt er, „ist eine große Liebe für Volkslieder ausgebrochen, und wird auch die Aufmerksamkeit auf die Sagen bringen, welche sowohl unter demselben Volk herumgehen, als auch an einigen vergessenen Plätzen aufbewahrt worden sind.“ In der Erörterung vernehmen wir schon die Vorklänge der Einleitung zu der späteren Sagensammlung, und hier bereits in der Einsiedlerzeitung stellt und beantwortet Jacob Grimm die Frage: „ob durch die Sammlung dieser Sagen ein Dienst für die Poesie geschehe“. Als Beispiele steuerte Grimm aus seinem Vorrat zwei Glockensagen bei, später in den „Deutschen Sagen“, über deren Stilverhältnis zueinander noch weiter unten zu handeln sein wird.

Diese beiden Sagen entflossen literarischen Quellen. So auch viele andere Sagen und Märchen, zu denen sich die aus dem Munde des Volkes aufgenommenen Erzählungen sagen- und märchenhafter Natur hinzugesellten. Die Sammlung besorgten sie der Hauptmasse nach allein, wurden aber auch von ihren Angehörigen, Freunden und Bekannten unterstützt. Grimms Briefe, soweit sie gedruckt sind, enthalten viele einzelne Angaben auch [51] über die Sagen. Sehr wichtige Äußerungen zwischen beiden Brüdern finden wir 1809, nachdem Wilhelm eben wieder mit Arnim und Brentano in Berlin zusammengewesen war, in den Jugendbriefen (S. 195, 198). Jacob schrieb: „Das schon vor Deiner Reise angefangene Verzeichnis aller Sagenelemente ist beträchtlich und vollständig genug geworden. Ich halte diese Arbeit zwar noch sehr weitschauend, allein Du wirst sie mit mir für die allernotwendigste halten, und sie muß die Grundlage zu unserm künftigen Studium geben; ich wüßte nicht, wie man auf andere Weise in das innere Wesen der Geschichte der Poesie gelangen wollte. Sobald du kannst, mußt Du das Ganze Blatt für Blatt durchgehen und alles, was Du weißt, eintragen.“ Worauf Wilhelm erwiderte: „Unsere Sagensammlung wird auch durch einiges von mir vermehrt werden, und ich halte sie allerdings für das Wichtigste und ich habe auch immer in diesem Sinn gearbeitet.“ Man sieht, daß die Brüder auf ernste wissenschaftliche Arbeit hinauswollten, und daß ihre Absicht war, der Geschichte der deutschen Poesie durch Sammlung und Verwertung der Sagen einen Dienst zu leisten.

Es entstand damals bei Jacob im Einvernehmen mit Wilhelm der Plan, einen „Altdeutschen Sammler“ zu begründen, ein Gedanke, der später in den „Altdeutschen Wäldern“ seine Verwirklichung gefunden hat. Clemens Brentano war, wie für alles Neue, so auch für den Altdeutschen Sammler enthusiastisch eingenommen, drängte zur Ausführung und forderte einen Plan ein, den Jacob ausführlich ihm lieferte. In dieser „Aufforderung an die gesamten Freunde deutscher Poesie und Geschichte erlassen“ (den ich in dem Briefwechsel Clemens Brentanos mit den Brüdern Grimm, 1914, mitgeteilt habe) legte Jacob das Hauptgewicht auf die Sammlung der deutschen Sagenschätze. „Wir gehen aus,“ heißt es, „alle mündliche Sage des gesamten deutschen Vaterlandes zu sammeln, und wünschen nur in dem Nachstehenden die Allgemeinheit und Ausgedehntheit des Sinnes, worin wir die Sache nehmen, nicht verfehlt zu haben. Wir sammeln also alle und jede Traditionen und Sagen des gemeinen Mannes, mögen sie traurigen oder lustigen, belehrenden oder fröhlichen Inhalt haben, auch aus welcher Zeit sie seien, mögen sie in schlichtester Prosa herumgehen, oder in bindende Reime gefaßt sein (ja es scheint uns die erstere insofern wichtiger, als sie reichhaltiger verspricht), mögen sie mit unserer Büchergeschichte übereinstimmen, oder ihr (was der häufige Fall sein wird) stracks zuwiderlaufen und gar in einem andern Sinn sich als ungereimt darstellen. Gegen das vornehme Absprechen über die Sage brauchen wir blos die Beispiele edler, wahrer Geschichtschreibung von Herodot an bis auf Johannes Müller zu setzen. Ist nicht die [52] Volkspoesie der Lebenssaft, der sich aus allen Taten herausgezogen und für sich bestanden hat? und es so tun mußte, weil anders keine Geschichte zum Volk gelangen und keine andere vor ihm gebraucht werden könnte? Und diese Volksgeschichte ist wahrhaftig Bienenlauterkeit, keine Spinne hat dazu gesogen und keine Wespe papieren daran gearbeitet; ihr Geist aber von jeher ist allzu flüssig, rührig und bewegig gewesen, als daß er sich von Namen oder Zeiten hätte binden lassen, darum ist er doch unerlogen geblieben, ja äußerlich fast niemal gefälscht worden, obwohl er sich unaufhörlich von innerhalb neu gestaltet und wiedergeboren hat. Wenn wir also hiermit ganz besonders die Märchen der Ammen und Kinder, die Abendgespräche und Spinnstubengeschichten gemeint haben, so wissen wir zweierlei recht wohl, daß es verachtete Namen und bisher unbeachtete Sachen sind, die noch in jedem einfach gebliebenen Menschengemüt von Jugend bis zum Tod gehaftet haben. Sodann aber denken wir uns, daß auch in der abgeschlossenen Kraft der besonderen Stände wie unter kühlem Baumschatten die Sagenquelle nicht so versiegen können, während was in die Mitte, in die allgemeine Sonnenhitze geflossen, längst vertrocknen gemußt; gewiß, unter ehrsamen Handwerkern, still wirkenden Bergmännern, den grünen freien Jägern und Soldaten hat sich manche Eigentümlichkeit und damit eigentümliche Rede und Sage, Sitte und Brauch forterhalten, welche zu versammeln hohe Zeit ist, bevor völlige Auflösung erfolgt, oder neue Formen jener Traditionen Bedeutung mit sich fortgerissen. Dieses alles nun wünschen wir höchst getreu, buchstabentreu aufgezeichnet, mit allem dem sogenannten Unsinn, welcher leicht zu finden, immer aber noch leichter zu lösen ist, als die künstlichste Wiederherstellung, die man statt seiner versuchen wollte. Worauf wir durchaus bestehen zu müssen glauben, ist die größte Ausführlichkeit und Umständlichkeit der Erzählung, ohne alles Einziehen eines noch so kleinen gehörten Umstandes, ob wir uns gleich da, wo jene Genauigkeit der Tradition ausgeht, lieber noch mit dem bloßen Verlauf der Begebenheit begnügen, als auch seiner entbehren. Sowohl in Rücksicht der Treue, als der trefflichen Auffassung wüßten wir kein besseres Beispiel zu nennen, als die von dem seligen Runge in der Einsiedlerzeitung gelieferte Erzählung vom Wacholderbaum, plattdeutsch, welche wir unbedingt zum Muster aufstellen und woran man sehen möge, was in unserm Feld zu erwarten ist.“

Aus diesem altdeutschen Sammler wurde nun freilich nichts. Brentanos durch die strenge Grimmsche Auffassung von Sage und Märchen schnell abgekühlter Eifer kam auf die Angelegenheit nicht mehr zurück. Dagegen mahnte Arnim die Brüder fort und fort, mit der Veröffentlichung ihrer Sammlungen vorzugehen. [53] Bekannt ist, wie er 1812 bei einem Besuche in Kassel den letzten Anstoß zu der Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen gab, deren erster Band noch 1812 in Berlin bei Reimer erschien, während der zweite erst nach dem Kriege 1815 folgen konnte. Durch die Arbeit an den Märchen vollzog sich in Grimms Anschauung die grundsätzliche Unterscheidung von Sage und Märchen, wie sie in der Vorrede zum ersten Bande 1812 dargestellt ist. Diese Unterscheidung zweier nahverwandter Formen der Volkspoesie, die von Grimms Vorgängern wie gleichzeitigen Mitarbeitern, ja auch noch späterhin, ohne Unterschied durch- und füreinander gebraucht wurden, war wieder ein neuer Anstoß, als Seitenstück zu den Märchen nun auch ein eignes deutsches Sagenbuch zu schaffen. Schärfer als bisher tritt diese Absicht während der Kriegsjahre 1814 und 1815 in den Jugendbriefen zutage. Namentlich in Wien, im Kreise gleichgesinnter jüngerer Freunde, betreibt Jacob die Sagen-Angelegenheit. Er rät dem Bruder, Wyß’ Volkssagen aus der Schweiz und Gottschalks Volkssagen anzuschaffen; er weist auf die Riesensage im Taschenbuch der Liebe und Freundschaft 1815 hin (Sagen Nr. 136). Von Wien aus erfolgte aber auch nochmals eine öffentliche programmatische Aufforderung Jacobs zur Sammlung alter Volksdichtungen, insbesondere auch der Sagen.

Wenn auch in losester und später rasch aufgelöster Form, hatte sich in Wien eine Gesellschaft gestiftet, welche durch ganz Deutschland ausgebreitet werden sollte und zum Ziele nahm, alles, was unter dem gemeinen deutschen Landvolke von Lied und Sage vorhanden sei, zu retten und zu sammeln. Unter den sechs der Sorgfalt gleichgerichteter Freunde empfohlenen Gegenständen – es sind: Volkslieder, Sagen, Schalksknechtsstreiche, Volksfeste, Aberglaube, Sprichwörter – kommt für die Zwecke vorliegender Untersuchung der zweite in Betracht, der ausführlicher als die anderen lautet: „Sagen in ungebundener Rede, ganz besonders sowohl die vielen Ammen- und Kindermärchen von Riesen, Zwergen, Ungeheuern, verwünschten und erlösten Königskindern, Teufeln, Schätzen und Wünscheldingen, als auch Lokalsagen, die zur Erklärung gewisser Örtlichkeiten (wie Berge, Flüsse, Seen, Sümpfe, zertrümmerte Schlösser, Türme, Steine und alle Denkmäler der Vorzeit sind) erzählt und gewußt werden.“ Die Wiener Zirkulare wurden mit Jacobs eigenhändiger Unterschrift an alle möglichen Leute innerhalb und außerhalb Deutschlands verschickt, ohne freilich durch reichlichen Erfolg die aufgewandte Mühe zu belohnen. Grimms erfuhren doch schließlich: eigene Arbeit hilft weiter als Unterstützung von fremder Seite. Die Brüder mußten auch bald zu einem vorläufigen Abschluß kommen, denn Herrichtung und Druck des ersten Bandes [54] ihrer Deutschen Sagen stand vor der Tür, nachdem 1815 der zweite Band der Märchen fertig geworden war.

Im Herbst des Jahres 1815 hatte Wilhelm Grimm das Glück, in Frankfurt mit Goethe zusammenzutreffen, dem er im Laufe des Gespräches erzählte, daß sie jetzt nach Art der Märchen auch die deutschen Sagen herauszugeben gedächten. Goethe stimmte dem bei, was sein junger Verehrer über das historische Leben der Sagen zu ihm äußerte. Gewiß ein neuer Anreiz für Jacob und Wilhelm Grimm, mit der Herausgabe ihrer Sagen nunmehr aber wirklich Ernst zu machen.


II.

Wie mit ihren Märchen, wandten sich die Brüder Grimm auch mit den deutschen Sagen nach Berlin. Jene waren bei Georg Andreas Reimer erschienen, den Verlag der Sagen übernahm die Nicolaische Buchhandlung, die heute noch besteht, und deren Inhaber, die Herren Stricker, die vierte, von mir besorgte Auflage der Deutschen Sagen dem Publikum vorgelegt haben. In welcher Weise 1815 die Anknüpfung mit Nicolai erfolgte, darüber sind wir genügend unterrichtet. Wir wissen auch, daß Ferdinand Grimm, Jacob und Wilhelms jüngerer Bruder, sein Auge auf die entstehenden Bände gelegt hatte.

Dieser Ferdinand Grimm, sehr begabt, doch bei schwankender Gesundheit ohne regelrechte Schulbildung, lebte in Kassel mit den Geschwistern zusammen, ohne für seine Zukunft feste Ziele ins Auge zu fassen. Er las und schrieb nach eigener Neigung und ging wohl auch den älteren Brüdern bei ihrer Arbeit zur Hand, indem er namentlich zu ihren Sammlungen aller Art beitrug, Märchen und Sagen einbrachte, auch ihnen Abschriften von altdeutschen Manuskripten anfertigte. Es ist rührend, zu sehen, mit welch brüderlicher, ja fast väterlicher Liebe die älteren Brüder immer wieder neue Anstrengungen machten, ihn in eine seinen Gaben und Neigungen passende Lebensbahn zu bringen. Als Ludwig Emil Grimm in München seinen Kunststudien oblag, ging auch Ferdinand aufs Geratewohl dahin ab und blieb dort während der Kriegszeit. Alsdann reiste er nach Berlin, wo er durch Arnims Vermittlung eine Stellung bei Reimer fand. Er arbeitete für mancherlei Zeitschriften mit und ohne Namensunterschrift. Mit Sagen beschäftigte er sich immerfort, weshalb er auch noch während des in Göttingen stattfindenden Druckes des ersten Grimmschen Bandes beisteuerte. Die Brüder haben ihm öffentlich am Schlusse der Einleitung des ersten Bandes gedankt.

Über Art und Fortschritt der Herstellung des ersten wie des zweiten Bandes vermag ich aus lauter ungedruckten Quellen eine hinlängliche Vorstellung zu vermitteln, und zwar benutze ich die [55] Korrespondenz zwischen Grimms und Nicolai und die Familienbriefe an und von Ferdinand, soweit sie erhalten worden sind.

Die früheste Äußerung Jacobs zu Ferdinand ist vom 4. Februar 1816: „Nächste Ostern wird nun der erste Band unserer Deutschen Sagen herauskommen und fast dreihundert Stücke enthalten; nicht viel weniger bleiben zu dem folgenden über.[1] Du hast uns weniger dazu beigetragen, als ich von Deiner Lust an diesen Sachen, und Deinem Sinn für ihre getreue Sammlung früherhin gedacht hatte; oder Du müßtest etwa für Dich selbst etwas vorhaben wollen. Auch von andern Orten her hat man uns wenig mitgetheilt und es steht nun dahin, ob nach Erscheinung des Buchs selbst die Leute deutlicher merken, worauf es ankommt. Dobeneks Buch achte ich für sehr unreif und mitunter sonderbar verwirrt, aber in der Hauptsache hat er eine gute, wahre Meinung; gesammelt hat er wenig, wiewohl gerade auch einige bisher unbekannte Stücke aus Prätorius, die ich schon vor 6, 7 Jahren abgeschrieben hatte, eben darum aber auch jetzt nicht aus unserm Buch lassen mag.[2] Wir stellen vorerst die bloßen Sagen hin, ohne alle Noten noch Anhänge, wie bei den Märchen. Das muß demnächst ein besonderes Buch machen.“ Ähnlich äußerte sich Jacob unter demselben 4. Februar zu Arnim über die Sagen-Unternehmung.

Hierauf erwiderte Ferdinand aus Berlin unter dem 24. Februar 1816: „Es freut mich ungemein, daß ihr endlich anfangen wollt mit der Herausgabe der herrlichen deutschen Sagen. Aber ich weiß nicht, ob es nicht schöner wäre, gleich dabei Noten und Bemerkung zur Hand zu haben, da man doch manches gern vergleichen mag, wie man es kann bei den Kindermährchen. Doch ist es auch wahr, der eigentliche Zweck der Sache, nämlich dem Volk wieder zu geben, was von ihm gekommen, wird dann durch das Alleinstehen der Geschichten freundlicher, und auch das Buch für Jeden käuflicher. Nur dafür thut aber auch, und veranstaltet das Buch (das sonst immer schön und gut gedruckt seyn mag) so mäßig wie möglich im Preise, damit es auch dem ärmeren Käufer wirklich in die Hände kommen kann. Denn es ist zu arg, wenn Werke, die man verspricht, dem Volk wieder zu geben, sie ihm auf immer weg nimmt, wie es gegangen mit dem Buch der Liebe, Goldfaden, Narrenbuch u. a. … Schreibt mir doch ja, wann ihr meine gesammelten Beiträge haben wollt: ich habe [56] alles, zwar oft flüchtig, aufgeschrieben, doch ordentlich in Heimathsgegenden eingetheilt, zusammen liegen, und kann euch wenigstens vorerst das geben, was ihr vorerst haben müßt, denn von der Eintheilung des ersten Bandes weiß ich noch nichts. Es sind manche hübsche; hier in Berlin sind mir auch ein Paar zugekommen.“

Ungesäumt schrieb Wilhelm aus Kassel schon am 26. Februar zurück: „Unsre Sagen sind schon zum Drittel gedruckt, willst Du uns dazu geben, so schick uns unverzüglich, wir bitten Dich recht sehr darum. Abtheilungen sollen erst nach dem Schluß des Werks erfolgen und jetzt geben wir die Sagen nur in einer gewißen natürlichen Folge. Das Buch wohlfeil zu machen, liegt blos in den Händen des Verkäufers und wohl in der gegenwärtigen Beschaffenheit des Buchhandels. Daß es ein Volksbuch werde, ist unser großer Wunsch, wir können aber nur sorgen, daß innerlich kein Hinderniß sey.“ Und Jacob fügte am Schlusse des Briefes „noch näher“ hinzu: „Der erste Band der deutschen Sagen wird etwa 300 Stücke enthalten, worunter also viel kleine. Soviel haben wir bereits zusammen. Es sind lauter örtliche Sagen von Riesen, Zwergen, Teufelsbau, versunkenen Städten und Menschen, wüthendem Heer und dgl. Alles getreu und wahr ohne Zusatz. In den zweiten Band sollen die schon an historische Namen geknüpften Sagen.“

Unter dem 4. März 1816 schickte Ferdinand seinen Brüdern von sich den „Anfang der Volkssagen“ und schrieb dazu: „Ihr seht, daß ich alles untereinander aufschreibe, wie ich es zusammen liegen habe … Die kleineren Sagen will ich jedoch zu Ende nachbringen, auch dann die des Auslandes. Sollte euch diese und jene schon bekannt (sein), so thut es ja nichts – ich will nächstens die Fortsetzung schicken.“ Er fragte noch: „Wo und wie werden die Sagen gedruckt?“ Und am 12. März meldete er den Brüdern: „Hier die Fortsetzung der Sagen.“

Darauf Wilhelm am 7. April 1816: „Lieber Ferdinand, Deine sämmtlichen Beiträge zu den Sagen sind richtig nacheinander angelangt, wir haben sie soviel als möglich benutzt, wie Du in dem Buche sehen wirst: Schade, daß wir einige nicht früher erhalten hatten. Es sind jetzt schon 22 Bogen gedruckt, es wird wohl an 30 geben, dazu in gr. 8. Ich würde das Buch, wie alle, an Reimer gegeben haben, wenn ich nicht gerade, als es fertig war, lange auf Antwort gewartet, da wollte ich ihm nicht wieder einen Brief, dazu mit einem Antrag, schreiben, und bot es Nicolai an, der ohne weiteres bereitwillig war. Das Buch wird in Göttingen gedruckt, damit wir die Correctur besorgen können.“

Wie es üblich ist, waren die Aushängebogen vom Göttinger Drucker Röwer der Verlagshandlung zugeschickt worden. Die [57] letztere, vertreten durch Parthey, lernte die Sagen nun erst im Druck richtig kennen und zog den naheliegenden Vergleich zwischen der Gestalt der Sagen und der der Märchen. Dieser Vergleich scheint bei Parthey nicht zugunsten der Sagen ausgefallen zu sein. Er bemängelte die Kürze einzelner Sagen, die dem Interesse der Leser schaden könnte; er hätte wohl eine dichterische, seiner Meinung mehr anziehende Ausgestaltung der Sagen gewünscht. Auch wünschte er über Umfang und voraussichtlichen Abschluß des Buches sowie über seine Honorarverpflichtung ins reine zu kommen. Dies muß der Inhalt eines (nicht erhaltenen) Briefes gewesen sein, den Parthey an die Brüder Grimm richtete, und auf den Wilhelm – mit Jacobs Einverständnis nach Ausweis der einen Änderung – folgende Antwort gab:

Caßel am 4. April 1816.     

