Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen | |
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des Textes empfinden. Ein Bürger von Christburg kommt nach längerer Abwesenheit nach Hause. Auf der Brücke des Schlosses sieht er den vor zwei Jahren gefallenen Bruder des Komturs, mit dem er sich in ein Gespräch einläßt. Das Teufelsgespenst lädt ihn ein, mitzukommen, und – heißt es wörtlich weiter: „Der Schmied folgte ihm nach, die Wendeltreppe hinauf.“ Wo kommt plötzlich der bisher nicht erwähnte „Schmied“ her? Nur durch nachträgliche Überlegung bringt man heraus, daß der „Schmied“ mit dem „Bürger von Christburg“ identisch sein müsse. Die Quelle zeigt aber den Sitz des Fehlers, und zwar in dem Satze, mit der der vierte Abschnitt der Sage beginnt: „Zwei Jahre nach der Schlacht … kam ein Bürger von Christburg, ein Schmied, wiederum zu Hause.“ Hier an dieser Stelle, die Grimms wörtlich sonst übernahmen, ist aus Versehen „ein Schmied“ ausgefallen und war daher, zur reinen Wiederherstellung des Sagenvortrages, zu ergänzen.
Nr. 533 (Karl Ynach, Salvius Brabon und Frau Schwan). Quelle ist Les illustrations de Gaule, par Jan le Maire de Belges (Paris 1548), le tiers liure, fueillet XXI, und mag uns zugleich als Beispiel dienen, wie die Brüder Grimm französische Texte zu benutzen verstanden. Die Sage beginnt bei ihnen: „Gottfried, mit dem Zunamen der Karl“; der Zusatz des Artikels „der“ ist unbequem, zumal noch einmal innerhalb der Sage „Gottfried Karl“ vorkommt. Da der französische Text an der fraglichen Stelle (S. XXI) „Godefroy surnommé karle“ und sonst noch „il fut surnommé karle“ hat, nirgend aber „le karle“, so ist auch bei Grimms „Gottfried, mit dem Zunamen Karl“ herzustellen. Aus dem Sinn war bereits zu entnehmen, daß auf S. 419 (Mitte) „Karl Ynach“ einzusetzen wäre für den Sinnfehler „Salvius“; der Urtext bewährt die Änderung. Die Namen verlangen noch eine Betrachtung. Burg Megen: chasteau de Megue. Schloß Senes: chasteau de Sesnes. Weiter liest man bei Grimms: „bis zu dem Schlosse Florimont, unweit Brüssel“; der Urtext aber bietet: „iusques au chasteau de froidmont, quon dit Cauberghe en langaige thiois pres de Bruxelles“. Ich habe daher nicht angestanden, in die Grimmsche Sage „Froidmont“ (anstatt „Florimont“) einzuführen.
Nr. 541 (Das Oldenburger Horn). Wie Arnim und Brentano dies Horn für den zweiten Band des Wunderhorns arbeiten ließen, so benutzten Grimms dies Stück für den zweiten Band der Sagen.
Nr. 543 (Die neun Kinder). In den Schriften von G. A. v. Halem (Münster 1803) 1, 252 findet sich die Sage „Graf Uffo und Hilburg“. Erst eine ziemlich redselige und überflüssige Einleitung zu der Mitteilung, daß „an der Oberweser … schon im neunten Jahrhundert das Kloster Möllenbeck“' entstanden sei; dann wird die Sage, wie folgt, erzählt: „Seine Sünden zu büßen,
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/50&oldid=- (Version vom 1.8.2018)