Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation/5. Schule und Gelehrsamkeit

Handel und Handwerk Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation
von Rudolf Wackernagel
Die Kirche
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Fünftes Kapitel.
Schule und Gelehrsamkeit.




Jetzt erst, nach Betrachtung einer großen Gesamtheit öffentlicher und privater Leistungen, wenden wir uns zu der einen mächtigen Grundlage alles Leistens, dem Wissen, und wünschen zu erkennen, wie dies Wissen hier gelehrt, der Geist geschult wurde.

In der Überlieferung dominiert vorerst, nicht zufällig, sondern dem tatsächlichen Zustande gemäß, die Richtung der Schule auf die Kirche und ihre Beherrschung durch diese.


Die Klosterschulen bildeten für das Leben und die Wirksamkeit im Orden. Aber näher bekannt werden uns unter ihnen nur die Schulen der beiden Mendikantenkonvente zu Barfüßern und zu Predigern. Hier sorgte der Lektor für die gesamte wissenschaftliche Erziehung in Philosophie und Theologie; vom Studentenmeister unterstützt schulte er die jungen Mönche. Ergänzung des hier zu Lernenden bot sich Manchem dann noch durch den Besuch einer Universität; Stefan Irmi hatte zwei Jahre an der Wiener Universität studiert, ehe er Mönch wurde; der Basler Barfüßer Konrad Grütsch studierte 1451 in Heidelberg, ebendort 1503 der Dominikaner Bernhard Senger usw.

Auch die Stifts- und Pfarreischulen dienten in erster Linie dem Bedarfe der Kirche selbst. Sie sollten die Bildung geben, die durch das geistliche Amt, sowie durch den Chor- und den Altardienst gefordert wurde; ihre Lehrfächer waren lateinische Grammatik Rhetorik und Dialektik, Gesang, Berechnen der kirchlichen Festtage. Im Stift unter dem Scholasticus, in der Pfarrei unter dem Pfarrer stand der Schulmeister. Ueberall hatte dieser Letztere, zuweilen durch einen Provisor unterstützt, die Arbeit und die Last. Freilich auch er nur die Ehre, sowie die Kraft, die das Amt hob. Männer wie die Domschulmeister Pastoris, der Kampfgenosse Mulbergs, und hundert Jahre später Gebwiler, wie Mykonius zu St. Peter, wie Oporin zu St. Leonhard zeigen, was an diesen Schulen und durch ihre Lehrer geleistet werden konnte.

[536] Schwer zu greifen ist der mannigfaltige Schwarm der Schüler. Wie die Klosterschule neben dem nur für Mönche und Novizen bestimmten innern Studium noch eine äußere, öffentliche Schule haben konnte, in der Weltgeistliche und Laien unterrichtet wurden, so trat in den übrigen Anstalten zur Ausbildung von Klerikern stets diejenige von Bürgersöhnen. Aber auch sonst war der Verschiedenheiten genug in diesen Schulen, wo zu den Einheimischen die Fremden kamen, darunter manche im langen Wandern verwahrloste und verwitterte Scholaren; wo neben Schülern, die schon Jahre des Arbeitens oder des Nichtstuns hinter sich hatten, knabenhafte Anfänger saßen und neben Vermögenden die zahlreichen Armen. Unter diesen beachten wir als Gruppe die Armenschüler der Pfarreien und Stifter, die um empfangene Wohltat den Dienst des Singens bei Messen Jahrzeitfeiern usw. zu leisten hatten; auch beim Treten der Orgelbälge, bei der Kirchenreinigung halfen sie; die Chorknaben des Münsters bekamen überdies im Bischofshofe zu tun mit Laden von Heu, Tragen von Mist in den Garten, Ausschöpfen des Fischtrogs. Anschaulich liegt ein solches armes Schülerleben vor uns in den Aufzeichnungen des Georg Zimmermann aus Brugg. Drei Jahre hat er in Schaffhausen sich mit Wissenschaften abgegeben; dann wird er nach Straßburg verschlagen und besucht da, unter harten Entbehrungen, die Münsterschule; darauf in Benfeld dient er einem Notar als Schreiber; endlich kommt er im Jahre 1500 nach Basel und erhält einen Platz in der Stiftsschule zu St. Peter; erleidet schwere Not, bringt sich mit Abschreiben durch und würde der Teuerung wegen gleich andern armen Scholaren aus der Stadt gejagt worden sein, wenn ihn nicht gute Leute in ihr Haus aufgenommen hätten; zuletzt wird er Chorknabe bei St. Peter und erhält die rote Tunika.

Von der Schulung der Laien vernehmen wir wenig. Stefan Irmi war zwölfjährig, als er zu schreiben und zu rechnen begann. Manche Kinder wurden im Hausunterricht gebildet, und daß sowohl die Klosterschule als die Stifts- und namentlich die Pfarreischule auch von Laien besucht werden konnte, wurde schon erwähnt. Ein Beispiel hievon sehen wir an Eglin Offenburg in der Petersschule.

Diese Schule zu St. Peter war nicht reine Stiftsschule, sondern gleich der Klosterschule zu St. Leonhard auch Pfarreischule, insofern diese beiden Kirchen Gemeindekirchen waren. Deren Schulen sind daher auch die am frühesten erwähnten Pfarreischulen. 1349 folgt dann die erste Nennung der St. Theodorsschule. Kurz nach 1430 endlich wurde auch bei St. Martin eine solche Schule eingerichtet, pro juvenibus instruendis et literarum doctrinis [537] informandis. Die Gründung geschah auf Verlangen der Geistlichen von St. Martin durch das Konzil.

Wenn auch diese Schulen mehr als die übrigen dem Unterricht Weltlicher dienten, dürfen sie doch nicht als Gemeindeschulen, als städtische Anstalten gelten. Höchstens bei der vorhin erwähnten Theodorsschule ist dies möglich, da hier der Rat, die alte Kleinbasler Stadtverwaltung erbend, eine jährliche Zahlung an den Sold des Schulmeisters leistete. Zu St. Martin wurde diese Besoldung aus den Mitteln der Kirche selbst bestritten.


Aber neben dies halbe Dutzend Schulen, die in der Hauptsache Stätten gelehrter Studien waren, deren Dasein und Ansehen schon seit Jahrhunderten dauerte und für deren unverändertes Weiterleben die Kirche bürgte, traten seit Ende des XIV. Jahrhunderts die freien und ganz profanen Privatschulen.

Wir sehen diese in raschem Wechsel sich folgen, aufgetan und geschlossen werden. Durchweg kleine Betriebe und der geltenden Lehrfreiheit entsprechend völlig unzünftig und auch ohne städtische Kontrolle. Ihre Lehrer suchten etwa nebenbei noch als Buchbinder oder als Schreiber etwas zu verdienen. Unter allen Umständen aber und auch in den bescheidensten Formen waren diese Schulen Zeugnisse eines neuen Geistes, Geschöpfe eines allgemeiner werdenden Verlangens nach Wissen, Orte einer wenn auch nur elementaren Bildung, die außerhalb der Kirche erworben sein wollte. Sie dienten Bedürfnissen, denen der Lehrgang und die Lehrdauer jener Stifts- und Pfarreischulen zu groß, aber auch zu speziell und zu wissenschaftlich waren. Deutsch Lesen und Schreiben, sowie Rechnen lehrten sie, vielleicht auch Französisch und Italiänisch. Gelegentlich saßen auch Erwachsene auf diesen Bänken; 1489 ließ sich ein Steinmetzgesell bei Johann Wissenburg für einen Gulden unterrichten, und auch das Holbeinische Aushängeschild des Schulmeisters von 1516 nennt Bürger und Handwerksknechte, Frauen und Jungfrauen als Zöglinge. Nur in diesen Schulen — von einigen Weiberklöstern abgesehen — bei den Lehrfrauen oder Lehrmeisterinnen fanden auch Mädchen Unterricht.

Unter den Schulhaltern, die uns in großer Zahl bekannt werden, sind die verschiedensten Figuren: der Lehrmeister mit dem krummen Maul in St. Martins Parochie, der Lehrmeister zum Glücksrad 1497, der oft genannte Johann Crützberg 1454 f., der wiederholt wegen Zanks und Prügeleien bestrafte Johann von Bruck 1420 f. Der nennenswerteste ist Caspar Jöppel in der Weißengasse, der 1501 das frische Lied auf Basels eidgenössischen Bund dichtete.

[538] Dies die Basler Schulen der alten Art; wer nach höherem Wissen strebte, mußte sich solches in der Fremde holen. So kam es schon früh zum Besuch auswärtiger Universitäten durch Basler.

Wir verkennen nicht, wie mancherlei hier im einzelnen Falle noch mitspielen konnte: unruhiger Trieb in die Ferne, Reiselust, Freiheitslust, auch nur Beispiel und Mode. Das Wichtige war doch das Verlangen nach der Höhe der Universitätsbildung und als großes Ergebnis sodann die durch Jahrhunderte hindurch zahlreichen Angehörigen der Stadt zu Teil werdende Anregung und Schulung.

Es handelt sich hiebei wieder vor allem um Kleriker. Die Statuten des Domkapitels schreiben solches Studium ausdrücklich vor, und den ganzen Zeitraum hindurch finden wir Basler Domherren unter den Studenten fast aller Universitäten: in Bologna die Münche Johann 1311, Peter 1316, Rudolf 1365, den Konrad Senn 1346, den Heinrich von Hohenstein 1365 usw.; in Pavia den Caspar zu Rhein 1457 u. A.; in Paris den Archidiakon Berthold von Neuenfels, der dort auch starb; in Köln den Konrad von Ramstein 1443 und den Ludwig von Staufenberg 1455 usw. Gleiches geschah bei den Stiftsherren von St. Peter, bei Mönchen, bei Pfarrern Kaplänen usf. Dem Peter von Delsberg begegnen wir in Bologna 1368, dem Johann Mulberg in Prag 1381, dem Johann Kappeler in Erfurt 1441 und in Leipzig 1442, dem Heinrich von Beinheim in Wien und in Heidelberg, dem Franz Offenburg in Siena usw. Der prächtigste Hintergrund legt sich damit hinter sonst enge und beschränkte Existenzen.

Neben den Klerikern gingen auch Laien auf die Reise zum Studium. Weil sie Juristen waren wie Heinrich Schörlin in Bologna 1323 oder Hieronymus Zscheckabürlin in Orleans 1478; weil sie die akademische Welt sehen und auf den Dienst am Gemeinwesen sich vorbereiten wollten wie Bernhard und Konrad Sürlin in Heidelberg 1438, Anton von Laufen und Heinrich Rieher ebendort 1457 usw.

Im vierzehnten Jahrhundert scheint anfangs Bologna die von Baslern am meisten aufgesuchte Universität gewesen zu sein. Schon früh aber macht sich, neben Siena und Pavia, der Norden geltend mit Paris, dann mit Prag Erfurt Köln Leipzig, denen das aus Basel sofort stark frequentierte Heidelberger Studium folgte. Bis zuletzt Basel selbst die Interessen absorbierte. Aber auch nach 1460 noch gingen Basler hinaus an fremde Universitäten: Laien, Kleriker aller Art, namentlich viele Domherren. Einer aus diesen, Anton von Hatstat, führte 1502 in Ingolstadt mit andern Studenten zusammen ein Drama des Jacob Locher auf.

[539] Auf solchen Wegen kam Basel zu seinen Theologen Juristen und Ärzten und gewann es überhaupt das Wissen, dessen Gemeinwesen und Kirche bedurften.

Wir versuchen, Einiges aus diesen Bereichen näher kennen zu lernen.


Mit den Lehrern der privaten Lese- und Schreibeschulen zuweilen identisch beherrschten die Schreiber ihre, den Meisten fremde Kunst durch alle Stufen hindurch, vom gewöhnlichen Kopisten und Briefsteller bis zum Buchhalter und Notar.

Dabei handelte es sich nicht allein um Schreiben, sondern auch um Sprachfertigkeit, um Beherrschung des Ausdrucks, um Formenkenntnis und um Stil. Um eine Kunst also, die auch durch den Buchdruck nur zum kleinen Teil entbehrlich gemacht werden konnte.

Die Schreiber gaben auch Unterricht. Ihre Haupttätigkeit aber war die Besorgung von Schreibarbeiten für Andere. Sie kopierten Schriftwerke jeder Art, sie faßten Briefe ab, sie fertigten Urkunden aus usw. In allen diesen Funktionen waren sie — neben den armen Klerikern und Scholaren, die mit Abschreiben Geschäftsbesorgen u. dgl. sich zu erhalten suchten — die öffentlichen und anerkannten Berufsleute. Als solche waren sie aber an keine bestimmte Zunft gebunden. Sie wohnten in den Gewerbsgassen und den vielbegangenen, zu den Kirchen führenden Straßen. Wie zahlreich sie waren, zeigt z. B., daß 1406 im Pfäffinger Zuge vier Schreiber zugleich das Bürgerrecht verdienten.

Spezialisierungen des Berufes waren der Modist, der Gold- oder Guldenschreiber, der Buchschreiber, der Stuhlschreiber, der Illuminist oder Miniator. Aber zur höchsten und einflußreichsten Tätigkeit gelangten die berufsmäßigen Schreiber, wenn es ihnen gelang, ihren Betrieb zu einer eigentlichen Schreibstube zu entwickeln. In Offizinen solcher Art wurden Handschriften in größerer Zahl und auf Vorrat angefertigt; die Illustration gehörte gleichfalls zum Geschäft, und hiebei konnten dann jene berühmten Blockbücher entstehen, durch die Basel sich auszeichnete und für die Aufnahme der Buchdruckerei vorbereitete.

Der Betrieb des Schreibergewerbes durch Frauen (1454 die guldenschriberin im Gerbergäßlein, 1497 die schöny guldenschriberin an den Swellen u. A.) erinnert daran, mit welcher Zierlichkeit sie die Feder zu brauchen verstanden; viele Bücher der Weiberklöster oder das Geschäftsbuch der Margaretha Zscheckabürlin zeigen dies deutlich.

Nun aber führt uns die Angabe Bischof Friedrichs, daß er während der Jahre 1437—1439 einen Schreiber in Kost und Lohn gehabt habe [540] für Anfertigung eines Zeitbuchs in zwei Teilen und des Lehenbuchs, von den freien Professionsschreibern zu den in Diensten stehenden.

Diese privaten Schreibkundigen werden häufig genannt. Der Ritter Konrad Münch hat 1362 und 1366 in seinem Dienste den Schreiber Heinrich von Ravensburg, Graf Rudolf von Kiburg 1379 den Johann Baldegk, die Fröwlerin 1424 den Jacob Stark. Solche Angestellten finden wir auch bei den Bärenfels 1398 und 1411, bei Johann Püliant 1397 usw. Ebenso haben Konrad Schufter 1343, Johann zum Tagstern 1387 u. A. m. ihre Schreiber. Ohne Zweifel gehören diese Angestellten zu einer höhern Kategorie des Schreibervolkes; sie können zu Sekretären und Buchhaltern, zu Administratoren und Bevollmächtigten ihrer Herren werden. Auch die Schreiber der Münsterfabrik, der Klöster, des Spitals usw. gehören in diese Gruppe. Und mit der Entwicklung des Lebens, dem Wachstum aller Geschäfte und Beziehungen gelangen wir so zu Denen, die den Berufsschreiber zum berufsmäßigen Vermögensverwalter emporgehoben haben und nun bald Diesem bald Jenem oder auch Mehreren zugleich die Geschäfte besorgen. Leute dieser Art waren z. B. der vielgenannte Peter Schaltenbrand; zwischen 1416 und 1440 diente er dem Leonhardskloster, den Barfüßern und den Dominikanern als Schaffner; ein halbes Jahrhundert später begegnen wir dem Peter Oser als dem Schaffner der Zscheckabürlin, der Meltingergesellschaft, der St. Albanherren, des Morand von Brunn usw., und dem Martin Leopard als dem Schaffner der Witwe Margaretha von Eptingen und der Clarissen in Großbasel wie in Kleinbasel.


Wenngleich die gewerbsmäßigen Schreiber die für Entwerfung und Ausfertigung von Urkunden nötigen Kenntnisse besaßen, so ermangelten sie doch einer weiter reichenden Autorität. Ihre Urkunden bedurften der Besiegelung, um rechtliche Beweiskraft zu erlangen.

Daher sonderten sich von den gewöhnlichen Skriptoren und wurden hoch über sie emporgehoben die Notare, insofern den von Jenen gefertigten und vom Berechtigten mit Siegel bewehrten Schriftstücken ihre unbesiegelten Notariatsurkunden an Wirkung gleichkamen.

Das Institut des öffentlichen Notariats, ist in Basel seit Beginn des XIV. Jahrhunderts nachweisbar in den Personen der kaiserlichen Notare. Solche sind Heinrich von Waldshut 1321, Johann von Bern 1333, Konrad von Eisenach 1350 usw. Neben die Ernennung durch den Kaiser trat aber diejenige durch den Papst, und oft konnte daher derselbe Notar seine Bestallung [541] von den beiden Gewalten empfangen und mit Stolz publicus apostolica et imperiali autoritatibus notarius heißen.

Diese Notare nun sind die „geschworenen Schreiber“, die „offenen Tabellionen“ des Stadtrechts. Zum Teil Geistliche. Ihre wissenschaftliche Bildung haben sie auf Universitäten geholt. Als ihre Funktionen nennen die städtischen Ordnungen hauptsächlich die Aufnahme letztwilliger Verfügungen; außerdem begegnen sie uns oft, indem sie eine Abschrift beglaubigen oder eine Handlung, eine Aussage, eine Erklärung usw. bezeugen. Jeder mit seinem persönlichen Signet, das er auf seine Schriftstücke zeichnet oder malt oder drückt.

Manche Notare gingen in den öffentlichen Dienst über. So fanden Konrad Künlin, Niklaus Rüsch, Johann Harnasch eine Lebensstellung bei der Kanzlei des Rates; Mathis Bomhart wurde Spitalmeister, Johann Gerung Salzschreiber. In der Kleinbasler Stadtschreiberei finden wir die Notare Ludwig Hauenstein und Alexander Hug von Calw; der Letztere wurde der Berühmteste des gesamten Basler Schreibervolkes als Verfasser oder Kompilator des vielgebrauchten Kanzleihandbuches „Formulare und deutsch Rhetorica.“ Andere Notare zogen sich in das ihrem Stand entsprechende Kirchenleben und tauschten eine sichere kleine Pfründe gegen den Ertrag, aber auch gegen die Arbeit und Sorge der Schreibstube. So Johann Knebel, so Johann Waltenheim u. A. Ohne daß die kirchliche Tätigkeit sie immer absorbierte. Knebel funktionierte gelegentlich noch neben seinem Benefiz als Notar, und auch die städtischen Beamten ließen sich trotz dem ausdrücklichen Verbote des Rates wiederholt zu privaten Geschäften rufen.

Aber die große Mehrzahl der Notare fand Unterkunft, Arbeit und Verdienst, dazu ein durch die ganze Diözese geltendes Ansehen im Dienste der bischöflichen und der archidiakonalen Kurie. Hier empfing sie in der Sozietät des Schreiberhauses eine enggeschlossene Kollegenschaft und hier entwickelten sie, einander begleitend und ablösend, eine grenzenlose Tätigkeit, die in Tausenden von Urkunden sich vor uns breitet und eine Quelle geschichtlicher Erkenntnis ohne Gleichen ist. Was uns dabei immer wieder fesselt, ist der merkwürdig sichere Stil dieser ganzen kurialen Welt; ihn bedingen die Unerschütterlichkeit der hier geltenden Rechtssätze und die von jeder lokalen Bedingtheit freie Schulung zugleich mit einer in unausgesetzter umfassender Praxis gebildeten Tradition.

Das Wichtigste sind die eigentlichen Gerichtsschreiberdienste dieser Notare. Aber sie amtieren auch als Sekretäre päpstlicher Konservatoren Exekutoren u. dgl. Häufig besorgen sie Geschäfte der städtischen Kanzlei; [542] gewisse Kategorien, wie Aufnahme von Urfehden, sind hier vorzugsweise ihnen überlassen.

Jedenfalls ist das Wesen der Notare auf Burg anschaulich genug überliefert. Sie instrumentieren nicht ausschließlich im Auftrage des geistlichen Richters, sondern auch für sich allein. Von ihren Konzepten, ihren Signaturbüchern, ihren notae et ingrossaturae ist oft die Rede und diese Bücher befinden sich nicht bei der Kurie, sondern in den Häusern der Notare selbst. Hier in den einzelnen Schreibstuben erben dann Bücher und Kundsame weiter.