 Ew. Wohlgeboren

würde ich den Titel des Buchs zugeschickt haben, wenn nicht Hr. Röwer ihn schon vor 3. Wochen, wie ich glaubte, zu demselben Zweck für Sie von mir erhalten hätte. Er ist einfach:

Deutsche Sagen

[3][gesammelt] herausgegeben
durch

die Brüder Grimm.

Das Werk ist auf 3 Bände berechnet. Der zukünftige zweite enthält solche, die man Stammsagen nennen könnte, die nämlich mehr an geschichtlich bestimmte Personen gebunden sind; der dritte soll eine Untersuchung über das Wesen der Sagen und Erklärung des Ganzen enthalten. Doch besteht jeder Band als ein besonderes Werk für sich und um weder Ew. Wohlgeboren noch mich zu binden, habe ich nicht erster Band auf den Titel wollen setzen laßen.

Daß einige Stücke kürzer sind, als bei den Märchen, ist richtig und liegt in der Natur der Sache. Sollten sie, was ich nicht einsehe, darum weniger unterhaltend seyn, so wächst ihnen dagegen das besondere Intereße zu, das jeder an den Sagen seiner Gegend und seines Orts hat. Bei einer dichterischen Umarbeitung würde ihr wißenschaftlicher Werth verloren gegangen seyn. Wäre ich aber überhaupt nicht überzeugt, daß sie ein Publicum, wie die Kinder- und Hausmärchen fänden, von denen mir eben eine neue Auflage angekündigt wird, so würde ich gar kein Honorar gefordert haben.

Ich hatte als höchste Zahl 25 Bogen angegeben, ich sehe aber, daß etwa 30 ausgefüllt werden. Ich konnte dies unmöglich voraussehen, [58] da es zum Theil von dem Drucker abhing, den ich mehrmals ermahnt habe, so eng als möglich zusammenzurücken. (Er wird übrigens das Buch noch zur Meße liefern, denn es sind eben, wie ich glaube, 21. Bogen gesetzt.) Sollte Ihnen diese größere Anzahl der Bogen unangenehm seyn, so bleibt es bei meinem Wort und ich mache Ihnen, wenn Sie es so wollen, gern folgenden Vorschlag:

Sie bezahlen mir nur das ausgehaltene Honorar für die von mir im Voraus bestimmten 25 Bogen, für die übrigen erst dann, wenn Sie in der Folge den Absatz des Buchs beurtheilen können, oder wenn Sie auch den Verlag des zweiten Bandes wünschen. Es hängt dies natürlich ganz von Ihnen ab, aber ich bin dann versichert, nichts unbilliges anzunehmen.

Mit vollkommener Hochachtung 

Ew. Wohlgeboren ergebenster 
W. Grimm. 


Indessen ging der Druck der Sagen rüstig weiter und war bereits beendigt, als Wilhelm am 10. Mai 1816 zu Arnim nach Wiepersdorf abreiste. Jacob meldete nämlich am 12. Mai seinem Bruder Ferdinand: „Ich hoffe, daß Du nun die Sagen bald empfangen wirst, es ist Dir ein besonderes Exemplar besorgt worden, auch stelle ich mir im Sinn Deiner Meinung vor, daß Dir Art und Weise der Einrichtung gefällt. Einige neue wirst Du finden, andere beßer, als Du sie vorher kanntest. Was Du uns mitgeteilt hast, ist so gut es noch ging, genutzt; zu einigem war es zu spät. Einiges anderes konnte, als außerdeutsch, nicht aufgenommen werden. Daß Reimer das Buch nicht hat, ist Zufall, wo nicht seine Schuld, weil er einigemal auf Briefe nicht geantwortet; ich denke, er wird uns für andere Unternehmungen es nicht entgelten laßen. Ohnedem fragt sich: ob dies Sagenbuch so abgeht, wie das Märchenbuch; es ist nicht so fürs allgemeine Lesepublicum, namentlich nicht für Frauen; dagegen wird es vielleicht auf der anderen Seite mehr von sogenannten Geschichtsforschern gekauft. Lange war ich unschlüßig, ob nicht mit dem zweiten Band müßte angefangen werden, der in gewißer Absicht intereßanter wird; indeßen soll dieser erste (Localsagen enthaltende) sobald immer möglich zu weiterer mündlicher Sammlung ermuntern und sich den Leuten als ein Muster für Gegenstand und Darstellung anbieten. Hat die Sache Erfolg, so erwarte ich reichliche Beiträge, so daß der Inhalt dieses Theils der Sammlung sich aufs Doppelte und Dreifache vermehren kann. Den historischen Sagen, die im zweiten Theil folgen, wird dagegen nur wenig zugethan werden mögen.

Du erwähnst in Deinen Beiträgen folgender Sagen als zu bekannt, [59] um sie uns mitzutheilen. Ich wünsche sie aber gelegentlich doch zu erhalten: 1) vom zweigeschwänzten Löwen im böhmischen Wappen, 2) von Hainz von Stain (bairisch), 3) von der Klettenberger Höhle, 4) von den nackenden Mägden zu Magdeburg, 5) von der verfluchten Todtenglocke zu Hartenstein im Erzgebirg, 6) von der Nonne zu Gehofen in Thüringen, 7) vom Twingherr zu Ringgenberg, 8) vom Alp auf dem Rützliberg, 9) vom Leukerthal, 10) vom Vöglein v. Kyburg, 10) vom Drachenfels, 11) von der Noth Gottes am Rhein.“ (Vgl. die Sagen, die Wilhelm von Albert von Boyneburg haben mochte, „Zeitschr. f. d. A.“ 41, 117.)

Auf diese Fragen hat Jacob, wie es zu gehen pflegt, niemals einen schriftlichen Bescheid erhalten. Mit Wilhelm sah Ferdinand sich Anfangs Juni in Wiepersdorf wieder. Bald traf auch das fertige Exemplar der Deutschen Sagen bei ihm in Berlin ein. Der Band war „Unserm Bruder Ludwig Emil Grimm aus herzlicher Liebe zugeeignet“; am Schlusse der Vorrede heißt es: „(Wir) danken hiermit öffentlich unserm Bruder Ferdinand Grimm und unsern Freunden August von Haxthausen und Carove, daß sie uns schon fleißig unterstützt haben“. Ferdinand antwortete am 15. Juni: „Liebster Jacob, ich danke hertzlich für das schöne Sagenbuch, und daß ihr mich drinn erwähnt habt, für das Wenige, was ich zugegeben. Auch ists recht schön, daß ihr dem Luis das Buch zugeeignet, dem es gewiß Freude gewährt. Die Eintheilung ist auch recht gut: ich hoffe für das Buch viel Freunde, dann solls an Beiträgen nicht mangeln, denn unbestreitlich lassen sich noch eine bedeutende Zahl Sagen zusammenfinden. Vielleicht könnt ihr einen Band noch vor den historischen, oder einen Theil von diesen zu den örtlichen herausgeben. In diesen Tagen sind mir mehrere sehr schöne mündlich zugekommen, und denke mir durch das Buch andere zu gewinnen.“

Arbeitende Menschen machen die Erfahrung, daß ihnen bei jedem Werk, das sie fertigstellen, von seiten der Empfangenden bereits auch schon die Frage: Wann erscheint der nächste Band? entgegenschallt. So erging es damals Jacob und Wilhelm Grimm. Kaum daß ihr Sagenbuch da war, fragte auch schon Ferdinand am 21. August 1816 aus Berlin die Brüder: „Wie geht es mit dem 2. Bande der Sagen? ich kann euch, sobald ihr wollt, was ich noch dazu habe, schicken. Nicolais zeigen das Buch fleißig an, und es geht recht ordentlich.“

Die in den öffentlichen Rezensieranstalten geübte handwerksmäßige Kritik verhielt sich ziemlich gleichgültig oder überklug gegen die Sagen, so daß Ferdinand Grimm, der die gewöhnlichen Blätter dieser Art verfolgte, am 8. September 1816 den Brüdern meldete: „Im Freimüthigen hat einer (vielleicht Horn) die Sagen [60] schmutzig angezeigt, da dergleichen (so wie auch in d. Jen. Z.) keine Kritik genannt werden kann, so erregt das Geschwätz, wie es auch überall geschehen, nur großen Unwillen. Der Kuhnsche Freimüthige wird sich jedoch nicht lange mehr halten können.“ Worauf Jacobs Brief vom 11. September 1816 insgesamt antwortete: „Es soll mir lieb sein, wenn die Sagen gut gehen; die Märchen wurden wenigstens gar nicht recensirt, aber diese armen Sagen sind nun schon von Merkel im Freimüthigen und neuerdings in der Jenaer L. Z. von dem Esel, dem Vulpius (L. P.), angefochten worden, welches ihnen doch schaden könnte. Ich scheue mich daher Nicolai den zweiten Band, der ganz zum Druck fertig liegt, anzubieten, wiewohl er in vieler Hinsicht wichtiger, als der erste wird und auch ein größeres Publicum intereßirt. Schick mir aber immer, was du von Sagen gesammelt hast, es ist mir der Ordnung wegen je eher je lieber. Sonderbar, daß diese beiden Bücher von uns nie einem unschuldigen Recensenten, wie man ihrer doch viele voraussetzen müßte, in Hände gerathen sind.“ Noch bat Jacob seinen Bruder Ferdinand: „Könntest Du nicht im Freimüthigen von 1814, den wir hier nicht haben, die Sage von Zwergbroten bei der adlichen Familie Bomsen finden und ausschreiben? Erwähnt in Büschings wöchentlichen Nachrichten I. 292. wo glaub ich auch die Nummer angegeben steht.“

Ferdinand drängte weiter auf den zweiten Band zu; am 4. Oktober 1816: „Hier kommen auch die Sagen, nächstens vielleicht noch ein Paar, die ich aus Breslau erwarte; ich denke, daß ihr anfangen könnt, den zweiten Band zu drucken, da er doch gewissermaßen zum ersten Band gehört, und deshalb gar leichtlich an Nicolais schreiben. Vulpius, von dem der Sagen Rec. in d. J. Z. herrührt, und der gewiß auch den Dobeneck dort angezeigt hat, muß doch ein höchst lächerlicher Mann sein; ich glaube, er erwartet, daß man seine Schriften, besonders die Bibl. d. rom. Wunderb., die er an allen Ecken citirt, erwähnen soll, und die Nichterwähnung derselben hat ihn geärgert.“

Wilhelm darauf am 22. Oktober 1816 an Ferdinand: „Deinen Brief mit den Sagen haben wir richtig erhalten und danken Dir für alles, was Du uns hierin gesammelt hast. Der zweite Band ist wohl fertig, aber wir warten noch etwas, um erst gewißer über den Erfolg des ersten zu seyn, so daß Nicolai keinen Anstand dabei nimmt. Kannst Du mir etwas über den ungefähren Abgang des Buchs schreiben, so wäre es mir lieb, ich fürchte doch, daß die elenden Recensionen ihm etwas geschadet haben.“ Noch am Schlusse dieses Jahres, am 31. Dezember, kam Ferdinand auf die Sagen zurück, nicht ohne außer dem zweiten Bande nun noch ein weiteres Werk zu fordern: „Hier noch ein Paar Sagen, die liegen [61] geblieben waren. Nehmt ihr wol zu den geschichtlichen die des Michael Kohlhaas, die mir recht merkwürdig scheint, z. B. daß sein Körper noch drei Tage, als Zeichen der Unschuld, geblutet habe und a. m. viel davon in Haftiz märk. Chron. von 1540; jetzt wäre es auch wol recht, wenn ihr das Buch über Sagen-Poesie herausgäbet, da es fast nothwendig zu den Sagen gehört, und Vielen lieb sein würde.“ Die Sage vom Michael Kohlhaas, die seine Brüder aber nicht aufnahmen, weist auf Ferdinand Grimms damalige Neigung und Vorliebe für Heinrich von Kleists Werke, wie ich sie in meinem Buche „Neue Kunde von Heinrich von Kleist“ dargestellt habe.

Ein halbes Jahr lang ist nun zwischen den Brüdern von den Deutschen Sagen keine Rede. Die Ostermesse kam und ging vorüber. Als die Nicolaische Buchhandlung den Absatz übersehen konnte, wandte sie sich mit folgendem Schreiben an „Herrn Bibliothekar Grimm“ in Kassel:

Berlin d. 6. Juny 1817.     

 Ew. Wohlgeboren

haben mir erlaubt, meinen Entschluß wegen Annahme und Druck einer Fortsetzung der Sagen bis zum Schluß der Leipziger Messe unausgesprochen zu lassen. Ich sehe mich iezt genöthigt das Unternehmen mit diesem ersten Bande zu begränzen. Das Buch ist nicht eigendlich schlecht gegangen, aber doch nicht so, daß ich auf meine Kosten gekommen wäre. Wenn ich auch dahin nach und nach gelange, so ist dieß für den Kaufmann nicht Aufmunterung genug. Leider sind bey unserm Handel so viele Mißbräuche eingeschlichen, an die das kaufende Publikum seinen Theil nimmt, daß man fast nur kaufmännisch denken und iede lieberale Gesinnung unterdrücken muß. Von Vorliebe für ein Werk ist fast nicht die Rede mehr, diese muß ganz schweigen. Und ich kann sagen, daß ich Ihre Sagen mit wahrer Liebe gedruckt und gelesen habe. Auch an Anzeigen habe ich es nicht fehlen lassen, die zum Theil auch ihre Wirkung nicht verfehlten. Aber in Wahrheit, iezt ist fast keine Frage mehr danach und in der ganzen Messe, die ich selbst besorgt, ist nur 1 Exemplar verlangt.

Wenn Ew. Wohlgeboren meine Erklärung unangenehm seyn sollte, so trage ich dieß Gefühl als Mittheiler gewiß auch. Nichtsweniger bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihr Vertrauen und schätze es mir zur Ehre mit Ihnen in Verbindung gekommen zu seyn.

Mit größter Hochachtung bin ich Ew. Wohlgeboren

ganz ergeb. 

Nicolaische Buchhandlung. 


Unerkennbar bei der Lückenhaftigkeit des Materials ist es, wie es trotz dieser motivierten Ablehnung dennoch binnen kurzem [62] zu einem Angebot kam, das die Nicolaische Buchhandlung am 1. Juli 1817 Jacob Grimm machte. Das Schreiben selbst ist zwar nicht erhalten, aber am Kopfe des folgenden Briefes von Jacob steht seitens der Nicolaischen Buchhandlung notiert: „1. Juli ist ihm geschrieben: 1) der neue Band erscheint Ostern 1818. 2) Druck nicht in Göttingen, sondern Erfurt oder Halle. 3) Honorar statt 2 nur 1 Friedrichsdor, zahlbar gleich nach Ostern 1819, wenn wir auf die Kosten kommen.“

Auf diese beiden, die zweite die erste aufhebende, Zuschriften antwortete Jacob Grimm:

Caßel den 28. Juli 1817.     

 Ew. Wohlgeboren

danke ich für die Gefälligkeit, daß Sie auch den zweiten Band der Sagen verlegen wollen. Sie werden weder dabei wagen, noch es bereuen, denn das Buch enthält eine sorgfältige Sammlung von Dingen, die noch nicht zusammengestellt sind. Der Verzug ist mir das unangenehmste, indeßen ist es nicht meine Art, daß ich erst nochmals andern Verlegern neue Anträge machen möchte. Ich bitte mir blos einen Monat vorher zu melden, wann und an wen ich das Manuscript abzusenden habe, es ist noch an Kleinigkeiten letzte Hand zu legen und das thut man nicht gern lange voraus. Dem deutschen Buchhandel wird sein immer steigendes, ungeduldiges Wesen zuletzt Auflösung und andere Gestalt herbeiführen, es soll alles und mit jedem Werk in den ersten Meßen abgethan werden. Große Werke, die ruhig gearbeitet werden und sich darum auch ruhig verkaufen wollen, können, wenn nicht anderes Günstiges dazwischentritt, fast nicht mehr erscheinen. Wer hätte den Muth, Quartanten und Folianten voll Urkunden drucken zu laßen, wie noch vor 50 Jahren geschah?

Unter diesen Umständen werden Sie Sich wundern, daß ich Ihnen einen neuen Antrag thue, er ist von besonderer Art und von mir mehrfach überschlagen worden.

Ich habe seit mehreren Jahren durch fleißige unausgesetzte Arbeit eine Deutsche Grammatik zu stande gebracht, sie ist ganz ausführlich und geschichtlich und leitet, was noch nie geschehen ist, die heutige deutsche Grammatik aus der ältesten und mittleren ab, sie liefert daher eine vollständige Geschichte unsrer Sprache von Anfang bis zu Ende, ich habe den Ulfilas, Otfried pp kurz alle und jede Quelle mehrmals durchstudiert und bin auf die merkwürdigsten Entdeckungen gerathen. Es gibt in Deutschland nur eine gelehrte Grammatik, das ist die von Adelung, alle neueren von Reinbek, Heinsius und wie sie heißen mögen, sind oberflächliches Zeug. Adelung war gründlich, aber nicht historisch genug und sein ganzes System muß bei einer historischen Beleuchtung häufig zerfallen.

[63] Über diesem Werk habe ich Tag und Nacht geseßen und es ist mir viel werth. Ich berechne es auf zwei starke Octavbände, die lauter neue Untersuchungen mit steten Belegen liefern. Wollen Sie es unter folgenden Bedingungen, von denen ich nicht leicht abgehen werde, übernehmen? Sie sind der erste Buchhändler, mit dem ich darüber spreche.

1) Der Druck des ersten Theils, der die Declinationen und Conjugationen enthalten wird (für jede Zeit der deutschen Sprache, auch mit Erläuterung der angelsächsischen und nordischen) muß binnen Monatsfrist beginnen und ich die Correctur selbst besorgen, denn es kommt auf eine Menge genauer und correcter Citate an. Dieser erste Band wird, soviel ich sehen kann, wenigstens 40. Bogen in sparlichem Druck und groß 8. ausmachen. Der zweite Band, enthaltend das übrige, namentlich Syntax, erfolgt erst nach zwei Jahren.

2) für den ersten Band nehme ich durchaus in dieser Auflage gar kein Honorar, halte mir aber aus, daß nur 250 Exemplare gedruckt werden. Deshalb kommt es mir auf einen redlichen Verleger an. Für die zweite Auflage hingegen bedinge ich mir drei Friedrichsdor p. Bogen aus.

3) für den zweiten Band, gleich bei der ersten Auflage, zwei Friedrichsdor p. Bogen.

Hiermit glaube ich alles vorzuschlagen, was bei der heutigen Lage des Buchhandels ein Schriftsteller, dem an der ungehemmten Erscheinung seines Werkes liegt, vorschlagen muß.

Ihre Druckkosten p. Bogen rechne ich auf 6 [F.][WS 2], macht 240 [F.], laßen Sie uns aber, weil es auch mehr als 40 Bogen seyn können, annehmen 300 [F.]. Diesen ersten Band setzen Sie im Preis 2½ [F.] bis 3 [F.], wir wollen also den Werth und Erlös dieser 250 Ex. zu 700 [F.] anschlagen. Verkaufen Sie nur 200 Ex. so sind Sie mir nichts schuldig, haben aber Ihre Kosten doch gedeckt, eigentlich schon mit 100 Ex. Ich glaube aber, daß die 250. bald abgesetzt seyn werden, weil das Buch ein Hauptbedürfniß ist und dient 1) denen, die unsre alte Sprache studiren 2) denen, die unsre heutige Sprache gründlich wißen wollen.

Hierüber antworten Sie mir gefällig sobald Sie Sich entschließen, und falls Sie keine Lust bezeigen, bitte ich der Sache gegen niemand zu gedenken. Wünschen Sie im Fall der Annahme eine Probe in Heinsius Sprachanzeiger eingerückt, so kann es geschehen, doch thue ich es eben nicht gerne.

Mit Hochachtung und Empfehlung 

Ihr ergebenster Dr [Diener]     
Jacob Grimm. 


[64] Man wird nebenher die Eröffnungen über die Grammatik nicht ohne Teilnahme lesen und ebenso von der ablehnenden Antwort der Buchhandlung Kenntnis nehmen:

Berlin, d. 28. August 1817.     

