Seite:Steig Ueber Grimms Deutsche Sagen.djvu/30

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

Grimms aber haben, um die Sage allgemein zu halten, sämtliche örtlichen Hinweise, wie „da“, „dort“ usw. fortgebracht, mit einziger (wohl übersehener) Ausnahme am Anfang: „sie … trieben es dort in den Hof“. Das „du“ der Erzählung wurde in „man“ verwandelt. Die Urstelle hat: „da saßen sie und soffen Bier“; Grimms dafür: „da tranken sie zusammen“. Druckfehler war wohl bei Grimms: „Wie er aufsaß“ anstatt des originalen: „Wie er aufsah“. Was der „Giller“ ist, kann man nur aus einer früheren Stelle bei Stilling (S. 5) erfahren, wonach eine Stunde vom Dorfe Florenburg in Westfalen das Dörfchen Tiefenbach liege, von seiner Lage zwischen Bergen so genannt: „der östliche Berg heißt der Giller“; hingegen heißt der nördliche Berg der Geißenberg, auf dessen Spitze die Ruinen eines alten Schlosses liegen, und von diesem Geißenberger Schlosse kann man bis an den Rhein sehen.

Nr. 129 (Eppela Gaila) in freier Behandlung der von Grimms vermerkten Quellen.

Nr. 133 (Der heil. Niklas und der Dieb). „Mein heil. Niclaus, du hasts redlicher gewonnen,“ sagt bei Grimms der Kirchendieb zum Bilde des Heiligen; die Urstelle in Prätorius’ Weltbeschreibung (1, 200) lautet aber: „Mein Herr Nicol, du hast redlich gewonnen“, was in Anrede, Objektlosigkeit und einfachem „redlich“ besser erscheint. Dagegen rechtfertigt die Urstelle den Sagentext: „Die Teufel … warfen ihn bei den geraubten Gotteskasten“.

Nr. 134 (Riesensteine), Prätorius (1, 591) ziemlich frei nacherzählt. Bei Grimms: „Ein solcher Stein liegt zu Leipzig beim Kuhthurm am Wege“. Prätorius dagegen: „Wie ein dergleichen Stein bey Leipzig beym Kirchthurme am Wege lieget“. Der Grimmsche „Kuhthurm“ beruht also auf einem Druckfehler und war wieder durch den „Kirchthurm“ zu ersetzen; „ein Schmarre“, gleichfalls Druckfehler für „eine Schmarre“.

Nr. 144 (Verkündigung des Verderbens). Nach Prätorius’ Weltbeschreibung, unter auffälliger Bewahrung der altertümlichen Vortragsform, wohingegen einzelne Wortersetzungen, wie „über das Wesen … des Mannes“ für ursprüngliches „über der Person … des Mannes“ wieder modern sind. Nach der Urstelle: „so haben doch ihrer sehr viel ihme gespottet“, mußte bei Grimms das fehlerhafte „ihn“ in „ihm“ verändert werden.

Nr. 152 ff. Aus den „Volks-Sagen, nacherzählt von Otmar, Bremen 1800“, die schon Arnim und Brentano rühmten, haben die Brüder Grimm eine Reihe von Harzsagen geschöpft: Nr. 152 (Der Abzug des Zwergvolks über die Brücke), Nr. 153 (Der Zug der Zwerge über den Berg), Nr. 154 (Die Zwerge bei Dardesheim), Nr. 155 (Schmidt Riechert), Nr. 183 (Die Teufelsmühle), Nr. 189 (Des Teufels Tanzplatz), Nr. 200 (Der Lügenstein) usw. Keine Sage ist jedoch wörtlich übernommen, sondern sämtlich überarbeitet.

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)