In der frühern Zeit scheinen fünf solcher Notarstellen an der Kurie nebeneinander bestanden zu haben; in der Ordnung Bischof Caspars ist ihre Zahl auf acht normiert. Es ist eine, wiederholt auch durch Landsmannschaft verbundene, gleichgeartete Gruppe, aus der aber Einzelne deutlicher hervortreten und uns durch Handschrift und Schreibart fast persönlich bekannt werden. So die langlebenden und vielbeschäftigten Andreas von Walse 1357—1388, Gregor Swegler 1491—1522, und namentlich Heinrich von Dießenhofen 1350—1400. Johann Salzmann 1463—1498 gehört einer Schreiberdynastie an, die in mehreren Generationen Notare (Peter, Johann, Georg, Adelberg) erzeugt und mit welcher auch der am allerlängsten (1441—1495) amtende Henman Friderich von Münderstat verschwägert ist; den Johann Salzmann grüßt der große Berner Kanzler Thüring Fricker als seinen amicus ornatissimus. Auch beachten wir, was aus dem Einen oder Andern wird. Den unzähligemale während dreier Jahrzehnte (1374—1402) uns bei der Kurie begegnenden Giselbert von Wetzlar finden wir später auf der Pfarrei Bellingen; einer seiner Erben setzt das Gewerbe als Schreiber in Frankfurt fort und heißt 1423 Itelmilius. Johann Wetzel wird Stadtschreiber zu Laufenburg. Andere nehmen ihren Weg ins Basler Rathaus, bringen den städtischen Geschäften ihre exquisite Kenntnis und Erfahrung. So wird Johann Rötli 1383 Stadtschreiber; Ratschreiber werden Konrad Steinecker 1404 und Niklaus Haller von Masmünster 1508; Werner Bygel wird Substitut des Basler Ratschreibers, zuletzt Stadtschreiber in Zürich.

Vornehm halten sich über diesem Schreiber- und Tabellionenhaufen die Rechtsgelehrten. Und zwar ist ihre Erscheinung am eindrücklichsten nicht da, wo sie einzeln genannt werden, sondern wo die „Juristen“, die sapientes et periti, die jurisperiti Basilienses, als namenlose Gruppe die höchste Autorität sind und den Behörden mit ihrem Rate zu Hilfe kommen. 1362 läßt sich der Rat der Stadt von ihnen Auskunft erteilen [543] über das Eherecht der Frau eines gerichteten Missetäters, und 1307 befragt sie der Bischof wegen der Zuständigkeit von Neubruchzehnten. Selbst der Offizial gibt zuweilen sein Urteil erst nach Konsultierung dieser juristischen Experten.

Wir haben auch hier wieder zunächst an Geistliche zu denken, zu einer Zeit, da Rechtswissenschaft und Beherrschung des geltenden Rechtes die höchste Bedeutung für den Klerus hatten. Die kirchliche Verwaltung wie die geistliche Jurisdiktion waren ohne solche Bildung unmöglich, auch ergaben sich speziell in der Beichtpraxis unaufhörlich Rechtsfragen aller Art. Weit häufiger als dem Magister der freien Künste oder gar dem Doktor der Theologie begegnen wir daher im Klerus dem Baccalar des kanonischen Rechts, dem Doktor der Dekrete. Geistlicher und Rechtsgelehrter konnte dasselbe sein, und jene Weisen, die der Rat befragte, hießen kurzweg „die besten Pfaffen“.

Diese Juristen Basels sitzen zum Teil in den Klöstern wie z. B. jener gelehrte Dominikaner Johann von Efringen († 1375), der den ordo judiciarius besaß. Auch bei den Johannitern findet noch immer das Recht seine Pflege und leben Juristen von Ruhm: der Komthur Bernhard von Löweneck 1322, die Brüder Ludwig Schorlin 1337 und Johann Kolb von St. Amarin 1350—1361.

Dieser Kolb hatte 1335 in Bologna, an der ersten Rechtsschule der Zeit, studiert; Konrad Elie von Laufen, der vielgepriesene eximie peritie vir, war ein in Prag und Pavia gebildeter Jurist. Neben ihn, den berühmtesten Basler Rechtsgelehrten der frühern Zeit, tritt die weniger reine und wissenschaftliche Gestalt seines Kollegen und Vorgängers im Offizialat Generalvikariat und Domkapitel Franz Boll, den der Rat 1395 als rechtskundigen Berater anstellt. Auch Herman Ritter dient dem Rat in den großen Zeiten Johanns von Fleckenstein. Ebenso wird später der durch die mannigfaltigsten Leistungen ausgezeichnete Heinrich von Beinheim offizieller Konsulent.

Diese Alle waren Offiziale, und um sie scharen sich die ihnen vorangehenden oder folgenden Inhaber dieses Amtes: am bischöflichen Hofe Heinrich von Sursee 1350—1365, Peter Brenner 1408—1416, Johann Ner 1436, Johann Gemminger 1442—1448, Laurenz Kron 1452—1467; am erzpriesterlichen Hofe Peter Ginker 1393—1402, Berthold Rehbock 1415 bis 1431, Peter Textoris 1440.

Jeder aus dieser Reihe konnte sich in seiner Zeit zu den ersten Juristen Basels rechnen, und zu ihnen, den Hütern und Verkündigern des Rechtes, traten mit ähnlichen Qualitäten die Parteivertreter an den Kurien. Von [544] Mathias von Neuenburg 1327 an eine lange Reihe gelehrter Männer, aus der Zweie besonders hervortreten: der Magister Benedikt von Scherzingen 1374 und der „Jurist von Basel“ Mathis von Trier 1374—1394.

Das dauernde Vorhandensein einer solchen copia jurisperitorum läßt auch jene Verfügung des Konstanzer Bischofs 1375 verstehen, wonach von delegierten Richtern Prozesse nur an solchen Orten geführt werden sollen, wo jeder Partei zum mindesten ein rechtskundiger Anwalt zur Seite stehe, und als welche Orte in der großen Diözese Konstanz einzig Kleinbasel und Zürich anzusehen seien; das erstgenannte Städtchen hatte die offenbar berühmten Juristen der Basler Kurie in nächster Nähe.

Aber das Beachtenswerte ist, daß in eben dieser Zeit neben den geistlichen Juristen nun auch weltliche immer zahlreicher vortreten und Ansehen gewinnen. Wie der Straßburger Rat 1413 den Basler in einer Asylfrage konsultiert, begründet er dies damit, daß Basel „gelerte wise lüte, weltlich juristen und leyen“ bei sich habe, die zu solchen Sachen wohl raten können.

Auch bei der Heilkunde begegnen wir zunächst der Kirche. Der Petersstiftsherr Johann von Rheinfelden 1320 war ein Arzt, und den Predigermönchen mußte wiederholt das Praktizieren, namentlich mit Abführmitteln, untersagt werden. Noch Christoph von Utenheim wollte Geistliche weder Chirurgie noch Medizin treiben sehen.

Aber schon frühe traten auf diesem Gebiete die Laien das Erbe der Kirche an, und diese hatte sich dabei ihnen gegenüber für ganz andre Rechte zu wehren; sie mußte wiederholt verlangen, daß zum Kranken zuerst der Arzt der Seele, der Beichtvater, gerufen werde und erst nach diesem der profane Arzt.

Vorweg nennen wir die jüdischen Heilkünstler: Josset 1370 f., Gutleben 1378 f., Abraham 1392, Moses 1397. Nur der Besitz eigenartiger Kenntnisse und Fertigkeiten, die zudem der Schimmer des wunderreichen Ostens und einer heiligen Vorzeit umgab, konnte ein solches Verhältnis möglich machen, bei dem der Gehaßte und der Verfolgte der Arzt seiner Hasser und seiner Verfolger war.

Mit der ganzen Judensache ging aber auch die jüdische Arznei dahin, und rasch traten die christlichen Laienärzte in Mengen auf: Symunt 1316, Peter Gilie 1361 f., Burkard Hagen von Stocka 1361, dann Hans Lüpolt 1393, Meister Balthasar 1410, usw. bis zu Peter Ruprecht 1529. Außerdem zahlreiche Ausländer: Heinrich von Piacenza 1308 , Wilhelm Atz von [545] Freiburg 1355—1385, Berthold Kerle von Rotweil 1357, der herzoglich österreichische Leibarzt Berthold Stark 1404, 1422, die Mailänder Ambrosius Boldoni 1417 und Philipp 1412 usw. Mehrere dieser Fremden wurden hier Bürger, nahmen eine Zunft an und kauften ein Haus. Andre blieben beweglich und gingen wieder wie sie gekommen waren; so der berühmte Bologneser Elias Sabati, der während einiger Monate des Jahres 1410 hier praktizierte.

Diese Ärzte, fast durchweg phisici geheißen, beschränkten sich beinahe völlig auf die innern Schäden. Sie mieden das „Wirken mit der Hand“ und ließen sich, auch offiziell, damit charakterisieren, daß sie das „Siechenwasser besahen“ d. h. ihre Kunst auf die Harnschau gründeten.

Eine Ergänzung war daher nötig, und diese geschah durch das Scherergewerbe. Neben jene Studierten stellte es die zünftisch geschulten und organisierten Praktiker. Dies waren die mit der Hand Wirkenden, die Chirurgen. Neben dem Scheren von Haar und Bart besorgten sie die gesamte Wundarznei und führten jede Operation aus vom Schröpfen und Zahnziehen bis zur größten Amputation. Hierüber hinaus wird nur selten auch eine Therapie mit dem Eingeben von Tränken als Scherersache erwähnt.

Sorgfältig geordnet war im Rechte der Scherer das „Gebende“; gegen Gelübde und Treue verstieß, wer dem Andern über sein „Gebende“ ging d. h. den von diesem angelegten Verband auftat. So hatte auch das Aderlassen seine Regeln; kein Scherer durfte Laßbinden aushängen, außer zu den Zeiten, da gut lassen war: im Widder, in der Wage, im Schützen, im Wassermann, und alljährlich wurde die geltende Aderlaßtafel an die Wand des Zunftsaales geheftet, damit jeder Meister sie abschreiben konnte. Wiederholte Streitigkeiten Vergleiche und Sprüche galten der Abgrenzung des Scherergewerbes gegenüber dem der Bader, während die nach der andern Seite hin gehende Tendenz sich in denjenigen Chirurgen zeigte, die als „Wundärzte“ von den gewöhnlichen Scherern unterschieden sein wollten.

Durchweg haben wir bei Betrachtung dieses Schererwesens das Gefühl der bodenständigen, der angesessenen alten Kunst und Tüchtigkeit, des Jedermann Zugänglichen und Notwendigen. Die berühmte Schererfamilie der Brand zeigt sich schon im XV. Jahrhundert; einzelne Häuser, z. B. zum Sodeck am Bäumlein und zum Tiergarten an der Greifengasse, bleiben Schererhäuser durch Jahrzehnte und durch allen Wechsel ihrer Besitzer hin.

Aber was diese Ärzte und Scherer in Wirklichkeit waren, welches Ansehen sie genossen und wie viel Gutes oder Schlimmes sie vollbrachten, [546] ist uns unbekannt. Das gesamte reiche Leben dieser Intimitäten ist ohne Bezeugung, und nur zufällig, bei einer Gerichtsverhandlung usw., hören wir von einzelnen Kuren. Die Erben des Domkaplans Balthasar von Sennheim haben vier Heilkünstler zu honorieren, die den Verstorbenen besorgt haben: den Doktor Silberberg, den Doktor Wonnecker, den Meister Bernhard Brand und den Meister Peter. Werner Wölfflin ist Hausarzt bei Mathis Eberler. Auch Auswärtige werden zuweilen konsultiert: Konrad von Laufen, der vergiftet ist, sucht Hilfe bei den Aerzten in Mailand; Andreas Ospernell läßt 1454 für seinen Bruch einen berühmen Arzt aus dem Kloster Nuwenburg kommen, und wie Peter von Busch 1507 an den „Blattern“ krank liegt, heilt ihn der Scherer von Binzen.

So ist auch die Mannigfaltigkeit des Spezialistenwesens nur durch einige Namen angedeutet. Die Augenärzte Jos Murer von Baden 1416 und Meister Hans Wilhelm 1472; die Bruch- und Hodenschneider Meister Lenzlin 1417, Heinrich von Laufenburg 1462, Kaspar Tierberger 1483, Meister Jacob 1523; die Steinschneider Henman Falkner 1374 und Heinrich Falkner 1393; der Zahnbrecher Jörg von Passau 1477 müssen uns diese Klasse repräsentieren, die jedenfalls oft auf der Grenze des Charlatanismus, hie und da auch in der Nähe abergläubischen Zauberwesens stand. Der Hexenmeister Hans heilte geschwollene Beine, und die Ärztin Grete Bleicherin ging mit verdächtigen Mitteln um, wie Wolfsaugen Eisenkraut usw.

Überhaupt ist hier an diese praktizierenden Weiber zu erinnern, an die „schielende“ Ärztin aus Freiburg i. B. 1432, an die Ärztin bei der Rümelinsmühle 1490 u. A. m. Wir verstehen, daß auch über die Hebammentätigkeit hinaus die linden Hände einer Frau, ihr Geschick und ihr Empfinden manchem Leidenden wohltun konnten und daß man bei „weisen Frauen“ mit ihren Kräutern Tränklein usw. die Hilfe suchte, die der gelehrte Arzt und der Scherer nicht zu bringen vermochten.

Eine Heilkunst besonderer Art wurde im Antonierhof geübt; dort war ein Spital für Solche die „vom lieben heiligen sant Anthoni angegriffen“ worden waren d. h. an der mit Brandigwerden der Glieder verbundenen Krankheit des sog. Antoniusfeuers litten. Wir erfahren, daß dieses Spital auch „St. Antonien Wasser“ zur Heilung der Krankheit verschickte, und lernen gelegentlich, 1481, sein Personal kennen: den Meister Hans, die Jungfer Adelheid und zwei Assistenten. Mit dem Spital war ein Pfrundhaus verbunden, wo die Amputierten Aufnahme finden konnten.

Von einer Psychiatrie endlich wußte man nichts. Die Besorgung und Einschließung von Geisteskranken war Sache der Familie; im Uebrigen galt [547] die Krankheit als öffentlich widerwärtig, und die „Narren“, die „Tauben“, die „torechten lüte“, die sich verwahrlost auf der Gasse betreten ließen, wurden durch die Wachtmeister aus der Stadt gewiesen, oft hinausgeprügelt.

Denselben Absichten einer Befreiung und Säuberung des öffentlichen Lebens dienten auch Siechenhaus und Spital, nur daß bei ihnen noch ein starkes devotionelles Element mittätig war. Beide Häuser waren zunächst nicht Heil-, sondern Versorgungsanstalten, hauptsächlich das zur Aufnahme von Aussätzigen, später auch von andern Kranken bestimmte Siechenhaus.


Wie aber verhielt sich überhaupt der Rat zu diesem ganzen Gesundheitswesen? Soweit ein öffentliches Interesse dabei beteiligt sein konnte, meldete es sich langsam. Erst die Kraft des selbständig werdenden Gemeinwesens, der ihrer Souveränität und einer weiten Verantwortlichkeit bewußt werdenden Obrigkeit griff auch auf diesen Gebieten ein, und noch später dann sollten von der Universität wichtige Neuerungen ausgehen.

Die Scherer standen natürlich unter dem Auge der Zunft.

Sonst galt zunächst der Grundsatz völligen Gewährenlassens. Wir finden, daß die ärztliche Praxis anfangs weder einer Bewilligung des Rates bedurfte noch seiner Aufsicht unterstellt war.

Aber diesen frei sich bewegenden Ärzten gegenüber erstand nun mit der Zeit die Notwendigkeit, auch von Obrigkeits wegen, „um der Stadt Ehre willen und zu ihrer Bürger Nutzen und Notdurft“, zu diesen Dingen zu sehen. Es geschah durch die Schaffung des Stadtarztamtes.

Die vorhandenen Ärzte wechselten häufig, waren wohl auch nicht immer verläßlich und für schwere Fälle ausreichend. Daher suchte der Rat, nachweisbar seit der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, von sich aus dafür zu sorgen, daß jederzeit ein tüchtiger Arzt vorhanden war oder noch besser deren zwei vorhanden waren, die sich als physicus (libartzet buchartzet) und als Chirurg in die Geschäfte teilen konnten.

Die Reihe dieser Stadtärzte beginnt mit den Juden Josset (1371—1377) und Gutleben (1378 f. 1398—1406) und schließt für uns mit Theophrastus Paracelsus 1527. Außer diesen mögen etwa Dietrich 1423—1426), Werner Wölfflin (1458 f.), Peter Luder (1465—1467), Johann Wonnecker (1496 f.) genannt werden.

Die Beamtung des Stadtarztes war offenbar nicht immer besetzt; sie blieb leer, wenn ein brauchbarer Mann nicht zur Verfügung stand. War ein solcher vorhanden und dem Amte verpflichtet, so hatte er „der Stadt und den Ihren getreu zu warten und insonders die Kranken, zu denen er [548] berufen wurde, zu besuchen und zu besichtigen“. Er sollte „jedem seine Kunst mitteilen, der dies begehrte.“ Außer dem Honorar der Patienten erhielt er von der Stadt eine feste Besoldung als Wartgeld. Auch hatte er die Kranken im Spital und in den städtischen Gefängnissen zu besorgen.

An dies Bereitsein zu Jedermanns Dienst bei Krankheit schloß sich die Funktion öffentlicher Experten. Stadtarzt und Scherer waren die Experten, die bei Streitigkeiten über ärztliche Behandlung, über Honorar, über Preis der Arzneien usw. sowohl durch den Rat als durch weltliche und geistliche Gerichte zur Begutachtung aufgefordert wurden.

Dieselbe offizielle Expertise wurde verlangt zur Besichtigung von Hingerichteten Verunglückten und Ermordeten. Als 1382 Spisselins Weib das Kind des Juden Robin mit einem Steine verletzte, mußte der Stadtarzt feststellen, ob es eine Wunde sei. Diese Wundschau erhielt in der Folge ihre genaue Organisation; und einem aus Stadtarzt und Scherer gebildeten Kollegium wurde auch die verantwortungsvolle Diagnose des Aussatzes in den Fällen übertragen, da Einzelne unter dem Verdacht oder der offenen Beschuldigung dieser Krankheit standen. Sorgfältig regelte der Rat das Verfahren, und noch besitzen wir zahlreiche Berichte über solche Lepraschauen, die hier, aber auf Wunsch auswärtiger Behörden durch die „bewährten Meister von Basel“ auch dort stattfanden.

Während Ärzte und Scherer einer Kontrolle zunächst nicht unterworfen waren, bestand eine solche schon zeitig für die Apotheker.

Die Ordnung, die Bürgermeister Rat und Zunftmeister im frühen XIV. Jahrhundert diesem Gewerbe gaben, knüpft das Bestehen einer Apotheke an obrigkeitliche Bewilligung und stellt die Apotheker unter eidlich zu übernehmende Pflichten. Sie duldet nicht die anderwärts vielfach vorkommende Verbindung der beiden Medizinalberufe. Apotheker kann nur werden, wer nicht Arzt ist; auch darf kein Arzt an seinem Geschäfte Teil haben. Keiner erhält die Betriebsbewilligung vom Rate, der sich nicht darüber ausweist, seine Kunst zu verstehen. Er soll alle Arzneien vorlegen können, die der Arzt verlangt, und nur gute Ware haben. Gifte darf er nur Solchen verkaufen, die sich durch zwei Bürgen legitimieren. Eine Ordnung von 1404 fügt zu diesem Allem noch eine Taxe für den Arzneiverkauf und stellt die ganze Reglementierung unter das Motiv, daß es dabei „des Menschen Leben und des Arztes Ehre“ gelte. Es ist dieselbe Auffassung, die wenig später auch das große Gutachten des Meisters Diether beherrscht; weil ohne getreue Apotheker und ihre gute Gewerbsausübung (mit den erforderlichen Lehrbüchern, mit stets frischer Ware usw.) der Arzt [549] nichts wirken könne, dringt Diether beim Rat auf eine gründliche Reform des Apothekerwesens.

Auch in den Ratsbefehlen über Reinhaltung von Straßen und Brunnen, über Kanalisation, über Bestattung, über Fremdenkontrolle, über Lebensmittelschau zeigen sich beizeiten sanitätspolizeiliche Absichten. Die Epidemieen waren trotzdem häufig und verheerend, und zu einer systematischen Bekämpfung dieser dauernden großen Gefahr war die Stadt nicht im Stande. Daß sie aber das Mögliche tun wollte, das lehrt ein schon in der Mitte des XIV. Jahrhunderts gefaßter, wichtiger Beschluß des Rates. Er nennt acht ansteckende Krankheiten (Epilepsie Antoniusfeuer Geschwüre Aussatz u. a.) und verfügt, daß die mit einem dieser Uebel Behafteten weder Eßwaren noch Getränke feilbieten dürfen, ja daß sie aus der Stadt zu weisen seien, „umb daz die gesunden nit denselben gepresten empfahent“. Die stehende Rubrik in den städtischen Ausgabenrechnungen über Fortjagen der „siechen“ bezeugt uns die tatsächliche Ausführung dieses Beschlusses.


