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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

von einfacher oder erheblicher Einzeländerung bis zur Umbildung einzelner Sätze und ganzer Satzpartien, ja erreicht in den sogenannten Prosaauflösungen oder in der ausschälenden Darstellung des sagenhaften Kernes aus moderner Überrankung den Grad freier, schriftstellerischer Tätigkeit. Eine Überschau über die wichtigeren Beispiele, die ich gesammelt habe, soll die Bestätigung im einzelnen wie im ganzen erbringen, wobei ich ausdrücklich betone, daß ich nicht alle Einzelheiten berühren kann, sondern mich auf das Wesentlichere beschränken will.

Unter den Sagen der ersten Strecke begegnen verhältnismäßig viel mündliche, im allgemeinen korrekt gedruckt; auch die nach gedruckten Quellen dargebotenen Sagen sind kaum irgendwo zu beanstanden. Erst mit Nr. 43 beginnen die Veränderungen und Umdeutungen.

Nr. 43–46, S. 55–58. Ursprünglich hatten diese vier Seiten, wovon ich einen einzigen Abzug besitze, die vier Sagen: 43 „Der Krug des Erdmännleins“, 44 „Das Erdmännlein und der Schäferjung“, 45 „Die Silber-Quelle“, 46 „Zeitelmoos“. Da nun aber der Text der Sagen auf S. 160 „Das quellende Silber“ enthielt, d. h. eine Sage, die mit der als Nr. 45 gegebenen sachlich übereinstimmte, aber äußerlich etwas abwich, so war an einer Stelle eine andere Sage einzuschalten. Es geschah auf die Weise, daß Nr. 45 „Die Silber-Quelle“ aufgegeben wurde und dafür „Der einkehrende Zwerg“ eintrat; zur Folge hatte dies wieder, daß 43 „Der Krug des Erdmännleins“ durch „Die Osenburger Zwerge“ ersetzt wurde. Die beiden Sagen „Das Erdmännlein und der Schäferjung“ sowie „Zeitelmoos“ blieben. Jene beiden lauteten:

43.
Der Krug des Erdmännleins.
Happel rel. curios. II. 513.

Ein hundertjähriger Wirth im Oldenburgischen, nicht weit vom Offenberg, erzählte einem Reisenden, wie solches Wirthshaus bei seinem Großvater treffliche Nahrung gehabt. Wenn er gebrauet, so wären aus dem Offenberg die Erdmännlein gekommen und hätten das Bier ganz warm aus der Butte abgeholt, auch immer dafür unbekannte, sehr gute Silbermünze gegeben. Einsmals hätte ein altes Männlein Bier geholt, aber weil es davon zu viel getrunken, so wäre es entschlafen. Als es erwacht, hätte es gar zu weinen und zu klagen angefangen, sein Großvater würde es, wegen des langen Ausbleibens, schlagen. Hierauf hätte es den Krug stehen gelassen und wäre eilig davon gelaufen. Derselbe Krug hätte nun, so lang er ganz geblieben, dem Hause gute Nahrung gebracht, nachdem er zerbrochen, wäre aber diese verschwunden.

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)