Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation/6. Die Kirche/1

Schule und Gelehrsamkeit Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation
von Rudolf Wackernagel
Lebensformen und Gesinnung
{{{ANMERKUNG}}}
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Anmerkung WS: Aus technischen Gründen muss das Kapitel in zwei Teilen dargestellt werden. Zweiter Teil

[621] 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000

Sechstes Kapitel.
Die Kirche.




Im Ganzen der Stadtgeschichte haben auch die kirchlichen Dinge ihr Recht auf Beachtung.

Alles bisher Geschilderte war Laienmacht und Laienrecht und ein Leben örtlicher Gemeinschaft. Von ganz andern Maßen und Bedingungen beherrscht, eine internationale Organisation, tritt ihm die Kirche zur Seite. Indem sie über die sichtbaren Schranken des Rechtes, der Macht, der Gesellschaft hinweg an ein ewiges und unsichtbares Ziel verweist, ergreift sie das Leben jedes Einzelnen, ja das Leben des Gemeinwesens selbst im Innersten.


Weithin gelagert und in den mannigfaltigsten Formen breitet sich das Basler Kirchenwesen vor uns aus.

Der Klerikerstand, die milicia clericalis, die große Gesellschaft der Tonsurierten, nicht Geburts- sondern Berufsstand, ist die „Pfaffheit“, von der Gesetze und Urkunden reden. Um diese Gesamtheit handelt es sich bei der Festsetzung der Sonderrechte und Freiheiten, bei den Verhandlungen über Reform, bei Zusammenkünften wie derjenigen von 1409, in der die Anerkennung Papst Alexanders ausgesprochen wurde. Adressierungen großer kirchlicher Mandate an „Äbte Prioren Pröpste Dekane Archidiakone Kanoniker Kirchrektoren Altaristen Guardiane Lektoren Präceptoren Commendatoren Regularchorherren Priester curati Vikare Kleriker zu Basel“ nennen die Hauptvertreter der Masse.

Diese „geistlichen Personen“ sind die Verwalter des Überirdischen, sind durch Chordienst Altardienst und Fürbitte die Vermittler zwischen Gott und dem Volke. Sie gelten darum als die Auserwählten der Einwohnerschaft und fühlen sich zugleich als Glied einer großen, weit über die Stadt hinausreichenden Gemeinschaft. So bilden sie eine von Allem ausgesonderte Gruppe; sie wollen unberührt bleiben von Lasten und Geschäften und sollen weltlichem [622] Wesen gar nicht genügen können, daher sie, gleich den Frauen, dem Schutze der frommen Ritter befohlen sind, keines der hochstiftischen Ämter bekleiden können, vor dem Stadtgericht eines Vogtes bedürfen u. dgl. m.

Ein großer Teil dieser geistlichen Einwohnerschaft lebt hinter Mauern verschlossen, in den Klöstern, und wird selten sichtbar. Das sind die Religiosen, die Ordensleute, Mönche und Nonnen.

Ihnen gegenüber steht und beschäftigt uns hier zunächst der eigentliche Klerus, der sich, ohne Schaden für seinen Standescharakter, täglich überall mitten im profanen Leben bewegt.


Zum Wesen des Klerus gehört, daß er in den wenigsten Fällen theologisch geschult ist, überhaupt selten höhere Bildung besitzt. Der Durchschnittskleriker hat meist nur die Lateinschule durchgemacht und im besten Fall einen artistischen Grad erlangt.

Auch sind keineswegs alle Kleriker zugleich Priester. Manche begnügen sich mit den niedern Weihen und sind somit nicht zum Zölibat verpflichtet. Daher die oft uns begegnenden clerici conjugati. Sie verlangen nicht mehr, streben überhaupt nicht nach hohen Dingen und wahren sich die Möglichkeit der Rückkehr in den Laienstand. Erst die Priesterweihe gibt dem Kleriker die innere unverlierbare Befähigung zur Ausübung der Kirchengewalt, zur Darbringung des Meßopfers, zur Spendung der Sakramente.

Ziel fast aller Kleriker ist die Pfründe, weil sie ein Kirchenamt trägt und ökonomischen Wert hat. Sie besitzt Geräte Bücher Zinse Häuser usw. Sie gibt einem Leben Halt, sie ernährt, sie bietet Versorgung. Es sind sprechende Vorgänge, wie der Stadtschreiber Künlin auf seine alten Tage Kleriker wird und nach den Sorgen und Anstrengungen der langen Amtsarbeit die Stille einer Kaplanei in der Heiligkreuzkapelle aufsucht; oder wie bei der Teilung des Eptingischen Erbes 1456 Hartman zurücktritt und seinen Brüdern die größern Teile läßt, weil er wohlbepfründet ist und sein Auskommen hat, während sie die Familie emporbringen sollen. Die Pfründe ist die erwünschte Grundlage klerikaler Tätigkeit. Wer dem Altare dient, soll vom Altare leben; ohne Zeitliches kann das Geistliche nicht gedeihen; je besser und nahrhafter die Pfründe ist, um so reichlicher kann auf ihr Gott gedient werden.

In unzähligen Fällen sehen wir aber den Kleriker sich gar nicht mit einer Pfründe allein begnügen, sondern ehrgeizig und habsüchtig ihrer mehrere begehren und neben einander besitzen.

[623] Aber andrerseits sind auch nicht alle Kleriker bepfründet. Die Zeugenreihen der Offizialatsurkunden z. B. oder die langen Listen der Bewerber um ein vom Rate zu vergebendes Benefiz zeigen uns stellenlose Kleriker in Menge. Wie zahlreich jederzeit die Bedürftigen und Darbenden in diesem Kreise waren, verraten auch gelegentliche Erwähnungen: die armen Priester, die bei der reichen und gutherzigen Adelheid Bidermann an die Kost gehen dürfen; oder diejenigen, unter welche die vom Klingentaler Kaplan Schlatter hinterlassenen Kleider verteilt werden u. dgl. m. „Kein ärmer Vieh auf Erden ist, als Priesterschaft, der Nahrung gbrist“, sagt Sebastian Brant. Allezeit gibt es Kleriker, die von der Schule weg nicht sofort zu einem Benefiz gelangen, sondern in einem unsteten ambulanten Leben zu clerici vagabundi, zu fahrenden Scholaren werden. Viele gehen dabei unter, bringen dem Stand keine Ehre. Einzelne aber finden den Weg zum großen kirchlichen Glücksmarkt in Rom und erlangen dort einen Posten bei einem Prälaten oder die Provision auf eine Pfründe.

Der Kleriker ist nirgends ein Fremdling, er kann überall zu Hause sein. So kommt es, daß neben den Eingeborenen sich unaufhörlich auch Solche herandrängen, die von draußen gekommen sind. Eine buntgemengte Masse von Pfaffheit offenbart damit die Weite und die Einheit der kirchlichen Welt. Nicht an die guten Oberrheiner denken wir hiebei; sie fühlen sich in Basel ohne weiteres daheim, wie z. B. jener Lautenbacher Chorherr Paulus, der hier 1399 in seiner Köchin Haus stirbt. Anderes ist bezeichnender. Die Bischöfe Heinrich von Trient, Nicolaus von Butrinto und Johann von Valanea mieten 1313 den Krautgarten der Prediger an der Lottergasse, um da zu wohnen; Heinrich von Nördlingen kommt nach Basel, hat sofort eine Kirche voll Zuhörer und wird Kaplan bei St. Peter; neben Surgant amten als Helfer zu St. Theodor ein Sanct Galler und ein Würzburger; der Augsburgische Priester Emser führt sich in Basel auf, als wenn er hier daheim wäre; wie Bischof Johann von Venningen in seinem Testamente die Kirche Speyer bedenkt, so erinnert sich Pfarrer Meyer zu St. Alban auf dem Todbette seines Geburtsdorfes in Franken und spendet dorthin einen silbernen Kelch; da die Basler auf ihrem Heerzuge im Mai 1512 durch das Dörflein Nefis oberhalb Trient ziehen, finden sie da als Leutpriester ihren Landsmann Herman Roiching.

Nur fehlt es bei dieser Universalität und Freizügigkeit in auffallendem Maß an Kontrolle. Kein Ausweisverfahren scheint zu bestehen und keine Gewohnheit der Erkundigung. Der Rudolf Ment, der als Dekan in Aarau mit gefälschten Ablaßbriefen Geld erschwindelt hat, verliert dadurch „sein [624] Ansehen in der Diözese Konstanz“, übernimmt aber ohne Hinderung 1458 die Leutpriesterei zu St. Alban in Basel.

Wichtig ist hiebei, daß unter dem Eindringen von Fremden alte, einst rein städtisch gewesene Kirchkollegien allmählich entbaslern. Wichtig aber auch die Frage, inwieweit diese Kleriker, auch abgesehen von ihrer Herkunft, vermöge ihrer Zugehörigkeit zur allgemeinen Kirche sich noch als Basler Kleriker, als Glieder einer städtischen Kirche zu fühlen vermögen.

Der Kleriker, der überall zu Hause, ist auch überall brauchbar. Vor Allem in den mancherlei geistlichen Funktionen, in Höhen und Tiefen der Kirche selbst. Er verwaltet mehrere Pfründen nebeneinander oder geht von dieser zu jener über; er scheidet aus dem Weltklerus aus und verschwindet im Kloster, wie der St. Martinskaplan Lienhard Wettinger in der Karthaus; oder er kehrt vollends zurück in die helle offene Welt und wird wieder Laie, wie der Domherr Hans Thüring Münch u. A. Vielbeschäftigt ist jener Heinrich Rink, der neben seiner Kaplanei zu St. Peter acht Jahre lang als Helfer in Kleinbasel amtet und „in großer pestilenz und trübsal sein bestes thut“, dann auch im Auftrage des Lohnherrn nach St. Hippolyte reitet, um den am Basler Salzwerk Arbeitenden zur Osterzeit das Sakrament zu bringen.

Aus dem Kirchlichen heraus treten dagegen die Kleriker, die sich trotz den Verboten mit weltlichen Geschäften abgeben. Einige machen geradezu den Eindruck von Liegenschaftsspekulanten; der Domkaplan Burchard von Au z. B., der auch Kirchherr zu Munzach ist, 1385, 1394, besitzt in Basel eine ganze Reihe von Häusern, und der vielgewandte, als Domfabrikmeister Spitalmeister Schaffner des Hintern Amtes Pleban von Zimmersheim usw. uns begegnende Priester Gügellin, 1458, 1469, handelt mit Gütern in Grenzach Riehen Wenken Inzlingen Brombach usw. Als Notare praktizieren unaufhörlich die Kapläne Konrad Pfau, Henman Friedrich von Münderstat, Peter Keßler u. A. Dann sehen wir namentlich Figuren aus dem niedern armen Klerus, kleine Meßpfründner oder auch Stellenlose, die als Schaffner, als Buchhalter, als Diener sich durchbringen. In den wohlausgestatteten Häusern der Heiwiler Schörlin Offenburg Eptingen u. A. gehört zum dienenden Personal auch ein solcher Kleriker, der Hausgeistlicher, aber auch Hauslehrer oder Schreiber sein kann; der Komthur Franz von Arlesheim so gut wie der Hofadvokat Johann von Sursee haben ihre geistlichen Familiaren. Namentlich aber sind es fromme und vornehme Kapitalistinnen, – Markgräfin Agnes 1391, Ursula Rot 1419 f., Margaretha Reich geborne von Rotberg 1486, Magdalena von Eptingen 1503 u. A. – die sich stets eines schrift- und [625] geschäftskundigen Pfaffen als Vermögensverwalters bedienen. Der geistliche Herr Hans an den Steinen betreibt 1506 das Gewerbe eines Illuministen, andere Priester halten Wirtschaft und Gastung, der Domkaplan Herloff 1494 und der Leutpriester Zanker zu St. Martin 1505 nehmen Kostgänger zu sich. Das Lebendigste bieten wohl Fridli Graf († 1502), den wir als Notar, als Kaplan bei St. Peter, als Pleban zu Wehr und überdies noch als Zinsmeister und Schaffner des Klosters Klingental betreffen, und der im Buchgewerbe berühmt gewordene Domkaplan Johann Bergman von Olpe.

All dies wird erleichtert durch die Heimatlosigkeit des Klerikers. Er ist gelöst von Geburtsort und Familie und steht für sich allein da, zuweilen „ohne eigen Feuer und Rauch“, ohne Hauswesen, und muß dann bei Andern seine Kost suchen. Als Zölibatär hemmt und bricht er die Generationenfolge, sodaß auch das natürliche Erbrecht bei ihm nicht mehr scheint gelten zu sollen.

In der Tat gibt das in unserer Periode hier herrschende Recht den Nachlaß des Klerikers, ohne Rücksicht auf Verwandte, dem Bischof. Will ein Kleriker dieses bischöfliche Spolienrecht durch eigene Verfügung über sein Gut beseitigen, so kann er dies nur mit Einwilligung des Bischofs tun, welche Einwilligung er aber, soweit wir sehen, nicht vorher einzuholen braucht, sondern durch Vorwegbestimmung einer an den Bischof zu entrichtenden Abgabe, des ferto, seinem Testamente sichert. Das Tatsächliche dieses Verfahrens tritt uns in den zahlreichen Klerikertestamenten, die sich erhalten haben, sowie in den Einnahmenaufzeichnungen des Bischofs als konstante Praxis entgegen. Unehelich geborene Kleriker können gegen Entrichtung des ferto gleichfalls testieren; doch genügt bei ihnen, wie es scheint, die stille Bestimmung des ferto nicht, sondern sie bedürfen des ausdrücklichen Consenses. Im Klerikertestament kommt die Familienzugehörigkeit meist wieder zur Geltung. Die Verwandten erhalten ihr Legat, aber neben der Kirche, dem Stift, der Bruderschaft, dem Altar, der Magd des Verstorbenen. Diese Magd ists oft, die für das Seelenheil ihres Herrn sorgt, sein Grab und sein Andenken ehrt; zuweilen hat er ihr sogar sein ganzes Gut vermacht und sie ihm in gegenseitigem Testament das ihre.


Die kleinste Gruppe innerhalb des städtischen Klerus bildend können die Pfarrer doch als seine Ersten und Wichtigsten gelten. Sie sind bleibend angestellt. Sie sind die regelmäßig und am sichtbarsten wirkenden Vertreter der Kirche, die durchaus Unentbehrlichen. Nicht als Diener der Gemeinden stehen sie da, sondern als Verwalter des Kirchenamtes. Auch nicht das [626] Priestertum, die selige mystische Einsamkeit vor dem Altar, ists was sie auszeichnet, sondern die Gewalt des Parochieherrn. Ihre Wohnung ist womöglich in unmittelbarer Nähe ihrer Kirche. In den Sprengeln, bei deren Kleinheit jeder Einzelne ihnen nahe ist, können sie Hirten und Väter sein, ist ihnen die Leitung der Seelen und damit die „Kunst der Künste“ anvertraut.

Von dem reichen Inhalte des Pfarramtes handeln die Akten und Satzungen. Durch alle Jahrhunderte bis zu den Statuten Bischof Christophs von 1503, welche die Pflichten der curati in aller Ausführlichkeit und Weihe darlegen. Die Pfarrer sind berechtigt und verpflichtet vor Allem zum Verwalten der Sakramente (Taufe Trauung Beichte und Buße Ablaß Eucharistie Ölung Begräbnis). Die persönliche Seelsorge liegt ihnen ob, der Krankenbesuch, die Predigt, der kirchliche Unterricht, überhaupt die Besorgung des Gottesdienstes in allen seinen Formen von der Zelebration der Messe bis zur Führung der Prozessionen, zur Begehung der Gräber, zu Benediktionen usw. Sie beaufsichtigen die Gemeinde, rügen Fehlbare, führen Register usw. Durch ihren Mund aber redet nicht allein Gott. Unaufhörlich funktionieren sie als Publikations- und Exekutionsorgane der geistlichen Gerichte, und auf der Kanzel haben sie mancherlei geschäftliche Dinge zu besorgen. Hier werden Sonntags die Feste und Anniversarien der beginnenden Woche angezeigt, werden Erlasse des Papstes, des Bischofs, der Münsterfabrik usw. verkündigt; 1475 bringen die Pfarrer den Kirchspielleuten ein Gebot des städtischen Rates zur Kenntnis.

Seitdem die Verhältnisse der städtischen Pfarreien um die Mitte des XIII. Jahrhunderts in der Hauptsache ihre letzte Festigung und Ordnung erhalten haben, ist der Bestand folgender:

1. Die St. Martinsparochie wird vom Rhein, vom Birsig und von einer aus diesem durch das Fahnengäßlein und den obern Schlüsselberg in den Rhein führenden Linie begrenzt.

2. Die Parochie von St. Alban umfaßt den oberhalb jener Linie gelegenen Teil der alten Stadt zwischen Birsig und Rhein samt der Vorstadt und dem Klostergebiete.

3. 4. St. Peter und St. Leonhard haben ihre Parochieen auf dem linken Birsigufer, geschieden durch Sattelgasse Spalenberg Spalenvorstadt.

5. Zur Gemeinde von St. Ulrich gehören die Vorstadtgebiete zwischen St. Alban und dem Birsig, sowie die alte Landparochie Binningen und Bottmingen.

[627] 6. Die Parochie von St. Theodor ist Kleinbasel.

Diese topographische Gliederung des Stadtkirchengebietes schafft nicht nur geschlossene Kreise der Gläubigen, der Kirchgenossen, sondern ist auch im profanen Leben wirksam. Die Kirchspiele bilden die Bezirke für die Feuerschau, für den Steuereinzug, für die Bevölkerungsaufnahme, vereinzelt auch für das Milizaufgebot.

Hier beschäftigt uns die rechtliche Gestaltung der einzelnen Pfarreien.

St. Alban, St. Leonhard und St. Peter bildeten eine Gruppe für sich, indem bei ihnen die Gemeindepfarrei dem geschlossenen Körper eines Klosters oder Stifts eingefügt war. Unabhängige Pfarrpfründen bestanden hier nicht; als Pfarrkirchen dienten die Kloster- oder Stiftskirchen, in denen die Gemeinden bei den Herren des Chores gleichsam zu Gaste gingen.

Bei St. Peter finden wir die Pfarrei dem Custos übertragen; doch versah dieser das Amt nicht selbst, sondern beauftragte damit einen der Kapläne als Vikar (Geselle Leutpriester) und zog außerdem noch andere Kapläne zur Aushilfe heran. In solcher Weise, mit Beteiligung einer Mehrzahl von Personen, die zudem nicht ausschließlich dem Gemeindedienst verpflichtet waren, wurde die Pfarrei verwaltet; erst spät gelangte das Kapitel zur Schaffung einer eigentlichen Pfarrstelle.

Ähnlich haben wir uns die beiden klösterlichen Pfarreien vorzustellen. Bei St. Leonhard mit der bestimmt formulierten Befugnis sämtlicher Priester unter den Konventsherren zum Beichthören, Buße auferlegen, Wort Gottes verkündigen usw. 1479 kam es zu einer Trennung der Pfarrei vom Kloster und Übertragung der Pfarrgeschäfte an Weltpriester. Auch St. Alban ließ seine Pfarrei lange durch Mönche versehen, erst im XV. Jahrhundert durch Weltpriester.

Freier, selbständiger, als reine Gemeindepfarreien stehen St. Martin und St. Theodor da; sie gleichen sich in ihrer Entwickelung durchaus.

Der Patronat beider Kirchen stand ursprünglich, durch die Schenkung Bischof Burchards, dem Kloster St. Alban, seit 1259 (vollständig seit 1314), der Patronat von St. Theodor dem Domstift zu. Kraft dieses Rechtes wählten Konvent und Kapitel die Pfarrer und präsentierten sie dem Bischof (für St. Martin dem Bischof von Basel, für St. Theodor dem Bischof von Konstanz) zur Investitur. Diese Pfarrer, meist vornehme Herren, versahen ihr Amt kaum je in eigener Person. Sie behielten die Würde, den Hauptteil der Einkünfte, die rechtliche Vertretung; für Besorgung der Geschäfte selbst hielten sie sich untergeordnete Kleriker als Vikare oder Leutpriester, die sie besoldeten.

[628] Dies war der Zustand der früheren Zeit, der aber im XIV. Jahrhundert durch Inkorporation der beiden Kirchen geändert wurde; diese Inkorporation, durch die Kloster und Stift die bisher nur ihrem Patronat unterworfenen Kirchen mit ihrem ganzen Gute zu Eigentum erhielten und nun Patrone und Kirchherren zugleich wurden, war eine Maßregel, die zugestandenermaßen ergriffen wurde, um den schlechten Finanzen des Patrons aufzuhelfen. Für St. Theodor wurde sie zu Gunsten des Domkapitels 1331 durch Papst Johann verfügt, jedenfalls als Belohnung der im Kampfe mit König Ludwig geleisteten Dienste; für St. Martin zu Gunsten des Klosters St. Alban 1362 durch Bischof Johann. Beide Male vollziehbar beim Abgange der die Kirche zur Zeit besitzenden Kirchherren, welcher Moment zu St. Theodor schon 1332, zu St. Martin erst achtundzwanzig Jahre nach der Inkorporation, im Jahre 1390, eintrat.

Für die Pfarrämter selbst und die ihnen unterworfenen Gemeinden brachte der Vorgang nichts wesentlich Neues. Nach wie vor besorgte ein Vikar die Geschäfte; nur wurde er nicht mehr durch einen nominellen Pfarrer, sondern durch das Stift oder Kloster ernannt und besoldet.

St. Ulrich, die sechste Pfarrkirche Basels, hatte als Kirchherrn den Dompropst und wurde durch einen Domkaplan oder Vikar bedient.

Diesem ganzen Wesen war überall und zu jeder Zeit eigen die Trennung einer natürlichen Einheit, das tatsächliche Verschiedensein des Pfarreiinhabers und des Pfarreibesorgers. Der den Namen des Pfarrers trug, war vielleicht zu jung oder ohne Priesterweihe oder mit einer Mehrzahl kirchlicher Ämter beladen, daher zur Besorgung der Pfarrei unfähig, vielleicht auch unwillig; oder er war eine Mehrheit von Personen, ein Konvent und Kapitel. Der statt seiner Arbeitende, der Subalterne, der nicht dem Amt und nicht der Gemeinde, sondern nur dem Brotherrn Verpflichtete, der Vikar, konnte trotzdem brauchbar, tätig, dem Volke genehm sein; er konnte namentlich in der Zeit nach der Inkorporation das Kloster oder Stift und dessen Pfarreiherrschaft völlig vergessen machen vermöge seiner eigenen starken Persönlichkeit. Aber er konnte auch ein Mietling sein an der Stelle des Hirten. Bei dem Mangel an Kontrolle war jedem Mißbrauche die Bahn frei; und unter allen Umständen fehlte dem Amte die Wucht eines ganzen und geschlossenen Wesens.

Das Empfinden und Leiden dieses Mißstandes wirkte mit dazu, daß einzelne Gemeindegenossen sich zu eigener Betätigung erhoben.

Wer durch Aufwendung einer Geldsumme einen eigenen Altar und einen eigenen Geistlichen stiftete, schuf sich damit auch einen Behelf für die [629] Fälle, in denen der ordentliche Pfarrer versagte oder kein Vertrauen genoß. Man sorgte für das Heil der Seele nach dem Tode und hatte schon bei Leibesleben einen seinem Willen und Bedürfnis gemäßen Kultplatz in der Kirche. Diese Präbendenstiftungen, am zahlreichsten in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts begegnend, füllten jedenfalls eine Lücke. Sie halfen zu einer Ergänzung der Pfarrtätigkeit, und durch die Konkurrenz, die sie bereiteten, zwangen sie die Kirche, sich wieder ernster auf ihre Pflichten zu besinnen.

Auf diesem Wege entwickelten sich neue Zustände.

Beachtung verlangt zunächst die nötig werdende Erweiterung der Kirchgebäude, namentlich ihrer Chöre; ganz abgesehen von Erdbeben und Brand ist sie eine Folge des Anwachsens der Gemeinden, der Altäre und des kirchlichen Personals.

Über das kirchliche Personal aber ist jetzt Folgendes zu sagen:

Neben dem Pfarrer (Leutpriester Vikar) amten Helfer bei der Leitung und Besorgung der wachsenden Gemeinde: zu St. Peter schon seit dem XIII. Jahrhundert, zu St. Theodor seit der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, zu St. Ulrich später. Zu dieser Pfarrgeistlichkeit treten die an den Altären der Kirche und ihrer Filialkapellen dienenden Kapläne. Wir sehen Altar nach Altar gestiftet werden; bei jedem Altar ist eine Pfründe, bei manchen Altären sind mehrere Pfründen, und jede Pfründe bringt der Kirche einen neuen Kaplan, sodaß z. B. in St. Martin 1441 zehn Kapläne neben dem Leutpriester gezählt werden, zu St. Theodor 1493 sieben neben dem Leutpriester und den zwei Helfern. Diese Kapläne sind, auch vom Persönlichen abgesehen, im Einzelnen höchst verschieden nach der Art, der Tendenz, der Finanzierung ihrer Pfründen. Ihre Wahl und ihre Tätigkeit wird geordnet durch die Stiftung.

Die Arbeit dieser „Altaristen und Meßpfaffen“ ist in erster Linie der Dienst an ihrem Altar. Daneben haben sie allerdings dem Pfarrer in der Regel beim Beichthören, Administrieren der Sakramente, Besuchen der Kranken zu helfen und ihn außerdem im Chordienst bei der Messe, dem Stundengebet und den Totengedächtnisfeiern zu unterstützen; zuweilen haben sie aber nur die Funktionen ihrer Pfründen.

Am erkennbarsten wird uns dies ganze Personal bei seinen Konflikten. Wir lernen die Menschlichkeiten kennen, die auch hinter kirchlicher Würde gedeihen, und die Gedanken dieser vom hohen Chor umschlossenen, in Andacht Gebet und Meßhandlung sich vereinigenden Genossenschaften.

Die pfarrliche Tätigkeit sollte ausschließlich sein, innerhalb der Parochie nur dem Pfarrer zustehen. Dies war der Pfarrzwang, ein der Anfangszeit [630] gemäßes Recht, das aber schon frühe durch Ansprüche oder Befugnisse Anderer durchbrochen wurde. Die Entwickelung von Welt und Kirche brachte notwendig eine Vermehrung von Möglichkeiten auf diesem Gebiete; nicht nur Tatsachen, sondern auch Begeisterung und Ehrgeiz führten dazu, daß ein Kirchenorgan dem andern die Arbeit streitig machte.

Eine Konkurrenz bereiteten vor Allem die schon erwähnten Meßpfründen; ihre Stiftung konnte daher meist nicht geschehen ohne Konsens des Kirchherrn.

Auch an die Kapellen darf erinnert werden, die das Kirchgebäude in nächster Nähe begleiteten, ihm eingebaut waren oder auf seinem Kirchhof standen. Solche Kapellen, mit eigenem Kultleben höchst verschiedener Intensität, fanden sich bei den meisten Kirchen.

In Betracht kamen ferner die Niederlassungen auswärtiger Klöster, wenn sie eigene Kapellen und Priester hatten und damit eine Exemtion vom Rechte des Parochus darstellten. Die St. Bernhardskapelle im Lützelhof, schon 1224 genannt, begegnet uns noch im XV. Jahrhundert; auch Beinwil hatte hier seine Kapelle; Gleiches dürfen wir für die Höfe von Murbach St. Blasien Mettingen usw. annehmen.

Sodann die mit Altären und Geistlichen ausgestattete Spitalkirche sowie die Oratorien des Siechenhauses und der Elendenherberge.

Endlich die abgesonderten selbständigen Kapellen. Manche unter ihnen waren freilich kaum etwas Anderes als Andachtsorte und Heiligenhäuschen, hatten nicht immer einen Altar, keinen regelmäßigen Gottesdienst, jedenfalls keine Kaplanei. Betkapellen solcher Art waren wohl die alten Heiligtümer von St. Ursula beim Birsigauslauf (ehemals Schwanengasse 1) und St. Germanus (Nicolaus) am Rheinufer des St. Albantals. Auch die zahlreichen Feldkapellen rings um die Stadt an den Landstraßen gehörten größtenteils in diese Reihe: die Kapelle vor dem St. Albantor im Göllert; die Katharinenkapelle vor dem Äschentor; die Kapelle vor dem St. Johanntor; die Margarethenkapelle vor Kleinbasel, die 1403 beim Bau der Karthaus abgebrochen wurde; die Kapellen von St. Anna vor dem Bläsitor und des Heiligen Kreuzes vor dem Riehentor und dem Spalentor.

Klar erkennbar tragen diese Kapellen neben der Bedeutung von Reiseandachtstätten den Charakter von Grenzheiligtümern. Sie stehen in der Nähe der Kreuze und Kreuzsteine, ummarchen mit diesen das städtische Gebiet und dessen Frieden. Daher z. B. die Stadt 1440 dem Papste bis zur Katharinenkapelle entgegenging, die Hegenheimer 1493 ihre fremden Kranken bei der Heiligkreuzkapelle an Basel abschoben.

[631] Eine alte Funktion solcher Art scheint auch der Michaelskapelle beim Spalenschwibogen ihre Bedeutung zu geben. Wie z. B. in Köln die Michaelskapellen auf oder an Stadttoren gelegen waren, so hier dieses Gotteshaus. Obwohl es bei Einrichtung der Elendenherberge mit ihr vereinigt war, blieb es doch auch nach Verlegung der Anstalt an seiner alten Stelle beim Tor.

Ähnliches gilt von der Rheinbrückenkapelle. Sie gab der Brücke religiöse Weihe; als Gnadenort für die auf dem Rheine Fahrenden war sie dem Nicolaus heilig; aber zugleich war sie Grenzkapelle. Bei ihr trafen sich die Hoheitsrechte der beiden Städte; bis zu ihr ging und geht der Umzug der Kleinbasler Ehrenzeichen; auch im Strafprozesse galt sie als Grenzmarke. Ihre früheste Erwähnung ist zum Jahre 1383/84; nach der Vereinigung Groß- und Kleinbasels wurde sie 1392 erneut oder umgebaut.

Die meisten dieser Kapellen waren nur Räume, nicht Organisationen. Zu höherer Entwickelung gelangten andere, die einem, wenn auch nicht pfarrlichen, doch öffentlichen, auf festem Kirchenamt und geordneter Pfründe ruhenden Gottesdienste gewidmet wurden.

So die alte St. Brandanuskapelle auf dem Blumenplatz; in ihr diente ein eigener Kaplan.

So St. Elisabeth in der Vorstadt zu Spitalscheuern, ursprünglich nur Gottesackerkapelle der St. Ulrichsgemeinde; 1315, 1463 und 1469 mit Kaplaneien ausgestattet, 1516 neugebaut. Nach der Stiftung von 1315 hatte der Kaplan täglich Messe zu lesen und, weil es eine Gottesackerkapelle war, mindestens dreimal in der Woche die Totenmesse zu zelebrieren und die Gräber mit Weihwasser und Gebet zu besuchen. Die Kapelle war Filiale von St. Ulrich, an deren Pfarrer die in ihr fallenden Opfer abzuliefern waren.

Ein gleiches Verhältnis finden wir bei St. Nicolaus in Kleinbasel. Doch war diese Kapelle gehoben durch ihre Lage und ihren offiziellen Charakter. Sie entstand 1255; die Weihen 1303 und 1375 weisen auf Erneuerung des Gebäudes. Erst 1318 erhielt sie einen Kaplan, später einen Reichtum von Altären Messen Indulgenzen usw.

Filialkapelle von St. Theodor war auch St. Anna, im Vorwerke des Bläsitors gelegen. Sie wurde 1407 errichtet und geweiht, 1493 erweitert, jeweilen unter Konsens des Rates; die Erweiterung 1493 geschah durch die Kleinbasler Gemeinde.

Wie der Rat hier mitwirkte, so zur selben Zeit bei der Kapelle vor dem Riehentor. An beiden Orten wohl nicht in Ausübung früherer [632] kleinbaslerischer Gemeinderechte, sondern eher in der Absicht, in der nun ihm gehörenden Stadt dem die Pfarrkirche beherrschenden Domkapitel gegenüber ein eigenes Gotteshaus zu haben. Namentlich bei der Heiligkreuzkapelle ist diese Absicht kaum zu verkennen. Hier war das Primitive das Bestehen eines Elendenkreuzes d. h. eines Kreuzes der Fremden, zu dessen Anbetung das Volk sich an dieser Stelle, wo die große Landstraße in die Stadt eintrat, oft in Massen drängte. Von einem dieses Kreuz bewachenden Bruder ist die Rede, dann von einer Kapelle, die hier errichtet worden ist, Vermögen und Pfleger hat. Nach der Vereinigung der Städte gewann auch dieses Verhältnis neues Leben. Der Rat nahm das Vermögen in seine Verwaltung und erlangte vom Papste 1403 die Erlaubnis zum Neubau der Kapelle. Deutlich ist dabei jedes allfällige Recht des Kleinbasler Pfarrers und seines Kirchherrn, des Domkapitels, ferne gehalten, vielleicht auf Betreiben Jacob Zibols, der gerade damals bei Stiftung der Karthaus mit der Opposition jener Beiden kämpfen mußte. Den Patronat der Kapelle hatte sich der Rat vom Papste geben lassen; die Oblationen blieben der Kaplanei; die Kapelle hatte ihre eigenen Pfleger. Der Rat bestritt die Kosten der Weihe 1404, ließ 1418 den Raum prachtvoll ausmalen, fundierte 1423 in förmlicher Weise die Kaplanei, nachdem ein „armer priester“, Hans Füerin, den der Rat schon 1403 für die Pfründe in Aussicht genommen, „zu mengem male gen Rom gelaufen ist“ und Freiheiten für die Kapelle erworben hat. Dieser Füerin wird 1423 vom Rate präsentiert, vom Konstanzer Bischof instituiert und investiert; seine Besoldung hat er vom Rate. Außer seinen Verrichtungen in der Kapelle selbst soll er gelegentlich dem Leutpriester zu St. Theodor mit Lesen und Singen helfen.

Noch einen Schritt weiter zur Freiheit sehen wir gemacht bei der Kapelle des Heiligen Kreuzes vor dem Spalentor, an der Straße nach Hegenheim. Von einem Filial- oder sonstigen Verhältnis dieser Kapelle zu einer der städtischen Pfarrkirchen verlautet nichts. Ihre Anfänge und ihre Entwickelung sind unbekannt; sie erscheint als selbständige Institution; ihren Kaplan und die Pfleger wählt der Rat.

Von St. Andreas wird später zu reden sein.

Die Kapellen bewirkten nicht in jedem Fall eine Schädigung der Gemeindekirche. Wie sie vielmehr gerade in deren Interesse und zur Abwehr der Konkurrenz von Nachbarkirchen entstehen konnten, zeigt die Absicht St. Albans, seinem innerhalb der Stadtmauern gelegenen Parochieteil eine Kapelle mit Kirchhof zu geben, und zeigt der Bau von St. Nicolaus 1255. Auch waren die Geistlichen der Kapellen meist ausdrücklich auf ihren [633] Altardienst eingeschränkt. Aber wenn auch „weltliche“ d. h. finanzielle Schädigungen von Belang verhütet werden mochten, so gaben doch die Messen und überhaupt der ganze Kultusbetrieb dieser nebenaus liegenden zahlreichen Gotteshäuser die Möglichkeit einer Ablenkung, die sehr wohl als damnum spirituale gelten konnte.

In jedem Betrachte kräftiger und spürbarer war natürlich die Konkurrenz, die einer Pfarrei durch eine Nachbarpfarrei entstehen konnte. Bei einer solchen war mehr zu finden als bei einer Kapelle: das Pfarramt mit allen seinen Rechten und die voll ausgestattete Kirche. Ganz natürlich kam es da zu einem Überlaufen über die Grenze, wenn Liebhaberei oder Bequemlichkeit dazu trieben. Ein sprechendes Beispiel sind die Zustände in Kleinbasel nach Erbauung der Brücke, wo die Bewohner des jungen Fleckens statt der eigenen abgelegenen Pfarrkirche leichter erreichbare Gotteshäuser Großbasels besuchten, bis der Kirchherr 1255 eine Filialkirche neben den Brückeneingang baute. Was hier geschehen war, konnte sich überall und immer wiederholen; die Synode von 1434 beschäftigte sich damit, und noch 1502 kamen sämtliche Pfarrherren Basels zusammen, um ihr Benehmen bei solchen Fällen von Desertion gegenseitig zu ordnen.

Beachtung heischt namentlich das Parochieverhältnis St. Albans zum Domstift. Hier sind die Rollen vertauscht: gegenüber dem Kloster und seinen Pfarreirechten im Stadtteile zwischen St. Martin, dem Birsig und der Stadtmauer steht nicht etwa ein nachträglich entstandenes, sondern das uralte Stift der Kathedrale, einst im Besitze der Pfarrhoheit, bis ihm diese zu Ende des XI. Jahrhunderts durch den Bischof genommen und dem Kloster gegeben worden war. Wie über diesen Zustand schon um die Mitte des XIII. Jahrhunderts gestritten und zuletzt vom Papste dem Kloster Recht gegeben wurde, ist geschildert worden. Aber das Domstift fand sich ungern in die Lage, immer wieder lebte der alte Zank auf. Unleidlich war zumal den Domkaplänen, die mit dem Volke mehr in Berührung kamen als die Domherren, daß hier im Kerne der Stadt, rings um das Münster, diese Albanleute aus der Vorstadt die Gemeinde pflegten, die Sakramente spendeten, die Gebühren erhoben. Wir fragen zugleich nach den Bedürfnissen der Gemeinde selbst. St. Alban lag fernab und war Nachts durch den geschlossenen Schwibogen von seiner Altstadtgemeinde getrennt; aber auch innerlich hatte das Kloster etwas Abgewendetes; unter der intensiven Leitung Clunys blieb es den Basler Dingen vielfach fremd, ja einzelne seiner Brüder sprachen nur Französisch. Das Ganze war ein Zustand, der allen Satzungen und Sprüchen zum Trotz die Leute dem Münsterklerus in die [634] Hände trieb. Wenn Bischof Johann 1371 das alte Recht des Klosters neu verbriefte, so blieb dies ohne volle Wirkung; und auch daß St. Alban seinen Plebanat später nicht mehr einem Mönche gab, sondern einen Weltgeistlichen an das Amt wählte, half nicht viel. Die gegen Ende des XIV. Jahrhunderts zu St. Alban mit sichtlichem Verdruß angefertigten langen Listen von Klosteruntertanen, die „wider Gott und Recht“ ihr Begräbnis beim Münster gewählt haben, sprechen deutlich genug. Jedenfalls hatte sich Mancher von denen, die beim Münster bestattet sein wollten, schon zu Lebzeiten als dessen Kirchgenossen gefühlt und betragen. Fortan haben wir mit dem Bestehen einer solchen unregelmäßigen Münstergemeinde in und neben der regulären St. Albanparochie zu rechnen, und schließlich erhielt der Tatbestand seine rechtliche Formulierung. 1471, in einer Zeit der Schwäche und Hilflosigkeit des Klosters, schuf das Domkapitel einen eigentlichen Münsterplebanat; als St. Alban später hierauf zurückzukommen versuchte, mißlang ihm dies durchaus, und 1503 mußte es die Befugnisse des Münsterpfarrers anerkennen.

Dagegen war die Pfarrkirche St. Ulrich kein Konkurrent von St. Alban. Sie stand allerdings im Gemeindegebiet des Klosters; aber ihre Parochie lag entfernt und außerhalb der St. Albangemeinde.

Hauptsächlich handelte es sich um Schädigung der Pfarreien durch Klöster. Wie der Gegensatz von Weltklerus und Orden die gesamte Existenz der Kirche bewegte, so war das Leben der einzelnen Pfarrei durch keine andere Macht so stark beeinflußt wie durch die der Mönche.

Pfarrtätigkeit war im Grunde etwas Unklösterliches, der Religiose auf seinen abgeschlossenen Chordienst und die Übungen seiner Regel verwiesen. Dennoch konnte auch er danach verlangen, Seelsorge an Andern zu üben. Aus christlicher Liebe zu ihnen oder aus Eifer für sein Ordenshaus. Solche Regungen und die ihnen begegnenden Bedürfnisse innerhalb der Pfarrgemeinden selbst führten die Mönche aus Zelle und Chor hinaus auf das den Pfarrern vorbehaltene Gebiet. Der damit eröffnete Kampf um die Pfarrrechte ging durch die ganze christliche Welt, begleitete das Leben jeder Kirche.

In Basel zeigt sich uns dieser Gegensatz deswegen erst spät, weil die alten Klöster St. Alban und St. Leonhard sofort bei ihrer Gründung mit den pfarrlichen Befugnissen im größten Teile der Stadt begabt worden waren.

Dagegen verlautet von einer Konkurrenz der Ritterorden. Die Johanniter, die ihr Haus mit Kapelle und Kirchhof weit vor den Stadtmauern gebaut hatten, außerdem aber noch im Innern der Stadt und im Sprengel [635] von St. Peter eine Kapelle besaßen, gerieten hierüber mit dem Leutpriester von St. Peter in Streit. Wie dieser Streit 1219 geschlichtet wurde und eine Sondergemeinde von St. Johann sich bildete, ist schon dargelegt worden. Das Ordenshaus der Deutschritter lag im Sprengel von St. Alban, und hier schuf ein Schiedsspruch von 1287 Ordnung.

Auch der Antonierhof an der Kleinbasler Rheingasse, 1462 vom Orden begründet, enthielt eine Kapelle. Bei ihrem Bau wurden die Rechte der Pfarrkirche St. Theodor vorbehalten; der Pfarrer bezog eine jährliche Gebühr als Anerkennung dieser Rechte und als Ersatz für die der Kapelle zufließenden Vergabungen. Gleicherweise bestand eine Kapelle schon früh im Antonierhause zu St. Johann; doch erfahren wir nichts von ihrem Verhältnis zur Parochie.

Ein anderer Orden der Frühzeit, die Karthause, faßte in Basel Fuß erst zu Beginn des XV. Jahrhunderts. Bei dieser Niederlassung wurde 1404 auch die Frage der Parochierechte geregelt: die Karthäuser sollten gleich andern Parochianen den Pfarrzehnten entrichten; sie durften Niemandem außerhalb des Klosters die Sakramente geben; sie durften Jedermann ein Grab bei ihnen gewähren unter Vorbehalt der Rechte der betreffenden Gemeindekirchen auf Präsentation und Quart.

Zu wirklichen Konflikten kam es erst seit dem Auftreten der Mendikanten (Barfüßer Dominikaner Augustiner).

Das diesen Mönchen gesteckte Ziel war, in Demut und Armut das ursprüngliche christliche Leben so vollständig als möglich zu erneuern; sie strebten aber nach diesem Ziel nicht im Leben klösterlicher Stille, sondern mit entschlossenem und verlangendem Hinaustreten in die bewegteste Welt. Diese Welt betrachteten sie als ihr Gebiet. Sie wußten nichts von Gemeindegrenzen, waren frei von jeder lokalen Kirchengewalt. Mit einer unvergleichlichen begeisterten Kraft der Hingebung wie der Anziehung erschienen sie allenthalben als Eroberer, stellten sich dem Papsttum als die tätigste Mannschaft für Ausbreitung seiner Macht und Bekämpfung der Häresieen zur Verfügung.

Daß das Volk ihnen seine Gunst schenkte, ist natürlich. Ihre Aufgabe war, nicht sich selbst zu leben, sondern der Allgemeinheit. Sie selbst waren zumeist aus der Masse der niedern Bevölkerung hervorgegangen. Ihr Wandern, ihr Gabenheischen führte sie überall hin, machte sie Jedem bekannt und vertraulich.

Aber auch die Opposition des Pfarrklerus ist zu begreifen. Ein Streit begann, der nie mehr zur Ruhe kam, vielmehr mit der allgemeinen Entwickelung des Lebens sich immerfort steigerte.

[636] Die große Fähigkeit und Leistung der Mendikanten, der gegenüber eine Einwendung gar nicht möglich war, offenbarte sich neben ihrer Beichtigertätigkeit im Predigtwesen. Auf den locker bebauten und zum Teil abgelegenen Höhen des Stadtgebietes waren die alten Pfarrkirchen errichtet worden. Jetzt stellten die Barfüßer ihre große Predigthalle in die gefüllte laute Niederung am Birsig, und die Stadtgemeinde selbst, deren Bedürfnissen die vorhandenen Pfarreien wohl nicht genügten, gab den Bauplatz. Beim Bau der Dominikanerkirche wurde vor allem das Langhaus, der Predigtraum, vollendet, den Brüdern selbst ihr Chor erst nach Jahrzehnten hinzugefügt. So zahlreich drängten sich die Leute zur Kanzel der Augustiner, daß diese Kirche bald zu klein wurde und 1340 erweitert werden mußte. Aber nicht nur in der Kirche redeten diese Mönche; allenthalben erhoben sie ihre Stimme, auf den Gassen, im freien Felde, mitten im Werktagsgewühl.

Diese Mendikantenpredigt, einem vornehmlich aus Kultushandlungen bestehenden Gottesdienste gegenüber, gab sich als Erfüllung nicht einer Amtsobliegenheit, sondern einer innern Pflicht. Sie geschah aus persönlichem Eifer, aus Ordensehrgeiz. Zur Wirkung der freibelebten Kraft trat in ihr für Viele der Reiz des Ungewohnten. Sie fesselte. Sie rief immer wieder. Und ganz notwendig schloß sich an sie als Ergänzung ein unmittelbares Nahetreten zum Einzelnen, eine persönliche Seelsorge in den jedem Fall angepaßten Formen innerer Mission. Es war eine Tätigkeit, die ohne Grenze sein und die Pfarrkleriker ihres ganzen Gebietes berauben konnte.

Der Streit, der hierüber ausbrach, zeigte die beiden Seiten, von denen aus die kirchliche Tätigkeit angefaßt wurde; die Pfarrer kämpften für ihr Amt und dessen Rechte, die Mönche dafür, was ihnen als ihr Beruf galt, und für die Not des christlichen Volkes. Der Streit aber wurde um so erbitterter, weil neben der Autorität und dem geistlichen Einflusse der Pfarrer ihre ökonomische Existenz litt; weil die Untertanen, die zu diesen Mönchen in die Predigt zu gehen sich gewöhnt hatten, dort nun auch zu beichten und zu kommunizieren begehrten, dort ihre Beichtpfennige entrichteten, dorthin ihre Opfer brachten, ihre Geschenke und Vermächtnisse gaben, dort begraben sein und die Begräbnisgebühren zahlen wollten. Es war nicht genug an der Verwirrung, die so viele Gemüter ergriff, an den Verdächtigungen und übeln Nachreden. Sondern in häßlicher Weise verdrängte der Zank um die Einkünfte den Wettstreit des Amtseifers. Keineswegs nur auf Seite der Pfarrer. Denn wie die Verdienste der Mendikanten sich für unser Urteil deswegen vermindern, weil die Lässigkeit des Weltklerus ihnen vielfach leichte [637] Arbeit machte, so übersehen wir auch nicht, wie ihnen unter dem Einfluß jedes neuen nüchternen Tages, der Erfahrungen und der Erfolge die alte Lauterkeit des Wesens zerging. Was den Pfarrern Einbuße war, erfreute sie als Ruhm, als Machtzuwachs und namentlich als Einnahme.

Aber es waren Glieder einer und derselben Kirche, die sich bekämpften, und die Arbeit der Mönche hatte das gleiche Ziel wie die der Kleriker. Die Kirche als Ganzes konnte daher dem Konflikte nicht einfach zusehen; sie wünschte, ihn unschädlich zu machen. Sie tat es auf Kosten der Pfarrei, um des unwiderstehlichen Bedürfnisses der Gemeinde willen. Nach der Gährung der ersten Jahrzehnte und einer 1281 durch Papst Martin IV. versuchten grundsätzlichen Ordnung schuf Papst Bonifaz VIII. im Jahre 1300 das Recht, das fortan zu gelten hatte: in der Hauptsache Freigebung der Predigt sowie der Sakramente Beicht und Begräbnis an die Mendikanten; doch sollte in der Stunde der Gemeindepredigt die Predigtfreiheit nicht gelten und für Gewährung des Beichtsakraments der Konsens des Gemeindepfarrers erforderlich sein; beim Begräbnisse war ein Teil der Gebühren und Opfer zu vergüten.

Nach diesem Rechte sollte fortan auch in Basel gelebt werden. Aber so viele Lebensinteressen waren getroffen, so viel Raum zu Deutung des Rechtswortes und zu Willkür in seiner Anwendung war gegeben, daß immerzu gestritten werden konnte. Daher die zahlreichen Mandate der Päpste für Basel, die zahlreichen Manifeste der Bischöfe. Bischof Peter tat 1303 dem gesamten Klerus kund, daß Niemand die Augustiner daran hindern solle, das Wort Gottes zu predigen und Beichte zu hören. Dasselbe verfügen für die Prediger Bischof Otto 1307, für die Barfüßer Bischof Gerhard 1313, für die Augustiner Bischof Johann 1336 und 1343. Weitere Verfügungen gleicher Art folgen. Ihre Wiederholung zeigt, daß den Mendikanten ihr Recht unaufhörlich bestritten wurde; aber zugleich auch, wie unabweisbar und dauernd das Verlangen der von den Pfarrern vielfach verwahrlosten Menge nach der Predigt und dem Beichtstuhl gerade dieser Klosterleute war. Wir sehen einzelne Pfarrer den Mönchen in den Weg treten; sofort greifen der Bischof oder sein Offizial ein, verhelfen den Mönchen zur Ausübung ihres Rechtes und befehlen Jenen, öffentlich von der Kanzel ihr Handeln als irrig zu erklären und zu widerrufen. Rückhaltlos sagt Bischof Johann dem Klerus seine Meinung, daß die Klosterbrüder die Mitarbeiter der Pfarrer und Mitträger ihrer Mühen seien.

Eine noch stärkere Begünstigung der Mönche schien kommen zu sollen infolge eines Erlasses des großen Mendikantenfreundes Sirius IV. im Jahre [638] 1471. Über alles Bisherige hinausgehend erklärte dieser Papst die Konstitution des Bonifaz nur insoweit für die Mendikanten verbindlich, als nicht die Privilegien ihrer Orden entgegenstünden. Es war die Anschauung, die sie selbst in früherer Zeit wiederholt geltend gemacht hatten; jetzt erhielt sie die Anerkennung von höchster Stelle.

Aber es war schon zu spät und die Wirkung blieb aus. Wir haben zu beachten, daß jenes konstante Eintreten der Basler Bischöfe für die Mendikanten ermöglicht gewesen war durch die Verkommenheit der Weltkirche; diese hatte so häufig versagt, daß das Heil tatsächlich nur noch von den Mönchen kommen zu können schien. Aber Stellung und Wert des Klerus waren inzwischen andre geworden, als sie vor hundert Jahren gewesen. Allgemeine Regenerationsbestrebungen der Kirche hatten den städtischen Pfarrerstand in der Hauptsache wieder auf die Höhe gebracht, auf die er gehörte; dem entsprach nun auch, der schon in den Statuten Johanns von Fleckenstein vertretenen Anschauung gemäß, ein entschiedenes Zusammengehen des Bischofs mit den Pfarrern.