Über die Einzelheiten der gelehrten Professionen hinaus suchen wir nach einem allgemeinen Zustande von Wissen und höherer geistiger Tätigkeit. Die Nachrichten über den Besuch auswärtiger Universitäten, der schon erwähnt worden ist, können uns allerdings Manches nahe bringen; und daneben galt zu Hause, was später von Theodor Brand erzählt wird: „Weil er einer guten Art war, hat man ihn zu der Schule getan und in der lateinischen Sprache unterwiesen.“ Er war der Sohn eines Scherers. Aehnliches außerhalb der Kirche würde man vielfach nachweisen können; laici literati, wie Johann Wiler 1405 und Peter Hans Baltheimer 1468 hießen, waren immer vorhanden.

So gehen auch die bekannten Urteile des Enea Silvio nicht auf das Maß, die Tüchtigkeit und die Verbreitung höherer Bildung in Basel, sondern auf ihre Art und Richtung. Was diesem wählerischen Humanisten mißfällt, ist der Mangel literarischer und schöngeistiger Interessen; er findet keinen Kultus der klassischen Autoren, kein Studium der Poesie und der Redekunst.

Enea tadelt dergestalt hier, was er damals allenthalben in Deutschland tadeln konnte. Aber denkwürdig ist, daß in Basel schon wenige Jahre später diese Zensuren nicht mehr wahr gewesen sein würden.

Statt des Gastes Enea sehen wir jetzt den eingebornen und fest angesessenen Peter von Andlau vor uns, als den Herold neuen wissenschaftlichen Lebens in Basel.

[550] Andlau sammelte Wißbegierige und Schüler um sich. Er erteilte Unterricht und veranstaltete Disputationen. Ohne Lehrverpflichtung und auch ohne bestimmten Lehrauftrag. Aber — dies ist das Wichtige — durch die Bitten Vieler dazu bewogen und mit der Autorität seiner Vorgesetzten.

Näheres erfahren wir nur über eine 1450 durch ihn geleitete juristische Disputation. Aber diese Studien galten keineswegs nur der Rechtswissenschaft. Sie waren umfassender und gaben dem Andlau den Ehrennamen eines praeceptor arcium. Während Enea mit Staunen verkündet hatte, daß der Name Ciceros in Basel kaum bekannt sei, begann Andlau seine Disputationsrede mit einer feierlichen Invokation des großen Römers.

Die Wirkung dieser Tätigkeit Andlaus ist im Einzelnen nicht nachzuweisen. Wir haben nur dürftige Nachrichten. Den Kreis, der sich um Andlau scharte, kennen wir nicht. Bei den Vorgesetzten, unter deren Auspizien er handelte, ist wohl vor Allem an Leute wie Georg von Andlau und Arnold von Rotberg zu denken; und unter den Schülern war Heinrich Zeigler, der später zu den Führern der Stadt gehörte.

Als Andlau seine Lehrkurse begann, war dies, wie er selbst sagt, ein Wiederaufnehmen früherer Einrichtungen. Vielleicht auch solcher, die auf die beim Konzil gemachte Anregung zurückgingen, ein studium generale in Basel zu gründen. Aber mit Bitterkeit tadelt Andlau seine Zeitgenossen, die, aus guten und eifrigen Universitätsstudien heimgekehrt, hier in Apathie dahinleben. Ihn schmerzt, daß die „herrliche und erlauchte“ Stadt Basel nicht zu dem ihr gebührenden Ruhme kommt, daß solcher Reichtum an geistiger Kraft und an Wissen hier brach liegt; damit dies anders werde, unterzieht er selbst sich der schweren Aufgabe, einen Kampf- und Tummelplatz der Geister hier aufzutun.

Wunderbar, wie von allen Seiten her das Verlangen sich regt. Im Anschluß an die neue Münsterpredikatur werden theologische Vorlesungen eingerichtet, und zur selben Zeit, 1453, will der Rat, daß der Dominikanerprior Rieher nach Perugia oder Bologna gehe und vom Studium daselbst seiner Vaterstadt die lebendigen Quellen der Weisheit bringe.

Es ist ein neuer Geist am Werke. Und die Energie dieser Kreise führt uns unmittelbar zu den Unterhaltungen, deren Ergebnis die Gründung de Universität ist.


Als im August 1458 die Wahl des Enea Silvio Piccolomini zum Papst in Basel bekannt wurde, hatte dies Ereignis seine ganz persönliche [551] Bedeutung für Manchen, der vor zwanzig Jahren hier den Schreiber Aeneas von Siena gekannt hatte. Dieser war jetzt Papst und hieß Pius II. Mit seinem Bilde verbanden sich die Gedanken an das Konzil, das jetzt schon, allerdings über gewaltige Katastrophen hinweg, in der Erinnerung zu einer fast traumhaft glänzenden Erscheinung geworden war. Wie groß war damals Basel gewesen! Neben Rom ein Zentrum der Christenheit. Erfüllt vom Leben aller Völker des Erdkreises. Rat und Einwohnerschaft hatten diesem Welttreiben zugesehen, selbst daran teilzunehmen gemeint, und wie weggezaubert waren dabei gewesen alle die Plagen des alltäglichen Regiments, die Erbärmlichkeiten provinzialer Politik, von denen die Stadt, seitdem jene Zeit geschieden, wieder aufs ärgste heimgesucht wurde. Das Konzil hatte auch in der Politik die Interessen und Kräfte absorbiert. Als es mit ihm zu Ende ging, schien der nur zurückgedämmte Hader um so stärker loszubrechen, und zur gleichen Zeit sah sich die Konzilsstadt, weil eine langwährende und tausendgestaltige Anregung und Nachfrage aufhörte, einem schweren wirtschaftlichen Notstande gegenüber.

Und doch begannen gerade jetzt die schönsten und mächtigsten Jahre der städtischen Geschichte. Daß Basel diesen kritischen Moment zu bemeistern verstand und in aller Bedrängung nur immer stärkere Kräfte entwickelte, ist ein Zeugnis für die eingeborne Tüchtigkeit des Gemeinwesens. In einer unerhörten Häufung und Komplizierung aller Geschäfte bewies der Rat Mut und hohe Gesinnung. Seine Bemühungen zur Erweiterung des Territoriums, die in diesen Jahren begannen, zeigen ihn in ungewohnter Größe der politischen Gedanken und Ziele. Ähnliche Züge treten im städtischen Erwerbsleben vor. In der raschen Überwindung der wirtschaftlichen Schädigungen, die das Aufhören des Konzils gebracht, kündet sich stark und erfolgreich die Regsamkeit einer neuen Art von Kaufleuten. Auch sie lassen in allem Tun und Handeln erkennen, daß sie in einer wunderbaren Zeit leben; neue Gedanken und Bedürfnisse berühren ihr Wesen, und in Einzelnen unter ihnen treten zur Intensität des Betriebes noch schöne Eigenschaften persönlicher Art. Überall aber und mitten in aller Rauhheit und Ruhelosigkeit des Lebens meldet sich ein Verlangen nach höheren geistigen Werten; unter der Last äußerer Ereignisse dringt es umso ungeduldiger empor. Wie es in Dem und Jenem wach wird, wie es Gruppen zusammenbringt, wie es bestimmte Programme schafft, waltet durchweg der große Hauch einer erweiterten Welt. Mächtige Anregungen des Humanismus so gut wie der alten Wissenschaft wie der kirchlichen Regeneration wirken zusammen.

[552] Bei solchen Gesinnungen konnte in der Tat jetzt, da in Rom jene Wahl geschehen war, der Gedanke kommen, den einzigartigen Moment mit aller Macht zu nützen. In seltsamer Unbefangenheit verfiel man dabei auf die Forderung eines nochmaligen Konzils; diskutierbarer waren die andern Projekte, deren jedes auf seine Art die Konjunktur jenes konziliaren Jahrzehnts ebenfalls erneuern sollte: die Jahrmesse und die Universität.

Zunächst erließ der Rat auf die Kunde der Papstwahl ein Gratulationsschreiben an den alten, nun so glorreich erhobenen Freund der Stadt. Daß diese Höflichkeit bei Pius gute Aufnahme fand, konnte Wirkung besonderer persönlicher Erinnerungen sein; jedenfalls erleichterte sie dem Rate, nun mit allen seinen Plänen vor den heiligen Vater zu treten.

Im Spätherbst 1458 und den folgenden Monaten behandelte der Rat diese Pläne. Wiederholt saßen er und die Dreizehner über „der Stadt Freiheiten und Sachen, die an den Papst gebracht werden sollten.“ Und dabei kam außer Konzil Jahrmesse und Universität noch alles Mögliche zur Sprache: die Einführung der Observanz in den noch nicht reformierten Klöstern; die Regelung des ultimum vale beim Begräbnis; die Erwerbung eines römischen Konservatoriums für die Stadt; die Einrichtung einer Appellationsinstanz in Basel; das Verfahren in den Beziehungen zur Herrschaft Oesterreich.

Als der Bürgermeister Hans von Flachsland im April 1459 Auftrag und Kredit erhielt, um dem Papste die Glückwünsche Basels nun auch mündlich auszurichten und nebenbei für die soeben genannten Wünsche zu arbeiten, war Pius schon unterwegs nach Mantua zu dem für Beratung eines allgemeinen christlichen Heerzuges wider die Türken einberufenen Kongreß. Von Spoleto, dann wieder von Siena aus hatte er Basel aufgefordert, seine Botschaft zum Kongreß abzuordnen. In Florenz, wo Pius am 25. April eintraf, stieß wohl der Basler Gesandte zu ihm und konnte sich nach Darbringung seiner Gratulation wieder zurückziehen. Denn Pius eilte zum Kongreß. Am 1. Juni eröffnete er diesen in Mantua; Tags darauf mahnte er Basel neuerdings ans Kommen. Auch sandte er einen Botschafter mit drängenden Worten über die Alpen; Mitte Juni machte dieser hier im Rathause seine Aufwartung.

In diesem Sommer müssen die entscheidenden Beratungen der Basler Behörden über das Universitätstraktandum sowie sonstige Pläne stattgefunden haben, ergänzt durch eine nochmalige rasche, aber feierliche Delegation zum Papste. Wieder mußte Hans von Flachsland, jetzt Altbürgermeister, reisen, offiziell als Gesandter zum Kongresse, nebenher mit dem Auftrage, bei Papst und Kurialen wegen der eigenen Geschäfte Basels zu sondieren. Als [553] er nach wenigen Wochen zurückkehrte und guten Bescheid brachte, konnte endlich zur Schlußverhandlung und zur grundsätzlichen Formulierung dessen geschritten werden, was man wünschte.

Wir suchen uns einige der Männer zu merken, die damals dem Universitätsplane das Wort redeten: auf der Achtburgerbank den Bernhard Sürlin, der einst Heidelberger Student gewesen war; den hochgebildeten Ratsherrn zum Schlüssel Heinrich Zeigler; den Bürgermeister Hans von Flachsland; außerhalb der Räte den klugen und zuverlässigen Heinrich von Beinheim, weiterhin den Dr. Johann Steinmetz, und als freiesten Vertreter reiner geistiger Wünsche und Hoffnungen den schon erwähnten Domkaplan Peter von Andlau; dieser war im Frühsommer 1458, als er die Provision des Bischofs Johann von Venningen bei der Kurie betrieb, dort jedenfalls mit Enea Silvio zusammengetroffen, wobei auch von einer Basler Universität hatte geredet werden können. Äußerlich am tätigsten zeigt sich uns der Stadtschreiber Konrad Künlin; zahllose Aufzeichnungen aller Art, Entwürfe und Notizen, Briefe Gutachten Beschlüsse usw. liegen vor uns als Werke nicht allein seiner Feder, sondern meist auch seiner Redaktion; seit Jahrzehnten auf der Kanzlei heimisch, brachte er zu diesem Geschäfte ganz neuer Art eine in den mannigfaltigsten und schwierigsten Tätigkeiten gewonnene Erfahrung.

Aus einem engen gleichgesinnten Kreise war der Plan der Universitätsgründung an die Oeffentlichkeit und in die Behörden gelangt, und eine Fülle von Motiven, von guten und schlechten Gründen, von Absichten und von Anschauungen aller Art kommt uns nun aus den Akten dieser Verhandlungen entgegen; ideale Hoffnungen, praktische Berechnungen, aber auch Zweifel Kleinmut und Übelwollen werden laut. Man hatte die Empfindung, daß die Stadt an Leuten Gut und gemeiner Wohlfahrt in Abgang gekommen sei, und zuversichtlich hofften Viele, ihr durch die Universitätsgründung neue Hilfsquellen, vermehrte Einwanderung, überhaupt eine Erfrischung jeder Art zu verschaffen. Man wünschte wieder zu haben, was man im Konzil gehabt hatte, und dachte sich nun die Universität als eine Art dauernden wissenschaftlichen Kongresses, zu dem Basel den Ort und einiges Andere zu geben hatte. Das Zuströmen so vieler Fremden konnte allerdings Bedenken machen; man mußte auf Übergriffe und Ruhestörungen gefaßt sein; aber wie man im Konzil der Scharen Meister geworden, so hoffte man auch jetzt mit guten Ordnungen und deren fester Handhabung sich zu helfen. Den großen Kosten mußten vermehrte Einnahmen die Wage halten.

[554] Alle Hoffnungen faßte man in das Wort zusammen: „daß durch eine hohe Schule die Stadt wieder emporkommen möchte“. Und hiezu trat noch die Erwartung bestimmter Vorteile höherer Art. Bei einer solchen Anstalt werde man Gottesgelehrte zur Bekämpfung der Ketzerei und des Unglaubens sowie als gute Prediger und Beichter erhalten, ferner weise Männer im geistlichen und kaiserlichen Rechte, desgleichen gelehrte Aerzte und sonst vernünftige Leute, durch welche die Stadtkinder und Andere unterrichtet würden. Auch damit wurde gerechnet, daß Basler aus guten Häusern, die deswegen kein Handwerk treiben und dabei verarmen, als Lehrer an der Universität ihr honettes Auskommen finden könnten. Dazu kam der Gedanke an das Beispiel und Vorbild anderer Universitäten, die Eindrücke die mancher Basler dort für sein Leben empfangen; das Bedürfnis geistiger Dinge überhaupt und das Verlangen nach einer höhern Ruhe inmitten des lauten Stadtregimentes und Gewerbes; endlich sowohl die Absichten kirchlicher Regeneration als die kirchenpolitischen Tendenzen des Rates. Aber auch der munizipale Stolz, Basel nun auch in diesen Dingen zu einer höchsten Heimat und Zuflucht für weite Gebiete machen zu können, da Städte und Herren ihre Räte hierher schicken, Tagsatzungen hier abhalten und die hiesigen Gelehrten konsultieren u. dgl. m.

In solcher Weise wurde für die Universität geredet. Durch die Meisten im Gedanken an Mantua und den allgewaltigen Gönner Basels, der auf dem Stuhle Petri saß. Dem Vorschlage, auch der kaiserlichen Zustimmung sich zu versichern, erwiderte man, daß die Befugnis des Papstes zur Stiftung hoher Schulen seit Alters her anerkannt sei und die päpstliche Gewalt mehr vermöge als diejenige des Kaisers.

Diesen Basler Debatten stehen unmittelbar gegenüber die Verhandlungen am päpstlichen Hofe, wohin Künlin Ende August 1459 als Gesandter ging. Gerne würden wir die denkwürdigen Szenen dieser Audienzen sehen. Das Konzilsvorhaben wurde sofort mit einer kurzen Handbewegung beseitigt, und den Wunsch einer Jahrmesse hatte Pius schon durch Schreiben vom 18. Juli an den Kaiser weiter gegeben; was jetzt geredet wurde, galt der Universität.

Den Künlin kannte Papst Pius wohl schon von den Konzilstagen her; vor vier Jahren sodann war er mit ihm auf dem Reichstage zu Neustadt zusammengetroffen. Jetzt stand er vor ihm, eingeführt durch ein enthusiastisches Dank- und Freudeschreiben des Basler Rates, und brachte dessen Begehren, daß der Papst zur Errichtung einer Universität in Basel seinen Willen gebe. Es war die formelle Behandlung des Gegenstandes, die auf [555] allerhand vorbereitende Besprechungen folgte. An Andlaus Aufenthalt in Rom 1458 ist schon erinnert worden; vor einigen Wochen mochte auch der Bürgermeister Flachsland ein Wort haben fallen lassen, und sicherlich war sein Bruder Hans Werner nicht müßig. Für allgemeine Interessen der Kirche und für persönliche Neigungen des Pius handelnd, hatte dieser mächtige Kuriale, der zugleich einer der ersten Prälaten Basels war, vielleicht schon bei Zeiten dem Rat einen Wink gegeben. Jetzt nahm er sich des Gesandten Künlin, dann dauernd und durch Jahre hin der Basler Universität an und förderte ihre Geschäfte wie eine flachsländische Familien- und Ehrensache. Und wie bei andern Unternehmungen des Papstes so war auch hier wieder neben Flachsland der Wormser Domdekan Rudolf von Rüdesheim der tätigste Agent. Gleich jenem an der Kurie heimisch, als Referendar dem Papste nahestehend nannte er sich einen so guten Freund Basels, daß er nach dem Tode des Pius nirgends anders als in dieser Stadt leben und seine Tage beschließen zu wollen erklärte. Und doch waren diese beiden Herren, so hohe Ehre der für ihre Mitwirkung dankbare Rat ihnen erzeigte, im Grunde nur Organe des Pius, Träger seiner feurigen Gedanken, seines Wünschens und Wollens. Unverkennbar tritt in den Verhandlungen um die Basler Universität zur Weihe der pontifikalen Tätigkeit das persönliche Wesen und Lebensgefühl des Enea, der bei diesem Anlasse gerne an seine goldenen Basler Jugendjahre denkt und sich auch durch den Rat an sie erinnern läßt. Aber Pius will nicht Basel allein, sondern auch alle umliegenden Länder mit der Universität begaben; er will damit der Ehre Gottes und der Verbreitung des katholischen Glaubens dienen; er will der Wissenschaft eine neue Stätte zurichten. Und auch im Übrigen geht die ganze Erweisung hinaus über rein persönliche Gütigkeit. Sie steht im Zusammenhange der allgemeinen Ereignisse.

Wir sehen das Kongreßgewühl vor uns und mitten darin dies Einzelgeschäft der Basler, das um seinen Platz und einige Stunden Aufmerksamkeit kämpfen muß. Welche Anregungen, wie viel neue Ideen mochte den Baslern der Verkehr bringen, der sie in Mantua umgab. Sie konnten da dem Gregor Heimburg, dem Niclaus von Wil, dem Albrecht von Eyb begegnen. Aber auch ihr Bischof Johann, der Markgraf Rudolf von Röteln, der Herzog Sigmund und die Gesandtschaft des Herzogs Albrecht von Österreich waren anwesend. Mit diesen Fürsten redete die Kurie auch von der Basler Sache; mancherlei Interessen ganz anderer Art konnten hier einwirken, und nahe lag es, daß die Mißstimmung des Papstes gegen Herzog Sigmund dem Basler Projekte zu Gute kam, weil dieses der kaum entstandenen österreichischen [556] Universität Freiburg eine Konkurrenz schuf. Mit Sigmund hatte aber die Basler Gesandtschaft auch selbst zu verhandeln: wegen der Tiersteinischen Sachen und eben wegen dieser Freiburger Universität. Damit Österreich dem Plane Basels nicht in den Weg trete, machte dieses sein großes Geldguthaben geltend und suchte überdies dem Herzog begreiflich zu machen, daß den auf beiden Rheinufern gelegenen österreichischen Gebieten eine hohe Schule in Basel viel mehr nütze als in Freiburg.

Alles erscheint endlich zusammengeschlossen in der dem Papst eingereichten förmlichen Supplik, durch welche die Ermächtigung zur Errichtung einer alle Fakultäten umfassenden hohen Schule in Basel erbeten wird, und in der kurzen, diese Bitte gewährenden Verfügung des Papstes. Also geschehen zu Mantua im September 1459.

Was nun folgte, war vor allem der die formelle Annahme dieser Gewährung erklärende Beschluß des Basler Rates vom 10. Oktober und ein feierlicher Dankbrief vom 15. Oktober, der mit tönenden Worten die Glückseligkeit Basels bezeugte und dem Ruhme Pius II. ein ewiges Weiterleben im Gedächtnisse der Nachkommen verhieß.