 Ew. Wohlgeboren

sind also wegen Herausgabe und Druck der Fortsetzung der Sagen mit mir einverstanden, und es macht mir dieß Vergnügen, da ich ganz mit Ihnen der Meinung bin, daß diese Sammlung einen bleibenden Werth behalten werde. Der Absatz wird aber immer nur langsam sein, und dies berechnen müssend, konnte ich nicht so ganz auf die alten Bedingungen eingehen. Da der Band Ostern 1818 zur Messe kommt, so hat es mit dem Anfang des Druckes noch bis im Dezember oder Januar Zeit, bis wohin ich sicher neues und gutes Papier zu haben gedenke. Ich werde, wie Sie es selbst wünschen, dann um das Manuscript schreiben und Sie wahrscheinlich bitten es nach Erfurt zu adressiren.

Möchte doch Ihre Prophezeiung, daß dem deutschen Buchhandel eine völlige Umgestaltung bevorstehe, in Erfüllung gehen! Nöthig ist diese gewiß, das drängt sich mir alle Tage auf. Das aber werden Sie auch gern einräumen, daß auch das Verhältniß des Gelehrten, des Autors gegen den Buchhändler ein ganz anderes geworden ist. Als man noch mit leichtem Sinne Folianten und Quartanten voll Urkunden druckte, da ward kaum an Honorarzahlung gedacht oder es war unbeschreiblich wenig. Ich kann darüber viel in den Urkunden dieser Handlung nachsehn, die nun über hundert Jahr besteht. Jetzt sind der Buchhändler viel wie Sand am Meer, von denen sich viele, vieles erlauben. In Berlin waren vor 40 Jahren 3 bis 4 Handlungen, jetzt über 30! In einer glücklichen Zeit wurde ein Buch studirt und die Wissenschaft gewann, jetzt ist (außer den belletristischen Büchern) eine Encyclopädie, ein Conversationslexicon oft für den ganzen Mann fürs ganze Leben hinreichend. Bei hundertmal mehr Büchern, die man alle anschaffen muß, wird nur halb so viel gewonnen. Es ist wirklich war, es muß einmal anders mit uns werden, die Zeit wird kommen, aber dazu läßt sich nichts thun.

Sie haben noch die Güte gehabt mir Ihre allgemeine deutsche Grammatik zum Verlag anzutragen. Es sind mancherlei Gründe, die mich abhalten, es zu übernehmen, einer ist auch die Art der Abrechnung, die Sie darüber machen und von der ich zweifle, daß sie ein Buchhändler eingehen kann. Aber ich habe auch schon wieder so viel zu drucken, daß ich fast zu vollauf beschäftigt bin. Diese Handlung wird nach s. Nicolais Tode in einer Art von Administration fortgeführt, was vielleicht Schuld ist, daß ich mit etwas mehr Besorglichkeit zu Werke gehe, als auf andere Weise [65] nöthig wäre, welche Besorglichkeit ich indeß mancher anderen Buchhandlung anrathen mögte.

Ew. Wohlgeboren scheinen mir so gesinnt zu sein, daß Ihnen eine offene und kurze Erklärung die liebsten sind, und in diesem Geiste habe ich Ew. Wohlgeboren immer geschrieben und auch heute.

Glauben Sie nun aber auch der Versicherung meiner wahren und vollkommensten Hochachtung, mit der ich mich unterschreibe Ew. Wohlgeboren ergebene

Nicolaische Buchhandlung.     

Führte auch der Versuch mit der Deutschen Grammatik zu keinem Ergebnis, so war doch wenigstens der zweite Band der Sagen gesichert. Und auf die Nachricht davon antwortete Ferdinand Grimm am 10. August 1817 den Brüdern: „Den zweiten Band der Sagen habt ihr also in Ordnung und enthält er nun bloß historische oder kommen auch noch andre hinzu? Ich glaube, daß das Buch hübschen Abgang hat, recht viele Menschen kennen es. Durch einen mir sehr gewognen Bekannten, Herrn von Kaiserlingk bei der Gesandtschaft in Petersburg, hoffe ich euch Sagen und Märchen aus Rußland zu verschaffen.“ Indessen ging die Zurüstung des zweiten Bandes stetig vorwärts. Jacob, der ungeduldige, meinte am 20. November 1817 zu Ferdinand: „Der zweite Band der Sagen muß nun bald in Druck kommen,“ und dann am 13. Dezember: „Es hat mit dem dritten Band der Sagen noch Zeit, mache gleichwohl Deine Beiträge unter der Hand fertig, sie sind mir sehr lieb.“ Es war auch gerade hohe Zeit, denn unterwegs befand sich schon der Brief, der das Sagen-Manuskript zum Druck einforderte. Dieser Brief an Grimms lautete:

Berlin, den 12. Dezember 1817     

 Ew. Wohlgeboren

sind hoffendlich noch willens unter den zwischen uns ausgemachten Bedingungen den neuen Band der Sagen drucken zu lassen. Da nun Aussicht ist ein gutes Papier erhalten zu können, so ersuche ich Ew. Wohlgeboren das Manuscript recht bald

an die Müllersche Buchdruckerei
(Herrn Ohlenroth)
in Erfurt

zu adressiren. Für gute Correctur in Erfurt ist gesorgt. Wenn ich noch eine Bitte hinzufügen darf, so ist es die den Band nicht stärker als den ersten zu machen, eher minder, damit er wohlfeil wird und dadurch vielleicht auch der erste noch etwas abgeht, der iezt gänzlich danieder liegt.

Mit größter Hochachtung Ew. Wohlgeboren ergebene

Nicolaische Buchhandlung.     

[66] Die Brüder Grimm in Kassel legten jetzt rasch die letzte Hand an die Druckvorlage. In noch nicht zwei Wochen war die Arbeit beendet. Am 2. Christtag 1817 konnte Wilhelm an Ferdinand schreiben: „Heute geht das Manuscript vom 2ten Bande unserer Sagen nach Erfurt, wo es für Nicolai gedruckt wird, zur Ostermeße wird es dann fertig. Es enthält die geschichtlichen Sagen von Tacitus an und viel merkwürdiges und auch schönes; manches ist aus den Heidelbergischen Handschriften dabei. Der Band wird indeß nicht so stark werden, wie der erste, dagegen haben wir auch schon ziemlich für einen zukünftigen dritten gesammelt, der wieder mündliche Sagen enthalten soll.“

Über das Vorschreiten des Druckes habe ich keinerlei Zeugnis. Von der Leipziger Messe aus geschrieben ist folgendes unfreiwillig komisch-sentimentale Blatt:

 Ew. Wohlgeboren

empfangen hier 16 Ex. Ihrer Sagen 2 auf Druckpapier, 5 Ex. hell, 2 Ex. Velin, noch einige Aushängebogen und einen Brief, den mir der Erfurter Buchdrucker zu diesem Zweck gegeben hat. Gebe der Himmel seinen Segen zu dem Buche, zu unserem beiderseitigen Nutzen. Im Gedränge der Meßgeschäfte füge ich iezt nur noch die Versicherung meiner größten Hochachtung hinzu, mit der ich verbleibe Ew. Wohlgeboren ergebene Nicolaische Buchhandlung. Leipzig, am 30. April 1818.

Aber die angezeigten Exemplare blieben lange aus. Erst am 6. Juni 1818 schrieb Wilhelm Grimm nach Berlin: „Lieber Ferdinand, ich habe immer auf die Sagen gewartet, um dir dabei zu schreiben, sie sind aber so lange ausgeblieben, daß Du sie vielleicht schon eher in Händen gehabt hast, als dieses Dir bestimmte Exemplar anlangt. Es wird nun noch ein Band werden, und da dieser wieder mündliche Überlieferungen aufnehmen soll, so kannst Du immer dafür noch sammeln.“ Worauf nun Ferdinand aus Berlin am 14. Juli 1818: „Liebste Brüder, ich danke herzlich für den zweiten Band Sagen, der mir wahre Freude bereitet. Das herrliche Buch geht seiner Vollendung entgegen, und wird mit dem dritten Band recht geschlossen und ausgewachsen dastehn, zur Freude Aller, die die Geschichte studieren und lieb haben. Man möchte nun gleich auch den Schlußband haben, und ganz besonders die erklärenden Anmerkungen, worauf ich mich so freue. Ihr habt übrigens, wie mir dünkt, mit dem Aufnehmen der einzelnen Sagen strenger verfahren.“ Also auch gleich wieder die Forderung nicht bloß nach einem neuen Sagenbande, sondern sogar noch nach dem literarischen Bande über die Sagen. Beides, das hier so rasch gefordert wird, ist überhaupt nicht erschienen.

Der dritte Band mit Sagen, nicht über Sagen, wurde [67] wohl noch von den drei Brüdern im Sommer 1818, wo Ferdinand nach Kassel kam, mehrfach als möglich besprochen. Darauf bezieht sich Ferdinands neue Äußerung aus Berlin am 6. Dezember 1818: „Wenn ihr den dritten Band Sagen zum Druck gebt, so sagt es mir, damit ich noch zusammenschreibe, was ich habe; ich habe es früher thun wollen.“ Darauf Wilhelms Antwort am 14. Dezember: „Der dritte Band der Sagen wird sich wohl, sobald wir zu Ostern Nachricht über den Erfolg des zweiten haben, entscheiden. Schick nur immer, was Du hast.“ Doch erst am 23. Mai 1819 Ferdinand: „Ich lege diese Paar Sagen bei, und meine fast, Dir damit etwas zu schenken, was ich so gern wollte, und ist so wenig, wie alles, was ich geben kann“ – und weiter: „Im dritten Band laßt doch endlich auch die Rheinsagen folgen, so wie die besten von Rübezahl. Vogts Buch ist unzugänglich und die andern meist unbekannt, die besten gewiß.“ Die Mahnung über die Rheinsagen und Rübezahlsagen bezieht sich darauf, daß Jacob Grimm diese beiden Sagengruppen ausdrücklich in der Vorrede von seinem Plane ausgeschlossen hatte, die Rheinsagen unter Hinweis auf Nikolas Vogts Ankündigung 1816, die in seinem vierbändigen Werke „Rheinische Geschichten und Sagen“ (Frankfurt 1817) zwar erfüllt ist, aber im Sinne einer Sagensammlung doch nur unvollkommen.

„Dein wiederhohlter Beitrag zu den deutschen Sagen“, erwiderte Jacob dem Bruder am 30. Juni 1819, „war recht willkommen, wann aber die Fortsetzung, wozu ein reichlicher Haufe Sammlungen vorliegt, erscheinen soll, hängt vom Verleger ab, der nichts von sich hören läßt und wohl mit dem Absatz des zweiten Bandes wenig zufrieden ist. Das liegt weder an den Sachen noch an uns, sondern an der Erschlaffung des Publikums, die hoffentlich auch einmal aufhören muß.“ Endlich kam der Bescheid des Verlegers:

Berlin, den 24. Juli 1819.     

 Wohlgeborner
 Hochzuehrender Herr Bibliothekar!

Es ist meine Pflicht, nach beendigter Leipziger Juli-Messe, Ew. Wohlgeboren von dem stattgehabten Absatz Ihrer Sagen 2. Theil Auskunft zu geben. Zu meinem Vergnügen ist der Verkauf in dem Jahre so gut gewesen als man verlangen kann, doch sind die Kosten noch nicht gedeckt, wie das auch nur selten in einem Jahre geschieht. Dennoch mögte ich, wenn Sie es wünschen, Ihnen iezt einstweilen die Hälfte des besprochenen Honorars, also iezt 12½ Stück Frdor bezahlen. Wollen Sie mir anzeigen, auf welchem Wege ich diese Abzahlung leisten kann? vielleicht sogar hier in Berlin an Ihren Herrn Bruder?

[68] In den Heidelberger Jahrbüchern 1819 Mai steht eine recht vortheilhafte Rezension von den Sagen, die vielleicht einige Wirkung thut. Ohne Zweifel ist Ihnen solche schon zu Gesicht gekommen.

Ew. Wohlgeboren Antwort entgegensehend unterzeichne ich mit wahrer Hochachtung Ew. Wohlgeboren ergebne

Nicolaische Buchhandlung.     

Damit bricht jede Verhandlung über die Sagen zwischen dem Verleger und den Autoren ab. Der Verleger muß keinerlei Lust zu weiterer Übernahme bezeigt haben, und so ist alles, was die Brüder auf diesem Gebiete noch planten, ins Stocken geraten.

Dasjenige Werk aber, das einen guten Teil des nachgesammelten Sagenmaterials in sich aufgenommen hat, ja das in gewissem Sinne das beabsichtigte Buch über die Sagen, ihren Wert, ihre Bedeutung zu ersetzen vermag, ist: Die deutsche Mythologie. Alter, Ursprünglichkeit und Zusammenhang der deutschen und der nordischen Mythologie – denn um die beiden handelt es sich – beruhen auf dem deutlichen Niederschlag der Göttermythen in einzelne, heutzutage noch lebende Volkssagen und andere Redensarten. Z. B. die Zwergensage kennt fast überall einen König. Zwei ausführliche Wichtelsagen werden mitgeteilt, eine westfälische Sage. Hütchens Rennpfad und Heinze, Heinzelmann, Polterkater, Katermann drücken Schnelligkeit und Fußausstattung aus. Riesensagen finden sich vom Harz und aus dem Odenwald, der starke Hans und der schmiedende Siegfried mengt sich mit entgegengesetzten Helden usf. Die ganze Mythologie ist mit Anklängen an die deutschen Sagen, alten und neuen, durchzogen.


[225]
III.

Was den Text der Sagen betrifft, so war ich unter fortgesetzter Heranziehung des Handexemplars bemüht, die reine Fassung der Grimmschen Sagen wiederzugewinnen. Diesem Bestreben stemmten sich mehrfache Schwierigkeiten entgegen. Die handschriftlichen Vorlagen wurden in den Druckereien aufgebraucht und haben sich nicht erhalten; der Druck fand auch nicht in Kassel, sondern für den ersten Band in Göttingen, für den zweiten in Erfurt statt. Die durch die Entfernung des Druckortes entstandenen Schäden ließen sich aber teils durch scharfe Prüfung der Texte unmittelbar erkennen, teils ergaben sie sich aus der Vergleichung mit den Urstellen, soweit diese gedruckt zur Verfügung stehen; denn für alle als „mündlich“ bezeichneten Sagen fällt die Möglichkeit der Textvergleichung fort. Wie nun aus der Vergleichung mit den Originalstellen sich manche notwendige Berichtigung des Sagenvortrages ergab, so wurde auch wiederum manche Bestätigung dessen erzielt, was, dem ersten Blicke auffällig, zu einer Änderung geneigt machen möchte, oder auch tatsächlich schon geändert worden war. Darüber hinaus gewährte diese Vergleichung der Sagen mit ihren Urstellen den eigentlichen Einblick in die historisch und dichterisch schaffende Tätigkeit der Brüder Grimm, wie es sonst nicht möglich gewesen wäre. Die Brüder haben höchst selten ihre Sagen den Urstellen wortwörtlich entnommen, sondern den Vortrag nach bestimmten Gesichtspunkten umgeformt und geordnet, die freilich die zehnjährige Entstehungszeit der Sagen hindurch nicht die gleichen blieben, und die auch für Jacob und für Wilhelm individuell verschieden waren. Es gewährt ein ästhetisches Vergnügen seltener Art, genau zu beobachten und mitzufühlen, durch welche stilistischen und kompositionellen Mittel sie den ihnen eigentümlichen Sagenvortrag geschaffen haben; freilich kommt es vor, daß auch einmal eine Änderung mißraten ist, hat doch auch z. B. Goethe nach unserem Geschmack einzelne Verse seiner „Suleika“ verschlechtert. In solchen Fällen müssen wir uns hüten, die Sagenerzähler Grimms zu verbessern, da wir doch nur den Text der Sagen auf die ihnen gemäße Reinheit zurückbringen dürfen. Etwas anderes ist es hingegen, wenn offenbarer, äußerlicher Irrtum störend wirkt und zum leichten, von Grimms selbst gewollten Verständnis der Ausmerzung harrt. Grimms Sagenbearbeitung durchläuft alle denkbaren Stufen des Nach- und Neuschaffens, [226] von einfacher oder erheblicher Einzeländerung bis zur Umbildung einzelner Sätze und ganzer Satzpartien, ja erreicht in den sogenannten Prosaauflösungen oder in der ausschälenden Darstellung des sagenhaften Kernes aus moderner Überrankung den Grad freier, schriftstellerischer Tätigkeit. Eine Überschau über die wichtigeren Beispiele, die ich gesammelt habe, soll die Bestätigung im einzelnen wie im ganzen erbringen, wobei ich ausdrücklich betone, daß ich nicht alle Einzelheiten berühren kann, sondern mich auf das Wesentlichere beschränken will.

Unter den Sagen der ersten Strecke begegnen verhältnismäßig viel mündliche, im allgemeinen korrekt gedruckt; auch die nach gedruckten Quellen dargebotenen Sagen sind kaum irgendwo zu beanstanden. Erst mit Nr. 43 beginnen die Veränderungen und Umdeutungen.

Nr. 43–46, S. 55–58. Ursprünglich hatten diese vier Seiten, wovon ich einen einzigen Abzug besitze, die vier Sagen: 43 „Der Krug des Erdmännleins“, 44 „Das Erdmännlein und der Schäferjung“, 45 „Die Silber-Quelle“, 46 „Zeitelmoos“. Da nun aber der Text der Sagen auf S. 160 „Das quellende Silber“ enthielt, d. h. eine Sage, die mit der als Nr. 45 gegebenen sachlich übereinstimmte, aber äußerlich etwas abwich, so war an einer Stelle eine andere Sage einzuschalten. Es geschah auf die Weise, daß Nr. 45 „Die Silber-Quelle“ aufgegeben wurde und dafür „Der einkehrende Zwerg“ eintrat; zur Folge hatte dies wieder, daß 43 „Der Krug des Erdmännleins“ durch „Die Osenburger Zwerge“ ersetzt wurde. Die beiden Sagen „Das Erdmännlein und der Schäferjung“ sowie „Zeitelmoos“ blieben. Jene beiden lauteten:

43.
Der Krug des Erdmännleins.
Happel rel. curios. II. 513.

Ein hundertjähriger Wirth im Oldenburgischen, nicht weit vom Offenberg, erzählte einem Reisenden, wie solches Wirthshaus bei seinem Großvater treffliche Nahrung gehabt. Wenn er gebrauet, so wären aus dem Offenberg die Erdmännlein gekommen und hätten das Bier ganz warm aus der Butte abgeholt, auch immer dafür unbekannte, sehr gute Silbermünze gegeben. Einsmals hätte ein altes Männlein Bier geholt, aber weil es davon zu viel getrunken, so wäre es entschlafen. Als es erwacht, hätte es gar zu weinen und zu klagen angefangen, sein Großvater würde es, wegen des langen Ausbleibens, schlagen. Hierauf hätte es den Krug stehen gelassen und wäre eilig davon gelaufen. Derselbe Krug hätte nun, so lang er ganz geblieben, dem Hause gute Nahrung gebracht, nachdem er zerbrochen, wäre aber diese verschwunden.

[227]
45.
Die Silber-Quelle.

Grundmann geist- und weltliche Geschichtschule S. 184 ff.
Joh. Prätorius im Rübezahl S. 401–403.
vgl. Lessing’s Collect. I. 122.

Als Herzog Heinrich Julius von Braunschweig regierte, hat sich im Februar des Jahres 1605 (wie Huldreich Brenner, der an dem Ort die Geschichte selbst erkundigt, meldet) zugetragen, daß eine Meile von Quedlinburg, zum Thal genannt, ein armer Bauersmann seine Tochter ausgeschickt, Brennholz zu lesen, wozu sie einen Trag- und Hand-Korb mitgenommen. Auf dem Heimweg begegnet ihr nun ein weißgekleidetes Männlein und fragte: „was sie trage?“ Sie antwortete: „ich habe Holz gelesen zum Kochen und Heizen.“ Das Männlein sagte: „schütte das Holz aus, ich will dir andere Sachen, nützer denn das Holz, für deine Körbe zeigen.“ Dessen weigerte sich das Mägdlein und wollte seines Weges fortgehen, wurde aber von dem Geist gewaltig an einen Hügel geführt, da auf einem Platz, zweier Tische breit, lauter Silber gelegen, groß und klein gemünzt mit fast einem Marienbild und verschiedenes Schriftgepräges. Als solches Silber vor ihm gleichsam aus der Erde herausgequollen, hat sich das Mägdlein entsetzt und zu weinen angefangen, auch nicht das Holz ausschütten gewollt. Aber der Mann leerte den Handkorb selber aus, füllte ihn voll Silbers, das wäre besser dann Holz. Während sie ihn genommen, in Bestürzung und Verwunderung dieser Dinge, begehrte das Männlein den Tragkorb auch, um Silber drein zu fassen, welches sie dennoch nicht gethan, vorwendend, wie sie auch Holz nach Haus bringen müsse, weil kleine Kinder daheim seyen, einer warmen Stube bedürftig; endlich sey auch solches zum Kochen nöthig. Hiermit zufrieden hat das Männlein gesprochen: „nun so zeuch damit hin!“

Nachdem das Mägdlein mit dem Silber im Dorfe angelangt und das Gerücht von der Geschichte sich verbreitet hat, sind die Bauern in Haufen nach dem angezeigten Platz gelaufen, haben aber die Geldquelle nirgends gefunden, deßwegen sie ungeschaffet wieder abziehen gemußt.