Die Versuche der Mendikanten, den Kampf Venningens mit dem Rate und die hiedurch gereizte Stimmung der Einwohnerschaft zu ihrem Nutzen zu verwerten, schlugen fehl. Ihre Absicht war, das Volk auch für andre Sakramente als die Beichte an sich zu ziehen; sie ließen den Leuten mit ihrem Zureden keine Ruhe und trieben, wie Knebel spottete, das wunderlichste Zeug auf ihren Kanzeln. Venningen trat solchen Ambitionen kräftig entgegen. Unter Androhung des Bannes verbot er den Mönchen, dem Volke weiter zuzusetzen, und gab von sich aus eine Entscheidung am 14. Dezember 1476. Die Forderung der Pfarrlizenz ließ er fallen, mit der Bemerkung, daß das Lizenzbegehren, wenn auch nicht notwendig, doch eine Sache des Anstandes sei, und wiederholte also in diesem Detail die Verfügung des Papstes, dessen Legat Alexander von Forli bei der Verhandlung neben ihm saß; auf Andres dagegen trat er nicht ein und gestattete den Mendikanten die Spendung der übrigen Sakramente nicht.


Dem zur Pfarrhoheit gehörenden Recht auf das Begräbnis der Kirchuntertanen stand früh ein allgemeines Begräbnisrecht gegenüber: als Recht jedes Einzelnen zu freier Wahl seines Grabes und als Recht beinahe jedes Gotteshauses zu Gewährung eines Grabes. In den Gründungsprivilegien der Basler Stifter und Klöster war das Recht jeweilen enthalten; überall bei diesen Niederlassungen, auch bei den Frauenklöstern, bei den Höfen der Ritterorden, bei der St. Andreaskapelle bestanden Friedhöfe für Laien.

[639] Natürlich führte dieser Zustand zu Streitigkeiten. Es konnte sich um den Konflikt zweier Kirchen handeln, die beide Pfarrkirchen waren; in den meisten Fällen aber war es ein Konflikt einer Pfarrkirche mit einer Ordenskirche.

Wie das Auftreten der Mendikanten die Konkurrenz der Klosterleute mit dem Weltklerus durchweg belebte, so auch in den Begräbnisdingen. Man drängte sich zu diesen Mönchen im Tode wie im Leben; man wollte in der Mendikantenkutte bestattet und den heiligen Männern auch im Grabe noch nahe sein. Rasch füllten sich ihre Laienkirchhöfe, so daß z. B. derjenige der Augustiner 1340 erweitert werden mußte.

Daß in solchen Fällen der Streit sehr heftig werden konnte, zeigt mit krasser Lebendigkeit das nach dem Tode der Anna Helmer 1320 Geschehene: drei Mönche aus dem Barfüßerkloster, von Konversen des Gnadentals unterstützt, holen den Leib der Toten aus dem väterlichen Haus in der Leonhardsgemeinde und tragen ihn an der Pfarrkirche dieser Gemeinde vorbei in die Kirche ihres Ordens hinab. Hier wird trotz dem Verbote des Offizials rasch das Totenamt gefeiert und die Beisetzung im Klosterkirchhofe vollzogen. Es ist eine gewaltsame Entführung, und zur Hast und Wildheit dieser Szene paßt dann alles Weitere: die Verwundung eines Chorherrn von St. Leonhard durch den Bruder der Toten; die Weigerung der Barfüßer, den Leichnam wieder herauszugeben und die Pfarrei zu entschädigen; die Verhängung des Interdikts.

Andere Vorfälle dieser Art werden uns nicht geschildert. Aber sie haben sich unzweifelhaft wiederholt. Hinter den Akten, in denen die Begräbnisfrage ja nur im Allgemeinen erörtert wird, steht ein von Leidenschaft und Schmerz erregtes Leben. Die Vertreter der Kirche, zur Pflege der Seelen, zur Gewährung von Trost berufen, betreiben diese Dinge als Geschäfte und bekämpfen sich dabei oft aufs feindlichste. Zwischen ihnen ist das Volk der Gläubigen, das, durch Mißtrauen Aufpasserei Geldbegehren von der einen, Zudringlichkeit und Gier von der andern Seite bedrängt und irregemacht, seine schwersten Erlebnisse, seine bittersten und heiligen Stunden durch solchen Zank geschändet sehen muß.

Das freie Begräbnisrecht, das diese Wirkungen hatte, war allerdings nicht preiszugeben. Wohl aber suchte die Kirche seine Ausübung zu regeln durch die Mittel der Quart und des letzten Abschiedes.

1. Die Pfarrkirche, die einen Untertan zum Begräbnis an ein anderes Gotteshaus abgab, erhielt von diesem einen Teil der dabei eingehenden Gebühren und Vergabungen. Das Recht auf diesen Anteil war so alt wie [640] das Begräbnisrecht; in Basel wurde es vorbehalten bei den Stiftungen der ältern Klöster und bei der Ausscheidung zwischen den Pfarrgemeinden St. Peter und St. Leonhard. Eine Ordnung fand auch dieses Recht in der schon erwähnten Konstitution des Papstes Bonifaz von 1300, indem der Anteil der Pfarrkirche auf regelmäßig ein Vierteil der Funeralien und Gaben festgesetzt wurde. Ausdrücklich mit Geltung nur für die Mendikantenorden; doch stand seitdem dies Recht auf die Quart den Parochialkirchen zu auch gegenüber Klöstern anderer Orden sowie gegenüber Pfarrkirchen.

Etwas Dauerndes und Beruhigtes war gleichwohl nicht geschaffen, indem die Mendikanten kraft ihrer Ordensprivilegien diese Konstitution als für sie gar nicht verbindlich erklärten und die Bezahlung der Quart verweigerten. In Basel waren zu Zeiten allerdings nur die Prediger und die Augustiner renitent, die Barfüßer dagegen entrichteten die Quart z. B. 1360 an St. Peter, 1374 an St. Alban. Dann aber scheinen sich die Augustiner unterworfen zu haben, und die Pfarrkirchen (nur diejenigen Großbasels, St. Theodor erscheint nie als beteiligt) hatten von da an ihr Recht gegenüber den Barfüßern und den Predigern zu behaupten. Bis nach Rom, durch alle Instanzen und mit allen Mitteln des kanonischen Prozesses, ging der Zwist, bis endlich Ruhe ward, ein volles Jahrhundert nach dem Erlasse Bonifaz VIII. Die Prediger und die unter ihrer Aufsicht stehenden Frauenklöster Klingental und Maria Magdalena verständigten sich 1401 mit St. Peter und St. Alban, 1402 mit St. Leonhard. 1408 sodann sprach Papst Gregor das Urteil im Streite der Pfarreien St. Leonhard und St. Peter mit den Barfüßern.

Durchweg blieb es nach diesen Verständigungen und Entscheiden bei der Anerkennung der pfarrkirchlichen Quart; Streitigkeiten werden von da an nicht mehr laut.

2. Neben die von der Begräbniskirche zu leistende Zahlung trat das Verfahren des von den Erben zu leistenden letzten Abschiedes, des ultimum vale, der praesentatio, der furtragung. Es bestand darin, daß die Leichen Solcher, die außerhalb ihrer Gemeinde beerdigt werden sollten, zuvor in ihre Pfarrkirche zur Verabschiedung gebracht und daß hier Messe und Exequien gefeiert wurden, nach deren Vollbringung erst die Leiche zur Begräbniskirche gebracht werden sollte; das Wesentliche waren die bei der Totenfeier der Heimatkirche eingehenden Opfer und Schenkungen, die Abschiedsgelder.

Schon das XIII. Jahrhundert kannte diesen Brauch; aber auch um ihn wurde gehadert, und wieder waren es vor Allen die Mendikanten, die sich [641] ihm widersetzten. In welcher Weise sie dabei zu Werke gehen konnten, zeigt der Fall Helmer. Neben den Mendikanten aber stand der Rat der Stadt.

Daß diesen sein Streit mit dem Bischof ohne weiteres auch den Weltklerus als Gegenpartei betrachten ließ, ist kaum anzunehmen. Dagegen mochten ihm beim Zustande der Weltkirche im XIV. Jahrhundert die Klöster als die zuverlässigeren Organisationen erscheinen. Namentlich aber erhob er sich als Vertreter der Bürger dagegen, daß diese die Freiheit, nach ihrem Willen sich begraben zu lassen, von den Pfarrern erkaufen mußten.

Sein Eingreifen in den Streit wird uns allerdings erst spät erkennbar. Auf eine von ihm an Papst Bonifaz IX. gerichtete Beschwerde über die Pfarrer, die durch den Barfüßerprovinzial unterstützt wurde, erließ der Papst am 6. Dezember 1402 eine Bulle, in der er den letzten Abschied als einen Mißbrauch brandmarkte und jede Hemmung der Begräbnisfreiheit verbot.

Aber es war dies eine Verfügung von kurzer Dauer. Denn schon am 16. März 1405 wurde sie durch Papst Innocenz VII. auf Betreiben der Pfarrer wieder aufgehoben und die alte Übung als löblich neu zur Geltung gebracht.

Hiebei blieb es bis auf Weiteres. Auch der Rat erhob zunächst keine Einwendungen und ließ sich erst nach langer Zeit wieder, unter sehr veränderten Verhältnissen, bei Hofe vernehmen. Auch diesmal im Einverständnis mit den Mendikanten. Das Resultat dieser Bemühungen war ein Entscheid des Papstes Sixtus vom 7. Februar 1483, durch den die Verfügung des Innocenz kassiert, die frühere Verfügung des Bonifaz approbiert, das ultimum vale somit neuerdings aberkannt wurde. Doch geschah die Ausfertigung dieses Entscheides erst ein Jahr später, durch Innocenz VIII.; in der Reihe der päpstlichen Gnadenbriefe, die nach Erledigung der Sache des Andreas von Krain nach Basel kamen, war auch die Gutheißung und Bekräftigung der Sixtinischen Sentenz, die Beseitigung des letzten Abschieds.

Aber wie wenige Jahre zuvor im Streit um die Sakramentspendung, so blieb auch jetzt der päpstliche Entscheid ohne rechte Wirkung in Basel. Was ihn hinderte, war eine Entwickelung, eine Umgestaltung, die der Rat mit seiner Provokation jenes Erlasses offenbar zu wenig beachtet hatte: die Erstarkung des Weltklerus, die Hebung von Gemeindegefühl und Gemeindekraft; hinzutrat der schlechte Eindruck, den die Haltung der Barfüßer im Konzilshandel, der Prediger im Klingentalerhandel Vielen gemacht hatte.

Nur so vermögen wir uns den auffallenden Gang zu erklären, den die Behandlung der Sache jetzt nahm. Aus einer innerkirchlichen Angelegenheit [642] wurde sie zu einer solchen des Gemeinwesens; an Stelle des Gegensatzes Weltklerus – Kloster trat formell nur noch der Gegensatz Pfarrkirche – Pfarrkirche. Diesen Kirchen aber konnte die Institution des letzten Abschiedes nicht zuwider sein, da ja zwischen ihnen die Gegenseitigkeit einen Ausgleich schuf, während die Klöster darin ohne Weiteres eine Schädigung ihrer Interessen sahen.

Im Februar 1486 erschienen die Pfarrherren der sämtlichen städtischen Parochieen, unter ihnen Männer wie Heynlin und Surgant, vor dem Rat und taten „der sepultur halb ir anbringen“. Man verhandelte, und schließlich fand der Rat den Weg zu einer Regelung.

Er anerkannte im Prinzip das Recht der Pfarrei, den zwingenden Begriff der Gemeinde, die Billigkeit einer Lösung dieses Bandes im Falle von Bestattung außerhalb der Gemeinde. Aber von der Präsentation, dem Verbringen der Leiche zum ersten Totenamt in die Heimatkirche, wurde nicht mehr geredet und nur die diese Handlung ersetzende Geldabgabe zugestanden, zu Vermeidung jeder Willkür und Erpressung unter Aufstellung einer Taxe; die Erben des Toten sollten je nach seinem Stand und Vermögen eine bestimmte Summe als letzten Abschied an die Heimatkirche zahlen.

Auf dieser Grundlage, wobei der alte Akt feierlicher Aussegnung mit begleitenden Opfern und Gaben zu einer tarifierten Zahlung ohne jeden sonstigen Vorgang wurde, kam am 6. Juli 1490 ein Vertrag zwischen den Kirchherren und der Stadt zu Stande; am 30. August 1491 erhielt er die päpstliche Bestätigung.

Es ist aller Beachtung wert und eines der stärksten Zeugnisse des damals herrschenden Geistes, daß man in dieser so oft umstrittenen Sache jetzt eine Einigung suchte und fand lediglich im Kreise der Stadt und ihrer Pfarreien, die Mendikanten aber, die doch so heftig gestritten hatten und denen der Rat wiederholt zur Seite getreten war, an dieser Verständigung gar nicht Teil nehmen ließ, sondern ihnen das Resultat einfach zu wissen tat mit dem Befehle, ihrerseits danach zu handeln. Als sie sich über dies Verfahren beschwerten, ließ ihnen der Rat antworten, es sei in bester Meinung geschehen und keine Verletzung der Ordensrechte.


Um die Pfarrkirchen her breiteten sich die Gemeinden, deren jede im Verhältnis zur Kirche ihre individuelle Art hatte. Am reinsten erkennbar ist diese bei den mit keinem Stift oder Kloster verbundenen Stadtkirchen.

Zu St. Martin wohnte in den paar Edelhöfen auf dem Kamme des Kirchhügels und in den dichtbevölkerten arbeitsamen Gassen zu seinen Füßen [643] die Gemeinschaft von „St. Martins Untertanen im Kilchberg“, und die in diesem Kreis eine Rolle spielenden Krämer und Kaufleute bestimmten die ruhige geschäftsmäßige Leitung des Kirchenwesens mit seinen Statuten und seiner Finanzordnung.

Ganz anders zu St. Theodor. Hier bestand keine führende Klasse dieser Art unter den Kirchspielleuten. Sondern die Gemeinde selbst als Gesamtheit trat für die Kirche ein, mit einem Pleban an der Spitze, der viel mehr bedeutete als sein Amtsbruder drüben. Das spezifische Kleinbaslertum, die Einheitlichkeit und Isoliertheit dieses Gemeinwesens äußerte sich auch hier. Kleinbasel lag nicht im beengenden Ganzen einer Bischofsstadt, sondern war wirklich eine Landgemeinde, ein Städtlein, in dem der Pfarrer der Erste und der geistige Herrscher sein und die Gemeinde mit unmittelbarem Eingreifen die Kirche als ihre Kirche pflegen konnte.

Sodann St. Ulrich, mit merkwürdiger Eigenart. Die Kirche, nicht in ihrer Parochie, sondern in derjenigen von St. Alban und mitten in der Herrlichkeit der Münsterwelt gelegen, war Pfarrkirche für die abgelegenen Vorstädte zwischen St. Alban und St. Leonhard samt der Stadtflur und zwei Dorfbännen. Sie war die Kirche der kleinen Leute; Rebgärtner Schäfer Hafner Weber usw. waren ihre Pfleger und Donatoren, in seltsamem Kontraste zum Kirchherrn, welcher der Dompropst, also der vornehmste und mächtigste Geistliche der Stadt war.

Aber von Reiz ist, zu sehen, wie die Gemeinden sich aktiv an der Leitung der Pfarreien zu beteiligen vermögen.

Zunächst beim Bauwesen. Neben dem für Bestreitung der Bau- und Unterhaltskosten überall ausgesonderten Teile des Kirchenvermögens, der Fabrik, waren im Notfalle die Parochianen baupflichtig, und ihre Vertreter wirkten daher als Pfleger oder Fabrikmeister bei der Verwaltung jenes Fabrikgutes mit. Solche Pfleger des Baus finden wir in allen Gemeinden, und ihre Tätigkeit wird uns am deutlichsten bei St. Leonhard gezeigt, wo sie, ausdrücklich als Vertreter der Kirchuntertanen bezeichnet, den in den 1480er Jahren beginnenden Bau leiteten, die Architekten bestellten, die Abrechnungen besorgten.

Aber diese Pfleger waren schon frühe nicht nur in Bausachen tätig; sie wirkten bei der Verwaltung und Verwendung des Kirchengutes überhaupt mit. Sie taten dies als Vertreter der Gemeinde und kraft des durch diese als Ergänzung ihrer Baupflicht irgendwie erworbenen Rechtes, in die Geschäfte der Kirche hineinzureden. Zu dieser Teilnahme auch an innerkirchlichen [644] Dingen gehörte z. B. der bei Stiftung von Kaplaneipfründen öfters gemachte Vorbehalt, daß deren Leihe künftig den Pflegern zustehen sollte.

Allem diesem zu Grunde lagen Wille und Kraft der Gemeinde, an der Kirchenarbeit teilzunehmen. Zu St. Leonhard verlangte und erreichte sie 1462 die Wiederherstellung der Ordnung im Kloster, zu St. Peter erzwang sie 1439 die Verdrängung des Dompropstes von der Leitung des Pfarramtes. Die doch sozial tiefstehende St. Ulrichsgemeinde trat gleichwohl mit Entschiedenheit auf, offenbar gestärkt durch die Gesellschaftsorganisation dieser Vorstadtbewohner; 1401 waren neben dem Kirchherrn die „Untertanen“ Käufer der Kirchhofliegenschaft, und 1507 schlossen sie mit dem Leutpriester einen Vertrag, der ihnen die Verwaltung des Kirchenschatzes, die Wahl des Siegrists usw. gab. Noch selbständiger handelten die Gemeindegenossen von St. Theodor. Daß hier Kirchspiel und politische Gemeinde eins waren und daß diese Gemeinde auch in veränderten politischen Verhältnissen sich ihres Sonderrechtes und Sonderlebens bewußt blieb, schuf trotz der Inkorporation ihre Stärke im Kirchenwesen: 1316 schlossen Schultheiß und Rat als Vertreter ihres Gotteshauses einen Verkauf; die Gemeinde erhielt 1319 die Theodorsreliquien von Bischofszell, sorgte 1349 für Pfarrhaus und Kirchhof, baute 1422 die Kirche, erwirkte 1434 die Anstellung eines zweiten Helfers. Aber ihre Sorge galt nicht nur der Pfarrei. Sie gelangte 1464 an den Papst mit dem Begehren um Reform des Klaraklosters, sie stiftete im gleichen Jahre Kaplaneipfründen, sie erweiterte 1493 die St. Annakapelle. Und 1507 ernannte sie mit dem Domkapitel zusammen den Leutpriester. Wie sie hiebei den Gewählten in Pflicht nahm, ist ebenso bemerkenswert, wie der Beschluß des Konzils anläßlich der Helferwahl 1434, durch den der Gemeinde als Zwangsmittel gegenüber dem Domkapitel das Recht zur Sequestration von Kirchengut eingeräumt wurde. Im Pflegerkollegium saßen regelmäßig der Schultheiß, zuweilen auch die Gesellschaftsmeister.


Dem freien Klerus und der Pfarrgeistlichkeit stehen gegenüber die Klerikervereinigungen der Stifter: mit eigener Verfassung und eigenem Vermögen ausgestattete Kollegien Solcher, die ohne Gelübde, ohne Ordensregel, nur durch geistliche Weihe ausgezeichnet, zur Anbetung Gottes vereinigt sind. Ihr Charakteristisches ist, daß in ihnen das freie Wesen des Weltklerikers unter einer Ordnung steht, die nicht den ganzen Menschen ergreift, sondern nur einzelne bestimmte Leistungen von ihm fordert.

[645] Den Klerus dieser Stifter bilden vor allem die Chorherren, deren Pflicht die Leistung des Chordienstes und die Teilnahme an den zu Beratung der Geschäfte regelmäßig stattfindenden Kapitelssitzungen ist; zum Chordienste gehören die tägliche Besorgung der kanonischen Horen und der Kapitelsmesse, sowie die stiftungsgemäße Feier der verschiedenen Jahrzeitämter Totenmessen Spezialfeste und Begehungen: ein von den Mauern des Chors umschlossener Kultus, der zu keiner Wirkung nach außen, zu keiner Verkündigung drängt.

Zum Stiftsklerus gehören auch die Kapläne; sie sind Gehilfen beim Chordienst und haben als Verpflichtete ihrer Pfründen den Dienst an den Altären der Kirche zu leisten.

Das mittelalterliche Basel besaß zwei solcher Stifter, bei U. F. Münster und zu St. Peter.


Das Leben des Domstifts ist zusammengehalten und emporgehoben durch den einen starken Begriff der Kathedralkirche. Auf dem Burghügel, umgeben vom Glanz und der Andacht des hier an hundert Altären sich vollziehenden Kultus, waltete das Basler Kirchenregiment, wohnte das Domkapitel als Teilhaber dieses Regimentes und zugleich als erstes städtisches Stiftskollegium. Auf die Mitwirkung des Kapitels bei Geschäften weltlicher und kirchlicher Herrschaft angewiesen vermochte der Bischof es doch nicht an seine Person zu fesseln; der Residenzfreiheit des Herrschers gegenüber war die Anwesenheit der Kapitularen bei der Stiftskirche notwendig und dauernd.

Noch in später Zeit erkennen wir, wie tief gewurzelt einst im städtischen Wesen die Existenz dieser stolzen Klerikervereinigung gewesen.

An die Anfangszustände einer vom Münster als Zentrum ausgehenden städtischen Seelsorge scheinen zu erinnern der Patronat des Dompropsts über St. Peter und die wiederholten Pfarrektorate von Domherren zu St. Martin. Auch einzelne zeremoniell geordnete Vorgänge weisen auf alten Zusammenhang, ursprüngliche Leistung und Dienstpflicht zurück: bei den feierlichen Matutinen der Christnacht im Münster haben der Custos von St. Peter und der Pleban von St. Martin mitzuwirken; wenn am 25. März im Chore des Münsters der Jahrtag Bischof Lütolds begangen wird, zelebrieren neben dem Domklerus auch Chorherren und Chorknaben von St. Peter. Noch im Jahre 1441 sagt Bischof Friedrich, daß St. Peter dem Domstift näher stehe als irgend eine andere Kirche der Stadt.

[646] Der Primat des Domstifts zeigt sich in der auszeichnenden Begabung der Domherren und ihres Gesindes sowie der Domkapläne mit Rechten, die dem übrigen Klerus nicht zukommen. Er erscheint auch darin, daß sich das Domkapitel als Vertreter der gesamten städtischen Geistlichkeit, ja des Diözesanklerus, geben und benehmen kann. So dem Bischof gegenüber in den Wahlkapitulationen; so dem Rate der Stadt gegenüber im Kampfe der 1460er und 1470er Jahre um die Priestertestamente u. dgl. Noch 1512 tritt das Kapitel in den Ratssaal der Stadt als Haupt und Wortführer aller „ingesessenen Priesterschaft“; mit dem Markgraf verhandelt es 1513 wegen des römischen Gerichtes namens „der andern stiften clöstern und gotteshüseren ze Basel“.

Die Macht des Domkapitels ging jedoch über das kirchliche Gebiet hinaus. Als Ratskollegium des Bischofs nahmen die Domherren auch an der Stadtbeherrschung teil, solange von solcher Beherrschung die Rede sein konnte. Nicht nur leichthin zeigen die Gesetze über den Stadtfrieden und das Fünfergericht sowie der Zunftbrief der Fischer und Schiffer die Formel, die im Komplexe der legislatorischen Gewalten neben Bischof Ministerialen Rat und Zunftmeister die Domherren aufführt; noch bis zu Beginn des XV. Jahrhunderts darf die Stadt keine Steuer erheben ohne Willen des Bischofs und des Kapitels; das Teilnehmen des letztern an der jährlichen Ratswahl, das merkwürdig lange sich behauptet, hat ursprünglich kräftiger als alles Andere das Recht des Stiftskollegiums dargetan.

Aber auch bei dem, was nach Verlust der Stadtherrschaft noch weltliches Regiment des Bischofs war, sehen wir das Domkapitel berechtigt.

Das Domkapitel wählte den Bischof. Diesem Wahlrecht entsprechend stand dem Kapitel bei Erledigung des bischöflichen Stuhles die Regierung des Bistums bis zur Neuwahl zu.

Das Kapitel wußte aber dieses Wahlrecht auch zur Stärkung der eigenen Macht zu benützen durch das Mittel der Wahlkapitulationen d. h. bestimmter, von dem zu Wählenden dem Kapitel gegebener eidlicher Zusagen. Wir beachten, unter welchen Umständen diese Wahlkapitulationen in Basel Brauch wurden. Im Jahre 1261 finden wir sie zuerst, als ein Zeugnis der wilden Bewegungen, die den Ausgang Bischof Bertholds und das Aufsteigen Heinrichs von Neuenburg begleiteten. Dann wieder 1335 als Abschluß jener Unruhen vor der Wahl Johann Senns, in denen die gewalttätige Figur des Generalvikars Johann von St. Alban Alles überragte; deutlich nimmt die Kapitulation Bezug auf diese Vorgänge: in der Verpflichtung Senns, die vom Kapitel zur Sicherung der Bistumsschlösser dem Generalvikar [647] gegebenen Verpflichtungen abzulösen, und in seiner Zusage, künftig keinen Andern als einen Domherrn zum Generalvikar zu machen. Von da an scheinen diese Kapitulationen Regel geworden zu sein; sie alle gingen darauf aus, dem Domkapitel einen Einfluß auf die Regierung des Bistums zu geben. Die Verpflichtung des Bischofs, ohne Zustimmung des Kapitels keine Abgabe vom Klerus zu fordern, die sich schon im Abkommen von 1261 findet, kehrt jetzt regelmäßig wieder; sodann die Zusage, die Schlösser des Hochstifts nur Ministerialen desselben anzuvertrauen und diese zu verpflichten, daß sie beim Tode des Bischofs die Schlösser dem Kapitel übergeben; weiterhin: ohne Konsens des Kapitels nichts zu veräußern und keine Lehen zu leihen. Die schwere Verschuldung des Hochstifts unter Johann von Vienne und Imer brachte in die folgenden Kapitulationen das Versprechen des Bischofs, diese alten Schulden nach Möglichkeit zu tilgen; im Eide Venningens endlich, 1458, kamen noch weitere Sicherungen von Rechten der Kanoniker auf Besitz auswärtiger Benefizien, Testierfreiheit u. dgl. hinzu. Allen Kapitulationen gemeinsam war die Verpflichtung des Bischofs auf Statuten und Gewohnheiten des Hochstifts.

Das Rechtsverhältnis zwischen Bischof und Kapitel, das in diesen Abreden formuliert ist, lebt auch in der tatsächlichen Übung. Regel ist, daß Bündnisse Zoll- und Steuerbefreiungen Verleihungen von Ämtern des Konsenses nicht bedürfen, Geldaufnahmen dagegen und Verpfändungen oder Veräußerungen von Rechten Ämtern und Gütern der Kirche nicht ohne den Konsens geschehen. Dieser „gibt dem Schuldvertrag den öffentlich-rechtlichen Charakter und die Stätigkeit des Staatskredites“. Natürlich fehlen nicht Abweichungen und Ausnahmen; aber im Ganzen handelt es sich um eine Entwickelung zu Gunsten des Kapitels. Seit dem Episkopat Imers wird es regelmäßig bei allen Veräußerungen und Verpfändungen zur Konsentierung beigezogen; und überdies wächst der Bereich seines Konsensrechtes. Für Lehenverleihungen wurde der Konsens zuerst in der Kapitulation von 1393 einbedungen; wir finden ihn in der Folge fast regelmäßig. Auch bei Inkorporationen von Pfarreien in Klöster, die im XIV. Jahrhundert frei durch den Bischof verfügt worden waren, trat im XV. Jahrhundert die Einwilligung des Kapitels hinzu. Ebenso bei der Erteilung von Privilegien an die Landstädte seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts.

Aber zu beachten ist, daß dieser Ausdehnung der Konsensbefugnis und der ihr entsprechenden Ausgestaltung der Wahlkapitulationen eine Verminderung der Funktionen des Domkapitels als Ratskollegium parallel geht. Diese Funktionen werden durch einzelne consiliarii und durch Beamte aufgenommen, [648] die seit Beginn des XIV. Jahrhunderts sich zeigen; und sehr bezeichnend ist auch, wie seit Bischof Humbert auch der Offizial zunächst nicht mehr aus den Domherren genommen wird und der Bischof damit sein Gericht dem Einflusse des Kapitels zu entziehen sucht. Erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts finden wir wieder Offiziale, die dem Kapitel angehören. Wie die Städter ihre eigenen Wege suchen, so die Kanoniker und so der Bischof selbst. Noch immer heißen sie freilich die „lieben Brüder“, die confratres des Bischofs; aber dies Zeichen eines einfachen und vertraulichen Zustandes entspricht den Tatsachen nicht mehr.

Zwei selbständige Mächte standen neben einander, äußerlich getrennt, seit das ganze Bischofswesen und die Hofhaltung des Fürsten sich von der Kathedrale entfernt hatte; aber auch im Übrigen sich beinahe fremd, wenn auch kraft bestimmter Verhältnisse auf einander angewiesen. Der Bischof, im Kirchlichen oberster Priester und Herr, sah sich im Weltlichen vielfach an Willen und Kontrolle dieser Körperschaft gebunden, die zwar seine Wahlbehörde, aber ihm untergeordnet und zu obedientia et reverentia verpflichtet war. Eine Verschränkung von Befugnissen, die beim Gedanken an die Menschen, denen diese Regeln und Formen galten, uns die ganze Erscheinung des Hochstifts zu einem Bilde von höchster Lebendigkeit macht.


In viel stärkerem Maße als irgend eine der andern kirchlichen Korporationen war das Domkapitel durch Interessen der Kirche und der Welt zugleich beherrscht. Seine Organisation und seine Geschäfte waren von ungewöhnlicher Ausdehnung; das Ganze eine Kombination von Rechten und Kräften, die nicht nur eine Auslese bei der Besetzung der einzelnen Stellen verlangte, sondern auch die der Herrschaft Nächsten ganz natürlicherweise dazu bewog, diese Stellen für sich in Anspruch zu nehmen.

Im XIII. Jahrhundert hatte sich das Domkapitel größtenteils aus der Ministerialität und sonstigem oberrheinischem Adel rekrutiert; auch waren jeweilen Grafen in den Chorstühlen des Münsters anzutreffen; überdies stets einige Bürgerliche, deren Auszeichnung die Gelehrsamkeit war. In den ersten Zeiten nach 1300 dauerte dieser Zustand fort; neben den Dynasten Edelfreien und Dienstleuten begegnen uns Domherren, die Konrad Meier von Efringen, Burkart der Fronfischer, Konrad Bretzeler u. dgl. heißen.

Wie dann die Zeit ein enges Zusammenschließen der rein städtischen Elemente gegenüber Hochstift und Ritterschaft beförderte, ist gezeigt worden. Zuletzt gelangten diese Tendenzen zum Sieg; 1336/37 erzwangen die Zünfte [649] die Öffnung des Rates für ihre Vertreter. Auf dem Boden der Stadtverfassung mußte sich der Adel diese Demütigung gefallen lassen. Aber seine Antwort darauf war der Beschluß des Domkapitels vom 22. März 1337 über die Sperrung des Domkapitels für bürgerliche Basler. Mit der Motivierung, sich vor dem Schaden an Ehre Gut und Personen bewahren zu wollen, den draußen in der Stadt die Zulassung der Plebs angerichtet, statuierte es, daß kein Basler Bürger noch eines Bürgers Sohn, der nicht väterlicherseits von adliger Abkunft sei, je einen Kanonikat oder den Besitz einer Pfründe erlangen solle, auch nicht auf dem Wege päpstlicher Provision. Es wurde also nicht das absolute Adelserfordernis aufgestellt, sondern nur unedeln Baslern der Zugang gewehrt. Es handelte sich um den Ausschluß der „Baselkinder“, um die Verhütung städtischen Einwirkens auf die Kapitelsverhandlungen und die Regierung des Bischofs, nicht um eine allgemeine, auf Sonderinteressen ruhende Verfügung.

In der Tat finden wir das Kapitel auch nach diesem Statut keineswegs nur mit Herren und Edelleuten besetzt. Bürgerliche – Heinrich von Wenzwiler, Konrad von Munderkingen, Conrad Rüwo, Heinrich Völmins, Johann Seiler usw. –, meist mit dem Magister- oder Doktortitel, begegnen uns häufig. Jedenfalls Männer mit Qualitäten, die dem Adel als solchem fehlten, in diesen Kämpfen des Kapitels mit Bischof und Stadt aber unentbehrlich waren. Der Notwendigkeit einer solchen Ergänzung war man sich so sehr bewußt, daß in einer Prozeßschrift ohne Weiteres gesagt werden konnte, in Basel würden keine Domherren angenommen nisi nobiles et graduati.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Exklusion der Basler waren in der frühern Zeit der mächtige Rudolf Fröwler 1357 f. und sein Neffe Henman Fröwler 1371 f., für die jedenfalls bestimmte persönliche Rücksichten wirkten.

Nach Beginn des XV. Jahrhunderts mehren sich die Ausnahmen in überraschender Weise. Niklaus Sinner 1411 f., Diebold Agstein 1420 f., Johann Wiler 1421 f., Franz Offenburg 1428 f. waren Basler, die Domherreien erlangten. Vielleicht war man der Meinung, daß sie als Graduierte vom Statut nicht betroffen würden. Jedenfalls herrschte nach dem Erlöschen der Münchischen Vorherrschaft im Kapitel größere Duldsamkeit; ein vom alten Geiste der Exklusivität beherrschtes Kollegium würde nicht den bürgerlichen Peter Liebinger zum Dompropst (1403–1431) erhoben haben.

Das Recht von 1337, das nicht Bürgerliche an sich, sondern nur bürgerliche Basler ausschloß, erhielt nun aber eine Verschärfung, indem [650] ausdrücklich nur Adlige als prinzipiell kapitelsfähig erklärt und die ausnahmsweise Zulassung nicht baslerischer Bürgerlicher auf Graduierte unbestimmter Zahl beschränkt wurde. Papst Nicolaus anerkannte 1453 diesen Grundsatz, ebenso sein Nachfolger Calixt; der Letztere anläßlich des Begehrens von Herzog Albrecht von Österreich, der die Basler Domherreien dem oberrheinischen Adel gesichert sehen wollte. Calixt willfahrte diesem Begehren und erhöhte die Zahl der Graduiertenpfründen von vier auf fünf.

Hiebei blieb es auch, nur daß das Domkapitel eine nochmalige präzise Formulierung des im Statut von 1337 enthaltenen Rechtes vornahm. Mit einer Bestätigung dieses Statuts durch Papst Pius nicht zufrieden, bezeichnete es dasselbe als dunkel und den Bedürfnissen der Kirche nicht völlig entsprechend und erließ am 24. März 1470 ein neues Statut, wonach ein Basler niemals bei ihm Aufnahme finden solle, auch dann nicht, wenn er Magister Doktor oder in andrer Weise Graduierter sei.

Es war eine Feindseligkeit gegenüber der Bürgerschaft, die noch bittrer wurde durch das in ihr liegende verächtliche Übersehen der jungen städtischen Universität. Der Rat nahm die Sache hin, mochte aber seine Genugtuung darin finden, daß gerade jetzt der Basler Bürgerssohn Arnold zum Luft dem Statut zum Trotz und über allen Widerstand des Kapitels hinweg eine Domherrei zu erobern vermochte. Erst 1512, da wiederum ein Basler Stadtkind, der gelehrte Ludwig Bär, nach einem Kanonikat strebte, kam der Rat auf die Sache zurück. Er benützte diesen Moment politischer Herrlichkeit, der ihm so viele Geschenke des Julius einbrachte, und erlangte die Bulle vom 20. Dezember 1512. Sie annullierte das Statut von 1470. Aber beim Domkapitel blieb diese Verfügung des heiligen Vaters ohne Wirkung. Bär wurde nicht aufgenommen, und die fünf Doktoralpfründen fielen Fremden zu. Der Rat suchte sich dadurch zu helfen, daß die Nomination an die in den sog. Papstmonaten ledig werdenden Kanonikate in seine Hände kam. 1525 brachte er dies durch Usurpation zu Stande, und im folgenden Jahre gaben die Domherren auch ihr Recht preis: sie nahmen den Ludwig Bär als sechsten Doktor auf und erklärten dem Rate, daß die Sperrung des Domkapitels für Basler fallen gelassen werde.

Diesem ganzen Vorgange liegt zu Grunde, daß das Domkapitel selbst seine Mitglieder wählte. Das Selbstergänzungsrecht sicherte dem Adel die Stellung im Kapitel. Er bot der Kirche seine Kraft und seinen Glanz und begehrte dafür von ihr die Verpfründung seiner Söhne. Deutlich zeigt sich dies z. B. in der erwähnten Eingabe des Herzogs Albrecht von Österreich an Papst Calixt. So erfüllt das Kapitel einen Beruf als standesgemäße [651] Versorgungsanstalt des Adels; aber jeder Zwang und jede Unwiderruflichkeit war dabei vermieden, und die Familieninteressen blieben gewahrt. Exspektanten konnten natürlich ohne weiteres wieder in die Welt zurücktreten; aber auch Kapitularen und Prälaten – Ulrich von Rappoltstein, Götzman Münch, Hans Thüring Münch, Arnold von Bärenfels – verließen den Chor, wurden Laien und Stammhalter.

Das Verfahren bei der Wahl eines Domherrn ist uns erst seit der Mitte des XV. Jahrhunderts genauer bekannt. Wie es dabei früher zugehen mochte, lehrt die Schilderung, die uns von der Aufnahme des Anton von Hatstat gegeben wird. Dieser Anton heißt noch Schüler und wird, von seinem Vater dem Domkapitel empfohlen, durch dieses am 6. Juni 1427 zum Domherrn angenommen. Zunächst nur als Exspektant für die nächste freiwerdende Pfründe. Diese Erledigung tritt rasch ein, durch Resignation des Johann Münch, und am 9. Januar 1428 nimmt das in seiner Winterstube im Fabrikhaus zur Sitzung versammelte Kapitel den jungen Hatstat als Kanoniker auf; zwei Tage nachher leistet er vor dem Kapitel den Eid, worauf ihn einer der Prälaten bei der Hand ergreift und zuerst in den Chor des Münsters geleitet und hier in seinen Stuhl setzt, dann die Treppe hinan in den Kapitelsaal führt und ihm hier durch Anweisung seines Platzes förmlich den Besitz von Kanonikat und Pfründe gibt.

Wir erfahren aus dieser frühern Zeit nichts über die Art des Adelsnachweises. Sie geschah wohl formlos, von Fall zu Fall verschieden. Erst seit der Mitte des Jahrhunderts, als neue bisher nicht bekannte Familien in das Kapitel einzudringen begannen, wurde das Verfahren straffer; seine endgültige Regelung fand es dann im Statut des Domkapitels vom 23. Mai 1466. Hienach hatte der Bewerber persönlich, zu Ausweis seiner körperlichen Tadellosigkeit, vor dem Kapitel sich zu stellen, in Begleit von vier Edelleuten, die seine adlige Abstammung mündlich bezeugten; über diese Erklärung wurde dann eine Urkunde, die Ahnenprobe, ausgefertigt und durch die vier Adligen besiegelt. Ihr Inhalt ist stets, daß der Bewerber von vier adligen Ahnen abstamme d. h. daß seine Großeltern väterlicher und mütterlicher Seite „von Geschlechtern gewesen seien, die von jeher für rittermäßig gegolten und den Schimpf und Ernst, wie er edlen gebornen und rittermäßigen Leuten zieme, gebraucht haben“. Die Stiftsfähigkeit war also nur vorhanden bei ehelicher, der Vorschrift gemäßer Abstammung von rittermäßigen Familien. Für die Besetzung der Doktoralpfründen wurden statt der Ahnenprobe die Bescheinigung ehelicher Geburt und das Diplom gefordert.

[652] Dagegen findet sich keine Vorschrift hinsichtlich des Alters. Auch Unmündige konnten Zutritt finden, und oft genug erlebte das Münster jene jugendlichen Domherrlein, canonici juvenes, die noch in die Domschule gingen. In zahlreichen Fällen sehen wir den Vater, der seinen Sohn, oder den Vormund, der seinen Vögtling vor das Kapitel bringt; er unterhandelt mit diesem, schafft die Adelszeugen herbei, leistet dem Kapitel Garantie für allen Schaden, der aus der Aufnahme dieses Knaben erwachsen könnte.

Wer den Ausweis zu leisten vermochte, wurde Warter Exspektant, wenn zur Zeit keine Pfründe frei war; er erlangte kein Recht zu irgendwelcher Teilnahme an Chor oder Kapitel, wurde aber vorgemerkt und hatte dafür sofort zwölf Gulden zu bezahlen. Freilich wurden nicht alle Warter schließlich Domherren. Mancher wollte oder konnte nicht warten und erwarb sich entweder anderswo eine Pfründe oder suchte, die kirchliche Versorgung überhaupt aufgebend, sein Glück in der Welt.

War aber eine Domherrei durch Tod oder Resignation frei geworden, so konnte der Bewerber, sofern er den nötigen Nachweis leistete, die Pfründe erlangen, zunächst, wenn er nicht Warter gewesen war, sondern sich erst jetzt gemeldet hatte, unter Zahlung der zwölf Gulden, dann unter Erlegung einer Eintrittsgebühr, die ursprünglich zehn Gulden oder eine Chorkappe von diesem Werte betrug, 1450 aber auf vierundzwanzig Gulden erhöht wurde. Damit war er canonicus geworden, konnte Residenz nehmen und sich am Chordienste beteiligen, war aber noch nicht capitularis. Er hatte noch drei Jahre Karenzzeit durchzumachen d. h. die Erträgnisse seiner Pfründe wurden während dreier Jahre ihm vorenthalten und zum Teil für das Gnadenjahr und das Anniversar seines Vorgängers und das Universalanniversar aller Domherren, zum Teil für den Nutzen des Domstiftes verwendet. Erst im vierten Jahre und zwar neuerdings nach Zahlung von vierundzwanzig Gulden in die gemeinsame Kasse konnte er endlich in den Genuß seiner Pfründe eintreten. In den halben Genuß nur, wenn er die höhern Weihen noch nicht besaß, mit deren Besitz aber in den vollen Genuß, durch welche admissio, verbunden mit seiner Eidesleistung, er den Charakter eines vollberechtigten Domherrn, canonicus capitularis, mit Sitz im Chor und Sitz und Stimme im Kapitel erlangte.

Dies der normale Verlauf. Nebenher gehen die Fälle, in denen das Wahlrecht des Kapitels aufgehoben ist durch das kaiserliche Recht der ersten Bitte oder die päpstliche Provision. Aber auch bei diesen Fällen gelten, wenigstens in der später erkennbaren Zeit, der Adelsausweis und das ganze Aufnahmeverfahren mit Terminen Gebühren usw.

[653] Besetzungen von Kanonikaten durch den Kaiser kraft seines Rechts der ersten Bitte kamen nur selten vor: 1298 zu Gunsten des Hartung Münch, 1466 zu Gunsten des Arnold von Rotberg. Um so mehr machten sich die Provisionen der Päpste geltend.

Bei diesen sehen wir von ferne her eine mächtige Hand in die Rechte des Kapitels greifen, in natürlicher Anwendung der ganz unbeschränkten päpstlichen Gewalt. Das Verfahren war deswegen nicht weniger verletzend. Allerdings konnte es die gute Wirkung haben, daß es den Mißbrauch des Selbstergänzungsrechtes durchbrach; aber im Allgemeinen wird doch die Ansicht gelten müssen, daß das, was den Papst so handeln ließ, kaum je nur das Interesse des Bistums und Hochstiftes war, sondern meist eine ganz persönliche Rücksicht, ein Gunst- oder Gefälligkeitsverhältnis, Zureden und Empfehlung eines Prälaten oder hohen Herrn. Öfters mochten die Bischöfe von Basel selbst dem Papst einen Wink gegeben haben, um auf diesem Wege Männer ihrer Partei in das immer selbständiger werdende Kapitel zu bringen. Jedenfalls waren solche Vorfälle von stets neuen Intriguen und Zänkereien begleitet; diese Erregung begleitet die ganze Geschichte des Domkapitels, und immer wieder sehen wir neben den großen Weltkämpfen zwischen Kaiser und Papst, zwischen Papst und Gegenpapst, denen diese Ernennungen ja oft dienen mußten, den kleineren Kampf der autochthonen Kapitelsherren wider den Eindringling.

Im Einzelnen bleiben uns die Vorgänge meist verborgen. Jene Fremden, die im XIV. Jahrhundert durch den Papst zu Basler Domherren gemacht wurden, – Magister Gottfried von Kutelsowe 1309, Niklaus Graf von Mülhausen 1325, Konrad von Wildberg 1344, der Sohn des Grafen von Nellenburg 1357, Heinrich Spichwarter 1358, Magister Johannes Greci 1373 usw., – erscheinen nie in den Kapitellisten; sie waren Kanoniker, die ihren Kollegen kaum je zu Gesichte kamen, aber jahrelang den Berechtigteren die Plätze sperrten. Näher sehen wir in diese Dinge erst hinein bei den heftigen Streitigkeiten, die der Papst durch seine Wahl des Liestalers Oswald Pfirter 1395 und des Baslers Johann Wiler 1421 erregte. Beide Male erhob sich das Domkapitel gegen diese Plebejer; beide Male aber nahm der Rat für sie Partei, und sie gelangten in der Tat zum Siege. 1427 dagegen blieb der vom Kapitel gewählte Anton von Hatstat Meister über den von Papst Martin providierten Konrad Wider, der allerdings nur zehn Jahre alt und, wie sein Gegner Hatstat behauptete, nicht adlig und auch gar kein Kleriker war.

Um die Mitte des XV. Jahrhunderts gewinnt dann das ganze Verhältnis unverkennbar geregeltere Formen. Wir beobachten die Wirkung des [654] Wiener Konkordates von 1448, das dem Papste die in den ungeraden Monaten zur Erledigung kommenden Benefizien und diejenigen der an der Kurie sterbenden Kleriker zuwies, sowie einer speziellen Reservation des Papstes Nicolaus von 1449. Diesen Bestimmungen gegenüber sucht das Domkapitel seine Qualität und den Grundsatz der Ausschließlichkeit zu sichern. Daher die frische Ordnung der Ahnenproben, die Forderung persönlicher Vorstellung und Bezeugung, die Erneuerung des Statuts über Exklusion der Basler. Auch die Bestimmung des Statuts von 1516, die das Studium speziell an der Universität Rom für die Kanoniker ausschließt, will den Einfluß des Papstes hemmen; denn wer dort studierte, konnte dort sterben oder resignieren und damit Anlaß zu einer päpstlichen Ernennung geben. Jedenfalls handelte es sich bei den Provisionen dieser letzten Jahrzehnte wenig mehr um fremde Figuren, vielmehr meist um Eingeborne, um Söhne des Diözesanadels oder benachbarter Familien. Einzelne Anstößigkeiten ereigneten sich natürlich auch jetzt noch – die Providierung des nur neunzehnjährigen Caspar zu Rhein 1452, der Handel mit Volpert von Ders, Venningen und Flachsland über den Dekanat 1454 f., die doppelte Verleihung der Custodie an zu Rhein und Eptingen 1457 –, aber im Ganzen handelten die Päpste nicht mehr nur irgend einem Empfohlenen zu Liebe, sondern zogen die Verhältnisse, das Mögliche und das Annehmbare in Betracht; es hatte dies zur Folge, daß die Providierten jetzt wohl alle in das Kapitel eintraten und ihre Pfründen erhielten. 1511 und 1512 versuchte der Rat allerdings, vom Papst Julius die Abtretung des in den Papstmonaten ihm zustehenden Wahlrechtes zu erlangen und damit das Statut über Ausschluß der Basler zum Teil illusorisch zu machen; aber das Domkapitel erhob sich dagegen, und Julius trat sein Recht nicht ab. Der Rat riß dieses dann durch Beschluß von 1525 an sich.


Das Domkapitel umfaßte seit dem XIII. Jahrhundert vierundzwanzig Pfründen; daß um die Mitte des XV. Jahrhunderts fünf hievon als Doktoralpfründen ausgeschieden und einem Spezialrecht unterworfen wurden, ist gesagt worden.

Aber dieses Kollegium der vierundzwanzig bepfründeten Herren sehen wir nie vollständig vor uns. Weder im hohen Chore des Münsters noch im Kapitelsaale. Listen mit der Prätension, das ganze vorhandene Kapitel vorzuführen, finden sich häufig, bei Wahlen, Erlaß von Statuten, Erteilung von Handfesten usw. Sie enthalten elf Namen (1309, 1396, 1469), zwölf (1401, 1425, 1466), dreizehn (1395, 1516, 1517, 1525), fünfzehn (1494), [655] dann wieder nur neun (1375, 1427), zehn (1428, 1510), oder aber zweiundzwanzig (1500, 1525). Nie eine komplette Reihe. Zu jeder Zeit gab es Domherren, die den Namen hatten aber keine Pfründe, oder die eine Pfründe hatten und nützten aber nicht bei ihr residierten.

Wir mögen dabei an momentanes Verhindertsein denken, an Krankheit Geschäfte Reisen. 1450 z. B. ging der Domkustos Bernhard von Ratsamhausen zum großen Jubiläum nach Rom und starb dort. Ein sehr plausibler und darum auch offiziell anerkannter Grund von Abwesenheit war auch der Besuch einer Universität. Bei der Jugend und Unerfahrenheit mancher dieser Kapitelsherren war ein Studium wünschbar und daher eine auch länger dauernde Abwesenheit gerechtfertigt; und so finden wir denn auf allen berühmten Universitäten solche Studenten, die zu Haus in Basel Domherren hießen. Was in diesen Fällen von Abwesenheit Rechtens war, faßte 1516 ein Statut zusammen: der Studierende erhielt auch während seiner Abwesenheit bis auf die Dauer von fünf Jahren die ständigen Einkünfte (fructus grossi) seiner Pfründe, dagegen nicht die Präsenzgelder; jene aber nur bei löblichem Wandel und fleißigem Kollegienbesuch, worüber er dem Kapitel ein Zeugnis des Rektors vorzulegen hatte.

Aber hauptsächlich kommt in Betracht die pluralitas beneficiorum, die Häufung mehrerer Pfründen auf eine Person. Dieser Mißstand, in allen Zeiten Ständen und Stufen der Kirche heimisch, ist dem Basler Domkapitel natürlich nicht fremd. Wir sehen, wie häufig und wiederholt sich dieses mit den Kapiteln zu Straßburg Konstanz Kolmar Beromünster St. Ursitz, überraschend oft mit demjenigen zu Lautenbach, und daneben mit zahlreichen Pfarreien in den Mann zu teilen hat; wie von den bescheideneren Kumulanten weniger Stellen das Übel ansteigt bis zu den großen und glänzenden Sündern, den pfründenreichen Lütold von Röteln, Konrad von Gösgen, Peter von Bebelnheim, Ludwig von Tierstein, Johann Münch, Hans Werner von Flachsland, Caspar zu Rhein, Niklaus von Diesbach. Die Rechte und Erträgnisse einer solchen Mehrheit von Pfründen zu genießen mochte angehen, die gleichzeitige Erfüllung der Pflichten aber war unmöglich. Daher die Absenzen, die Pflichtversäumnisse. Was Johann von Venningen 1458 in seiner Wahlkapitulation versprechen mußte: die Domherren, die Benefizien an Pfarrkirchen von Stadt und Diözese Basel besäßen, von der Residenz bei diesen von vornherein zu dispensieren propter excellentiam dignitatis der Domkirche, – mochte ein Versuch sein, dem tatsächlichen Übelstand den Schein eines geordneten Zustandes zu geben; die krasse Anstößigkeit und Rechtsverletzung wurde dadurch nicht gehoben.