Hieran schlossen sich sofort die wichtigen Unterhandlungen über alles Einzelne, namentlich über die Ausstattung der künftigen Universität, wozu wie andernorts so auch hier an die Zuweisung kirchlicher Pfründen gedacht wurde. Aber auch hiefür wieder war die Mitwirkung der Kurie erforderlich, daher im November aufs neue eine Basler Gesandtschaft nach Mantua abging; sie bestand aus den besten Kennern der Sache, Flachsland und Künlin. Was diese jetzt vom Papste verlangten, war viel: die Inkorporation von Pfründen in Basel Konstanz Straßburg Zürich Zurzach Zofingen Schönenwerd Solothurn Haslach St. Ursitz Thann Colmar Maßmünster. In ihrer weiten Ausdehnung schienen diese den geographischen Bereich zu vertreten, dem in erster Linie eine Basler Universität Glück und Vorteil bringen konnte. Aber vielleicht verlangte man auch soviel, um wenigstens etwas zu erlangen. In der Tat erreichten die Gesandten nur einen Teil des Gewünschten.

Die Urkunde der Gründung selbst wurde durch den Papst am 12. November 1459 erlassen. Es ist jenes berühmte und herrliche Dokument, mit welchem Pius die Errichtung einer Universität in Basel anordnet, „damit die Stadt — zu einer Universitätsstadt vor andern geeignet durch die Fülle ihres Lebens, die milde gesunde Luft, die Lage an den Grenzen verschiedener Nationen — mit den Gaben der Wissenschaften geschmückt werde, so daß sie Männer hervorbringe, ausgezeichnet durch Reife [557] des Urteils, angetan mit den Zierden aller Tugenden und in den Lehren der verschiedenen Fakultäten erfahren, und damit in Basel ein Quell sprudle, aus dessen Fülle alle nach Wissen Dürstenden schöpfen mögen.“ In Ergänzung dieser Stiftungsurkunde regelten sodann mehrere Erlasse des Papstes vom 27. und 31. Dezember 1459 die Ausstattung der Universität mit Pfründen sowie die Befreiung der an der Universität lehrenden oder lernenden Pfründeninhaber von der Residenzpflicht.

Rom hatte gesprochen, und nun war in Basel die große Arbeit zu leisten. Nicht die notwendige rechtliche und administrative Vorbereitung allein gab zu tun, die Ordnung des Verhältnisses zwischen Stadt und Universität, die Gewinnung von Pfründen, das Ausschauen nach Dozenten und die Art ihrer Anstellung und Besoldung, die Regelung der Wohnungsvermietung an Universitätsleute u. dgl. m., — sondern noch einmal und jetzt, da die päpstlichen Gnaden da waren und es sich um ihre Ausführung handelte, mit verstärkter Kraft und zum letzten Male regten sich Zweifel und Widerspruch und führten zu einer umfassenden Wiedererwägung der Sache. Alles lebt vor uns, jede Hoffnung und jede Furcht, das Auf und Nieder der Meinungen, das „mancherlei Reden und Ratschlagen“, das „Gegeneinandermessen des Süßen und des Sauren“. Noch einmal ließ man sich von Gelehrten und Sachverständigen Gutachten erstatten. Es waren hocherregte Sitzungen. Um Größeres wurde kaum je in den Basler Ratssälen gestritten, wenn auch die Streiter selbst sich dessen schwerlich bewußt waren. Was zur Entschließung stand, war ein Werk „für alle Zeiten und die Menschheit“. Zuletzt siegte doch die Einsicht, daß es eine Ehrensache für die Stadt sei, das von ihr begonnene Unternehmen, um dessenwillen allenthalben schon ihr Ruhm erklungen sei, auch durchzuführen. „Obgleich in allen Sachen, deren Zukunft Gutes und Schlimmes enthalte, eine starke Hoffnung des Guten vorhanden, aber auch das Schlimme nicht unbillig zu fürchten sei, so sei es doch Sache jeder tapfern Regierung, daß sie kein Gutes, und vorab kein so großes löbliches göttliches, gemeiner Christenheit tröstliches Gutes um zaghafter und menschlicher Furcht willen unterwegen lassen, sondern ihm mit der Hilfe Gottes redlich nachgehen und alles Widerwärtige dabei mit guten Ordnungen und Satzungen und deren tapferer Handhabung nach menschlicher Möglichkeit versorgen und überwinden solle. Wenn dies nicht von Anfang alles Regierens so gehalten wäre, sondern die menschliche Furcht vor dem Argen allwege die Kraft guter Zuversicht und Hoffnung verdrängt hätte, so würde nie eine namhafte Sache unternommen und zu Ende gebracht worden sein, so würden auch die ältesten Schulen in Athen, [558] im Heidentum und bei den Juden, in Spanien zu Salamanca, in Frankreich zu Paris Montpellier Orleans, in England zu Oxford, in Italien zu Bologna, auch alle andern Schulen in wälschen und deutschen Landen nie zu Stande gekommen sein.“

So kam es denn zum Beschlusse, daß man die Universität haben wolle. Aber noch handelte es sich um Abreden mit dem Bischof über das Kanzleramt und handelte es sich ferner sowohl beim Bischof als bei der Stadt um die Wahrung vorhandener Rechte gegenüber dem neu entstehenden Wesen. Zwischen all diesem Großen gaben auch die nicht leicht zu nehmenden Etikettefragen und das Studium der Formen viel zu tun.

Bis endlich die Eröffnung der Universität in aller Feierlichkeit geschah, eine Szene hoher Art, die nur wenige Städte erlebten. Sie vollzog sich am weihevollsten Orte Basels, und über allem Pomp und Glanz erhob sich dabei das Gefühl von dem ewigen Dasein des Geistigen, dem man hier eine Herrschaft einräumte. Am 4. April, dem Tage des heiligen Lehrers und Bischofs Ambrosius, früh am Vormittage, fanden sich im Chore des Münsters der Bischof und der städtische Rat zur Errichtung der Universität zusammen; rings um sie die amtierenden Domgeistlichen und hinter diesen Klerus und Klosterleute und zahlreiches Volk aus der ganzen Stadt den morgenhellen Raum füllend. Dabei auch die zur förmlichen Beurkundung des Vorganges aufgebotenen Notare. Wir beachten, wie dieser Vorgang vorwiegend kirchliche Art trug; von Hochamt und Gesängen begleitet geschah er unmittelbar vor dem Hochaltar, in den ernstesten wohlabgemessenen Formen. Der den Zuhörern kein Wort schenkenden Verlesung des päpstlichen Stiftungsbriefes und der zugehörigen drei ausführlichen Bullen folgte, nachdem der Chor in festlichem Gesange die Anwesenheit des heiligen Geistes erfleht, die gemeinsame feierliche Proklamation und Einsetzung der Basler Universität durch den Bischof als Kanzler und den städtischen Rat, folgten weiterhin die zeremoniöse Ernennung des Dompropsts Georg von Andlau zum Rektor. Der Ambrosianische Lobgesang ertönte, und die Feier schloß mit der offiziellen Zusage der Deputierten, daß der Rat den Angehörigen der Universität sicheres Geleite gewähre und Alles, was in seinen Kräften stehe, für die Ehre und das Wohlergehen der Schule tun werde.


In solcher Weise trat die neue Universität in die Welt. Durch Anlage und Dimensionen alles hier Gewohnte weit übertreffend. Während die andern Schulen Basels in der Hauptsache nur bestanden und zu sorgen hatten für die Bedürfnisse des betreffenden Stifts, des betreffenden Klosters, [559] der betreffenden Pfarrgemeinde, wirkte hier von Anbeginn die Auffassung eines universalen Berufes. Die Universität entstand, um nicht nur dieser Stadt zu dienen, sondern auch dem was draußen lebte.

Die Gründung erhielt ihre Eigenart auch dadurch, daß sie so spät geschah. Diese neue Schule hatte es sofort mit der Last einer ungeheuren Tradition zu tun; wenn ihr die Rechte und Freiheiten der Universitäten Bologna Paris Köln Erfurt Wien usw. beschert wurden, so waren ihr damit auch ebensoviele große Vorbilder und Ziele gezeigt. Um so größer war aber auch die Bestimmtheit und Sicherheit des Handelns und um so höher dürfen wir den Mut einschätzen, mit dem das kleine Gemeinwesen die Aufgabe ergriff und in einem gewaltigen Komplex geistiger Tätigkeit auch für sich einen Platz verlangte.

In der äußern Existenz dieser Universität war aber das durchaus Herrschende ihre Beziehung zur Stadt Basel. Eine Beziehung, die sich sowohl in Gegensatz und Exemtion äußerte, als in unmittelbarer Leitung durch die städtischen Behörden.

Papst Pius hatte in seinem Stiftungsbrief der Basler Universität nur ganz allgemein die Freiheiten und die Autonomie verliehen, deren die hohe Schule Bologna genoß. Die rechtlich schlüssige und wirksame Verbriefung dieses Privilegiertseins aber wurde erst durch den Freiheitsbrief des Rates vom 28. Mai 1460 gegeben, dem die Universität durch ihre Gegenerklärung vom 6. September 1460 antwortete. So entstanden „der hohen Schule Freiheiten“, die seitdem galten und, zum ersten Male am 21. September 1460 verkündet, jährlich durch Verlesung bei der Ratserneuerung sowie durch eidliche Verpflichtung des Rates und der Bürgerschaft bekräftigt wurden. Sie schufen ein neues Recht in Basel, eine neue Provinz des öffentlichen Wesens und im Ganzen der städtischen Einwohnerschaft eine nach eigenem Recht lebende Fremdengemeinde.

Die Universität hatte das Recht zu lehren, Prüfungen abzuhalten und die Grade eines Baccalaureus Magisters Doktors zu erteilen.

Sie war autonom; ihre Gesamtheit und die einzelnen Fakultäten hatten das Recht des Erlasses von Ordnungen und Statuten.

Den Angehörigen der Universität war gleich andern Schutzgenossen der Stadt freies Geleite und der obrigkeitliche Schutz gewährt.

Die Angehörigen der Universität waren für ihre Personen und ihre Habe und für den Kauf aller Bedürfnisse befreit von Zoll-, Steuer- und Ungeldpflichten.

[560] Zur Behandlung und Entscheidung von Rechtssachen zwischen Universitätsangehörigen und von Klagen der Laien wider Universitätsangehörige war einzig der Rektor mit dem Konsistorium kompetent.

Für die Handhabung dieser akademischen Freiheiten war im einzelnen Falle der Nachweis erforderlich, daß der Betreffende wirklich zur Universität gehöre; der Kontrolle hierüber und der Sicherung vor Mißbrauch galten Bestimmungen sowohl des Rates als des Rektors. Die Privilegiertheit der eigentlichen Universitätsangehörigen, die seit Beginn auch für ihre Diener galt, wurde durch Ratsbeschluß von 1494 auch ihren Ehefrauen zugestanden.

Aber mit Urkunden und Privilegien war nicht Alles getan. Sondern dies Leben einer großen gefreiten Gruppe mitten im Gemeinwesen stellte tagtäglich Aufgaben, für die kein Statut vorsorgen konnte. Was hier waltete und wogte, war Jugend, Gewohnheit fremder Länder, Gelehrtenstolz Unerfahrenheit Geist und Übermut, und dabei bestand keine Hemmung und keine Beschirmung durch klösterliche Klausur oder durch die Schranken eines schon an sich geheiligten Standes. Daher jene zahlreichen Behutsamkeiten Mahnungen und Zusagen in den Dokumenten der Gründung. Daher die Befehle des Rates an seine Untertanen, die Universitätsleute gut und glimpflich zu behandeln und beim Verkauf von Waren oder bei der Zimmervermietung nicht zu übervorteilen. Weiterhin sein Entschluß, keine Juden und andere offenkundige Wucherer oder Fürkäufer hier zu dulden, sowie ein Kreditgeben an Studenten auf das Pfand ihrer Bücher zu untersagen. Dann aber auch das Versprechen der Universität, daß keiner ihrer Angehörigen andern Wein als Eigengewächs verwirten oder Würfelspiel in seinem Hause dulden oder Kaufmannsgeschäfte treiben solle. Ebenso das Verbot an die Studenten, Waffen zu tragen, nach dem Nachtglöcklein auf die Gassen zu gehen, in Gärten und Rebgüter zu steigen oder sich in die Tanzbelustigungen von Bürgern einzudrängen. Wenn die Streitsache des Theologiestudenten Gilg Sonntag, der 1477 bei einer nächtlichen Rauferei einen Diener des Bischofs verwundete, uns in lebendiger Weise eine Kollision dieser akademischen Freiheiten mit den Rechten des Diözesanherrn zeigt, so verriet sich bei andern Gelegenheiten, etwa bei nächtlichen Zusammenstößen der Scharwache mit Studenten, wie ungerne der Bürger diese Privilegien des Scholarenvolkes und die Jurisdiktion ihres Rektors sah. Deswegen auch die unaufhörliche Beschäftigung des Rates mit solchen einzelnen Vorfällen sowohl wie mit der allgemeinen Frage der Geltung des Stadtfriedens für die Studenten.

[561] Ein korrektes, von allen Stößen und Wirrungen freies Anwenden des Verhältnisses war in der Tat unmöglich. Auf allen Seiten bot es die Möglichkeit eines Konfliktes, und die Verhältnisse selbst, die Menschen und die Zeiten, trieben hier zum Mißbrauch, dort zur Verletzung der Privilegien. Jedenfalls war es eine Wirkung auch hievon, wenn der Rat die große freudige Geberde, mit der er zu Beginn die Magister und Scholaren willkommen geheißen, beschenkt und ausgezeichnet hatte, zu bereuen begann und mäßigte. Schon 1463 zog er die Ungeldfreiheit in Erwägung; 1474 ließ er die Universität wenigstens auf einen Teil dieser Freiheit verzichten; 1501 beriet er darüber, wie manches, das „uns in den Freiheiten beswert“, gemildert oder aufgehoben werden könnte, und 1507 fiel in der Tat die Befreiung der Universität vom Fleischungeld dahin.

Aber das tiefste Wesen des Verhältnisses wurde durch solche Einzelheiten nicht alteriert. Die Universität war ein Werk der Stadt und ein Teil ihres Lebens. Alljährlich in der großen Szene des Fronleichnamsbittganges erhielt auch sie ihren Platz als städtische Korporation, und ihre Doktorpromotionen erhob der Rat durch seine Anwesenheit zu solennen Akten des Gemeinwesens. Und weit über solche Formen und Höflichkeiten hinaus erwies die Stadt, nachdem sie die auf ihr Ansuchen geschehene Stiftung angenommen und mit Privilegien begabt hatte, daß sie auch die Pflichten der Sorge für diese Anstalt auf sich zu nehmen bereit war.

Zunächst mit ihrer ersten Ausstattung, worin vor allem die Zuweisung eines Gebäudes begriffen war. Nachdem zuerst vom Münchenhof als Kollegiengebäude sowie von Zuweisung von Räumen in den Klöstern der Augustiner und der Prediger die Rede gewesen war, erwarb der Rat 1460 von Burchard Zibols Witwe Viola von Rotberg den alten Schalerhof am Rheinsprung und richtete in diesem Hause neben Hörsälen und Lokalen der Verwaltung auch Wohnungen für Dozenten, außerdem Aula und Bibliothekszimmer, sowie eine Studentenburse ein. Es ist das noch heute der Universität dienende Kollegiengebäude.

Auch das Szepter erhielt die Universität gleich zu Beginn vom Rate.

An diese einmaligen Leistungen schloß sich nun die dauernde Pflege und Beaufsichtigung durch den Rat.

Als das Wichtigste zeigt sich dabei, daß die Besetzung derjenigen Lehrstellen, die, inmitten einer mannigfaltigen und wechselnden Lehrarbeit zahlreicher Baccalaureen und Magister, als die ordentlichen und offiziellen Lekturen galten, durch den Rat geschah. Begreiflicherweise konsultierte er hiebei in der Regel die Fakultäten; eine Abmachung von 1474 gab diesen [562] geradezu das Recht, um ihren Rat und Willen befragt zu werden. Aber dies ändert nichts an der Bedeutung der Professorenwahl durch die städtische Behörde. Und die lebensvolle Ergänzung dazu bilden die Manieren, mit denen der Rat gelegentlich seine Dozenten behandelt. Er stellt sie nur auf Zeit und auf Wohlverhalten an; wiederholt wird einbedungen, daß, wenn Einer den Studenten nicht zusagt, er seine Lehrstelle verliert. Auch sonst zeigt sich im Einzelnen oft eine herrische Art des Verkehrs; der Rat macht mit diesen Gelehrten wenig Umstände und hält sie fest in der Hand. Ein Doktor oder Meister, dem die Stadt Sold gibt, darf sich ohne des Rates Willen keiner fremden Sachen annehmen, und auch nicht einem Bürger wider den andern beistehen oder raten. Aber auch den Fakultäten gegenüber tritt der Rat mit Entschiedenheit auf und erzwingt z. B. die Aufnahme Heynlins und seiner Genossen. Es ist eine Behandlung dieser Dinge, die ihre Parallele hat an der Tendenz des Rates zu selbständiger Regelung kirchlicher Dinge in Sittenkontrolle Klosterreform u. dgl.

Die Besetzung der ordentlichen Lehrstellen durch den Rat verstand sich ohne weiteres bei den eigentlich städtischen Professuren d. h. denjenigen, deren Besoldung unmittelbar aus der Stadtkasse floß. Sie wurde aber mit der Zeit zur Regel auch bei den auf den Ertrag inkorporierter Pfründen angewiesenen Lekturen.

Von der langen Liste auswärtiger Pfründen, die Basel anfangs seiner Hochschule dienstbar zu machen gedachte, war schon frühe das Meiste abgestrichen worden. Pius beschränkte sich darauf, je einen Kanonikat samt Pfründe in Zürich Zofingen Solothurn Colmar und St. Ursanne der Universität zu inkorporieren. Seine Stiftungsbulle setzte dies aufs feierlichste fest, und er selbst sowie mehrere seiner Nachfolger im Papsttum wiederholten die Verfügung. Aber es blieb bei den Pergamenten. Trotz den bündigsten Zusagen, trotz Strafdrohungen und Konservatorien ist Basel niemals in den Genuß auch nur einer jener fünf Pfründen gelangt. Ihm gegenüber verbanden sich allenthalben Eigennutz oder Selbstgefühl der Regierungen, Lokalpatriotismus, überhaupt ein entschiedener Widerwille des betroffenen Klerus selbst zu einer Opposition, zu deren Überwindung Basel allein natürlich zu schwach, der Kurie aber die Sache Basels nicht wichtig genug war. An Stelle dieser zum Teil stattlichen Präbenden stand schließlich, seit ca. 1464, außerhalb Basels keine andere der Universität zur Verfügung, als die Pfarrei Sissach mit ihrer Filiale Rümlingen.

Anders in Basel selbst, wo Rat Bischof und Klerus wenigstens äußerlich einig gingen in der Sorge für die neue gemeinsame Schöpfung [563] der Stadt und der Kirche. Daher gleich zu Beginn von je zwei Kanonikaten der städtischen Stifter, am Dom und zu St. Peter, die Rede war, deren jeder durch seine Pfründe einen Universitätslehrer tragen und erhalten sollte. Beim Domstifte blieb es hiebei. St. Peter dagegen ging schon bald mit der Gesamtheit seiner Kanonikate an die Universität über. Diese Übergabe, durch das Stiftskapitel an den Rat der Stadt, geschah am 18. Januar 1463. Wie jenes motivierte, um der Universität einen Dienst zu tun und sich selbst den Schmuck reifer, durch Kenntnis und gute Sitten leuchtender Männer zu verschaffen. Den Anstoß zu der ganzen Transaktion aber gab der Rat; ohne Zweifel bewogen durch das Ergebnis der Stadtrechnung 1461/62 und die hierauf bezüglichen Debatten der Räte, bei denen auf Revision des ganzen Universitätsunternehmens und Besserung seiner Finanzen gedrungen worden war. Da überdies die fünf auswärtigen, vom Papst bewilligten Pfründen noch immer ausstanden und ihr Unerreichbarbleiben stets wahrscheinlicher wurde, so lag der Gedanke an gänzliche Einbeziehung des städtischen Stiftes um so näher, als in ihm schon jetzt einige Professoren (Grütsch Helmich Textoris) bepfründet waren. So kam es denn zum Beschluß des Kapitels, der sämtliche von diesem selbst zu vergebende Kanonikate des Stifts, sieben an der Zahl, der Universität inkorporierte und reservierte; die drei der Kollatur des Dompropstes unterworfenen Kanonikate blieben noch ausgeschlossen und folgten dem Schicksale der übrigen, durch Verfügung des Dompropstes Hartman von Hallwil, erst im Jahre 1490. Seinen Dank aber bezeugte der Rat am 20. Januar 1463 dadurch, daß er die Chorherren zu St. Peter für alle Zeiten vom städtischen Kornungelde befreite und die der Universität Inkorporierten unter ihnen aller Freiheiten der Universitätsangehörigen genössig erklärte; es war eine Bestimmung, die notwendig erschien zur Klärung des Verhältnisses in allen den Fällen, da ein Chorherr zu St. Peter nicht tatsächlich zugleich auch Dozent war.