Da ihm solche Begebniß zukommen, hat der Fürst von Braunschweig alsbald ein Pfund von dem Silber zu sich holen lassen, imgleichen hat der Bürger aus Halberstadt, N. Everkan, auch ein Pfund an sich gelöset.

Nr. 49 (Der Wassermann) folgt Prätorius’ Weltgeschichte I. 482. Grimms Sage hat im ersten Druck (1816): „Der Mann … befand, daß alles hübsch aufgelaufen, lobete darum die Wehmutter“. Das anstößige „aufgelaufen“ ist erst in der 3. Auflage, nach Sprachgefühl, in „abgelaufen“ geändert. Prätorius aber [228] bietet: „Der Mann … hette … befunden, daß es alles hübsch war abgelauffen: Drumb er die Wehemutter gelobet“; ich habe also „abgelaufen“ mit Bewußtsein im Texte belassen.

In Nr. 54 (Der Schwimmer) erklärt sich der Bäckersknecht zu einer Schwimmwette bereit, wofern ihm seine Kameraden „einen Thaler aufsetzten“. Die späteren Auflagen haben dafür „aussetzten“. Da aber Bräuners Curiositäten S. 37, als Quelle, bieten: „dafern sie ihm einen Taler aufsetzten“, mußte die echte Form „aufsetzten“ wieder eingeführt werden.

Nr. 59 (Mummelsee). Die drei ersten Ausgaben bieten das Unwort „Hanfräpe“; aus dem Simplicissimus, als der Quelle, ergibt sich aber „Hanfräze“ als das richtige; in einen solchen „Pfuhl zum Anfeuchten des Hanfes“ wünschte sich der Wassermann aus dem Mummelsee schlafen zu legen.

Nr. 65 (Vor den Nixen hilft Dosten und Dorant) folgt verschiedenen Sagen des Prätorius als Quellen. Der Nix sagt bei Grimms zu der von seiner Frau gewarnten Wehmutter: „Das hast du nicht von dir selber, sondern mit eines Weibes Kalbe gepflügt“, doch bald darauf: „Das hast du auch von meinem Weibe gelernt.“ Der Sinn verlangt aber auch an der ersteren Stelle: „mit meines Weibes Kalbe“. Zu dieser Änderung nötigt überdies der Urtext bei Prätorius (1, 108): „Das hastu von dir selber nicht, du hast mit meines Weibes Kalbe gepflüget.“

In Nr. 66 (Des Nixes Beine) wird erzählt, wie „ein Weib vor ein Balbiershaus gekommen, der nahe am Wasser gewohnet“. Das ungewöhnliche Relativ „der“ geht auf den Genitiv in der Zusammensetzung „Balbiershaus“. Prätorius’ Weltbeschreibung (1, 533) gibt auch: „ein Weib für ein Balbiers-Hauß gekommen, der …“, nur daß die Beziehung nach der teilenden Schreibung „Balbiers-Hauß“ und nach damaliger Art leichter erscheint.

Nr. 73 (Der Kobold in der Mühle). „Der Kobold brauste ein paarmal in der Stube auf und ab“': nicht von „brausen“, sondern von „brausten“: vgl. Deutsches Wörterbuch 2, 330.

Nr. 81 (Der Wechselbalg). Bei Grimms läßt die Frau ihr Kind auf die „Cyriaks-Wiese“ tragen und „wiegen“ und ihm aus dem „Cyriaks-Brunnen“ zu trinken geben. In Bräuners Curiositäten (1737 S. 6) als Quelle steht aber, die Frau „wolle ihr Kind … auf die Cyriacks-Wiegen tragen, und wiegen lassen“; „Cyriacks-Wiege“ folgt auch bei Bräuner noch einmal, wo Grimms umschreiben. Also auch bei Grimms ist wieder „Cyriakswiege“ herzustellen. Offenbar wünschte der Berliner Korrektor von 1816 zu dem Cyriaksbrunnen auch eine Cyriakswiese zu haben.

Nr. 85 (Das Vogelnest): nach dem Simplicissimus cap. 23. aber in Einzelheiten geändert; nur die sachlich und formell richtige Wortfolge der Quelle: „auf dem Baum sehe ich dich selbst [229] nicht“, bestimmte mich, das bei Grimms verstellte „selbst“ an den rechten Ort zu rücken.

In Nr. 94 (Johann von Passau) heißt es bei Grimms: „da wird der Mann scheltig und fluchet den gewöhnlichen Fluch“ – in Luthers Tischreden (1576) steht aber „schellig“, ebenso in der Ausgabe 1568 S. 213a, woraus es das Deutsche Wörterbuch zitiert. Trotzdem habe ich „scheltig“ nicht geändert, da Grimms vielleicht absichtlich das ungewöhnliche Wort „schellig“ durch das verständlichere „scheltig“ ersetzt haben.

Nr. 102 (Die heiligen Quellen) ist aus einer Reisebeschreibung herausgeschält, die ein Ungenannter im Morgenblatt 1808 Nr. 247 S. 987 gibt. Ich stelle seine Schilderung und Grimms Sage nebeneinander.

Morgenblatt: Grimms:
„Im Geiste des Volkes … war mir besonders die Mischung von religiösen oder auch ganz fabelhaften Umständen … auffallend: so die heiligen Quellen, die im Rütli während des Eides plötzlich entsprungen seyn sollen; so die Sage, daß einer der Schwörenden den Bund verrathen habe, und ihm sogleich Feuer zu Mund und Nase herausgefahren sey, und sein Haus von selbst zu brennen angefangen habe usw.“ Das Schweizer Landvolk redet noch von den heiligen Quellen, die im Rütli plötzlich entsprungen, als da der große Eidschwur geschah, und wie einem der Schwörenden, der den Bund verrathen, sogleich Feuer zu Mund und Nase ausgefahren sei, auch sein Haus von selbst angefangen habe zu brennen.

Man sieht, daß Grimms scheinbar einheitliche Sage eigentlich aus zweien zusammengearbeitet ist, auf die die Überschrift „Die heiligen Quellen“ eigentlich nicht mehr ganz paßt.

Nr. 105 (Der Liebenbach). Eine stilistische Vorgestalt der Sage findet sich im Briefwechsel zwischen Arnim und Grimms (S. 324; vgl. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 1903. S. 301), wo Wilhelm schreibt: „In einer kleinen hessischen Landstadt fließt ein Bach, der das Trinkwasser gibt und der Liebenbach heißt. Zwei Liebende nämlich konnten die Einwilligung zu ihrer Verheiratung von ihren Eltern nicht erhalten, bis sie versprachen, eine Quelle auf einem gegenüberliegenden Berg herüberzuleiten und der Stadt dadurch Wasser zu verschaffen. Sie gruben nun zusammen 40 Jahre, und als sie fertig waren, starben sie beide in demselben Augenblick.“ Für die „Sagen“ ist dann eine stilistische Fortbildung erfolgt, die Stadt heißt jetzt Spangenberg in Hessen. Übrigens zeigt auch der Zusammenhang, in dem die Vorgestalt erscheint, den politischen Gesichtspunkt, unter dem Wilhelm die Sage ursprünglich aufgefaßt hat.

Nr. 108 (Hessental). Aus einem sich durch mehrere Nummern des Freymüthigen 1806 fortziehenden Artikel des Freiherrn [230] von Münchhausen „Kleine Reisen oder Wallfahrten ins Heidenland und zu den Trümmern der Vorwelt“ bildeten die Brüder Grimm (Nr. 47 S. 186) folgende Stelle zu ihrer Sage „Hessental“ um.

Münchhausen: Grimms:
Nach dem gesellschaftlich verzehrten Mittagsmahl besuchten wir die Trümmer der alten Schelln-Pyrmont, der Sage nach ein gewesener Wohnsitz der Thusnelda. – – – Thusnelda habe, so sagt die Legende, einen Vogel gehabt, der reden konnte. Dieser Vogel sey frei umher geflogen und stets wieder zu seiner Herrschaft zurück gekommen. Eines Tages sey er aus dem Hessenthale – einem Waldgrunde am Burgberge – herauf gekommen, und habe beständig gerufen: „Hessenthal blank! Hessenthal blank!“ Man habe zugesehen, eine Cohorte Römer sey schon bis in das Hessenthal vorgedrungen gewesen und hätte beinahe das Thor erreicht gehabt, um die Burg Thusneldens zu überfallen. Schnelle Rüstung zur Gegenwehr und der eiserne Muth der Deutschen habe den Angriff abgeschlagen. So sey Thusnelde und ihre Burg durch den plaudernden Vogel gerettet worden. Die alte Burg Schellenpyrmont liegt nun in Trümmern, da soll der Sage nach vormals Thusneldens Sitz gewesen sein. Thusnelde hatte einen Vogel, der reden konnte. Eines Tages kam er aus dem Hessenthal, einem Waldgrunde am Burgberg, herauf und schrie in einem fort: „Hessenthal blank! Hessenthal blank!“ damit die in dies Thal vorgedrungenen Römer in ihren blanken Rüstungen anzudeuten, und die Deutschen gewannen nun Zeit, sich gegen den Ueberfall des Feindes zu rüsten.

Nr. 112 (Der Ochsenberg) und Nr. 111 (Arendsee). Sehr lehrreich für die Art, wie die Brüder Grimm ihren gedruckten Vorlagen das rein Sagenhafte entnahmen und neu formten, sind die Quellstellen beider Sagen aus Prätorius’ „neuer Weltbeschreibung von allerley Wunderbaren Menschen“ (Magdeburg 1666). Daselbst heißt es (1, 95): „im Stifft Magdeburg, nit weit von Erxleben, noch zur Alten Marck gehörige Refier, da liegt ein grosses wacker lustiges Dorff, mit Nahmen Urschleben, (wovon auch das alte verfallene Schloß Alvenschleben nicht weit liegt,) wo meine sel. Mutter bürtig her ist: welche mir in der Jugend etliche mahl dieses vor zu sagen wuste, von der grossen See, so hinter dem Dorffe, etwan ein Büchsenschuß davon ist, mit Nahmen Brock; wie daselbsten vor Zeiten solle ein schönes Schloß gestanden seyn, welches hernach untergangen were, und hette davor das grosse Wasser aufkommen lassen. Nemlich es sollen alle Leute drinnen damit versunken seyn, ausgenommen eine Edel-Jungfer, die im Traum kurtz vorher gewarnet, sich, wie vorweilen Europa, auf einen Ochsen gesetzet (nachdeme das übrige Vieh und die Hüner sonderlich, sehr traurige Zeichen eines sehr grossen bevorstehenden [231] Unglücks von sich hatten verlauten lassen,) und davon geritten ist, da sie denn kaum mit genauer Noth, auff einem nahe dabey gelegenen Hügel gerathen ist, als flugs hinter sie her das Schloß versuncken, und das Wasser hingegen auffgekommen gewesen: welches sie mit grosser Bestürtzung, aufn Ochsen sitzende vom selbigen Hügel hinter sich sehend, innen geworden ist. Davon man noch heutiges Tages den erhabenen Ort, den Ochsenberg heisset, oder auf Niedersächsisch, Oßenberg.“ Und weiter (1, 97) für Nr. 111: „Mercke hier, von einem benachbarten Orte Arend-See, daß daselbst auch eine sehr grosse See sey, die fast uff eben den vorigen Schlag uhrplötzlich soll entstanden seyn: In deme auch ein groß Schloß untergegangen, und nicht mehr davon gekommen weren, als ein Mann und Weib: davon das Weib im fortgehen ohne Gefähr zu rücke gesehen, u. die schleunige Verenderunge innen geworden ist, gegen ihren Mann mit diesen Verwunderungs-Worten herauß brechende: Arend, sehe! und aus diesen Wörtern sol hernach dem Städtlein der Nahme geworden seyn, so an der See aufferbauet ist. Woselbst ich nicht minder mit Augen gewesen bin, und mich unter andern über das sehr schöne kleine und weisse Streu-Sand, so in grosser Menge in einem kleinen Bergelein hervor raget, verwundert habe: Als welches auch von weiten auff viel Meilen, durch die Boten in Cantzeleien geholet, ja von Hamburg begehret wird. So bin ich auch in dem Jungfrauen Kloster gewesen: Dessen, nebenst der gar greßlichen See, die aber in einer Nacht Anno 815. sol entstanden seyn, auch M. Andreas Angelus gedencket in Annal. March. Brandenb. I. 2. f. 93. Im übrigen wegen der See-Brock sol dieses gewiß seyn [man wil es auch von Arend-See sagen,] wie es meiner Sel. Mutter Vater soll gesaget haben, als der ein bestellter Fischer daselbst gewesen: Nemlich, daß man beym hellen Tage, wenn die Sonne helle scheinet, man alle Mauren und Gebäude des versunkenen Schlosses richtig sehen könne. Weiter wollen noch andere vorgeben, daß man einmahl vorgehabt habe das Wasser zu gründen, da hetten sie am Stricke einen Zettel herauff bekommen, mit diesem Gebote: daß sie ihr Vornehmen weiter unterlassen solten, oder es würde ihrem Orte wiederfahren, wie diesem geschehen were.“

Man wolle dazu die beiden Grimmschen Sagen vergleichen, um der Grimmschen Arbeitsweise recht innezuwerden.

Nr. 125 (Der Glockenguß zu Breslau) und Nr. 126 (Der Glockenguß zu Attendorn) sind gegenüber dem früheren Druck in der „Zeitung für Einsiedler“ Nr. 20 umgeformt worden.

Nr. 128 (Johann Hübner) entstammt Henrich Stillings Jugend (1777, S. 71–75). Bei Stilling erzählt Wilhelm dem Dortchen die Sage, indem sie vor den Ruinen des Schlosses sitzen. [232] Grimms aber haben, um die Sage allgemein zu halten, sämtliche örtlichen Hinweise, wie „da“, „dort“ usw. fortgebracht, mit einziger (wohl übersehener) Ausnahme am Anfang: „sie … trieben es dort in den Hof“. Das „du“ der Erzählung wurde in „man“ verwandelt. Die Urstelle hat: „da saßen sie und soffen Bier“; Grimms dafür: „da tranken sie zusammen“. Druckfehler war wohl bei Grimms: „Wie er aufsaß“ anstatt des originalen: „Wie er aufsah“. Was der „Giller“ ist, kann man nur aus einer früheren Stelle bei Stilling (S. 5) erfahren, wonach eine Stunde vom Dorfe Florenburg in Westfalen das Dörfchen Tiefenbach liege, von seiner Lage zwischen Bergen so genannt: „der östliche Berg heißt der Giller“; hingegen heißt der nördliche Berg der Geißenberg, auf dessen Spitze die Ruinen eines alten Schlosses liegen, und von diesem Geißenberger Schlosse kann man bis an den Rhein sehen.

Nr. 129 (Eppela Gaila) in freier Behandlung der von Grimms vermerkten Quellen.

Nr. 133 (Der heil. Niklas und der Dieb). „Mein heil. Niclaus, du hasts redlicher gewonnen,“ sagt bei Grimms der Kirchendieb zum Bilde des Heiligen; die Urstelle in Prätorius’ Weltbeschreibung (1, 200) lautet aber: „Mein Herr Nicol, du hast redlich gewonnen“, was in Anrede, Objektlosigkeit und einfachem „redlich“ besser erscheint. Dagegen rechtfertigt die Urstelle den Sagentext: „Die Teufel … warfen ihn bei den geraubten Gotteskasten“.

Nr. 134 (Riesensteine), Prätorius (1, 591) ziemlich frei nacherzählt. Bei Grimms: „Ein solcher Stein liegt zu Leipzig beim Kuhthurm am Wege“. Prätorius dagegen: „Wie ein dergleichen Stein bey Leipzig beym Kirchthurme am Wege lieget“. Der Grimmsche „Kuhthurm“ beruht also auf einem Druckfehler und war wieder durch den „Kirchthurm“ zu ersetzen; „ein Schmarre“, gleichfalls Druckfehler für „eine Schmarre“.

Nr. 144 (Verkündigung des Verderbens). Nach Prätorius’ Weltbeschreibung, unter auffälliger Bewahrung der altertümlichen Vortragsform, wohingegen einzelne Wortersetzungen, wie „über das Wesen … des Mannes“ für ursprüngliches „über der Person … des Mannes“ wieder modern sind. Nach der Urstelle: „so haben doch ihrer sehr viel ihme gespottet“, mußte bei Grimms das fehlerhafte „ihn“ in „ihm“ verändert werden.

Nr. 152 ff. Aus den „Volks-Sagen, nacherzählt von Otmar, Bremen 1800“, die schon Arnim und Brentano rühmten, haben die Brüder Grimm eine Reihe von Harzsagen geschöpft: Nr. 152 (Der Abzug des Zwergvolks über die Brücke), Nr. 153 (Der Zug der Zwerge über den Berg), Nr. 154 (Die Zwerge bei Dardesheim), Nr. 155 (Schmidt Riechert), Nr. 183 (Die Teufelsmühle), Nr. 189 (Des Teufels Tanzplatz), Nr. 200 (Der Lügenstein) usw. Keine Sage ist jedoch wörtlich übernommen, sondern sämtlich überarbeitet. [233] Am wenigsten noch die Sagen 152 und 153, Nr. 152 jedoch mit einer Verschlechterung. Nach Otmar S. 327 war es Bedingung, daß niemand beim Abzug der Zwerge zugegen sein dürfe: „Doch einige Neugierige hatten sich unter der Brücke versteckt, um den Abzug der Zwerge wenigstens zu hören“; wo man bei Grimms „gesteckt“ statt „versteckt“ liest. In Nr. 154 sind verschiedene Stücke zusammengearbeitet. Wie bewußt die Brüder bereits ihren Sagenstil beherrschten und durchführten, sieht man an Nr. 183 und 189: Otmars Vortrag wird gekürzt und zusammengezogen, ein Verfahren, durch das erst die Otmarschen Sagen Rundung und Schluß gewinnen.

Nr. 170 (Der Tannhäuser). Nacherzählung des Liedes „Der Tannhäuser“ im Wunderhorn 1, 86, wo es heißt: Venus-Berg von Kornmann, dann in Prätorii Blocksberg-Verrichtung. Leipzig, 1668. S. 19–25. Die Nacherzählung schließt sich eng an, vermeidet die Hauptmasse der Fragen und Antworten (des Dialogs), schärft die Motive.

Nr. 171 (Der wilde Jäger Hackelberg) aus Wendunmuth 4, S. 342. Die Anlehnung ist eng, unter reichlicher Beibehaltung alter Sprachformen, indes doch auch mit absichtlichen syntaktischen Änderungen. Die Sage gibt: „unten am Ende lag die Zwerch, ein erhabener rother (ich halt Wacken-) Stein“. Man mußte „Zwerch“ wie einen Eigennamen verstehen. Das Original aber hat: „vnten am End dieses Platzs, lag die zwerch ein erhabener roter (ich halt wacken) Stein“. Es ist also in Grimms Sage als sehr wichtig das Komma zu streichen, damit der reine Sinn des Satzes wieder vortrete.

Nr. 176 (Geistermahl) sehr freie Behandlung von Bräuners Curiositäten S. 336–340: etwas Purismus, z. B. Laquay durch „Hof-Diener“ wiedergegeben.

