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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

45.
Die Silber-Quelle.

Grundmann geist- und weltliche Geschichtschule S. 184 ff.
Joh. Prätorius im Rübezahl S. 401–403.
vgl. Lessing’s Collect. I. 122.

Als Herzog Heinrich Julius von Braunschweig regierte, hat sich im Februar des Jahres 1605 (wie Huldreich Brenner, der an dem Ort die Geschichte selbst erkundigt, meldet) zugetragen, daß eine Meile von Quedlinburg, zum Thal genannt, ein armer Bauersmann seine Tochter ausgeschickt, Brennholz zu lesen, wozu sie einen Trag- und Hand-Korb mitgenommen. Auf dem Heimweg begegnet ihr nun ein weißgekleidetes Männlein und fragte: „was sie trage?“ Sie antwortete: „ich habe Holz gelesen zum Kochen und Heizen.“ Das Männlein sagte: „schütte das Holz aus, ich will dir andere Sachen, nützer denn das Holz, für deine Körbe zeigen.“ Dessen weigerte sich das Mägdlein und wollte seines Weges fortgehen, wurde aber von dem Geist gewaltig an einen Hügel geführt, da auf einem Platz, zweier Tische breit, lauter Silber gelegen, groß und klein gemünzt mit fast einem Marienbild und verschiedenes Schriftgepräges. Als solches Silber vor ihm gleichsam aus der Erde herausgequollen, hat sich das Mägdlein entsetzt und zu weinen angefangen, auch nicht das Holz ausschütten gewollt. Aber der Mann leerte den Handkorb selber aus, füllte ihn voll Silbers, das wäre besser dann Holz. Während sie ihn genommen, in Bestürzung und Verwunderung dieser Dinge, begehrte das Männlein den Tragkorb auch, um Silber drein zu fassen, welches sie dennoch nicht gethan, vorwendend, wie sie auch Holz nach Haus bringen müsse, weil kleine Kinder daheim seyen, einer warmen Stube bedürftig; endlich sey auch solches zum Kochen nöthig. Hiermit zufrieden hat das Männlein gesprochen: „nun so zeuch damit hin!“

Nachdem das Mägdlein mit dem Silber im Dorfe angelangt und das Gerücht von der Geschichte sich verbreitet hat, sind die Bauern in Haufen nach dem angezeigten Platz gelaufen, haben aber die Geldquelle nirgends gefunden, deßwegen sie ungeschaffet wieder abziehen gemußt.

Da ihm solche Begebniß zukommen, hat der Fürst von Braunschweig alsbald ein Pfund von dem Silber zu sich holen lassen, imgleichen hat der Bürger aus Halberstadt, N. Everkan, auch ein Pfund an sich gelöset.

Nr. 49 (Der Wassermann) folgt Prätorius’ Weltgeschichte I. 482. Grimms Sage hat im ersten Druck (1816): „Der Mann … befand, daß alles hübsch aufgelaufen, lobete darum die Wehmutter“. Das anstößige „aufgelaufen“ ist erst in der 3. Auflage, nach Sprachgefühl, in „abgelaufen“ geändert. Prätorius aber

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/25&oldid=- (Version vom 6.11.2018)