Außer diesen Peterskanonikaten und den zweien am Münster war der Universität zugewiesen die Pfründe der Heiligkreuzkapelle vor dem Riehentor. Wie bei Sissach handelte es sich auch hier um ein städtisches Kollaturrecht; die Dotierung der Universität mit dieser Präbende durch den Rat geschah wohl schon bald nach der Gründung.

Für Besetzung der inkorporierten Pfründen galt anfangs die Regel, daß Kanzler und Rektor das Recht der Präsentation haben sollten, im Falle ungebührlicher Verzögerung oder Versagung der Admission das Recht der Pfründenverleihung selbst. Dann nahm die Universität das Recht ausschließlich [564] für ihr Ratskollegium in Anspruch, mit dem einzigen Vorbehalte, daß die von diesem Bezeichneten dem Kanzler, dem Rektor und dem städtischen Rate genehm seien. Bei der Übergabe der Peterspfründen wurde dieses Verhältnis nicht ausdrücklich geregelt; doch ging jetzt tatsächlich das Recht der Besetzung in die Hand des Rates über, der sich schon 1461 als ein bei der Universität zu stellendes Begehren notiert hatte, daß Kanzler und Rektor nur Solche an Pfründen präsentieren sollten, die ihnen durch den Rat bezeichnet seien; schwerlich mochte er bei diesen Pfründenprofessuren ein anderes Verfahren dulden als bei den rein städtischen. Daß er seinerseits an den Vorschlag der Fakultät gebunden war, ist schon erwähnt worden; dem entsprechend hatten wohl auch Kanzler und Rektor eine formelle Mitwirkung bei jeder Wahl, und in der Tat sehen wir wiederholt Präsentationen durch diese Beiden.

Aber Erschwerungen und Unklarheiten ergaben sich auch sonst. Das durch Inkorporation geschaffene Recht der Universität konnte mit andern Rechten kollidieren. Vor allem, trotz allen Vorbehalten, mit dem Recht des Stifts oder der Gemeinde auf wirkliche Funktionen der Pfründeninhaber. Aber auch ein Recht der ersten Bitte sehen wir ihm gelegentlich entgegentreten, so z. B. 1461, als Johann von Wesel, und 1484, als Adolf Rüsch eine Chorherrei zu St. Peter einnehmen sollten; oder im Streite zwischen Konrad von Kempten und Johann Phunser, gleichfalls über einen Peterskanonikat, ein Recht aus päpstlicher Provision. Konflikte dieser Art zeigen sich uns häufig, und die kaum übersehbare, verdrießliche Bemühung des Rates „von der pfrunden wegen“, die ihm Jahrzehnte lang nicht nur hier, sondern stets aufs neue auch in Rom zu tun gibt, gilt keineswegs nur dem Kampf um die doch verlorenen Posten in Zürich Solothurn usw., sondern in starkem Umfange auch solchem Zank um einzelne Pfründen in Basel.

Außerdem ist aber noch eine Besonderheit zu erwähnen. Rat und Universität legten natürlich Wert darauf, eine inkorporierte Pfründe sobald als möglich für einen tatsächlichen Dozenten nützen zu können. Daher wurde einem Inhaber, der nicht dozieren konnte oder mochte, die Pfründe meist abgehandelt; er erklärte, auf sie zu verzichten, und erhielt hiefür die jährliche Zahlung eines bestimmten Geldbetrages, mit der die betreffende Pfründe belastet wurde. In solcher Weise bezog z. B. der Offizial Laurenz Kron seit dem November 1461 eine jährliche Pension von zwanzig Gulden. Und der Rat ließ sich durch die römische Kurie ausdrücklich bezeugen, daß diese Abmachungen nicht simonistischer Natur seien.

[565] Es konnte aber auch geschehen, daß der zum Lesen untaugliche oder ungeneigte Inhaber die Pfründe behielt, aber so gut es gehen mochte, für Versehung der Lektur sorgte; oder er hatte zwar Namen und Auftrag eines Dozenten, kam dieser Pflicht aber nur lässig oder gar nicht nach, so daß er gemahnt werden mußte.

Von allen Seiten offenbaren sich uns so die Mängel dieses Inkorporationsverfahrens. Es entzog einen Vermögenswert und die auf diesen gegründete Existenz der eigentlichen Bestimmung, wies sie einem ganz anders gearteten Dienste zu. Es schuf dem Inhaber eine Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Körperschaften, und durch diese Vermengung von Interessen und Pflichten, die nichts miteinander zu tun hatten, brachte es nicht nur Ungleichheiten in jede der beiden Körperschaften, Universität und Kapitel, sondern führte auch die Inhaber in die Versuchung, entweder die eine Seite zu vernachlässigen oder die andere.

Jedenfalls war die Universität der stärker geschädigte Teil. Der auf Verlangen des Rates am 19. November 1485 von Papst Innocenz erlassene Befehl, daß die Pfründen zu St. Peter keinem andern übertragen werden dürfen, als einem an der Universität Tätigen, war ohne dauernde Wirkung geblieben. Der Rat griff daher nochmals ein und benützte die Anwesenheit des Legaten Raimund Peraudi in Basel zur Einführung eines neuen Verfahrens. Am 22. Juni 1504 verfügte Raimund nach Vorschlag des Rates, im Hinblick auf die Nachlässigkeit der Pfründeninhaber in Erfüllung ihrer Pflichten gegen die Universität, daß künftig jede dieser Pfründen jährlich einen Geldbetrag, eine pensio, für Besoldung der Professoren zu leisten habe; dieser Betrag wurde für die zehn Pfründen zu St. Peter auf je zehn Gulden, für Sissach auf zwölf und für Rümlingen auf elf Gulden, für die Elendenkreuzkapelle auf zehn Gulden festgesetzt. Die Hauptsache wurde also nicht geändert, die Verbindung von Kirchen- und Universitätspflichten blieb nach wie vor bestehen. Aber der Unklarheit des Zustandes gegenüber, daß nicht alle Dozenten Pfründeninhaber und nicht alle Pfründeninhaber Dozenten waren, schuf die Verfügung Raimunds die Gleichartigkeit und Einheitlichkeit der Belastung aller Pfründen für die Universität. Es war, wenn auch in befremdlich starker Reduktion und in Ersetzung geistiger und persönlicher Leistungen durch finanzielle, eine präzise Ausführung des den Abtretungen von 1463 und 1490 zugrunde liegenden Gedankens. In welcher Art die bei einzelnen Pfründeninhabern noch zu dieser Pensionszahlung tretende tatsächliche Versehung einer Lektur geordnet und vergütet wurde, ist aus den Akten nicht ersichtlich und blieb jedenfalls [566] besonderer Abrede in jedem einzelnen Falle vorbehalten. Daß dann seit 1507 die jährlichen Zahlungen der Pfründen (Pensionen Reservate) in der Rechnung der Stadt unter den Einnahmen aufgeführt wurden, geschah im Zusammenhang mit den Beschlüssen des Rates von 1507, wonach jährlich zweihundert Gulden aus den Mitteln der Stadt für Professorenbesoldungen aufgewendet werden sollten. Es erschien richtig, wie diesen Betrag so auch jene Zahlungen der Pfründen gleichmäßig durch Buch und Kasse der Stadt gehen zu lassen; die städtische Leistung wurde durch jenen Zuschuß nicht beeinflußt, sondern die Gesamtausgabe um dessen Betrag erhöht.

Zusammengefaßt verkündigt sich uns dies Alles als eine glänzende Bereicherung des öffentlichen Wesens. Ein neues Element tritt in die Basler Welt ein. Die Ratsschriften beginnen von Dingen zu handeln, die ihnen bisher fremd gewesen, und tun es in Worten, die kein Kanzlist noch gebraucht hatte, und in einem sichtlich geläuterten Latein. Die Beschlüsse, die Gutachten und Briefe, die zahllosen Notizen über alle diese erst zu lernenden Besorgungen zeigen uns die in ihrer Größe und Eigenart gar nicht vorausgesehenen Pflichten, die das Universitätswesen dem Stadtregimente gebracht. Es sind Zeugnisse der ernstlichsten Arbeit, oft schwere Sorgen verratend, zuweilen voll Enthusiasmus, immer aber weht in ihnen der Atem dieser unvergleichlichen Zeit.

Zumeist ist es der Rat als Gesamtbehörde und oberste Instanz, der in diesen Dingen handelt. Freilich nur formell. Tatsächlich besorgt wurden die akademischen Geschäfte durch die Deputaten. Der Rat bestellte diese Kommission sogleich bei der Gründung der Universität, anfangs in der Stärke von sieben, dann von vier Mitgliedern, mit einer weiten Vollmacht des Handelns in allen die hohe Schule betreffenden Sachen. In diesem Kollegium haben wir die Männer zu sehen, die den Rat auf der einmal betretenen Bahn festhielten und ihn zum Regieren auch geistiger und wissenschaftlicher Dinge erzogen. Neben ihnen haben wir natürlich an die gelehrten oder sonst befähigten Ratgeber der Behörde zu denken, aber auch an manchen unberufenen Helfer und Einflüsterer, der Alles besser wußte als die Mächtigen und ihnen seine Meinung schuldig zu sein glaubte. Mit Unwillen richtete sich der Rat gelegentlich wider diese kleinen und unverantwortlichen Regenten „im Winkel“; und doch lag auch in solchem lästigen Dreinreden eine Aeußerung allgemeinen Interesses, ohne welches das Unternehmen gar nicht durchzuführen war.

Zeugnisse solch verbreiteter Gesinnung waren nun auch einzelne private Aufwendungen für die Universität. Sie ergänzten, was die Stadt leistete, [567] und taten dies zunächst in der Form der gewohnten Vergabung „in geistlichen almosens wise“. Auch in ihnen wirkte die Devotion; das Neue war, daß man nicht einen messefeiernden Altaristen, sondern einen zu Gottesgelehrsamkeit und Frömmigkeit leitenden Dozenten fundierte.

So gleich die früheste Gabe dieser Art, die erste in der langen glorreichen Reihe der Stiftungen für die Universität. Sie geschah durch jene Margaretha Brand genannt Lostorfin, die sich auch in der Karthaus als große Wohltäterin ein gesegnetes Andenken bereitete; 1467 stiftete sie, „weil nichts dienlicher sei zum Heil der Seelen als Lehre und Unterweisung in der heiligen Schrift“, vierundzwanzig Gulden jährliches Zinses für eine Lektur, damit ein frommer züchtiger und geschickter Mann die heilige Schrift studiere und lese; außer dieser Tätigkeit an der Universität sollte er zu St. Theodor einige Messen halten und im Münster den Prediger unterstützen, namentlich in der Advents- und der Fastenzeit, damit zu diesen Zeiten täglich Predigt sei. An dieses Stipendium, das erstmals, 1474, an Magister Michael Wildegg zur Verteilung kam, schlossen sich bald andere Vergabungen dieser Art: 1470 durch Ennelin Henflingerin die Stiftung von zwanzig Gulden Zins, damit ein „vernünftiger und redlicher Meister der sieben Künste“, der priesterlichen Standes sei, in diesen Künsten Vorlesungen an der Universität halte; 1512 durch Stefan von Utenheim und 1514 durch Marie von Brunn geborne Zscheckabürlin Stiftungen von Stipendien für Studenten der Theologie.


Diese Universität, ein Komplex von Lehranstalt und Korporation, hat uns nun noch einige wichtige Stücke ihres Wesens zu zeigen.

Vor allem ihr Haupt, den Rektor, der allen Stolz und Glanz dieser neuen großen Schöpfung Basels sichtbar vertrat. Wie drüben am Markte der Bürgermeister, so übte er hier als Herr eines zweiten Basels die Ehre offizieller Gastlichkeit gegenüber ausgezeichneten Fremden; bei Festen und in der Kirche zeigte er sich nicht anders als in der Pracht seines scharlachenen Amtskleides. Er hatte die Handhabung der Universitätsstatuten. Er besorgte die Rechnung und verwaltete die Kasse. Er führte die Matrikel und das Statutenbuch, nahm den Immatrikulierten den Eid ab, wohnte allen akademischen Akten bei, visitierte die Studentenhäuser, übte die Jurisdiktion usw. Bei einigen dieser Funktionen mit der Unterstützung von Beigeordneten, in allen wichtigen Angelegenheiten unter Teilnahme eines Ratskollegiums (Regenz), das bis 1477 durch zwölf, seit 1500 durch vierzehn Vertreter der Doktoren und Magister gebildet war, von 1477 bis 1500 aus der Gesamtheit dieser Graduierten bestand.

[568] Unter Rektor und Regenz dienten der Universität: als Gerichts- und Polizeibeamter, sowie als Vertreter der Privilegien der Syndikus; als Schreiber der Notar; als Diener der Pedell.

Die vom Rektor beherrschte akademische Welt teilte sich in die vier Fakultäten. Mit der ersten im Rang, der theologischen, bildeten die ihr folgenden, die juristische und die medizinische, die Gruppe der höheren Fakultäten gegenüber der vierten, der Artistenfakultät. Wenn jene drei sich für übergeordnet hielten und auf die fachwissenschaftliche Geschlossenheit und Bestimmtheit ihrer Gebiete stolz sein mochten, so lag die Auszeichnung der, in vielen Fällen allerdings nur propädeutisch wirkenden Fakultät der sieben freien Künste in dem weiten Umfange und der vollkommenen Unentbehrlichkeit ihrer Disziplinen wie in der entsprechenden äußern Größe und Macht der Genossenschaft. Im Besitze dieser Eigentümlichkeiten sehen mir jede der Fakultäten, durch ihren Dekan und ein Kollegium von Graduierten geleitet, in Verfassung Studienordnung, Aufsicht auf die Studenten, Führung von Matrikel Siegel Kasse usw. ihr selbständiges freigeordnetes Leben haben.

Mit dem höchsten Pathos bei der Verleihung der akademischen Grade: des Baccalaureus, des Licentiaten, des Magisters und Doktors. Um diese festen Punkte sehen wir das gesamte Studium sich gruppieren. Wie das Leben an der Universität ein Leben in der Wissenschaft ist in vorgeschriebenen Formen und mit dem Studium eines überlieferten Kreises von Büchern, so unterliegen auch die Termine, die zur Erlangung eines jeden Grades erforderlich sind, einer bestimmten Regelung. Wer bei den Artisten die gesetzte Zahl Jahre studiert und sich in einer Prüfung ausgewiesen hat, kann Baccalaureus werden und als solcher wieder nach Absolvierung einer bestimmten Studienzeit, sowie eines Examens die Magisterwürde erhalten. Ähnlich bei den obern Fakultäten, wo statt des Magisters der Doktor der höchste und letzte Grad ist, und hier wieder am langsamsten und mühevollsten bei den Theologen, wo Voraussetzung des Studiums überhaupt die Magisterwürde ist und dann der Lernende in bestimmten Intervallen zum cursor oder biblicus, zum Sententiar, zum baccalaureus formatus vorrückt, dann die Lizenz zum Doktorat und endlich die Doktorpromotion selbst erlangt.

Auf den Graduierten ruhte ein wesentlicher Teil des wissenschaftlichen Betriebes, und auch außerhalb der Universität konnte der Besitz der höheren Grade von Wert sein, da er nicht nur das Recht gab, überall als anerkannter Lehrer aufzutreten, sondern auch z. B. gleich dem Adel zum Eintritt ins Domkapitel legitimierte. In der Tat erschien die Erteilung der [569] Grade als die wichtigste Fakultätshandlung, und weil sie im Grunde Ausübung eines Kooptationsrechtes war, so hielten einige Fakultäten nicht nur die doctores bullati d. h. die ohne Examen durch den Papst kreierten Doktoren von ihrem Lehrkörper fern, sondern stellten auch für ihre eigenen Graduierungen feste Requisite, namentlich dasjenige der ehelichen Geburt, auf. Mit Pomp wurden vor allem die öffentlichen Doktorpromotionen der Juristen und der Mediziner vollzogen; der Doktorand lud mit berittenem Gefolge und unter dem Klange von Pfeifen und Hörnern die Ehrengäste, darunter den Bischof, die Häupter der Stadt usw. ein; der feierliche Akt selbst geschah in einer Kirche, wohl meist im Münster oder zu St. Peter.

Zum Wesen dieser Universität gehörte, daß sie nicht allein Lehranstalt war, sondern eine „durch die Wissenschaft und ihr zum Dienst gefreite Korporation, welche auch Viele umfaßte, die nicht lehrten und lernten, und Alle, die ihr einmal als Lehrer oder Hörer angehört hatten, dauernd in ihrer Gemeinschaft zu behalten suchte.“ Nicht nur Graduierte und Schüler, sowie die Familiaren einzelner Doktoren usw. füllten mit ihren Namen buntgemengt die Matrikel; neben ihnen finden wir auch Berufsleute, die für den gelehrten Betrieb arbeiteten: Schreiber Buchbinder Buchdrucker usw. Eine Masse war beisammen, welche die verschiedenartigsten Kategorien zeigte: Mönche und Weltkleriker und Laien; Arme und Reiche; Knaben und Erwachsene; Wälsche und Deutsche; Magister von Paris Wien usw. neben Anfängern; den Studien Lebende und Solche, die sich blos einschreiben ließen, um die Korporation zu ehren oder ihrer Privilegien zu genießen. Das Wesentliche war dies Alle umfassende Beteiligtsein am akademischen Sonderrecht. Mit gleicher Befugnis auch nahmen anfangs Graduierte und Studenten an der Wahl des Rektors teil und Beide waren wählbar, bis zuletzt, seit den Statuten von ca. 1480, die Studenten zwar wie früher wählbar blieben, das aktive Wahlrecht aber an die Graduierten verloren.

Natürlich schied die Tätigkeit des Lehrens und des Lernens in sehr bestimmter Weise; aber der Bestand dieser beiden Gruppen und ihre Trennung war im Einzelnen keineswegs konstant. Magister der einen Fakultät konnten in der andern noch Studenten sein, Baccalaureen zur gleichen Zeit bald auf der Schulbank sitzen, bald die Geschäfte eines Lehrers besorgen. Neben den ordentlichen Dozenten und oft noch zahlreicher als sie dozierten Andere, die sich erst um Grade bewarben und in der Promotion standen, oder die schon Magister waren, aber keine offizielle Lektur besaßen. In solcher Weise ging der Kurs des Studiums vor sich, mit Vorlesungen Übungen Repetitionen und Disputationen, die alle bis ins Einzelne vorgeschrieben und geordnet [570] waren. Gerichtet war der Kurs auf die Erlangung der Meisterschaft im Lehren, daher der Graduierte Meister (magister) oder Lehrer (doctor) hieß und auch das Ratskollegium einer Fakultät nicht durch die Gesamtheit ihrer jeweiligen Lehrer, sondern durch die Gesamtheit ihrer Graduierten gebildet wurde.

Dergestalt erscheint die Universität vor uns als ein großer, in gewissen Abstufungen zugleich lehrender und lernender Körper, und dies Bild erhält noch eine weitere Eigenart durch die Dezentralisation der ganzen Tätigkeit. Diese war keineswegs in dem einen Hause der Universität zusammengefaßt, sondern auf eine Mehrzahl von Lokalen verteilt. Zum Kollegiengebäude, in dem auch Studenten wohnten, traten die Bursenhäuser, die auch Lehrstuben enthielten.

Daß im Kollegiengebäude am Rheinsprung neben den Wohnungen von Dozenten auch eine Studentenburse untergebracht war, ist schon gesagt worden. Außer ihr werden uns andere Bursen genannt: die Pariser Burse (vorher Egenolfische Burs) beim Spalenschwibogen; die Löwenburs im Seidenhof, seit 1522 im Markgräfischen Hof an der Augustinergasse; die Kathrinenburse; die Hieronymusburse; die Heidelberger Burse; die Burse des Peterlin Arzt; die Burse des Meisters Johannes Durlach; die Engelburse.