Nr. 184 (Der Herrgottstritt). Das Taschenbuch für häusliche und gesellschaftliche Freuden auf das Jahr 1800, S. 129–136, gibt bekannt: „Der Herrgotts Tritt, auf dem Rosenstein bei Heubach. Eine wirtembergische Volkssage. Auf einem Felsen der Alb, bei Heubach sieht man die Ruinen der Burg Rosenstein. Auf der äussersten Spitze des Felsen war noch vor kurzem, – ob durch Spielwerk der Natur, oder durch Menschentrug? – die deutliche Spur eines Menschenfußes zu sehn, die, einem Befehl der Regierung zu Folge, Vogt Griesinger mit Pulver zersprengen ließ, weil, von der Nachbarschaft aus, abergläubischer Unfug darauf getrieben wurde. Auf dem Berge gegenüber geht die Spur eines Trittes landeinwärts, wie sie auf Rosenstein auswärts geht … Gegenüber im Walde liegt die Kapelle der wunderthätigen Maria vom Beißwang. Links, in einer Kluft, die Teufelsklinge genannt, fließt manchmal trübes Wasser aus [234] dem Berge, wahrscheinlich nach lang anhaltendem Regen auf den Gebürgen … Hinter dem Schlosse steht noch ein ausgehöhlter Felsen, welchen man die Scheuer (Scheune) nennt.“

In 20 vierzeiligen Strophen folgt nun, also in 80 Zeilen, die ödeste Schilderung der Sage, die Grimms in 16 Prosazeilen (nach der 4. Auflage) abmachten, indem sie gleichsam nach Stichworten in dem Gedichte die echte sagenhafte Erzählung wiederherstellten, ein auch sonst beobachtetes Verfahren. Daß der Einlieferer und Dichter nun gerade Jakob Grimmer hieß, mag für Jacob Grimm und seine Brüder noch ein besonderer Nebenspaß gewesen sein.

Bei Grimms war und blieb der Eingang der Sage verdorben; er hieß nämlich: „Auf einem Felsen des Alb bei Heuberg … liegen Trümmer der Burg Rosenstein, und unlängst sah man da die Spur eines schönen menschlichen Fußes“ usw. Da, wie Jakob Grimmer, auch Prätorius in seiner Weltbeschreibung den Ortsnamen Heubach bietet, war danach bei Grimms mit Gewißheit Heuberg zu ändern, ebenso auch verschriebenes oder verdrucktes „des Alb“ in „der Alb“ (d. h. der Schwäbischen Alb) zu bessern. Dann aber auch schien ratsam, da es bei Grimmer „die Ruinen“ heißt, bei Grimms auch „die Trümmer“ herzustellen, wie gleich darauf „die Spur“ es zu verlangen scheint; wobei zu bemerken ist, daß die Ersetzung von „Ruinen“ durch „Trümmer“ wieder unter dem Einfluß der puristischen Zeitbestrebungen erfolgt ist.

Nr. 191 (Das Teufelsohrkissen). Die Brüder zitieren als Quelle „Morgenblatt 1811, Nr. 208, S. 830“. Daselbst steht ein längerer Aufsatz über „Schloß Bentheim“, von K. A. Varnhagen, den die jungen Grimms nicht mochten. Sie haben eine kurze Stelle als Sage aus dem Aufsatz herausgeschält.

Varnhagen: Grimms:
Westwärts stehen dicht am Fuße des Schlosses einige sonderbare glattgeschwemmte Felsen abgesondert da, die von ungeheurer Wasserfluth zeugen, durch die sie während undenklichen Zeiten sind gespült worden. Einer derselben, oben flach wie ein aufrechtstehender runder Pfühl, wird das Ohrkissen des Teufels genannt, der einmal, der Sage nach, darauf geschlafen hat, und von dem man die Spuren seines eingedrückten Ohrs in einigen auf dem Steine verzeichneten Linien noch erkennen will. (Folgt rationalistische Betrachtung über das Aussterben der Sagen.) Am Fuße des Schlosses Bentheim stehen einige sonderbare, glatte Felsen. Einer derselben, oben flach, wie ein aufrechtstehender runder Pfühl, wird Teufelsohrkissen genannt, weil der Teufel einmal drauf geschlafen habe. Die Spuren seines Ohrs drückten sich in den Stein und sind noch sichtbar darauf.

Die Sage Nr. 203 (Der Turm zu Schartfeld) bietet übereinstimmend mit Letzners Dasselischer Chronik einmal die Form [235] „Münch“, dann aber abweichend viermal die Form „Mönch“: Grimms wollten also zur gewöhnlichen Form des Wortes übergehen, nur aus Versehen blieb die ältere einmal stehen; ich habe daher auch das erstemal „Mönch“ (für „Münch“) gesetzt.

Nr. 205 (Des Teufels Hut). Das Taschenbuch für das Jahr 1816. Der Liebe und Freundschaft gewidmet, S. 287. hat:

Der große Stein.
Volkssage.

Es liegt ein großer Stein,
Der wohl so schwer kann seyn,
Daß hundert Pferd’ ihn nicht vom Platz bewegen;
Und wem daran gelegen,
Der Sache auf den Grund zu kommen,
Dem dien’ zu Nutz und Frommen:
Er liegt bei einem Dorf, das Ehrenberg[4] genannt,
Wie jeder weiß, der dort herum bekannt.

Von diesem Steine thut man sagen,
Daß sich, in grauer Vorwelt Tagen,
Mit ihm der böse Feind ergötzt,
Und ihn als Spielwerk auf den Kopf gesetzt.
Er trug ihn leicht, wie einen Sommerhut,
Und ging umher mit kühnem Frevelmuth.

„Wer kann, spricht er, gleich mir den schweren Stein bezwingen?
Selbst ihm, der ihn gemacht, wird’s nicht so leicht gelingen;
Er läßt ihn ruhen, wo er ruht,
Obwohl er groß mit seiner Stärke thut.“

Da tritt zu ihm, in lichter Strahlen Schein,
Der Höllenbrut Bezwinger,
Und steckt den schweren Stein
Sich an den kleinen Finger. –
Geblendet und beschämt entweicht der Feind zur Hölle,
Und nimmer sieht man ihn hinfort an dieser Stelle. –
Doch heut’ges Tags noch schaut man klar,
Wo einst der Kopf des Teufels war,
Und unsers Herrgotts Finger.

Henriette Schubert.     

Aus diesem Gedicht machten die Brüder Grimm die Sage: „Des Teufels Hut. Nicht weit von Altenburg bei dem Dorfe Ehrenberg liegt ein mächtiger Stein, so groß und schwer, daß ihn hundert Pferde nicht fortziehen würden. Vorzeiten trieb der Teufel sein Spiel damit, indem er ihn auf den Kopf sich legte, damit herumging und ihn als einen Hut trug. Einmal sprach er mit Stolz und Hochmut: „Wer kann wie ich diesen Stein tragen? selbst der ihn erschaffen, vermag’s nicht und läßt ihn liegen, wo er liegt!“ Da erschien Christus der Herr, nahm den Stein, steckte ihn an seinen kleinen Finger und trug ihn daran. Beschämt und [236] gedemütigt wich der Teufel und ließ sich nie wieder an diesem Orte erblicken. Und noch heute sieht man in dem Stein den Abdruck von des Teufels Haupt und von des Herrn Finger.“

Nr. 214 (Der Werwolfstein). Aus Otmar S. 273. Der Sagenvortrag ist kürzer gefaßt, an die Stelle von subordinierten Sätzen treten koordinierte, in der Weise z. B., daß Otmar bietet: „Inzwischen kümmerte dies die meisten Bewohner dieser Gegend nur wenig, da er [der Unbekannte] unter dem Namen des Alten überall bekannt war, und öfters, ohne Aufsehn zu erregen, in die Dörfer kam, um seine Dienste anzubieten, die er auch zur Zufriedenheit der Landleute verrichtete,“ wofür wir in der Grimmschen Sage folgende Sätze lesen: „Ueberall bekannt unter dem Namen des Alten kam er öfters ohne Aufsehen in die Dörfer, bot seine Dienste an und verrichtete sie zu der Landleute Zufriedenheit.“ Es ist kein Zweifel, daß Otmars Sage in Grimms Bearbeitung ungemein an Gefälligkeit, Rundung und Gedrängtheit des Inhalts gewonnen hat.

Nr. 217 (Winkelried und der Lindwurm). Frei nach Etterlins Chronik (Basel 1764) behandelt; das Dorf in Unterwalden heißt bei Etterlin „Wyle“ und „Oedwile“, bei Grimms „Wyler“ und „Ödwyler“.

Nr. 221 (Die Jungfrau im Oselberg). Die Sage haben Grimms aus folgender Urstelle zurechtgemacht: „Martini Crusii Paralipomenos rerum Suevicarum liber 1596. cap. 17. p. 68: Inter Dinckelsbyhelam et Hankammum mons altus Oselberg transverse iacet: qui non facile potest curru. aut equo, transiri. Sub eo est pagus, cui nomen est Auffkirch. Ille ergo, qui de loco in locum ire vult: necesse habet: circuire hunc montem. Unde proverbium de homine moroso est: Ich mein, es jrre dich der Oselberg. In eo monte quondam arx stetit (testantibus id etiamnum fossis) sed aut ab Hunnis, aut ab imperialibus civitatibus destructa est. Unica ibi virgo fuit, domina Arcis: quae fertur, cum muris occubuisse. Antea autem, cum patri suo viduo rem familiarem tueretur, claves omnium conclauium habuisse. Postea rumor est ortus, eius animam, seu spiritum circumvagari eius arcis περίβολον, sive murum: ac nocte cuiusque Angariae Sabbatina, cum fasce clavium de cingulo, habitu virginis, conspici. Contra, senes rusticani eius loci se ex patribus audisse ferunt: illam virginem fuisse ethnici viri filiam: ac mutatam esse in magnum et horribilem serpentem: habentem caput et pectus virginis: clavibus de collo pendentibus: et plerumque quatuor angarijs Anni cerni. G. Wideman.“

Nr. 233 (Frau Hütt). Die Brüder zitieren: „Vgl. Morgenblatt 1811. Nr. 28“. Schlägt man nach, so findet man einen Aufsatz „Frau Hütt“ von Matthisson und sieht sofort, daß die Brüder von [237] seinem Texte und seiner Diktion abhängig sind. Trotzdem ist der Unterschied ein ganz gewaltiger. Matthisson schreibt eine modern zugestutzte Empfehlung von Amichs topographischer Karte Tirols, die 1774 schon erschien und von Matthisson als chalkographische Seltenheit ersten Ranges hingestellt wird. Er bemerkt in der Gebirgskette ein gekrümmtes Felsenhorn mit der seltsamen Bezeichnung „Frau Hütt“, und später, als er Tirol selbst betritt, erfährt er vom Grafen Wenceslaus von Wolkenstein die Sage dazu, die er nun mit etwas modernem Raffinement nacherzählt. All dies, zwei Spalten, haben die Brüder Grimm fortgelassen. Dann aber setzen sie Matthissons Schreibart in ihren Sagenstil um, in folgender Weise:

Matthisson: Grimms:
Eines Tages stürzte der kleine Erbprinz, vom gewohnten Morgenspaziergange heimkehrend, mit Schluchzen und Wehklagen in die mütterlichen Arme der vor Entsetzen bebenden Königinn. Schwarzer Schlamm überzog des Knaben Gesicht und Hände, und sein Leibrock glich an Farbe dem rußigen Kittel eines Köhlers. Der junge Enaksenkel hatte sich nämlich angeschickt, eine Tanne zum Steckenpferde abzuknicken. Der Baum stand am Rande eines Morastes. Das verrätherische Erdreich wich unter den Füßen des achtlosen Wildfangs, und im Nu schlug der Moder über seinem Haupte zusammen. Ein günstiger Stern half ihm indeß glücklich wieder auf den festen Boden. Auf eine Zeit kam ihr kleiner Sohn heim, weinte und jammerte, Schlamm bedeckte ihm Gesicht und Hände, dazu sah sein Kleid schwarz aus, wie ein Köhlerkittel. Er hatte sich eine Tanne zum Steckenpferd abknicken wollen, weil der Baum aber am Rande eines Morastes stand, so war das Erdreich unter ihm gewichen und er bis zum Haupt in den Moder gesunken, doch hatte er sich noch glücklich herausgeholfen.

In dieser Weise arbeiteten die Brüder Grimm Matthissons Text weiter um, wo es möglich war, auch enger sich anschließend, bis zum Schlusse, dessen volkstümliche Fassung: „Spart eure Brosamen für die Armen, damit es euch nicht ergehe, wie der Frau Hütt!“ wörtlich beibehalten ist.

Nr. 234 (Der Kindelsberg) lehnt sich gleichfalls an die Erzählung an, die Jung-Stilling in seinen „Jünglings- Jahren“ (oder in der „Neuen Original-Ausgabe“, Basel und Leipzig 1806, S. 29 bis 33) gibt; das Grimmsche Zitat lautet ungenau „Stilling’s Leben II. 24–29“. Ziemlich getreu, bisweilen wörtlich, wird von Grimms nacherzählt, wie ein schönes Ritterfräulein ihrem Bräutigam die Treue hielt, in dessen Abwesenheit der Ritter mit dem schwarzen Pferde um sie warb. Der Schluß der Sage aber, wie er nun bei Grimms folgt, beruht nicht mehr auf dem Texte bei Jung-Stilling, sondern auf einem Volksliede, das lautet:

[238]

Zu Kindelsberg auf dem hohen Schloß,
     Steht eine alte Linde,
Von vielen Ästen kraus und groß,
     Sie saust am kühligen Winde.

Da steht ein Stein, ist breit, ist groß,
     Gar nah an dieser Linde,
Ist grau und rauh von altem Moos,
     Steht fest im kühligen Winde,

Da schläft eine Jungfrau den traurigen Schlaf,
     Die treu war ihrem Ritter,
Das war von der Mark ein edler Graf,
     Ihr wurde das Leben bitter,

Er war mit dem Bruder ins weite Land
     Zur Ritter-Fehde gegangen,
Er gab der Jungfrau die eiserne Hand,
     Sie weinte mit Verlangen,

Die Zeit die war nun lang vorbei,
     Der Graf kam noch nicht wieder,
Mit Sorg und Tränen mancherlei,
     Saß sie bei der Linde nieder,

Da kam der junge Rittersmann
     Auf seinem schwarzen Pferde,
Der sprach die Jungfrau freundlich an,
     Ihr Herze er stolz begehrte.

Die Jungfrau sprach: du kannst mich nie
     Zu deinem Weiblein haben,
Wenns dürr ist das grüne Lindlein hin,
     Dann will ich dein Herze laben,

Die Linde war noch jung und schlank,
     Der Ritter sucht im Lande,
Ein’ dürre Linde so groß, so lang,
     Bis er sie endlich fande,

Er ging wohl in dem Mondenschein,
     Grub aus die grüne Linde,
Und setzt die dürre dahinein,
     Belegt’s mit Rasen geschwinde,

Die Jungfrau stand des Morgens auf,
     Am Fenster war’s so lichte,
Des Lindleins Schatten spielte nicht drauf,
     Schwarz ward’s ihr vor dem Gesichte.

Die Jungfrau lief zur Linde hin,
     Setzt’ sich mit Weinen nieder,
Der Ritter kam mit stolzem Sinn,
     Begehrt ihr Herze wieder.

Die Jungfrau sprach in großer Not:
     Ich kann dich nimmer lieben!
Der stolze Ritter stach sie tot,
     Das tat den Graf betrüben.

Der Graf kam noch denselben Tag,
     Er sah mit traur’gem Mute,

[239]

Wie da bei dürrer Linde lag
     Die Jungfrau in rotem Blute,

Er machte da ein tiefes Grab,
     Der Braut zum Ruhebette,
Und sucht’ eine Linde Berg auf und ab,
     Die setzt’ er an die Stätte.

Und einen großen Stein dazu,
     Der steht noch in dem Winde,
Da schläft die Jungfrau in guter Ruh,
     Im Schatten der grünen Linde.

Aus diesem Liede nun haben die Brüder Grimm ihren Sagentext hergestellt, dem man leicht am ganzen Sinn und an bestimmten Stichworten den Zusammenhang mit dem Texte anmerkt: „Dieser Ritter gewann die schöne Jungfrau auf dem Kindelsberg lieb“ usw. Die Brüder haben hier also den Weg rückwärts gemacht, den wieder jüngere Dichter wie Wilhelm Müller u. a. von ihren deutschen Sagen aus vorwärts taten, indem sie aus den alten Sagen neue volkstümliche Lieder schufen.

Nr. 241 (Der Binger Mäuseturm). Ziemlich eng, doch wieder mit stilistischer Freiheit, in Johann Banges thüringischer Chronik 1599, S. 35b nacherzählt. Den ursprünglichen Ausruf des Bischofs Hatto: „Hört, hört, wie schreien die Kornmeuse“ haben Grimms in das geflügelte Wort: „Hört, hört, wie die Mäuse pfeifen“ umgesetzt. Nur eine Stelle bei Grimms ist weniger gut geraten, nämlich die: „Und wie sie [die Menschen] in die Scheune gegangen waren, schloß er die Thüre zu, steckte mit Feuer an und verbrannte die Scheune sammt den armen Leuten“. Die Anstößigkeit liegt in der Objektlosigkeit von „anstecken“. Der ursprüngliche Text dagegen lautet: „Als sie in die Scheure kamen, Schloß er zu, Steckete sie an mit Fewer vnd verbrandte die Scheuren mit den Armen Leuten“. Wie man sieht, hat bei Grimms die Hinzufügung des Wortes „Thüre“, die die Tilgung des Objekts „sie“ bei „anstecken“ nach sich zog, die nicht mehr heilbare Unbequemlichkeit des Satzes verschuldet.

Nr. 247 (Das Mäuselein). Die Sage schließt sich mit einiger Freiheit an den Text in Prätorius’ Weltbeschreibung 1, 40 f. an. Einzelne Wendungen, die gut und alt scheinen, wie „das gerade gekleffte Fenster“', stehen nicht in der Quelle und sind erst von Grimms eingeführt. Wenn es bei Prätorius nur heißt: „eine vorwitzige Zoofe … rüttelt nicht allein die entseelte Magd, sondern beweget sie auch auff eine andere Stelle etwas fürder“ – bei Grimms aber: „eine vorwitzige Zofe … ging hin zu der entseelten Magd, rüttelte und schüttelte an ihr, bewegte sie auch an eine andre Stelle etwas fürder“, so empfinden wir die Einwirkung der gleichzeitigen Arbeit an den Märchen.

[240] Nr. 249 (Die Katze aus dem Weidenbaum). Auch in dieser Sage „weder mit Rütteln noch Schütteln“.

Nr. 255 (Festgemacht). Die beiden ersten Absätze flossen aus Bräuners Curiositäten S. 365. Auch hier findet man in Grimms Nacherzählen puristische Anwandlungen: statt „Officier“ setzen sie „Kriegsmann“, statt „ausserhalb den Aprochen auf- und abspatzirete“ gleich mehrfach „ging … außerhalb den Laufgräben auf und ab“, statt „Commando-Stab“ den „Befehlshaber-Stab“. Außer „General“ sind sonst absichtlich alle Fremdwörter in dieser Sage vermieden.

Nr. 266 (Todes-Gespenst). Die Sage lautet nur bei Grimms: „Zu Schwatz und Innsbruck in Tirol läßt sich zur Sterbenszeit ein Gespenst sehen, bald klein, bald groß, wie ein Haus. Zu welchem Fenster es hineinschaut, aus demselben Hause sterben die Leute.“ Sie ist nach zwei Stellen des „Höllischen Proteus“ (1690, S. 419 u. 1044) von Erasmus Francisci gebildet, die ziemlich ähnlich sind, dem Wortlaut nach folgt sie jedoch der ersten Stelle. Nun heißt es in der Quelle, das Gespenst sei „bald klein, = bald groß, und so hoch, wie ein Haus“ – oder: „bald klein, bald groß und Haus-hoch“ gewesen. Dies kommt doch etwas besser heraus als der Grimmsche Text; ihn aber im Sinne der Quelle zu ergänzen, war natürlich nicht angebracht.

Nr. 267 (Frau Berta oder die weiße Frau). Die Sage stützt sich auf eine Reihe von Grimms angegebener älterer Quellen, namentlich auf Erasm. Francisci „Höllischen Proteus“, die erste Quelle aber ist irrtümlich „Joh. Jac. Rohde de celebri spectro, quod vulgo die weiße Frau nominant. Königsberg 1723. 4.“ zitiert: es ist aber eine Königsberger Dissertation von Joh. Christoph Nagel, der „praeside M. Joh. Jac. Rohde“ damit promovierte.