[656] Denken wir dann noch an die gewöhnliche Lässigkeit, an träges oder leichtfertiges Fernbleiben, so begreifen wir die vielen Absenzen. Im Jahre 1466/67 z. B. rechnete der Schaffner dem Dompropst Johann Werner von Flachsland vier Monate Abwesenheit nach, dem Dekan Jacob Pfau und dem Arnold Truchseß je sechs, dem Hartman von Eptingen fünf, dem Kantor Johann Ulrich von Stoffeln aber deren elf! Und 1474 mußte Papst Sixtus dem Domdekan ausdrücklich befehlen, sich bei der Kirche Basel aufzuhalten, da seine häufige Absenz Kapitel und Kanoniker benachteilige.

Diesem Allem gegenüber der Begriff der pflichtmäßigen Residenz, formuliert als das ununterbrochene Anwesendsein und Versehen des Chordienstes in Basel; mit Annahme eines Amtsjahres, das vom Verenatag (1. September), später vom Remigiustag (1. Oktober) an lief, und in dessen Dauer jeder Kanoniker Anspruch auf drei Monate Ferien hatte. Während dieser durfte ihm kein Abzug gemacht werden; bei sonstiger Abwesenheit (mit Ausnahme derjenigen an einer Universität) traten solche Abzüge ein. Auch wurde 1453 das alte Recht wieder eingeführt, daß die jährlichen Korn- und Weinlieferungen des Propstes nur den anwesenden, nicht auch, wie mißbräuchliche Übung geworden, den abwesenden Kapitularen zukommen sollten. Daß daneben das Kapitel beschloß, die beim Tod eines seiner Mitglieder üblichen Exequien auch dann zu begehen, wenn der Verstorbene nicht hier residiert hatte, war anerkanntermaßen keine Schuldigkeit, sondern Zugeständnis an die fraterna caritas.


Der Dompropst ist das Haupt des Kapitels und dessen Leiter in allen äußern Dingen, namentlich in Vermögenssachen. Kantor Kustos und Scholastikus herrschen nur im Innern Leben des Domstifts. Bedeutung für das allgemeine Recht der Kirche dagegen kommt den drei großen Gerichts­- und Disziplinargewalten Bischof Domdekan und Archidiakon zu; sie haben ihre Judikaturen und Vollmachten; sie sind die „drei Herren“, die in gleicher Weise über Stadtfriedensübertretungen der Kleriker wachen und richten, wie Bürgermeister und Rat über solche der Laien.

Im Domkapitel ist der Dekan der zweite Vorsteher. Der Propst präsidiert in der Regel, aber die Einberufung geschieht durch den Dekan. Er gibt den Posseß erledigter Präbenden. Er hat von Amtes wegen die Seelsorge der Chorgeistlichen und ihres Gesindes. Er wacht über Sitte und Ordnung im Chore, wo er der Erste und der Letzte sein soll. Wichtig aber ist, daß er auch eine Gerichtsbarkeit und Disziplinargewalt über Domherren und Domkapläne besitzt. Von seiner Stellung im Stadtfriedensrechte war [657] schon die Rede. Er ist judex ordinarius prelatorum canonicorum et capellanorum; auch das Gesinde dieses Domklerus darf nicht vor weltlichem Gerichte belangt werden, sondern gehört vor den Dekan. Diesen sehen wir daher öfters Zivilklagen, die gegen einzelne Domherren und Domkapläne bei ihm eingebracht werden, entscheiden; auch über Wundtaten Verbalinjurien usw. von Domgeistlichen richtet er. Auf seine Gewalt als ordentlicher Richter beruft sich der Domdekan, da er 1493 das Testament eines Domkaplans öffnet und publiziert und 1501 die Testamentserrichtung eines solchen beurkundet.

Dem Archidiakon der Kathedrale, archidiaconus major, auch Erzpriester geheißen, steht innerhalb desselben Sprengels, in welchem an Stelle des Archidiakons der Dekan der St. Johannskapelle auf Burg die kirchliche Tätigkeit der Geistlichen beaufsichtigt, eine eigentümliche Gerichtsbarkeit zu; der Sprengel wird gebildet durch die Stadt Basel und „die sieben freien Dörfer“ (die extravagantes der Kanzleisprache) Muttenz Münchenstein Pratteln Hochwald Oberwil Allschwil Hüningen.

Der Archidiakon ist zunächst Sendrichter dieses Sprengels. Er übt eine Strafjurisdiktion, namentlich über Fleischessünden Meineid Wucher, Verletzung der Kirchen, an den periodisch stattfindenden Versammlungen, wobei sowohl Kleriker als Laien zur Verantwortung gezogen werden. Näheres über diese Sendgerichtsbarkeit des Basler Archidiakons, über ihr Verhältnis zu andern Jurisdiktionen und über ihre Dauer wissen wir nicht. Aber noch in den 1480er Jahren kann der Erzpriester Hans Konrad von Bodman sagen, daß er und seine Amtsvordern im genannten Bezirk alle offenkundigen Ehebrecher Wucherer und Feiertagsschänder, sowie alle andern offenbaren Sünder zu strafen die Macht gehabt haben und noch haben.

Neben dieser nur zu gewissen Zeiten in Wirksamkeit tretenden Sendjudikatur hat der Archidiakon aber noch seinen ständigen Gerichtshof, die curia archidiaconi, des Erzpriesters Hof. Auch dieser ist zuständig nur innerhalb des genannten Sprengels; sein Verhältnis zur bischöflichen Kurie wird bei Schilderung dieser darzulegen sein.

Endlich ist zu nennen die spezielle Funktion des Archidiakons im Stadtfriedensrechte. Während er am Send und an seiner Kurie mit der gesamten städtischen Bevölkerung zu tun hat, erhält er durch die Einungsbriefe von 1339 und 1352 eine engere Befugnis für den städtischen Klerus. Er hat Stadtfriedensübertretungen, die an Klerikern oder durch solche begangen werden, zu untersuchen und zu richten, in gleicher Weise wie dies durch den Domdekan für die Angehörigen des Domstifts und durch den [658] Bischof für die nichtstädtischen Kleriker der Diözese geschieht. Dem entspricht, daß Domherren und Chorpfaffen auf Burg nur mit Erlaubnis des Dekans geharnischt im Stadtgebiet herumgehen dürfen, andere Geistliche der Stadt nur mit Erlaubnis des Archidiakons.


Für die Zusammenkünfte des Domkapitels war in alter Zeit der Raum im Kreuzgange vor der Niklauskapelle bestimmt; später, noch im XIV. Jahrhundert, trat an dessen Stelle der über dieser Kapelle liegende Saal, das capitulum, zu dem auf einer Treppe aus dem Chore des Münsters hinaufgestiegen werden konnte. Zur Winterszeit dagegen benützte das Kapitel statt dieses kalten Saales die untere Rheinstube im Fabrikhause neben der Pfalz.

Die Wohnungen der Kanoniker sind vielfach nicht nachzuweisen. Hie und da zeigt sich uns einer dieser Herren irgendwo in der Stadt ansässig, z. B. Oswald Egglin 1400 im Hause zum roten Fahnen an der Freienstraße. Er scheint da zur Miete gewohnt zu haben, was auch bei andern Domherren geschehen sein wird. Einzelne hatten wohl auch Quartier im Haus ihrer Familie oder im eigenen Hause.

Einen abgeschlossenen Zustand dagegen finden wir in den beim Münster gelegenen und dem Domstift gehörenden eigentlichen Domherrenhäusern, den curie canonicales oder prebendales. Bei vierundzwanzig Präbenden sind vierzehn solcher Kurien zu zählen. Ihre Bestimmung und Verwendung ist in der Regel unveränderlich; nur vereinzelt kommen Abweichungen vor, z. B. beim Reinacherhof, den Hartung Münch als Domherr besessen hatte und nach seiner Wahl zum Bischof zu bewohnen fortfuhr, oder beim Falkensteinerhof und St. Vincenzenhof, die zwischenhinein an Laien oder an Domkapläne überlassen wurden. Die Kurien waren Eigentum des Hochstifts. Die Verfügung über sie stand ursprünglich dem Bischof, seit 1296 dem Domkapitel zu, und dieses „verkaufte“ sie, aber nur auf Lebenszeit, zu Leibgedingsrecht. Der Inhaber konnte die Kurie einem Dritten, aber nur auch einem Domherrn oder Chorpriester, und zwar zinslos, weiterleihen. Auch letztwillig mochte er sie einem Kollegen bestimmen; unterließ er dies, so fiel sie an das Kapitel zurück, das sie zu gleichem Rechte und möglichst teuer an den jeweilen längstresidierenden Domherrn gab. In beiden Fällen wurde ein Geldbetrag zur Stiftung einer Jahrzeit für den frühern Inhaber ausgeschieden und die Kurie damit belastet. Der Inhaber war zum Unterhalt und wo nötig zum Wiederaufbau des Hauses verpflichtet; bei Baustreitigkeiten war er der Vertreter; er hatte die Befugnis, die Kurie mit Renten [659] zu beschweren. Beim Rückfall der Kurie an das Kapitel war der vom verstorbenen Inhaber s. Z. bezahlte Preis seinen Erben zurückzuerstatten. Diese Kurien wurden, unter Preisgabe der alten gemeinsamen Wohnung der Domherren, zu Ausgang des XII. Jahrhunderts errichtet, in ihrer Hauptmasse auf dem Münsterplatz und hier vielleicht an Stelle früherer Adelshöfe. Solche blieben auch später noch an der Nordseite des Platzes bestehen, während West- und Südfront fast durchweg aus Kurien bestanden. Diese gewähren in ihrer Gesamtheit ein eigentümliches Bild. Ihren Bewohnern sind Pflichten und Tätigkeit gemeinsam; so mannigfaltig das Leben des Einzelnen auch sein mag, auf Jeden wirkt doch die Gewißheit, daß ihm in seinen vier Wänden keine Erben folgen werden; es sind Amtswohnungen und zwar, bei allem möglichen Weltglanz und Luxus des Haushaltes, von entschieden kirchlicher Art; in mehreren dieser Kurien (St. Katharina, St. Vincenz, St. Fridolin) sind Kapellen eingebaut.

Außer den Münsterplatzhöfen werden uns noch einige vereinzelte Kurien bekannt: neben der St. Johannskapelle, der St. Vincenzenhof am Spitalsprung, mehrere bei St. Ulrich.

Für die Dignitäten waren keine eigenen Höfe bestimmt, mit Ausnahme des der Dompropstei unveränderlich zugewiesenen Amtshauses. Dies war die solempnis curtis prepositure zwischen Rittergasse und innerer Stadtmauer, die nicht nur Residenz des höchsten Prälaten, sondern auch Sitz einer mächtigen weitausgedehnten Gutsverwaltung war. Neben den Wohngebäuden Scheunen und Magazinen dieser großen Liegenschaft erhob sich eine Kapelle und befand sich die Stätte des Gerichts, an das der Rechtszug von den Dinghöfen der Dompropstei ging.

Daß schon frühe das Stiftsgut aus dem allgemeinen Bistumsgut ausgeschieden worden war und zwei getrennte Vermögensverwaltungen, des Bischofs und des Domkapitels, bestanden, ist bekannt. Innerhalb dieses Kapitelsgutes aber vollzogen sich noch weitere Scheidungen.

Der imposante ausgedehnte Besitz der Dompropstei – die Grundherrschaft im Banne der großen Stadt, die vielen Dinghöfe und Meierämter weit herum im Lande zu beiden Seiten des Rheines – ist als das ursprüngliche Stiftsgut anzusehen, dessen Verwaltung ausschließlich dem Propste zustand und aus dem er den Lebensunterhalt der Domherren sowie des sonstigen Personals zu bestreiten hatte. Allmählich bildete sich neben diesem alten Grundstock aus Neuerwerbungen ein besonderes Kapitelsgut, das nicht mehr allein vom Propst abhing, sondern vom gesamten Kapitel. Von da an sehen wir die beiden Verwaltungen neben einander hergehen, mit getrennten [660] Schaffneien, getrennten Kornhäusern und Kellern. Innerhalb des Kapitelsgutes entstanden mit der Zeit noch weitere Sonderungen und bildeten sich die Fonds der Kämmerei Präsenz Quotidian Bauverwaltung usw.

Aus den beiden großen Hauptkomplexen des Dompropstei- und des Kapitelsgutes erhielten die Domherren die zu ihren Präbenden gehörenden ordentlichen Bezüge, zu denen noch spezielle Einkünfte einzelner Präbenden und die persönlichen Einnahmen an verdienten Präsenzgeldern kamen.


Die Macht des Domkapitels wird aber in besonderer Weise hervorgehoben durch den Kontrast mit einer Masse subalterner Geistlicher und Beamter des Doms.

Die Domkapläne sind allerdings zuweilen die Genossen der Kanoniker. Mit ihnen zusammen bilden sie den communis clerus der Domkirche; mit ihnen zusammen nehmen sie jährlich dem Präsenzschaffner die Rechnung ab; wenn es um die Rechte des Domstifts geht, werden sie beigezogen, um gemeinsam mit den Domherren zu protestieren; sie genießen ähnlicher Freiheiten im Bischofs- und Stadtrecht.

Dennoch sind es getrennte Bezirke. Ein hüben und drüben anerkannter Gegensatz scheidet Kapitulare und Kapläne im Sozialen der Herkunft, oft in der Bildung, in der Lebensart, in der wirtschaftlichen Kraft, vor Allem in der Arbeit. Daher auch kaum je ein Kaplan Domherr wird. Dem kleinen und geschlossenen Kreise der wohlgebornen Kapitularen steht hier die Menge des Volkes gegenüber. Zum guten Teil Basler Stadtkinder und zwar kleinbürgerlicher Art; selten aus Achtburgerhäusern, Adlige nur ganz vereinzelt. In den Kämpfen des Kapitels mit der Stadt halten diese Kapläne daher vielfach zur Bürgerschaft, sodaß die Domherren alle Mittel anwenden müssen, um sie auseinander zu bringen. Daneben dienen die Kaplaneipfründen des Münsters natürlich auch vielen von auswärts, von Bern Stans Landser Selz Mainz usw. Kommenden, bis zu jenen völlig Fremden aus Lüttich, aus Troyes u. dgl., die durch päpstliche Provision eine Basler Pfründe erhalten. Ebenso natürlich ist, daß die Pfründenhäufung uns auch in dieser Schicht des Klerus begegnet. Im Vergleiche mit der Kumulation der Domherren allerdings in bescheidenem Maße. Ab und zu ist einer dieser Kapläne zugleich Chorherr zu Colmar und zu Lautenbach; häufiger handelt es sich um Vikariate naher Kirchen, wie Therwil Hofstetten Münchenstein Grenzach usw., oder um Kaplaneien in Basel selbst, im Spital, zu St. Martin, im Steinenkloster usw.

[661] Das Bild der Kaplanenschaft ist wesentlich durch ihre Masse bestimmt. Im Münster stand, wie Wurstisen sagt, in jedem Winkel ein Altar; dazu kamen die Altäre in den Kreuzgängen und den verschiedenen Kapellen. Die Gesamtheit dieser „Altäre auf Burg“ war somit groß; die Zahl der Kapläne noch größer, da an manchen Altären mehrere Kaplaneien bestanden. Eine offizielle Zählung von 1441 nennt dreiundsiebzig Kaplaneien, eine Liste von 1525 führt die Namen von einundsiebzig Kaplänen auf, eine Liste von 1529 deren achtundsechzig. Als Normalzahl wird zweiundsiebzig, die Zahl der Jünger Christi, zu gelten haben.

Die Arbeit der Kapläne war ordnungs- und stiftungsgemäß keine seelsorgerliche, da das Münster keine Pfarreirechte besaß. Daß sie trotzdem Beichte hörten, Sakramente spendeten usw., ist schon erwähnt worden; das Wesentliche war doch ihre Verpflichtung zu Chordienst und Altardienst.

Der durch Pfründen- und Memorienstiftungen geschaffene, in den verschiedensten Formen sich vollziehende Kultus trat neben den von Anbeginn gegebenen, den offiziellen und ordentlichen Kultus. Und im Verhältnisse beider gewahren wir eine Entwickelung. Sie ging aus vom Dienste der Domherren; zu deren Unterstützung wurden schon frühe Helfer aus der Kaplanenschaft herangezogen; als Endstück kann die große Ordnung von 1477 gelten, wonach alltäglich, außer den Stiftungsgottesdiensten, auf dreizehn Altären Messen durch Kapläne zelebriert werden sollten.

In einem für die Kanoniker beschämenden Maße wurden die gottesdienstlichen Funktionen zur Sache der Kapläne. Jene hatten selten die Priesterweihe und waren häufig abwesend, sodaß die Arbeit im Chore zum Teil den Kaplänen zufiel; auf den zahlreichen Altären geschah Alles durch die ihren Pfründen abwartenden Kapläne allein. Von ihnen lebte der Kultus, schallte das Münster. Den prächtigen und verweltlichten Herren des Chors gegenüber waren diese kleinen, zum Teil schlecht honorierten Kleriker die Arbeitenden. Natürlich rächten sie sich, so gut es ging, vor allem durch jenes Spötteln und Lästern, das von den Tagen Heinrichs von Isny an in diesen Schichten des Basler Klerus zu Hause war.

Wenn der Gegensatz zum Kapitel die Kapläne auch zusammenschloß, so war doch wenig wirkliche Einheit bei ihnen selbst vorhanden. Wir begegnen keinen Organen, keinen für Alle verbindlichen Statuten. Dafür zahlreichen vereinzelten Bestimmungen und Formen. Die Masse zerstiebt, und wir sehen nur Kategorieen und Persönliches.

Die wichtigste Gruppe war ohne Zweifel diejenige der schon erwähnten capellani choro adstricti, der Chorpfaffen, die den Domherren im Chore [662] helfen mußten, damit dort ein ordentlicher und volltönender Gottesdienst zu Stande kam. Daher auch ihre Gleichstellung mit den Domherren in Statuten und Einungbriefen. 1289 wurden die Kaplaneien bezeichnet, deren Kapläne zu diesem Dienste genommen werden sollten; es waren sechszehn. Ihre Aufgabe war, täglich bei Messe und Stundengebet im Chore mitzuwirken; doch durften sie deswegen die Pflichten an ihren eigenen Altären nicht versäumen.

Aus der Reihe dieser sechszehn Chorpfaffen wurde die kleine Kerntruppe der vier assisii chori ausgeschieden; ihnen lag das Messesingen am Hochaltar, sowie das Tonangeben und Führen beim Vortrage der Psalmodieen u. dgl. ob. Sie waren durch Einzelheiten der Tracht ausgezeichnet und konnten als die Häupter der Kaplanenschaft gelten; Erlasse des Bischofs an diese Gesamtheit wurden z. B. 1368 und 1371 an einen der assisii adressiert.

Einzelne Kapläne hatten ihre besondern Besorgungen beim Kultus oder eigene Rechte; es waren dies die durch das Alter oder spezielle Beziehungen ihrer Pfründen ausgezeichneten Kapläne des Marienaltars und der Altäre in der Krypta sowie der zum Seelenheil der Königin Anna und ihrer Söhne gestifteten Präbenden, die capellani regine.

Auch an diejenigen Kapläne muß erinnert werden, die dem Hochstift noch in eigentlichen Beamtungen dienten – als Kanzler oder Generalvikar des Bischofs, als Schaffner Fabrikmeister Dormenter usw. – oder Hauskleriker und Familiaren bei einem Kanonikus waren. Sie blieben dabei jedenfalls ganz im Bereiche der Münsterwelt, und das Erfüllen dieser Dienste ging zusammen mit ihren sonstigen Pflichten.

Bei aller Mannigfaltigkeit, in die sich der Schwarm der Kapläne löst, zeigt sich uns zuletzt doch noch eine Form des Gemeinsamen, ein Verband: die Bruderschaft St. Johanns auf Burg.

Als ihr Charakteristisches kann gelten, daß sie außerhalb des Münsters und seiner Gottesdienste stand, daß sie keine hierarchische Ordnung war, sondern eine genossenschaftliche, daß sie nur innern Geschäften und persönlichen Interessen diente.

Ihr Sitz war die St. Johannskapelle auf dem Münsterplatz, die in frühester Zeit der Kathedrale beigegebene Taufkirche. Von dieser Kirche abhängig d. h. für den Empfang der Taufe und für den Besuch des Gottesdienstes an Hauptfesten auf sie angewiesen scheinen in jener Anfangszeit außer der Stadt die Gemeinden Muttenz Münchenstein Pratteln Hochwald Oberwil Allschwil Hüningen gewesen zu sein, wogegen der Geistliche von St. Johann [663] die Aufsicht auf die Geistlichen der Stadt und der genannten Nebenorte hatte. Dies war ursprünglich wohl der Erzpriester des Domstifts; später funktionierte statt seiner der mit dem Titel eines Dekans diesem Bezirke der Stadt und der „sieben freien Dörfer“ vorstehende Geistliche.

Wie aber in den andern Archidiakonaten = Dekanaten der Diözese die Geistlichkeit sich zu Konfraternitäten zusammenschloß, so auch hier. Nur wurden hier, vielleicht in Erinnerung daran, daß die Geistlichen jener sieben Dorfkirchen ursprünglich Kapläne der alten Mutterkirche gewesen waren, vor Allen die Domkapläne in die Bruderschaft gezogen und bildeten in ihr die große Mehrheit, sodaß die Bruderschaft wesentlich Verband von Domkaplänen und ihr Vorsteher, der den Namen Dekan trug, gleichfalls ein Domkaplan war.

Neben ihr, der Genossenschaft, bestand der alte organisatorische Begriff des Ruralkapitels von St. Johann auf Burg als Teil der Diözesangliederung weiter.

Die Bruderschaft rief ihre Mitglieder zur gemeinsamen Andacht vor den Altären der Bruderschaftskapelle; sie ließ ihnen jährliche Reichnisse zukommen; sie hielt für sie ein Grab im Münsterkreuzgange bereit; sie hatte ein Anrecht auf das Bett, den Kutzhut und die Überröcke des verstorbenen Mitgliedes. Namentlich aber war sie eine Anstalt zur Versicherung geistlicher Güter durch die Abhaltung von Exequien und Jahrzeiten. Wir finden daher, daß auch Laien ihre Mitgliedschaft erwarben.

Völlig abgegrenzt und selbständig, autonom, stand diese Bruderschaft inmitten des Münsterwesens. Ihr Leiter war der Dekan von St. Johann. Unter ihm führten der Kämmerer und die Sechser die Verwaltung. Den Bau und Unterhalt der Kapelle bestritt die Bruderschaft, nicht die Dombauverwaltung.

Nicht als streitbare Interessenvertretung ist die Bruderschaft zu betrachten, in der Art etwa der Verbrüderung des Straßburger Klerus 1415 und der dann in den Basler Synodalstatuten 1434 verbotenen Bünde. Völlig friedlich vielmehr und durch ein ansehnliches Vermögen zu Leistungen befähigt, war sie, wenn auch kein Obligatorium bestand und nicht alle Domkapläne ihr angehörten, doch als die Genossenschaft zu betrachten, in der die Kaplanenschaft als solche eine Repräsentation fand. Und da sie Organe mit Disziplinargewalt besah, so konnte sich allerdings empfehlen, daß z. B. Graf Rudolf von Tierstein 1346 ihr ein Kapital übergab, um daraus die Hostien für die Altäre des Münsters zu beschaffen, oder daß Bischof und Domkapitel die Handhabung der großen Ordnung über die [664] Messen 1477 nicht selbst besorgten, sondern der Bruderschaft übertrugen. Deren Vorgesetzte führten seitdem die Kontrolle und Aufsicht in diesen Dingen; dazu gehörte auch, daß sie 1492 das Waschen und Flicken der unter ihrer Besorgung stehenden Paramente den Nonnen im Gnadental verdangen.


Wir beachten alle diese Sonderungen, diesen Reichtum einzelner Formen, und dennoch steht das Domstift immer wieder als Einheit vor uns, zusammengehalten durch das ihm eigene Wesen von Größe. Es ist das Leben der Kathedrale. Ein Schimmer fürstlicher Hoheit, die Weihe alten zentralen Kirchentums umgibt Alles. Wenn mir zu Zeiten nichts vor uns zu sehen glauben als ein Stück weltlicher Regierung, als Gerichtsbarkeit, als große Administration, so werden wir doch sofort auch inne, was an gottesdienstlicher Beflissenheit, an höherer Gesinnung hinter dem Geschäfts- und Tagestreiben lebt, wie das Ganze ein Priesterstaat ist. Das enge Verbundensein des Entgegengesetztesten, das dem alten Kirchenwesen überhaupt Reiz gibt, erscheint hier auf Burg, wo alle Maße größer sind als anderswo, ins Bedeutende gesteigert.

Schon im Äußern, in der topographischen Anordnung. Auf dem Vorhofe des Münsters selbst, dem Atrium, grenzen Ritter- und Klerikerhäuser aneinander; die Nebengassen haben die seltsamsten Mischungen von Bewohnerschaft. Kleingeartet und schlicht die Spiegelgasse, wo der langen schweigsamen Front des Augustinerklosters gegenüber ein Gewimmel von bescheidenen Klerikern des Doms und der Martinskirche, von Schreibern Gelehrten Künstlern sich drängt, darunter Figuren wie Johann von Gmünd der Werkmeister und Sebastian Brant. Das Gegenstück dazu ist die Rittergasse, mit dem Alles dominierenden gewaltigen Gehöfte der Dompropstei und alten stolzen Herrenhäusern der Ramstein und Eptingen. Von großer Art ist hier auch das Ordenshaus der Deutschritter und ihm gegenüber Bitterlins Hof, der jetzt das Haus der edeln Damen ist, erst der Königin Agnes von Ungarn, dann der Jahrzehnte lang hier als Witwe des Markgrafen Rudolf von Hochberg lebenden Katharina von Tierstein, dann der Margaretha von Landenberg. Neben dem Allem eine Schwesternkongregation, das Stadthaus der Olsberger Nonnen sowie da und dort eingeklemmt das Häuslein eines Domkaplans oder eines Notars. Kaplanenhäuser sind außerdem über diesen ganzen Bereich hin zerzettelt: am Schlüsselberg, am Spitalsprung, am Bäumlein; aber auch noch weiter weg vom Münster stehen sie: am Rheinsprung, bei Steblinsbrunnen, bei der Barfüßerkirche, [665] in den Vorstädten Äschen und St. Alban. Sie sind zuweilen das persönliche Eigentum eines Kaplans, häufiger Gut einer bestimmten Präbende (Sanct Kaiser Heinrichs Pfrundhaus u. dgl.); zuweilen stehen sie dem Domstift überhaupt oder einer seiner Verwaltungen zu und werden einem Kaplan auf Lebenszeit „verkauft“ d. h. gleich den Domherrenkurien zu Leibgedingsrecht geliehen.

Noch Anderes ist im bunten Bilde dieser Welt auf Burg bedeutsam: die an den Kreuzgang angebauten Keller und Kornhäuser des Domstifts. Ihnen entsprach als bischöflicher Speicher der an der Nordseite des Münsterplatzes bei der Einmündung des Schlüsselbergs gelegene Schürhof. Jedenfalls ein Zentrum der fürstlichen Verwaltung; in ihm hielt der Brotmeister sein Gericht, benachbart waren die Gesesse der mit den Hofämtern begabten Geschlechter. Aber mit der Zeit verlor dieser Schürhof seine ursprüngliche Bestimmung und wurde bischöfliche Residenz.

Freilich haben wir die eigenartige Bedeutung dieses Begriffes von bischöflicher Residenz zu beachten. Seit dem XIV. Jahrhundert halten sich die Basler Bischöfe immer weniger in Basel selbst auf; sie ziehen vor, in Delsberg Pruntrut usw. zu residieren. Der Konflikt weltlicher und kirchlicher Gewalt und das Übergehen der Herrschaftsrechte an den Rat depossediert den Bischof vom Stadtregiment, macht den alten Herrn zum Nachbar, nimmt aber darum nicht auch der Stadt den Charakter der Bischofsstadt. Das Münster bleibt Kathedrale, bleibt Haupt aller übrigen Kirchen des Bistums, und zu keiner Zeit ist an eine Übertragung dieser Qualität gedacht worden. Tradition Gewöhnung praktische Vorteile und tatsächlich bestehende Einrichtungen, aber auch die tiefe innere Gewalt des Heiligen fesseln Münster und Domstift an den alten Ort. Die Kontinuität aber wird durch den dem Münster benachbarten Bischofshof dargetan. So unbewohnt er auch meist sein mag, er vertritt körperlich und symbolisch den Bischof selbst, bezeugt den nie preisgegebenen Anspruch auf Herrschaft, macht die Stadt noch immer zur Bischofsstadt und Bischofsresidenz.

Bestimmte Nachrichten über die Wohnung der ältern Bischöfe besitzen wir nicht. Der im Aufruhr 1247 zerstörte Palast mochte da gewesen sein, wo heute die berühmte Terrasse in ihrem Namen Pfalz einen alten Zustand festhält; aber schon die statt dieses Palastes errichtete Wohnung hat sich vielleicht am Orte des heutigen Bischofshofes befunden. Deutlicher werden uns die Verhältnisse durch die nach dem Erdbeben 1356 eintretenden Veränderungen. Bischof Johann Senn scheint den alten, wahrscheinlich beschädigten Bischofshof am Rheinbord verlassen und den Schürhof zur [666] „neuen Pfalz“ gemacht zu haben. In diesem richtete er Wohnung und Kanzlei ein – schon 1357 tagte hier der Gerichtshof der Stiftsvasallen –, während der verlassene Bischofshof vom Domkantor Ludwig von Tierstein bezogen wurde.

Wo in den folgenden Jahrzehnten die Bischöfe residierten, wissen wir nicht. Johann von Vienne und Humbert hielten sich meist auf ihren jurassischen Schlössern auf, und Imer, den sowohl Kapitel als Rat gern unter ihren Augen behielten, wohnte im Domherrenhof zu St. Fridolin (Domhof), vielleicht deswegen, weil gerade im Jahre seiner Wahl 1382 der Schürhof verbrannte. Auch Hartman blieb als Bischof in seiner alten Domherrenkurie sitzen. Erst Johann von Fleckenstein, wie in Allem so auch in diesen Dingen ein Erneuerer des Bistums, zog den alten Bischofshof am Rheine wieder zu Ehren, obschon die Wohnung eher für einen armen Kaplan paßte als für einen Fürsten. Durch kleine Erweiterungen sowie den Bau einer Kapelle schuf er eine nach seinen Begriffen genügende Residenz. Der auf ihn folgende Friedrich zu Rhein siedelte wieder in den geräumigen, besser eingerichteten Schürhof über und blieb in diesem bis zu seinem Tode 1451. Inzwischen war der Bischofshof Papstwohnung gewesen. Nicht während der ersten Anwesenheit des Papstes 1440–1442; diese verbrachte Felix im Hofe Heinrichs von Ramstein; erst als er zu seinem zweiten Besuch im August 1446 sich hier einfand, ging auch dem Bischofshof für einige Monate seine größte Zeit auf; bis zum Januar 1447 war er palacium apostolicum. Wie enge aber dies Wohnen und wie unwürdig eines Bischofs dies Haus dem an sein herrliches Ripaille sich erinnernden Papst vorkam, zeigt seine Munifizenz, die nun zum Bau eines neuen Bischofshofes den Anstoß gab. Damals wurde das Hauptgebäude mit Hofstube und Saal in Angriff genommen; nach Friedrichs Tode führte Bischof Arnold den Bau magnifice zu Ende. Er fügte vorne den Torbau, hinten die Kapelle an; bis ins letzte Jahr seiner Regierung laufen die Abrechnungen mit dem Zimmermeister Hans von Thann, dem Maurer Krebser, dem Ziegler Strölin, den Malern Stocker und Gilgenberg, dem Ofner Claus Biegg. Johann von Venningen sodann brachte dem neuen Palaste eine reiche Ausstattung an Gerät und 1462 ließ er durch Meister Ludwig den großen Saal mit den Wappen der Vasallen ausmalen.

Mit der Bewohnung des Schürhofs durch die Bischöfe war es seitdem zu Ende; das Gebäude wurde dem Kanzler Heidelbeck angewiesen, später zur Domherrenkurie gemacht. Als solche diente es 1505 dem Johann von Hatstat, in den 1520er Jahren dem Jacob von Pfirt.

[667] All diesem Wechsel gegenüber nun die Beständigkeit des Amtes und Geschäftes in der merkwürdigen Häusergruppe, die sich am hohen Rheinufer hinter den Linden hinzog.

Von dem hinter dem Chor der St. Johannskapelle gelegenen städtischen Werkhause, das seit 1495 ein Werkhaus des Domstiftes war, durch eine Kaplaneiwohnung getrennt, lag das unansehnliche Gerichtshaus des Archidiakonats, „des erzpriesters richterhüsli“. Neben diesem sodann das Haus des allergrößten Verkehrs, das bischöfliche Konsistorium, das auch des Offizials Haus, häufiger der Schreiber Haus genannt wird. Gerichtsstube und Kanzlei waren in diesem Bau vereinigt, 1435 richtete die Gesellschaft der Schreiber des Gerichtes hier ihre Stube ein, in die Bischof Johann, der Dekan Wiler u. A. ihre Wappen stifteten. Aber die Auszeichnung der Stube war ihre Lage. In ungewohnt wohlklingenden Versen pries ein halbes Jahrhundert später Sebastian Brant die von Vogelgezwitscher tönende Luft, die das Haus umgab, die Aussicht auf reiche Baum- und Lustgärten und den belebten Rhein. An dieses Schreiberhaus grenzte das Eckhaus, wo die Bauverwaltung des Münsters ihren Sitz und der Bauverwalter (Fabrikmeister) seine Wohnung hatte, das Bauhaus U. L. F., domus fabrice. Im Erdgeschosse scheint die Domschule gewesen zu sein; die untere Rheinstube diente zu Zeiten dem Domkapitel als Sitzungssaal, daher das Gebäude auch der Stift Haus, der Domherren Haus hieß. Noch kurz vor dem Ende der alten Münsterherrlichkeit, 1528, wurde es durch das Kapitel von Grund aus neugebaut.

Unter den Linden, die den Platz vor dieser Gebäudereihe beschatteten, zog sich von der St. Johannskapelle gegen die Galluspforte der „Runs“, ein kleiner Graben, als Grenze des Richthausbezirkes. Vor diesem Gräblein und hinter dem Brunnen lag die Bauhütte. Das Bemerkenswerteste aber war hier die größte der Linden, tilia magna, die berühmte Gerichtslinde von Basel; sie stand in der Nähe des Brunnens und war von einer Steinbank umzogen, auf der an guten Tagen der Offizial zu Gericht saß. Diesem Richterstuhl gegenüber erhob sich an der Nordwand des Münsters ein steinerner, über drei Staffeln erhöhter Sitz; hier thronte der Bischof jährlich am Tage der Ratswahl.

Man ist versucht, als Staffage dieses feierlichen Burgbezirkes vor Allen die Domherren und Prälaten sehen zu wollen oder den Bischof mit seinen Herren und Gästen oder überhaupt die oft glänzende Erscheinung alles Dessen, was die große Welt Basels und seiner Lande war. Aber diese Herrschaften verschwinden in der Masse von Subalternen. Diese sind die [668] beständig Anwesenden, die Unentbehrlichen, die nicht allein mit zahllosen Namen Verzeichnissen und Ordnungen die Überlieferung beinahe erdrückend bestimmen, sondern auch körperlich alle diese Räume füllen.

Von den Kaplänen war schon die Rede. Sie zeigen das Mannigfaltige einer großen Menschenzahl. Und da sie offenbar viele müßige Stunden haben, auch keine Gravität von ihnen verlangt wird, so sind sie allenthalben anzutreffen und haben Freunde in allen Gassen der Stadt.

Welche Menge von Beamten und Bediensteten sodann im Bischofshofe. Der Kanzler, der Hofmeister, die Kämmerlinge und Leibdiener kommen und gehen freilich mit der Person des Fürsten. Aber auch wenn dieser abwesend ist, läßt er hier nicht allein den Generalvikar und den Insiegler, die Beide ihre Amtswohnungen in der Nähe des Schürhofes am Schlüsselberg haben, sondern auch der Weihbischof muß hier zu finden sein, und auch die Residenz steht nie leer. Ein Hofschaffner regiert darin, Mägde sind da, der Jäger, der Stallknecht, die Wäscherin usw. Sitzungen des Mannengerichts, die Zeremonien der Ratserneuerung und des Martinszinseinzuges beleben das Gebäude; das Holz zur Heizung der großen Stube haben die Allschwiler Dorfleute heranzuführen. Ähnlich geht es zu in der Dompropstei und in den Kurien. Jeder Domherr hat seinen Haushalt, der bei Einzelnen zum Hofstaate werden kann, mit Hauskaplan Schaffnerin Knechten Mägden; auch der Schüler fehlt selten, der dem Herrn als Famulus zur Hand sein muß, und in hübscher Weise sehen wir, wie zuweilen ein solches Schülerlein sich bildet und emporbringt. Niklaus Fricker z. B., der in den 1420er Jahren Amanuensis des Domherrn Sinner ist, erhält bald darauf die Schulmeisterstelle in Brugg und wird der Vater des großen Berner Kanzlers Thüring Fricker. Von allgemeinerer Bedeutung und als Hüter und Mehrer des zum Bestehen dieser ganzen Welt erforderlichen Gutes in Ansehen sind die Schaffner der verschiedenen Vermögensverwaltungen: der Kämmerer, der Präsenzer, der Quotidianer, der Schaffner des Dompropsteigutes, der vielbeschäftigte Bauherr und Fabrikmeister mit seiner Schar von Untergebenen, zu der neben den ständig angestellten Werkleuten, neben dem Schreiber und dem Kollektor, auch zahlreiche für das Domstift arbeitende Handwerker gehören bis zum Weinleger und zum Tonsurenscherer.

Eine eigentümliche Gruppe innerhalb dieser Gesamtheit bilden die Kurialen, die mancherlei Beamten und Zugewandten der geistlichen Gerichtshöfe. Von denen des bischöflichen Gerichts wissen wir, daß sie eine Stube hatten, eine Gesellschaft bildeten wie Ritter Zünftler Schützen usw. Zum ersten Male wird sie in den 1430er Jahren genannt, unter dem Offizialat [669] Heinrichs von Beinheim, zur Zeit des Konzils. Vielleicht haben die zahlreichen fremden Notare Prokuratoren und Kanzlisten, die damals hier waren und mit ihren Basler Kollegen verkehrten, zur Gründung der Gesellschaft den Anstoß gegeben. Die Gesellschaftsstube lag im Offizialatshause; hier wurden gelegentlich die Häupter der Stadt bewirtet, beim Tod eines Stubengenossen Leidschenken abgehalten usw.

Aber das sind Gruppen und Figuren, die uns nur Teile zeigen. Wie weit greift das wirkliche Leben auf Burg über sie hinaus; durch die sakralen Formen bricht überall die Beweglichkeit des Einzelnen, und unaufhörlich treten neue Gestalten zwischen die Angesessenen: Gäste Stadtbesucher Fuhrleute Zinsbauern; die lärmenden Verkäufer und Käufer bei den Kramläden, die ringsum an den Münsterwänden angeheftet sind; die Bannwarte, die im Herbst an schwer gebogener Stange große Trauben aus dem Kanaan von Haltingen herauftragen; Geistliche und Laien aus dem Bistum, die vor den Richter geladen sind, um sich in Konkubinatssachen Ehesachen usw. zu verantworten; müßige Gaffer, die dem Notar rasch Zeugen stehen müssen; Parteien, die ihren Streit aus dem Konsistorium bis unter die Linden heraus tragen u. s. f.

Hinter all den noch so kräftigen Äußerungen dieses Lebens, des Kultus, der Vermögensverwaltung, des Hofhalts, der massenhaften klerikalen Einzelhauswesen empfängt uns die große Wirkung universaler Art, die von diesem Orte ausging. Auch für die vom Bischof freigewordene Stadt war dieser Hügel immer noch das Kapitol; jährlich kam hier oben mit Begehungen voll Weihe der Rat zu Stande; jährlich am Karfreitag verrichtete im Münster der Rat seine offizielle Devotion auf gleiche Weise, wie in der zweiten Stadtkirche, zu St. Theodor; in großen geschichtlichen Momenten, von Siegen heimkehrend, zog die Bürgerschaft noch im Waffenkleide triumphierend auf Burg, um vor dem Hochaltare des Münsters ihren Dank darzubringen. Ob hier die Edeln des Hochstiftes turnierten, die alten Jahrmärkte stattfanden, Ablaßverkündigungen Feste und Prozessionen waren, immer handelte es sich dabei um Lebensinteressen der gesamten oberrheinischen Lande. So stellt sich uns der Basler Münsterplatz dar als der Mittelpunkt eines weiten Gebietes; jeder Bauer und jeder Graf dieses Gebietes war hier oben zu Hause. Und wie mächtig erwies sich die geistige Herrschaft dieses Münsters als der einen heiligen Mutter und Meisterin aller Kirchen des Bistums. Von den großen Synoden und dem beständigen Verkehre der Ruraldekane an bis zu den Pfarrern, die alljährlich am Gründonnerstag hier in der Kathedrale das heilige Öl zu holen kamen.

[670] Charakteristisch ist dabei, daß das Münster keine Pfarreirechte hat. Aber wir sahen schon, wie diese Beschränkung nicht beachtet wurde, wie vielmehr auch beim Dom eine Gemeinde sich bildete und dieser Zustand immer unwidersprechlicher Geltung erhielt. Wir gewahren überhaupt ein allmähliches Wachsen des klerikalen Wesens auf Burg. Während die weltliche Macht des Bischofs in Basel abnimmt, steigern sich das kirchliche Bewußtsein und auch die äußern Kräfte und Bedürfnisse der Kirche. Alte Gesesse von Dynasten und Edelleuten auf Burg werden Priesterhöfe. Die Ramsteinische Liegenschaft Tiefenstein bei St. Ulrich wird Kirchhof, das Eptingische Recht an Bitterlins Hof fällt an die Dompropstei. Schaltenbrands Haus und das Haus Gemar werden Kaplanenhäuser. Nicht nur das Turnieren auf dieser die Stadt beherrschenden Höhe nimmt ein Ende; auch die Jahrmärkte werden fortgewiesen, weil ihr Lärm und Gewühl jetzt als Störung dieses geweihten Bezirkes empfunden wird. Auch richtet sich die Administration des Domstifts immer breiter ein, und die Offizianten vermehren sich. Zu den Schaffneien werden nur Kapläne genommen. Mit dem Kultus wächst das kirchliche Personal. Immer mehr sehen wir die Soutanen, die Tonsuren, die durchaus stilisierten Vorgänge. Das Alltägliche ist von der Kirche beherrscht. Jede Wegstrecke führt vor einer Kirchen- oder Kapellentüre vorbei, durch die das Allerheiligste des Altars mit Kniebeugen gegrüßt sein will.


Dem Domstift ähnlich war das an der Pfarrkirche zu St. Peter bestehende Stift, dessen Anfänge schon geschildert worden sind.

Sein Zustand blieb seit der Gründung in der Hauptsache unverändert. Eine Wiederholung domstiftischen Wesens, aber auf kleinerem Raume und mit schwächerer Wirkung, dagegen im Einzelnen zum Teil schärfer erkennbar. Es ist das normale Bild des mittelalterlichen Kollegiatstifts, ohne die Größe und Eigenart, die das Domkapitel auszeichnen.

Auch zu St. Peter ergänzt sich das Kapitel selbst, und mit dem Eintritte sind die üblichen Gebühren und Eide der Gewählten verbunden. Man unterscheidet auch hier die vollberechtigten Kapitulare, die Kanoniker und die Exspektanten. Die Einrichtung des Gnadenjahres (der Totenpfründe) findet sich wie die ihr entsprechende Karenzzeit für den Nachfolger.

In der Gesamtheit der Kanonikatpfründen ausgezeichnet sind die fünf Dignitäten des Propsts Dekans Kantors Thesaurars Schulherrn, unter denen der Thesaurar durch den Dompropst, die übrigen durch das Kapitel von St. Peter selbst gesetzt werden. Dem Propst kommt vor Allem die [671] Vertretung gegen außen und die Vermögensverwaltung zu, dem Dekan die Disziplin und Strafgewalt im Innern.

Eine Besonderheit dieses Stiftes ist, daß es sich an einer Pfarrkirche gebildet und damit Rechte und Pflichten pfarrlicher Besorgung einer Gemeinde erworben hat. Es ist Pfarrer in der Person seines Kustos, der aber diese Geschäfte nicht selbst versieht, sondern Vikare anstellt und Kapläne amtieren läßt. Es geschieht dies gemäß allgemeiner Übung und entspricht dem Interesse der Gemeinde selbst, wenngleich diese dadurch dem Kapitel entfremdet werden mag.

Unter diesem Kapitel stehen, auch hier zu St. Peter ihm an Zahl und Tätigkeit überlegen, die Kapläne. Sie haben vor Allem ihren Altarpfründen abzuwarten, daneben am Chordienste der Kanoniker teilzunehmen. Letzteres ist anfangs nur Pflicht der vier Chorpriester (des Pfarrhelfers, des Siegrists und der Kapläne U. L. F. und St. Nicolaus); aber schon 1330 haben sämtliche Kapläne diese Obliegenheiten der Chorpriester und müssen der Kapitelmesse sowie allen Horen beiwohnen. Hieran schließt sich das weitere Obligatorium der Teilnahme an den Prozessionen Memorienfeiern Gräberbegehungen. Auch in den Pfarreigeschäften erweitert sich die Befugnis, die zunächst nur jenen vier Chorpriestern zukam, auf die ganze Kaplanenschaft; jeder Kaplan ist gehalten und berechtigt, Beichte zu hören und Kranke zu besuchen. Die ursprüngliche Auszeichnung jener Vier dauert nur noch fort in ihrer Anerkennung als Elitegruppe, als assisii; sie sind die tauglichsten Kapläne und können als Vertreter der Chorherren gelten; ihnen liegt die Hauptbesorgung ob, sie haben der Reihe nach (in wöchentlichem Turnus) die Horen anzustimmen, sie sollen die Ersten und die Letzten im Chore sein.

So erhält man den Eindruck, daß das Stift seinen Beruf wesentlich durch die Kapläne erfüllt. Den zehn Chorherren gegenüber wirken sie schon als Masse. Wiederholt treten sie in der Zahl von einundzwanzigen, vierundzwanzigen usw. auf; eine Liste von 1529 nennt ihrer dreiunddreißig, während ein offizielles Verzeichnis des Bistums einundvierzig nennt.

Das Kapitelgut ist gesondert vom Vermögen der Kaplanenschaft, und außerdem bestehen hüben und drüben die Sondergüter der einzelnen Präbenden. Ohne Weiteres leuchtet auch ein, wie zahlreich hier die Anlässe zu Streit sind. Die Frage des Bezuges der Opfer Gefälle Präsenzgelder beherrscht das ganze Verhältnis, und wiederholt suchen Statuten der Unzufriedenheit und Mißgunst zu begegnen, den Zank gerecht zu schlichten.

Gegen außen erscheint gleichwohl die aus Chorherren und Kaplänen gebildete Stiftsgeistlichkeit als Einheit. Sie zusammen repräsentieren das [672] Stift. Dabei ist der Abstand der beiden Komplexe viel geringer als beim Domstift. Das konstitutionelle Verbundensein entspricht sozialer Verwandtschaft; hier sehen wir Kapläne zu Chorherren wachsen, oder Kanonikate und Kaplaneien gegen einander vertauscht werden; ein Chorherr kann zugleich eine Kaplaneipfründe besitzen.

Annahme auswärtiger Benefizien namentlich durch die Chorherren – in den Stiftern Schönenwerd Zofingen Solothurn usw. und an zahlreichen Pfarrkirchen – ist natürlich auch hier Uebung. Die Kanoniker sind daher nie vollzählig anwesend, und statt des Propstes hat häufig der Dekan zu funktionieren. Auffallend ist auch der häufige Wechsel in der Besetzung der Propstei. Zu der Lockerheit dieser Zustände passen die Wohnverhältnisse. Während beim Münster die alte Lebensgemeinsamkeit zum Teil durch die in einem großen Zuge geschaffene Kurienreihe ersetzt worden ist, zeigt sich bei St. Peter die spätere Zeit auch in der Zersplitterung des Wohnens. Nur wenigen Chorherren hat das Stift Kurien zu verleihen, und die übrigen sitzen in eigenen Häusern.

Was wir solchergestalt zwei Jahrhunderte lang vor uns haben, ist das übliche Bild aller Kapitel, bei denen die reinen Ideen des Beginns schon früh in Geschäftssinn und Lebensgenuß untergehen. Beim Domkapitel wird dieser Mangel vielleicht wett gemacht durch die hohe politische Stellung und Wirksamkeit des Kollegiums. Hier ist nichts Derartiges wahrzunehmen. Erst die Verbindung des Stifts mit der Universität bringt seinem stumpfen Dasein eine Bewegung höheren Lebens.


Während das Domstift eine seiner Kapellen, St. Ulrich, zur Pfarrkirche werden sah, erlebte St. Peter eine Entwickelung anderer Art an der ihm zugehörigen St. Andreaskapelle. Diese alte bischöfliche Gründung war 1296 durch Bischof Peter dem Stift übergeben worden; Bischof Gerhard hatte 1323 diese Union bestätigt.

Die Absicht war hiebei gewesen, durch das Vermögen der Kapelle den Stiftsfinanzen aufzuhelfen. Zugleich konnte das kirchliche Verhältnis geordnet werden. Die Kapelle, unter dem Kollaturrechte der Bischöfe stehend, hatte ihren Kirchherrn gehabt; sie lag in der Parochie von St. Peter, und Eingriffe in die Rechte der letzteren waren wohl unvermeidlich gewesen. Durch die Union von 1296 ging das selbständige Amt der Kapelle ein, und ihre Versehung geschah fortan durch einen der Kapläne von St. Peter. Das Stift beherrschte jetzt das tief unter ihm, mitten im bevölkertsten Teile des Kirchspiels gelegene alte Gotteshaus. Daß es dort [673] auch jetzt noch gewisse Pfarreirechte ausüben ließ, in Fortsetzung früheren Zustandes, zeigt uns die Erwähnung eines Glockenturms und eines Kirchhofs von St. Andreas; in der Hauptsache aber handelte es sich nur um Altardienst. So völlig abhängig vom Stift Alles war, – da zu St. Andreas zwar ein Altar bestand, aber keine Altarpfründe –, so reich an sich haben wir uns doch dieses gottesdienstliche Leben zu denken. Es war altbegründet und durch die Vereinigung der Kapelle mit St. Peter nicht aufgehoben; von Opfern, von Vergabungen und Jahrzeiten der ringsum ansässigen Familien ist noch immer die Rede.