Die Mehrzahl dieser Bursen scheint zur Artistenfakultät gehört zu haben; doch ist auch von Bursen der Juristen die Rede. Zu Beginn private, aber unter Aufsicht stehende Unternehmungen, wurden die Bursen allmählich zu eigentlichen Fakultätsanstalten.

Bursenzwang war Grundsatz, der wiederholt ausgesprochen wurde: wer nicht in einer Burse lebte, galt nicht als Student und verlor die akademischen Privilegien. Aber es war ein Gebot, das offenbar nicht durchgeführt werden konnte; 1465 ist von freien Studentenbuden die Rede; unaufhörlich hatte sich der Rat mit diesen Verhältnissen zu befassen, da der Grundsatz des Bursenzwanges den aus Zimmern und Kosttischen gern etwas lösenden Bürgern nicht paßte. 1497 hatte der Leutpriester zu St. Peter acht Studenten im Hause; auch bei Dietrich Murer, bei Andreas Helmut u. A. wohnten solche.

Regel war die Leitung der Burse durch einen Magister, der in dieser Eigenschaft Propst oder Regent hieß und dabei einerseits sein Geschäft zu machen hatte, anderseits Vertreter der Universität und ihrer wissenschaftlichen wie disziplinarischen Forderungen war. So begegnen uns als Bursenvorsteher zahlreiche Magister (Hans Heberling, Hans Göppinger, Hans [571] Suter, Jeremias Rumel, Niklaus Justinger u. A.), deren Namen auch sonst, ohne wesentliche Bedeutung, in den Universitätsakten auftreten; der vielgenannte Johann Textoris von Mörnach war 1487 Regent des Kollegiums, 1507/08 Regent der Löwenburs; als Propst des Kollegiums funktionierte 1472 ein Student: Johann Löwgant von Feldkirch.

Wir dürfen uns diese Bursen, in denen der Student wohnte aß und arbeitete, Vorlesungen hörte und disputierte, zum Teil ansehnlich groß vorstellen; doch sollte eine Burse nicht mehr als fünfundzwanzig bis dreißig Scholaren umfassen. Jedenfalls waren die Bursen weit mehr als nur Kosthäuser oder Konvikte. Sie stellten Teile der Universität dar und unterlagen den allgemeinen Richtungen der Schule und der Systeme. Hauptsächlich in diesen durch die ganze Stadt zerstreuten Sälen und Stuben finden wir die Universität, tausend Formen tragend und mit der sprühenden Lebendigkeit eines Daseins, das durch die Statuten und Beschlüsse uns vielfach nur karrikiert gezeigt wird. Wie das Ganze der Organisation, der Gang der Studien, die Verteilung von Geben und Nehmen, Lehren und Lernen nicht leicht zu würdigen ist, so im Einzelnen auch das Leben dieser akademischen Jugend, die eher aus Schülern bestanden zu haben scheint als aus Studenten, der Alles vorgeschrieben war und Unzähliges verboten, die abends nicht ausgehen, die keine Waffen und keine Musikinstrumente besitzen, die nur lateinisch reden sollte u. dgl. m., und die gleichwohl, unbesiegbar im Geist und in der Kraft ihrer Jahre, über alle Maßregelung und auch über die oft schreckliche Dürftigkeit und Verwilderung dieses Scholarenlebens emporgetragen wurde.

Dies die Rechte und Formen der Universität, des wissenschaftlichen Staates inmitten des politischen. Sie hatte Lehrsäle und Studentenhäuser in allen Quartieren der Stadt und war doch an sich etwas aus dem Gemeinwesen Ausgeschiedenes. Neben der Bürgergemeinde eine von Freiheiten umschirmte besondere Genossenschaft, die in Wesen und Wirkungen über Basel hinausgreifend einem grenzenlosen Reich angehörte und deren Angehörige schon äußerlich durch ihre Tracht, das Barett der Graduierten und den langen Studentenmantel mit der Kapuze, sich vom Haufen sonderten.

Im Allgemeinen war für die Stellung dieser Universität im Gemeinwesen entscheidend die Initiative der Stadt, die eine solche Anstalt erstrebt hatte, und nach der die Entstehung gutheißenden Verfügung des Papstes deren Vollziehung durch den städtischen Freiheitsbrief. Der Rat selbst war der Meinung, daß er damit die Universität errichte, und jedenfalls ergaben sich daraus nicht nur die Beschirmung der Korporation durch ihn, sondern [572] auch sein Regiment über die Anstalt und seine Aufwendungen für sie. Das daneben der Kirche zustehende Recht und die kirchliche Autorität, ohne die kein Lehren und kein Übertragen der Lehrbefugnis auf Andere denkbar war, hatten ihre dauernde Vertretung im Kanzler.

Als solcher war vom Papste der jeweilige Bischof von Basel bezeichnet worden, was in Zeiten des Konfliktes zwischen Rat und Bischof allerdings zu Bedenken Anlaß gab. Aber tatsächlich sank die Bedeutung dieses Amtes rasch zum rein Formelhaften und Äußerlichen; in der Mitwirkung des Kanzlers bei der Präsentation auf Universitätspfründen, bei den Lizenzerteilungen und Promotionen, beim Erlaß der Statuten usw. lag mehr zeremonielles als wirkliches und wirksames Leben.

Hienach ist das Wesen dieser Stadtuniversität zu verstehen. Sie war weder ausschließlich kirchliche noch ausschließlich weltliche Institution, sondern aus dem Zusammenwirken beider Obrigkeiten erwachsen. Ein selbständiges Geschöpf, eine Korporation und Lehranstalt eigener Art. Gegen ihre Zugehörigkeit zum Gebiete der Kirche spricht, daß sie außerhalb der kirchlichen Gerichtsbarkeit stand. Das Kirchliche in ihren Formen und Ordnungen aber war entweder natürliche Folge der Tatsachen — so die Forderungen des geistlichen Standes und der Ehelosigkeit für die Lehrer der Theologie und der niedern Weihen für Alle, die in der theologischen Fakultät einen Grad erwerben wollten, — oder es floß aus den allgemeinen Anschauungen der Zeit vom Verhältnis der Wissenschaften zur Kirche — so das Erfordernis des geistlichen Standes und der Ehelosigkeit für den Rektor. Demgemäß wurde auch wiederholt erklärt, daß die Universität errichtet werde zur Ehre Gottes, zur Ausbreitung der orthodoxen Lehre, zur Förderung der Seligkeit; gleichzeitig aber äußerten die Städter die Absicht, durch diese Universität nicht nur gute Prediger und Beichtväter zu erzielen, sondern auch vernünftige Lehrer, weise Juristen und geschickte Aerzte.


Die Universitätsgründung stand mitten im Strome der großen kirchlichen Regenerationsbestrebungen, und mit gleicher Kraft wirkten auf sie wissenschaftliche Interessen, weltlichpolitische und wirtschaftliche Absichten.

Kirche und Stadt schufen dabei eine Schule, die von hoher und umfassender Bedeutung war. Sie trug reichere Bildung auch in weite profane Kreise und öffnete Wege zu einer bisher unerhörten Säkularisation der Kultur. Indem die Wissenschaft nach dem Worte des großen Stifters der Universität den Gebildeten hoch über den Ungebildeten emporhob, ja Gott ähnlich machte, entstand eine gesellschaftliche Schicht von stärkster Eigenart.

[573] Dem wissenschaftlichen Betriebe, mit dem wir es von nun an hier zu tun haben, seinen Schöpfungen und seinen Kämpfen, verdanken wir das mächtige Leben, das die ruhmvollste Zeit Basels, von Enea Silvio bis Erasmus, auch von dieser Seite her erfüllt.

Kern und stärkster Halt dieses Lebens war die junge Universität. Nicht in ihr allein, aber in ihr vorzugsweise trat zu den schon vorhandenen Auszeichnungen Basels nun noch der Schmuck der Wissenschaften. Sie fesselte neue Mächte und Vorteile an die Stadt. Was bisher auf hohen Schulen des Auslandes hatte gesucht werden müssen, war nun hier im eigenen Hause zu haben; über rein wissenschaftliche Tätigkeit hinaus handelte es sich um Dinge von großer praktischer und allgemeiner Bedeutung für das Gemeinwesen. Dieses besaß in der Universität ein allezeit zur Verfügung stehendes Konsultationsamt. Es konnte seine Kleriker, seine Advokaten usw. nun hier selbst sich ausbilden sehen; es stellte die ärztliche Praxis unter die Aufsicht der medizinischen Fakultät. Dazu die leichte Möglichkeit für jeden Bürgerssohn, auch ohne das Ziel eines wissenschaftlichen oder geistlichen Berufes sich eine höhere Bildung wenigstens in den Disziplinen der „freien Künste“ zu erwerben.

Für das ganze Wesen und alle Zukunft Basels war von unvergänglichem Werte, daß die Universität die Bevölkerung zur Ehrfurcht vor allem Geistigen erzog. Und welche Anregung ging von diesem einen Punkte nun auch nach außen! An der allgemeinen Bedeutung der Universitätsgründungen, diesem Entstehen neuer Lebenszentren, dieser Bereicherung des Weltbildes, nahm nun auch Basel teil.

Weit über provinziales Wesen hinaus handelte es sich dabei um ökumenische Zustände. Wer an der Universität einen Grad erwarb, war befugt, auf dem ganzen Erdkreise zu lehren. Ungehemmt wirkten bei ihrem Entstehen die Kräfte von allen Seiten her. Pavia Wien Erfurt boten Muster der Organisation; an eben diesen Orten, aber auch in Padua Dôle Heidelberg Worms Mainz Köln suchte sich Basel seine Dozenten. Während Freiburg keine Professoren anstellte, die nicht deutsch reden konnten, rief Basel Italiäner und Franzosen zu sich. Lokales Wesen erschien in diesem Bezirke der Wissenschaften wie aufgehoben. Was in ihm geschah, war Teil allgemeiner Bewegungen.


Das wissenschaftliche Leben dieser spätern Zeit, zu dessen Betrachtung wir uns hier wenden, zeigt sich als eine weite, in ihrem Reichtum kaum zu [574] fassende Erscheinung. Da das Größte meist unausgesprochen und unbezeugt bleibt, kann jeder Versuch der Darstellung nur unvollkommen sein. Es ist ein Zustand und ein Leben, bei dem die stärksten Kräfte zusammenwirken: Universität Buchdruck Scholastik und Humanismus, kirchliche Regeneration. Dies Alles aber wird getragen und erregt durch politische Größe, Glanz des Lebens, künstlerische Tätigkeit, durch Forderungen einer rasch erstarkenden Bildung auch der profanen und ungelehrten Kreise, durch lokale Tradition und Einfluß der Ferne.


Als ehrwürdige Gestalt, noch halb im Dämmer der frühern Zeit stehend, erhebt sich Peter von Andlau. Von der ungewöhnlichen Bedeutung dieses früh und vereinzelt tätigen Mannes ist schon die Rede gewesen.

Nach Studien in Heidelberg und Pavia lebte er in Basel als Domkaplan seit 1444 und als Ordinarius des kanonischen Rechtes seit 1460 bis zu seinem Tode 1480. Im Kreise des Domklerus war er ausgezeichnet als einer der vier assisii; nach der Wahl Johanns von Venningen zum Bischof wurde er mit Kaplan Knebel nach Rom gesandt, um die päpstliche Provision für Venningen zu erwirken und wegen der Servitienzahlung mit der apostolischen Kammer zu unterhandeln. Auch an der Universität ehrte man ihn wiederholt durch Abordnung zu wichtigen Geschäften; seine juristischen Vorlesungen sind z. T. in sorgfältigen Nachschriften Jakob Laubers erhalten. Aber um der Person Andlaus gerecht zu werden, vergesse man sein Assisiat am Münster, seine Propsteiwürde zu Lautenbach, ja selbst seine Lektur, und beachte das für sein Andenken Entscheidende: die ernste Festigkeit und den Reichtum an geistigen Interessen. Merkwürdig oft treffen wir diesen rechtsgelehrten Kaplan als Parteivertreter oder als Schiedsrichter bei Rechtshändeln namentlich geistlicher Korporationen; auch einzelne Domherren bedienen sich seiner für ihre Geschäfte; er hat gelegentlich den Offizial zu ersehen und tritt wiederholt vor dessen Schranken als Advokat auf. Neben dieser Praxis sodann sein großes Buch von der kaiserlichen Monarchie, die erste wissenschaftliche Darstellung des deutschen Staatsrechtes; eigenartig bedeutsam auch, als Werk eines Adligen, durch die sehr lebendigen und freien Ansichten von der Bedeutung dieses Standes. Ueber all dies hinaus aber fesselt uns noch die persönliche Art des Mannes, der schon in der Begeisterung seiner Studentenjahre sich den Cicero und den Terenz abschreibt und dann lebenslang neben der Jurisprudenz „den lieblichen Rhythmen der Musen“ zu lauschen liebt; der schon ein Jahrzehnt vor der Gründung der Universität ein praeceptor arcium ist und juristische Disputationen leitet; [575] der dann an der Gründung selbst aufs eifrigste Teil nimmt; der zuletzt aus den Erfahrungen und Kämpfen seines Klerikerlebens heraus den ernsten Traktat vom kanonischen Wandel der Weltgeistlichen schreibt. Es ist das Bild eines Menschen von außerordentlicher Zuverlässigkeit und anregender Kraft.

Neben Andlau gehörten noch andere Lehrer der juristischen Fakultät dem Münsterklerus an: die Domherren Peter zum Luft, Georg Bernolt und der von Sebastian Brant als „Leuchte der Heimat“ gepriesene Bernhard Oeglin, sowie der Offizial Matthäus Müller. Wir wissen wenig von Art und Gelehrsamkeit dieser Männer, trotz dem Lobe, das ihnen auf Grabsteinen und in Jahrzeitbüchern gespendet worden. In gleicher Unkörperlichkeit leben für uns auch ihre Kollegen Johann Helmich, Gerhard im Hof und Johann Grütsch. Helmich und Im Hof wurden beide aus der berühmten Erfurter Rechtsschule nach Basel gerufen; Jener war Kanonist, der Andere lehrte später auch bürgerliches Recht.

Sie Alle aber geben sich rein und ausschließlich als Professoren, sodaß die Gestalten einiger ihrer Fakultätsgenossen, die noch Anderes leisteten, um so lebendiger vor uns stehen. So Sebastian Brant, so der kraftvolle Gemeindeherr und Prediger Kleinbasels Ulrich Surgant. So Andreas Helmut, Johann Bär, Adam Kridenwiß.

In den drei Letztgenannten tritt das gelehrte Wesen überhaupt zurück, trotz ihrer Dozententätigkeit, die z. B. bei Bär über zwei Jahrzehnte hin dauerte. Was sie gleichmäßig charakterisiert, ist ihre Beweglichkeit und Vielseitigkeit, die sie auf den verschiedensten Gebieten brauchbar macht. Solche Verbindung gelehrten und praktischen Treibens trug dem Helmut von Sebastian Brant den Titel eines „Fürsten des Rechts und der Eloquenz“ ein, wobei aber wohl weniger an humanistische Rhetorik und an Redekunst überhaupt zu denken ist als an das Geschick des Advokaten und Lehrers. Wie akademische Reden dieser Herren beschaffen sein konnten, zeigt uns Bär durch einige Ansprachen an Doktoranden, bei denen wir nur fragen, was übler sei, die Schmeicheleien des Professors oder die Armut seiner Sprache an Leichtigkeit und Eleganz.

Diese Drei begegnen uns nun an zahllosen Stellen in der Praxis. Bär anfangs im Dienste des Bischofs, dann der Stadt Breisach, Helmut 1480 als Unterschreiber des Basler Rates, Beide dann nebeneinander jahrelang dem Rat als Konsulenten und Oratoren verpflichtet. Sie alle besorgten aber auch Geschäfte für Private und trieben überdies Geschäfte auf eigene Rechnung, Helmut so intensiv, daß die Schlüsselzunft ihm zu wissen [576] tat, er möge entweder ihre Zunft kaufen oder sich weiterer Einbrüche enthalten. Es war ein sich Mühen, das jedenfalls mehr eintrug als das Dozieren. Bär wenigstens, der 1466 als Inhaber einer Studentenburse begonnen hatte, brachte es zum Besitze des Wasserschlosses Gundeldingen und der Burg Wildenstein. Auch Kridenwiß mußte sich von unten heraufarbeiten; mit Bär zusammen 1460 bei der Universität immatrikuliert, war er zunächst Schulmeister des Domstifts, aber schon wenige Jahre darauf Dekan der juristischen Fakultät. Er wurde Berater und Rechtsbeistand des Herrn von Rappoltstein, sowie gleich Bär und Helmut Mitglied des herzoglichen (königlichen) Rates in den Vorlanden. Wie Bär seine Unwissenheit rügte, Knebel Anderes an ihm zu bemängeln fand, zeigt, daß er, vielleicht als Emporkömmling, Manchem unsympathisch war. Aber jenem Tadel steht der Dank gegenüber, den kein Kleinerer als Reuchlin ihm als seinem Lehrer spendete.

So diese Drei. Auch daß sie mit den Übrigen, mit Andlau Bernolt Müller usw., als die besten Juristen Basels galten, die wiederholt zu Rechtsgutachten aufgefordert wurden, besagt nicht viel. Bemerkenswerter ist ihre Advokatur an den Gerichten.

Wir sehen beim Offizialgericht die Parteivertreter, die in früherer Zeit meist Advokaten, zuweilen auch Prokuratoren hießen, seit Ende des XIV. Jahrhunderts sich in Gruppen sondern, die im Wesen verschieden und auch organisatorisch getrennt sind. Im Ehebruchsprozeß der Greda Münch gegen Johann Günther von Eptingen 1415 funktioniert als Prokurator der Klägerin der in dieser Eigenschaft auch sonst oft genannte Mathias Grüscher, als ihr Advokat dagegen der Magister Berthold Rehbock. Deutlich unterscheidet sich hier der Gelehrte vom Praktiker, der rechtskundige Beistand vom prozessualen Vertreter. Die Prokuratoren sind bei den Kurien, was die Amtleute bei den Schultheißengerichten: Fürsprecher, die statt der zum Reden nicht befugten Parteien das Wort führen. Sie sind die Subalternen, die Beamten gegenüber den freien Anwälten und „Juristen“. So finden wir bei den Prokuratoren die obskuren Johann Spul 1463–1500, Caspar Brilinger 1470–1483, Heinrich Gredler 1480–1500 usw. Advokaten dagegen sind die schon genannten Helmut Bär Kridenwiß; ferner der „Jurist“ Hans Mittelhusen 1452–1468; aber auch Heinrich von Beinheim, Peter von Andlau, Sebastian Brant, Jacob Göttisheim, Johann Thüring Gut, Claudius Cantiuncula. Durchweg gelehrte Herren, vom Schwarme der Prokuratoren sich mit Stolz trennend. Keiner wurde bei der Kurie Advokat, der nicht in beiden Rechten graduiert war. Aber weder [577] Stolz noch Wissen hemmten die Geldgier; während Andlau die Advokaten als gelehrte Ritterschaft preist, schildert ein Anderer aus diesem selben Kreise, Sebastian Brant, wie sie die armen Klienten verachten, wie sie um des Profites willen die Prozesse in die Länge ziehen und in ihnen herumwühlen gleich den Raben im Aas.

Am häufigsten begegnen wir ihnen bei der Kurie; aber sie traten auch vor dem Stadtgericht auf.

Es handelt sich um einen neuen, erst durch die Zeit herausgebildeten Begriff und eine neue Tätigkeit, durchaus im Zusammenhange mit einer allgemeinen Entwicklung.

Vor dreißig Jahren hatte Enea Silvio den alten Zustand geschildert: „die Basler leben unter einem herkömmlichen nicht geschriebenen Rechte, ohne Rechtsbuch, ohne Juristen, ohne Kenntnis der römischen Gesetze.“ Jetzt würde er anders geurteilt haben.

Wie die Universität überhaupt der Entstehung eines weltlichen Gelehrtentums, eines gebildeten Laienvolkes half, so bildete sich speziell auf dem Gebiete des Rechtswesens eine neue Klasse, der weltliche Juristenstand, der im Gegensatz zu dem bisher die Rechtskunde fast ausschließlich besitzenden Klerus immer mehr hervortrat.

An verschiedenen Punkten des öffentlichen Wesens werden wir dabei gewahr, wie die Schätzung der Jurisprudenz wuchs und mannigfaltige Lebensstellungen sich ihrem Studium öffneten.

Daher die Verwendung der Juristen in Landesämtern, wie des Johann Bär, des Andreas Helmut und des Adam Kridenwiß in der Verwaltung Vorderösterreichs, wobei eine neue Art des „Regimentes“ sich bildet.