Nr. 269 (Der Türst, das Posterli und die Sträggele). Dies ist ein Beispiel, wie Grimms aus einzelnen Andeutungen Sagen zu schaffen verstanden; denn was sie in Sagenform unter Nr. 269 mitteilen, ist in Stalders schweizerischem Idiotikon (1806) vereinzelt und ohne Zusammenhang miteinander unter den drei obigen Wörtern angeführt. Auch die literarische Form kommt allein auf Grimms Rechnung.

Nr. 281 (Weberndes Flammenschloß). Aus dem abentheurlichen Jean Rebhu 2. 8 ff., mit den Änderungen Cavalirs und Damens: Herrn und Frauen; Laqvey: Diener; Mußqvetirer: Kriegsmann.

Nr. 301 (Der Gemsjäger). Eine Sage sehr mäßigen Umfangs, ist mit Grimmschem Geschick aus den rund 200 Hexametern herausgearbeitet, die Wyß in seinen „Idyllen, Volkssagen usw. aus der Schweiz (Bd. 1. 1814)“ über die Sage ergossen hat. Der [241] Stil gehört ganz allein Grimms, nur an einzelnen Stellen trifft man auf Stichwörter, die beiden Darstellungen gemeinsam sind. Daher wächst an einer bei Grimms verdorbenen Stelle („hüte dich mir“, wo wohl „vor mir“ zu lesen ist) aus der Quelle keine Hilfe zu. Sehr interessant ist die Anrede, die der Zwerg auf dem Felsgrat an den Gemsjäger tut: „Warum erlegst du mir lange schon meine Gemsen und lässest mir nicht meine Herde?“ Denn da die Worte in Wyß’ Hexametern keine Stütze haben, liegt unzweifelhaft in Rede und Duft Schillers Gedicht vom „Bergesalten“ in dem Mittel.

Ebenso steht es in allem wesentlichen mit den Sagen 298 (Das Bergmännchen), 220 (Die Schlangenkönigin) und einigen anderen. Prächtig und ganz eigenartig ist Grimms Nacherzählung „Der Grenzlauf“ in Nr. 287, wie der Urner den Glarner mit seinen letzten Kräften aufwärtsträgt; die Vergleichung der Sage mit Wyß’ Hexametern bringt zwei Verbesserungen: „gegen die Scheideck“ (nicht „das“) und das „Lintthal“, nicht „Linthal“, wie bei Grimms gedruckt ist, denn es handelt sich um das Tal der Linth.

Nr. 303 (Der Zwerg und die Wunderblume). Aus Otmars Volkssagen S. 145 ff. Bei Otmar steigt ein armer Hirt zum Kyffhäuser auf, der mit einem guten, aber ebenfalls armen Mädchen verlobt ist. Weil er sie nicht heiraten kann, ist er betrübt; die glänzenden Steine aber, die er auf dem Kyffhäuser findet, und die sich in lauter Goldstücke verwandeln, ermöglichen ihm den Ankauf von einem Hüttchen und einem Stück Acker dazu, und sie wurden in einem Monat Mann und Frau. Grimms haben die Verlobung des Schäfers gänzlich ausgeschieden und die Sage rein für sich erzählt; nur freilich der Eingang, daß der Schäfer „immer trauriger“ den Berg hinanstieg, deutet noch auf die Fassung bei Otmar hin, denn in Grimms Sinne ist der Ausdruck „immer trauriger“ ohne Grund.

Nr. 304 (Der Nix an der Kelle). Ist fast wörtlich aus Otmar S. 328, nur war aus der daselbst gegebenen Ortsbestimmung der Kelle, daß sie „unweit der Werne im Hohensteinischen“ liege, die entsprechende Angabe „unweit Werne“ durch Zufügung eines „der“ zu berichtigen; denn Werne ist kein Ort, sondern ein kleines Flüßchen.

Nr. 305 (Schwarzach). Der zweite Absatz einer Sage, die in der Badischen Wochenschrift 1807. Stück 34 erzählt worden war. Die anonyme Erzählerin war, wie ich früher in den Neuen Heidelberger Jahrbüchern (1891, 6, 62 ff.) dargetan habe, die Frau Auguste (von) Pattberg, geb. von Kettner, die auch zu des Knaben Wunderhorn einige Lieder geliefert hat. Aber die Brüder haben ihre etwas umständlich erzählte Sage von der Burg Schwarzach sehr energisch zusammengestrichen und so einen Text hergestellt, [242] der kaum mit dem der Frau Pattberg einige Ähnlichkeit aufzuweisen vermöchte.

Nr. 307 (Der tote Bräutigam). Folgt der Darstellung in Prätorius’ Weltbeschreibung 1, 105 in recht freier Weise. Bemerkenswert ist, daß Grimms durchgängig „die Nixe“ statt „des Nix“, wie die Quelle bietet, setzten. Es kam daher, daß die Brüder den „toten Bräutigam“ zur Hauptperson der Sage machten und ihn, als er ertrunken war, gleichsam als Opfer der Nixe, nicht des Nixen, hinstellten.

Nr. 309 (Haus Jagenteufel). Auch sehr freie Nacherzählung in Prätorius’ Weltbeschreibung 2, 69 unter gänzlicher Ausschaltung aller der Stellen, die davon berichten, daß Hans Jagenteufel vorzeiten ein schlimmer Förster gewesen sei.

Nr. 310 (Des Hackelnberg Traum). Wieder freie Nachbildung von Otmar S. 248, ebenso wie Nr. 311 „Die Tut-Osel“ von Otmar S. 241 ff., in der ganze Ausführungen der Quelle in ein paar Worte zusammengezogen sind. Die Sage Nr. 316 von der „Jungfrau Ilse“ ist ganz frei aus verschiedenen Stücken bei Otmar S. 171 zusammengesetzt, nur die Einleitungssätze sind wörtlich einer Anmerkung Otmars entnommen, aus der ich daher ein unangenehm bei Grimms fehlendes Wort („liegt“ hinter „gegenüber“) ergänzt habe.

Nr. 318 (Der Roßtrapp und der Kreetpfuhl). Gleich im Anfang puristische Änderung gegen Otmar S. 181, der „ovalrunde Vertiefung“ schreibt, woraus Grimms eine „eirunde Vertiefung“ machten; in der vierten Sagengestalt änderten sie „in Minuten“ in „im Augenblick“ ab. Bei Grimms heißt es von der Rossespur auf dem Felsen der Roßtrappe: „Die Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwischen“, in ihrer Quelle bei Otmar S. 185: „Die Länge der Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwaschen“. Das Wort „verwaschen“ ist zweifellos besser als „verwischen“, trotzdem aber schien mir es nicht geraten, „verwaschen“ in die Grimmsche Sage einzuführen.

Nr. 320 (Der Jungfernsprung) faßt drei Sagen zusammen, die Peschek in seinem Buche „Der Oybin bey Zittau“ (Zittau u. Leipzig 1804, S. 33, 34) unter rationalistischer Bekrittelung vorbringt. Was Grimms daraus gemacht haben, ist etwas ganz Neues und gleichsam eine Art Wiederentdeckung der Sagen aus dem Wust einer verderblichen Überlieferung.

Nr. 327 (Tote aus den Gräbern wehren dem Feind). Die kurze Sage folgt zunächst ganz wörtlich dem Vortrage bei Otmar S. 28, dazu bestimmt, den Dorfnamen „Wehrstedt“ zu erklären. Grimms haben nur für „Barbaren“ einmal „Heiden“ eingesetzt, den entscheidenden Satz aber meines Erachtens durch ihre Wiedergabe verringert. [243] Sie sagen, daß „die Toten … diese Unholde tapfer abwehrten“, während Otmar bietet, daß „die Toten … sich gegen diese Unholde tapfer wehrten“. Es ist klar, daß Otmar der Erklärung des Namens Wehrstedt näher steht.

Nr. 330 (Die weiße Jungfrau zu Schwanau). Grimms geben die Sage nach Joh. v. Müllers Geschichten Schweizerischer Eidgenossenschaft 2, 3 mit fast wörtlicher Anlehnung an Müller, nur den Eingang haben sie gemacht. Der lautet bei ihnen: „Die freien Schweizer brachen die Burg Schwanau auf dem Lowerzer See“. Darin steckt jedoch ein Irrtum. Denn Müller sagt: „Schwanau war auf der größern, Lowerz auf der kleinern Insel“, daraus konnten die Brüder nicht mit Recht ihren Text bilden.

Nr. 326 und 342 (Es rauscht im Hünengrab – Das weissagende Vöglein). Die beiden aus Micrälius „Sechs Büchern vom alten Pommerlande“ (Stettin und Leipzig) genommenen Sagen schließen sich im ganzen an den Urtext an; in der ersteren aber muß es heißen, wie im Urtext, daß man 1594 die Hünengräber „klauben und abschlichten“ (nicht „kleuben und abschlichten“) ließ.

Nr. 334 (Einladung vor Gottes Gericht). Die Quelle ist Prätorius in seiner Weltbeschreibung 1, 285 ff. Die Grimmsche Sage schließt sich eng an den Text an, von dem sie nur in Kleinigkeiten, einmal vielleicht auch mißverständlich abweicht. Zwei Stellen aber sind bei Grimms nach der Quelle zu verbessern. Der Pferdedieb hatte sich, wie ausdrücklich erzählt wird, in „Bettlerskleidern“ gehüllt, um dem Pfarrer unerkannt das Pferd zu stehlen: er kann deshalb auch nicht, als ihm sein Anschlag gelingt, die „Bauerskleider“ abwerfen und davonreiten, sondern es muß bei Grimms, wie auch bei Prätorius an dieser Stelle, „Bettlerskleider“ heißen. Weiterhin wird bei Grimms erzählt, daß „damals Rauberei im Lande war, sonderlich Gregor Maternen Reuterei, aus welchen (!) einer den Hauskomtur D. Eberhard von Emden erstochen hatte“; Prätorius hat das richtige „aus welcher“, was also in den Grimmschen Text einzuführen war. Ich erwähne nebenbei, daß Prätorius immer „Reuter“ und „Reuterei“ hat, das ich wieder in Grimms Sage zurückführte, in der nur einmal „Reuter“, sonst die moderne Wortform steht.

Nr. 344 (Der Kessel mit Butter). Die Sage ist mündlich: sonst, in der Grammatik, heißt es immer „der“ Anke.

Nr. 346 (Das Christusbild zu Wittenberg). Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung usw., 1814, S. 160, bietet, gering abweichend: „So ist irgendwo ein wunderthätiges Christusbild gewesen, das die Eigenschaft hatte, eine Hand breit höher zu sein, als der größte Mann, der sich daran stellen mochte: kam aber ein Mann von mäßiger Größe, oder ein kleiner, so war der Unterschied dennoch derselbe, nicht größer.“

[244] Nr. 353 (Das von den Juden getötete Mägdlein). Die Sage hat zur Grundlage „Pforzheim’s Kleine Chronik. Von Siegmund Friedrich Gehres“ (Memmingen 1792). Gehres schreibt als leidenschaftlicher Protestant und Anhänger der Französischen Revolution, daher ist er gegen die katholischen Priester und für das „unglückliche Völkchen“ der Juden. Als er in Abschnitt 3 über „Wunder in Pforzheim. 1. Jul. 1267“ berichtet, erklärt er zu seiner Verwahrung ausdrücklich: „so will ich meine Legende geben, wie sie gedruckt steht, und wie noch jetzt Trümmer davon zu sehen sind. Also im Tone der Tausend und einen Nacht“. Er erzählt die Geschichte nun mit Ausfällen auf die Christen und Sympathiebezeugungen für die Juden, wie sie von Thomas Cantipratan in seinem Buche von Wundern auf das Zeugnis zweier Dominikaner erzählt wird. Daß also im Jahr 1267 in Pforzheim eine alte Frau ein siebenjähriges Kind den Juden verkauft habe, die ihm die Adern aufschnitten, um das Blut aufzufangen, und den Körper in die Ens warfen; woraus das Margretchen ihr Händlein reckte, so daß es von den Fischern herausgezogen wurde, worauf es verschied; die Juden und das Weib wurden hingerichtet. Grimms haben nun all die Zutaten Gehres’ fortgelassen und rein objektiv im Sinne des deutschen Volkes wiedererzählt mit demjenigen Grade von Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit, der nach ihrer Auffassung den deutschen Sagen überhaupt innewohnt.

Nr. 361 (Gottes Speise). Ziemlich wörtlich aus der Stangwaldschen ersten Ausgabe 1571. Es handelt sich ja freilich nicht um Luthers Stil, sondern um Stilisierung durch andere, in diesem Falle vielleicht durch Stangwald selbst. Grimms Änderungen des Textes sind nur formal, aber doch höchst bemerkenswert. Stangwald: „Als aber der Knab sich etwas gesäumet, hat ihn die Nacht uberfallen, ist auch dieselbe Nacht ein großer tiefer Schnee gefallen, der allenthalben die Berge bedecket hat, daß der Knab vor dem Schnee nicht hat können aus dem Walde kommen.“ Grimms: „Als aber der Knabe sich etwas gesäumt, hat ihn die Nacht überfallen, ist auch dieselbe Nacht ein großer tiefer Schnee herabgekommen, der allenthalben die Berge bedeckt hat, daß der Knabe vor dem Schnee nicht hat können aus dem Wald gelangen.“ Man wird bemerken, daß in den Verben eine Verschiedenheit liegt, aber der Grund zu dieser Abweichung Grimms verbirgt sich nicht. Sie wollten das zweite Mal „fallen“ fortschaffen und setzten „herabkommen“ ein; dies „kommen“ zog aber die Abänderung des bei Stangwald nun wirklich folgenden Wortes „kommen“ in „gelangen“ nach sich. Aus dem gleichen ästhetisch-stilistischen Grunde ist ursprüngliches „kommen“ durch „dringen“, ursprüngliches „abgangen“ durch „abgeflossen“, ursprüngliches „nachdem [245] (sie ihn gefraget)“ durch „als (sie ihn gefragt)“ ersetzt worden. – Die Stelle „ein kind, welches nehrlich hat gehen und reden künnen“, zitiert auch der D. W. in Bd. 7. Sp. 309 aus Luthers Tischreden.

Nr. 362 (Die drei Alten) führt den Quellvermerk: „Mitgetheilt von Schmidt aus Lübeck; im Freimüthigen 1809. Nr. 1.“ Die Brüder Grimm haben die Sage auch wirklich ziemlich treu übernommen, an verschiedenen Stellen stilistisch nachgebessert. Nicht abzusehen ist, warum sie in dem Originalsatze: „In einer entlegenen Gegend liegt ein einsamer Bauerhof, der Weg führt hart an dem Vorhofe der Wohnung vorbei“, nur allein das Wort „liegt“ in das weniger gute „stehet“ verändert haben. In der Originalfassung heißt es, daß der Prediger „die Markung seines Kirchsprengels umritt, um sich mit den Lokal-Verhältnissen seiner neuen Gemeinde bekannt zu machen“. Grimms empfanden mit Recht den Ausdruck „Lokal-Verhältnisse“ als nicht sagengemäß. Aber wie sie den Satz neu bildeten, daß der Prediger „die Markung seines Kirchsprengels umritt, um sich mit seinen Verhältnissen genau bekannt zu machen“, kann wegen des doppelten „sein“ und der Unbestimmtheit, die sich daraus ergibt, nicht schlechthin gutgeheißen werden. Das Original im Freimüthigen ist „S. v. Lübeck“ unterschrieben. Grimms dagegen setzen „Schmidt aus Lübeck“, ein sehr deutlicher Wink dafür, daß sie solche Art künstlich-täuschender „Adelungen“ ablehnten.

Nr. 365 (Der heilige Wald der Semnonen). Nach Tacitus’ Germania Kap. 39, ernst und feierlich, von reiner Liebe für das Volksmäßige des geschilderten Vorganges. Tacitus sagt, mit Einmischung seines kritischen Urteils: „caesoque publice homine celebrant barbari horrenda primordia“. Die Grimmsche Sage scheidet dies Urteil als unzulässig aus und berichtet nur historisch: „und brachten ein öffentliches Menschenopfer“.

Nr. 366 (Die Wanderung der Ansivaren). Wunderschön aus der längeren, umständlicheren Erzählung bei Tacitus in den Annalen XIII, 54–56 herausgeschält.

Nr. 409 (Abkunft der Sachsen). Nach dem Lobgedicht auf den heiligen Anno. Die Übertragung ist eng an den Text geschlossen, doch so, daß der Schlußsatz des Originals als eine Art allgemeiner Einleitung an den Anfang der Grimmschen Sage gestellt ist. Bei Grimms halten Sachsen und Thüringer eine „Sammensprache“ ab, dies seltsame Wort hat im Original keine Grundlage, sondern daselbst, daß auf einer „Sprache“ (d. h. Unterredung, colloquium) der Kampf ausgebrochen sei. Das Wort „Sammensprache“ kennt das D. Wörterbuch nicht.

Nr. 414 (Die Sachsen erbauen Ochsenburg). Nach Pomarius’ Sächsischer Chronik 1589, S. 15. Die Sachsen bitten den britannischen [246] König, „daß er ihnen ein solch Bleck Landes gäbe, das sie mit einer Ochsenhaut beziehen könnten,“ – in engem Anschlusse an das Original: „das er jhnen ein solch bleck Landes gebe, als sie mit einer Ochsenhaut beziehen könten“; auch das seltene Adjektiv „eine raume (= geraume) Stätte“ hat in dem Original seinen Grund.

Nr. 445 (Von König Karl und den Friesen). Die von Grimms benutzte Vorlage und 1818 angegebene Quelle, das „Altfriesengesetz ed. Wierdsma 1, 103–108“, war mir nicht zugänglich, so daß ich mich an Richthofens 1840 erschienene und „Jacob Grimm aus inniger Liebe und Verehrung gewidmete“ Friesische Rechtsquellen S. 439 f. wandte. Die Grimmsche Sage bietet unverständlich: „Da fuhr König Radbod aus dem Lande, und König wollte ein Ding halten“, der Urtext aber: „da foer di koningh Radboed wta lande, ende di koningh Kaerl wolde tingia“; es ist klar, daß hinter „König“ bei Grimms der Name „Karl“ ausgefallen ist. Weiter bei Grimms: „und (Karl) lud die Friesen, dahin zu ihm zu fahren, und sich ihr Recht erkören“, im Urtext: „ende layde da da Fresen tofara him, ende heet dat hya riucht ker“; Grimms sind bei ihrer Wiedergabe im zweiten Satzglied ausgebogen, das sie infinitivisch an das erste Verb angliederten, es muß also vor „erkören“ ein „zu“ eingeschoben werden. Mißverständlich ist die Stelle: „Des andern Tages hieß er sie, daß sie vor das Recht führen“, wo der Urtext bietet: „dis ora deis het hi, datse tofara dat riucht coem“ (daß sie zum Recht kämen), doch eine Änderung ist nicht möglich. Gegen Schluß heißt es bei Grimms: „Doch wußte niemand, wer der dreizehnte war“, der Urtext mit einem guten Zusatz: „doch ne wistet nimmen haet di tretteensta were, deer to hyarem commen was“ (der zu ihnen gekommen war), ohne daß man ihn freilich in Grimms Text einführen dürfte.