Aber eine einzelne Erweisung aus diesem Kreise war dazu bestimmt, dem Dasein von St. Andreas eine neue Richtung zu geben. Im Jahre 1378 stiftete Mechthild, Witwe des Hug von Sarburg, am Andreasaltar der Kapelle eine Kaplaneipfründe und ewige Messe; der Vorstand der Krämerzunft zu Safran erhielt von der Stifterin das Kollaturrecht dieser Pfründe. Indem die Gabe Namens des Altars durch ihn angenommen wurde, war ein bestimmtes Recht der Safranzunft begründet, und rasch wuchs dieses Recht von der Altarpfründe aus über die ganze Kapelle.

Was von da an zu St. Andreas gestiftet wurde, für die Wohnung des Kaplans, für Jahrzeiten Geräte Zierden Gesänge Messen Armenspenden usw., ging nicht an St. Peter, sondern an die Safranzunft. Diese war verantwortlich für die Ausführung der Stiftungen. Sie selbst stiftete in der Kapelle ein Salve Regina und beging in ihr alljährlich die große Zunftjahrzeit. Ihr Oberknecht versah das Amt des Siegrists. Wenn am Kirchweihtag im September und am St. Andreastag die Gläubigen heranströmten, Gott zu dienen und Gaben darzubringen, saß der Zunftvorstand in corpore beim Opferstock. Das an diesen und andern Tagen hier in den Stock oder in St. Wendelins Büchse fallende Geld wurde bei der Zunft gebucht. Die Häupter der Zunft hießen nicht allein Leiher der Pfründe, sondern auch Pfleger Verwalter und Patrone der Kapelle selbst; der Unterhalt dieses Gebäudes wurde durch die Zunft bestritten. Geldgeschäfte der Kapelle wurden durch die Zunft abgeschlossen.

So rückte die St. Andreaskapelle aus der Gewalt ihres Eigentümers, des Petersstiftes, fort und wurde zu einer Angelegenheit der Safranherren. Zur speziellen Kultstätte dieser Gesellschaftsschicht. Keine Kirche der Stadt zeigte so einheitlich und stark wie St. Andreas eine ganz bestimmte Bildung und Devotion. Mitten im Schmutz Lärm und Geschäftstreiben dieser Gassen gelegen sammelte die Kapelle deren Bewohner zur feierlichen Ruhe der Gottesdienste oder erschien ihnen, wenn sie in der Ferne und Fremde ihrem [674] Handel nachfuhren, als das Köstlichste der Heimat, als eine heilige Schatzkammer, in der sie zurückkehrend alle glänzenden Güter der Welt, Prunkstücke und Reliquien mit Stolz niederlegten.

Diese Entwickelung ist von hohem Interesse. Nirgends sonst kann die Kraft und die mögliche Konsequenz einer Pfründenstiftung so deutlich erkannt werden wie hier. Diese Stiftung der Krämerswitwe schuf neues selbständiges Leben an Stelle des durch die Vereinigung mit St. Peter verloren gegangenen und bot die Grundlage, auf der die Zunft zur Herrschaft über die Kapelle kam.

Allerdings schloß der Stiftungskaplan das Amten eines Kaplans von St. Peter rechtlich nicht aus. Aber er konnte einen solchen überflüssig machen, und tatsächlich ist auch nie mehr von einem Peterskaplan, sondern stets nur noch von diesem Stiftungskaplan die Rede. Der Zunftvorstand zu Safran ernannte ihn und präsentierte ihn dem Kapitel von St. Peter zur Investitur. Man war aufeinander angewiesen und ein Zusammengehen Beiden nur förderlich. Daher auch die Zunft nur Petersleute, meist Kapläne, zuweilen auch Chorherren, an die Andreaskaplanei wählte.

Dennoch drängte das rein faktisch gebildete Verhältnis zur Abklärung und Formulierung, und daß das Kapitel von St. Peter zuletzt allerhand Ansprüche und Beschwerden erhob, war nur natürlich. Es geschah dies in den 1480er Jahren und hatte zur Folge, daß verhandelt wurde. Zuletzt kam ein Vergleich zu Stande; er ordnete die Teilung von Opfern und Almosen und verpflichtete die Zunft, nur Angehörigen des Stifts die Kaplanei zu geben sowie in Messen Bruderschaften u. dgl. keine Neuerungen zu schaffen ohne Willen des Kapitels; auf die Frage des Eigentums an der Kapelle wurde nicht eingetreten, vielmehr bestimmt, daß die Zunft wie bisher in stiller Gewere bleiben solle.


Der Klerus erscheint als allgegenwärtig. Trotz seinem Anspruch auf einen überweltlichen Wert lebte er, am Größten wie am Kleinsten beteiligt, mitten in der Welt.

In den Klöstern dagegen barg sich eine aus der Gesellschaft ausgeschiedene Bevölkerungsgruppe. Weil sie Masse machte und in ihrem Gegensatze zur Welt in feste Formen gefaßt war, konnte sie als eine Hauptvertretung kirchlichen Wesens gelten. Aber zum Klerus zählten diese Religiosen im Grunde nicht. Sie waren kein Volk von Geweihten, hatten keine Priestergewalt. Solche Gewalt und Weihe konnte bei Einzelnen hinzutreten; das Entscheidende waren hier die Gelübde und die Klausur.

[675] Unter bestimmter, von der höchsten Kirchengewalt approbierter Regel, die den ganzen Menschen sich untertan machte, standen hinter den Mauern des geschlossenen Klosters, von der Welt und ihren Leidenschaften unberührt, Diejenigen beisammen, die in lebenslänglicher Erfüllung jener drei feierlichen Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams nach höherer christlicher Vollkommenheit strebten.

Auch der Klerus hatte seine Unabhängigkeit vom Städtischen und eine ideale Heimat, die über den Ort seiner Anwesenheit weit hinausging. Bei den Klosterleuten stand diesem Orte nicht nur die eine Größe der allumfassenden Kirche gegenüber, sondern auch noch die mannigfaltige Kraft einzelner, nach eigenen Gesehen herrschender Verbände: der Orden.

Der alte ruhmreiche Benediktinerorden hatte hier im Jahre 1083 das Kloster St. Alban geschaffen. Gegenstück dieser Gründung war diejenige der Karthaus im Jahre 1401; auch in ihr noch baute sich einer der alten Orden ein Haus in Basel. Dazwischen erhoben sich die Niederlassungen der Mendikanten: der Barfüßer 1231, der Prediger 1233, der Augustiner 1276. Organisatorisch mit diesen verbunden, aber im Wesen von ihnen unabhängig erscheinen die Klöster der sog. zweiten Orden der Mendikanten, die Weiberklöster, von denen Gnadental seit 1266, St. Klara seit 1279 dem Barfüßerorden, Klingental seit 1274 und St. Maria Magdalena an den Steinen seit 1304 dem Predigerorden unterstellt waren. Aus der alten Zeit stammte auch das Kloster St. Leonhard, mit den gleich den Predigern und Augustinern durch die sog. Augustinerregel beherrschten regulierten Chorherren. Solche lebten auch in den beiden Niederlassungen der Antonier, deren ältere, in der St. Johannsvorstadt, schon zu Beginn des XIV. Jahrhunderts bestand; das zweite Haus entstand 1462 an der Rheingasse in Kleinbasel auf dem alten Ziegelhofe der von Hiltalingen. Das am wenigsten Bezeugte in der Basler Klosterwelt waren die Ritterhäuser der Johanniter und der Deutschherren.

Das Zusammenwirken dieser Einzelheiten mit dem Allgemeinen bildet die Geschichte des Basler Klosterwesens.

Jedes der Klöster gehört einem großen Verwaltungsbezirke seines Ordens an: der Cluniacenserprovinz Alamannia, der Nation Elsaß in der Dominikanerprovinz Teutonia, der Custodie Basel in der oberdeutschen Minoritenprovinz, der rheinisch-schwäbischen Provinz der Augustiner, der Ballei Elsaß der Deutschherren, dem Großpriorat Heitersheim in der deutschen Zunge der Johanniter. Innerhalb dieser Bezirke, von Instanz zu Instanz bis hinauf zur obersten zentralen Leitung vollzieht sich, nicht nur in gelegentlichen [676] Äußerungen, sondern unausgesetzt und in der höchsten Kraft das Leben, das die Klostergemeinschaft und den einzelnen Klosterbewohner mit dem Orden verbindet.

Wie dieser Orden spürbarer und näher ist als die allgemeine Kirche, so kann innerhalb des Ordens noch intensiver wirken die Kongregation, der an ein Musterkloster sich anschließende und einer speziellen Disziplin gehorchende Verband. So steht St. Leonhard in der Kongregation des Klosters Marbach und hat damit seine Welt für sich, die auch Ölenberg Goldbach St. Ulrich usw. umschließt; es gewinnt vermöge dieser Beziehung die Herrschaft über Kleinlützel, später über Schwarzenthann.

Eine solche Kongregation ist kein geographisch umgrenzter Bereich, wie auch die ältern Orden nur auf Eroberung gewisser Punkte, auf einzelne Niederlassungen ausgehen. Bei den Mendikanten dagegen besteht die Präsumtion, die ganze Welt innezuhaben. Sie kennen keine vereinzelten Klosterbereiche, sondern teilen über Grenzen von Diözesen und weltlichen Herrschaften hinweg das ganze Gebiet auf. Jedes Kloster erhält einen Sprengel, in dem es zu Gabensammlung und Predigt allein befugt ist; Sprengel grenzt an Sprengel, und an den Straßen, die hindurch führen, liegen die Herbergen. Es sind Zustände, die zu Ausgang des XIII. Jahrhunderts schon als fixiert gelten konnten; daß erst beinahe zweihundert Jahre später wieder an diese Dinge gerührt wird und der Basler Predigerkonvent über die Grenzen seines rechtsrheinischen Gebietes 1454/55 mit den Zürcher, 1488/89 mit den Freiburger Brüdern sich verträgt und 1478 das Delsberger Tal an das Kloster in Gebweiler abtritt, steht im Zusammenhang mit der allgemeinen Wiederbelebung kirchlicher Zustände.

Die Korrespondenzen und Meldungen, die zwischen dem Kloster und der Provinz- oder Ordensleitung hin- und hergehen, die Besuche der Visitatoren, die Reisen halten das Gefühl solchen Zusammengehörens rege. Jeder junge Johanniter hat seinen Noviziat auf Rhodus durchzumachen; wiederholt reisen die Basler Komthure, z. B. 1517 Peter von Englisperg, dorthin zum Kampfe wider die Türken. Auch auf andre Weise macht der Orden seine Rechte geltend. Etwa in jährlichen Kollekten, wie die Antonier zu tun pflegen. Oder in der Erhebung regelmäßiger Beiträge der Klöster an die Ordenskosten. Am mächtigsten in großen Versammlungen. Das Mainzer Provinzialkapitel der Benediktiner freilich, das im Juni 1435 hier gefeiert wurde, kam des Konzils wegen; nur die Mendikantenklöster Basels zogen die Kongresse heran, in denen die Vertreter der Provinz oder des ganzen Ordens über Verwaltung Zucht Studium usw. zu beraten und zu [677] beschließen pflegten. Solcher Provinzialkapitel haben in unserm Zeitraume bei den Augustinern zwei, bei den Predigern zehn, bei den Barfüßern zwanzig in Basel stattgefunden. Ihnen gegenüber standen, durch universale Beteiligung und Wichtigkeit der Verhandlungen ausgezeichnet, die Generalkapitel; diese großen Darstellungen der Ordensmacht haben die Augustiner im Jahre 1350, die Barfüßer 1454 und 1472, die Prediger 1473 hier erlebt. Wenn dabei auch die Stadt mit Beiträgen half, so war die Aufgabe doch eine schwere, sodaß die Klöster jeweilen freiwillige Gaben sammelten, in möglichst weitem Gebiet und unter Ablaßverheißungen des Papstes, des Ordensgenerals und der beteiligten Bischöfe. Zum Provinzialkapitel der Prediger 1508 lieh der Basler Heinrich David sein Silbergeschirr.

Was an solchen Kapiteln zur Verhandlung kam, zeigt uns die ganz singuläre Kraft und Klarheit dieser Ordensorganisationen. Die Tätigkeit eines Jahres wird auf einen Punkt gesammelt und erwartet Bestätigung Weisung Erledigung. Ein ausgebildetes Rapport- und Kontrollsystem läßt die Obern Alles wissen, was irgendwo im Orden geschieht, und erwägen, was geschehen soll. Mit Staunen lesen wir, wie in Cluny die Visitatoren über Bauten im Basler Kloster, die Ausgelassenheit der Nonnen von Feldbach, die Armut Isteins usw. berichten und die Diffinitoren darüber Beschlüsse fassen, und wie zur selben Zeit an einem andern Orte der Predigergeneral gleichfalls jedes Detail seines weiten Reiches beachtet; Vorfälle in den Konventen, Fähigkeit und Verhalten einzelner Brüder, Kleinigkeiten wie die Zuweisung von Zellen im Predigerkloster zu Basel u. dgl. m. werden behandelt in buntem Wechsel mit den allgemeinsten und sublimsten Angelegenheiten; die Gründungsgeschichte der Karthause zeigt aufs lebendigste, wie ein solcher Orden in der Stadt Fuß faßt, wie zunächst Alles Ordenssache ist und das Lokale noch völlig zurücktritt.

Dabei ist uns eindrücklich der Zustand allgemeiner Heimatberechtigung des Einzelnen im ganzen Ordensgebiet. Die Prioren von Istein Enschingen Biesheim sind oft daneben Mönche zu St. Alban; oder wir sehen solche cluniacensischen Ämter einander folgen: Peter Matzerer ist erst Mönch in Basel, dann 1362 f. Prior zu Morteau; Rudolf von Brünikofen 1358 Mönch in Basel, 1362 Prior zu Selden, 1396 f. Prior zu Basel; hundert Jahre später der geschmeidige Peter von Kettenheim Prior von St. Peter bei Metz, dann Regent von St. Alban, zuletzt Propst von Feldbach, u. dgl. m. Die mannigfaltigsten Kombinationen zeigen sich uns innerhalb dieser oberrheinischen Cluniacenserwelt, wo Basel St. Morand Sulzburg Thierenbach usw. in unaufhörlichem Verkehr und Austausch stehen und der Basler [678] Konvent deutlich Haupt und Zentrum ist. Wie beim Vertrage der Basler Kirchen und Orden über die Quart 1371 der Prior von St. Ulrichszell sich einfindet, so fehlt auch sonst in großen Momenten nicht die Zeugenschaft solcher Nachbarn und Ordensgenossen, oder sie vikarieren für den abwesenden Basler Prior. Alte Herren, die sich von den Geschäften zurückgezogen haben, wie der Abt von Selz, der Propst von St. Morand, kommen nach Basel, um hier nahe bei St. Alban in der Vorstadt eine Stube zu mieten und ruhig in der Ordensluft auszuatmen.

Natürlich ist diese Freizügigkeit jedem Orden eigen, besonders rege aber bei den Mendikanten. Statt der Stabilität haben sie die Ubiquität und ein beständiges Wandern, sodaß auch dem schüchternsten Mönch täglich Mitbrüder aller Nationen vor die Augen kommen und ihn lehren: Alles ist dein, was des Ordens ist. In den andern Orden reisen meist nur die Regenten und Häupter, bei den Mendikanten ist jeder Bruder mobil. „Die Barfüßer haben einen weiten Kreuzgang, sie laufen die ganze Welt aus“, sagt Johannes Pauli, der selbst einer war. Daher in diesen Orden das Interesse an aller Welt, auch die Erzählerlust, die Freude an Anekdoten; daher, infolge der vielen Versetzungen, der auffallend starke Wechsel der Prioren und Guardiane; daher auch die Mißbräuche, die Ausartung ins Vagantenhafte bei einzelnen Brüdern; daher aber auch der vertrauliche Ton, der uns oft von Konvent zu Konvent vernehmlich wird, recht im Gefühle einer die ganze Erde umspannenden Brüderschaft. Überall ist der Mönch daheim, wo sein Orden ein Haus hat; er kann daher an einem solchen Orte auch ruhig sterben, unter Seinesgleichen das Grab finden. Der Basler Predigerprior Stephan stirbt 1477 in Ulm auf der Reise nach Landshut zum Kapitel; in Basel schließen ihr Leben und werden begraben 1500 der Stuttgarter Johann Stockler aus der Engelpforte, 1508 der Kölner Prior Servacius Fankel, 1515 der Regensburger Prior Dominicus Gockerli, usw.

Als das Wichtigste aber hat zu gelten, daß aus der Ordenszugehörigkeit dem einzelnen Religiosen Aufgaben erwachsen können, die ein Konvent niemals stellt. Auf diesem Wege wird Mancher für uns bekannt, ja bedeutend, der als Mönch uns gleichgültig bleiben würde. Schon die Verwendung einzelner Prioren der Karthaus, der Augustiner, des Albanklosters als Visitatoren oder Diffinitoren ihrer Orden hebt sie auf eine höhere Stufe; der Prior Theobald von St. Alban wird Kämmerer von Cluny in Alamannien und Lothringen, sein Nachfolger Ulrich von Bisel einer der zur Ordensreform Deputierten, der Johanniter Hans zu Rhein Meister in [679] deutschen Landen, Johann von Basel 1359 Meister des Tertiarierordens der Franziskaner. Solche Männer bringen ihrem Basler Hause Ruhm; aber sie sind nicht Vertreter dieses Konventes, sondern individuell ausgezeichnete Träger des Ordensgedankens und der Ordensmacht. Ansehnliche Figuren dieser Art waren bei den Predigern Jacob Sprenger und hundert Jahre früher jener Ulrich Theobalds von Altkirch, den man als weisen Vater und als Meister der heiligen Schrift pries. 1376 war er Doktor im Ordensstudium Köln geworden; später finden wir ihn wieder in seinem Basler Konvent, an den Kämpfen des Schisma beteiligt, bei denen die urbanistischen Mönche die andern aus dem Kloster warfen; 1390 wurde Theobald Prior der Provinz Teutonia, und auch in dieser Stellung tobte heftiger Streit um seine Person. In ähnlicher Weise durch die allgemeinen Ereignisse gehoben, aber von noch stärkerer persönlicher Art erweist sich der Augustiner Johann von Hiltalingen, Sohn des Kleinbaslers Klaus von Hiltalingen, 1353 Mönch im Kloster zu Basel, aber schon 1371 Provinzial, 1379 General des Ordens und 1389 Bischof von Lombès in Südfrankreich. Zwischen inne liegt die Laufbahn eines Religiosen, der neben der Arbeit des großen Gelehrten und Predigers noch Leidenschaft genug für Regieren und Kämpfen hat. Sein Studium an der Universität Paris, seine Leitung der rheinisch-schwäbischen Provinz erscheinen als das Normale, während die zahlreichen Legationen, die Hiltalingen im Auftrage der Päpste meist in wichtigen politischen Geschäften zu besorgen hat, und sein namentlich am Oberrhein geführter erfolgreicher Kampf für die avignonesische Sache ihn in eigenartiger Weise auszeichnen. Seine Stellung in der großen Welt befähigt ihn aber auch, in der kritischen Zeit der bösen Fastnacht sich für seine Heimat Basel beim Kaiser zu verwenden.

Dieses äußere Ordensleben erscheint bei den Frauenklöstern zum größern Teil als sistiert. Ein Wandern, ein Abhalten von Kapitelsversammlungen ist bei ihnen undenkbar. Aber während bei den weiblichen Konventen z. B. der Cluniacenser (Istein Feldbach) dieselbe Beaufsichtigung und Leitung durch die zentrale Ordensgewalt sich zeigt, wie bei den von Männern bewohnten, schiebt sich bei den Frauenklöstern, die den Mendikantenorden zugewiesen sind, die Kompetenz der am Orte befindlichen Männerkonvente zwischen die Frauen und den Orden. Der mit cura et magisterium betraute Männerkonvent hat zunächst die Leitung, und bei Geschäften der Frauen ist sein Konsens notwendig und handelt sein Vertreter, der Superior des Frauenkonvents, zugleich als Vikar des Ordens. Nur in außergewöhnlichen Fällen greifen die zentralen Ordensorgane ein.

[680] In solcher Weise leitete das Barfüßerkloster die Klöster Gnadental und St. Klara.

Das Steinenkloster, ursprünglich ein Kloster von Magdalenerinnen, wurde 1291 durch Bischof Peter unter die Aufsicht des Basler Predigerpriors gestellt, 1304 durch Papst Benedikt förmlich dem Predigerorden übergeben, womit auch es unter die Augustinerregel zu stehen kam.

Das Klingentalkloster stand seit Beginn unter der Leitung der Basler Prediger, entzog sich aber dieser 1429 bei Einführung der Observanz im Predigerkloster und stellte sich unter Aufsicht des Bischofs von Konstanz; 1431 erhielt es hiefür die Zustimmung Papst Eugens. 1477 nahm Papst Sixtus dem Konstanzer Bischof diese Aufsicht und stellte das Kloster wieder unter die alte Leitung der Prediger, bis in den dann losbrechenden Kämpfen um Reformation des Klosters, von denen wir noch zu reden haben werden, auch diese Obedienz neu geordnet wurde.

Sodann das Verhältnis der Orden zueinander. Ein lebendiges Gemeinsames aller Orden war unzweifelhaft vorhanden, und auf großartige Weise sehen wir es anerkannt in der Einung vom 2. April 1435, mit der die durch das Konzil in Basel zusammengeführten Ordensgenerale der Dominikaner Franziskaner Augustiner Karmeliter, vom Gefühle der hier sichtbaren Kircheneinheit ergriffen, ihre Untergebenen zu gegenseitiger Liebe und beständigem Frieden feierlich verpflichteten.

Nahe verwandt hätten sich die beiden ersten Mendikanten fühlen sollen, und die Teilnahme der Dominikaner an der Jubelstimmung, die das Provinzialkapitel der Barfüßer 1321 begleitete, oder die Haltung der Festpredigt am Franziskustag 1441 in der Barfüßerkirche durch einen Dominikaner könnte hiefür zeugen, wenn es sich dabei nicht eher um bloße Form und Höflichkeit gehandelt hätte. Was das Verhältnis der beiden Orden zu einander bestimmte, war doch mehr die Empfindung von Konkurrenz. Sie standen sich im Wege, fühlten sich getrennt durch philosophische und theologische Kontroversen, durch die Lehrdifferenz der unbefleckten Empfängnis, durch die Verschiedenheit der Armutsauffassung. Daher die Gereiztheit, die beiderseits auf den Kanzeln laut wurde, das Lobpreisen des eigenen Ordens und das Sticheln auf den andern, das Verdrängen vom Nachlasse, das Absagen von Begräbnissen u. dgl. m.

Die Eigenart jedes Ordens zeigte sich am lebendigsten in den Fällen von Ordenswechsel. Die Kirche hatte hiefür ihre allgemeinen Regeln, wonach der Übertritt in einen strengern Orden ohne Weiteres statthaft sein sollte, in einen gleich strengen nur mit Konsens der Obern. Aber damit [681] war die Sache nicht erledigt. Noch andere Anschauungen kamen in Frage. Als in einigen cluniacensischen Prioraten des Oberrheins Mendikanten Aufnahme gefunden hatten, verbot Cluny 1441 kategorisch und stolz, fernerhin „Bettler“ in den Orden treten zu lassen; und ebenso lehnte 1486 der Propst von Feldbach die ihm aufgetragene Leitung Klingentals ab, da er nicht demselben Orden angehöre wie die Frauen; Regel und Leben seien verschieden. Im Übrigen begegnen wir öfters solchem Wechsel. Der Predigermönch Werner von Eptingen ging 1380 mit Erlaubnis des Papstes zu den regulierten Chorherren, und der Abt von Lützel Rudolf von Wattweiler legte 1387 diese Würde nieder, wurde Cluniacenser und zog sich für den Rest seines Lebens ins St. Albankloster zurück; umgekehrt wurde der St. Albanmönch Ambrosius Alantsee Karthäuser. Auch von Nonnen hören mir, die übergingen; nur mußte hier in jedem Falle, wegen Austritts aus der strengeren Klausur, der Papst um Erlaubnis gebeten werden. So 1462, als Anna von Ramstein aus dem Steinenkloster nach einem Benediktinerinnenkloster verlangte, oder beim Übertritt der Elisabeth Freudenberger aus St. Klara nach Klingental. Als zur gleichen Zeit Ursula Schaffner, um dem Gezänke der Nonnen zu entgehen, das Klarakloster ohne Erlaubnis verließ und eine Weile in der Welt sich aufhielt, dann aber ins Klingental eintrat, wurde sie exkommuniziert und mußte sich die Absolution verschaffen. Eine Spezialität war der Ordenswechsel auf Probe, wie im Falle des Jacob von Hochstat, der aus dem Schöntal über die Berge nach Beinwil ging, den dortigen Orden „zu versuchen“.


Im Ganzen des städtischen Lebens standen die Klöster als seltsame Erscheinungen. Sie waren völlig ausgesonderte Teile der Einwohnerschaft, gebildet durch Solche, die auch das Gewöhnliche nicht mehr nach freiem Belieben taten, aber dafür die Seligkeit eines höhern Lebens in Askese, in Besitz- und Beruflosigkeit, in steter Meditation und Gebetsübung erfahren sollten. Nicht nur in ihrer Entwickelung durch die Jahrhunderte, sondern schon tagtäglich in ihren einzelnen Mitgliedern zeigten die Klöster nebeneinander alle Möglichkeiten dieses Wesens vom Ideal des ursprünglichen Klostergedankens bis zur rohen Verwilderung. Aber in jeder Form etwas durchaus Abgeschlossenes, einen Gegensatz zum Erdenleben ihrer Umgebung.

Vor Allem forderte eine solche Existenz den Vergleich mit dem Weltklerus heraus. Die Debatten darüber, welcher Stand der vorzüglichere sei, hatten schon frühe begonnen, und im Allgemeinen war man zunächst versucht, die Mönche, diese „Kinder Gottes“, im Rang über die Weltgeistlichen [682] zu stellen, den guten Mönch für den wahren und vollkommenen Christen zu halten. Aber so überzeugt man auch sein mußte von der stärker bindenden, das ganze Leben ergreifenden Gewalt des Klosters, von der unvergleichlich schwereren Last dieser Gelübde, – sodaß z. B. der Domkaplan Fatzman sagen konnte: wo ein Weltpriester etwas gelobt gegen Gott oder die Welt, so hats ein Mönch zwiefältig geloben müssen, – und so unbestreitbar die Klosterleute im Durchschnitte den Klerikern an Gelehrsamkeit überlegen waren, so unnütz erschien doch das Leben hinter den Klostermauern. Unnütz für das gemeine Wesen. Als Heynlin in die Karthause ging, wurde er bitter getadelt, daß er die Kanzel verlasse und Mönch werde; „er hätte nützer mit predigen mögen sin“. So redete man, weil es sich um einen Mann wie Heynlin und um die Karthause handelte, der man schon bei ihrem Entstehen in Basel vorgeworfen, daß ihre Brüder Niemandem dienten als sich selbst. Andere Klosterleute mochten allerdings mit Predigen Beichtehören usw. eine utilitas wenigstens äußerlich erweisen, handelten aber damit dem eigentlichen Begriffe des Klosters zuwider.

Der Mönch konnte glauben, durch das Mönchsein für das eigene und der Seinigen Seelenheil zu sorgen. Aber der Stadt und der Welt, auch der Kirche, ging er verloren.

Vor Allem haben wir uns die Bedeutung der Exemtion dieser Klöster von aller lokalen richterlichen Gewalt klar zu machen. Die eximierten Klöster waren der Hoheit und Jurisdiktion des Basler und des Konstanzer Bischofs entzogen; sie waren befreit von der Entrichtung der Zehnten Steuern Subsidien usw.; Delikte von Klosterleuten zu bestrafen war nicht Sache des Bischofs sondern des Ordens, und auch dem Papste gegenüber konnte ein Kloster, z. B. die Karthause 1513, geltend machen, dah es seiner Macht entzogen und nur dem Orden untertan sei, daher auch die päpstlichen Kollekten nicht zu entrichten habe.

Dazu nun die Sonderstellung innerhalb der Stadtmauer, die den Häuptern des Gemeinwesens und seinen Bürgern zu denken geben mochte. Dieser Grundbesitz, diese allverbreiteten Zinsrechte, dies unaufhörliche Übergehen von Geld und Gut in die Klostergewalt, das Verschwinden von Erbtöchtern und das Erlöschen ganzer Familien im Kloster, wie der von Embrach im Klingental, der zum Wind und der Tagstern im Predigerkloster, der elsässischen Adelsfamilien von Sulzmatt und von Karspach im Klarakloster usw. Die Klöster mochten Bürger heißen und waren doch unstädtische fremde Gemeinschaften. Dem Schutze des Rates stellten sie ihre apostolischen und kaiserlichen Schutzbriefe entgegen, der Kastvogtei des Rates Kastvogteiprätensionen [683] der Herzoge von Österreich, den Aufforderungen zu tätiger Teilnahme an Leid und Last des Gemeinwesens ihre Privilegien, ihre Zoll- und Steuerfreiheit, ihr Asylrecht. Und bei alledem lebten sie doch mitten im städtischen Treiben und von allen seinen Kräften; sie wirkten oft bis ins Intimste der Familien aus ihrer immer wieder sich schließenden Klausur heraus, trieben Weinausschank u. dgl. m. Es ist zu begreifen, daß der Rat gelegentlich über diese Klöster klagte, mit denen er so „viel bekümmert und gemühet werde“.

Die zu allen Entbehrungen bereite Weltflucht des alten Anachoreten war beim städtischen Mönch zur Befreiung von den Lasten der Welt und von den bürgerlichen Pflichten geworden.


Wer ins Kloster ging, tat dies, um „darin Gott dem Herrn Tag und Nacht in Reinigkeit und Demütigkeit zu dienen, sein und der Seinen, sie seien lebend oder tot, Heil zu schaffen“. Es war ein Ausscheiden aus der Gesellschaft, ein Verlangen nach ungestörtem Leben in Gott, in den meisten Fällen eine Versorgung.

Einzelne Äußerungen verraten uns allerdings, daß zu Zeiten die Orden die Werbenden waren. Wenn die Anmeldungen ausblieben, wenn Epidemieen die Konvente dezimiert hatten, erging der Befehl an die Provinzbehörden des Ordens, sich nach tauglichem Nachwuchs umzusehen und diesen mit aller Klugheit, cum omni diligencia, zum Eintritte zu bestimmen.

Im Übrigen mochte den Beteiligten selbst oft nicht klar bewußt sein, auf welcher Seite die stärkere Initiative war. Dem Kloster konnte der neue Bruder, die neue Schwester alles Mögliche bringen: Geld und Gut und einen weiten Verwandtenanhang. In der Regel aber wird es sich doch um Interessen der den Eintritt Begehrenden gehandelt haben. Das Kloster bot sich nicht an, sondern wurde gesucht. Aus Motiven, die natürlich in jedem Falle wieder andere waren, und die durch Formel und Urkundenstil hindurch zu erkennen oft unmöglich ist. Tiefe Empfindung und die Not einer Seele verbergen sich gerne, und in der Überlieferung herrschen das rein Geschäftliche oder gar das höhnisch Verzerrte. „Hat ein Edelmann ein Kind, das da schielet oder hinkt, kröpfig oder lahm ist, so gibt es eine Nonne oder einen guten Mönch“, spottete der Barfüßer Pauli. Aber nicht nur Fürsorgebedürftige wurden eingeklostert, nicht nur unreife willenlose Geschöpfe ihrer Väter oder Vormünder. Matronen, von allen Lüsten und Leiden des Lebens mitgenommen, und müde Greise duckten [684] sich noch unter den Schirm des Klosters. Auch fertige Männer werden Mönche wie der Rheinfelder Stadtschreiber Ludwig Moser. Und nicht nur Laien. Der Domkaplan Konrad Schlatter trat ins Predigerkloster, und jener Johann Hochberg, der 1488 die Karthaus aufsuchte, war vorher Sänger des Chorherrenstiftes zu Nieder-Baden gewesen. Welche Erinnerungen mochten auf der Nonne Katharina Berner im Klarakloster lasten, einer Jüdin, die als Kind durch die Familie Berner aus der Vertilgung ihrer Gemeinde gerettet, christlich gemacht und ins Kloster getan worden war; und wie heftig der Kampf zwischen Einzelnen und dem Kloster sein konnte, zeigt uns Anna von Ramstein, Tochter des Freiherrn Rudolf. Weil sie aus der Zerrüttung des Elternhauses zu fliehen versucht hat, wird sie durch ihren Vater erst eingekerkert, dann 1451 zum Eintritt ins Steinenkloster gezwungen; nach neun Jahren entweicht sie auch hier, da sie es „ohne Lebensgefahr“ nicht länger im Kloster aushalten kann, wird aber ergriffen und zu St. Klara untergebracht; sie fleht den Papst vergeblich an, sie Benediktinerin werden zu lassen; da flieht sie 1463 nochmals, wird wieder gefangen und neuerdings ins Steinenkloster getan; hier bleibt sie nun und hier stirbt sie, nach dreiundsechzig Jahren Klosterlebens, hochbetagt. Anmutiger ist das Bild der Anna von Randeck, die sich am 4. Mai 1467 dem Gnadental übergibt; in den Worten des Dichters, der anwesend war, lebt sie heute noch, wie sie „lächelnden Antlitzes ins Kloster eingeht, alle Süßigkeit der Welt und die Täuschungen der Liebe hinter sich lassend, nackt aus diesem Meer an die seligen Gestade zu Christo fliehend“.

Immer aber ist eine solche Einklosterung ein ergreifender Vorgang, und das leidenschaftliche Leben dieser Szene verrät sich oft schon in Worten, die voll Tatsächlichkeit sind. Der Vater „stößt“ sein Kind in ein Kloster; er „ergiebt es Gott dem Allmächtigen zu einer dienstbaren Tochter“; „das allergenehmste Opfer ist dem Herrn, daß der Mensch ihm seine Jugend opfere in einem bewährten Orden“. So äußern sich Gefühle der Beteiligten. Was hinzutritt, sind bestimmte Formen und Rechtsforderungen.

Vor Allem ist persönliche Freiheit Voraussetzung des Eintritts ins Kloster, daher z. B. Ulrich Stocker, der Karthäuser werden will, 1484 durch den Grafen Hug von Montfort, oder Johann Pfister von Hallau, der Aufnahme ins Predigerkloster begehrt, 1485 durch das Schaffhauser Heiliggeistspital der Leibeigenschaft entlassen werden.

Auch eheliche Geburt wird verlangt; ist der sich zur Aufnahme Meldende unehelich, wie zu St. Leonhard Lienhard Grieb, im Klingental Walpurg von Runs 1483, so muß er einen Dispensschein vorlegen.

[685] Auf verschiedene Weise dagegen scheint die ökonomische Seite des Vorgangs angefaßt worden zu sein.

Dem Wesen der Sache war Beiseitelassen jedes Geldgeschäftes gemäß. Freier Hingabe an Gott entsprach freie Aufnahme um Gottes Willen. Was dem Aufgenommenen zu leisten war, konnte aus den dem Kloster zufließenden Liebesgaben bestritten werden und war nicht erheblich, solange mit der Askese im Kloster Ernst gemacht wurde. Von einem Einkauf ins Kloster konnte also ursprünglich keine Rede sein, und diese Auffassung findet sich auch spät noch ausgesprochen, z. B. in Erlassen des Predigerordens im XV. Jahrhundert; ein Zuwiderhandeln wird mit den schweren Strafen der Simonie bedroht.

Dem entspricht, daß in manchen Fällen, namentlich bei Armut des Petenten, die Aufnahme tatsächlich ohne Entgelt gewährt wurde. Aber begreiflich ist auch, daß Mode Standesgefühl Stolz sich eine unentgeltliche Aufnahme verbaten und daß die Klöster solcher Anschauung gerne folgten, ja sie zur Regel werden ließen. Uns ist sie bezeugt durch zahlreiche Urkunden, namentlich der Frauenklöster, die gleich Verträgen das ganze Geben und Nehmen regeln. Und deutlich nennen sie auch die Motive. „Damit diese Tochter im Kloster um so besser besorgt sei, Dach und Gemach habe und daher Gott um so ruhiger dienen und ihn inniglicher für ihre Eltern und Vordern bitten könne“, „damit sie dem Kloster nicht lästig falle“, „damit sie nicht das Almosen esse, das andre Leute dem Kloster gegeben haben“, zahlen die Eltern dem Kloster eine Geldsumme, und gelegentlich wird der Eintritt geradezu als Kauf einer Pfründe bezeichnet. Zur Geldmitgift – die bald Kapital ist bald Leibgedingszins – tritt eine Aussteuer an Kleidern Bettwäsche, ja Möbeln und Geräten; auch ihre Kleinodien bringt die Aspirantin mit; nur die Gebetbücher hat ihr das Kloster zu liefern.

Dem Eintritt folgt zunächst die Probezeit des Noviziates und erst dieser die professio religiosa d. h. die Ablegung der drei feierlichen Gelübde und die Verpflichtung auf die Ordensregel. Diese Profeßleistung kann frühestens nach erlangter Mündigkeit geschehen; im Steinenkloster, „wenn sie zu ihren Tagen kommt“, zu St. Leonhard nicht vor dem zwanzigsten Altersjahr. Daß aber diese Regel vielfach verletzt wurde, namentlich in den Mendikantenklöstern, zeigt ein dagegen gerichteter Beschluß des Basler Konzils von 1440; auch bei der Reformation des Klosters Klingental wurde die Sache geregelt, und 1489 wiederholte der städtische Rat das Verbot, Unmündige einzuklostern. Zu welchen tiefen Konflikten es dabei hatte kommen können, zeigt lebendiger als alles Andre die Geschichte der Brigitta Waltenheim; [686] selbst durch ihre Schilderung im Gerichtsprotokoll spüren wir noch die Leidenschaft dieser Erlebnisse. Als ein Kind von sieben Jahren war die Brigitta durch Mutter und Stiefvater ins Steinenkloster getan worden, um Nonne zu werden; da sie dreizehnjährig geworden, will sie nicht mehr im Kloster sondern in der Welt sein und gelobt dem Bastard Simon von Tierstein, mit dem sie „einsmals“ zu reden gekommen, die Ehe. Ihre erzürnten Verwandten bringen es mit Hilfe einiger Klosterfrauen dazu, daß sie dennoch, widerwillig, Profeß tut und eingesegnet wird. Aber sie „schätzt das erste Gelübde der heiligen Ehe mehr“, flieht aus dem Kloster und heiratet den Simon. Die Sache kommt bis nach Rom vor oberste Instanz, von dort wird sie dem Bischof Johann von Fleckenstein, von ihm dem Generalvikar kommittiert, und dieser gibt der Brigitta schließlich Recht.

Etwas Anderes war es, wenn Kinder in Frauenklöstern Aufnahme fanden nicht als Novizen, sondern zunächst zur Erziehung. So brachte der Edelknecht Hans Jacob von Heideck sein Töchterlein Anna Katharina zu den Damen ins Klingental, damit sie es „nach ihrem besten Vermögen unterweisen und lehren“ sollten; solche Ziehkinder waren auch die kleine Ursula im Klarakloster, die ihr Vater der Domkaplan Rudolf Bürkler dort versorgt hatte, die Base des Morand von Brunn im Gnadental usw.

Während der Probezeit konnte der Novize wieder austreten, und mit ihm ging auch seine Aussteuer wieder aus dem Kloster – unter Vergütung der Kosten, die das Kloster mit ihm gehabt hatte –, sofern nicht bedungen worden war, die Aussteuer erst bei der Profeß einzuzahlen. Auch wenn der Novize vor der Profeß starb, sollte seine Aussteuer wieder zurückfallen, sofern nicht der Eintretende, wie z. B. Hieronymus Zscheckabürlin 1487, ausdrücklich hierauf verzichtet hatte. Doch war jene Regel nicht unwidersprochen. 1323 ließ sich das Kloster Klingental ein Rechtsgutachten über die Frage erstatten, und die Experten, der Johanniterkomthur Bernhard von Löwenegge und der Straßburger Offizial, kamen zum Schlusse, daß dem Vater der während des Probejahres im Kloster gestorbenen Novize Schönkind kein Recht auf Rückforderung des ihr Mitgegebenen zustehe. Aber als Herman Waldner seine Tochter Klaranna und seine Muhme Ennelin von Dachsfelden, die nicht mehr Novizen sondern fertige Klosterfrauen zu St. Klara waren, 1483 mit Willen der Äbtisse aus diesem Kloster nahm, um sie anderwärts zu versorgen, erhielten sie das s. Z. Miteingebrachte zurück.


Die Möglichkeit des Eintritts in ein Kloster war natürlich nicht unbeschränkt, die Frequenz nicht beliebig. Vermögens- und namentlich [687] Raumverhältnisse gaben das Maß. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Karthause, wo eine festbestimmte Zahl von Einzelzellen bestand und eine Vermehrung des Konvents nur geschehen konnte durch Vermehrung der Zellen. Wer eine Zelle stiftete, stiftete damit einen Mönch. In andern Klöstern konnte man sich mit Anpassen und Überfüllen helfen, namentlich dann, wenn das Abweisen eines Aufnahmebegehrens nicht „ohne großen Schaden und Ärgerung“ möglich war.

Wir nehmen somit wahr, daß nicht nur zwischen den einzelnen Klöstern starke Unterschiede in der Frequenz bestanden, sondern auch daß die Größe des einzelnen Konvents im Laufe der Zeit wechselte. St. Leonhard zählt 1301 elf Herren; dann kommen Listen von vier fünf sechs sieben Namen; 1452 ist der Bestand auf drei Personen gesunken, beim Ausgang 1525 sind es ihrer sieben. Bei den Barfüßern können wir 1320 zwanzig, 1408 dreizehn Brüder zählen; die Angabe des Konvents in einer Supplik an den Papst 1358, daß vor dem Erdbeben sechzig Brüder bequem im Basler Hause hätten weilen können, bezeugt die Größe der Räume, die ja auch für Gäste da waren, nicht die Größe des Konvents. Die Prediger rücken 1407 mit fünfzehn Mönchen auf, 1401 mit zwanzigen, 1400 mit siebenundzwanzigen. Bei St. Alban ist die, nicht immer voll besetzte, Normalzahl der Konventualen zwölf. Die Ritterhäuser haben nie zahlreiche Bewohnerschaft; im Deutschen Hause ist 1414 neben Knechten und Mägden nur ein Priesterbruder, 1497 wohnen dort im ganzen drei Personen. Die Karthause besaß zuletzt sechszehn Zellen, mit Einschluß derjenigen des Priors, wodurch die Maximalfrequenz des Konventes gegeben war.

Andere Verhältnisse begegnen uns bei den Weiberklöstern. Dem starken Überwiegen der Frauen in der Gesamtbevölkerung gemäß sind diese Klöster in höherm Maße als die der Männer Anstalten zur Versorgung, und dem entsprechen ihre Frequenzen. Für St. Klara und das Steinenkloster fehlen zuverlässige Angaben; aber vom Gnadental wird 1457 bezeugt, daß vierzig Nonnen darin wohnen und zahlreiche andere Frauen Aufnahme begehren; im Klingental sind 1397 zweiundfünfzig, 1436 achtundvierzig, 1480 neununddreißig, 1503 dreißig Frauen anzutreffen.

Aber es gab innerhalb dieser Klosterwelt wichtigere Varietäten als diejenigen der Frequenz.

Vor Allem war unwidersprechlich, datz die meisten Klöster den ursprünglichen Klosterbegriff schon früh nicht mehr repräsentierten. Abgesehen davon, was Entwicklung oder Entartung heißen mochte, handelte es sich vielfach um ein Hinaustreten in die Welt mit Predigt und Seelsorge. Bei [688] St. Alban und St. Leonhard war dies eine Folge des Besitzes städtischer Pfarreien, bei den Mendikanten aber geradezu Teil ihres Wesens und Berufes. Diese Bettelmönche nahmen überhaupt in der Basler Klosterwelt, wie allenthalben, eine von weitem erkennbare Sonderstellung ein; wie verschieden von den übrigen Orden waren sie in ihrer Tendenz, aber auch im Temperament und in der Auffassung mönchischen Lebens. Dazu ihre völlig unabhängige Stellung in den allgemeinen Kämpfen der Kirche und innerhalb der Stadt, z. B. 1317 beim Ungeldstreit, da sie dem mächtigen Domkapitel unbekümmert entgegen und auf die Seite des Rates traten.

Dieser Lockerung klösterlichen Wesens gegenüber hielt die Karthause, das jüngste Kloster der Stadt, die alten Zustände so rein und unverdorben als möglich fest. Mit entschiedener, Jedermann fühlbarer Isolierung des Klosters, das die Brüder selbst als Einöde in der lauten städtischen Profanität bezeichneten; mit der vollkommenen Weltentsagung, der einfachen innigen Devotion, der herben Demütigung des Einzelnen, die bis zur Versagung von Sarg und Grabschrift ging. Hier gab es keine Pfarreirechte, keine Darreichung der Sakramente, überhaupt keine Tätigkeit außerhalb des Klosters und für Andre als Klostergenossen. Um Niemanden kümmerten sich die ewig schweigenden Mönche, Niemandem dienten sie; wenn die Einen sie hierum tadelten und für unnütze Menschen hielten, priesen Andre die „hohe Niedrigkeit“ dieser Religiosen, „die von aller Gemeinschaft mit Menschen abgesondert gleich Adlern auf steiler unzugänglicher Höhe wohnten.“

Eine Erscheinung anderer Art wiederum war St. Leonhard, das erst nachträglich unter eine Regel gebeugte Kollegiatstift. Spuren dieser Anfänge blieben am Kloster bis zuletzt haften in der Organisation, im Namen der „Chorherren“ oder „Regeldomherren“, im Amte des Dekans, in der Art des Wohnens. Etwas Besonderes lag auch im Verhältnis zum Bischof. Wie dieser selbst erklärte, daß St. Leonhard ihm vor andern Klöstern zustehe, wie auch die Stadt dies anerkannte, so hatte man auch im Kloster nicht vergessen, daß Bischof Rudolf 1118 die Kirche gebaut, Bischof Adelbero 1135 Statuten gegeben habe. Das Kloster nannte sich eine bischöfliche Kammer und beanspruchte für seine Chorherren den gleichen Rang mit den Domprälaten bei Prozessionen.

Das Augustinerkloster dagegen trug einen bestimmten städtisch-offiziellen Charakter. Vielleicht hatte der Rat einst bei der Niederlassung dieser Mönche mitgewirkt; sie nannten ihn gelegentlich Gründer ihres Hauses. Jedenfalls erwuchsen nähere Beziehungen auch aus der Nachbarschaft. Das Augustinerrefektorium diente lange Zeit den Sitzungen des Großen Rates, hier geschah [689] auch am Schwörtage die Ratswahl. Vom Rat empfing das Kloster Zuwendungen, die bei andern Klöstern nicht vorkamen: Weingeschenke zum Augustinustag, Beiträge an Bau und Unterhalt des Hauses, Stiftung von Glasgemälden Ornaten Leuchtern usw., 1396 und 1438 Stiftung von Messen und als Schönstes die Stiftung der offiziellen Schlachtjahrzeiten 1427 und 1517. Den Bau des Rheinbrückenjoches 1518 hatten die Augustiner mit Messe und Gebet zu weihen.

Sodann die Gruppe der Weiberklöster. Eigenartig nicht durch ihre Unterordnung unter diese oder jene Regel, sondern durch das Geschlecht der Insassen. Als Konvente von Frauen in den elementarsten Forderungen – Gelübde und Klausur – aufgehend zeigen sie die normalste, ja dürftigste Form des Klosters. Aber auch daran ist zu erinnern, daß die Frau, die geistlich werden wollte oder sollte, nichts hatte als das Kloster, während den Männern die ganze Kirche offen stand. Daher die singuläre Stellung der Weiberklöster als Versorgungshäuser und dem entsprechend ein stärkerer Einfluß der Verwandten als bei Männerklöstern, was sich namentlich in den Reformkämpfen sowie darin zeigte, daß die Leitung des Klosters hier weniger unabhängig war. Deswegen, aber auch mit Rücksicht auf die beschränkte Eignung der Frau für Geschäfte, begegnen Pflegereien vorzüglich bei Weiberklöstern schon frühe. Wo aber Nonnen sich vernehmen lassen, wird zuweilen etwas so Menschliches, durch keine Methode Verdorbenes laut, wie selten in Äußerungen aus einem Männerkloster; es ist nicht allein die Inbrunst zum dolce chiostro; selbst Aufzeichnungen chronistischer oder geschäftlicher Natur können hier durch einen Ton eigenartiger Lieblichkeit ausgezeichnet sein.

Aber auch als Vertreter und Träger der verschiedensten fremden Kulturen haben wir die Klöster zu begrüßen. Sie alle stehen unter der starken und immerwährenden Einwirkung der Orden als großer internationaler Korporationen und zeigen die Ergebnisse hiervon in ihrem Bestande. Am wenigsten die Frauenklöster, deren Rekrutierung sich in der Regel auf einen nicht großen Umkreis der Stadt beschränkt. Aber in ganz bestimmter Weise spürbar ist die Fremde zu St. Alban; dieses Kloster erscheint zeitweise kaum verwachsen mit der Stadt, ist nur Niederlassung von Cluny und voll wälschen Wesens. Ähnlich tragen die Karthaus in ihren ersten Jahren und St. Leonhard in späterer Zeit vorherrschend niederrheinischen Charakter. Bei den Johannitern und ihren häufigen Reisen nach Rhodus könnte von einer Vermittlung zwischen Morgen- und Abendland geredet werden.

[690] Sozial zeigt sich ein sehr bewegliches Gemenge und wird ersichtlich, was Stadtklöster dieser Art von Klöstern auf dem Lande oder in unbedeutenderen Städten wie St. Gallen Zürich u. dgl. unterscheiden: das Städtische ist von Anbeginn bestimmend, und die Interessen hohen und niedern Adels können nicht ausschließlich zur Geltung kommen. Keines der Klöster übt Exklusivität, sie rekrutieren sich aus allen Ständen. Doch treten einige Charakterisierungen allgemeiner Art hervor. Die Augustiner haben, mit wenigen Ausnahmen, das Kloster der kleinen Leute; auch bei St. Alban fehlen Ritter und Achtburger beinahe ganz. St. Leonhard behauptet eine mittlere Höhe. Adel ist hauptsächlich in den Frauenklöstern zu finden, während seinen Männern offenbar die Stifter mehr zusagen. Unter den weiblichen Konventen blieb Klingental seinen vornehmen Anfängen am längsten treu, sodaß noch 1388 Herr Walther von der Altenklingen sich seiner als des Familienklosters erinnerte. Aber auch hier fanden sich die Verschiedensten zuweilen nebeneinander, die Gräfin Anna von Tierstein neben der Küferstochter Anna Zenderin 1440, so wie auch anderwärts, z. B. im Gnadental 1506, Edeldamen und alte Dienstmägde in Chor und Konvent gleichberechtigt beisammen saßen. Außerdem sehen wir, daß durch alle Klöster hindurch die Entwickelung ihres Personalbestandes eine sozial sinkende ist. Dem allgemeinen Gange städtischer Dinge entsprechend weicht auch hier allmählich der alte Glanz und Stolz; sogar die Ritterhäuser nehmen an dieser Umwandlung Teil, und am deutlichsten ist sie in den Konventen der Prediger und der Barfüßer, die nach der Mitte des XIV. Jahrhunderts nicht nur immer unstädtischer in ihrer Herkunft, sondern auch fast ausschließlich plebejisch werden.