Daher die Schaffung auffallend zahlreicher Rechtslehrstühle an der Basler Universität. 1460 wurden vier solcher Lekturen in Aussicht genommen; 1474 sogar sechs neben einem Theologen, einem Mediziner und sechs bezw. vier Artisten.

Der Rat, der in solchem Maße für das Rechtsstudium besorgt war, nützte es zu gleicher Zeit für seine eigene Administration und Politik durch Einrichtung eines Stadtkonsulententums. Ehedem hatte er unter den gescheiten „Pfaffen“ Basels seine rechtskundigen Räte, seine Vertreter und Oratoren gefunden, den Johann von Hiltalingen, den Franz Boll, den Konrad Elie von Laufen u. A.; jetzt zog er gelehrte Laien heran und nahm sie aus der Juristenfakultät seines Generalstudiums. Solchergestalt amteten Bär und Helmut jahrelang neben einander als Syndici der Stadt. In den Kämpfen mit Bischof Caspar, in den Verhandlungen mit dem Papste, [578] mit Kaiser und Reich usw. taten sie unaufhörlich Dienste; eigenartig, durch die Handschrift wie durch die Klarheit der Disposition und den leichten Stil ausgezeichnet liegen ihre Gutachten und Referate zwischen den konventionellen schweren Elaboraten der Kanzlei.

Zugleich sehen wir, wie auch hier bei der Kanzlei, die ja schon früh aus den Händen der Kleriker an Laien übergegangen war, immer entschiedener die Richtung auf rechtserfahrenes Wesen genommen wird. Ihr Personal rekrutiert sich jetzt vorzugsweise aus den wohlgeschulten Notaren und Prokuratoren der Kurien.

Und so deutet wohl auf die Entwicklung eines neuen Rechtsgefühls auch die jetzt geschehende Schaffung der städtischen Appellationsinstanz; abgesehen von dem politischen Interesse, das dabei allerdings wesentlich wirkte.

Die Gerichtsordnungen endlich, die jetzt erlassen werden, regeln nicht nur Organisation und Prozeßgang, sondern sind zum Teil Kodifikationen materiellen Rechtes. Es handelt sich um eine Fixierung des Stadtrechtes, in der Absicht geschehend, der intensiven Tätigkeit der geistlichen Gerichte gegenüber die am Stadtgericht zur Anwendung kommenden Grundsätze bestimmter zu normieren. Das Wichtige dabei ist aber, daß dieses Stadtrecht seine unausgesetzte Erwahrung und zugleich Weiterbildung in den Urteilen des Stadtgerichtes selbst erhält, und daß das römische Recht, bisher schon durch das geistliche Gericht gefördert, jetzt auch in die Akten des weltlichen Gerichtes und durch dessen Urteile in das Stadtrecht einzudringen beginnt.

Wir haben auch hiebei wieder in erster Linie an Leute wie Andlau Helmut Bär Brant zu denken. Energisch trat Andlau für die Geltung des römischen Rechtes im deutschen Reiche ein und beklagte, daß es in den Gerichten, da sie mit Unwissenden besetzt seien, nicht zur Anwendung komme. Wie spottete Brant über die Ignoranz der Richter, wie erwartete auch er vom römischen Rechte die Kräftigung kaiserlicher Macht in Deutschland. Es war von Wichtigkeit für Männer dieser Gesinnung, als Advokaten den Sitzen der ungebildeten Schultheißen und Richter gegenüber die Gelehrsamkeit ins Stadtgericht bringen und hier dem neuen Rechte in Plaidoyers Geltung verschaffen zu können. Es gelangte auf diesem Wege in die Akten, in die Urteile, ja in das Stadtrecht selbst.

Diese selben Doktoren waren es ja auch, deren häufiges Funktionieren als Schiedsrichter wir schon zu erwähnen hatten. Die Absicht der Parteien bei solchen Kompromissen auf Obmannsspruch ging oft gerade darauf, der [579] ordentlichen Rechtsprechung der Ungelehrten zu entgehen, und die Juristen hatten freie Bahn. Ihre Meinung war vielleicht nicht einmal, fremdes Recht zu gebrauchen; sie glaubten das allgemeine Weltrecht, das in erster Linie maßgebende Recht gegenüber einem mißbräuchlichen Lokalrechte zur Geltung zu bringen.

Hier ist nun der Universität zu gedenken, an deren Gründung ja Männer gerade dieses Kreises, Beinheim und Andlau, beteiligt gewesen waren. In der Tat ist es eine der hohen Auszeichnungen der Basler Universität, sofort von ihrem ersten Semester an für das Studium des römischen Rechtes gesorgt zu haben. Während in Freiburg und in Tübingen Kaiser Friedrich die ausdrückliche Erlaubnis zum Lehren des römischen Rechtes gab, handelte Basel von sich aus und ohne Kaiser.

Auf merkwürdige Weise berührten sich hiebei praktisch-staatliche und humanistische Tendenzen. Die römische Rechtsweisheit war ein vom Altertum überlieferter Schatz so gut wie die Dichtung des Ovid; wenn auch die Wissenschaft dieser Legisten selbst wenig Humanistisches in ihrer äußern Art hatte, so bestand doch der Gedanke an den gemeinsamen Ursprung. Beide Studien hatten ihre Heimat in Italien, und die dem jungen Juristen und künftigen Staatsmann unentbehrliche Kunst der Rede war auf keine Weise besser zu gewinnen als im Studium der Alten oder der modernen wälschen Stilisten. Eine rhetorische Anleitung und Mustersammlung solcher Art besaß z. B. Hieronymus Zscheckabürlin zusammen in einem Bande mit dem Donat und dem Doktrinale des Alexander. Daher nennen auch die Akten der Basler Universitätsgründung das „kaiserliche Recht“ und die „Poesie“ als gleichgeartete Zufügungen zum alten Pensum, und einzelne Dozenten lehrten tatsächlich Beides.

So traten seit 1460 neben die Lektionen der päpstlichen alten und neuen Rechte diejenigen des kaiserlichen Rechts. Mit zwei Ordinarien, also in der Minderzahl. Aber von den Inhabern dieser Lehrstühle und den neben ihnen in außerordentlicher Weise das römische Recht Dozierenden ging jener Impuls einer ungewöhnlichen Kraft und Lebendigkeit und einer stolzen Gesinnung aus, der die Anfänge des juristischen Studiums in Basel begleitet. Es ist bezeichnend, daß wir es hiebei fast ausschließlich mit Italiänern zu tun haben.

Vereinzelt suchte sich der Rat Legisten d. h. Lehrer des römischen Rechts auch anderwärts zu gewinnen. So den Raymund in Dôle, den Erpel. Aber das waren Ausnahmen, und die besten Kräfte bot der Süden.

[580] Schon im November 1459 erhielten Flachsland und Künlin, die als Gesandte des Rates nach Mantua gingen, den Auftrag, sich in Italien nach guten Juristen umzusehen; und in der Tat waren dann, als die Universität eröffnet wurde, sofort solche Dozenten zu haben. Dem Rate halfen dabei jedenfalls die der Universität geneigten Kurialen Flachsland und Rüdesheim; auch der italiänische Verkehr seiner Kaufleute konnte Vermittlerdienste tun, was wir z. B. von Hans Irmi ausdrücklich erfahren. Überdies spielten vereinzelt auch politische Geschäfte oder Absichten mit; Johann de Capellinis, der gewonnen worden war, kam dann nicht nur als Professor, sondern auch als Botschafter des Herzogs Galeazzo Maria nach Basel.

Aus einer großen Auswahl wälscher Zelebritäten, die für Professuren in Vorschlag gekommen waren, wurden berufen und folgten dem Rufe: Franciscus de Vinaldis, der 1461–1464 das bürgerliche Recht vortrug und 1465 an des Gerhard in Curia Stelle eine Lektur im kanonischen Recht übernahm; Franciscus de Monteregali 1461; Johannes de Giliis 1464 f.; der Mailänder Graf Johannes Augustinus de Vicomercato 1464 f.; Bonifacius de Gambarupta 1464; Antonius de Vinariis und Petrus Baretta, die 1465 f. Institutionen lasen; Johannes de Capellinis, Codrus von Como und Matthäus Paletta 1466.

Als der namhafteste unter diesen scheint Vicomercato gegolten zu haben. In den Akten ist stets eine gewisse Feierlichkeit und Ehrfurcht um den Namen dieses „wälschen Grafen“. Als Auditor und Rat dem Herzog Francesco Sforza verpflichtet, war er nur auf Urlaub nach Basel gekommen und blieb, nachdem dieser Urlaub 1465 auf Bitte des Rates verlängert worden war, der die dulcis conversatio, die laudabilis doctrinandi solercia dieses vornehmen Herrn hoch schätzte. 1467 aber kehrte er nach Mailand zurück, wo eine ansehnliche staatsmännische Tätigkeit den Gelehrtenjahren folgen sollte.

Lebendig ist die Erscheinung dieser „in Lamparten und Bemund“ angeworbenen Professoren, die mit ihren Bündeln Päcken und Büchern über den Gotthard kommen. Der Rat zählt darauf, daß Scharen von Studenten ihnen folgen werden, und erwirbt auch für sie das erforderliche Geleit. Eigenartig durchaus steht diese südliche Professorengesellschaft vor uns, mit hohen Manieren und großen Besoldungsansprüchen. Auch trauen sie sich alles Mögliche zu. Vicomercato verspricht, über vierzig adlige Studenten nach Basel zu bringen, darunter einen Grafen von Württemberg, einen apostolischen Protonotar und den Abt von San Cristoforo in [581] Mailand. Wie Gambarupta hier doktoriert, umgibt er diesen Akt nicht nur mit den ortsüblichen Solennitäten, sondern veranstaltet überdies auf dem Münsterplatz ein glänzendes Turnierfest, bei dem Damen des Adels die Preise austeilen und dann selbst mit goldenen Ringen beschenkt werden. Namentlich aber wird in diesem Kreise das Verlangen nach selbständiger Geltung laut. Es genügt nicht, daß die Legisten und die Dekretisten gesondert bestehen und arbeiten; man spricht auch davon, nach italiänischem Muster zwei getrennte juristische Fakultäten zu schaffen, ja die juristische Fakultät zu einer Anstalt mit eigenem Rektor zu erheben und diesen Rektor nur aus den Scholaren zu nehmen. Der Gedanke an den weltkundigen Glanz italiänischen Universitätslebens, die Anschauung, daß „die Wälschen zum Regiment einer hohen Schule tauglicher seien als die Deutschen“, gehen deutlich durch alle Akten dieser zum Teil sehr heftig geführten Unterhandlungen. Man streitet über mehr als organisatorische Fragen, über die Gegensätze von Wälsch und Deutsch, von alter und neuer Lehre.

Aber dies ganze italiänische Wesen war überhaupt nur eine Episode. 1468 gingen die letzten fremden Legisten davon, und erst einige Jahre später kam wieder einer ihrer Landsleute: Friedrich von Guarletis. Dieser Astigiane war schon 1461 in Basel immatrikuliert gewesen; er faßte hier Fuß, wurde bekannt, erhielt wiederholt den Auftrag vom Rate, sich nach Dozenten umzusehen. So in Oberitalien, so in Dôle, wo er selbst 1469 Professor war. In die Basler Fakultät trat er 1475 als Lehrer des kaiserlichen Rechts und blieb in ihr bis zu seinem Tode 1510. Jedenfalls der vornehmste Dozent dieser Periode. Er hatte in eine Bastardlinie des Hauses Tierstein und in die Verwandtschaft mit den Waltenheim und Iselin geheiratet, er wohnte im Roßhof auf dem Nadelberg und besaß ein Landhaus vor dem Äschentor, sowie das Schloß Bottmingen. Durch viele Vergabungen an die Karthaus, Einklosterung einer Tochter im Gnadental, Versehung des Obmannamtes bei Streitigkeiten des Steinenklosters mit den Augustinern Johannitern usw. bewies dieser Lombarde, ein guter Basler Herr geworden zu sein.

Er lebte lange genug, um den Niedergang des Studiums des römischen Rechtes in Basel zu erleben. Dieses war, so aggressiv und laut auch seine Vertreter sein mochten, doch allezeit nie anders als in der zweiten Linie gestanden. Das kanonische Recht hatte und behauptete die größte Geltung, seinem Studium gehörten noch immer die meisten praktischen Ziele. Daher z. B. auch in den Publikationen der damaligen Basler Buchdrucker die Ausgaben des jus canonicum und seine Literatur das Römischrechtliche überwogen. [582] Zur Opposition der Kanonisten trat der erklärte Widerstand päpstlicher Gesetzgebung und Disziplin. Wiederholt mußte sich der Rat um die Zustimmung der Kurie dazu bemühen, daß auch Personen, welche die Weihen empfangen haben, das kaiserliche Recht hören und lesen dürften.

Nach dem Weggange der Italiäner trat dies Studium in Basel sehr zurück. Nur für wenige Jahre vermochte ihm der Rat wieder zu helfen durch die Berufung des Ulrich Kraft 1495. Er gewann diesen, der damals mit Erfolg in Freiburg dozierte, unter Zusicherung eines außergewöhnlich hohen Honorars.

Kraft mochte damals als einer der bedeutendsten Vertreter des kaiserlichen Rechtes gelten. Der Glanz italiänischen Doktorates haftete an ihm; Zasius pries ihn als den Ersten unter den Rechtslehrern Deutschlands. Das neue Ansehen, das seine Mitwirkung der Basler Universität gab, bewirkte sofort eine starke Zunahme der Studenten. Kraft erhielt auch eine Chorherrei zu St. Peter. Doch verließ er gleichzeitig mit dem Fachkollegen Sebastian Brant Basel im Jahre 1501, da er an die Stadtpfarrei seiner Heimat Ulm berufen war. Dort starb er 1516, neben dem Ruhme des großen Juristen denjenigen eines ernsten und eindringlichen Predigers hinterlassend.

Am allgemeinen Sinken der Universität nahm seit Krafts Weggang auch das juristische Studium teil. Die Lehrer dieser letzten Jahrzehnte – Hieronymus von Weiblingen, Wilhelm Grieb, Johann Tunsel, Arnold zum Luft, Jacob Göttisheim, Johann Heinrich Wenz usw. – brachten wenig Förderung.


Der Menge und dem häufigen Wechsel der juristischen Lehrer gegenüber erscheint in der medizinischen Fakultät Alles merkwürdig knapp und spärlich, dazu während langer Zeit von unverändertem Bestande. Charakteristisch ist hier auch die ausschließliche Herrschaft des Laienelementes.

Werner Wölfflin von Rotenburg, der sogleich 1460 die „meisterletze in der arznie“ d. h. die ordentliche medizinische Professur erhielt, blieb an dieser Stelle bis 1497/98. Neben ihm amtierte während der Jahre 1464–1468 Peter Luder, der es verstand, mit dem aufgeregten Humanistenleben die Tätigkeiten eines Fakultätsmitgliedes und eines Stadtarztes zu verbinden. Über Wölfflins Nachfolger Wonnecker, von dem noch zu reden sein wird, geht es rasch bis zur großen Gestalt des Paracelsus.

Aber das Wesen dieser Körperschaft wird, über Gelehrtentreiben und Persönliches hinaus, für uns bestimmt durch ihre Funktion im Dienste der Stadt, durch ihr entschieden formuliertes Verhältnis zur Praxis.

[583] Es zeigt sich dies zunächst in der Bestimmung über das Praktizieren der Baccalaureen; der Licentiand oder Doktorand muß mindestens ein Jahr lang mit einem Doktor zusammen Kranke in Basel besucht haben.

Wichtig ist sodann die Vorschrift, die der Fakultät die Prüfung und Zulassung der Ärzte Chirurgen und Apotheker, sowie ihren Magistern die Leitung der Wundbehandlung im Einzelnen überträgt.

Endlich wird der Fakultät die Aufsicht über Pflichterfüllung und Honorarforderung der Ärzte gegeben.

In allen diesen Festsetzungen wirkt die Absicht, die Fakultät zur Geltung zu bringen und den ärztlichen Stand rein zu halten. Die akademische Gelehrsamkeit prätendiert, einer durch Tradition und Erfahrung erworbenen Kunst freier Heilkundiger ohne weiteres überlegen zu sein. Die Unberufenen, die Pfuscher, sollen von jetzt an ferne bleiben: bei den Ärzten die „Humpeler“, bei den Apothekern die „Wildwurzler“, durchweg die ohne wissenschaftliche Gewähr arbeitenden empirici. So sehen wir den Rat einschreiten gegen fremde Ärzte, die ihm die Fakultät namhaft macht; das Schultheißengericht weist Streitigkeiten zwischen Ärzten und Patienten an die Fakultät; 1490 wird dem Wasserdoktor und Purgierer bei Rümelins Mühle das Praktizieren untersagt usw.

Dies ganze Recht ist nichts Singuläres; es entspricht z. B. dem im nahen Freiburg geltenden. Aber es ist Wirkung der Universität und zugleich Teil einer allgemeinen, bisher nicht anerkannten Tendenz, einer neuen Staatsraison. Es steht im Zusammenhang mit Maßnahmen, die auch auf andern Gebieten öffentliche Fürsorge und Aufsicht einführen. Zu der offiziellen Verwendung und Nützung der medizinischen Wissenschaft, die jetzt geschieht, „umb daz menglich wolversorget und keinerlei unere unsrer Universität oder irer facultät zugezogen werde“, tritt die neue sanitarische Organisation.

Sie beginnt schon mit der Wundschauordnung des Rates und der Schererzunft.

Bemerkenswert ist sodann, wie der Rat sich um Beschaffung tüchtiger Ärzte müht und nach einer möglichst guten Besetzung der Professur sowie der Stadtarztstelle trachtet. Daher auch seine wiederholt bezeugte Unzufriedenheit mit Wölfflin und die Beratung, ob man diesen zu wenig leistenden Lehrer nicht entlassen und durch einen Bessern ersetzen wolle.

Auch die Apothekerordnung wird jetzt aufs neue vorgenommen, in Ergänzung der dem medizinischen Kollegium übertragenen Kontrolle. Schon 1463 bespricht der Rat die Gewinnung eines „bewährten Apothekers“. [584] Wenige Jahre später erkundigt er sich nach den Apothekenverhältnissen in Venedig und Frankfurt, dann auch in Konstanz; es handelt sich um den Erlaß einer neuen großen Ordnung nicht allein für die Apotheker, sondern auch für die Ärzte. Aber von Ergebnissen dieser Beratung merken wir nichts, und 1493 hat der Stadtarzt aufs neue über „die unsaubre Geschäftsführung und die Unwissenheit“ der Apotheker Klage zu führen. Die kleinste Zunft in Basel sei wohl geordnet; warum versehe und versorge man nicht auch die Apotheken, deren Betrieb doch an Leib und Leben rühre?

Jetzt erst, wie es scheint, kommen auch die Hebammen unter genauere Aufsicht. Sie werden, wohl auf Grund einer Prüfung, vom Rat ernannt, von ihm auch entlassen. Sie erhalten eine Besoldung aus der Stadtkasse; auch liefert ihnen der Rat Instrumente und Gebärstühle. Bei dem Eid, den sie über sorgfältige Ausübung ihres Berufes zu leisten haben, versprechen sie auch das Denunzieren solcher Weiber, die ohne Konzession Hebammendienste tun. Bei Bedarf wird die Zahl der Hebammen vermehrt. Der Rat ruft solche Weiber auch von draußen herein, so 1477 Eine aus Herthen, 1527 die Ursula Holzman aus Rheinfelden. Damit Tauglichere kommen, wird 1509 die Besoldung erhöht. Ohne Erlaubnis der Häupter, seit 1504 des gesamten Rates, darf keine Hebamme die Stadt verlassen. Wahl und Beaufsichtigung geschieht mit Hilfe eines Kollegiums von Damen und Bürgerweibern, der vom Rat ernannten „geschwornen Frauen“. Dies das Basler Hebammenrecht, unter dem die weisen Frauen dieser Zeit leben: die Elsi Richartin, die im Imbergäßlein, dann in der Neuen Vorstadt wohnt; die Ennelin Vellingerin; die Fren Hüslerin in Kleinbasel gegenüber der St. Klaraklosterküche; die Dorothe Tagsternin u. A. m. Wir vernehmen, daß in ihren Häusern öfter Auswärtige Pflege finden und niederkommen. Die Aufsicht ist eine strenge; wie die Luterbachin sich bei einem Wochenbett eine schwere Fahrlässigkeit zu Schulden kommen läßt, soll sie ans Halseisen gestellt, im Rheine geschwemmt und dann verbannt werden; nur auf die dringende Fürbitte zahlreicher schwangerer Weiber, sowie auswärtiger Herren und Städte wird diese Strafe gemildert.


