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Dies war der Zustand der früheren Zeit, der aber im XIV. Jahrhundert durch Inkorporation der beiden Kirchen geändert wurde; diese Inkorporation, durch die Kloster und Stift die bisher nur ihrem Patronat unterworfenen Kirchen mit ihrem ganzen Gute zu Eigentum erhielten und nun Patrone und Kirchherren zugleich wurden, war eine Maßregel, die zugestandenermaßen ergriffen wurde, um den schlechten Finanzen des Patrons aufzuhelfen. Für St. Theodor wurde sie zu Gunsten des Domkapitels 1331 durch Papst Johann verfügt, jedenfalls als Belohnung der im Kampfe mit König Ludwig geleisteten Dienste; für St. Martin zu Gunsten des Klosters St. Alban 1362 durch Bischof Johann. Beide Male vollziehbar beim Abgange der die Kirche zur Zeit besitzenden Kirchherren, welcher Moment zu St. Theodor schon 1332, zu St. Martin erst achtundzwanzig Jahre nach der Inkorporation, im Jahre 1390, eintrat.

Für die Pfarrämter selbst und die ihnen unterworfenen Gemeinden brachte der Vorgang nichts wesentlich Neues. Nach wie vor besorgte ein Vikar die Geschäfte; nur wurde er nicht mehr durch einen nominellen Pfarrer, sondern durch das Stift oder Kloster ernannt und besoldet.

St. Ulrich, die sechste Pfarrkirche Basels, hatte als Kirchherrn den Dompropst und wurde durch einen Domkaplan oder Vikar bedient.

Diesem ganzen Wesen war überall und zu jeder Zeit eigen die Trennung einer natürlichen Einheit, das tatsächliche Verschiedensein des Pfarreiinhabers und des Pfarreibesorgers. Der den Namen des Pfarrers trug, war vielleicht zu jung oder ohne Priesterweihe oder mit einer Mehrzahl kirchlicher Ämter beladen, daher zur Besorgung der Pfarrei unfähig, vielleicht auch unwillig; oder er war eine Mehrheit von Personen, ein Konvent und Kapitel. Der statt seiner Arbeitende, der Subalterne, der nicht dem Amt und nicht der Gemeinde, sondern nur dem Brotherrn Verpflichtete, der Vikar, konnte trotzdem brauchbar, tätig, dem Volke genehm sein; er konnte namentlich in der Zeit nach der Inkorporation das Kloster oder Stift und dessen Pfarreiherrschaft völlig vergessen machen vermöge seiner eigenen starken Persönlichkeit. Aber er konnte auch ein Mietling sein an der Stelle des Hirten. Bei dem Mangel an Kontrolle war jedem Mißbrauche die Bahn frei; und unter allen Umständen fehlte dem Amte die Wucht eines ganzen und geschlossenen Wesens.

Das Empfinden und Leiden dieses Mißstandes wirkte mit dazu, daß einzelne Gemeindegenossen sich zu eigener Betätigung erhoben.

Wer durch Aufwendung einer Geldsumme einen eigenen Altar und einen eigenen Geistlichen stiftete, schuf sich damit auch einen Behelf für die

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/107&oldid=- (Version vom 4.8.2020)