Treten wir näher, so sondern sich in den Männerklöstern als Brüder höherer Qualität die Priester von den Diakonen und die durch das Gelübde dem Orden Verbundenen, professi, von den Laienbrüdern, conversi. Die Letztern finden sich auch in den Weiberklöstern. Überall waren sie die unentbehrlichen Geschäftsleute und Arbeiter, ohne zum Gesinde gezählt zu werden, und auch ihre Stellung im Hause ist begründet und charakterisiert durch förmliche Aufnahme. „Sie ergaben sich den Frauen mit Leib und Gut, sie bruderten sich dem Kloster“. Daher auch für sie, wenn sie einem Herrn gehörten, bei der Aufnahme eine Manumission vonnöten war. Doch gehörten sie nicht zum Klostervolk, nicht zur Geistlichkeit, sondern waren der Stadt steuerpflichtig und konnten sogar ihre Bürger sein. Sie besorgten etwa die Schaffneigeschäfte der Klöster oder vertraten diese vor Gericht; auch [691] dienten sie ihnen als Hofverwalter Weber Müller Bäcker usw. Kunzman Hauenstein von Kaisten der Schuhmacher, der auf seinem Handwerk längere Zeit im Untern Elsaß und am Rheine gearbeitet, hat Verlangen nach dem Klosterfrieden und tut 1401 Profeß im Klingental, worauf ihm die Frauen ihre Schusterei übertragen und ihn zum Sutermeister machen. Der Karthäuser Laienbruder Hans Rot besorgt die Küche, der Laienbruder Heinrich Just zu St. Leonhard dient als Siegrist. Ähnlicher Art waren die Laienschwestern, converse, des Klingentals; sie gehörten weder zu den Konventualinnen noch zu den Mägden.

Einem Frauenkloster unentbehrlich war sodann der Beichtvater bichter confessor. Nicht ganz zutreffend so geheißen. Sein Amt ging über das Beichtehören hinaus, es umfaßte die Spendung sämtlicher Sakramente und überhaupt die Seelsorge, wozu noch ein allgemeines Helfen und Raten, auch bei Geschäften, treten konnte.

Zu beachten ist aber, daß dieser geistliche Beistand keineswegs nur den Nonnen zuteil wurde. Auch die conversi und das Gesinde, das gesamte Verwaltungs- und Dienstpersonal waren Glieder dieser Hausgemeinde, oft zum Verdrusse des Pfarrers der Parochie, der etwa versuchte, wie z. B. der Pleban von St. Theodor 1465 gegenüber dem Beichtvater des Klingentals, ein Pfarreirecht auf die Klosterfamiliaren und alle im Klosterhof Wohnenden geltend zu machen. Der Unterordnung der Frauenklöster unter die Leitung eines bestimmten männlichen Konvents entsprach, daß als Beichtväter zu St. Klara und Gnadental stets Barfüßer funktionierten, im Steinenkloster ein Predigermönch. Klingental dagegen scheint eigene Wege gegangen zu sein. Soweit wir seine Beichtväter kennen, waren es nicht Prediger, sondern Augustiner: zudem bestand hier, wenigstens zeitweise, ein Recht des Klosters, sich den Confessor selbst zu wählen; andern wurde er durch den Orden oder den Bischof gegeben. Überall aber war der Beichtvater ein Genosse und Bewohner des Klosters; sein Haus, das etwa auch den Siegrist beherbergte, stand im Hofbezirk außerhalb der Klausur. Nur in dringenden Notfällen durfte er das Innere des Klosters betreten; zur Beichte usw. diente gewöhnlich das Redfenster.

Auch für den Dienst an den Altären der Klosterkirche sahen sich die Weiberklöster auf Helfer angewiesen, die von außen her zu ihnen kommen mußten. Doch handelte es sich bei einem solchen Kaplan nicht um einen geistlichen Vater, der gleich dem Beichtvater im Kloster Wohnung nahm und so für alle Anliegen zur Hand war. Die Kapläne hatten die bestimmten Pflichten ihrer Pfründen und ihre festgesetzten Stunden; für diese fanden [692] sie sich ein und hielten sich in der übrigen Zeit irgendwo sonst, vielleicht bei einer andern Pfründe, auf. Worin ihre Pflichten bestanden, ist beiläufig aus der Anstellung des Herrn Klaus Maner als Kaplan des Steinenklosters zu ersehen: er hat an vier Tagen der Woche, außerdem an den hohen Festtagen des Klosters Messe zu halten und im Übrigen bei Exequien und Jahrzeitfeiern mitzuwirken. Dort im Steinenkloster kam es auch zu der schönen Vorschrift an den Kaplan Jacob 1514, seine Frühmessen an einem andern, erhöht (supra scalam) gelegenen Altar zu lesen, damit die zu ihrer Tagesarbeit gehenden Klosterleute das Allerheiligste bei der Elevation besser zu sehen vermöchten. Beim Gedanken an solche Momente ist zu ermessen, welche Bedeutung überhaupt diesen Klosterkaplänen zukam. Sie waren die Priester, die Verwalter der höchsten Gnaden; zelebrierten sie das Offizium, so konnten sich Alle eins fühlen mit der Christenheit und jede Schranke des Klosterlebens war verschwunden. Ihr persönlicher Wert kam dabei nicht in Betracht; aber daß sie zuweilen auch zu Anderm als ihren Messen brauchbar waren und sich brauchen ließen, zeigt ihre gelegentliche Tätigkeit als Vertreter der Klosterfrauen bei Geschäften. Die meisten Kapläne hatte Klingental: zehn, seit 1420.

Zur klösterlichen Gemeinschaft gehörten auch die auf dem Hofe wohnenden Pfründer.

Wie ein Kloster Pensionäre hatte, die von ihm auf ihre alten Tage eine jährliche Rente kauften – z. B. 1391 St. Alban den Farnsburger Vogt Werner Abegg, 1466 Klingental den großen Zimmerer Hans von Thann –, so auch Pfründer, denen es gegen Zahlung die Kost aus seiner Küche sandte.

In der Regel aber erwerben die Pfründer nicht nur die Kost, sondern auch das Wohnen auf dem Klosterhofe selbst, und mit dieser Verpfründung wurde meist verbunden eine Verbrüderung oder Verschwesterung. Der Pfrundnehmer gab sein Hab und Gut und dazu noch seinen Leib, lebend und tot, in des Klosters Schirm, hieß fortan Bruder oder Schwester gleich den Konversen, war nicht nur leiblich, sondern auch geistlich versorgt.

Für das Kloster war das Ganze ein gutes Geschäft, daher z. B. Klingental in den Jahren 1440 und 1441, zur Zeit seiner großen Bauten, auffallend viele Pfründer annahm.

Ein einzelner Fall mag uns die Institution, die allen Klöstern bekannt war, anschaulich machen: die Witwe Elfi Sattlerin gibt 1452 dem Kloster Klingental um Gottes, ihres Seelenheils und ihrer Leibesnahrung willen all ihr Gut Schulden und Barschaft; dafür sollen die Frauen sie [693] Zeit ihres Lebens im Weberhäuslein beim vordern Tore wohnen lassen und ihr daselbst geben Holzes genug für Küche und Heizung, jährlich im Herbst zwei Saum Landwein und zwei Saum Habsheimer, ferner Geld für Fleisch und Fische, dreihundert Eier, je einen Sester Erbsen und Linsen, einen Sester Salz, täglich drei Brote; nach ihrem Tode soll man sie im Kloster bestatten, ihre Folge, den Siebenten, den Dreißigsten und die Jahrzeit feiern.

Zuweilen übernehmen die Pfründer noch eine bestimmte Arbeit gegen Lohn. Klaus Marbacher versieht den Pförtnerdienst zu St. Leonhard; Marti von Brupach 1495 besorgt den Predigern die Gärten und heizt ihnen das Refektorium; der Altpfarrer Visel von Grenzingen, der als Pfründer im Steinenkloster wohnt, soll dort die Meßstiftung der zum Angen mit Singen versehen; Johann Schicklin dient den Karthäusern als Schreiner.

Die Verpfründung ist vielfach der Schluß einer langen Arbeit im Kloster. Schaffner Ackermeister Knechte Pförtner u. dgl. haben ihre „Jugend Kraft und Macht im Dienste des Klosters verzehrt“, sind nun „blöd alt und abgehend“ und erwerben sich eine Pfründe auf dem ihnen zur Heimat gewordenen Hofe. Ähnlicher Art sind die Pfarrer von St. Ulrich Grenzingen und Frick, die kurz nacheinander im Steinenkloster ihre Ruhe suchen; auch „der bischof ze sant Kloren“ 1446 wird ein solcher Emeritus der Kirche gewesen sein; 1506 zieht als Pfründer ins Klingental der alte und kranke Herr Peter Scholer, Kaplan von St. Theodor, mit einem kleinen armen Hausrätlein und einem Häufchen Vermögen.

Endlich fanden sich da und dort auch Solche, die nicht als Pfründer, sondern ganz frei in den Klosterhöfen wohnten. Doch handelte es sich dabei um Personen, die besonderer Art waren und besonderer Rücksichten genossen. Jacob Zibol zog kurz vor seinem Tode in die von ihm gestiftete Karthaus, um dort als Donatus auszuleben. Sodann zeigt die Witwe seines Sohnes Burchard, Sophie von Rotberg, das lebendigste Beispiel einer solchen freien Klostereinwohnerin. 1455 erwarb sie auf Lebenszeit vom Steinenkloster das ehemalige Haus der Beichtväter vor der Kirche „an der muren da der ober gang und unden dran die huenerhüser sind“ und wohnte hier „in heiliger Witwenschaft“, das Kloster unaufhörlich mit reichen Gaben bedenkend. Lange Jahre lag sie hier krank im Bette. Nach ihrem Tode 1478 fiel das Haus an das Kloster zurück; die „Ehrenjungfrau“ der Dame aber, Elsi Manerin, erwarb eine Pfründe im Kloster und genoß diese noch im Jahre 1500.


Von dem die Klöster füllenden Wesen, von ihren Verfassungen und Hausordnungen ist hier nur kurz zu reden.

[694] „Wan götlicher dienst ist ein anvang geistlichen lebens“, stand im Mittelpunkte des Ganzen unerläßlich und unveränderlich das officium divinum, der so gut Nachts wie Tags geübte Gottesdienst im Chore mit gemeinsamem Singen oder Rezitieren der Horen und Feier des Hochamtes, sowie Predigt. Die nicht diesem Kultus gehörenden Stunden sollten geheiligt werden durch die tägliche Versammlung im Kapitelsaal mit Gebet, Verlesung des Martyrologium und der Regel, öffentlichem Bekennen von Verfehlungen; ferner durch Beichte und Kommunion, durch Meditation Arbeit Enthaltsamkeit und durch Schweigen, „diesen schönen Brauch, der für Heiligung Frieden und Studium so ersprießlich ist“. Eine Askese, die im Einzelnen natürlich variieren konnte. Alles aber und in jedem Kloster war umgeben durch das furchtbar ernste Gefühl einer gleichmäßigen lebenslangen Gebundenheit und durch die Fessel der Klausur.

Höchst anziehend ist nun, zu beobachten, wie das Leben und seine Notwendigkeiten oder Gelüste mit diesem scheinbar so festgefügten Zustande verfuhren.

Daß der Leidenschaft keine Klausur widerstand, lehren z. B. die aus dem Kloster flüchtenden Brigitta Waltenheim, Anna von Ramstein und Andere. Auch der Predigermönch Johann zum goldenen Ring zeigt merkwürdige Singularitäten: er verfügt über große Geldmittel und hat eine Magd zu seiner Bedienung; offenbar durchbrachen Person und Reichtum zuweilen auch die festeste Norm. Wichtiger war die Wirkung allgemeiner Institutionen und Anschauungen. Namentlich die schon oft erwähnte Teilnahme des Klosters an der Pfarrtätigkeit. Wir sehen diese Klöster sich öffnen, ihre Mönche draußen sich zu tun geben. Am häufigsten die Mendikanten, deren Ziel das Seelenheil der Mitmenschen und deren höchste Bemühung die Arbeit an diesen war. Daher ihr Predigen auf Gassen und Kanzeln, ihre Ketzerpredigt, ihre Bußpredigt. Bis ins Persönliche und Verborgene des Einzelnen dringen sie als die gewandtesten Beichtväter. Auch dieses nicht im Kloster, sondern draußen in den Häusern bis hinauf zu den Fürstenhöfen. Wie sollte hiebei noch vom alten strengen Klosterleben die Rede sein? Ein Mendikant darf sein Kloster verlassen ex causa racionabili et utili; die Entziehung dieses Ausgangs ist z. B. Strafmittel bei Vernachlässigung des Chordienstes. Wir vergessen, daß wir Klosterleute vor uns haben, wenn wir diese Männer in so mannigfaltigen Tätigkeiten und Beziehungen der Welt erblicken. Die Augustiner häufig als Weihbischöfe. Die Mendikanten überhaupt als eifrige Streiter in den allgemeinen Kämpfen der Kirche und in den Zwistigkeiten der Stadt mit dem Bischof. So wenig verschlossen war oft [695] das Kloster der Öffentlichkeit, daß während des Schwabenkrieges 1499 die Nonnen in den Konventen sich parteiten, die Einen die weißen Kreuze der Schweizer an ihre Schleier hefteten, die Andern die roten der Königlichen. Wiederholt waren die Häupter der Stadt nicht nur in den Männerklöstern, sondern auch im Gnadental, an den Steinen usw. zu Tisch geladen, und als eine Konzession des Klosterwesens an rein profane Bedürfnisse erscheint auch die dauernde Verwendung der Refektorien der Prediger und der Augustiner für die Großratssitzungen. Sie gab diesen Klöstern eine offizielle Funktion, die bei einzelnen ihrer Brüder sich in Verrichtungen niederer Art wiederholte: sie dienten dem Rate als Boten in gefährlichen Momenten, wenn sonst Keiner sich hinaus wagte; sie begruben die Toten auf den Schlachtfeldern von St. Jakob und Dornach; sie begleiteten die Delinquenten zur Hinrichtung.

Auch auf andern Gebieten zeigte sich eine Schwächung der Klosterstrenge. Die weiblichen Konvente verraten uns in ihren Rechnungen, wie sie auch bei schweren Fastengeboten sich zu helfen wußten, wie sie den Konventwein dem Gesindewein und das weiße Brot dem Gesindebrot vorzogen, wie sie im Bereiten von Delikatessen Virtuosität besaßen, Lebkuchen buken, Latwergen aus Birnen Quitten Rosen usw. zu kochen verstanden. Die Leonhardsherren dagegen behielten sich bei einer Gutsleihe 1394 vier Kälbermilchli als Weisung vor. Wir beachten auch die einen Gegenstand vieler Jahrzeitstiftungen bildenden Besserungen des Speisezeddels. Daß aber nicht nur dieser, sondern auch die Disziplin des Klostertisches Einbrüche erlitt, vernehmen wir im Predigerorden, wo das Wegbleiben Einzelner vom gemeinsamen Mahl und das separate Essen in der Zelle wiederholt verboten werden mußte. Das gerade Gegenteil galt bei den Karthäusern; diese Anachoreten speisten ihr grobes Brot und ungeschmälztes Gemüse in der Einsamkeit der Kammern und hatten das Vergnügen des gemeinsamen Tisches nur an Sonn- und Festtagen; da wurden ihnen auch Fische Eier und Käse zu Teil, und auch außer dieser Zeit nahmen sie gerne die von Gönnerinnen gespendeten Leckerli u. dgl.

Da das Kloster zeitliches Gut besaß, so ergab sich eine, mancherorts ziemlich breite und umständliche Verwaltung, die nicht nur allgemeine Sorge für das Vermögen und Führung des eigentlichen Klosterhaushaltes – durch Kustos oder Schaffnerin unter Aufsicht des Klostervorstehers – war, sondern auch ein ihr untergebener großer Ökonomiebetrieb. Dieser Betrieb, der an sich mit Klösterlichem nichts mehr gemein hatte und in seinen Formen völlig profan war, mit Bewirtschaftung von Ackern Rebgärten usw., Erhebung [696] zahlreicher Gefälle in der Stadt und weitherum im Lande, auf auswärtigen Gütern und Meiereien, konzentrierte sich im Wirtschaftshofe und stellte hier, hart vor den Toren des claustrum, die zweite Erscheinung desselben Klosters dar, das jenseits der Mauer sich als eine Stätte der Entsagung und der Hingabe an Gott fühlte. In Vertretung dieses Klosters regierte hier außen der Schaffner mit einem Schwarme von Untergebenen – Ackermeister Karrern Mähdern Heuern Schreibern Knechten Mägden – und in den verschiedenartigsten Arbeits- und Vorratsräumen. Meist war er selbst ein Mönch des Klosters, bei den Weiberklöstern ein Konvers und zur Seltenheit ein Kaplan. Da und dort wurde zeitweise die Schaffnei auch durch einen Bürger der Stadt besorgt; war dieser verheiratet, so konnte seine Frau als Hofmutter amten, wie z. B. die Frau des Schaffners Strohmeier im Steinenkloster 1455.

Keine Gutsverwaltung jener Zeit ist uns so anschaulich nahe gebracht, wie diese eigenartige im Klosterhof. Inter duas portas curie, zwischen dem Tore der Klausur und dem Tore der Welt gelegen war dieser Hof der Bereich, auf dem sich Alles vollzog, was zur äußern Verwaltung gehörte, und Vieles, was Verkehr des Klosters mit der Umgebung war. Nicht überall in gleicher Stärke belebt; die Mendikanten Alban Leonhard hatten kleine Betriebe im Vergleiche mit den Administrationen des Steinenklosters und Klingentals.

Im Klosterhofe befanden sich auch, wenigstens bei den größern Klöstern, die Werkstattbetriebe der Pfisterei Schusterei Weberei usw., in denen unter der Leitung von Konversen für die Klosterleute und die zahlreichen Bewohner des Hofes gearbeitet wurde. Schwächere Klöster besaßen nichts Derartiges; einige waren sogar ohne eigene Bäckerei und ließen sich ihr Brot durch Hausfeurer backen, St. Leonhard z. B. durch den Rudolf Schindler in Thoners Haus, und gaben ihnen Korn an den Backlohn.

Daß diese Werkstätten auch für einen Absatz außerhalb des Klosters und seines Hofes gearbeitet und auf dem städtischen Markte konkurriert hätten, ist nicht zu ersehen. Wenn die Zünfte über klösterliche Produktion zum Verkauf oder um Lohn sich beklagten, so richteten sich ihre Beschwerden gegen die benachbarten Frauenklöster auf dem Lande, während die städtischen Klöster nur für den eigenen Bedarf sorgten.

Aber gerade dies mißfiel den Zunftleuten, daß die Klöster sich selbst halfen und keine Arbeit der Handwerker brauchten. Daher auch das eigene Mahlen und Backen von Klöstern ungerne gesehen wurde und der Rat wiederholt widerspenstige Konvente mit Mahl- oder Backverbot bedrohte, [697] ja bestrafte. Daher die Weberzunft 1449 ihren Zunftgenossen verbot, sich in ein Kloster zu setzen und dort zu arbeiten. Daher die Klagen der Spinnwetternzunft über die Klöster, in denen Maurer Küfer Zimmerleute usw. als Brüder aufgenommen würden. Daher endlich 1526, beim Triumphe der Zünfte, das allgemeine Verbot an die Klöster, Handwerkskundige aufzunehmen.

Bei den ein Handwerk ausübenden Brüdern haben wir an Konverse und Pfründer zu denken. Was daneben eigentliche Mönchsbeschäftigung hieß, war vornehmlich das Abschreiben von Büchern. So in St. Leonhard, zumal seit der Unterordnung unter die Windesheimer Regel. Auch in der Karthause war Schreiben eine vom Ordensstatut befohlene Tätigkeit; einzelne Brüder wie Heinrich von Vullenho und Niklaus Müller wurden durch ihr fleißiges Schreiben berühmt, Andere gaben den Handschriften den Schmuck von Miniaturen. Auch in Weiberklöstern wurde viel geschrieben. „Keine schwester soll müßig sein; Müßiggang ist ein Feind der Seele und eine Mutter der Untugenden“, sagte die Regel; „zu allen Zeiten, da die Schwestern nicht im Chore sind oder sonst Pflichten haben, sollen sie der Gemeinde werken, mit schweigendem Munde, unter Aufsicht der Priorin oder einer von ihr dazu bezeichneten Schwester“. Das war Arbeit für den Hausbedarf, namentlich Zubereitung und Unterhalt von Kleidern Betten Tischlaken u. dgl. m. Eine der Nonnen des Gnadentals war dort Windenmeisterin, und in der innern Buchführung des Steinenklosters (nicht seines Hofes) wurden Wollamt Leinenamt Pelzamt unterschieden.

Nur von einer Nonnenarbeit, die regelmäßig für Besteller und um Lohn geschah, vernehmen wir: vom Waschen der Paramente verschiedener Kirchen. St. Peter beschäftigte hiemit die Frauen zu St. Klara, St. Andreas diejenigen im Steinenkloster. Die Gnadentalerinnen übernahmen durch Vertrag 1492, alle Korporalien Alben Altartücher Kelchsäcke Handfahnen Stolen Stöße Listen u. dgl., die sich im Münster unter Verwaltung der St. Johannsbruderschaft befanden, zu waschen sowie zu flicken und in Stand zu halten; freiwillig und zur Fördernis göttlichen Dienstes, wie sie sagen, aber doch gegen jährliche Zahlung von drei Pfund; auch will ihnen die Bruderschaft das jeweilen erforderliche Material an Seide Arras usw. liefern.

Ähnlicher Art war in einigen Männerklöstern der Betrieb des vom Zunftzwange freien Gewerbes der Buchbinderei. 1481 wurde ein großes Antiphonar des Münsterchors durch die Barfüßer gebunden, und einen der in diesem Kloster das Gewerbe ausübenden Brüder lernen wir persönlich kennen: den Peter Fleck, einen frommen und einfachen Menschen, aber etwas [698] schwach im Kopf und auf das Lesen erpicht, obwohl es ihm schädlich war. Auch in der Karthause befaßte man sich, wohl vor allem zum Hausgebrauch, mit dem Einbinden von Büchern.

Ganz unzweifelhaft war es ein Problem für jedes Kloster, die Forderung des Daseins außer der Welt und ohne ihre Güter mit der Notwendigkeit des täglichen Lebens und mit der Sorge für den Lebensunterhalt zu verbinden. Aber auch hierüber hinaus noch mußte das Kloster in der Verbindung von Arbeit mit der vita contemplativa die Rettung seiner inneren Kraft und Gesundheit erkennen. Durch alle Formen und Qualitäten hindurch finden wir diese Klosterarbeit im Gange. An ihr Höchstes: die seelsorgerliche und die wissenschaftliche Tätigkeit, die Forschung, die Spekulation, die Schriftstellerei, kann hier nur erinnert werden.


Von dem im XIII. und XIV. Jahrhundert namentlich innerhalb des Franziskanerordens geführten Streit um die Forderung, daß nicht nur der einzelne Religiose, sondern auch Orden und Kloster selbst in vollkommener Armut leben und auf alles Eigen zu verzichten hätten, war schon die Rede. Der Wirklichkeit gegenüber behalf man sich, um den Grundsatz zu retten, zum Teil mit Fiktionen. Tatsächlich aber sehen wir bei allen unsern Klöstern eine durchaus zugestandene Vermögensnotwendigkeit und eine mehr oder minder ausgebildete Vermögensbesorgung in den Formen weltlicher Administration.

Ganz unvermeidlich mußte dieser Zustand auf das Verhalten des einzelnen Klostermenschen wirken, so bestimmt auch dessen Armutsgelübde lautete. Mit der Profeßleistung sollte das Vermögen des Professen an das Kloster übergehen; er sollte hinfort nicht mehr eigentums- und erwerbsfähig sein, nicht mehr fähig sein Rechtsgeschäfte abzuschließen, nicht mehr fähig sein zu testieren.

Daß eine solche Forderung allmählich leicht genommen wurde und unerfüllt blieb, ist begreiflich. Die Orden selbst waren sich der Bedeutung des Satzes durchaus bewußt und hielten offiziell an ihm fest. Was einst die Regel St. Benedikts vom Laster des Eigentums gesagt, kehrt wieder in Erlassen der Cluniacenser, und noch spät wenden sich die Ordensbehörden der Prediger heftig wider das detestabile et pestiferum vitium proprietatis. Es war aber ein Gebot, dem die Macht der menschlichen Natur und die tägliche Wirkung des Daseins entgegenstanden, sodaß man zu Kompromissen griff wie der im Predigerkonvent regelmäßig geschehenden Inventarisierung des von jedem Mönch besessenen d. h. ihm zu Gebrauch überlassenen Gutes.

[699] Der starken Gewissenhaftigkeit alter Zeit begegnen wir allerdings hie und da noch vereinzelt, so zu Barfüßern 1312, zu St. Leonhard 1313. Aber nur die Karthäuser erwiesen sich dauernd als die treuen Wächter jener Ideale. Wie Einer sonst vor dem Tode, so verfügte, wer in ihr Kloster treten wollte, letztwillig über seine Habe. Meist mit Erbeinsetzung oder doch wesentlicher Begabung der Karthause selbst; unter allen Umständen trat er besitzlos ein, um auch künftig nie mehr etwas zu erwerben. Seine Vermögensperson erlosch mit dem Mönchwerden.

Andern Klöstern brachte erst die Reform die strengere Gesinnung wieder. Die Augustiner z. B. vertraten bei einem Prozesse 1503 den Grundsatz, daß der einzelne Mönch nichts besitze und sein bisheriges sowie sein noch ausstehendes Vermögen dem Kloster gehöre. Den Klingentalerinnen wurde in der Reform wenigstens das Inventarisierungsverfahren der Prediger vorgeschrieben. Wie aber mit dem Armutgebot und mit dem Verzicht auf Haben und Genießen wirklich Ernst gemacht werden konnte, zeigt Konrad Pellikan, der noch im achtundvierzigsten Lebensjahre, nachdem er die Barfüßerkutte abgeworfen, die Münzen (Kronen Gulden Batzen usw.) kennen lernen mußte; er hatte während seines langen Klosterlebens solche Dinge nie in der Hand gehabt. „Ich war ein Bekenner der wahren Armut und entbehrte dennoch nichts“, sagt er.

Im Allgemeinen aber gewinnen wir den Eindruck, daß die Kirche eine ihrer ernstesten Forderungen einfach preisgibt.

Der einzelne Klostermensch besitzt und erwirbt. Besonders häufig zeigt sich uns dies in den Weiberklöstern und zwar das XIV. Jahrhundert hindurch in sämtlichen, dann nach Beginn der Reform beinahe nur noch im Klingental. Nach allen Seiten regen sich diese Nonnen, als Kapitalistinnen, als Eigentümerinnen von Häusern und Landstücken in Basel Weil Tannenkirch Eimeldingen Sulz Rufach usw., als Zinsherrinnen. Sie kaufen und verkaufen und fröhnen, sie erhalten Schenkungen und vergaben, sie machen mit ihrem eigenen Kloster Geschäfte, sie leihen Geld gegen Zins an Verwandte, bisweilen in hohen Beträgen, an den Rat der Stadt, an den Adel. Von Bischof Friedrich nimmt seine Schwester Klara im Klingental als Pfand für ihre Darleihen zwei silberne Becher, zwölf silberne Schalen und einen silbernen Stauf mit dem Familienwappen. Als 1437 die Klosterfrau Agnes zum Wind stirbt, beträgt ihr Nachlaß gegen zwölfhundert Pfund, darunter in einer Lade bar beisammen zweihundertzweiundachtzig Gulden.

Aktenfaszikel und Urkundenbündel zeigen uns, wie diesen vermöglichen Nonnen neben all ihrem Chordienst, zwischen all ihrer Askese noch Zeit [700] und Munterkeit bleiben, um ihr Vermögen arbeiten und sich regen zu lassen, um Prozesse zu führen u. s. f. Sachlich dasselbe, wenn auch in Betrag und Umfang dürftiger, erscheint in männlichen Konventen. Predigermönche erwerben Häuser und Zinsrechte oder machen große Vergabungen; der Augustinermönch Heinrich Falkner ist Eigentümer mehrerer Liegenschaften in Kleinbasel; unter den Geldgebern des Rates stehen neben jenen Klosterdamen auch die Prediger Klaus Efringer 1395 und Wilmins Sohn 1411, der Barfüßer Klaus von Bopfingen 1396, der Leonhardschorherr Peter Billung 1414, während der Leonhardschorherr Klaus Grimm 1375 Kreditor der Stadt Biel ist.

Bisweilen wird auch eine Erbfähigkeit der Klosterleute behauptet. Die Prediger z. B. berufen sich hiefür auf die Bulle Gregors XI. vom 1. April 1375; 1419 wollen zwei Klingentalerinnen die als Domfrau zu Säckingen gestorbene Dorothea von Tierstein beerben. Auch die häufigen Verzichte von Klostervorstehern auf die einzelnen Insassen künftig noch zufallenden Erbschaften beweisen, daß die Klöster mit der Erbfähigkeit des Einzelnen ihre eigene Succession verfechten. Doch steht solcher Anschauung eine konstante Praxis der städtischen Behörden entgegen. Wiederholt wird vom Stadtgericht erkannt, daß insbesondere die Mendikanten nie ein Erbe angesprochen noch mit Recht erlangt hätten, außer im Fall einer bei ihrem Eintritt getroffenen, das Gegenteil bedingenden Abrede. Auch der bischöfliche Kanzler Heidelbeck anerkennt 1461, daß dies Recht zu Basel sei, und in gleicher Weise lassen sich 1476 die Juristen Peter von Andlau, Matthäus Müller, Georg Bernolt und Johannes Durlach vernehmen: Mönche und Klosterfrauen seien allerdings erbfähig, aber nicht alle; sondern die Klöster der Bettelorden würden durch unvordenkliche Gewohnheit von Erbschaften abgedrängt, und lasse man sie nicht zu Erbe kommen. Auf diesem Rechtssatze, den der Rat z. B. 1521 den danach fragenden Straßburgern mitteilt, ruht die Behandlung solcher Erbansprachen (der gewesenen Steinenklosternonne Brigitta Waltenheim 1439, des Predigers Heinrich Herr 1487, des Augustiners Johannes Wecker 1503) sowie das Vorgehen des Rates 1462 wider die Klarissen, die das Erbe der ertrunkenen Frau von Eptingen für deren bei ihnen eingeklosterte Tochter erster Ehe, Elisabeth zum Schiff, ansprechen.

Nur konsequent ist, daß eigentums- und erwerbsfähige Klosterleute auch zu testieren vermögen. Aber der Orden setzt ihnen hiebei Schranken. Sie sollen ihr Gut nur innerhalb ihres Klosters vererben können, konform mit der auch vom Rate der Stadt gelegentlich aufgestellten Regel: wie kein [701] Klostermensch in sein Kloster erben kann d. h. erbfähig ist, so wenig kann ihn Jemand wieder heraus beerben. Was wir demnach an Testamenten von Mönchen und Nonnen zu sehen bekommen, lautet durchweg zu Gunsten einzelner Brüder oder Schwestern, bestimmter Jahrzeiten oder dgl. desselben Klosters. Auch geschehen diese Verfügungen stets mit Bewilligung eines Vertreters des Ordens oder unter Assistenz des Beichtvaters. Speziell das Klingental gibt uns auch hier wieder eine Fülle von Zeugnissen; unaufhörlich ist von diesen Testamenten der Nonnen die Rede, von den Zinsen, dem Hausrat, den Kleidern, den Bechern usw., die sie einander legieren. Es ist „altes Herkommen, daß eine jede Klosterfrau ihres zeitlichen Guts halb ein Testament aufrichtet; solches geschieht vor dem Beichtvater, der Äbtisse und der Priorin, und wird nie eine weltliche Person dazu genommen: doch hat man nie einer Klosterfrau bewilligt, irgend welchen Personen außerhalb des Klosters etwas zu vermachen“.

Immer und überall herrscht das, was letztes Ziel aller Neigungen Kräfte und Gaben, aber auch des in diesen Mönch- und Nonnenvermögen beschlossenen Geldes ist: das Kloster selbst. Beerbung des einzelnen Religiosen durch sein Kloster ist das Normale. Die Regel dieses Erbrechtes ist unzählige Male bezeugt und weist uns den Weg, auf dem alter Familienreichtum schließlich Klostergut wird, ganze Familienarchive in die Schränke und Schubladen klösterlicher Sakristeien gelangen. Nicht immer ohne Widerstand von Beteiligten; die Verträge des Peter zum Wind 1436, der zum Angen 1437, des Henman Offenburg 1454 mit Klingental schließen zum Teil langdauernde Streitigkeiten damit, daß sich das Kloster zu einer Abfindung herbeiläßt. Grundsätzlich ist doch das Recht auf seiner Seite, und selbst das städtische Schultheißengericht anerkennt 1460 im Prozesse des Andreas von Walpach, daß „ergebene Klosterfrauen niemals durch einen Andern beerbt werden sollen als durch Priorin und Konvent ihres Klosters“.

Soll das Kloster nicht erben, so ist hiezu eine bestimmte Abrede im einzelnen Falle vonnöten. Aber auch dann noch bleibt das Kloster erbberechtigt für solche Teile des Gutes, die der verstorbene Religiose durch Innehaben eines klösterlichen Amtes „erspart und erobert“ hat. Diese sollen, wie Bürgermeister und Rat 1422 bestimmen, nicht mit dem Übrigen an die Erben gehen, sondern dem Kloster zufallen.


Zur strengen und fertigen Gestalt des Klosters fügte eine religiös erregte Zeit noch andere Möglichkeiten des der Welt entsagenden und diese [702] Gesinnung auch äußerlich darstellenden Lebens in Demut, in Mangel, in Kontemplation und Anbetung, bis zu mehr oder minder starker Beugung unter Gebot und Regel.

Es handelte sich dabei um Formen, die von vornherein einer weit größern Masse Raum boten als die Klöster. Nicht nur, weil sie einem Verlangen, das sich regte, äußerlich leichtere Bedingungen stellten als jene. Auch die Schmiegsamkeit dieser Einrichtungen, ihre Anpaßbarkeit an Persönliches und Momentanes war ihr Vorzug.

Aus der Welt, zu einem Leben in Gott drängten sich Viele und griffen zu den hier sich bietenden Mitteln. Dieser, weil er sich zum Eintritt ins Kloster nicht frei machen konnte; Jener, weil er im Kloster die ersehnte reine Form seines Christentums doch nicht zu finden meinte. Andern war es nicht zu tun um den Widerstreit zwischen Gott und der Welt; sie fühlten sich verlassen und hilflos und fanden nun hier, in frommen Gemeinschaften aller Art das ihnen zusagende Asyl, die „ewige Herberge“ und Versorgung.

Für uns ist die Erscheinung faßbar in den beiden großen Institutionen der Tertiarier und der Beginen und Begarden. Aber auch noch innerhalb dieser Komplexe blieb Raumes genug für Abstufungen.

Die Tertiarier waren angeschlossen an die Minoriten und die Dominikaner als deren dritte Orden. Sie standen unter einer Regel, der sie ohne Klosterzwang mitten in Lust und Lärm der Welt und im bürgerlichen Leben folgten. Ehe Beruf Besitz nicht preisgebend, aber zu ernstem Wandel, zu Mäßigkeit ja Askese, zu geordneter Frömmigkeit verpflichtet, der Aufsicht von Visitatoren unterworfen, nahmen sie Teil an den geistlichen Besitztümern und Wohltaten des Ordens. Zwischen Kirche und Welt bekannten sie ein Gebundensein und vertraten doch zugleich die der Weltflucht nicht bedürfende Freiheit und Stärke christlichen Lebens. Aber nicht Alle dauernd. Das Mißtrauen in die eigene Kraft und der Anblick der in Klöstern sichtbar wirkenden Macht gemeinsamen Lebens führten dazu, daß manche Tertiarier die Vereinzelung ihrer Existenz aufgaben und zusammen eine Wohnung wählten. So entstanden die meist für Aufnahme von Frauen bestimmten Regelhäuser.

Den Tertiariern begegneten als ähnliche Erscheinung die Beginen. Sie waren nicht wie Jene im Anschluß an bestehende mächtige Orden entstanden; sie hatten sich, zuerst im Lütticher Sprengel, aus den religiösen Bewegungen der Zeit heraus gebildet, als fromme Frauen, die in der Welt stehend und durch keine Organisation gehalten in den asketischen Formen der Keuschheit [703] und Armut einem „an franziskanische Frömmigkeit erinnernden Lebensideal“ folgten. Aber auch unter ihnen wurden Viele dazu geführt, einen Anschluß zu suchen; zuletzt fanden diese das Gewünschte in einem unabhängigen Gemeinschaftswesen, in freien Vereinigungen gleichgesinnter Frauen, den Beginenhöfen oder Samnungen.

In solchen Bildern tritt uns diese Welt entgegen. Der Armut und Zufälligkeit der Überlieferung wegen ist sie schwer zu erkennen, und wie sie uns näher kommt, zeigt sie uns schon entwickelte Zustände, zeigt sie Umgestaltungen und örtliche Anpassungen.

Aber auch so ergreift sie uns als eine der eigentümlichsten Erscheinungen des XIV. Jahrhunderts, untrennbar von seiner mannigfaltigen Kirchlichkeit und seinen religiösen Kämpfen.

Wie Beginen und Tertiarier schon in den 1310er Jahren Gegenstand heftigsten Streites zu Basel waren, ist gezeigt worden. Aber dieser Streit beseitigte weder die Einen noch die Andern. Sie dauerten weiter, und nur darauf müssen wir verzichten, jede einzelne Gestalt innerhalb dieser zerfließenden Masse von Tertiariern Beginen Konversen Schwestern bestimmt zu erkennen.

Deutlicher wird die soziale Gliederung. Fast durchweg handelt es sich um niederes Volk. Nur wenige namhafte Geschlechter sind dabei wie die Glissen, von Laufen, von Schlierbach, oder gar adlige wie Eptingen und Pfirt. Irreführend häufig treten solche Damen im Beginenbereiche vor uns. Sie kaufen und verkaufen und vergaben Liegenschaften oder Zinsrechte. Sie haben Gesinde und in den Kirchen eigene Stühle. Aber neben diesen begüterten Devoten sind die armen, die geringen und namenlosen, die echteren Figuren, und das wirkliche Leben, nicht das dokumentierte, kannte vor Allem sie und nicht jene.

Vom Leben dieser Frauen erfahren wir wenig. Vereinzelt wird erwähnt, daß sie spinnen, Kerzen machen, mit Trödelwaren handeln, als Mägde dienen.

Daran schließt sich die Krankenpflege und Totenklage und vor Allem der Bettel. Der Gattungsname der „armen Schwestern“ zeigt in der Tat, daß das Schalten mit Geld und Gut bei ihnen nur Ausnahme sein konnte. Sie waren ökonomisch wie gesellschaftlich großenteils tiefstehend, auch durch ihre Mittelstellung zwischen profanem und kirchlichem Gebiete mehr verkürzt als ausgezeichnet. Dennoch hatten sie auch für die Allgemeinheit Bedeutung und erfüllten einen Beruf in eigentümlicher Weise dadurch, daß sie gleich dem Klerus überall und allezeit zu haben waren und in Devotion und kirchlicher Handreichung die sonst in den Klöstern internierte Sonderart [704] weiblichen Wesens zur Geltung brachten. Als 1374 ein Jude, der am Galgen hing, Christ werden wollte, liefen mit den Pfaffen die Beginen hinaus und hüteten seiner, bis es zur Taufe kam.

Wie rasch solches Wesen ordinäre Züge annehmen konnte, liegt auf der Hand; dazu kommt die Vorstellung von der Schutzlosigkeit der vereinzelten Frauen. Der Ackermeister des Gnadentals hat 1373 eine arme Begine übel geschlagen und ihr eine Rippe entzwei gestoßen; 1369 zieht die von Langenau eine Begine, die taub ist, sowie andere Töchter mit Gewalt in ihr Haus und gibt sie hier Männern preis.

Das Zusammentreten in Konventen oder Samnungen erschien daher als Sicherung der Einzelnen und zugleich des ganzen Standes. Wie solche Gemeinschaften sich aus der Isoliertheit heraus bildeten, ist gut zu beobachten. Kleine lose Gruppen von Frauen begegnen uns vielfach: 1329 die Konversen Margred von Ellerbach und Lucky von Mainz, 1403 die Konversen Metzi und Greda Biererin usw. Die beiden Schwesternvereine 1331, der eine aus drei bürgerlichen oder bäuerlichen, der andere aus vier adligen Frauen bestehend, von denen jener diesem sein ganzes Vermögen durch Gott schenkte, könnten schon organisierte Samnungen sein. Solche wurden geradezu durch einzelne wohlhabende Konversen gestiftet: der Goldschmiedin Haus, der Harerin Haus, der Bischoffin Haus. Andre Häuser waren Stiftungen von Bürgern wie Relin Schuler usw.

Diese einzelnen Konvente waren an Größe verschieden. Die St. Ulrichssamnung in der Äschenvorstadt wurde für sieben Schwestern gestiftet; sonst war meist die apostolische Zwölfzahl vorgesehen; Schulers Haus sollte einunddreißig Schwestern dienen; die Samnung am Rindermarkt hieß stets die große Samnung und enthielt 1335 und 1399 mehr als zwanzig Schwestern; unter dem Basler Hause mit achtzig Schwestern, das 1331 von einer Bürgerin von St. Ursanne ein Legat erhielt, ist jedenfalls an dieses älteste und bedeutendste aller Regelhäuser zu denken.

Jedes Haus stand unter der Leitung einer von den Schwestern selbst gewählten Meisterin – in einigen dem Predigerorden affiliierten Konventen auch Martha geheißen –, der zuweilen ein Kollegium von Ratschwestern zur Seite stand.

In der Regel, wenigstens später, waren zur Aufsicht über das Haus und zur Unterstützung der Schwestern bei Geschäften weltliche Pfleger bestellt, wahrscheinlich durch den Rat der Stadt.

Nirgends herrschten Gelübde; aber die Frauen versprachen Gehorsam und Keuschheit für die Zeit ihres Verbleibens in der Gemeinschaft. [705] Sie wohnten freiwillig in dieser und konnten sie jederzeit wieder aufgeben.

Die Samnung als solche besaß Vermögen und lebte aus ihm, aus Geschenken und Jahrzeitgeldern. Vielleicht auch aus dem Ertrage von Arbeit der Schwestern. Diese aßen das im „gemeinen Hafen“ gekochte „gemeine Mus“, das an Jahrzeittagen durch gestiftete Zugaben (Fische Wein usw.) verbessert sein konnte.

Untergebracht wurden die Samnungen wohl einfach in schon bestehenden Häusern. Wir vernehmen nichts von speziellen Bauten für solche Zwecke, und die einzige Kennzeichnung war das Kreuz am Eingange. Auch scheint nirgends eine Kapelle gewesen zu sein. Als Johann von Braunschweig in einem dieser Gotteshäuser die Messe zelebrierte, mußte er sich eines Tragaltars bedienen. Nur vom ewigen Licht ist da und dort in Konventen die Rede als ihrem einzigen Kultzentrum; bei ihm versammelten sich die Frauen zur Andacht, zum Gottesdienst, zur Begehung von Jahrzeiten. Die in Dechans Haus wohnenden Schwestern sollten vor dem Imbis die Kirche besuchen, nach dem Essen ein Schweigen halten mindestens eine Stunde lang und dazwischen ihre Vigilien sprechen zum Seelenheile der Stifterin.

Aber neben diesen Samnungen haben wir immer noch zahlreiche einzelne, für sich lebende Beginen oder Schwestern vor uns; von ihrem Dasein, ihren Pflichten und ihren Leistungen vernehmen wir begreiflicherweise kaum etwas; wir hören nur ihre Namen.

Dies Alles ist in den meisten Fällen ununterscheidbares Tertiarier- oder Beginenwesen. Es gewinnt zum Teil eine bestimmte Richtung und zugleich eine allgemeine Bedeutung durch Zusammenhänge mit Orden. Ein solcher zeigt sich z. B. in dem Amten des Karthäusers Johann von Braunschweig als Visitators einer Beginensamnung. Weit hierüber hinaus dominieren die Beziehungen zu den beiden Mendikantenorden. Aber auch bei ihnen handelt es sich, wenigstens in der Sprache der Urkunden, sowohl um Beginen als um Angehörige der Dritten Orden.

Am stärksten belebt war die den Franziskanern aggregierte Gruppe, zu der folgende Regelhäuser gehörten: die schon im XIII. Jahrhundert gegründete große Samnung am Rindermarkt; der Goldschmiedin Haus ebenda, vor 1329 durch Bruder Johann den Goldschmied und Schwester Anna die Goldschmiedin gestiftet; das Haus Heitwiler an der Streitgasse, 1302 durch das Klarissenkloster Alsbach gestiftet; Iselins Haus an der Weißengasse; das alte Spital, das Haus Kienberg und Krafts Hof am St. Leonhardsberg; der Gisinbetterin Haus und das Haus Beuggen an den Steinen; [706] Kämmerers Haus an der Rittergasse; das Haus St. Ulrich in der Aeschenvorstadt, 1358/1361 durch Herrn Ulrich von Zofingen, Leutpriester zu St. Ulrich, gestiftet; das Haus Geisingen und der Bischoffin Haus auf St. Albansberg; der Harerin Haus auf dem Nadelberg, 1386 durch Schwester Katharina Harerin gestiftet; der Eichlerin Haus.

Anschaulich ist, wie die Barfüßer diese, meist in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts entstandenen Häuser fast sämtlich in der Nähe des Klosters haben, wie aber auch die vereinzelt lebenden Schwestern sich an die Mönche heran machen. Die Ita Pfisterin, die Grede von Runspach, die Elsi von Küttigen, lauter Beginen, wohnen dicht beim Barfüßerkloster, Andre beim Eseltörlein, Andre neben den Regelhäusern am Rindermarkt u. dgl. m. Daß dem Kloster benachbarte Beginen den Klosterbrüdern die Kleider waschen und nähen und andre Dienste tun, kann nur als Einzelheit aus einem Verkehre gelten, der überaus mannigfaltig ist und noch weiter greift, der auch die Klarissen umfaßt. Ein Verkehr, der gewiß nicht nur geschäftlich und äußerlich gewesen ist, sondern oft auch voll Ernstes und innern Wertes.

Einen großen Teil dieses Wesens, auch des unter dem Beginennamen überlieferten, scheint der Verband der dritten Franziskanerregel in Eins zu fassen. Zu ihm gehörten isoliert und in Samnungen Lebende. Er besaß eigenes Vermögen und eigene Verwaltung; sein Haupt war die Regelmeisterin. Von 1329 bis 1333 und von 1347 bis 1364 finden wir in diesem Amte die Jungfrau Katharina von Pfirt, von 1334 bis 1347 die Günsa von Ramstein, von 1365 bis 1373 die Klara ze Rin, von 1377 bis 1396 eine zweite Katharina von Pfirt, Schwestertochter der erstern, dann die Nesa von Arberg. Wie in einigen Regelhäusern, so wurde auch hier noch dem Adel die Führung zugestanden. Und daß man brauchbare und resolute Damen zu wählen wußte, zeigt deren Funktionieren nicht nur in den Geschäften des Regelverbandes selbst, sondern auch in solchen der Minoriten. Wiederholt handelt die Meisterin Namens des Klosters auch vor Gericht, als seine syndica negotiorum gestrix Schaffnerin. Dem entgegen vertritt zuweilen der Geschäftsführer des Klosters die Regelfrauen, ja der Mönch Johann Bottminger handelt 1386 geradezu als Regelmeister. In Allem zeigt sich eine enge Verbindung. Die Meisterin nimmt nicht nur Verkäufe und Schenkungen für das Kloster an; sie bürgt auch den Donatoren dafür, daß ihre bei den Barfüßern gestifteten Jahrzeiten begangen werden, daß die Brüder ihre Pictanzbesserung erhalten usw. Der Regelverband ist Zahlstelle Filiale Agentur des Klosters. Dessen Freunde sind [707] auch seine Freunde, und die Kreise gleichsam erblicher Devotion, durch die z. B. die Ramstein und die von St. Amarin mit dem Hause der Barfüßer verbunden sind, öffnen sich auch für Tertiarierinnen.

Dieser formenreichen Franziskanerwelt entsprechen nicht gleiche Verhältnisse auf der Seite der Prediger. Eine eigene und einheitliche Leitung der Tertiarier neben dem Kloster scheint hier nicht bestanden zu haben. Auch die Regel- oder Beginenhäuser waren weniger zahlreich: das Haus Rechtenberg am Blumenrain; das Haus am Wege ebendort, 1329 durch Katharina am Wege gestiftet; Schulers Haus in der St. Johannsvorstadt, 1340 durch Heinrich Schuler gestiftet; das Haus zu den Mägden in derselben Vorstadt, 1361/62 durch Schwester Verene zur Linden eingerichtet; das Haus der Münzmeisterin von Colmar in derselben Vorstadt; das Haus zum schwarzen Bären oder zum Gundolzbrunnen an St. Peters Berg.

Eigenartig stand die 1388 durch Greda Vögelin gestiftete Samnung in Dechans Haus beim Eseltörlein da als ein Haus, das ausdrücklich keinem Orden verbunden sein sollte. Diesen Frauen durfte kein Mendikant dreinreden; ihre Ordner und Pfleger waren ein Leonhardsherr, ein Chorherr von St. Peter und der städtische Ammeister.


Neben den vielen Regelschwestern und Beginen kommen Brüder und Begarden kaum zum Worte, in einer Dürftigkeit der Bezeugung, die wohl dem wirklichen Zustande entspricht. Auch bei ihnen haben wir an eine irgendwie geartete Absonderung und Gemeinschaft zu denken, aber wir erkennen nichts deutlich. Diese frommen Männer wohnen zum Teil in Klausen, sie wandern umher und heischen „Brot durch Gott“, kehren in Beginenhäusern ein. Eigentliche Bruderhäuser werden nur ganz vereinzelt genannt: das eine 1350 und 1363 in der St. Johannsvorstadt gegenüber dem Predigerkloster, das andere am alten Stadtgraben oberhalb dieses Klosters und bei der Neuen Vorstadt gelegen. Beide Häuser waren bewohnt durch „willig arme Brüder“, pauperes conversi, pauperes begardi. Die Kongregation in der Neuen Vorstadt (Herman von Montabur u. A.) schenkte ihr Haus 1377 dem Rate der Stadt und empfing es wieder zu Erbe.


Als „Brüder“ und „Schwestern“ machen sich endlich auch Klausner bemerkbar. Ihre ursprüngliche, noch reine Absicht geht auf das deutlichste äußere Getrenntsein von Gemeindeleben und Weltleben, aber nicht auf das Kloster, sondern auf eine freie Askese in ihrer ernstesten Form.