Nr. 447 (Des Teufels goldnes Haus). Die Brüder Grimm zitieren „Vita Sti. Wulframi“ ohne nähere Angabe und setzen hinzu: „Rhein. Mercur 1816 vom 4. Jan.“ Das Rätsel löst sich, wenn wir vergleichend in die bezeichnete Nummer des Rheinischen Merkurs blicken und gewahren, daß die Sage dort wörtlich von – Görres vorgetragen wird. Görres bespricht, wiewohl anonym, das „Taschenbuch für Freunde altteutscher Zeit und Kunst (Köln 1816)“, worin auch „ein Märchen von Grimm anmutig gesetzt“, und sagt seine Meinung über Caroves Ansichten der Kunst des teutschen Mittelalters. Er findet, daß Carove zu sehr „die nordische Skaldenkunst von dem deutschen Bardengesange“ getrennt habe, und fährt dann fort: „In der Lebensbeschreibung des heiligen Wolfram kömmt eine Begebheit vor, die ein helles Licht auf diesen genauen Zusammenhang Nordlands [247] mit Germanien wirft.“ Diese Begebenheit erzählt Görres nun, und Grimms haben sie auf ganze Strecken hin wörtlich, an einzelnen Stellen mit kleinen stilistischen Änderungen oder Schreibabweichungen unter dem Titel „Des Teufels goldnes Haus“ in ihre Sagen aufgenommen. Daraus erklärt sich auch Grimms mangelhaftes Zitat. Die absichtlichen Änderungen entbehren doch nicht des Interesses. Teilweise sind sie puristischer Art. So wenn der Teufel in Gestalt eines Engels sagt: „um das Haupt ein Diadem von Gold“, wofür Grimms setzten: „um das Haupt eine Goldbinde“; oder wenn Görres von „verschiedenen Arten polierten Marmors“, Grimms aber von „verschiedenen Arten glatten Marmors“ sprechen. Zweimal ist ein zweideutiges „er“ bei Görres von Grimms mit dem entsprechenden Wort „der Knabe“ oder „der Teufel“ ersetzt. Wenn Görres bietet: „sogleich riß der Strick, er (!) fiel zur Erde, und stand unverletzt auf, wurde darauf getauft“, die Grimmsche Sage aber: „sogleich riß der Strick, der Knabe (!) fiel zur Erde, stand unverletzt und wurde getauft“, so darf man wohl an der Grimmschen Stelle den unbeabsichtigten Ausfall von „auf“ annehmen und dies Wort wieder in den Text einführen. Gegen Schluß spricht Görres „von Sümpfen, die voll waren mit langen Binsen und Geröhren“; offenbar weil Grimms an der Verbindung „voll mit“ Anstoß nahmen, haben sie eigenmächtig ein Wort eingeschoben und geschrieben: „von Sümpfen, die voll Wassers waren, mit langen Binsen und Geröhren“, sicherlich eine Verschlechterung des Görresschen Textes. Wichtig und interessant aber bleibt vor allen Dingen das bisher nicht festgestellte Resultat, daß ein Stück Prosa von Görres ruhig bisher wie Grimmsche Prosa in den Deutschen Sagen mitlaufen konnte: so nahe also standen sich damals noch Görres und Grimms nicht nur in der Auffassung, sondern auch in der Darstellung der gemeinsam von ihnen behandelten Stoffe, die Heidelberger Romantik lebt eben noch in Grimms Märchen und Sagen.

Nr. 481 (Der Teufelsturn am Donaustrudel). Die Quelle ist Aventins Bairische Chronik S. 330, in der Ausgabe von 1566, die ich benutzte. Bei Grimms soll der Strudel bei der Stadt Crain an der Donau sein, und die Gräfin, bei der der Kaiser absteigt, heißt Richilta. Der Urtext aber gibt den Namen des Ortes als Grein und den der Gräfin als Richlita, den ihres Sohnes als Adalber (nicht Aleman). Vielleicht war in Grimms Sage diese oder jene Kleinigkeit, in der sie bewußt oder vielleicht auch irrend abwichen, beizubehalten. Auch Ritter nennt die Stadt am Donaustrudel Grein; man sieht leicht ein, wie in der Druckerei statt des unbekannten „Grein“ das bekanntere Wort „Crain“ eintreten konnte.

Nr. 485 (Kaiser Heinrich V. versucht die Kaiserin). Hat zur [248] Quelle den cod. palat. Nr. 525 fol. 78, den Jacob Grimm auf seiner Frühjahrsreise 1817 (Steig, Arnim und die Brüder Grimm, 1904, S. 371) einsah und exzerpierte. Ihm ist auch die Formgebung der Sage zuzuweisen. Nun heißt es darin vom Kaiser und seiner Gemahlin: „Er ließ einen seinen Mann die Kaiserin um ihre Minne bitten“. Das Objekt „einen seinen Mann“ hat gewiß etwas recht Unbequemes, und dennoch muß von jeder Annahme eines Versehens oder gar von jeder Verbesserung abgesehen werden, denn der genannte Kodex bietet, wie die Bibliotheksdirektion von Heidelberg mir mitteilt: „Er ließ ainen seinen man die kayserin pitten umb ir mynne.“ Man erkennt daraus, wie unbesorgt Jacob bei Rezeption älterer Ausdrucksweise verfuhr; Wilhelm, glaube ich, würde das nicht geschrieben haben.

Nr. 487 (Die Weiber zu Weinsperg). Die Cronica van der hilliger Stat Coellen (Cölner Chronik) vom Jahre 1499 auf Blatt 169 berichtet: „Do liessen die vrauwen alle dynge varen und nam eyn yecklich yren man vp yr schulder ind droegen die vyss.“ Grimms haben: „Da ließen sie [die Weiber] alle Dinge fahren und nahm ein jegliche ihren Mann auf die Schulter und trugen den aus.“ Demnach wird man das bei Grimms etwas anstößige „ein jegliche“ nicht gut ändern mögen. Im übrigen ist die Anlehnung an den Originaltext bei Grimms fast wörtlich, auch daß der König „schmutzlachte“, haben sie ihrer Quelle entnommen, wo „smutzlachte“ steht.

Nr. 497 (Herzog Friedrich und Leopold von Oesterreich). In engem Anschlusse an Könighovens „Elsassische[WS 3] und Straßburgische Chronicke“, in Schilters Ausgabe von 1698, gegeben. In dem Satze „(es) kam ein wohlgelehrter Mann ein zu Herzog Leopold von Oestreich“ ist das zweite „ein“ anstößig und zu tilgen, da die genannte Quelle hat: „do kam ein wolgelerter meister zu hertzoge Lupolt“, und die gleichfalls zitierte Cölner Chronik von 1499 S. 250 bietet: „so quam eyn waill geleirt man ind was meyster in der swartzer kunst, tzo Hertzoch Lupolt.“ Das „ein“ bei Grimms beruht also auf irgendeinem äußerlichen Versehen.

Nr. 503 (Dietrichstein in Kärnten). Nach Megiser, Chronik des löblichen Hertzogthumbs Khärndten 1612, S. 973 f. Es war überall der Name „Dietrichstein“ herzustellen. Kleinigkeiten sind von Grimms absichtlich geändert, „ließen“ freilich einmal, wo der Urtext „ließe“ hat mit dem Subjekt Maultasch, ist bedenklich. Dagegen am Schlusse ist bei Grimms eine stärkere Abweichung. Es ist vom Werfen, Poltern und Sausen im verfallenen Gebäu die Rede, „gleich als wenn es alles über einen Haufen werfen wollt“; die sonst wörtlich befolgte Quelle hat hier: „gleich als wenn es alles vber einen hauffen fallen wollt“. Der Unterschied ist, daß Grimms bei ihrer Wiedergabe, abweichend von der Quelle, nur [249] „es“ als Subjekt, dagegen „alles“ als Objekt nahmen, und für Einführung des Wortes „werfen“ anstatt „fallen“ mag das kurzvoraufliegende Wort „Werfen“ mitbestimmend gewesen sein.

Nr. 504 (Die Maultasch-Schutt). Die Vergleichung der Sage mit der Urstelle in Megisers Chronik von Kärnten 2, 974 ff. sicherte einige Kleinigkeiten, so „genugsame Zeugnis“ für Grimms verdrucktes „genügsame Zeugnis“; „denen vom Adel“ anstatt „denen von Adel“, während sechs Zeilen weiter auch bei Grimms das richtige „vom Adel“ erscheint. Auslassung oder Ersetzung einiger Fremdwörter, wie „Stratem“ oder „Proficiant“, wofür „Lebensmittel“, „Contrafactur“ (Bildnis), findet statt. Bei „Klaus-Rappen“ habe ich mich überzeugt, daß ein norddeutscher Leser nicht, wie er müßte, den Raben (Vogel), sondern den Rappen (Pferd) versteht, wodurch das ganze Verständnis der Sage gefährdet wird; ich habe infolgedessen hinter „Klaus-Rappen“ in Klammern „Raben“ zur Verdeutlichung zugesetzt.

Nr. 508 ff. Eine größere Anzahl Schweizer Sagen entstammen den „Chronika von der löblichen Eidgenoschaft, von Peterman Etterlin“. Grimms zitieren eine Ausgabe vom Jahre 1764, ich benutzte die Ausgabe: Basel 1752. Wiewohl sich Grimms nahe an Etterlins Text halten, so ist doch nicht verkennbar, daß sie die Sagen im Hinblick auf Schillers Wilhelm Teil auswählten, ja sich unbewußt, fast wider Willen, von ihm beeinflussen ließen. In Nr. 510 (Der Landvogt im Bad) erzählt die Frau, daß der Vogt sie zwang, „ihm ein Bad zu richten“. Etterlin hat nur den einfachen Ausdruck: „ihm ein Bad zu machen“.

Bei Nr. 511 (Der Bund im Rütli) bemerken wir durch Vergleichung, daß Etterlin S. 26 ff. das „Rütli“ gar nicht in seinem Texte hat. Grimms Sage schließt: „Wann sie aber ihre Anschläge tun wollten, fuhren sie an den Mittenstein [Mythenstein], an ein Ende, heißt im Bettlin, da tageten sie zusammen im Rütli.“ Etterlin hat: „im Betlin“, das ich wiederherstellte, der Zusatz „da … Rütli“ rührt allein von Grimms her; es war ihnen also ihrem Gefühl nach unmöglich, der Szene einen anderen Namen als den durch Schillers Tell bekannten zu geben. In Nr. 512 (Wilhelm Tell) heißt es bei Grimms: „wer der wäre, der da vorüberginge, sollte sich dem Hut neigen“; es muß auffallen, daß sie Etterlins vollen Ausdruck: „sollte dem Hut Reverenz tun und sich dem Hut neigen“ nicht beibehalten haben. Der Landvogt Grißler (Geßler) sagt bei Grimms zu Tell: „aber an ein Ende will ich dich legen, da dich Sonne und Mond nimmer bescheinen“, offenbar eine Schillersche Reminiszenz, da Etterlin bietet: „legen, das du weder sunn noch mon niemer mer sehen solt“. Ziemlich frei ist Nr. 613 (Der Knabe erzählt’s dem Ofen) nach Etterlin S. 42. 43 erzählt; der Ausdruck, die Gesellen „schnarzten ihn an“, ist bereits in der [250] Quelle gegeben. Noch freier hält sich Nr. 514 (Der Luzerner Harschhörner) von der Etterlinschen Chronik.

Nr. 515 (Ursprung der Welfen) hat die auffällige Stelle, daß die elf unschuldigen Knäblein „in den vorfließenden Bach“ getragen werden sollen. Der Ausdruck ist aber richtig, denn bei Reineccius, woher Grimms die Sage nahmen, steht gleichfalls: „in den fürfliessenden bach“.

Nr. 517 (Herzog Bundus, genannt der Wolf). Grimms zitieren „Lirer schwäbische Chronik cap. 17“; sie benutzten aber, wie durch Vergleichung sich ergab, nicht den alten Inkunabelndruck dieser Chronik, der die Sage von Bundus nicht enthält, sondern: „Thome Lirers von Ranckweil Alte Schwäbische Geschichten samt Chronik etc. Mit angehängten Anmerckungen von Licentiat Wegelin Burgermeister“ (Lindau 1761); hierin findet sich in Kapitel 17 unsere Sage, die Grimms mit einigen stilistischen Nachhilfen herausgenommen haben, doch so, daß sie auch wieder den alten Wortlaut bis zu modern schwieriger Verständlichkeit festhielten. Die Jägerfrau, des Herzogs eigentliche Mutter, begehrt so ernstlich mit dem Herzog zu reden, daß sie – nach Grimms – der Herr ein hieß gehn und jedermann hinaus: die Chronik hat den besseren Text: „das sie der Herr ließ eingan vnd yederman hinaus“. Man wird sich hier der Besserung enthalten, aber in folgendem Satze einen Fehler anerkennen müssen. Grimms: „und hieß ihm die Herzogin von Geldern geben, mit aller Landsherren Willen“; die Urstelle: „vnd ließ ym die hertzogin von Geldern geben, das was mit der lantzherren willen“. Gewiß ist demnach bei Grimms „ließ“ wiederherzustellen, bei „hieß“ erwartete man doch, wenn Grimms schon geändert hätten, den Infinitiv „zu geben“. „Landsherren“ haben hier Grimms richtig nach der Quelle, ein paar Zeilen weiter steht am Schlusse der Sage bei ihnen „Landesherren“, das doch wohl in Einklang mit der vorigen Wortform zu bringen ist, da die Urstelle hier „herren des Lands“, also auch ohne e. bietet.

Nr. 519 (Heinrich mit dem goldenen Pfluge). Eine Stelle der Sage hat ihre Unbequemlichkeit. Es heißt bei Grimms: „Mittlerweile war der Kaiser aufgewacht, und Heinrich mußte einhalten. Er ging mit seinem Pfluge am Hof, und erinnerte Ludwig an das gegebene Wort.“ Die Urstelle in Reiner Reineccius’ Chronika des Chur- und Fürstlichen Hauses … Brandenburg (Wittenberg 1580) lautet anders, nämlich: „Mitlerweil erwacht Keyser Ludwig vom schlaffe, vnd stund auff. Da erschien für jhm dieser Heinrich mit seinem Pflug, vnd bat, der Keyser wolle jhm gewehren, was er jhm zugesagt etc.“ Er „erschien vor ihm“ ist gut, nicht aber er „ging am Hof“. Ich erkläre Grimms Fassung mir so: sie schrieben erst vielleicht „er erschien [251] mit seinem Pfluge am Hof“, dann wurde „erschien“ aus irgendeinem Grunde durch „ging“ ersetzt, ohne daß die Veränderung sich auch auf den Ausdruck „am Hof“ weitererstreckt hätte. Unter diesen Umständen habe ich „ging … an Hof“ gesetzt, die Artikellosigkeit eines solchen Ausdruckes wie „an Hof“ ist auch Grimms geläufig.

Nr. 521 (Ursprung der Zähringer). Die Sage zeigt so engen Anschluß an die „Chronik von Freyburg“, hinter Schilters Ausgabe von Königshofens Elsässischer Chronik (S. 44), daß die Wiederherstellung auf Zeile 3 der Sage „hinter Zähringen dem Schloß“ nötig wird; Grimms haben hier „Zähring“, sonst aber in der Sage durchweg auch „Zähringen“.

Nr. 524 (Graf Hubert von Calw). Die Sage ist aus einer lateinischen Fassung in Crusii Annales Suevici (Francof. 1595. dodec. II. p. 263) übertragen und in den Ton der deutschen Sage gebracht. Gegen den Schluß steht bei Grimms: „Sein (des Grafen) Wille ward genau vollzogen und über seinem Grabe ein Heiligtum errichtet, nach seinem Namen Hubert oder Oberk „zu Sankt Huprecht“ geheißen.“ Crusius dagegen hat: „Quod sie factum est: fanumque de nomine Comitis huius, cui Oberto, vel Huperto, nomen fuerat, appellatum est Huperti fanum, zu Sanct Huprecht.“ Es ergibt sich daraus, daß endlich die Verderbnis „Oberk“ aus dem Grimmschen Texte entfernt werden mußte.

Nr. 529 (Andreas von Sangerwitz. Komtur auf Christburg). Grimms zitieren Caspar Schütz’ Beschreibung der Lande Preußen 1599 fol. Bl. 102. 103; ich benutzte dagegen die „Warhaffte vnd eigentliche Beschreibung der Lande Preußen, durch Caspar Schützen“ (Zerbst 1592. Bl. 112. 113). Richtig bezeichnet die Grimmsche Überschrift den Andreas von Sangerwitz als „Komtur auf Christburg“; das einzige Mal aber, wo im Sagentext diese Bezeichnung vorkommt, steht „Komtur von Christburg“; da aber Caspar Schützes Urtext auch hier „auff“ (nicht „von“) bietet, so ist Grimms Text demgemäß an dieser Stelle zu berichtigen. Bei Grimms heißt es, des Hochmeisters abgehauenes Kinn mit dem Bart sei nach „Kraukau“ gebracht worden; es ist selbstverständlich, daß, zumal da Schütze „gen Crakow“ gewährt, der Name der Stadt „Krakau“ bei Grimms wiederherzustellen war. – Zu beachten ist, daß Grimms absichtlich zu starke Ausdrücke ihrer Urquelle aus ästhetischen und ethischen Gründen milderten. Es sei dies an zwei Stellen unserer Sage aufgewiesen. Schütze (Bl. 113): „Die Knechte … soffen sich voll, daß“ usw.; Grimms: „Die Knechte … tranken soviel, daß“ usw. Schütze: man sahe nichts denn „Vnzucht, schande und hurerey“ treiben; bei Grimms dafür nur: „Unzucht und Schande treiben“. In dem vierten, auf S. 411 beginnenden Absatze muß der aufmerksame Leser eine Störung [252] des Textes empfinden. Ein Bürger von Christburg kommt nach längerer Abwesenheit nach Hause. Auf der Brücke des Schlosses sieht er den vor zwei Jahren gefallenen Bruder des Komturs, mit dem er sich in ein Gespräch einläßt. Das Teufelsgespenst lädt ihn ein, mitzukommen, und – heißt es wörtlich weiter: „Der Schmied folgte ihm nach, die Wendeltreppe hinauf.“ Wo kommt plötzlich der bisher nicht erwähnte „Schmied“ her? Nur durch nachträgliche Überlegung bringt man heraus, daß der „Schmied“ mit dem „Bürger von Christburg“ identisch sein müsse. Die Quelle zeigt aber den Sitz des Fehlers, und zwar in dem Satze, mit der der vierte Abschnitt der Sage beginnt: „Zwei Jahre nach der Schlacht … kam ein Bürger von Christburg, ein Schmied, wiederum zu Hause.“ Hier an dieser Stelle, die Grimms wörtlich sonst übernahmen, ist aus Versehen „ein Schmied“ ausgefallen und war daher, zur reinen Wiederherstellung des Sagenvortrages, zu ergänzen.

Nr. 533 (Karl Ynach, Salvius Brabon und Frau Schwan). Quelle ist Les illustrations de Gaule, par Jan le Maire de Belges (Paris 1548), le tiers liure, fueillet XXI, und mag uns zugleich als Beispiel dienen, wie die Brüder Grimm französische Texte zu benutzen verstanden. Die Sage beginnt bei ihnen: „Gottfried, mit dem Zunamen der Karl“; der Zusatz des Artikels „der“ ist unbequem, zumal noch einmal innerhalb der Sage „Gottfried Karl“ vorkommt. Da der französische Text an der fraglichen Stelle (S. XXI) „Godefroy surnommé karle“ und sonst noch „il fut surnommé karle“ hat, nirgend aber „le karle“, so ist auch bei Grimms „Gottfried, mit dem Zunamen Karl“ herzustellen. Aus dem Sinn war bereits zu entnehmen, daß auf S. 419 (Mitte) „Karl Ynach“ einzusetzen wäre für den Sinnfehler „Salvius“; der Urtext bewährt die Änderung. Die Namen verlangen noch eine Betrachtung. Burg Megen: chasteau de Megue. Schloß Senes: chasteau de Sesnes. Weiter liest man bei Grimms: „bis zu dem Schlosse Florimont, unweit Brüssel“; der Urtext aber bietet: „iusques au chasteau de froidmont, quon dit Cauberghe en langaige thiois pres de Bruxelles“. Ich habe daher nicht angestanden, in die Grimmsche Sage „Froidmont“ (anstatt „Florimont“) einzuführen.

Nr. 541 (Das Oldenburger Horn). Wie Arnim und Brentano dies Horn für den zweiten Band des Wunderhorns arbeiten ließen, so benutzten Grimms dies Stück für den zweiten Band der Sagen.