[708] Ringsum im Lande, bei St. Romey Dittingen Mariastein Thann Wattweiler Beuggen finden wir Einsiedeleien. 1420 will der im Basler Predigerkloster wohnhaft gewesene Bruder Symon die Waldklause zu Landsberg bei Seon beziehen, die vom Kloster Königsfelden vergeben wird, und im großen Testamente der Adelheid Biderman werden auch die Klausner bedacht, die da und dort in den Wäldern um Basel sitzen.

Das Andenken solcher Bewohner der Einsamkeit lebt noch heut im Namen des Bruderholzes. Schon im XIII. Jahrhundert trug es diesen Namen, doch werden uns solche Brüder erst später bekannt: Bruder Hans von Birseck, Bruder Konrad Matzerer, Bruder Hans Müller von Schüpfen der Konvers, die gegen Ende des XIV. Jahrhunderts im kleinen Gundeldingen wohnten. Außerdem scheint sich auch in der Gegend des Jakobergerholzes ein Eremitensitz befunden zu haben.

Andrer Art waren die mit Kapellen verbundenen Klausen.

Die früheste, von der wir hören, war die an der Hintern Mauer des Steinenklosters gleichzeitig mit dem Spitalkirchhof errichtete; 1301 wird sie zum erstenmal erwähnt. Bald darauf entstand die Kapelle (St. Elisabeth), als deren Zubehör fortan die Klause galt. 1301 war sie von Schwester Kunigund und Schwester Gertrud bewohnt, dann von andern Frauen. Bis nach der Mitte des XV. Jahrhunderts Brüder sich zeigen: Stefan, 1485 Bitterkrut und seine Frau, 1517 Jos Ziegler und seine Frau, 1518 Veltin Sulzberger und seine Frau.

Auch bei der St. Margarethenkapelle wohnten Klausnerinnen, zum erstenmal 1393 erwähnt. Aber auch hier wurde gegen Ende des XV. Jahrhunderts die Schwesternklause zu einem von Eheleuten bewohnten Bruderhaus.

Im XIV. Jahrhundert war ein Bruder beim Heiligen Kreuz vor dem Riehentore stationiert, später ein solcher bei der Heiligkreuzkapelle vor dem Spalentor.

Dies der Bestand. Schon die frühesten dieser suburbanen Eremiten aber hatten wenig Ähnlichkeit mehr mit den alten Anachoreten. Sie waren keine weltentrückten Büßer, lebten in keiner Wüste; was an ihrem durch keine Gemeinschaft und keine Ordenszucht geschirmten Wesen noch Strenge und Härte war, schwand allmählich vor dem Wachstum der nahen Stadt, vor der Bereicherung des Lebens und des Verkehrs überhaupt.

Einen ältern Zustand zeigt uns noch die Erklärung des Dompropstes Konrad von 1393, mit der dieser seine Rechte bei St. Elisabeth wohl Ansprüchen des nahen Steinenklosters gegenüber sicherstellen will. Beide Klausen, sowohl bei St. Elisabeth als bei St. Margareth, gehören in seine Pfarrei [709] St. Ulrich, und ihre Bewohnerinnen dürfen die „christlichen Rechte“ nirgends sonst empfangen. Sie sollen ein heiliges göttliches Leben führen. Sie dürfen Andre zu Mitklausnerinnen annehmen. Die Erwähnung, daß der Priester zum Beichtehören u. dgl. zu ihnen kommt, scheint allerdings auf ein dauerndes Eingeschlossensein zu deuten; aber wir vernehmen zugleich, daß nicht nur der Tod dieses Eingeschlossensein lösen kann, sondern auch der Übertritt in ein noch heiligeres und andächtigeres Leben, d. h. wohl in ein Kloster.

Wie es mit den Nachfolgerinnen dieser Frauen bestellt war, wissen wir nicht. Die nach ihnen kommenden Brüder aber, auch der Bruder beim Heiligen Kreuz, waren nur noch Hüter und Siegristen der Kapellen.


Dringen wir durch diese reichgefüllte Welt aufwärts, vom Klausner an Begarden und Beginen, an Klosterleuten, an freien Klerikern, an Pfarrern Vikaren und Kaplänen, an Stiftsherren, an Domherren vorbei, so gelangen wir zur Spitze des gesamten Basler Kirchenwesens: zum Bischof.

Im Bereiche der Diözese hat er die höchste Vollmacht der sakramentalen Verrichtung, die höchste Vollmacht der Gesetzgebung und des Richtens, ist er der Inhaber des Kirchenregiments, der oberste Herr jedes Geistlichen und der oberste Priester jeder Seele, parochus universalis, Vater und Hirte des christlichen Volkes.

Daneben hat er sein weltliches Dominium, und es ist reizvoll, den innern Reichtum und die Weite eines solchen, Welt und Kirche zugleich umspannenden Herrscherwesens sich vorzustellen, zugleich aber auch zu beobachten, wie im Bereiche der Stadt diese Einheit locker wird und endlich zerreißt. Der Kampf mit dem Bischof um die Stadtherrschaft kann nur im Gedanken an dieses enge Verbundensein von Gewalten irdischer und ewiger Art richtig gewürdigt werden; ohne Zweifel stellte er manchen Städter vor ernste Gewissensfragen, wie er auch dem Bischof die Versuchung brachte, für weltliche Güter mit geistlichen Waffen zu kämpfen und um des Herrschens willen die Hirtenpflicht zu versäumen.

Die Rechte und Funktionen des Diözesanherrn bieten sich uns in aller Mannigfaltigkeit dar. Als Inhaber der höchsten Weihegewalt spendet er Firmung und Priesterweihe, konsekriert und benediziert er, erteilt er Ablaß, ordnet er den Kultus usw.; kraft seiner Regierungsgewalt besetzt er die Kirchenämter, visitiert er die Diözese, beruft er Synoden, konfirmiert er Statuten und Stiftungen, hat er die Rechte der Gesetzgebung und der [710] Steuererhebung, hat er ein Erbrecht, hat er die Gerichtsbarkeit. Es ist eine Fülle von Gewalt, aber kein lückenloses Ganzes. Da und dort ist der Bischof beeinträchtigt und eingeengt durch Eingriffe oder Rechte des Papstes und des Domkapitels, durch Exemtionen (der Ordenspersonen, der Konzilsleute), durch einzelne Patronatsrechte, durch Selbständigkeit von Stiftern und Pfarreien, u. dgl. m.

Der zwar reichen aber zersplitterten Bezeugung solchen Regiments gegenüber wird uns dieses in geschlossener Form und in einer bestimmten Richtung anschaulich gemacht durch die Nennung der Einnahmen des Bischofs. Solche sind: die Gebühren für Investitur mit Benefizien; die Absenzgelder, durch die Inhaber mehrerer Pfründen für die Dispens von der Residenzpflicht zu entrichten; die Kommissionsgelder, für die Bestätigung im Genuß einer widerruflich verliehenen Pfründe zu entrichten; die kathedralia, eine von den Pfründeninhabern bei den Synoden oder Visitationen jährlich zu entrichtende Huldigungsabgabe; die bannalia, durch Laien und Geistliche für Vergehen zu entrichtende Bußgelder; die ersten Früchte oder Annaten d. h. der Ertrag der ersten zwei Jahre nach einer Vakanz derjenigen Pfründen, die der Bischof verlieh; das Opfergeld d. h. eine Abgabe vom Kirchenopfer; die Zehntquart; die als collecta oder subsidium charitativum oft genannten Steuern der Pfaffheit der Diözese; der Nachlaß unehelich geborener und die Zahlung (ferto) vom Nachlaß anderer Geistlicher; die Kanzleigebühren Siegelgelder usw.

Die ganze Fülle dieser Bischofsmacht sehen wir getragen und vollzogen weniger durch den Bischof selbst als durch seine Beamten. Diese Beamtenschaft, die seit dem XIII. Jahrhundert immer stärker heranwächst, stützt zunächst das Bestreben des Bischofs, dem Archidiakon und dem Domkapitel gegenüber die Regierung wieder fester in die Hand zu nehmen. Sie führt aber, je zahlreicher und organisierter sie selbst wird, allmählich zur fast gänzlichen Ausschaltung der persönlichen Tätigkeit des Bischofs auf dem Gebiete des Kirchenregiments.

Hauptfiguren unter diesen Beamten sind der Weihbischof, der Generalvikar und der Offizial.


Der Weihbischof, Vikar in pontificalibus, trat anfangs nur gelegentlich, bei Verhinderung des Bischofs, in Funktion, und hiefür bediente man sich zunächst etwa eines am Ort anwesenden, aus dem nordöstlichen Missionsgebiet Preußen Lithauen usw. vertriebenen Bischofs. Später, als die Lage des Christentums in jenen Gegenden sich gefestigt hatte, griff man auf [711] Bischöfe orientalischer Orte. Auch hier mochte es sich zunächst um vereinzelte Fälle und um zeitweilig unbeschäftigte Exulanten handeln; mit der Zeit aber, wie das Bedürfnis des Vikariats zu einem ständigen wurde, erhielt sein Inhaber, der als Stellvertreter in der Weihegewalt schicklich den Bischofstitel führen sollte, den Namen eines orientalischen Bistums, womit zugleich der dauernde Anspruch der Kirche auf diese Orte proklamiert wurde. Die Funktion selbst entwickelte sich zu einem ständigen Amte, dessen Geschäfte die Konsekration von Kirchen Kapellen Altären, die Benediktion von Glocken, die Erteilung der Weihen an Priester und Diakone, die Verheißung von Ablaß waren.

Inhaber des weihbischöflichen Amtes scheinen meist Mönche aus einem der Mendikantenorden gewesen zu sein, und noch bis zu Beginn des XV. Jahrhunderts funktionierte oft Derselbe gleichzeitig in mehreren Diözesen. So in Basel und Konstanz der Erzbischof Heinrich von Navarzan in Armenien 1345–1349 und der Bischof Jacob von Castoria in Griechenland 1384 bis 1389; so in Basel und Straßburg der Bischof Marcus von Chrysopolis in Arabien 1421. Auch der vielgenannte Peter Senn, ein Profeß des Berner Dominikanerklosters, war als Bischof von Zeitun in Griechenland zur gleichen Zeit Weihbischof von Basel und Konstanz. Aber seit den 1430er Jahren brauchte das Basler Bistum seinen Pontifikalvikar für sich allein; er hieß später dauernd Bischof von Tripolis in Syrien, und zwei namhafte Männer dieses Namens, beide Augustinermönche, schlossen die Reihe der alten Weihbischöfe: Niklaus Fries von Breisach 1456–1498 und Tilman Limpurger von 1498 bis zur Reformation.


Der Generalvikar ist der Vertreter des Bischofs in spiritualibus, in geistlichen Sachen.

Nicht in temporalibus. Nur vereinzelt, ausnahmsweise, hat sich ein Bischof einen Vikar auf dem Gebiete der weltlichen Regierung, der Landesherrschaft bestellt. Ein solcher ist z. B. der 1309 in Abwesenheit des Bischofs Otto die Bistumsgeschäfte führende Ritter Johann von Bärenfels. Ebenso hat die Tatsache, daß das Domkapitel 1335 den neugewählten Bischof Johann geloben läßt, keinen Generalvikar in temporalibus zu ernennen, der nicht Vasall oder Domherr der Kirche Basel sei, nicht allgemeine und dauernde, sondern nur momentane Bedeutung. Die Abrede zielt unverhohlen auf jenen gewaltigen Prior von St. Alban, den Johann Stocker, der als Vertreter des Administrators Johann von Chalon nicht viel weniger als der Fürst von Basel war. Er hatte den Vikariat ausdrücklich auch in [712] temporalibus inne und ließ das Domkapitel seine Kraft fühlen. Solche Herrschaft eines nicht zum Hochstift Gehörenden sollte fortan vermieden werden.

In der Tat finden wir seitdem nur noch Vikare in spiritualibus, die als Vertreter des Bischofs auf dem ganzen Gebiete seiner kirchlichen Regierung amtenden Generalvikare. Deutlich sehen mir auch, wie der Bischof in der Besetzung dieser Stelle sich immer freier vom Kapitel macht, der Generalvikar zum Beamten und immer mehr zur Kreatur des Bischofs wird. Noch unter Heinrich von Isny und Peter Reich zu Ende des XIII. Jahrhunderts hatten Dompröpste als Generalvikare, wohl nur in gelegentlicher Stellvertretung mit Sondervollmacht, funktioniert; später betreffen mir an diesem Amte, das mindestens seit den 1370er Jahren als ein ständiges erscheint, nur vereinzelt noch Domherren, zur Ausnahme auch einen Propst von St. Leonhard und einen Dekan von St. Peter, meist aber Domkapläne, sowie Offiziale oder Siegler des bischöflichen Hofgerichts.

Die letztere Kombination ist bezeichnend für das nahe Verwandtsein dieser beiden Funktionen der Verwaltung und der Rechtsprechung. Wir sehen den Offizial nicht nur judizieren, sondern auch kraft Spezialmandats Verwaltungsgeschäfte des Bischofs besorgen; und wenn schon die Scheidung der Kompetenzen immer bestimmter wird, so hat doch zuweilen dieselbe Person (Franz Boll 1379–1386, Bernhard Oeglin 1485, Heinrich Schönauer 1507) beide Ämter zugleich inne. Zuweilen (1446, 1456, 1502) führt bei Abwesenheit des Offizials der Generalvikar dessen Geschäfte. Bei seinen eigenen Amtshandlungen benützt er die Stube, das Personal, das Siegel der Kurie. Die Rechnungen zeigen, wie nahe die Betriebe sich sind; Administratives und Prozessuales werden durcheinander aus derselben Kasse bezahlt. Und dem Allem entspricht auch die häufige Verbindung des Generalvikariats mit dem Siegleramte.

Die Bedeutung des Vikariats wird durch solche Union nicht gemindert. Das Amt, dessen Inhaber den abwesenden Bischof vertritt und den anwesenden Bischof unterstützt, ist dem begrenzteren Auftrage, den der Offizial hat, unzweifelhaft überlegen. Der Generalvikar beherrscht das weite Gebiet kirchlicher Verwaltung und Regierung; außerdem aber hat er noch eine bestimmte richterliche Gewalt: die Jurisdiktion in Kriminalfällen.

Wie neben der Judikatur des Domdekans über kleinere Vergehen der Domkapläne dem Bischof die Kompetenz für Verbrechen dieser Leute zusteht, so ist er Richter in Strafsachen der Kleriker überhaupt und wird hiebei durch den Generalvikar vertreten. Nicht durch den Offizial; dieser lehnt [713] sogar die Kundschaftsaufnahme in Sachen ab, die „zum Teil das Blut möchten antreffen.“

Wiederholt begegnet uns der Bischof in Ausübung dieser geistlichen Richtergewalt: er legt 1388 den Domherrn Franz Boll, 1411 die Domherren von Hirzbach und Schürin ins Gefängnis. Ebenso 1435 den Leutpriester zu St. Martin Konrad Brunmeister, der des Beichtmißbrauchs beschuldigt wird, und 1501 den an einem Mitkaplan sich vergehenden Alexander Veltkilch zu St. Peter. Näheres über das Verfahren wird uns aber nur ein einziges Mal mitgeteilt, im Falle des der Päderastie beklagten Münsterkaplans Stocker 1474: der Domdekan führt hier die Untersuchung bis zum Geständnis und übergibt dann den Delinquenten dem Bischof, worauf der Generalvikar das Urteil fällt (lebenslängliche Einkerkerung bei Wasser und Brot).


Der dritte Diözesangewaltige ist der bischöfliche Offizial. Er kann, wie erwähnt worden ist, gelegentlich als Verwaltungs- oder Regierungsbeamter funktionieren. In der Regel aber und vor Allem behandelt er im bischöflichen Hofgericht, in der curia Basiliensis, als Einzelrichter alle Klagen Geistlicher und gegen Geistliche, auch in Zivilsachen, und alle Streitigkeiten um kirchlichen Grundbesitz; sodann gewisse Delikte, wie Wucher und Meineid; weiterhin Ehesachen und Testamente und Zivilrechtssachen überhaupt. Neben der streitigen Gerichtsbarkeit besorgt er in weitem Umfange die notarielle Beglaubigung; die Kanzleisprache weist auf diese doppelte Funktion mit den Worten, daß der Offizial in seinem Richthause sitze „Sachen zu hören und Recht zu sprechen.“

Was diese Beamtung auszeichnet, ist vorab ihre Kompetenz in der ganzen Diözese. Das Hofgericht ist Forum nicht nur für die Bischofsstadt, sondern für ein weites Land ringsum. Im tausendfältig belebten Zusammenhänge dieses Gebietes mit der großen Stadt am Rhein ist diese Gerichtszuständigkeit nur ein einzelnes Lebenselement, aber welch ein bedeutsames. „Je und je und solange Jemand gedenken mag, haben wir Basler dies geistliche Gericht gebraucht und vor ihm das Recht gegeben und genommen gegen Alle, die im ganzen Bistum gesessen sind“, schreibt der Rat 1447. „Dieses Gericht ist jeweilen Jedem frei und offen gewesen, sodaß die Äußern die von Basel und die von Basel wiederum die Äußern daran vorgenommen haben.“ Der entlegenste Sundgauer und Jurassier steht sogut unter dem Zwange dieses Gerichtes wie der nebenanwohnende Basler; wie hier in der Stadt auf Burg, so amten der Offizial und seine [714] Notare und die von ihm bestellten Kommissäre draußen im Bereiche des ganzen Bistums. Aber auch für die rechtsrheinische Nachbarschaft ist das Hofgericht auf dem Basler Münsterplatz ein viel aufgesuchter Ort: als Tribunal für Rechtsstreit und als Beurkundungsinstanz. In welchem Mähe das Gericht namentlich in der letzteren Beziehung, als großer zentraler Notariat, den Oberrheingebieten dient, zeigt neben vielem Andern der mächtige Vidimusband seines Archivs: der Adel und alle Klöster dieser Lande bringen ihre Urkunden, darunter die ältesten ehrwürdigsten Privilegien, zum Offizial nach Basel und sichern sie hier in beglaubigten Abschriften.

Charakteristisch sodann sind die Prozeßformen dieses Gerichts, ist die Geltung des kanonischen Rechts, ist die Verwendung der zuständigen Pfarrer zur Ladung vor Gericht und zur Exekution, ist namentlich der Gebrauch des Kirchenbannes als Strafe oder Zwang für Solche, die der Zitation nicht folgen oder dem Urteile sich nicht fügen.

Daß der Pfarrer unmittelbar als Gerichtsorgan dient und die Exkommunikation als Rechtsmittel, steht im Einklange mit der Natur dieses gerichtlichen Amtes, dessen Leiter der Offizial selbst stets ein Geistlicher ist; es mag auch solange und soweit angehen, als diese Judikatur im Bereiche kirchlicher Verhältnisse bleibt. Aber sie greift, wie wir wissen, weit über diesen Bereich hinaus, und damit wird auch dies „procediren mit dem Banne“ trotz allen Vorschriften der Kirche gegen Mißbrauch zur beängstigenden Plage und zur Anstößigkeit.

Als Offiziale treffen wir 1306 und 1316 Domherren; auch einige spätere Offiziale (Boll, von Laufen, dann wieder Oeglin und zum Luft) gehören dem Kapitel an. Dabei handelt es sich bezeichnenderweise stets um Bürgerliche, wie überhaupt der Offizial durch seine Stellung in der Organisation vom Domkapitel entfernt und auch sozial dem übrigen Beamtentum angeglichen ist. Aber dieser Mangel äußerer Vornehmheit wird wettgemacht durch persönliche Auszeichnung. Nicht nur im Gedanken an die großen Juristen Konrad Elie von Laufen und Heinrich von Beinheim, die 1391–1393 und 1430 –1435 als Offiziale genannt werden, sondern auch bei ihren Vorgängern und Nachfolgern im Amte – Heinrich von Sursee, Franz Boll, Peter Brenner, Johann Ner, Laurenz Kron, Matthäus Müller, Bernhard Oeglin, Arnold zum Luft – haben wir anzunehmen, daß lange Zeit hindurch das Beste baslerischer Jurisprudenz hier an der bischöflichen Kurie zu finden gewesen sei.

Was vom Offizial gilt, kann auch von seinen Beamten gesagt werden. Es ist ein großes Personal beisammen: Siegler Fiskal Notare Advokaten [715] Prokuratoren Pedellen proclamator cancellator taxator registrator Briefträger Briefträgerinnen Matronen. Wie schon im XIII. Jahrhundert die Prokuratoren und Notare fast durchweg Magister heißen, so finden sich solche Titel der Gelehrsamkeit auch in den folgenden Zeiten. Was dazu tritt, sind die Zeugnisse der Tätigkeit der jurati curie selbst: Tausende von Urkunden, zahlreiche Protokolle und Akten. Das Ganze ein Kreis von Kanzleipraktikern, die in Schrift und Formel bewandert sind, das Recht kennen und Jeden zu behandeln wissen.

Das bischöfliche Gericht hat sein Haus auf Burg und nimmt Teil an der Größe und Weihe dieses Bezirkes. Es ist das über der Stadt thronende, das „obere“ Gericht, die curia venerabilis.

Aber es ist nicht ohne Konkurrenz. Seine Judikatur stößt zusammen hier mit derjenigen des Domdekans und derjenigen des Archidiakons, dort mit der weltlichen des Schultheißen.

1. Über das Verhältnis des bischöflichen Hofgerichts zum Gerichte des Dekans erfahren wir nichts.

2. Die Kurie des Archidiakons oder Erzpriesters ist zuständig in dem schon genannten Bezirke der Stadt und der sieben freien Dörfer und kann daher hier als „inneres“ Gericht mit dem „äußeren“ Gerichte des Bischofs kollidieren. In Wesen Organisation Verfahren, sachlicher Zuständigkeit, Beamtenschaft ist sie diesem Gerichte gleich oder ähnlich. Aber sie tritt in der Überlieferung zurück und scheint in der Tat das schwächere Institut zu sein und dem über die weite Diözese herrschenden bischöflichen Offizial auch in dem nahen, an Geschäften und Streit so reichen Leben ihres städtischen Bezirkes die Vorhand zu lassen. Von ihren Urteilen kann an das bischöfliche Gericht appelliert werden.

Sie residiert neben diesem auf Burg, und wir hören nur selten von Streit der beiden Tribunale. Wiederholt gehen Beamte des einen Hofes zum andern über; Mathias von Neuenburg ist 1327 zugleich Prokurator, Konrad Anenstetter 1399, Johann Lingk 1486, Werner Beyel 1513 zugleich Notar sowohl hier als dort; 1352 und 1364 handeln urkunden und siegeln die Offiziale der beiden Kurien gemeinsam in derselben Sache.

3. Das Verhältnis der kirchlichen Gerichtsbarkeit zur weltlichen wird andernorts zu betrachten sein.

Zum Wesen dieses bischöflichen Regimentes gehörte, daß die Gebiete der weltlichen und der kirchlichen Herrschaft sich nicht deckten. In den sundgauischen Teilen der Diözese galt andre Fürstlichkeit, während hinwiederum die Residenz Pruntrut und die rechtsrheinischen Herrschaften in fremden [716] Bistümern lagen. In solchen, z. B. im lausannischen St. Imier und im konstanzischen Sulzburg, hatte der Basler Bischof auch einzelne kirchliche Rechte.


Wichtiger für uns ist das Verhältnis Kleinbasels. Wie Braunschweig in den Sprengeln Halberstadt und Hildesheim, Pont-à-Mousson in den Sprengeln Metz und Toul gelegen war, so stießen am Basler Rheine zwei Diözesen aneinander. Nur daß hier unmittelbar der Bischofsstadt selbst gegenüber das fremde Gebiet lag.

Wie kirchliches und weltliches Wesen sich schieden oder verbanden, konnte hier aufs Lebendigste empfunden werden.

Die Stellung des Klerus im Stadtrechte war natürlich seit der Vereinigung der beiden Städte hüben und drüben dieselbe und wurde durch die Verschiedenheit der Diözesen nicht berührt. Aber daneben zeigt sich in Manchem ein rheinaufwärts zur fernen Bischofsstadt hingewendetes Eigenwesen. Die Kleinbasler Kirchen waren Glieder des Landkapitels Wiesental; sie steuerten nach Konstanz; der große Konstanzer Bistumsstreit 1474 f. wirkte unmittelbar in Kleinbasel, wo der Leutpriester Surgant, die Klingentalerinnen und Andere dem Ludwig von Freiberg anhingen und deswegen durch kaiserliche Strafbefehle getroffen wurden usw. Namentlich aber verdienen die Gerichtsverhältnisse in Kleinbasel und seinem Hinterlande Beachtung.

Der Konstanzer Offizial unterhielt in Kleinbasel eine Schreibstube, 1429 mit zwei Prokuratoren. Bei Klagen von Klerikern wider Kleinbasler Laien lud er die Letztern vor, welche Zitationen freilich, wie der Basler Rat schreibt, „uß vermögen des alten herkommens nit zu kräften kamen“. Dagegen brauchten Basler Kreditoren gegen Schuldner in der Markgrafschaft die konstanzische Kurie. Es wiederholte sich dabei, was vom Gerichtstreiben des Basler Offizials im Sundgau verlautet. Namentlich der Unmut über das fremde Recht, die Kosten, die Bedrohung und Verfolgung mit geistlicher Zensur ist auch auf dieser Seite des Rheines unaufhörlich bezeugt. Ein Gerichtsbote, der Ladungen oder Bannbriefe bringt, wird durch die Leute von Wittlingen halbtot geprügelt; vor den Ötlingern flieht ein andrer in die Wiese, um nicht erstochen zu werden; in Binzen werden einem dritten die Briefe, die wohl in zwölf Dörfer bestimmt sind, genommen und verbrannt u. dgl. m. Dazu kam auch hier der Einspruch des Landesherrn. Zuletzt verständigten sich Markgraf Philipp und der Basler Rat 1488 darüber, zu Ermäßigung der Kosten den Konstanzer Bischof um Bestellung eines eigentlichen in Kleinbasel residierenden Kommissärs zu ersuchen, [717] vor dem diese Schuldsachen richterlich erledigt werden könnten. Aber der Bischof gab diesen Kommissär nicht, sodaß Markgraf und Rat 1490 die Sache auf andre Weise regelten: verbriefte Schulden sollte der Kreditor wie bisher einklagen können, wo ihm beliebte; für Handschulden dagegen sollte der Markgraf einen eigenen Richter nach Basel setzen.

Diese Bestellung eines markgräflichen Tribunals in Basel sah allerdings einem seltsamen Eingriff in die städtische Gerichtshoheit ähnlich. Faktisch aber geschah sie im Interesse der Basler selbst und war in ihrer Wirkung ein Analogon zum geistlichen Gerichte und eine Konkurrenz für dieses, indem der markgräfliche Richter die Befugnis hatte, alle Klagen von Baslern um Handschulden gegen Markgräfler anzunehmen und die Schuldner mit Gerichtszwang nach Basel zu laden. Es geschah dies zu den alle vierzehn Tage im Markgräfischen Hof an der Augustinergasse stattfindenden Sitzungen. Kein Geringerer als Sebastian Brant hatte das Amt inne; im April 1493 legte er es nieder, und wir erfahren nicht, wer sein Nachfolger wurde und wie lange dieses Gericht bestand. Für andre Sachen dauerte die Jurisdiktion des Konstanzer Offizialates in alter Weise fort.

Neben dem Konstanzer Gericht und seiner Filiale in Kleinbasel war auch das Gericht des Basler Offizials ein viel aufgesuchtes Forum für rechtsrheinische Geschäfte.

Wie Manches band außerdem noch die Mindere Stadt an die Kirche Großbasels! Der Konstanzer Bischof verhieß 1465 allen Gläubigen Kleinbasels und der ganzen Diözese Ablaß, die den Predigten in der Basler Kathedrale beiwohnten, und im großen Streite wegen des ultimum vale machte St. Theodor gemeinsame Sache mit den Großbasler Kirchen. Man war auf einander angewiesen und half sich. Als die Kleinbasler Müller und Bäcker 1408 wider die Gerichtsbarkeit des Basler Brotmeisters rebellierten, ließ sie der Bischof von Konstanz durch den Theodorspfarrer zum Gehorsam auffordern, unter Androhung schwerer Strafen. Die Mendikanten und die Leonhardsherren von Basel hatten Erlaubnis, auch in der Konstanzer Diözese zu predigen, Beichte zu hören, Bußen aufzuerlegen; die Kollekten für den Basler Münsterbau wurden auch dort zugelassen und von oben herab gefördert. Der Basler, nicht der Konstanzer Weihbischof konsekrierte 1405 die Heiligkreuzkapelle vor dem Riehentor, 1408 die St. Annakapelle vor dem Bläsitor, 1488 die Karthäuserkirche, 1514 die Allerheiligenkapelle. Alles dies, weil er zur Hand und den Leuten ein wohlbekannter Nachbar war. Denn geradezu als Last und Nachteil empfanden es z. B. die Karthäuser, daß sie für die Ordination ihrer Novizen, die Konsekration ihrer Gebäude, [718] den Bezug von Chrisma und heiligem Oel sich immer an den entlegenen Bischof zu Konstanz wenden mußten; 1447 erlangten sie vom Konzil die Vollmacht, für alle diese Dinge den Basler Bischof zu gebrauchen, und 1450 wurde auch dem Klingental bewilligt, daß die Konfirmation seiner jungen Schwestern durch den Basler Vikar geschehen könne.

Da Kleinbasel vielfach „durch Priester, die im Basler Bistum gelehrt worden, unterwiesen und erzogen“ wurde, auch Volk und Geistlichkeit der beiden Städte sich unaufhörlich in Gottesdiensten Prozessionen usw. zusammenfanden, waren die Verschiedenheiten der links und rechts vom Rheine geltenden Meßliturgie, des Ritus, des Kalenders störend und lästig. Man strebte nach Vereinigung auch auf diesem Gebiete. Daher z. B. 1484 bei der Stiftung einer Psalterlektion am heiligen Grabe zu St. Theodor ausdrücklich bestimmt wurde, daß gelesen werden solle „in allem ton und wise wie in u. f. Münster zu Basel“ und der neugewählte Leutpriester Wishor 1507 der Gemeinde versprechen mußte, die Basler Gesangbücher zu verwenden. Aber noch 1512 wurde in Kleinbasel der 24., in Großbasel der 25. Februar als Mathiastag gefeiert. Erst im Januar 1517 kam es zu einer grundsätzlichen und umfassenden Ordnung dieser Dinge, indem der Legat Ennius auf Begehren der Kleinbasler den im Basler Münster geltenden ordo ritus et modus auch für die Kleinbasler Kirchen maßgebend erklärte.


Der Rhein war in Basel nicht nur Bistümer-, sondern auch Erzbistümergrenze. Besançon und Mainz trafen sich hier. Doch erscheint der Metropolit von Besançon selten in den Basler Angelegenheiten. Höchstens läßt er sich bei Konfirmation einer Bischofswahl vernehmen; am 3. September 1473 beim feierlichen Empfange Kaiser Friedrichs war Erzbischof Karl hier anwesend nicht als geistlicher Herr, sondern als Fürst des Reiches.


Aber in den Grenzen der Diözese war nicht beschlossen, was kirchliche Herrschaft in Basel hieß. Von der an kein Lokales gebundenen Macht der Orden ist schon die Rede gewesen; noch weiter hinauf, nach einer einzigen und zentralen Regierungsgewalt höchster Art, blickten Kirche und Stadt. Dies war der Papst in Rom und von 1309 an jahrzehntelang in Avignon.

Er herrschte auf Erden als Stellvertreter des himmlischen Christus; er war als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus auf dem römischen Bischofsstuhle der alleinige Herr der Kirche. „Mit ausschließlichem Gesetzgebungsrechte, mit freier Dispensations- und Privilegiengewalt, mit oberster richterlicher Autorität, mit uneingeschränkter Regierungsmacht.“

[719] Neben den großen politischen und weltlichen Beziehungen, die auch die Geschichte unserer Stadt bewegten, handelte es sich doch vor Allem um die Leitung der Kirche selbst; aber das Eigenartige hiebei war, daß der Papst kraft seiner plenitudo potestatis nicht nur als oberste Instanz wirkte, sondern alltäglich und bis ins Kleinste mit jeder ordentlichen und örtlichen Autorität in Konkurrenz und an ihre Stelle trat.

Am stärksten zeigte sich dies in dem vom Papste geübten unmittelbaren Verfügungsrecht über alle Ämter der Kirche, im Verfahren der Provision, der Exspektanz und der Reservation. Der Papst verlieh erledigte Stellen direkt oder er gab die Anwartschaft auf Stellen für den Fall ihrer Erledigung. Das Eine wie das Andere über die ordentlicherweise zur Wahl Berechtigten hinweg. Auch machte er dies Recht geltend nicht nur für bestimmte Ämter und Personen kraft besondern Erlasses im einzelnen Falle, sondern auch durch allgemeine Bestimmungen, denen zufolge gewisse Klassen von Pfründen für immer der direkten päpstlichen Besetzung vorbehalten sein sollten.

Es war ein Verfahren, das sich nur im Allgemeinen rechtfertigen ließ aus der Anschauung völliger Unbeschränktheit der zentralen kirchlichen Regierungsgewalt und nur ausführbar war, weil diese Gewalt sich Gehorsam zu erzwingen vermochte kraft der göttlichen Vollmacht, auf der sie anerkanntermaßen ruhte. Ob und in wie weit aber das Vorgehen der Kurie im einzelnen Falle nicht initiativ, sondern durch Einflüsse oder Begehren örtlicher Natur veranlaßt war, ist mit Sicherheit nur selten festzustellen. Willkür Gunst, finanzielles Bedürfnis, bestehende Parteiungen, aber auch Notwendigkeit Einsicht Gerechtigkeit konnten wirksam sein.

Auf diesem Wege, durch päpstliche Provision, erhielt Basel seit der Erhebung Heinrichs von Isny 1274 seine Bischöfe. Immer wieder zwar hatte das Domkapitel sich seines Rechtes erinnert und eine Wahl vorgenommen; der von ihm Erkorene war dem Manne der Kurie zunächst jeweilen unterlegen. Auch die Wahl Johann Senns 1335 machte keine Ausnahme; das Kapitel hatte ihn gewählt, aber Papst Benedikt nötigte den Senn, auf alle Rechte aus dieser Wahl zu verzichten, und ernannte ihn dann seinerseits. Nach kurzer Störung dieses Verlaufs in der schismatischen Zeit wurde Regel, daß das Domkapitel jeweilen den Bischof wählte, der Papst aber unter Ignorierung oder Kassierung dieser Wahl formell den Gewählten providierte. Es war ein Verfahren, das den die Unabhängigkeit vom Kapitel liebenden Bischöfen nur willkommen sein konnte.

Der Papst blieb jedoch nicht beim Bistum stehen, sondern schaltete frei und mächtig durch alle Stufen der Basler Hierarchie hindurch. Am [720] zahlreichsten sind seine Ernennungen an Kanonikate des Doms und St. Peters, sowie an Kaplaneien dieser beiden Kirchen. Auch der Plebanat und einzelne Kaplaneien zu St. Martin werden gelegentlich durch ihn vergeben, ebenso die Leutpriesterei zu St. Alban. Neben Provisionen finden sich auch päpstliche Bestätigungen von Wahlen, die schon durch den Ordinarius geschehen sind, z. B. 1360 der Wahl des Otman Nieß als Leutpriesters zu St. Martin, und der Grund solcher Konfirmation wird zuweilen offen genannt: die Pfründeninhaber sind im Zweifel über die Rechtsgiltigkeit der durch den ordentlichen Kollator ihnen gemachten Verleihung und verlangen für alle Fälle die Bekräftigung ihres Besitzes durch den heiligen Vater.

Es fällt uns schwer, die Tatsächlichkeit und Erträglichkeit eines solchen Zustandes uns klar zu machen. Denn jeder einzelne Fall von Provision war ein Eingreifen in bestehende Rechte und persönliche Verhältnisse, das, wenn es auch von einer unbestreitbar höchsten Machtfülle getragen war, doch meist als gewalttätig und Vielen als widerwärtig erscheinen mußte. Dem Gewählten freilich gab es das Bewußtsein, in seinem Amte durch eine, mit keiner andern Erdenmacht zu vergleichende Autorität gedeckt zu sein. Dem Kaplan im kleinen Bereiche seiner Altarpfründe sogut wie dem Bischof, den der Papst regelmäßig durch feierliche Erlasse und Befehle an Domkapitel Stiftsvasallen Klerus und Laienvolk in seine Diözese einführte. Wie die Macht des Papsttums durch das Verfügen über den weiten Ämterbesitz der Kirche immer mehr gestärkt wurde, so hob die unmittelbare Betätigung des obersten Kirchherrn für das einzelne Amt auch dieses selbst und seinen Inhaber. In dem mächtigen direkten Zusammenhang des Allgemeinen mit dem Einzelwesen, in dieser über alle Hemmungen hinwegreichenden Kraft lag unzweifelhaft etwas Großes.

Aber das Niedere trat hinzu dadurch, daß die Ämtervergebung zum finanziellen Geschäfte wurde. Wer von der Kurie ein Amt erhielt hatte ihr für diese Verleihung eine Abgabe zu entrichten: die Bischöfe das servitium, das einen Drittel der jährlichen Einkünfte betrug; die Inhaber anderer, nicht im Konsistorium verliehener Stellen die Annate d. h. die Hälfte des an Hand der Zehnteinschatzung festzustellenden Einkommens des ersten Jahres. Daß ein solches System rasch ausartete, ist natürlich. Statt der Ämterverleihung konnte die Welt einen Verkauf von Benefizien sehen. Zum Abgabenwesen gesellte sich das Sportelnwesen, und neben den Servitien und Annaten an die Kammer selbst mußten erhebliche Beträge noch an die Kammerbeamten und Bedienten persönlich abgeführt werden. Im höchsten Grade anstößig war auch hier, wie die Kurie für Versäumnis [721] fälliger Zahlungen dieser Art die geistlichen Strafen zur Anwendung brachte und um ihrer Geldgeschäfte willen das Seelenheil der Gläubigen in Frage stellte. Aber um Geld gewährte sie Alles. Peter von Bebelnheim besaß außer der Basler Domscholasterei und Kanonikaten zu St. Amarin Colmar Säckingen und Konstanz noch beinah ein Dutzend Pfarrpfründen und hatte bei alledem nicht einmal die Weihen. Es war ein skandalöser Fall, den der Papst nicht dulden durfte. Aber auf Fürsprache der Königin Agnes sowie des Bischofs Johann von Basel, die das Greisenalter Peters geltend machten, schloß die Kurie mit diesem einen Handel: er resignierte 1343 alle seine Pfründen und, nachdem er zweihundert Gulden an die Kammer gezahlt hatte, erhielt er die große Mehrzahl dieser selben Pfründen aufs Neue. Vielleicht war auch sein Bau einer Kapelle beim Münster, gleichfalls 1343, eine Sühne oder ein Einkauf in die Gnade des Bischofs.

Wie aber Politik und Habsucht hier die Kurie auf ihrer Bahn immer weiter trieben und dort die Opposition immer gereizter wurde, wie sich das wirtschaftliche Interesse gegen die Ausbeutung und der nationale Sinn gegen die fremden „Kurtisanen“ erhob, die als Höflinge ihre Ernennung an der Kurie erworben hatten und nun über die Alpen kommend hier sich der Pfründen bemächtigten, dem einheimischen Klerus so unbequem wie den Gemeinden, – dies Alles zu schildern ist nicht Aufgabe unserer Stadtgeschichte. Papst Martin V., dann das Basler Konzil suchten den Mißbräuchen und Klagen durch eine grundsätzliche Regelung zu begegnen; doch gelang eine solche erst 1448 durch das Wiener Konkordat, wobei der Papst die in den ungeraden Monaten (Januar März Mai usw.) zur Erledigung kommenden Benefizien sowie diejenigen der an der Kurie sterbenden Kleriker zur Besetzung zugewiesen erhielt. Auf dieser Grundlage wurde seitdem gehandelt, alternativ zwischen der Kurie und den ordentlichen Verleihungsberechtigten. Aber auch so war der Willkür noch immer das weiteste Feld geöffnet, wenn das geistliche Amt samt all den Interessen zum Teil höchster Art, die mit ihm verbunden waren, zur Ware auf dem römischen Markte wurde. Hier an der Kurie, im Gedränge der Sollizitanten und Streber, vielleicht nur um des Geldes oder eines andern Vorteiles oder einer Intrigue willen, wurde die Pfründe vergeben an irgend einen der zahllosen Kleriker aus aller Welt, die hier ihr Glück suchten. Nun hatte das Amt seinen Mann, und dieser mochte sich auf den Weg nach Norden machen, um „mit römischem Pergament und Blei“ das Amt einzunehmen, das der Besorgung wartete. Wie der Kölner Friedrich Vanderheghe und, als dieser in Rom vor Ausfertigung der Bulle starb, sein Landsmann Johann [722] von Imghed 1456 eine Basler Domkaplanei, 1458 Jacob Tuissandi aus Macon eine Kaplanei zu St. Martin erhielt, so unzählige Andere, lauter wildfremde Menschen, die sich nun hier zurechtfinden und mit denen die Kollegen und die Gläubigen auskommen sollten. So grandios die Vorstellungen einer universalen Kirche und einer zentralen allmächtigen Kirchengewalt auch waren, so schwer trugen doch Alle an dieser ihrer Konsequenz. 1525 machte die Stadt dem ganzen Unwesen ein Ende: der Rat beschloß, die in den Papstmonaten vakant werdenden Pfründen zu der Obrigkeit Handen zu nehmen und nach freiem Willen zu vergeben.

Servitien und Annaten waren nicht die einzigen Bezüge der apostolischen Kammer. Als Bischof Gerhard von Basel 1325 gestorben war, schlug Papst Johann die Hand auf den Nachlaß. Auch von den päpstlichen Zehnten, die im Basler Bistum erhoben wurden, ist wiederholt die Rede: 1302–1304, 1317–1319, 1368 usw. Auch Subsidiengelder d. h. freiwillige Beisteuern der Prälaten flossen z. B. 1317 und 1363 aus Basel nach Rom.

Aber wie Unzähliges tritt nun neben diese Ämter- und Steuersachen. Rom hat die Universalmacht, zu binden und zu lösen, sodaß kaum ein Vertrag geschlossen, ein Versprechen gegeben wird ohne die feierliche Zusage, keine dieses Abkommen aufhebende „Freiheit noch Gnade“ vom päpstlichen Stuhl erwerben zu wollen. Wie der Papst die Bischöfe ernennt, als gäbe es weder Domkapitel noch Wahlrecht, so kann er bei allem Andern über die ordentlichen Instanzen hinweg handeln. Er gibt 1487 seinen Konsens zur Translation einer Pfründe aus der Elisabethenkirche in die Peterskirche und gestattet 1441 dem Ulrich Freidigman den Gebrauch eines Tragaltars. Wie Wunnewald Heidelbeck und seine Frau 1453 ihren Ehevertrag dem Papste zur Bestätigung vorlegen, so tritt Hans Zscheckabürlin 1464 vor ihn als Kläger wider den Predigermönch, der die Margaretha Zscheckabürlin zur Herausgabe ihres Vermögens nötigen will. Alles findet den Weg nach Rom und in Rom selbst seine Erledigung: Streitigkeiten über den Bau eines Kaplaneihauses in der Rittergasse, Dispensbegehren Absolutionsbegehren Ablaßbegehren usw. Rat und Bischof kompromittieren bei ihrem Streite 1375 auf den Papst; Stadt und Kirchherren bringen ihm 1490 die Begräbnisordnung. Er nimmt die Klöster in seinen Schutz, er gibt ihnen Konservatoren, er gestattet ihnen die Inkorporation von Kirchen. Er bestätigt der Stadt den Erwerb Kleinbasels und die bischöflichen Pfandschaften, er gibt ihr den Patronat der Heiligkreuzkapelle, und unter Umständen findet sie bei ihm Hilfe auch gegen den Klerus, so z. B. beim Eintritt des Bürgerlichen zum Luft in das Domkapitel.

[723] Die Beispiele ließen sich aus den Akten Basels verhundertfachen und würden auch dann nur Fragment sein. Einzig die Registratur der Kurie selbst gibt ein Bild von der ungeheuren Gedrängtheit und Ausdehnung dieses Verkehres; sie wird unmittelbare Quelle lokalster Forschung; sie macht uns mit Menschen und Dingen unserer Stadt bekannt, von denen wir sonst nichts vernehmen. Der kleinste Kaplan kann den großen Augenblick einer Berührung mit diesem Zentrum der Kirche erleben und sichert dadurch sein Andenken. Denn die Kurie ist zu Allem berechtigt und kümmert sich um Alles; dieses Weltregiment arbeitet mit dem Eifer der eine Diözese leitenden bischöflichen Kanzlei. Wobei natürlich die Geschäfte in einer Weise anschwellen, daß ein Übersehen der Masse und eine ruhige Behandlung des einzelnen Falles kaum mehr möglich ist und verdrießliche Fehler begangen werden wie die gleichzeitige Providierung mehrerer Personen auf dieselbe Pfründe, u. dgl. m.


Rom war nicht nur die Quelle aller kirchlichen Gewalt und aller kirchlichen Rechte. Es erschien auch als die Schatzkammer des Heils und der Gnade. Jeder Gläubige wurde zu dieser hingewiesen. Jede Pfarrei war ihr Vorhof. Aber Rom war auch seit Alters das Haupt der Welt; neben der Macht der curia Romana waltete die ungeheure historische Wirkung der ewigen Stadt.

Lebendig, beinahe körperlich zeigt sich uns dieses Verhältnis zu Rom in der Romfahrt.

Das Reinste und das Erhabenste, zugleich auch das die größten Massen Umfassende war jedenfalls die spezielle Romandacht, die Sehnsucht der Rompilger. All die Jahrhunderte hindurch stiegen Basler über die Alpen, diesem Ziele zu; unter ihnen zahlreiche Kleriker, denen das Gebet bei den Apostelgräbern und das Anschaun des heiligen Vaters noch mehr bedeutete als den profanen Weggenossen. Auch Klosterleute zogen hinüber; so groß war der Trieb bei den Predigermönchen, daß der Orden Maßregeln gegen die vagi discursus fratrum in Romanam curiam treffen mußte. Auch an die sich hinbettelnden Scholaren, an Gelehrte Humanisten Künstler haben wir zu denken. Die Welt lag Rom zu Füßen, und die Beschwerden der weiten Reise hielten nicht zurück. Als ein Kaplan des Klaraklosters 1463 auf dem Wege nach Rom das Gebiet des im Kirchenbanne stehenden Herzogs Sigmund betreten hatte in der irrigen Meinung, der Bann sei aufgehoben, verfiel auch er der Exkommunikation; er mußte in Rom absolviert werden. Den Übeltaten gegenüber, die namentlich in [724] den 1480er Jahren die Pilgerstraßen bei Rom unsicher machten, hielt Papst Innocenz selbst eine offizielle Rechtfertigung oder Beschönigung, durch einen auch an die Stadt Basel abgeordneten Gesandten, für nötig.

Das Ganze war eine Erscheinung, die als Gesamtheit mächtigster Art unsere Aufmerksamkeit fordert, während nur wenige Einzelheiten dabei zur Geltung kommen. So z. B. jener arge Gotteslästerer, den der Rat aus Basel verbannte; er sollte nicht wiederkehren dürfen, ehe er in Rom, dem Orte der einzig möglichen Sühne, gewesen sei; oder das ergreifende Bild der Bußprozession von hundert vornehmen Baslern nach Avignon 1349.

Aber Basel wurde auch als unausweichlicher Transitplatz beständig von hin- und herflutenden Romfahrten bewegt. Die meisten Pilger aus dem Norden zogen hier durch, erst auf der Hinreise. Dann wieder auf dem Rückweg, froh, hier ins Schiff steigen zu können, wie der Lüneburger Albert van der Molen 1454, der sich hier mit unverkennbarem Behagen rüstet und verproviantiert. Auch Spuren anderer Art liegen von solchen Passanten vor uns: ein Bündel päpstlicher Dispens- und Provisionsurkunden von 1465 für Irländer aus den Diözesen Kildare Ardagh Meath, die wohl im Basler Spital gestorben sind. Eine Klingentaler Urkunde erzählt uns: im September 1390 kam eine vornehme Dame aus Aachen auf dem Romwege nach Basel und gab der Priorin eine kostbare perlengestickte Borte in Verwahrung; eine zweite verkaufte sie ihr und erhielt eine Anzahlung an den Preis; aber im folgenden Frühling war die Frau nicht mehr vorhanden; ihre Magd, die sie begleitet, kehrte allein zurück und bezog Guthaben und Depositum.

Auch noch Anderes trieb die Menschen nach Rom.

Vor Allem erinnern wir an die jedem Bischof vorgeschriebene visitatio liminum, bei der er dem Papste zu huldigen und über die Lage seines Bistums Auskunft zu geben hatte. Der Basler Bischof sollte diesen Pflichtbesuch alle zwei Jahre abstatten; aber Bischof Arnold entschuldigte 1452 sein Ausbleiben mit dem schlechten Stande der Bistumskasse und erfüllte die Pflicht erst 1456, aber auch dann nicht persönlich, sondern durch einen Vertreter.

Sodann die wichtige Gruppe städtischer Gesandter. Die Streitigkeiten mit Johann von Vienne und die Anfänge des Schisma gaben dem Rat wiederholt Anlaß zu solchen Legationen; andere folgten wegen der Vorbereitungen zum Konzil usw., dann in den Zeiten des Pius und in den 1480er Jahren u. s. f. Neben den klugen Herren des Rates (Offenburg Irmi Zeigler Grieb) mußte sich zuweilen einer der guten Basler Juristen [725] (Meister Mathis 1374, Helmut Durlach), ein Domherr oder der Peterspropst auf den Weg machen, und außerdem hatte der Rat jeweilen noch ständige Agenten unter den römischen Kurialen selbst. Unverkennbar bildete sich dabei eine Praxis auch hier im Rathause; man lernte, wen man in jedem Falle zu schicken, wie man zu schreiben, wie viel Geld man daran zu setzen habe; mit der Fertigkeit erwarb man auch die Geduld, die dazu gehörte, an der Kurie eine Sache zu führen.