Nr. 543 (Die neun Kinder). In den Schriften von G. A. v. Halem (Münster 1803) 1, 252 findet sich die Sage „Graf Uffo und Hilburg“. Erst eine ziemlich redselige und überflüssige Einleitung zu der Mitteilung, daß „an der Oberweser … schon im neunten Jahrhundert das Kloster Möllenbeck“' entstanden sei; dann wird die Sage, wie folgt, erzählt: „Seine Sünden zu büßen, [253] war ein Edler des Landes, Uffo sein Name, in das gelobte Land gezogen. Viele Jahre blieb er dort, und kämpfte gegen die Saracenen. Sein kinderloses Weib, Hilburg, das ihn für todt hielt, baute zum Heil seiner Seele, auf ihres Beichtigers Folkhards Rath, acht Kirchen, und stiftete das Kloster Möllenbeck, bei welchem sich die neunte Kirche erhob. Uffo kehrte nach Verlauf mehrerer Jahre zur Heimath zurück. Auf dem Rückwege träumte ihm, sein Weib habe während seiner Abwesenheit neun Kinder geboren. Erschrocken wachte er auf, und unruhig beschleunigte er seine Reise. Er kam an, und siehe! seine Hilburg eilte ihm froh entgegen. „Trauter! sei mir willkommen!“ rief sie ihm zu, „wie lange ließest Du mich allein! Aber ich blieb nicht allein. Ich gebar Dir neun Töchter, und sie alle sind Gott geweiht“. Uffo erkannte in des Weibes offenem Blicke ihre Unschuld. Vertrauensvoll und ohne weitere Frage rief er: „Weib, Deine Kinder sind auch die Meinen! Ich will sie ausstatten.““ Aus der Sage sind einige Sätze fast wörtlich genommen, der Anfang aber viel mehr aus folgender (Miszellen für die Neueste Weltkunde Nr. 11 vom 6. Februar 1811): „In der Klosterkirche zu Möllenbeck an der Weser findet sich das hölzerne Bild der heiligen Frau von Uffo, die ihren Gemahl, als er vom Kreuzzuge nach Palästina wieder zurückkehrte, mit der Nachricht überraschte, sie habe ihm während seiner Abwesenheit neun Kinder geboren. Darunter verstand sie die in der Gegend gestifteten neuen [lies: neun] Kirchen, die noch bis jetzt ihre Einkünfte der frommen Stiftung dieser milden Frau zu danken haben. Der Künstler, der ihr Bildniß in Holz verfertigte, gab ihr das gewöhnliche Madonnen-Gesicht. Statt des Kindes aber legte er ihr eine hölzerne Kirche in den Arm, die sie mit stiller Zärtlichkeit wie ihren Säugling an die Brust drückt. Man muß die Kirchenstifterin lieb gewinnen, wenn man dieses Bild betrachtet, worin die Vorstellung von der Einfalt und Güte jener Zeiten sich durch so viele Jahrhunderte erhalten hat.“ Wunderlich erscheint, daß zweimal „Hildburg“ für „Hilburg“ vorkommt.

Nr. 545 (Sage von Irminfried usw.). Im zweiten Absatze, gegen das Ende, steht: „Irminfried … floh mit den übriggebliebenen Leuten in seine Stadt Schiding, am Flusse Unstrot gelegen“. Da die Urstelle (in Rohtes thüringischer Chronik bei Menken, Sp. 1646) bietet: „Yrmenfrid der floch yn Schidingin, das uf der vnstrud lid“, so ergibt sich „Unstrot“ bei Grimms als ein irgendwie entstandener Irrtum, der zu beseitigen war.

Nr. 546 (Das Jagen im fremden Walde). Die Sage folgt Banges thüringischer Chronik Bl. 43. 44. namentlich am Schlusse gestatteten sich Grimms mit dem Urtext größere Freiheit, um [254] abzurunden. Der Ort, wo die Jagd und der Mord des alten Pfalzgrafen Friedrich geschah, ist bei Bange „in dem Holtze die Reysen genandt, am Münchenrodischen Felde“; nicht ganz korrekt und mit hessisch-dialektischem ß heißt es bei Grimms: „in das Holz, genannt „die Reißen, am Münchroder Feld“.“ Der junge Graf Ludwig sollte da nach dem Rate der Pfalzgräfin unerlaubt jagen: „dann so wollte sie ihren Herrn reizen und bewegen, ihm die Jagd zu wehren“. Das „dann“ steht nicht gut; da aber der Urtext einfach hat: „so wolte sie alsdann jhren Herrn dahin bewegen vnd anreitzen, das er sich vnterstehen solte, jhme solches zu wehren“, habe ich bei Grimms die Umstellung: „so wollte sie dann“ usw. vorgenommen. Während der alte Herr im Bade sitzt: „in dessen kömpt Graff Ludwig, lest sein Hörnlein schellen, vnd sein Hündlein bellen“ (Bange Bl. 43b), der Anklang von schellen und bellen ist offenbar und beabsichtigt. Bei Grimms ist er, aus Unbedacht oder Irrtum, verloren, wo steht: „Unterdessen kam Graf Ludwig, ließ sein Hörnlein schallen und seine Hündlein bellen.“ Zur Belebung des Sagenvortrages haben Grimms, wie öfters, so auch im folgenden die bei Bange schlicht erzählte Mitteilung der Pfalzgräfin Adelheid in die direkte Rede umgesetzt. Nach dem Morde des alten Pfalzgrafen heißt es bei Bange: „Die Pfaltzgräuin stalte sich … sehr kläglich. Rangk (sie) jhr Hende, Rauffte auß jhr Haar, damit sie keiner bösen That bezüchtiget würde“ – woraus Grimms mit einiger Freiheit machten: „Die Pfalzgräfin rang die Hände, und raufte das Haar, und gebärdete sich gar kläglich, damit keine Inzicht auf sie falle.“ Das Wort „Inzicht“ weist auf Beschäftigung und Vorliebe für altdeutsches Recht hin, die Sage ist wohl von Jacob nacherzählt; sie hilft also sicher früh mit, das fast verlorene Wort „Inzicht“ wieder in die Sprache zurückzuführen.

Nr. 549 (Reinhartsbrunn). Die Sage folgt Bange Bl. 49. 50, nicht Rohte, ob er gleich auch vorgemerkt ist. Es wird erzählt, wie Landgraf Ludwig „nach der Wartburg ritt, da saß ein Töpfer bei einem großen Brunnen“; Ludwig baut da eine Kirche, die; „nannte er von dem Töpfer und Brunnen Reinhartsbrunn“. Nur aus nachträglicher Überlegung findet man, daß der Töpfer „Reinhart“ geheißen haben müsse. Die Quelle aber bietet, bei Bange, gleich vorweg den Namen, nämlich „… bei einem grossen Brunne, der hies Reinhart“; ich habe daher „der hieß Reinhart“ auch bei Grimms eingesetzt. Den Namen des Töpfers bietet auch Rohte als Reinher.

Nr. 551 (Ludwig ackert mit seinen Adligen). Die Sage ist, wiewohl auch noch andere Quellen notiert sind, doch fast wörtlich aus Banges thüringischer Chronik Bl. 61 genommen. Eigentümlich ist dieser und anderen Nacherzählungen aus Bange, die ich [255] Jacob zuschreibe, die Anwendung von einfachen Verben, selbst da, wo die Urstelle, unserem heutigen Gefühl viel näher, zusammengesetzte Verba verwendet. Gleich im Anfang von Nr. 551 hat Bange: die Ritter „versamleten sich“. Bei Grimms steht: „sammleten sich“, wenigstens habe ich so geschrieben, während der erste Druck freilich „sammneten sich“ bietet. Der niederdeutsche Text Rohtes (bei Menken Sp. 1684) hat allerdings: sy besammentin sich, aber wie gesagt, nicht Rothe, sondern Bange ist Grimms Quelle. Kurz darauf heißt es in der Grimmschen Sage: „Nun wollte ich zwar euer Untreu wohl lohnen“, wo die Quellstelle, Bange Bl. 61, wieder das Kompositum „belohnen“ gewährt.

Nr. 554 (Wie es um Ludwigs Seele geschaffen war). Hier tritt auch sehr auffällig, schon in der Titelfassung „geschaffen“, aber auch im Texte das Simplex ein. Bei Bange Bl. 65 lesen wir: „Es ist vnser Freund, dem habe ich geschworen, das ich jhn nicht verletzen wolle, sondern das ich jhm deß Eisern Landtgraffen Seel zeige“; bei Grimms aber steht: „daß ich ihn nicht letze“, und „zeige“ ist ohne sichtbaren Zwangsgrund durch „weise“ ersetzt. Ganz einfach sagt Bange: „Der Pfaff sprach, ich wil es gerne thun, auff daß dich der Junge Fürst desto besser halte“; bei Grimms: „auf daß euch der neue Herr desto gütlicher handle“; „handle“, für das auch zu Grimms Zeit „behandle“ schon das gewöhnliche war, mehr aus gelehrter Reminiszenz aus der älteren Sprache hergenommen. Als der Pfaffe am Orte der Pein, wo auch Ludwigs Seele weilt, angelangt ist: „Zuhand“, erzählt die Grimmsche Sage, „da wandte der Teufel einen eisernen glühenden Deckel ab von einer Grube, da er aufsaß; und hatte eine ehrne Posaune, die steckte er in die Grube, und blies darein usw.“; bei Bange aber, dem sonst wörtlich gefolgt wird, steht nur: „vnd hatte eine Ertzin Posaune, damit blies er in die Gruben“. Es kann kein Zweifel sein, daß der Zusatz „die steckte er in die Grube“ nicht glücklich ist. Ludwigs Seele, die aus der Grube erscheint, wünscht, daß seine Kinder den Gotteshäusern usw. ihr Gut wiedergäben, das er ihnen wider Recht mit Gewalt abgenommen habe; und demgemäß sagt dann auch Bange weiter: „Aber es war wenig nütze, dann sie wolten die Güter nicht wider zu Rück geben“. Hier nun steht jedoch in der Grimmschen Sage: „aber es ward seiner Seele wenig Nutzen, denn sie wollten das Gut nicht wiederkehren“. „wiederkehren“ respondiert nun gar nicht mehr mit dem vorhergehenden „wiedergeben“ und ist auch an sich wenig bequem. Trotzdem mochte ich, nach den übrigen aufgewiesenen Eigenmächtigkeiten, „wiederkehren“ nicht in „wiedergeben“ abändern.

Nr. 558 (Heinrich das Kind von Brabant). Es sind viele [256] Quellstellen vorgemerkt, aus denen Grimms je nach Bedarf für ihre auch mündlich begründete Sage geschöpft haben. Namentlich ist das schöne Wort des ob seiner Treue von dem Felsen der Wartburg herabgeschleuderten Mannes: „Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant!“ aus dem wunderlich trefflichen Buche von E. Brandes, Über den Einfluß und die Wirkungen des Zeitgeistes (Hannover 1810) 1, 164 entlehnt. Schwierigkeit macht der dritte Absatz der Sage von dem Eisenacher Bürger „Welspeche“, der, weil er den Meißnern nicht huldigen wollte, zweimal „mit der Blide“ in die Stadt geworfen, bis er beim dritten Male sein Leben verlor. Die Wörterbücher, hoch- wie niederdeutsche, gaben mir keine Auskunft über die Bedeutung von „Blide“. Nach der Form des Namens „Welspeche“, die in den verschiedenen Chroniken wechselt, und nach der „Blide“ ergibt sich, daß Grimms an dieser Stelle Rohtes thüringischer Chronik (bei Menken, Leipzig 1728, Sp. 1741) folgten: „Vnde do begreif hey eynen borger, der … hiez von Welspeche … den liez her in dy blidin, dy vor Warperg stunt, legin vnde en yn dy stad Isenache werffin.“ Aber was „Blide“ sei, darüber gaben mir weder hoch- noch niederdeutsche Wörterbücher Auskunft. Doch in Banges thüringischer Chronik (1599, Bl. 101) heißt es vom Bürger „Welsbach“: „Vnd der Marggraffe lies ihnen in eine Pleyden oder Schleuder legen, und drey stunde … in die Stadt Eisennach werffen usw.“ Ich habe also bei Grimms zur Erklärung hinter „Blide“ in Klammern „Schleuder“ zugesetzt.

Nr. 559 (Frau Sophiens Handschuh). Die Sage habe ich nach der thüringischen und hessischen Chronik in Senckenbergs Selecta juris et historiarum (Frankfurt a. M. 1735, III, 325) verglichen. Markgraf Heinrich von Meißen hat seiner Base, der Herzogin Sophie von Brabant, bereits das Land Thüringen wieder herauszugeben versprochen, da ward er wieder wankend gemacht, und zwar bei Grimms: „Wie er so im Reden stund, kam sein Marschall Helwig von Schlotheim, zogen ihn zurück und sprachen: Herr, was wollt ihr thun?“ usw. Wo kommt plötzlich der Plural „zogen“ und „sprachen“ her? Der Urtext zeigt den Sitz des Verderbens: „Wie nun also Marggrave Heinrich zu reden mit seiner Basen stund, da kam sein Marschalck Hellwig von Schlottheim, und sein Bruder Hermann, zogen den guten Fürsten zuruck und sprachen: O Herre, was wollet ihr thun“ usw. Ich habe demnach in Grimms Sage die versehentlich ausgefallenen Worte „und sein Bruder Hermann“ ergänzt.

Nr. 568 (Ursprung der von Malsburg). Grimms notieren als Quelle „Winkelmanns Beschreibung von Hessen VI. 127 (Bremen 1697)“. Daselbst wird auch die Sage erzählt, aber in einer Form, die bei ihnen ziemlich bedeutend umgearbeitet und vereinfacht ist. [257] Ja, Grimms Einleitungsworte: „Die von der Malsburg gehören zu dem ältesten Adel in Hessen und erzählen“ scheinen darauf hinzudeuten, daß ihre Freunde von der Malsburg selbst an der Redaktion dieser Sage beteiligt, sind. Karl der Große, der den Malsburg Berg und Bezirk schenkte, verlieh ihnen auch ihr Wappen, Karl sagt bei Winkelmann (VI, 128): „(ich) sondere dir deinen güldenen Schild in zwey gleiche Theile“. Bei Grimms steht aber: „Der König sonderte ihm sein gülden Schild in zwei gleiche Theile.“ Ich habe danach „seinen güldenen Schild“ eingesetzt, um so mehr, als vier Zeilen weiter in dem Schlußsätzchen auch bei Grimms „den zugetheilten Schild“ steht und ein Druckirrtum nur an der ersteren Stelle möglich erscheint.

Nr. 570 (Hennenberg). Die Überschrift bei Grimms ist zwar „Henneberg“, aber die Quelle in Heinrich Christian Senckenbergs Selecta iuris et historiarum sowie die entsprechende Benennung in der Grimmschen Sage selbst zeigen, daß es „Hennenberg“ heißen muß. Ein edler Herr baut in Franken, wo eine Birkhenne auffliegt, sich ein Schloß „Hennenberg“, und „an dem Berge war ein Köre, da baute er seinen Dienern gar ein lustige Wohnung, und nannte sie von der Köre“. Dieser Schluß der Sage läßt nur die Meinung zu, als hätte die Dienerwohnung von der Köre geheißen; tatsächlich aber geht an der Urstelle die Erzählung noch weiter und läßt erkennen, daß er seine Diener, Dienstmannen, mit dem Namen „von der Kören“ begabte.

Nr. 571 (Die acht Brunos). Es haben sich nach Cyriakus Spangenbergs Quernfurtischen Chronik 1590, S. 134 ff., ein paar kleine Irrtümer eingeschlichen. Mit typographischer Unordnung der betreffenden Zeile steht, der Graf Gebhard habe „zum oftern Mal“ beschwerliche Gedanken gehabt; man sieht genau, daß das n nachträglich zugefügt ist, zuerst also „zum ofter Mal“ dastand. Dies hat auch die Quelle, nämlich „zum offtermal“, was also auch bei Grimms wiederherzustellen war; auch in Nr. 560 „oftermal“. Der heilige Bruno „wandelt einmal hin und her“; in der Quelle „spaziert er auf und ab“ – mit von Grimms absichtlich vermiedenem Fremdwort. Er sieht da die Frau mit den acht Kindlein im Kessel kommen, die auf seine Frage sagt, es seien „junge Wölfferlin oder Hündlin“, es heißt nun weiter: „Lasset sich doch Herr Brun düncken, es lautte diese stimme nicht aller Dinge, wie junger Hündlin“. Bei Grimms lautet die Stelle aber: „so däuchte es Bruno doch nicht aller Dinge, als ob die Stimme wie junger Hündlein lautete“. Es ist klar, daß durch irgendein Versehen, vielleicht auch Überschreiben, die Worte „nicht aller Dinge“ an falscher Stelle und ohne Sinn stehen; es war daher die Umstellung nach Maßgabe der Urstelle vorzunehmen. Als Bruno die böse Absicht, die acht Kinder zu ertränken, aufgedeckt und vereitelt [258] hat, fragt er die Frau, „woher sie mit den Kindlein komme, wem sie zuständig und was sie damit thun wolle“? Dem einfachen Verständnis muß „sie“ dreimal auf die Frau zu deuten scheinen. Doch zeigt die Urstelle eine bessere Beziehung, nämlich: „Wo sie mit den Kindlin herkomme? Weme die zustendig? Vnd was sie mit denselben thun wolle?“ Also das mittlere Subjekt „die“ geht, wie notwendig, auf die Kinder. Das habe ich auch bei Grimms hergestellt.

Nr. 579 (Die Gräfin von Orlamünde). Diese Sage von der Gräfin Agnes von Meran, die, um Albrecht den Schönen zu heiraten, ihre beiden Kinder selbst tötet oder töten läßt, folgt in der Hauptsache einem alten Reimgedicht, das in Waldenfels’ Selectae Antiquitatis libri XII (Nürnberg 1677, S. 470) in den hier in Betracht kommenden Strophen lautet:

Ich wolt, sprach Albert, dem schönen Weib
gerne zuwenden meinen Leib
zur Eh’ Sie nehmen in Zucht und Ehr,
wann es nur ohn vier Augen wär.

Die Rede für die Fraue kam,
so sie bald in die Ohren nahm,
und sie im Hertzen stets betracht,
all Augenblick daran gedacht.
Dadurch doch ihr verliebtes Hertz
nur kam in grösser Leid und Schmertz.

Gleichwie das Feuer sehrer wütt’
und tobet, wann man Oel drein schütt.
Also auch ihre Liebes-Flamm
hefftiger brannte und zunahm
durch deß Burggrafens gehörte Red’
dacht Sie die Kindlein so sie hätt’:
werden gewiß die vier Augen seyn,
die mich berauben deß Buhlens mein.

Und war das Weib so sehr bethört,
daß Sie ihr eigne Kind’ ermördt,
und jämerlich ihrs Lebens beraubt,
stach sie mit Nadeln durch ihr Haupt;
wol durch die zarte Hirnschal,
die zart und weich war noch zumal.

Es geht nun neun Strophen so weiter, namentlich mit Parallelisierung der Medeasage, und dann folgt im lateinischen Chronikenstil weiter, wie ein satelles Nobilis, Hayder vel Hager cognominatus sich bereitfinden läßt, die Kinder, die ihn schmeichelnd liebkosen, umzubringen. Der kleine Knabe, Herulus, bittet:

Lieber {Hager / Hayder} laß mich leben,
Ich will dir Orlamünden geben,
Auch Plassenburg deß neuen,
Es soll dich nicht gereuen,

[259] während, noch kindlich unschuldiger, Herula bittet:

Lieber Hager laß mich leben,
Ich will dir alle meine Docken geben.

Dann folgt die lateinische Erzählung, wie der Mörder, als er gefoltert ward, seinen Schmerz über die Unschuld der Worte des Mägdleins ausspricht; daß die Kinder in Himmelscron begraben wurden; zuletzt die doppelte Tradition: daß die Gräfin nach Rom gepilgert und vor Himmelscron gestorben sei, oder daß sie in mit Nadeln und Nägeln besetzten Schuhen von Plassenburg nach Himmelscron gegangen; und daß ihr abgeschiedener Geist umgehe. Aus alledem, lateinischer und deutscher Darstellung, haben Grimms ihre Sage gebildet, indem sie die Motive und die Art der Tötung der Kinder so anordneten, wie es ihrem ästhetischen Zwecke entsprach.

Berlin-Friedenau. Reinhold Steig.     

  1. Band I (1816) enthielt tatsächlich 362 Stücke, Band II (1818) zählt weiter, bei einigen Einschüben, bis Nr. 579.
  2. Dobenek, „Des deutschen Mittelalters Volksglauben und Hexensagen“, herausgegeben und mit Vorrede begleitet von Jean Paul, Berlin 1815 (im Reimerschen Verlage); vgl. Näheres darüber in „Arnim und die Brüder Grimm“, 1904, S. 339.
  3. „gesammelt“ von Wilhelms Hand, „herausgegeben“ von Jacobs Hand.
  4. Ein Dorf in der Nähe von Altenburg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Volksliedeer
  2. Friedrich d’or
  3. Vorlage: Esassische