Endlich die Vielen, die in ihren eigenen Geschäften zum Papste gingen. Die Supplikanten, die Glücksjäger, die Kläger und die Beklagten. Diejenigen, die eine Pfründe oder ihr gutes Recht, einen Gnadenbrief oder eine gerichtliche Verfügung suchten. Aber wie Manches war dabei durch sie zu überwinden. Eine Menge Menschen wollte begrüßt geehrt bezahlt sein, und der Ankommende durfte sich freuen, wenn er in der Weltstadt Landsleute fand, die Ort und Menschen, Sprache und Gewohnheiten, Mittel und Wege schon kannten und dem Neuling halfen. Zu Avignon in der Palastgarde stand schon 1350 Hüglin von Schönegg; in Rom waren ansässig 1430 der Bäcker Nicolaus von Basel, 1485 der Bankier Herman Gatz usw. Die beste Förderung war natürlich bei Denen zu finden, die ein Amt an der Kurie selbst, einen Platz im Vorzimmer und am Tisch eines Prälaten hatten: bei den Prokuratoren Johann und Pantaleon von Basel 1326, 1341–1350, Johann Phunser 1460 f., Lux Conrater 1488 f. usw.; Kommensalen des Kardinals von Santa Sabina waren die Basler Heinrich Müller 1454, Balthasar Spitz 1455, Marcus Decker 1457. Alle diese in Rom beschäftigten Basler hatten zur gleichen Zeit auch Pfründen zu Hause und kehrten heim, wenn sie es zu einer Propstei oder einem Dekanat gebracht hatten. Wechselvolle Existenzen, deren sich uns z. B. in dem vielgenannten Ciriacus Leckstein eine sehr lebendige zeigt: als Vikar von Fritzlar kommt dieser 1443 ans Konzil, wird Basler und ist seit 1450 beim Petersstift Chorherr; aber hier anzutreffen ist er fast nie; er hat auch eine Chorherrnpfründe zu St. Victor in Mainz; eine in Basel ihm angetragene Universitätslektur lehnt er ab und geht nach Rom, wo er als Abbreviator und Notar lebt und die Geschäfte des Basler Rates besorgt; dort stirbt er auch.

Glücklich, wer einen solchen Helfer findet. Denn mühselig und langsam geht das Geschäft vorwärts. Wer irgend etwas sucht, hat sich stets aufs Neue zu melden, kein Bescheid wird zugefertigt, er muß abgefordert werden. Der Bewerber oder Prozessierende hat, wenn er nicht persönlich anwesend ist, seinen Sachwalter bestellt, und dieser gewinnt sich einen offiziellen [726] Prokurator, der die Sache durchficht. Einwirkungen Nebenwege Intriguen aller Art sind vonnöten. Nachdrücklich schreibt der Rat, wenn eines seiner Geschäfte bei der Kurie hängt und nicht vorwärts rückt, an einen der hohen Herren im Konsistorium, den er sich gewogen weiß, und bittet um dessen Hilfe; 1485 gewinnt er sich als Unterhändler einen Barfüßer von Aracoeli. Dem Lux Conrater schickt er einen Wechsel über dreiundzwanzig Dukaten und verspricht, alle Kosten der Bulle zu bestreiten, seine Mühe und Arbeit gut zu honorieren. Denn das Geld darf in diesen Dingen nicht gespart werden. In den umfangreichen Kostenzetteln der städtischen Gesandten fehlen neben den großen Summen nicht die Trinkgelder an Sekretär und Abbreviator und deren Diener, nicht die Kosten eines dem Kardinal von San Marco verehrten Zelters. Auch die Karthäuser wissen sich in ihrem Streit mit dem Domkapitel zu helfen, und ganz offen erzählt es ihr Chronist; quia notum est pecunie omnia obedire.

Die große Mehrzahl dieser Streitigkeiten gelten der Ämterverleihung, sind ein litigare pro beneficio. Bei keinem andern Geschäfte so sehr wie bei diesen zeigt sich, daß Rom überall und Alles in Rom ist. Die vatikanischen Akten sind voll von diesen Dingen, und fast hörbar klingt aus ihnen der Lärm des unaufhörlichen Heischens und Zankens. Dort an der Kurie wird suppliziert insistiert verhandelt gezahlt resigniert entschieden usw., und unterdessen muß die Pfründe, muß vielleicht eine ganze Gemeinde zu Hause warten oder ist in unbefugten Händen.

Angenehm ruhige Gestalten neben solchem Treiben sind die Geistlichen ohne Geschäfte. Diejenigen z. B., die wir unter den Mitgliedern der deutschen Animabruderschaft, der internationalen Heiliggeistbruderschaft in Rom finden. Einige empfangen hier oft ihre Weihen. Die St. Peterschorherren Konrad Fabri 1367 in Avignon und Bernhard Müller 1478 in Rom, hier auch der Domherr Wilhelm von Hemsberg 1453. In der schönen Kirche der Anima wird am Sylvestertage 1498 der Basler Weihbischof Tilman Limpurger konsekriert; derselbe, der drei Tage darauf in Gegenwart zahlreicher Kardinäle und Bischöfe, des venetianischen Gesandten und Anderer bei den Exequien des Augustinergenerals Marianus de Genazzano die Messe liest. Auch ohne solchen Glanz kann Jeder dies Verweilen in Rom als Höhe seines Klerikerlebens erkennen und gleich dem Domkaplan Brilinger den Tag des urbem intravi in der Erinnerung festhalten. Auch ihm ist in diesen heiligen Mauern Alles beseelt. Wie Mancher vermag nicht mehr heimzukehren, auch wenn er sich hier in aller Dürftigkeit, etwa als Kopist, durchs Leben schlagen muß; er bleibt hängen gleich jenem Kirchherrn von Maisprach, [727] der seine Gemeinde, und dem Bernhard Schuffuth, der seine Peterspropstei dahinten läßt.

Zuletzt stirbt er in Rom, und auch an ihm erfüllt sich das Geschick der bei der Kurie ihr Leben schließenden Kleriker: der Papst verfügt über seine Pfründe und bezieht seinen Nachlaß.


Nun aber die mächtige konstante Gegenströmung aus Rom in alle Welt und nach Basel.

Den Papst bekam unsere Stadt zu sehen, als durch die Konzilien die gewohnte Ordnung päpstlichen Wesens und Residierens unterbrochen war. Martin V. freilich reiste auf dem Heimwege von Konstanz an Basel vorbei, und der Rat konnte ihm nur in Olten huldigen; Basel hatte statt seiner kurz darauf, im April 1419, den abgesetzten Johann XXIII., jetzt wieder Balthasar Cossa geheißen, zu empfangen und zu beschenken. Dagegen wurde Basel Papststadt des am Konzil gewählten Felix V. So kurze Zeit dieser hier wohnte, vom Juni 1440 bis zum November 1442 und vom August 1446 bis zum Januar 1447, haben wir dies Residieren doch ernst zu nehmen. Erst der Ramsteinerhof, dann der Bischofshof war in diesen Monaten apostolischer Palast, wo Hof gehalten und, soweit es nur anging, more curie Romane gelebt gearbeitet und regiert wurde. Der Papst hatte seine camera paramenti sogut wie eine capella magna; er hielt consistorium secretum und consistorium publicum; er erteilte Pilgern die Segnung und weihte die Osterlämmer. Sein auditor camere übte die Jurisdiktion über alle Geistlichen, die des Papsts oder des Konzils wegen nach Basel kamen, sein Marschall über alle zum päpstlichen Hof und zum Konzil gehörenden Laien. Das Ganze erscheint als ein, wenn auch nur episodenhaftes Erlebnis, dessen sich kaum eine andere Stadt des Nordens rühmen konnte.

Um so dauernder war die Beherrschung aus der Ferne durch schriftliche Erlasse und durch persönliche Botschaft.

Wir nennen vorweg die untergeordneten Boten wie jenen Kurier, durch den Innocenz VIII. den Baslern seine Wahl anzeigte.

Dann aber die zahllosen Nuntien Oratoren und Kommissäre, die Exekutoren und Delegierten in Verwaltungs- und Gnadensachen; mit ihnen etwa Diejenigen selbst, die bei der Kurie das Ihre erlangt hatten, vor Allem die Pfründensieger jeder Art vom Einheimischen bis zum wälschen Kurtisan. Sie Alle kamen herüber mit ihren Dokumenten und Mandaten, gegen die Bischof Johann 1429 einschritt, indem er, mißtrauisch und ordnungsliebend, [728] künftig eine Exekution nur solcher Mandate zulassen wollte, die seine oder seines Offizials Beglaubigung trügen. Es ist eine bunte und bewegte Reihe, und die lebendigsten Gruppen sondern sich aus. Zumal jene aller Welt und jeder Schwierigkeit gewachsenen, in ihrer Wahl der Mittel ganz unbedenklichen klerikalen Geschäftsleute vom Schlage des Emerich von Kemel, des Burchard Stör, des Peter von Kettenheim u. dgl.; näheres Betrachten der Tätigkeit dieser Männer zeigt, wie sie den Päpsten in allen möglichen Dingen als Agenten zu dienen verstehen und dabei mit einer bisweilen maßlosen Benefizienhäufung auf ihre persönliche Rechnung kommen. Anderer Art wiederum ist die große Gruppe der mit Ausübung päpstlicher Schutz- und Gerichtsgewalt betrauten Konservatoren; sie heißen römische Richter, ihre Jurisdiktion das römische Gericht.

Zunächst scheinen solche Konservatoren den Orden im Ganzen gegeben worden zu sein; dann begegnen sie uns mit speziellem Auftrag für ein einzelnes Kloster. Und wie Ordenshäuser, so erhielten auch Andre ihre Konservatoren: der Bischof, das Domkapitel, das Spital usw. Meist war es ein Kollegium von Dreien, mit Auswahl der Mitglieder aus verschiedenen Diözesen (Basel Konstanz Straßburg), sodaß das Stift oder Kloster überall, wo sein Gut lag, einen Beschirmer hatte. Als Basler Konservator finden wir am häufigsten den Propst von St. Peter, dann den Offizial, den Prior von St. Leonhard; als Auswärtige den Abt von Himmelspforte, den Propst von Jung St. Peter in Straßburg usw.

Der Auftrag der Konservatoren lautete, den Besitz und das Recht der Schirmbefohlenen zu schützen und bei Beeinträchtigung Richter zu sein. Zuweilen erhielten auch ganz spezielle Fälle und Rechtsverhältnisse ihren römischen Richter, wie z. B. der Patronat der Familie Offenburg über die Niklauspfründe im Gerner bei St. Peter.

Natürlich war der Konservator nicht die einzige richterliche Instanz, die dem Kloster usw. zur Verfügung stand, und auch nicht die am meisten gebrauchte. Vielmehr stets ein Ausnahmetribunal. Aber sein Wert lag in der über Alles hinweg geltenden Zuständigkeit. Bei seinen Prozessen handelte es sich meist um Klagen des Klosters wider auswärtige Schuldner und auswärtige Besitzstörer, daneben aber auch um Klagen, die beim Konservator gegen das betreffende Kloster selbst erhoben wurden. Das Steinenkloster z. B. räumte dies bei Zinsverkäufen wiederholt ein. Die Karthäuser hatten sich 1452 vom Papst Nicolaus das Privileg geben lassen, daß Niemand sie vor den Konservator eines andern Ordens laden könne, sondern vor ihrem eigenen Konservator suchen müsse; aber der Prior Lauber fügte [729] ruhig bei: si nobis placuerit, alias non; quia conservatores ordinis nostri dati sunt pro nobis, non contra nos.

Mit Ladungen Mahnungen Inhibitorien usw. betrieben diese Konservatoren die Sache, und ihre Urkunden, meist in der Kanzlei der bischöflichen Kurie geschrieben und besiegelt, führen uns mitten hinein in die Wirkung dieser merkwürdigen Institution. Was sie geschaffen hatte und stützte, war die Überzeugung von der Allgewalt der päpstlichen Zentralregierung. Ohne eine solche würde die Tätigkeit dieser in alle bestehenden Rechts- und Judikaturordnungen sich drängenden Instanz unmöglich gewesen sein. Von wie großartiger Unbekümmertheit und von welcher Verachtung aller staatlichen und kirchlichen Machtgrenzen war z. B. die Bestellung des Straßburger Bischofs als Konservator der Rechte der in allen Teilen der Welt mit Ausnahme Frankreichs weilenden Dominikaner. In unaufhörlichen Subdelegationen und Subdeputationen teilten sich Macht und Richterbefugnis weiter mit, bis sie angelangt waren bei den alltäglichen und höchst örtlichen Angelegenheiten eines Klosters.

Zur Exekution der Urteile hatte der Konservator die Plebane der betreffenden Ortschaften zu seiner Verfügung; Zwangsmittel war die Exkommunikation. Vom Urteil konnte an den Papst appelliert werden.

Aber der Konservator war nicht nur Richter in streitiger Sache. Gleich dem Offizial hatte auch er eine notarialische Tätigkeit; er nahm Kundschaften auf und erteilte Vidimus.

Das ganze Wesen dieser Konservatorien mußte, bei aller Anerkennung ihres Rechtsgrundes, als lästige Störung der normalen Zustände empfunden werden. Diesen Ärger der Beteiligten vernehmen wir nicht erst in der Mahnung des Bischofs Christoph an die Konservatoren, ihre Kompetenzen nicht zu überschreiten, sondern schon in den Beschwerden, die der städtische Rat um das Jahr 1370 erhob. Nicht als Gerichtsherr, sondern im Namen seiner Einwohnerschaft wendete er sich da gegen die „römischen gerichte, deren gar vil wil werden und mit denen die burger gar groseklich und snelleclich geschediget werdent“. Und doch war das Konservatorium in manchen Fällen ein gutes Mittel und eine sehr willkommene Hilfe. So sehr, daß sich zuletzt der Rat selbst seiner bediente.

Schon in den 1450er Jahren sprach er davon, dann wieder im Jahre 1480. Kurz darauf brachte ihm die Angelegenheit des Andreas von Krain das Gewünschte. Am 7. Februar 1483 bewilligte Papst Sixtus die Einsetzung von drei Konservatoren, die in allen vor geistliches Forum gehörenden Sachen Klagen aus Basel im Falle von Justizverweigerung des [730] Bischofs oder seines Offizials annehmen und entscheiden sollten; am 12. September 1484 bezeichnete Papst Innocenz als diese Richter den Abt von Lützel, den Prior von St. Alban und den Propst von St. Peter. Die Verfügung war, gleich andern Erlassen, gegen Bischof Caspar gerichtet, mit dem der Rat im Kampfe lag, und ein Lohn für das Verhalten des Letztern in der Konzilssache. Sie machte der Stadt das bischöfliche Gericht auch da entbehrlich, wo sie es am stärksten zu brauchen pflegte, gegen auswärtige Schuldner, für den Fall, daß der Bischof diese Instanz verweigern sollte, um den Rat seinen Prätensionen gefügig zu machen.

Eine Erweiterung der Kompetenz dieses Konservatoriums wurde 1488 vorgesehen, indem Markgraf Philipp dem Rate versprach, das städtische Konservatorium auch in der Markgrafschaft zuzulassen, wenn der Bischof von Konstanz den gewünschten Kommissär seines Offizialats in Kleinbasel nicht gewähren sollte. Der Bischof verweigerte diesen Kommissär allerdings, und die Sache wurde dann, wie wir sahen, während kurzer Zeit durch Bestellung eines markgräflichen Gerichtes in Basel selbst geordnet. Ein solcher Ausweg konnte genügen, weil in eben diesen Jahren Bischof und Domkapitel auch ihrerseits ein päpstliches Konservatorium für die Schulden im Markgrafenland erhalten hatten und dabei die sämtlichen Stifter und Klöster Basels vertraten.

Wir besitzen keine Zeugnisse der Tätigkeit dieses ersten städtischen Konservatoriums. 1512 wurde es den Baslern neu gewährt durch Papst Julius und in den Personen des Abts von Lützel und der Pröpste von St. Diebold in Thann und St. Peter in Basel neu konstituiert. Der Erlaß lautet ganz allgemein; aber die tatsächliche Anwendung galt, wie wir sehen, fast ausschließlich baslerischen Schuldklagen wider Bewohner des Bistums Konstanz; die Meinung war, daß das Konservatorium das Basler Offizialatsgericht ergänze; indem das letztere das Forum war, vor dem der Basler gegen auswärts d. h. im Bistum gesessene Schuldner mit Erfolg vorgehen konnte, gab das römische Gericht dasselbe Recht gegenüber den außerhalb des Bistums Gesessenen.

An die Stelle des Lützler Abtes trat als Konservator der Domkustos Johann Rudolf von Hallwil; 1515 ging die Führung des Amtes auf den Propst zu St. Peter über. Der Sitz des Gerichtshofes war in Basel, und als seine Beamten werden genannt der Prokurator Johann Spyser, der Sollizitator, der Lator (Träger der Ladungen Monitorien Bannbriefe usw.), der Notar; als solcher funktionierte Niklaus Haller, der zugleich Ratschreiber war. Wir vernehmen die Publikation, mit der die Räte die Einsetzung dieses Gerichtshofes verkündigten für „zins zehenden schulden und ander [731] zusprüch in Constanzer bistumb und an andern enden darumb gelegen“; wir lernen die ausführliche Gerichtsordnung kennen sowie die Rechnung über die Gerichtseinnahmen 1514–1516. In den Jahren 1520 und 1523 ergänzten Leo X. und Hadrian VI. die Einrichtung, indem sie allen Erzbischöfen Bischöfen Prälaten, den Kanonikern der Metropolitan- und Kathedralkirchen, den Generalvikaren und Offizialen befahlen, bei Ausübung des Konservatoriums Hilfe zu leisten.

Boten Roms waren weiterhin die Ablaßkrämer und vor Allem die Einnehmer der apostolischen Kammer, von den Vertretern des päpstlichen Regiments wohl die zahlreichsten. Sie scheinen beständig im Lande gewesen zu sein; sie sammelten die Zehnten, sie erhoben die Annaten. Sie forderten unterhandelten nahmen erpreßten; oft hatten sie auf ihrer Spur die Bankiers des Papstes, die das Geschäft überwachten und für die von ihnen geleisteten Vorschüsse sofort auf das eingenommene Geld griffen. Sie fanden Widerstand und verhängten über Renitente die Exkommunikation (so z. B. 1306 Petrus Durandi über das St. Albankloster, 1480 Benedictus Richardi über das Predigerkloster, 1513 Johannes Lang über die Karthause). Als einer dieser Kollektoren im Herbste 1322 von Konstanz nach Basel reiste, wurde er unterwegs beraubt und mißhandelt; ein andrer mußte 1346 verkleidet bei Nacht aus Basel fliehen, weil ihm das Ertränktwerden im Rheine drohte. So verhaßt waren sie aller Welt, namentlich weil sie Fremde waren, daß sie sich, der Sicherheit sogut als der Arbeitserleichterung wegen, häufig durch einheimische Subkollektoren vertreten ließen. Als solche amteten hier 1307 f. der Propst Heinrich von St. Peter, 1317 der Archidiakon Otto, 1364 der bischöfliche Insiegler Johannes Bücheler usw.; nur selten zeigen sich uns auch die Wälschen selbst: 1306 Petrus Durandi, 1373 Elias de Vodronio, 1480 Benedictus Richardi, 1481 Johannes de Carbona usw.

Allen diesen Subalternen gegenüber endlich die Legaten, die befähigt waren, die Macht ihres Herrn auch außerhalb der ewigen Stadt unverkürzt darzustellen. Stadt und Umgebung wußten dies, sodaß Jeder, der sonst ein Anliegen nach Rom hätte tragen müssen, nun hier an den Stellvertreter heranzukommen und bei diesem sein Geschäft zu erledigen suchte. Sobald ein Legat in Basel eingetroffen war, kamen die Supplikanten zu ihm, Kirchen- und Klosterleute, einzelne Kleriker und Laien, mit Dispensbegehren Ablaßbegehren Rechtsbegehren Pfründebegehren u. dgl. m. Daher er auch, wenn nicht mit dem Pompe, doch mit dem Zeremoniell und den Ansprüchen eines Herrschers reiste und seine Kanzlei mit sich führte. Die Kardinäle Landulf von Bari 1408 und Giordano Orsini 1418 waren solche [732] Legaten, sodann Giuliano Cesarini 1431, der prunkvolle Venezianer Marco Barbo 1474, der vielbeschäftigte Alexander von Forli 1477, weiterhin Gentilis von Spoleto 1479 und 1489, Leonellus de Chieregatis 1496, Raimund Peraudi 1504, Matthäus Schinner 1510 und 1512, Ennius von Veroli 1514, 1521, 1523. In diesen Männern ließ sich die höchste Kraft der Kirche sichtbar und mit der Tätigkeit des Bischofs konkurrierend in Basel nieder; wir dürfen glauben, daß während ihrer Anwesenheit für das Gefühl Vieler eine Macht weihevollster Stimmung durch die Stadt ging.


Die Berührungen Basels mit dem weltbezwingenden Rom sind aber nicht das Letzte, das bei Betrachtung der kirchlichen Formen zur Geltung kommt. Der Gedanke an sie führt noch weiter, zur Vorstellung der Universalität überhaupt.

Alles ist beherrscht durch die Gewißheit des Gleichseins. Ein großer Zusammenhang lebt im Ganzen und zeigt sich in dessen unaufhörlichem Bewegtwerden durch Verkehr und Austausch.

Wir sahen, wie schon im umschlossenen Bereiche der Stadt ein Klerikerdasein die verschiedensten Formen haben kann: Klosterkaplanei und Plebanat, Orden und Welt, Hoch und Nieder.

Es ist dieselbe Kraft unbegrenzter Heimatberechtigung, die auch hinausdrängt, die z. B. manche Baslerin in ein auswärtiges Kloster führt, nach Sitzenkirch Feldbach Unterlinden Engelberg usw., Basler ins Deutschherrenhaus Bern, in die Stifter Lautenbach Beromünster Zofingen, nach St. Blasien Lützel Beinwil St. Urban Interlaken Wettingen usw.

Kraft derselben Gesinnung werden Basler zu Donatoren zahlreicher Gotteshäuser weitherum, stehen Basler Namen sogut im Nekrolog zu Wurmsbach wie in den Bruderschaftsrodeln von St. Christoph auf dem Arlberg und der Kapelle von Oberbüren. Domherren unseres Münsters sind auch Domherren zu Speyer Würzburg Konstanz usw., ein kleiner Peterskaplan kann am Tisch eines Kardinals sitzen. Und wie enge verbunden zeigt sich Basel und seine Umwelt durch die Patronats- und Inkorporationsrechte des Rates in Wenzweiler Schalbach Fischingen Kleinhüningen Sissach Rümlingen Läufelfingen usw., städtischer Klöster und Stifter in Kirchen Staufen Kandern Liel Istein Lörrach Egringen Wehr Alschwil Frick Grenzingen Stetten Jettingen usw.

Mächtig ist sodann das Gegenspiel dieser Expansion, der Reichtum des von allen Seiten herbei- und hereinströmenden Kirchenwesens. Jährlich am Markustag und an den heiligen Kreuzestagen kommen die Münchensteiner, [733] die Reinacher, die Binninger, die von Häsingen Egringen Fischingen Riehen Herten usw. mit Kreuzen und Fahnen, in feierlichen Prozessionen, und besuchen die Kirchen Basels. Während des ganzen Jahres aber dauert die Pilgrimschaft zu den großen Gnadenörtern der Christenheit; bald vereinzelt, bald in dichten gesammelten Schwärmen ziehen viele dieser Fremden „auf Gottes Fahrt“ hier durch und Manche rasten hier, um auch die Basler Heiligtümer zu verehren. 1401 stiftet ein englischer Pilger eine Jahrzeit zu St. Martin; 1412 wird einem solchen Engländer beim Gottesdienst im Münster sein Bogen gestohlen; 1451 kehrt Herzog Arnold von Geldern auf der Jerusalemfahrt in der Karthaus ein. Es ist das nie ruhende Leben auf dieser Basler Pilgerstraße, das dem Siechenhause draußen an der Brücke und dem Brunnen in der Vorstadt Name und Schutzpatron gibt, die Gasthauszeichen der Muschel, des Pilgerstabs u. dgl. erschafft, die Herbergen füllt, den Rheinschiffern Wirten Wechslern usw. Arbeit und Verdienst bringt.

In gleicher Weise vom Gefühl einer tiefen Zusammengehörigkeit getragen sind die Kollekten. An ihrer Spitze die regelmäßig sich wiederholenden Gabensammlungen des Hospizes auf dem Großen St. Bernhard und des Antonierordens; der Bote des letztern erhält jeweilen einen Beitrag auch aus der Kasse des Rates. Aber auch der Hospitaliterorden vom Heiligen Geist und St. Veltins Spital in Rufach haben ihre anerkannten Kollekten, die selbst neben städtischen Sammlungen, z. B. derjenigen für den Neubau von St. Leonhard 1489, betrieben werden dürfen. Andre „Bitter“ werden nach Möglichkeit ferngehalten oder abgewiesen; aber sie kommen immer wieder. Auch die Patentgebühr, die der Bischof von den Kollektanten erhebt, hält sie nicht ab. St. Eustasius im lothringischen Wittersdorf (Vergaville), die Minoriten in Breisach, das Wendelinshospital in Zabern, das Augustinerkloster Autrey in der Diözese Toul, das Benediktinerkloster St. Johann zu Malherstorf in der Diözese Regensburg usw. usw. suchen Basel heim; mit Bettelbriefen und oft mit absonderlichen Reliquien sind diese Quästionierer ausgerüstet.

Viele, zum Teil entlegene Klöster (St. Gallen Reichenau Einsiedeln Payerne St. Urban Engelberg Muri Wettingen usw.) haben nahe bei Basel Güter und Niederlassungen, manche in der Stadt selbst ihre Höfe. Sie bringen die Erscheinung andrer Orden (Cisterzienser Prämonstratenser Pauliner usw.) neben die schon ansässigen; sie zeigen neue Formen, aber denselben Geist.

Doch dies ganze, zur Not in Gruppen zu fassende Wesen wird weit überflutet durch die unausgesetzte Bewegung Einzelner. Großes und Geringes, Fernes und Nahes, Geistiges und Niederes verbinden sich dabei, [734] und über Allem steht die Einheit, in deren Schimmer alle weltlichen Grenzen und Voraussetzungen schwinden.

So gelangen wir zuletzt zu der vielleicht lautersten Gemeinschaftsform, der Gebetsverbrüderung und Teilhaberschaft. Ihr Gedanke ist, daß die zur ewigen Heimat Eilenden nicht unterlassen sollen, sich gegenseitig die hilfreichen Hände zu reichen. Die Verbrüderung sichert die Aufnahme in das tägliche Fürbittegebet und in die Gebetshilfe nach dem Tode; darüber hinaus gewährt sie die Teilnahme an geistlichen Gütern Rechten und Verdiensten. Ideale Fraternitäten entstehen so bei Klöstern; sie greifen weit über die Klosterschwelle und können auch dem Gnadenbesitze des ganzen Ordens gelten. So gehört Hüglin von Schönegg nicht äußerlich, aber „nach dem Herzen“ zum Augustinerorden; so werden 1434 die Herzogin Isabella von Burgund und 1497 Johann Alantsee in die Teilhaberschaft aller Gebete Fasten Wachen usw. der Karthäuser aufgenommen; dasselbe gewähren die Augustiner 1463 der Anna Biderman, die Prediger 1473 der Margaretha Zscheckabürlin und ihren Kindern; so ist die Konverse Metzina Raserin 1377 den Predigern, den Augustinern, den Johannitern und den Deutschherren verschwestert. Noch mächtiger an Wirkung ist es, wenn Kloster dem Kloster, Orden dem Orden den Mitgenuß an dem durch die eigene Arbeit erworbenen himmlischen Schatze gönnt; so der Augustinerorden den Klingentalerinnen 1435, der Barfüßer- und der Predigerorden 1472 und 1473 dem Leonhardsstifte, und am reichsten begabt sind die Karthäuser: sie haben die Gemeinsamkeit aller Kräfte Gnaden und Heilsgüter des Klingentals, der Klarissen, des Gnadentals, des Barfüßerordens von der Observanz, des Predigerordens, der Klöster Schönensteinbach Engelpforte und Lichtental. Überall sehen wir einen höhern geistigen Verband, der nur das Unvergängliche der irdischen Genossenschaft festhält.

Ungeheuer ist das Gefühl dieser in den höchsten Dingen gefestigten Gemeinsamkeit. Sie erhebt auch das Lokale und scheinbar Nichtige in den Bereich eines Weltbegriffs. Die Erde ist überall des Herrn.


Nun aber sehen wir ein Stück dieses gewaltigen Ganzen hier eingeschlossen in Mauerring Friedensgrenze und Bann der Stadt.

Die Kirche präsumiert als Reich Gottes ein Leben außer, ja über der Welt und ist doch nicht nur den Nötigungen weltlichen Existierens unterworfen, sondern politisches Wesen und Machtsinn führen sie selbst dazu, ihr Reich zu einem Reiche von dieser Welt machen zu wollen.

[735] Erfüllt von universaler Kraft, Vertreterin einer universalen Kultur, ist die Kirche hier mit nichts Anderem beschäftigt als mit den Menschen dieser engen Stadt, denen sie das Höchste zu bringen berufen ist.

Als eigentümlich erscheint dabei, daß der ordentliche und oberste Vertreter der Kirche in Basel ursprünglich zugleich der Stadtherr gewesen ist und durch den Rat allmählich von dieser Herrschaft depossediert wird. Im gleichen Maße, wie der Rat aufhört Regierungsorgan des Bischofs zu sein, wird er selbständig in seinem Verhältnisse zur Kirche; seine Stellung dieser gegenüber reift mit seiner Souveränität im Politischen. Die Macht der Kirche bleibt, aber begleitet und gestützt durch eine Herrschergewalt im Weltlichen, die nicht mehr dem Bischof, sondern dem Rate zusteht.

In zahlreichen Richtungen sehen wir diesen Rat sich um rein kirchliche Dinge regen und mühen. Beim Bau von Kirchen, bei Prozessionen Reliquieneinholungen Ablaßerwerbungen usw. ist er beteiligt als der Herr der Stadt. Ist es Machtgesinnung oder Ordnungsliebe oder erhöhtes religiöses Interesse, was die Klosterreformen zu Geschäften des Rates macht? Daß seiner profanen Administration auch Kirchtürme dienen, ist unausweichlich; aber die Entwickelung des Lebens überhaupt und der obrigkeitlichen Kraft im Einzelnen führen den Rat auch zu Eingriffen in kirchliche Gebiete, in die Rechtspflege, in die Sittenpolizei, in die Begräbnisordnung usw.

Durchweg aber, auch noch in den Zeiten erstarkter Ratsgewalt, werden wir inne, daß vor Allem die Religion als gemeinsamer Besitz höchster Art und als Gesinnung Aller das Verhältnis von Kirche und Stadt innerlich bestimmt. „Kirchliche und weltliche Obrigkeit sind die zum gemeinsamen christlichen Kulturzweck zusammenwirkenden Organe der einen und ungeteilten christlichen Gesellschaft.“ Es ist ein Nebeneinander, ein nachbarliches Dasein, das bewegt und oft zum höchsten Leben gebracht wird durch die Wechselwirkung und den Wettkampf kirchlichen und weltlichen, universalen und nationalen Geistes.

Auf diesen allgemeinen Grundlagen war der Stellung der Kirche in der Stadt eine äußere Ordnung gegeben durch die Rechtsverhältnisse des Schutzes und der Privilegierung.

Bürgermeister und Rat heißen wiederholt Kastvögte oder Schirmherren des Klerus; die protectio, der obrigkeitliche Schutz, wurde in Momenten des Streites häufig als das dem Klerus Zukommende genannt.

Zuweilen war auch von Bürgerrecht die Rede. So bei den Frauenklöstern Klingental St. Klara Gnadental St. Maria Magdalena und bei den Augustinern; in den Stadtfriedensbriefen 1339 und 1352 erklärte der Rat, daß das Domkapitel und die Pfaffheit von Basel seine Bürger seien.

[736] Aber was hier Bürgerrecht hieß, war kaum viel mehr wert als die Schutzgenossenschaft. Schon das Schwanken der Bezeichnungen zeigt, daß das Verhältnis selbst nicht bestimmt war. Auch die ausdrückliche Aufnahme des Albanklosters ins Bürgerrecht 1382 besagte nur, daß das Kloster in des Rates „Hilfe Schirm und Sicherheit“ ausgenommen werde; höchstens daran ist zu denken, daß diese Bürgeraufnahme geschah als Entgelt für die Abtretung des Vorstadtgerichts, und daß das Kloster nun als Bürger das nach Preisgabe dieses Forums wünschbare Recht besaß, jedes andre Gericht als das der Stadt ablehnen zu können; ein Verzicht auf das klerikale Gerichtsprivileg dagegen, wie dann 1525 bei der Bürgeraufnahme der Leonhardschorherren geschah, war nicht damit verbunden.

Verschieden von diesem Bürgerrechte ganzer Gemeinschaften war dasjenige einzelner Kleriker. Hier ist an die tatsächliche Ausübung der bürgerlichen Rechte und Pflichten zu denken, soweit der geistliche Stand sie zuließ, und an ein Preisgeben des klerikalen Sonderrechts, an ein Übertreten in den Kreis städtischer, der Kirche oft entgegenwirkender Interessen, sodaß das Statut des Domkapitels 1475, das den Kaplänen die Annahme von Bürgerrecht und Zunft untersagte, wohl begreiflich ist. Daß zu Beginn des XV. Jahrhunderts auffallend viele Geistliche sich als Bürger aufnehmen ließen, kann nur aus Zuständen des Bistums und der Kirche unter Bischof Humbert erklärt werden; die Prokuratoren des Hofgerichts wünschten das Bürgerrecht ausdrücklich, um beim Rate Schirm und Handhabe zu finden wider diesen Bischof.

Wichtig aber ist zu sehen, wie die Schutzherrschaft und Kastvogtei des Rates ihn zu sehr spürbarem Eingreifen, namentlich den Klöstern gegenüber, führt. Er übt Aufsicht und Kontrolle durch Pfleger. Er wahrt gelegentlich die Interessen des Klerus auch bei innern Angelegenheiten, z. B. 1505 hinsichtlich der Amtsdauer der Prioren und Äbtissen der dem Predigerorden angehörenden Konvente. Da die Basler Klöster 1492 im Sundgau, St. Klara 1506 im Breisgau besteuert werden, verwendet sich der Rat für ihre Befreiung.

Der obrigkeitlichen Behütung gegenüber steht das Unterworfensein der Behüteten und ihr Gehorsam; wobei freilich der Rat keine Strafen gegenüber unbotmäßigen Geistlichen zur Verfügung hat, sondern nur Zwangsmittel wie Sperrung des Marktes, der Mühlen, der Backöfen usw. Eine bemerkenswerte Kleinigkeit ist, daß der Bischof und die Klöster in Anerkennung des Schutzes, den die Stadt bietet, jährlich auf Neujahr den Ratsknechten ein Trinkgeld geben. Und im Kirchengebete betet der Pfarrer auch für die werte Stadt Basel, für die Häupter und den ganzen Rat.

[737] Mit dieser Schutzuntergebenheit war innerlich und unlöslich verbunden das Privilegiertsein des Klerus. Daher der Übertritt aus dem Schutzrecht ins Bürgerrecht die Privilegierung aufhob; daher aber auch der Rat die Gewährung seines Schutzes nicht abhängig machen konnte vom Preisgeben des Privilegs, wie er 1317 und 1366 zu tun versuchte.

Daß die Kleriker sowohl Schutz als Privileg genossen, machte sie zu Einwohnern nicht geringern aber andern Rechtes. Folgende Vorrechte machten sie geltend:

1. das privilegium canonis, wonach Verletzung oder Tötung eines Klerikers mit Exkommunikation der Täter, später auch noch mit Interdizierung der ganzen Stadt geahndet wurde. Solches geschah z. B. 1321, als ein Chorherr von St. Leonhard verwundet, und 1456 als der Domkaplan Pantaleon, 1488 als ein Kaplan des Petersstifts erschlagen wurde. Anschaulich schildert Brilinger, wie sofort nach der Tat das Interdikt verkündet wird und während seiner Dauer kein Geläute stattfindet, die Kirchtüren geschlossen bleiben, kein Laie in eine Kirche gelassen wird.

2. das privilegium fori, das die ausschließliche Zuständigkeit der Kleriker in Zivil- und Kriminalsachen vor dem geistlichen Gericht aufstellte.

Wie wir sahen, bestanden mehrere solcher Gerichte (des Bischofs, des Domdekans, des Archidiakons, der römischen Konservatoren), die innerhalb der Stadt alle kompetent und tätig waren. Auf die Tatsächlichkeit dieses Zustandes und die dabei sich ergebenden Konflikte haben wir hier nicht einzugehen. Es handelte sich um Konkurrenz innerhalb einer gemeinsamen allgemeinen Befugnis. Von ganz andrer Wucht aber war der Kampf um die Befugnis selbst, den die Kirche mit der städtischen Behörde führen mußte.

Gegensätze zeigen sich uns schon nach der Mitte des XIV. Jahrhunderts. Der Rat beschwerte sich da über das Exekutionsverfahren der geistlichen Gerichte und über die Konservatorien; 1382 erlangte Kleinbasel durch seine Klagen beim päpstlichen Stuhl eine formelle Wiederholung des alten Verbotes, daß für Geldschulden kein Interdikt verhängt werden dürfe. Es waren die Jahrzehnte, die ein souveränes Stadtregiment schufen, und deutlich hören wir aus diesen Beschwerden, wie lästig und allenthalben hinderlich dem Rate dies geistliche Wesen auf dem Gebiete der Rechtsprechung war, auch damals schon, da er selbst noch ohne Gerichtsgewalt war und die Schultheißengerichtsbarkeit noch dem Bischof zustand. Dieselbe Gesinnung lebte hier, die 1336 den Rat von Colmar zur Verwahrung gegenüber dem Hofgerichte von Basel führte, 1361 die Städte Colmar Rufach Egisheim Sulz Heiligkreuz zu einer Liga wider die Übergriffe dieses Hofgerichtes [738] zusammenschloß, 1370 in der Eidgenossenschaft den Pfaffenbrief zu Stande kommen ließ.

Im Jahre 1385 brachte die Stadt die Schultheißengerichte in ihren Besitz und konnte an Stelle der bisher geübten Kritik die positive Leistung einer eigenen Judikatur setzen. Mit diesem Momente begann der Kampf.

Bischof und Stadt stritten dabei nicht nur um das Gerichtsprivileg der Kleriker, sondern auch um die Zuständigkeit und Rechtsprechung der Gerichte. Indem der Bischof zugleich für die Judikaturen des Erzpriesters und des Domdekans eintrat, verfocht er ein allgemeines Prinzip. Unberührt von diesem Kampfe blieben nur die römischen Gerichte der Konservatoren, die von der Bischofsgewalt eximierten Orden und während des Konzils dessen Angehörige. Diese Letztern standen ausschließlich unter der Jurisdiktion des Papstes und des Konzils selbst, sodaß sowohl jede laicalis justicia als auch die Befugnis des Basler Bischofs bei Seite geschoben war.

Die ausschließliche Jurisdiktion der Kirche über Kriminalsachen von Geistlichen war unwidersprochen; aber sie erhielt eine Ergänzung aus dem Rechte des Stadtfriedens. Dieses stellte dem das geistliche Strafrecht bestimmenden Begriffe der Sünde den öffentlichen Ordnungsbegriff eines im Stadtgebiet geltenden Friedens gegenüber. Dem Stadtfriedensgebot sollte jeder Einwohner unterliegen, der Rechtskreis der Kreuze maßgebend sein auch für die Kleriker. Diese Anschauung wirkte vielleicht schon im Erlasse Bischof Peters von 1305, durch den er dem Rate zugestand, delinquierende Geistliche festzunehmen und zu behalten bis zur Beurteilung durch den Bischof; jedenfalls aber wurde sie als geltendes Recht formuliert in den Einungbriefen von 1339 und 1352. Die Stadt auferlegte damit auch dem Klerus die Geltung des Stadtfriedensrechtes, überließ aber dessen Anwendung den kirchlichen Behörden.

Eine zweite städtische Ergänzung der kirchlichen Strafjudikatur wurde diejenige in Ehebruchsfällen. Solche Fälle unterstanden seit Alters, gleich Wucher Gotteslästerung Meineid, unbestrittenermaßen dem geistlichen Richter, bis der Rat 1457 den Ehebruch auch seinerseits mit Strafe zu belegen beschloß und eine eigene Aufsichtsbehörde bestellte.

Auch im Gebiete des zivilen Rechtes galt für die Kirche der Grundsatz, daß kein Kleriker vor weltlichem Gericht erscheinen sollte, weder als Kläger noch als Beklagter; wiederholt proklamierten die Bischöfe dieses Sonderrecht. Aber auch ohne Beteiligung eines Tonsurierten und unter allen Umständen behielt die Kirche ihrem Gerichte vor und unterwarf seiner ausschließlichen Kompetenz alle Streitigkeiten um Kirchengüter, alle Ehesachen, [739] alle Testamentssachen. Außerdem konnte das geistliche Gericht aber auch alle andern Sachen übernehmen. Endlich verlangte der Bischof, daß alle Käufe Vergabungen Obligationen, bei denen das geistliche Gericht Beurkundungsinstanz gewesen, im Streitfalle gleichfalls vor ihm „verrechtigt und ausgetragen“ werden sollten.

Was der Rat diesem ganzen System gegenüber vorbrachte und tat, stand natürlich im Zusammenhange mit der allgemeinen Lage, geschah aus dem Gefühl einer Behörde und einer Bürgerschaft, die sich die volle Stadthoheit zu erkämpfen im Begriffe war und in der geistlichen Gerichtsbarkeit eine politische Gefahr erkennen mußte. Aber auch als Kampf von Laientum gegen Priestertum wurde dieser Streit geführt. Und im Einzelnen wirkten mit die Interessen der Ordnung, wie solche in einem städtischen Gemeinwesen verstanden wurde; die Interessen der Öffentlichkeit und der Verständlichkeit; der Wille, Verkauf und Schenkung und Schuldbekenntnis vor mißbräuchlichem Einflusse kirchlicher Macht zu sichern; nicht zuletzt auch die starke Abneigung gegen alles Fremde, alles Unnationale.

Aus solchen Erwägungen kam der Rat zu seiner Forderung, daß Verkäufe und Vergabungen von Immobilien, gleichviel wer die Parteien seien, nur vor weltlichem Gerichte gemacht und auch nur vor diesem verrechtigt werden sollten; auch alle Erbstreitigkeiten, diejenigen zwischen Laien und Klerikern inbegriffen, gehörten vor das weltliche Gericht.

In den Händen des Rates war das Schultheißengericht sichtlich besser gewahrt als früher. Seine Tätigkeit wuchs an Umfang und an Gehalt. Schon im zweiten Jahre, 1386, erklärte der Rat alle letztwilligen Verfügungen, die nicht vor Schultheißengericht gemacht worden, für ungültig; 1396 versprach Anna zum Blumen, in ihren Forderungen an den Rat nur vor dem Schultheißen Recht zu nehmen. Es waren dies wohl die frühesten Äußerungen der neuen Tonart, und sogleich, unter dem Episkopate Humberts, erhob sich der Kampf. Er währte bis in die Jahre der Reformation. Nicht als ein ständiger Krieg, sondern als ein zu verschiedenen Malen, jeweilen für kurze Zeit, wieder hervortretender Konflikt. Er war Teil der großen Diskussion über die Herrschaft, die zunächst unter Humbert, dann unter Arnold Johann Caspar und Christoph geführt wurde.

Im Verlaufe dieser Debatte traten neben jene Hauptforderungen noch andere. Von Seiten des Bischofs wurde geklagt, daß das Hofgericht bei einfältigen Leuten durch die Beamten des weltlichen Gerichtes diskreditiert würde, ja daß der Rat den Gebrauch des Hofgerichtes überhaupt verbiete. Seitens des Rates wurde verlangt, daß der Offizial die Beurkundung von [740] Rechtsgeschäften ordentlich und öffentlich vor der Kurie geschehen lassen solle, nicht in Häusern und Winkeln; auch beschwerte sich der Rat darüber, daß der Offizial um Eigen Erbe Frieden und Frevel auch zwischen Laien richte, daß er seine Judikatur über Wucher auch auf redliche wiederkäufige Zinsen ausdehne, daß die Kurie Appellationsinstanz sein wolle für Sprüche des Schultheißen. Beiderseits aber warf man sich vor, daß der Offizial Laien oder deren Güter, der Schultheiß Kleriker oder deren Güter in Arrest lege und daß der Schultheiß Nachlässe von Geistlichen, der Offizial Nachlässe von Weltlichen inventiere.

Aber neben diesen Kämpfen ging die Praxis selbst einher, und bei ihr scheinen die prinzipiellen Gegensätze zuweilen eine opportunistische Ausgleichung gefunden zu haben. Wir gewinnen den Eindruck, daß, während die obern Gewalten um Rechte und die Beamten vielleicht um Sporteln stritten, die Parteien an ganz andere Dinge dachten und nach Umständen, nach Vorteil und Laune, oder auch ganz ohne Absichten handelten. Denn die Fälle sind zahllos, in denen z. B. Geistliche aus freiem Willen Verkäufe oder Gaben vor dem Schultheiß verbriefen lassen, vor dem Schultheiß testieren, in Erbschaftssachen einem Kläger vor das Schultheißengericht folgen usw. Der Rat, der doch selbst bei Gelegenheit das geistliche Gericht brauchte, mußte verdrießlich wahrnehmen, wie oft seine Bürger für ihre Sachen vor den Offizial gingen, wie das niedere Gericht d. h. das Schultheißengericht abnahm und das obere, das geistliche droben auf Burg, in Flor stand. Es waren nicht nur einzelne korrigierbare Mängel des Verfahrens am Stadtgericht, z. B. bei Fröhnungen, welche die Leute hinauf zum Hofgericht trieben. Wirksamer war die absolute Verschiedenheit der beiden Judikaturen. Wohl sah der Bürger am Schultheißengerichte die Urteile zustandekommen nach alter guter Gewohnheit seiner Stadt und aus der frischen Lebenserfahrung der Urteilssprecher heraus, die seine Mitbürger waren. Eindrücklicher war doch und erschien Vielen auch als geschlossener und zuverlässiger, was an der Kurie geschah: mit diesem Herrn Offizial, der an Gelehrsamkeit Alle übertraf und nicht nur wie der Schultheiß die Verhandlungen leitete, sondern selbst auch das Urteil schöpfte; mit diesen gewandten und klugen Prokuratoren Notaren usw.; mit diesem Latein; mit dieser Fülle von Formen und Formeln. Eine nur hier zu findende Spezialität war auch das scharfe Exekutionsmittel der Bannung säumiger Schuldner. Und die willkommensten Dienste leistete der Offizial dadurch, daß er die in der Diözese, namentlich in der städtischen Landschaft und im Sundgau, ansässigen Schuldner von Baslern, statt daß sie dort vor den Gerichten gesucht werden mußten, vor [741] seine Schranken auf Burg zitierte. Das ganze XV. Jahrhundert hindurch sehen wir dies Verfahren, hören wir die Beschwerden der Herrschaft Österreich oder einzelner, durch die Bannung von Angehörigen mitbetroffener Gemeinden. Noch 1507 trat der Rat energisch dafür ein und wahrte die Interessen seiner Bürger sowie das Recht desselben Gerichtshofes, den er zu Hause bekämpfte. Aber 1525 mußte er den Bauern seiner Landschaft zusagen, in Schuldsachen das geistliche Gericht nicht mehr gegen sie anwenden zu wollen; es solle nur noch für Ehesachen und rechte geistliche Sachen gebraucht werden.

Außer den Schultheißengerichten kam die städtische Spezialjurisdiktion des Fünferamtes in Betracht. Eine Befreiung von dieser scheint der Klerus zunächst nicht beansprucht zu haben; erst 1481 wurde auch hier ein Privileg geltend gemacht. Aber der Rat ließ sich dies nicht gefallen. „Wenn die Geistlichen Streit in Bausachen haben, so rufen sie die Fünfer an; wollen sie des Rechtes genießen, so ist billig, daß sie den Fünfern auch gehorsam seien.“

In Konkursen hatten die Forderungen von Geistlichen Rang zwischen solchen von Bürgern und Fremden.

Endlich ist noch daran zu erinnern, daß im Jahre 1472 der Rat wie für Prozesse Einheimischer mit Auswärtigen so auch für solche von Laien mit Klerikern eine Appellationsinstanz schuf. Die Absicht war, Appellationen nach auswärts zu verhindern und das Stadtgericht dem geistlichen Gerichte, das mit einem Instanzenzuge nach Besançon und Rom ausgestattet war, wenigstens für solche Prozesse gleich zu machen, bei denen nicht beide Parteien dem Rat untertan waren. Überdies richtete sich die Maßregel gegen die Präsumtion des Bischofs, Oberhof für das Schultheißengericht zu sein.

3. Drittes Vorrecht des Klerus war das Privilegium der persönlichen Immunität, der Befreiung von öffentlichen Pflichten und Lasten.

Schon das alte Bischofsrecht hatte die Zollfreiheit der Geistlichen statuiert.

Im städtischen Steuerrechte galt der Grundsatz, daß der Domstiftsklerus von jeder Steuer befreit, der übrige Klerus zur Entrichtung des Mühleungelds verpflichtet, von andern Steuern aber befreit war.

Die von der Übergabe des Getreides in die Mühle erhobene Abgabe, das Mühleungeld, galt als so wichtig, ja selbstverständlich und notwendig, daß Befreiungen von ihr kaum je zugestanden wurden; auch da nicht, wo sonst Einer Steuerfreiheit im Allgemeinen zugesichert erhielt. Der Rat hielt daher auch gegenüber dem Klerus an dieser Abgabe fest und erließ sie nur, wenn bestimmte Gründe eine Ausnahme rechtfertigten: 1383 dem Albankloster, [742] das sein Gericht an die Stadt abtrat, und 1463 dem Petersstift, dessen Kanonikate der Universität inkorporiert wurden. Außer diesen beiden Gemeinschaften und dem Domstift, dessen Befreiung in frühe Zeiten zurückreicht, waren vom Mühleungelde befreit die städtischen Armenhäuser und zur Hälfte das Kloster Wettingen, der Deutsche Orden und der Johanniterorden.

Die Verpflichtung des Klerus zum Mühleungeld scheint nie angefochten worden zu sein. Um so mehr gaben die übrigen städtischen Ungelder zu reden, die als umfassende Verkehrsabgaben, später als Vermögenssteuern usw. erhoben wurden. Öfters sehen wir den Rat solche Auflagen beschließen – 1317, 1351, 1366 – ohne die im alten Rechte begründete Zustimmung des Bischofs, was jeweilen dessen Protest und, wenn der Rat nicht nachgab, heftigsten Streit zur Folge hatte. Der Rat suchte sich daher entweder mit dem Bischof zu verständigen, was ihm auch wiederholt gelang – 1338, 1394, 1400 – und wobei mit der Erhebung einer Steuer überhaupt auch deren Ausdehnung auf den Klerus, stets mit Ausnahme des Domklerus (für dessen Pfrundgüter, nicht für persönliches Vermögen), 1338 für die Wochensteuer auch mit Ausnahme des Petersstifts, ihm zugestanden wurde. Oder aber der Rat verzichtete auf Besteuerung des Klerus. Dieser Verzicht wurde seit Beginn des XV. Jahrhunderts zur Regel, seit derselben Zeit also, in welcher der Rat stark genug geworden war, um seine allgemeinen Steuerbeschlüsse ohne Zustimmung des alten Stadtherrn fassen zu können. Dieser, der Bischof, ließ ihn dabei gewähren, und das Kirchenvolk blieb unbehelligt, dessen Besteuerung ohne die Geneigtheit des Bischofs ja doch nicht durchzuführen war. Selbst die Privilegien der Kaiser 1431 und 1488, Jedermann in Basel, geistlich wie weltlich, besteuern zu dürfen, konnten nichts nützen, wenn die Kirche nicht bereitwillig war.

Steuerfreiheit des Klerus war somit jetzt die Norm. Aber es kamen Ausnahmen vor. Schon zu Bischof Humberts Zeit verstand sich der Domklerus freiwillig dazu, das große Ungeld ebenfalls zu entrichten: die Kriegslasten der 1440er Jahre sodann nötigten den Rat erst zu einem Zwangsanleihen bei der Geistlichkeit, dann 1446 zu deren Besteuerung, und der Klerus, gleich der Stadt vom Kriege bedroht und durch sie vor dem Ärgsten beschützt, erhob keine Einrede, sondern zahlte. Als zwölf Jahre später die Finanzlage der Stadt eine außerordentliche Steuererhebung nötig machte, zog der Rat wiederum auch die Steuerkraft des Klerus heran, und dieser beteiligte sich auch jetzt wieder an dieser Rappensteuer, welche Leistung jedoch ausdrücklich als „Geschenk“ bezeichnet wurde. Von einer solchen „früntlichen bitte“ an die Geistlichkeit wurde auch anläßlich der Steuer von 1470 gesprochen; [743] aber zur Erhebung kam es nie mehr, auch nicht bei der Kriegssteuer 1499, und als der Rat die 1495 beschlossene Reichssteuer eintreiben sollte, schrieb er dem König offen, daß die Priester dem Rate nicht unterworfen seien und er kein Mittel habe, sie zur Steuer anzuhalten.

Wiederholt versuchte er daher, die im Antwerpner Privileg ihm gegebene Steuergewalt über den Klerus wirksam zu machen durch päpstliche Bekräftigung. Schon kurz nach Antwerpen tat er hiefür Schritte bei der Kurie, ohne Erfolg; auch im Jahre 1512, da er das Begehren wiederholte, wurde es vom Papste abgelehnt.

Die Steuerfreiheit der Kleriker war von Bedeutung nicht nur als anstößiges Sonderrecht einer ganzen Einwohnerklasse, sondern auch deswegen, weil sie das Kirchengut der städtischen Versteuerung entzog. Da aber der Rat das Privileg der Personen nicht zu beseitigen vermochte, unternahm er, zwar nicht wie andere Städte der Vermehrung des kirchlichen Besitzes überhaupt entgegenzutreten, wohl aber ihr durch Bestimmungen zum Schutze der natürlichen Erben Schranken zu setzen. In welcher Weise dies geschah und wie die weitere Absicht dieser Maßregel, das Ausscheiden ansehnlichen Gutes aus dem freien Umsatz und Verkehrsleben zu hemmen, auch zum Einschreiten gegen Errichtung und Unablöslichkeit der Grundzinse führte, wird später zu zeigen sein.

Befreit waren die Geistlichen auch vom Welt- und Kriegsdienste der Stadt. Aber die Not des Momentes konnte auch hier die Privilegien gering achten lehren. Auch der Kleriker lief daher zum Löschen des Brandes, ohne Pflicht und Auftrag; bei Kriegsalarm rüstete auch er sich und nahm an der Stadtbewachung Teil, ja zog er mit ins Feld.

Im Frühjahr 1409, da der Krieg mit Österreich drohte, bat der Rat den Domdekan und das Peterskapitel, ihre Kapläne auf Piket zu stellen; im August 1445 und im Juli 1468 war auch die Priesterschaft aufgeboten; als im Januar 1477 unter den eidgenössischen Söldnern ein Tumult ausbrach, traten die Domherren und Domkapläne bewaffnet auf der Pfalz zusammen und boten dem Rat ihre Dienste an; beim Auszuge des Stadtbanners nach dem Hülftengraben, im November 1448, marschierten die „Pfaffen“ unter eigenem Fähnlein mit.

Diese Pfaffen waren vielleicht nur die Domkapläne, deren einer, Erhard Appenwiler, mitzog; wie auch sonst fast nur vom Klerus der beiden Stifter und der Martinskirche die Rede ist. Aber das kann Zufall sein. Beim Anmarsche der Schinder 1439 befahl der Rat auch den Mönchen, die Stadtmauern zu besetzen; und die Klöster dienten der Stadt auch in anderer [744] Weise: durch Fuhrleistungen und Brotbacken bei Kriegen; durch Führen von Wasserfässern zur Brandstätte; durch Bereithaltung von Feuereimern. Vergütung leistete der Rat in solchen Fällen nur ausnahmsweise; denn die Meinung war, „daß die Klöster diesen Dienst tun sollen um alle die Dienste, so die Stadt ihnen durch das Jahr tut und von Tag zu Tag mit ihnen bekümmert ist“.

4. Dem Sonderwesen der Kirche im städtischen Leben entsprach endlich, daß die dem Gottesdienste geweihten Orte sowie die Wohnungen der Kleriker und der Ordenspersonen Freiheit von profanem Gebrauch und von weltlicher Steuer, einen höhern Frieden sowie ein Asylrecht besaßen.

Nur wenige Ausnahmen von dieser Immunität begegnen uns. Öffentliche Interessen führten dazu, auf dem Münster, auf der Martinskirche und auf der Kleinbasler Niklauskapelle städtische Hochwachen unterzubringen. Auch die Uhren dieser Kirchen waren zum Teil rein bürgerliche Werke, und überdies hatten die Glocken sämtlicher Kirchgebäude auch ihr weltliches Geläute, dienten der Regelung des Tagewerkes, dem Markte, der Polizei, dem Alarm. Solche Zusammenhänge erklären uns die Teilnahme des Rates am Ausbau des Münsterturmes 1488, seine Zahlungen an die Münsterglocken, und namentlich seine Aufwendungen für St. Martin. Der Turm dieser Kirche trug die Glocken, die den Rat zur Sitzung riefen, und die Stadt unterhielt außer Uhr und Stundenglocke auch den Turm selbst, ließ ihn malen und schmücken, den Helm erneuern usw. Aber auch an die Abhaltung der Großratssitzungen in den Klostersälen der Augustiner und der Prediger, an die Benützung der Kirchtüren für Anschläge aller Art ist zu erinnern.

Der städtischen Bauordnung gegenüber wird eine Privilegierung kirchlicher Gebäude nicht zu behaupten gewesen sein; doch vernehmen wir, daß 1501 über die Ausübung der Feuerschau in Pfaffenhäusern diskutiert wurde.

Deutlich und wiederholt aber ist ausgesprochen, daß in den Kirchen und Klöstern und in den Wohnungen der Geistlichen ein erhöhter, stärker geschützter Stadtfriede herrschte; wer an einem dieser Orte den Frieden brach, wurde ein Jahr länger verbannt als der auf offener Straße frevelte. Damit im Zusammenhange stand, daß in den Häusern von Klerikern auf Niemandes Klage Leute oder Güter arrestiert werden durften und Niemand außer dem Richter in ihnen einen Fliehenden suchen und festnehmen durfte. Die Kirchen und Klöster aber besaßen ein eigentliches Asylrecht.

Auf die besondere Ehre und Weihe dieser Orte und auf den ihnen eigenen höhern Frieden sich gründend diente das Asylrecht dem Bestreben der Kirche, einer grausamen Strafrechtspflege entgegen zu treten und die [745] zu ihr Flüchtenden vor der Todesstrafe zu schützen. Daher sie Mördern Ketzern u. dgl., zur Konzilszeit auch den an Konzilsleuten sich Vergehenden, das Asyl verweigerte, in den übrigen Fällen aber die Auslieferung der Schutzsuchenden an die Verfolger nur vollzog gegen das Versprechen, Jene nicht an Leib und Leben zu strafen. Hienach konnte das Asyl theoretisch ein dauerndes sein; tatsächlich war seine Hauptwirkung, daß es dem Verfolgten Gelegenheit gab, mit den Verfolgern über Strafmilderung usw. zu unterhandeln.

Wie nun die Asylrechtslehre der Kirche und die Praxis der städtischen Behörde sich auseinandersetzten, ist uns in mannigfaltiger Überlieferung gezeigt.

Wir sehen als Asyle dienen die Martinskirche, die Klöster St. Alban Augustiner Barfüßer Klarissen Klingental, den Bläsihof, das Deutschordenshaus, das Johanniterhaus. Das letztere scheint das beliebteste und am häufigsten gebrauchte Asyl gewesen zu sein, wohl seiner Lage wegen, die ein Entrinnen erleichterte. Enea Silvio nennt dies Haus als die einzige ihm bekannte Basler Freistatt; um 1450 hatte sich der Rat über den Mißbrauch zu beklagen, der mit diesem Asyl getrieben werde, da vom Gericht arrestierte Güter bei Nacht und Nebel dorthinaus geschafft würden und Weiber ihren Ehemännern das Gut dorthin verschleppten usw.

Nicht die ganze Liegenschaft des Klosters usw. hatte Asylrecht, sondern nur soweit sie geweiht war. Der Krautgarten der Barfüßer z. B. konnte nicht mehr als Asyl gelten; aber im Klingental stand schon im Vorhofe bei den Mühlen, neben dem Eingang, eine Säule, und wer diese erfaßte war sicher, obgleich er noch nicht auf geweihtem Klosterboden stand.

Der Rat achtete die Asyle; wie seine Häscher einmal ins Klingental eindrangen, um geflüchtete Übeltäter zu suchen, anerkannte er ausdrücklich, gefrevelt zu haben. In andern Fällen, da er so handelte (1468 beim Hinaustragen der Frauenwirtin Katharina aus dem Johanniterhause, 1486 beim gewaltsamen Wegführen Hans Webers aus dem Chore von St. Martin während des Hochamtes, 1519 bei der Festnahme Mathis Heckels im Asyl), war er im Rechte, weil es sich um Mörder und Verräter handelte, „die keine Freiheit haben sollen.“

Wo der Rat nicht in solcher Weise eingreifen konnte, begnügte er sich mit Bewachung des Asyls und bezeichnete dies Verfahren gegenüber den Protesten der Kirche als sein altes Recht. Es konnte dazu dienen, Asylinhaber und Flüchtlinge zu ermüden; bis ins Innere des Asyls schickte der Rat zuweilen die Stadtknechte und ließ sie dort dem Verfolgten nicht von der Seite gehen, bis er sich freiwillig, auf Gnade des Rates, ergab. Freilich [746] genügte auch die sorgfältige Bewachung nicht immer, sodaß z. B. die Brüder Bischoff 1482 aus dem Asyl zu St. Alban als Mönche verkleidet entwischen konnten. Aber diese Bewachung war das einzige Mittel, das der städtischen Justiz gegenüber dem Privileg der Kirche blieb; daher sich der Rat 1488 im Freiheitsbriefe Friedrichs dieses Recht ausdrücklich bestätigen und dokumentieren ließ.


Diese gesamte Privilegierung des Klerus hatte ihre stärkste Konzentration auf Burg. Ein Recht galt hier oben, das Zustände alter Bistumszeiten durch die Jahrhunderte weitertrug und festhielt und gegründet war auf das unvergleichliche Gefühl des an diesem einen Punkte gesammelten höchsten Kirchenwesens der Stadt.

Domherren und Domkapläne hatten als ordentlichen Richter den Domdekan. Die Domherren waren die einzigen Kleriker, die des Schwertrechts genossen. Domherren und Domkaplänen stand das Recht zu, in Stadtfriedenssachen die auf Verbannung lautende Strafe mit Geld zu leisten, was andre Kleriker nicht tun konnten. Domherren und Domkapläne waren von jeder Steuer befreit gleich dem Bischof, dem Weihbischof und dem Generalvikar. Auch vom Mühleungeld, zu dessen Entrichtung der übrige Klerus (mit wenigen Ausnahmen) verpflichtet war. Doch war diese Ungeldbefreiung nur Solchen gewährt, die für ihren eigenen Haushalt mahlen ließen, und erstreckte sich demnach bei den Domkaplänen nur auf ein Quantum von je sechs Viernzeln Getreide im Jahr. Daß in den Häusern der Domherren ein höherer Friede galt als draußen, stellte diese Wohnungen auf gleiche Linie mit denjenigen anderer Kleriker sowie der Bürger. Dasselbe tat die Vorschrift, daß in den Domkurien weder Menschen noch Güter mit Arrest belegt werden durften und der Fliehende eine Freistatt fand. Aber die im Jahre 1395 vorgenommene Aufhebung dieser Immunität der Bürgerhäuser für Fremde und Unzünftige erstreckte sich nicht auch auf die Domherrnhöfe; ihnen wurde, mit Ausnahme schwerer Verbrechen, die Immunität gelassen.

Diese Sonderstellung des Domklerus ist begreiflich. Aber wir sehen, daß sie auch für gewisse Gruppen von Laien galt.

Das sonst nur Geistlichen zustehende Gerichtsprivileg wurde auch für die adligen Inhaber der vier Hof- und Erbämter in Anspruch genommen; sie sollten nirgends zu Recht stehen als vor dem Bischof oder seinem Offizial.

Das weltliche Gesinde der Domherren wurde zur „Pfaffheit“ gerechnet und hatte dieselbe Stellung wie diese im Stadtfriedensrechte, wenn [747] es bei seinen Herren wohnte und aß, ehe- und zunftlos war; ordentlicher Richter auch dieser Leute war der Domdekan; auch sie sollten Schwertrecht, sowie Steuer- und Wachdienstfreiheit haben.

Aber solche Privilegien wurden überdies noch geltend gemacht für die Personale der Gerichtshöfe auf Burg und der Münsterbauhütte.

Die Schreiber, „die der vierer einer sind“, und die Büttel des geistlichen Gerichts hatten das Schwertrecht. Auch erklärten die Gerichtsbeamten, daß sie einzig vor ihrem Offizial zuständig seien, wogegen der Rat den Zwang seines Stadtgerichts wenigstens für alle Polizeivergehen der Kurialen, außer den im Bezirk des Gerichtshauses begangenen, behauptete. Aber am heftigsten und dauerndsten wurde über Steuer- und Dienstpflicht dieser Gerichtsbeamten gestritten. Die Befreiung der beiden Offiziale vom Mühleungeld freilich galt anstandslos; aber im Übrigen verlangten die Bischöfe immer wieder, daß die „Hofsverwandten“ gleich dem Domklerus aller städtischen Lasten frei sein sollten. Konsequent antwortete der Rat stets dasselbe: diese Schreiber seien zum Teil gar keine Kleriker, sondern Weltleute und Familienväter; sie haben Haus und Hof in Basel und genießen alle Vorteile an Brunnen Brücken Weg und Steg, so daß es nur billig sei, auch sie zur Steuer heranzuziehen. Es waren Argumente, die zum guten Teil auch dem Klerus gelten konnten; hier, angesichts des weltlichen Geschäftswesens dieser Beamten, hatten sie stärkere Kraft. In der Tat hielt die Stadt an der Steuerforderung fest, den Wach- und Kriegsdienst verlangte sie nur in Tagen der Not und Gefahr. Erst 1515 gelangte sie auch in diesem Punkte zur vollen Wahrung ihrer Rechte.

Auch die Bauhütte nahm auf ihre Weise Teil an diesen Vorrechten. Daß der Steinmetz Hans Dotzinger, der Parlier Peter Knebel, der Glockengießer Hans Peyer, der Goldschmied Rutenzwig für den Münsterbau arbeiteten, ohne zünftig zu sein, daß Hans von Thann dreiundzwanzig Gesellen zugleich am Münsterdachstuhl beschäftigte, zeigt die Freiheit dieses Betriebes auf Burg von den sonst geltenden Vorschriften der Stadtwirtschaftsordnung und des Gewerberechts. Ausdrücklich anerkannte der Rat, daß der Werkmeister des Domstifts der Zunftordnung zu Spinnwettern nicht unterworfen sein solle. Aber auch von der Steuerpflicht konnte der Werkmeister Hans von Nußdorf sich frei machen.

Endlich trat neben diese mannigfaltige persönliche Privilegierung noch ein Sonderrecht des Münstergebietes selbst. Zwar der höhere Friede, die Arrestfreiheit und die Freistatt der Domherrenhöfe waren nicht Vorrechte des Bereiches auf Burg, flossen nicht aus einer „Freiheit“ des Atriums. [748] Sie galten auch in den anderwärts gelegenen Domherrenkurien sowie in den Wohnungen der Geistlichen und der Bürger überhaupt. Eine Immunität und Freiheit des Münsterplatzes wirkte ursprünglich nur darin, daß Verwundung oder Tötung eines Klerikers, die hier geschah, nicht nur die Exkommunikation des Täters nach sich zog, sondern als Verletzung der Kirche galt und die Interdizierung der ganzen Bischofsstadt zur Folge hatte. Aber diese alte Auszeichnung des Münsterplatzes fiel mit der Zeit dahin, und später hatte auch die an einem andern Orte der Stadt verübte Tötung eines Klerikers das Interdikt zur Folge.

Völligen Ausschluß der weltlichen Gewalt finden wir nur für einen engern Bezirk des Münstergebietes bezeugt, nämlich für den vor dem Richthause des bischöflichen Offizials gelegenen und durch einen von der Ecke der St. Johannskapelle gegen die Galluspforte sich ziehenden Graben begrenzten Platz. Dies war der „begrif und circk, bifang“ des Gerichtshauses, ein wirkliches Immunitätsgebiet, seine Grenze das „greblin“ oder der „runs“. War ein Beamter des geistlichen Gerichtes disziplinarisch vom Gericht ausgeschlossen, so durfte er dem Richthause nicht näher kommen als bis zu diesem Graben. Unfugen unterstanden ohne Rücksicht auf die Person und nur um des Ortes willen dem geistlichen Gerichte, wenn sie „inwendig dem runse“ vorfielen. Außerhalb des Grabens, also schon auf dem Münsterplatze, lag das Gebiet weltlichen Stabes; wer hier Unfugen trieb, gehörte vor das weltliche Gericht; der Laie, der hier den Stadtfrieden brach, wurde durch den Rat bestraft.


Eigenartig stehen die kirchlichen Bauten im Stadtbilde, aber auch in der Baugeschichte der Stadt. Der profanen Baumasse gegenüber erscheinen sie als die Gehäuse einer unerschütterlich alle Befangenheit und jeden Wechsel des Daseins überdauernden Kraft, eines Lebens das nicht von der Welt ist. Geschaffen mit allen Mitteln Mächten und Künsten dieser Welt, aber in einer weit über sie hinauf verlangenden Gesinnung.


Kreuzsteine Wegkapellen Bildstöcke Kruzifixe umgaben rings die Stadt. An den Toren begrüßten fromme Bilder den Eintretenden. Überall im Innern waren Stätten der Andacht: Gemälde Statuen Kapellen Klostergebiete Kirchen.

Aber dieser ganze Reichtum erschien nie als genügend, nie als fertig. Die Arbeit für ihn füllt unausgesetzt die Jahrhunderte, der großen Zahl [749] dieser Werke wegen, sowie in Folge des steten Wachstums und Wechsels der Bedürfnisse; aber zu beachten ist auch die Langsamkeit, mit der gebaut wurde. Die großen Unternehmungen von Kirchenbau scheinen nie enden zu können, und neben ihnen geben die Kirchhöfe, die Stiftsgebäude und die Klöster, die Kapellen, die Sakristeien, die Kreuzgänge, die Gräber, die Altäre, der tausendfältige Schmuck, das unzählbare Beiwerk und Gerät immerfort und stets aufs neue zu tun.

Bei diesem Allem trat zur Tätigkeit der Kirche selbst eine unübersehbare Summe von Leistungen der einzelnen Gläubigen, in der Form gewöhnlichen alltäglichen Opfer- und Almosengebens oder spezieller Stiftungen und Spenden oder organisierter Kollekten. Prinzipiell sollte das Sammeln auf den Bereich der betreffenden Kirche sich beschränken; aber unaufhörlich griff es über diese Grenzen hinaus. St. Alban und St. Leonhard z. B. kollektierten 1357 für ihren Wiederaufbau im ganzen Bistum Basel; das Münster setzte stets auch die benachbarten Diözesen in Kontribution. Ablaßverheißungen erschienen jederzeit als die wirksamsten Hilfen bei diesem Heischen und Sammeln.

Das Ganze war vor Allem eine Sache der Devotion, die in solchen Werken ihr Höchstes vollbringen konnte. Nur daß zuweilen der Eifer größer war als die Kraft. Man begann einen Bau und brachte ihn kaum zu Ende; man mußte Pausen machen, um wieder Geld zu gewinnen. Als ein Beispiel dieser Art von Betrieb erscheint der über mehrere Jahrzehnte sich hinziehende Bau des Langhauses von St. Leonhard; und wohl im Blicke hierauf sah sich der Rat veranlaßt, 1515, als St. Elisabeth neu gebaut werden sollte, ausdrücklich vor solchem Liegenlassen zu warnen.

Der Frömmigkeit gesellten sich aber beim Kirchenbau auch praktische und politische Motive. Neben Donatoren und Baubruderschaften rührte sich schon zeitig die Kirchgemeinde, ja die Stadt selbst. Nicht nur das Bedürfnis trieb, weil die Gemeinde wuchs oder das gottesdienstliche Personal sich vermehrte, sondern auch der Stolz, die Baufreude, die Eifersucht auf andre Gemeinden oder Städte, das Verlangen sie zu übertreffen.

Die Beschaffung der Geldmittel und die Besorgung des Baus selbst geschah durch die spezielle Bauverwaltung, fabrica, die bei den meisten Kirchen bestand in der Eigenschaft eines kirchlichen Vermögenskomplexes mit juristischer Persönlichkeit; auf ihr lag die kirchliche Baupflicht. Aber weil im Fall ihres Ungenügens die Gemeinde als haftpflichtig galt, konnte sich schon früh eine Beteiligung dieser Gemeinde an der Fabrikverwaltung ergeben. Nicht überall. Das St. Petersstift hat, gleich dem Domstift, die [750] Kirchenfabrik allein verwaltet, durch eines seiner Mitglieder als Bauherrn, und von Vertretern der Gemeinde ist bei ihm nichts zu hören. In andern Kirchspielen finden wir dagegen eine tätige Mitarbeit der Gemeinden an den kirchlichen Baugeschäften, die sogar so weit gehen konnte, daß die Gemeinde selbst den Bau der Kirche unternahm und durchführte; so zu St. Theodor 1422 f. und zu St. Leonhard 1489 f.

Am mächtigsten präsentiert sich uns die Bauverwaltung beim Münster, wo unter Aufsicht des Domkapitels die unmittelbare Leitung des Baus dem Fabrikmeister, einem der Domkapläne, übertragen war.


Die Situation der Kirchen im Stadtplane bezeugt uns, daß eine bestimmte höhere Absicht hauptsächlich bei den Pfarrkirchen waltete; sie stehen fast alle auf dominierenden Punkten. Am stärksten erscheint dieser Wille der Beherrschung beim Münster, das allerdings viel mehr als Pfarrkirche war, nämlich das erste Gebäude und das Zentrum der Diözese. Im Übrigen folgte die Lage der kirchlichen Bauten dem Zufall und den Umständen, und namentlich konnte es sich auch nicht um eine gleichmäßige Verteilung im städtischen Gebiete handeln. Einzig in der, wenn auch nicht streng durchgeführten, doch im allgemeinen erstrebten Orientierung offenbarte sich ein Gesetz. „Fern im Osten wird es helle.“


Was die Kirchen in der Baumasse der Stadt auszeichnete, war das Ragen ihrer Wände, von imposantester Macht beim Barfüßerchor. Außer dem Münster boten sie nur Flächen fast ohne Schmuck. Alles an diesen Gebäuden erschien nach innen gekehrt und nach oben weisend.

Wie sehr die Kirchtürme das alte Bild der Stadt bestimmten, zeigen die Prospekte Schedels und Merians. Da die turmgleichen Ritterwohnungen der frühen Zeit, die Wicburgen, meist nicht mehr bestanden, waren neben den Türmen der Fortifikation diejenigen der Kirche das einzige massig oder schlank Aufsteigende. Von Weitem schon die große Stadt verkündigend, im Innern den Aufblick aus jeder Gasse beherrschend. Auch Kapellen trugen vielfach diese Auszeichnung; so St. Johann auf Burg, St. Nicolaus in Kleinbasel, die Spitalkapelle usw.; vom Türmchen auf dem Oratorium der Deutschherren war schon früh die Rede. Auch kein Kloster baute seine Kirche, ohne ihr einen Turm zu geben, dessen Glocke zunächst die Bewohner des Klosters selbst rufen sollte, aber auch einer weitern Gemeinde bei Begräbnis oder Gottesdienst ertönte. Auf dem Chordach des Klingentals stand ein vierundachtzig Werkschuhe hoher Turm, dessen Knauf ein vergoldetes Kreuz und [751] über diesem einen posaunenden, gleichfalls vergoldeten Engel trug. Die Frauen an den Steinen erneuerten 1404 ihr „gloghus“, und von demjenigen der Augustiner erfahren wir, daß es mit Blei gedeckt war und 1460 durch den Blitz zerstört wurde. Der hohe eiserne Dachreiter der Barfüßer, der 1459 errichtet worden war, währte bis ins XIX. Jahrhundert. Wohl das schönste dieser Klostertürmchen war der vor 1423 durch Johann Kun aus Ulm gebaute steinerne Campanile der Prediger, den wir noch heute besitzen.

Wirkliche Türme, auf eigenen Fundamenten ruhende Baukörper, erhoben sich nur bei den Pfarrkirchen; auch neben St. Andreas stand ein solcher Turm, der „wendelstein“. Der Turm von St. Martin wurde sofort nach dem Erdbeben gebaut, derjenige zu St. Peter um 1430, derjenige zu St. Alban (an Stelle des im Brande 1417 vernichteten Turmes) 1435, derjenige zu St. Ulrich (der wohl gleichfalls einen 1417 zerstörten Turm zu ersetzen hatte) 1440, derjenige zu St. Theodor zugleich mit der Kirche 1422. Am Münster wurde der Georgsturm 1428 vollendet, der Martinsturm 1500.

Daß die Kirchtürme zum Teil auch Stadttürme und als solche gedacht und gestaltet waren, daß sie mit ihren Schlaguhren und Wachtstuben (Münster St. Martin St. Nicolaus) profane Funktionen offizieller Natur hatten, ist schon gezeigt worden. Namentlich aber muß das Geläute Erwähnung finden. Keine Vorstellung haben wir von der Fülle des Klanges, der damals, stets aufs neue erregt, von all den großen und kleinen Türmen, von Kirchen und Klöstern her unaufhörlich über die Stadt ging. Mit mächtigem breitwogendem Dröhnen, mit dünnem Gebimmel, mit einzelnen Schlägen. Zu Bezeichnung gewisser Stunden, als Begleit kirchlicher Feste und Begehungen, als Anzeige von Tod und Begräbnis, als Befehl und Alarm und Ruf. Eine Kraft, die das Leben der ganzen Stadt formte und führte und deren Ausbleiben, wenn ein Interdikt wochenlang ja monatelang alle Glocken schweigen hieß, schwer empfunden wurde.


Das Kirchengebäude selbst konnte zerfallen in den eigentlichen Kirchenraum und einzelne Kapellen. Wichtiger, aus dem innersten Wesen der Institution genommen, war die Unterscheidung der Kleriker- oder Ordenskirche vom Raume der Profanen, von der Laienkirche. Eine Trennung, die wir überall, auch in den Pfarrkirchen, finden; am stärksten betont in den Kirchen der Klöster, vor Allem in solchen weiblicher Konvente.

Das als Laienkirche dienende Langhaus hatte dieser Bestimmung entsprechende Dimensionen. Die meisten Kirchen, auch bei Weiberklöstern, [752] waren daher dreischiffig angelegt, einschiffig war nur die Karthäuserkirche. Querschiffe fanden sich nur im Münster. Bei den Pfarrkirchen war das Schiff länger und erheblich breiter als der Chor; ebenso bei den Mendikanten, die ihre Langhäuser als Predigthallen bauten und hiebei den größten Maßstab annahmen. Anders bei den Kirchen der übrigen Klöster, deren Langhäuser in erster Linie für die Hofbewohnerschaft, die Konversen Knechte Mägde Pfründer usw., und nur nebenbei auch für Leute aus der Stadt bestimmt waren. Daher z. B. bei den Karthäusern, im Klingental und im Gnadental die Chöre den Langhäusern in der Breite beinahe gleichkommen und sie in der Länge sehr übertreffen. Zu St. Leonhard wiederum ist das Langhaus in der Höhe dem Chor ungefähr gleich und mißt in der Länge sein Zwiefaches, in der Breite sein Dreifaches. Doch ruht seine Wirkung nicht auf diesen Maßen, sondern auf dem Gesamten des Raumes. Es ist 1489 als Hallenkirche gebaut. Da die Seitenschiffe, gleich hoch und gleich hell wie das Mittelschiff, nicht als niedere halbdüstere Kapellenreihen sich von ihm lösen, entstehen eine Möglichkeit praktischer Raumausnützung und zugleich ein Gesamtbild, wie in keiner der Kirchen alter Form.

Wenn auch der Laienraum den Chor meist an Ausdehnung übertraf, so stand er immer hinter ihm zurück in der baulichen Anlage und Durchbildung. Den Chorgewölben antworteten in den Schiffen — mit Ausnahme St. Albans, St. Leonhards und natürlich des Münsters — flache Decken. An die stärkere Bauart der Chöre erinnert, daß im Erdbeben sie alle fest Stand hielten. Der neue Chor zu St. Martin, der 1398 geweiht wurde, trat nicht an Stelle eines 1356 vernichteten, sondern war wegen Vermehrung des Chorpersonals nötig geworden. In gleicher Weise dürfen wir auch den Bau der übrigen, dem spätern XIV. oder dem frühen XV. Jahrhundert angehörenden Kirchenchöre (zum Unterschied von den ins XIII. und XIV. Jahrhundert zurückreichenden Klosterchören) als Wirkung davon betrachten, daß die Geistlichen allenthalben sich vermehrten und für ihren Chordienst erweiterten Platzes bedurften.


Als Trennung von Langhaus und Chor dienten durchweg die Lettner, über denen die Öffnung des Triumphbogens zwischen den beiden Räumen blieb. Im Klingental und wohl auch in den andern Kirchen von Weiberklöstern war diese Öffnung geschlossen; statt ihrer befanden sich unter dem Lettner einige vergitterte Fenster in der Mauer, die als Beichtfenster dem Verkehre der Nonnen mit dem Beichtvater dienten und überdies den Laien das Hören des im Chore sich vollziehenden Gottesdienstes ermöglichten.

[753] Vor diesem Lettner oder in einer Kapelle unter ihm haben wir, wie in andern Kirchen, so auch in denjenigen Basels den für den Gemeindegottesdienst hauptsächlich bestimmten Altar des hl. Kreuzes zu suchen, über dem sich ein großes Kruzifix erhob. Das berühmteste dieser Kreuze in Basel war der „große Gott“ des Münsters, der im Jahre 1385 über dem Lettner auf einem Querbalken im Triumphbogen errichtet worden war und 1529 beim Bildersturm unterging. Auch in der Peterskirche stand oder hing ein solches großes Kreuz ob dem Lettner.


Zur unentbehrlichen und frühesten Ausstattung des Langhauses gehörte der Taufstein, der in der Regel nahe beim Eingange stand. An Stelle alter wurden neue Taufsteine aufgestellt im Münster 1465, zu St. Martin 1451, zu St. Peter 1514, zu St. Theodor als Stiftung der Familie Kilchman ebenfalls im beginnenden XVI. Jahrhundert.

Jünger war die Kanzel, da den Predigten und gottesdienstlichen Lektionen anfangs der Lettner diente, der nur allmählich durch eine frei ausgebildete, selbständige Empore ersetzt wurde. Die am frühesten genannte Kanzel dieser Art ist das „brediger hüselin“ in der Peterskirche 1388, gleich den von da an öfters erwähnten „bredigstülen“ des Münsters und andrer Kirchen wohl nur ein hölzernes Gerüste. Erst das Ende des XV. Jahrhunderts schuf sie neu aus Stein: 1486 die herrliche Münsterkanzel Heynlins, 1497 die Kanzeln zu St. Martin und zu St. Theodor.

Neben diesen wenigen festen, nicht zu missenden Stücken verbreitete sich schon frühe die mannigfaltigste Fülle von Einbau und Schmuck. Anbetung Reue Trostbedürfnis Prunklust Familiensinn Gemeindegefühl brachten ihr eigentümliches Leben und schufen Werke, in denen, rings umschlossen von demselben Raume und beherrscht durch den einen Geist dieser Kirche, das Persönlichste des Einzelnen und der Zustand jedes Momentes sich verkörperten. Vor Allem die Altäre sind zu nennen, die als Meß­- oder Votivaltäre neben dem Hochaltar überall entstanden, an Wänden, an Pfeilern, in Winkeln und Nischen, bis hinauf in die Höhe des Lettners, der fast in jeder Basler Kirche seinen Michaelsaltar trug. Der Stifter will mit einem solchen Altar seine eigene Stätte für Gott bereiten, und jeder dieser Altäre hat sein Individuelles in der Art der Dotierung, im Patrozinium, in Form und Zierrat. Nicht nur die Priesterschaft wird durch das Entstehen neuer Altäre vermehrt. Sondern jede Altarstiftung ruft wieder der Beschaffung von Bildern Leuchtern Kelchen Behängen usw. Der Kultus selbst wird immer reicher und anspruchsvoller, und zuweilen kommen noch [754] gewaltige und reichgezierte Augenblicksdekorationen hinzu wie Katafalke bei Totenfeiern, Gerüste für das Ablaßgeschäft usw. Auf diese Weise füllen sich die Basler Kirchenräume mit einer Masse, die auch den mit verwöhnten Augen blickenden Gatari und Enea Silvio als Reichtum erscheinen konnte.

Den Reiz dieser Ausstattung bewirkten nicht allein die Pracht und die Menge, sondern vielfach auch die glücklichste Planlosigkeit. Sie war zum größten Teile das Werk spontaner Devotion. Ein successives Anhäufen Aufhängen Einmauern schuf aus diesen Dingen und Formen, die im Einzelnen schön oder von höchster Kostbarkeit oder rührend naiv waren, ein Ganzes von freier Anmut. Jede Gabe, so vereinzelt sie kam, hatte ihr eigenes Leben und ihr Recht. Der Arme, der sein Kerzchen oder seine Votivhand opferte, durfte sich als Freund und Helfer des Gotteshauses fühlen so gut wie der große Stifter, dessen Gabe als Goldgefäß auf dem Altar oder als bunter Damast am Rücken des Zelebranten funkelte. Was der feinste Geschmack ersonnen, stand hart neben dem, was nur gute Absicht zu Stande gebracht hatte.

All dies war geeint durch den Schein der vielen brennenden Lichter. Auf und vor den Altären, bei Tafelbildern oder Statuen, über Gräbern hingen die still leuchtenden Ampeln oder flackerten Kerzen in Kandelabern; oft dienten Engelgestalten, z. B. im Münster und in der Kleinbasler Nicolauskapelle, als Kerzenhalter. Es war ein beliebter Stiftergedanke, für die ewige Dauer solcher Lichter zu sorgen, dem Erhellen des Dunkels die Mystik der am lichten Tage lodernden Flammen beizugeben.

Neben und zwischen all diesen Gegenständen stand den die Kirche besuchenden Menschen der freie Raum einfach zur Verfügung. Eine Bestuhlung für Laien wurde von Seite der Kirche in der Regel nicht eingerichtet; sie überließ ihnen, selbst für sich zu sorgen. Auf diese Weise füllten sich dann die Langhäuser mit jenen geschlossenen, an Zellen oder Häuslein erinnernden Stühlen, von denen Enea Silvio verwundert redet. Dabei scheint allgemeiner Brauch gewesen zu sein, daß die Stühle als Eigentum ihrer Inhaber oder als Zubehör eines Hauses im Kirchspiel galten und ohne Zutun der kirchlichen Behörde verändert verkauft und vererbt wurden. Völlige Freiheit herrschte und wohl auch Unordnung. Die Stühle zu St. Peter waren „ungeschickt und seltzam“, der eine Stuhl hoch, der andere nieder, der eine alt, der andere neu. Ludwig Kilchman besaß in der Theodorskirche drei Männer- und zwei Weiberstühle, in den Kirchen von Klingental und St. Klara je einen Männer- und einen Weiberstuhl, und legierte diese Stühle sämtlich der von ihm gestifteten Herberge. Hans [755] Murer verkaufte 1487 den zum Hause zum Tanz gehörenden Stuhl in der Martinskirche an den Goldschmied Schongauer. Nur das Petersstift scheint die Stuhlverhältnisse auf seine Weise geregelt zu haben; es selbst erstellte und vermietete ein Laiengestühl in seiner Kirche, nur für Frauen. Anläßlich der Wiederherstellung der Kirche wurde 1388 auch diese Sache frisch geordnet und, da sich mit der Zeit Mißbräuche festsetzten, 1518 ein neues Gestühl, diesmal auch für Männer, angefertigt mit der ausdrücklichen Erklärung, daß es St. Peters Eigentum sei und daß fortan nur Kirchspielgenossen sollten Stühle erhalten können.

Zum Bilde des Kircheninnern gehörte auch die Gestaltung der Decke und ihrer Träger. Neben flachgeschnitzter Dekoration tragen einzelne dieser Decken, z. B. zu Barfüßern, auch reicheres Bildwerk von Figuren; wo Gewölbe waren, fehlte nie die farbige Auszierung der Schlußsteine Rippen und Kappen; an Wänden und Säulen prangten zahlreiche Wappenskulpturen. Das Bedeutendste aber waren die Wandgemälde, allverbreitet, oft in weitgedehnten Zyklen, durch den ganzen Zeitraum unaufhörlich gemehrt und neu entstehend. Vermöge der räumlichen Größe sowie der Macht der Darstellung herrschten diese Malereien über Alles und konnten unmittelbar als Illustration und Bekräftigung der Predigt dienen. So hatten auch die Glasgemälde der Fenster nicht nur die Bedeutung erlesenen Schmuckes; sie schlossen mit zauberischen Farben jede Öffnung des Gebäudes gegen die Welt.


Über Stufen von der Laienkirche her zugänglich, durch ein Gitter und den Lettnereinbau von ihr geschieden war der Chor: der Raum des Allerheiligsten und der Ort für die feierlich geordneten Gottesdienste von Geistlichen und Ordensleuten; in den Pfarrkirchen weniger geräumig als das Langhaus und meist nur durch Fenster im Chorhaupt erleuchtet; in den Klosterkirchen größer als das Langhaus und von diesem auch als ganz lichte, rings von hohen Fenstern umgebene Halle unterschieden; in der Regel polygonal, nur zu St. Peter und zu St. Ulrich geradlinig geschlossen.

In dieser Abgesondertheit stand der Hoch- oder Fronaltar, unter den Altären der erste, dem Titelheiligen der Kirche gewidmet; die an ihm sich vollziehenden Begehungen der Messe usw. waren nicht gehaltvoller oder wirksamer als an Nebenaltären, aber vornehmer, nicht einem jeden Priester gestattet, und entsprechend feierlich gestaltet. Daher auch die Auszeichnung des Hochaltars durch den edelsten und reichsten Schmuck. Doch haben wir von dieser Pracht nur dürftige Erwähnungen. Meister Paul Mosbach machte [756] 1476 eine Tafel für den Hochaltar zu St. Theodor; St. Peter hatte ein großes Altarwerk „aus Alabaster“, die Karthause eine tabula preciosa als Geschenk der Frau von Rotberg, St. Alban ein vom Prior Ulrich von Bisel bestelltes Altargemälde — pulchra tabula cum devotis hystoriis —, das dann ein berühmtes Andachts- und Gnadenbild wurde; wohl zum Reichsten gehörten die Altaraufsätze mit Gemälden und Schnitzwerk, die 1503—1505 für den Hochaltar zu Predigern durch den Bildhauer Jos und den Maler Caspar Hoch, 1514—1518 für den Hochaltar des Steinenklosters durch den Bildhauer Martin Hoffmann und den Maler Hans Herbster ausgeführt wurden.

Neben dem Hochaltar stand an der nördlichen Wand des Altarhauses ein Behälter für Verwahrung der Eucharistie: das Sakramentshaus. In der Form eines Wandschrankes hat es sich bis heute in den Chören von St. Leonhard und St. Theodor erhalten und wurde es 1447 durch Hans Brüglinger in den Neubau der Ulrichskirche gestiftet; als freistehendes Tabernakel wurde es im Chore von St. Martin 1451 durch den Meister Hans von Konstanz errichtet. St. Theodor erhielt nach 1521, durch Stiftung des Hans Kilchman, zu seinem alten Wandtabernakel ein neues schöneres Gehäuse in Turmform, fünfundzwanzig Schuh hoch und von reinem Steinwerk, eine Arbeit des Steinmetzen Hans Menzinger und des Bildhauers Hans Dürr.

In die gegenüberliegende Chorwand, ebenfalls in der Nähe des Altars, waren die Zelebrantensitze eingelassen, auf denen die Priester und die Diakone während des Gloria und des Credo Platz nahmen: zierlich gebildet zu St. Alban, einfacher zu St. Leonhard Barfüßern und Klingental.

Für die übrige Chorgeistlichkeit, für Mönche und Nonnen waren auf beiden Langseiten Sitze angeordnet. Den schlichten Gestühlen der Klöster (Karthaus 1428, Barfüßer 1441) gegenüber stand das reichere, 1494 durch Ulrich Bruder für den Chor zu St. Peter geschaffene „geistliche Gestühl“.

Auch von den Lampen und Leuchtern, die in den Chören brannten, ist oft die Rede; von aufgehängten Prozessionsfahnen, von allerhand Bildwerk, von Glasgemälden in den Fenstern. Wenn das Peterskapitel an Festtagen die großen Wandflächen seines Chores ringsum mit den bunten Heidnischwerkteppichen behing, die Probst Ner hiefür gestiftet hatte, so bot das Ganze jedenfalls einen Anblick reichster Pracht. Andere Chöre hatten dafür ihre reine Hoheit und Weihe. So namentlich das lichte Gehäuse zu Barfüßern und der noch in anderer Weise ausgezeichnete Chor des Münsters.

Diesen charakterisiert schon die erstaunlich rasche Vollendung des Baues; sie ist nicht zu verstehen ohne Annahme einer Begeisterung, die vom Plane [757] des Johann von Gmünd geweckt alle Beteiligten, voran den Bischof, hinriß. Zur heutigen Erscheinung dieses einzigartigen Raumes treten alte Zeugnisse und Bilder, und wir sehen die schöne eingeschlossene Szene wie einen festlichen, über die andern Räume des Münsters emporgehobenen Saal vor uns. Zur Rechten und zur Linken ist er vom tiefliegenden Querschiff durch Holzwände geschieden, vor denen je drei Sitzreihen ansteigen, sodaß der „Chor des Propstes“ dem „Chor des Dekans“ gegenüberliegt. Unter Bischof Johann von Fleckenstein ist dieses Prachtgestühl von insgesamt sechsundneunzig Sitzen erstellt worden. Den zwischenliegenden weiten Raum schließt gegen das Langhaus eine gleich den Seitenwänden geschmückte hölzerne Schranke, hinter welcher der 1381 erbaute Lettner steht und in der zwei Gittertüren zu der ins Langhaus hinabführenden großen Treppe und zu den beiden Lettnertreppchen sich öffnen. Zwischen diesen Türen erhebt sich auf Stufen der steinerne Stuhl des Bischofs. Vor den Augen des hier thronenden Fürsten liegt ein unvergleichliches Bild: über der Vierung um Stufen erhöht das Altarhaus, dessen Umfassung den Blick vom Dunkel der Arkaden zum reichen Lichte der hochgelegenen Fensterflächen hinauf führt. Vor dem linken Vierungspfeiler steht das während des Konzils, 1436—1438, erbaute Sakramentshaus, hoch und schlank, reich gebildet, bunt, mit vergoldetem Schmiedwerk; weiter hinten glänzen aus dem Dunkel Altäre Gestalten Bilder und das Grabmal der Königin, öffnen sich Durchblicke und Türen; in der Mitte steigt ruhig und Alles beherrschend der Hochaltar auf. Was jeden Altar zu einem Orte besonderer Art macht, sein Dienst als Gebets- und Opferstätte, sein Mysterium, das erscheint hier noch gehoben durch das Hinzutreten kirchlicher und weltlicher Größe, durch das Gefühl eines Lebens, das seit Jahrhunderten sich in diesem Chor oft in der mächtigsten Bewegung zusammengefunden hat. Dieser erste Altar des Bistums, an Feiertagen von erlesenem Schmucke funkelnd, ist schon in gewöhnlichen Zeiten als etwas Besonderes gestaltet. Seine Hauptzierde ein großes steinernes Altarwerk mit den Gestalten des Gekreuzigten und der zwölf Apostel; bei ihm stehen vier Säulen, deren jede einen kerzenhaltenden Engel trägt. Zum Heilig Heilig Heilig dieser Cherubim leuchten ringsum die reinen Flammen auf den Kandelabern der Domherrensitze und Pulte, auf den Altären, vor Sakramentshaus und Sakristeitür; über Allem schwebt in der Höhe die mächtige Leuchterkrone.


Die Kirchen hatten vielfach Kapellen neben sich, meist zufolge der Stiftung Einzelner, die hier bei dem allgemeinen Gotteshaus, aber im Innern [758] separiert, einen speziell ihnen teuern Kultus einrichteten. Als Kapellen dieser Art dürfen gelten die an St. Leonhard angebauten (St. Michael und Johannes 1388, St. Katharina und Diebold 1339 und 1362), die Marienkapelle bei St. Alban, die Verenen- und Katharinenkapelle des Klingentals, die Eberlerkapelle zu St. Peter. Namentlich aber die großen Kapellenreihen des Münsters, deren nördliche, auf der eigentlichen Schauseite des Baus gelegen, durch die vier ältern und vornehmeren Stiftungskapellen (Bischof Heinrich von Neuenburg, Bischof Peter von Aspelt, Schaler, Münch), die südliche durch die spätern und bescheideneren (Tegernau Gebwiler Bebelnheim Fröwler) aus der Zeit 1320 f. gebildet wird. Doch blieben diese Kapellen nicht abgetrennt, sondern wurden mit dem großen Innenraume vereinigt; aus den Kapellenfluchten entstanden die äußern Seitenschiffe.

Sie traten damit in die Reihe vieler anderer Kapellen von Basler Kirchen. Denn in diesen konnte jeder Nebenschiffteil, jeder durch Joch und Pfeiler eingefaßte, durch ein Gewölbe oder eine Decke überspannte Raum Kapelle heißen, wenn in ihm ein Altar errichtet und geweiht war. In solcher Weise haben wir uns z. B. die zahlreichen Kapellen der Predigerkirche vorzustellen, die Kapellen unter den Lettnern des Münsters und der Barfüßerkirche, die Gallus- und die Stephanskapelle in den Querschiffen des Münsters.

Bei den separierten Stifterkapellen äußerte sich von Anbeginn die Macht des Eigenen, des Intimen in der Gestaltung und Ausstattung. Aber auch sie konnten statt des ursprünglichen nur persönlichen Interesses ein allgemeines erlangen vermöge ihres Alters, ihrer Indulgenzen, allfälliger Reliquien usw. Gleich andern Kapellen wurden auch sie ein Ziel zahlreichen Zuspruchs, womit natürlich das Wachstum ihrer Ausstattung Hand in Hand ging. Hiezu trat überhaupt bei allen Kapellen, am stärksten bei den mit der Kirche vereinigten, das natürliche Bedürfnis, den Raum des Mittelschiffes für die Besucher von Predigt Messe usw. möglichst frei zu halten und Alles, was Einbau oder Möbel war, in die Seitenschiffe und Kapellen zu weisen. So entstand das eigentümliche Bild dieser Nebenräume, wo im Halbdunkel, unter den mit Glasmalerei gefüllten Fenstern, zwischen Säulen und Gittern, vor Bögen und Nischen sich die Altäre Statuen Tischgräber Leuchter Betstühle drängten, Geräte Bilder Weihegaben gehäuft waren, Inschriften und Wappenschilde die Wände und Grabplatten den Fußboden deckten. Auch größere Stücke waren da zu sehen, wie das Heilige Grab in der Dieboldskapelle bei St. Leonhard. Aus den Lettnerkapellen des Münsters schimmerte weithin das Gold der Altaraufsätze und Antependien und der 1517 von Ratschreiber Haller gespendeten Engel.

[759] Auch die Kapellen des Münsterkreuzganges mögen hier Erwähnung finden: die reichausgemalte Nicolauskapelle, die 1467 f. an Stelle eines ältern Baus errichtete Katharinenkapelle, die Maria Magdalenenkapelle; die beiden erstgenannten wurden mit Obergeschossen gebaut, die über der Nicolauskapelle den Sitzungssaal des Domkapitels, über der Katharinenkapelle eine Sakristei aufnahmen.


Unter diesen belebten Kirchenräumen öffneten sich da und dort in der Tiefe die Krypten: Orte der ernstesten Andacht und für Viele des Geheimnisses. Sie wiesen zurück auf frühe Zeiten, da man Altäre gern über einem Märtyrergrab errichtet, dann die Gruft zu einem Oratorium ausgebaut hatte. Solche Krypten haben sich erhalten unter den Chören des Münsters und von St. Leonhard; St. Peter hatte gleichfalls eine Krypta. Diejenige zu St. Leonhard war schon in romanischer Zeit erweitert, diejenige des Münsters ebendamals durch Einbau in die Vierung vergrößert und bis an die Grenze des Langhauses geführt worden, wodurch ein Raum von überraschender Weite entstand. Aber auch St. Oswald hatte eine Krypta, und von einem Raume dieser Art unter der ältern Katharinenkapelle beim Münster ist wiederholt die Rede. Die Altäre, die sich in diesen Krypten erhoben, machten sie zu eigentlichen Unterkirchen; Lampen erhellten sie; zu St. Leonhard konnte in der Tiefe ein Heiliges Grab verehrt werden; in der Krypta des Münsters schmückten Gemälde die Wände und Gewölbefelder. Die ganze Ausstattung, namentlich auch die Verwendung für Beerdigungen und die Stiftung von Seelenmessen an den Altären zeigen uns, wie sehr die ungewöhnliche Weihe dieser Räume empfunden wurde. Neben der Devotion wirkte hier eine eigenartig erregte Phantasie.


Zu nennen bleiben noch die Sakristeien.

Sie lagen stets beim Chor und waren direkt mit ihm verbunden; nur beim Münster machten die größeren Verhältnisse die Situation und Verbindung umständlicher. So unentbehrlich die Sakristeien aber zu sein scheinen, entstanden sie doch nicht überall zugleich mit dem Chore. Das Steinenkloster z. B. behalf sich jahrhundertelang ohne Sakristei und baute sie erst im Jahre 1505. Der Bau der Sakristei im Klingental 1441 f., die Wölbung der Sakristei zu St. Martin 1451, der Bau zweier Sakristeien zu St. Peter 1459 und einer neuen Sakristei beim Münster 1467 deuten wenigstens auf ein Wachsen der Bedürfnisse. Bei den Stiftern bestanden mehrere Sakristeien und wurden unter Chorherren und Kaplänen geteilt.


Aus technischen Gründen muss das Kapitel in zwei Teilen dargestellt werden. Zweiter Teil