Vorlesungen der theologischen Fakultät konnten durch Männer gehalten werden, die im Basler Klerus selbst schon vorhanden waren, sodaß bei der Gründung der Universität ein einziger Ordinarius dieses Faches vorgesehen wurde.

Um so mehr trachtete der Rat nach ausgezeichneter Besetzung dieser einen Stelle.

[585] Im Gründungsjahre war der Ordinarius noch nicht vorhanden. Vorlesungen wurden gehalten durch Hans Blocher, den Münsterprediger Kreuzer und den Dominikaner Caspar Maner. Erst im Frühjahr 1461 war der ordentliche Vertreter gewonnen, in dem Wormser Domherrn Johann Rucherat von Wesel.

Dieser versah die Basler Professur während einiger Semester; 1463 kam er an die Dompredikatur zu Worms, später an diejenige zu Mainz. Durch heftige Angriffe auf die Kirche und ihre Sakramente gab er in diesen Ämtern so sehr Anstoß, daß er zuletzt der Ketzerei beschuldigt wurde und sich nur durch einen Widerruf vom Feuertode rettete. Er hatte die Ablaßlehre, die Lehre von der Erbsünde und von der Transsubstantiation als schriftwidrig verworfen; er hatte bekannt: „Ich liebe Christum, aber ich verachte Papst Kirche und Konzilien.“

Die Berufung dieses Mannes nach Basel geschah wohl auf den Rat Solcher, die ihn als Dozent in Erfurt kennen gelernt hatten. Seine abweichenden Meinungen scheint er damals noch nicht geäußert zu haben, und seine Wahl nach Basel kann daher auch nicht als Äußerung eines freieren Denkens der Behörde gelten.

Rucherats Nachfolger im Basler Ordinariat wurde der Aachener Wilhelm Textoris, der die Stelle bis zum Sommer 1472 behielt. Ihm folgte der Dominikanermönch Heinrich Nolt, durch den Rat eben damals auch zur Ernennung als Ketzerinquisitor empfohlen. Einem Bruder desselben Konventes, dem schon genannten Caspar Maner, hatte der Rat im April 1464 eine Lektur der heiligen Schrift zu übertragen beabsichtigt.

Nach Heinrich Nolt finden wir in der Professur 1474–1502 den Johann Siber von Wangen.

Aus der großen Zahl der neben diesen Ordinarien wirkenden Dozenten treten nur Wenige hervor. Am mächtigsten der große Johannes Geiler 1472–1476. Außer ihm nennen wir die Augustinermönche Niklaus Fries, Heinrich Riedmüller, Tilman Limburger und Moritz Fininger; den Domprediger Michael Wildeck 1491 f.; den Johann Textoris von Mörnach, der 1489, nachdem er das erste Buch der Sentenzen beendigt hatte, eine Frau nahm, die Theologie fahren ließ und unter dem Hohngelächter seiner Kollegen zu den Juristen überging.


Um die Gebiete der Fachwissenschaften breitet sich weit und reich das allgemeine geistige Leben.

[586] Da die Artistenfakultät nicht für das Studium der Philosophie allein bestand, sondern auch Vorstufe der übrigen Fakultäten war, so wird ihr Bild von selbst zu einem Bilde dieses wissenschaftlichen Lebens überhaupt. Unaufhörlich begegnet uns ein Vereinigtsein verschiedener Tätigkeiten und Auszeichnungen: die Philologen Reuchlin und Gengenbach waren auch Juristen, den Juristen Brant hinwieder nennt Tritheim unter den kirchlichen Schriftstellern, der „Poet“ Luder hielt medizinische Vorlesungen und wirkte als Stadtarzt. Von wie mannigfaltiger Bildung waren Heynlin Surgant Amerbach u. A.!

Eine Fülle liegt da, die vor jedem Greifen und Gestalten zurückzuweichen scheint. Was in Basel während einer hochbewegten Zeit Gelehrsamkeit, literarische Kultur, geistiges Leben heißt, ist das Verlangen und Vollbringen von Zahllosen. In allen möglichen Erscheinungen, meist nur durch die Namen oder die Titel von Magister und Doktor festgehalten, regt sich diese Menge der irgendwie Studierten; die eigentümliche, die gewaltige Wirkung dieses Wesens aber beruht darauf, daß in seinen Bewegungen und seinen Personen vielfach ganz universale Mächte uns nahe kommen.

Es gehörte zur Art der Universität, daß sie die offizielle und zugleich die große und vielumfassende Stätte war, an der solches Leben sich sammeln und seine Kräfte stets erneuern konnte; aber auch, daß sie trotz dieser Funktion keineswegs ausschließlich wirkte. Ihre Formen waren weit genug, ihr ganzes Dasein stark genug, um die verschiedensten wissenschaftlichen Richtungen entweder in sich aufzunehmen oder neben sich bestehen zu lassen.

Zwei große Gruppen bildeten die Basler Gelehrtenrepublik: die Genossen der Universität und die außerhalb dieses Verbandes Stehenden. Den interessanteren Figuren begegnete man wohl unter den Männern der zweiten Gruppe, die, dem Zwange der Universität und des Professorenverkehrs aus dem Wege gehend, zuweilen auch mit dem Verzicht auf äußere Ehren und Vorteile, das Glück völlig freier wissenschaftlicher Arbeit genossen.

Der größte Vertreter dieser Gattung in Basel war Erasmus. Aber schon fünfzig Jahre früher lebte hier Andronikos Kontoblakas und erteilte als akademisch unverpflichteter Lehrer den ersten Unterricht im Griechischen. In gleicher Weise war neben ihm der berühmte Wessel Gansfort tätig; auch er war ein Kenner des Griechischen und außerdem, was noch größere Auszeichnung war, des Hebräischen. Nach den Aufregungen der wissenschaftlichen Kämpfe in Paris und vor der Rückkehr in seine friesische Heimat ruhte er hier, den Zauber dieser unvergleichlichen Jahre genießend, in denen [587] wissenschaftliche und politische Kraft sich wetteifernd drängten, im gelehrten Verkehre mit Reuchlin Heynlin u. A.; als Begleiter der Beiden war er 1474 von Paris nach Basel gekommen.

In diesem Zusammenhang ist auch an die klösterlichen Gelehrten zu denken. Sie setzten fort, was frühere Insassen ihrer Zellen geleistet; jetzt, bei Ansprüchen und Möglichkeiten einer neuen Zeit, hatten sie sich neben der Universität zu behaupten. Das Barfüßerkloster, das seit 1471 seine eigene Studienanstalt hatte, war belebt durch tüchtige und gelehrte Brüder: den Lektor Franz Wiler, als Verfasser theologischer Werke, aber auch als Schriftsteller über die Musik, als humanistischer Emendator von Texten und als Dichter ausgezeichnet; den Johann Meder, dem Sebastian Brant 1497 den Methodius dedizierte; den Hebraisten Konrad Pellikan. Auch der Predigerkonvent hielt seinen alten wissenschaftlichen Ruhm fest; der Prior Jacob Rieher war im ganzen Orden um seiner Gelehrsamkeit willen gefeiert; die Dozententätigkeit der beiden Mönche Nolt und Maner an der Universität bezeugt den im reformierten Kloster herrschenden Geist; hier weilten 1498 der professor doctissimus der Theologie Alexander Harscher und später der große Grieche Cono. Wir erwähnen ferner den Leonhardsherrn Dodo und den Zisterzienser Leontorius. Namentlich aber bot während des Priorats von Lauder 1480–1500 die mit Gelehrten besetzte Karthaus ein merkwürdiges Bild. Die bekannteste Figur dabei war Heynlin. Außer ihm nennt die Klosterchronik den Prior selbst, sodann den Ambrosius Alantsee, Verfasser zahlreicher theologischer Werklein; den Konrad von Urach; den Urban Moser, der zu Zeiten Vorlesungen an der Universität hielt; den Johann von Konstanz; den Philipp Staufer; namentlich aber den Ludwig Moser. Als Substitut der städtischen Kanzlei war dieser schon 1460 unter den Zeugen der feierlichen Eröffnung der Universität gewesen, dann Stadtschreiber in Rheinfelden, zuletzt Basler Karthäuser geworden; er war ein Freund Sebastian Brants und nun hier in der klösterlichen Stille tätig durch Übertragung von Sequenzen zum Lob U. L. F. und von asketischen Traktaten ins Deutsche.

Trotz Devotion und Klosterzucht drang freilich mit diesem Wissen, mit der Ambition, mit dem literarischen Kampf und Verkehr aller Art ein großes Stück Weltlichkeit ins Kloster. Aus den wenigen Worten des Karthäuserchronisten ist deutlich zu spüren, wie wenig dieser gelehrte Betrieb zum Geiste der Klausur passen wollte; was hinzu kam, war der große Verkehr der Karthäuserbibliothek.

Am kenntlichsten wird uns dieser Zustand bei Heynlin. Von dem Vielen, das sein Leben ihm gebracht hatte, von all dem Umgang, dem steten [588] Wechsel des Wohnortes und der Tätigkeit, vom Reichtum, von der Debattierlust, von der Freiheit eines nicht einmal durch akademische Pflichten gebundenen Gelehrtenlebens war ihm das Eigenste geblieben: die Gelehrsamkeit und der unermüdliche Fleiß. Mit diesen Kräften lebte er auch in der Karthäuserzelle noch wie der Fürst der Basler Gelehrtenwelt; als er starb, wollte die Universität ihn zu Grabe tragen.


Dies ganze gelehrte und literarische Leben stand unter der Herrschaft zweier großer geistiger Gewalten: der Scholastik und des Humanismus.

Die Scholastik galt den Problemen von Autorität und Vernunft, von Kirchenlehre und Philosophie. Wie die Bibel, das Dogma, die kirchliche Tradition zu systematisieren und mit der weltlichen Wissenschaft in Zusammenhang zu setzen sei, wie die offenbarten Glaubenswahrheiten zugleich als notwendige Vernunfterkenntnisse nachgewiesen werden könnten, wurde durch die Scholastiker in stärkster Denkarbeit und mit einer virtuos gestalteten Dialektik versucht. Mochte dabei auch die freie Bewegung des Geistes allmählich in einzelne Formeln erstarren und zur monotonen Übung rein formalen Scharfsinnes werden; über Alles hinaus wirkte doch mächtig die Kraft und Begeisterung dieser Arbeit, die Fülle von Lehrmeinungen und Systemen. Nichts Abgeschlossenes, in sich Ruhendes sehen wir vor uns. Sondern eine durch stets neue Anstrengung, durch Diskussion und Kampf bewegte, vielgestaltige Wissenschaft, deren Richtungen alle der einen Kirche dienten und in ihrem Rahmen die gewaltigen Fragen von Glauben und Wissen, von Theologie Forschung und Menschenleben zu lösen sich mühten.

Aus diesem Reichtum tritt uns als Einzelheit die Kontroverse der „beiden Wege“ entgegen; sie schuf mit merkwürdiger Gewalt eine durch alle Studien, durch Disziplinen und Anstalten hindurchgehende Spaltung.

Der „Neue Weg“, der Nominalismus, nahm nur die Einzeldinge für das wirklich Bestehende; die Gattungen bezeichnete er als Begriffe und Abstraktionen des menschlichen Verstandes, als Namen, nomina. Dem gegenüber erkannte der „Alte Weg“, der Realismus, nur den allgemeinen Begriffen Realität zu, sah das wahrhaft Wirkliche nur in den Gattungen.

Der Gegensatz dieser beiden Anschauungen und ihrer Konsequenzen erregte im fünfzehnten Jahrhundert das Dasein aller Hochschulen; sein Verlauf in Basel ist von hohem Interesse. Auch in ihm wieder offenbart sich die Kraft der einzigartigen Lage dieser Stadt, ihr Beruf zum Austausch auch der geistigen Güter der Nationen. Der germanische Nominalismus [589] und der romanische Realismus stritten um die junge Hochschule, bis diese zuletzt sich ihnen beiden öffnete.

Bei der Gründung der Universität war in Gutachten die Vertretung beider Wege, eines jeden mit vier Ordinarien, empfohlen worden; dennoch erhielt zunächst der Neue Weg den Sieg. Ohne Zweifel infolge der Einwirkungen Erfurts.

Aber diese Alleinherrschaft des Nominalismus dauerte nur wenige Jahre. Johann Heynlin, in Löwen und Paris zum Realisten gebildet, gewann dieser Lehre auch in Basel Geltung. Er kam im Sommer 1464 hierher und setzte zunächst, dem Widerspruch der Fakultät entgegen, beim Rate die Zulassung des Realismus und seine eigene Anstellung als Professor der Artistenfakultät durch; im folgenden Jahre geschah dann die ausdrückliche Anerkennung der Gleichberechtigung beider Wege und die entsprechende Änderung der Universitätsstatuten.

Von da an herrschte Parität, sorgfältig auf allen Gebieten beobachtet, aber immer noch mit Festhaltung des Begriffs einer einheitlichen Fakultät, so daß bei der jährlichen Dekanswahl die beiden Parteien alternierten. Erst das Jahr 1470 brachte die völlige Scheidung; die Fakultät trennte sich; jede Abteilung wählte ihren Dekan und ihren Fakultätsrat. Es war eine Ordnung, die von da an zwei Jahrzehnte hindurch dauerte.

Wir übersehen nicht, daß die Bedeutung der ganzen Kontroverse über die eines bloßen Schulstreites hinausging. Hinter ihr stand eine Verschiedenheit der Weltanschauung. Daher die Leidenschaft dieser Kämpfe, der Hader und das Übelwollen, die Notwendigkeit des Auseinandergehens in zwei Fakultäten. Daher auch die Teilnahme des städtischen Rates.

Schon 1464 und 1465 hatte diese Behörde eingegriffen, sogar dem Willen der gelehrten Fakultätsmachthaber entgegen. Sie wiederholte diese administrative Behandlung rein geistiger Dinge – nicht um dieser Dinge willen, aber als Hüterin des Friedens auch an der Universität und im Interesse von Ordnung und Gedeihen –, als sich aufs neue die Veranlassung zum Einschreiten bot.

Es war dies ein im Jahre 1487 ausbrechender Streit um den Gebrauch des Fakultätssiegels. Der Rat nahm sich der Sache an und verhandelte auch mit Christoph von Utenheim, damals Propst zu St. Thomas in Straßburg, vor den als päpstlichen Richter der Streit gebracht worden war. Das Wirksamste zur Verhinderung weitern Haders schien die Wiedervereinigung der Fakultäten, zugleich aber auch der Verzicht auf die bisherige offizielle Anerkennung des Parteigegensatzes zu sein. Auf diese Weise [590] kam zu Beginn des Jahres 1492 unter Mitwirkung von Delegierten des Rates eine neue Ordnung in Vollzug: es soll fortan nur noch eine Artistenfakultät sein; die Fraktionsbezeichnungen des alten und des neuen Weges werden getilgt und aufgehoben, unter Freigebung an jeden Dozenten, nach seiner Überzeugung zu lehren.

Mustern wir die Vertretung der Systeme hüben und drüben, so stehen die uns bekanntesten Gelehrten, die Eingreifenden und Tätigen und irgendwie Ausgezeichneten fast sämtlich auf der Seite des Realismus: Geiler Brant Heynlin Surgant Philippi Helmut Gengenbach Siber Oeglin Amerbach Utenheim Wildeck Leopardi Weidlingen. Als Nominalisten präsentieren sich uns Reuchlin Lauber Hugonis Kridenwiß.

Aber dies Persönliche mahnt uns, den Gegensatz überhaupt tiefer zu fassen. Es handelt sich nicht mehr nur um den alten Universalienstreit, sondern eine Entwickelung hat jetzt den Nominalismus dahin geführt, daß er der Wissenschaft ihr eigenes Gebiet und ihr eigenes Recht gewahrt wissen will, daß Glauben und Wissen auseinandergehen. Die Glaubenswahrheiten werden als unbegreiflich erklärt. Es ist Empirie und Skepsis und eine autonome formalistische Logik, gegen deren rein subjektive Wertung der Begriffe der Realismus des alten Weges die Reaktion bildet.


Neben dieser Scholastik, deren Lebensprinzip, die Aufnahme des christlichen Glaubensinhaltes in ein wissenschaftliches Lehrsystem, solchergestalt vor dem entwickelten Nominalismus dahinzufallen drohte, erhob sich gerade jetzt auch in Basel die neue Macht des Humanismus.

Auch der Humanismus war ein Element universaler Geltung, Äußerung einer Weltanschauung großen Stils. Zunächst erscheint er uns als wissenschaftliches Denken und Arbeiten. Aber das, was ihn entstehen ließ, lag tiefer und wurzelte breiter. Er war im Gebiete der Gelehrsamkeit und der nun zur Lebensart gehörenden höhern Bildung ein Werk des sich regenden modernen Geistes.

Wir werden uns auch hier jener gewaltigen Entwickelung bewußt, die damals das ganze Dasein, die Gesellschaft, das Wirtschaftsleben, die Kirche ergriff. Sie brachte auch die gelehrte Welt in Aufruhr. Auch in dieser wiederholte sich, was dort Streben nach reinen Anfangszuständen, was gewaltsames Geltenwollen des Einzelnen, Hinausrücken der Grenzen, Vervielfältigung aller Gaben und Mittel war. Über das Formulierte und fertig Gearbeitete der Lehre hinweg drängte hier die Jugend zu neuen Erlebnissen, zu neuem Erkennen und Wissen. Der Schulsysteme und des [591] hergebrachten Schulbetriebes überdrüssig, der Tradition absagend, suchte sie auch in den Studien das Vernünftige und das Tatsächliche. Sie wollte kritisch und mit geschichtlichem Sinne denken. Sie verlangte nach der Fülle des Lebens, nach dem Menschlichen, nach neuen Quellen des Lernens und des geistigen Genusses, nach einer gereinigten Sprache, einer klareren Lehre, einer Humanitas außerhalb der Kirche. Und nun stiegen vor ihr das Altertum empor und das neue Italien, in ihrer Schönheit Selbstbewußtheit Herrscherkraft Lebensfreude die von ihr ersehnten Formen und Ziele des Daseins offenbarend.

Die Anfänge dieses Wesens in Basel sind uns nicht bekannt. Sie verlieren und verhüllen sich in tiefen persönlichen Erlebnissen. Neben einem dauernden geschlossenen Einwirken können einzelne, wenn auch rasch vorübergehende, doch starke Anregungen stehen. Jedenfalls ist bei der Art der Sache über Vermuten nicht hinauszukommen. So dürfen wir an den Besuch Petrarcas in Basel 1356 erinnern, aber auch an Einflüsse von dem damals durch den großen Italiäner besuchten Hofe Karls IV. in Prag, sowie vom Papsthof in Avignon her denken. Starke Impulse der verschiedensten Art brachte hier am Orte selbst, jahrelang konzentriert, glänzend und überwältigend, das Konzil. Nebenher ging ohne Aufhören, einer Generation um die andere zugute kommend, der Besuch auswärtiger Universitäten, vor allem der berühmten Hochschulen in Italien, der nutrix omnium scienciarum. In allen diesen Beziehungen erstand das Mannigfaltigste, kam es zu einem Aufmerken und Lernen neuer Art, zu eigenem Entdecken und Erleben, waltete die Macht und Erziehung des Verkehrs mit Zeitgenossen.

In solcher Weise wurde Basel eine Stätte des Humanismus; seit der Mitte des XV. Jahrhunderts wird er hier erkennbar.

Schon rein äußerlich, in der Schrift. Die Humanisten, nach dem Primitiven und dem Schönen strebend, griffen wieder zur Minuskel des frühen Mittelalters und bildeten jene reinen lichten Züge aus, die mitten in dem krausen Buchstabenwesen der Zeit das Auge erquicken. Es ist die durch Traversari empfohlene puritas et suavitas. Heynlin z. B. gebrauchte eine solche Zierschrift neben seiner flüchtigen Cursive, und auch in den Akten des Rates erscheinen hie und da diese anmutigen südlichen Schriftzüge.

In ähnlicher Weise offenbart das Humanistenlatein den Willen, über das Ererbte hinweg wieder zu den Anfängen zu gelangen. Seit Jahrhunderten die Unterrichts-, Geschäfts- und Gerichtssprache des Klerus und in diesem Dienst entartet, soll das Latein jetzt seine Jugend und Reinheit wiederfinden. Mit voller Absicht, mit einer zuweilen bis zur gewöhnlichen [592] Wiederholung gehenden Nachahmung der Alten mühen sich die Humanisten um eine geläuterte Sprache, um klare Form, um Wohlklang, um Eloquenz. Es ist ein Antikisieren des Ausdrucks, bei dem diesen Gelehrten Briefschreibern und Poeten auch die antiken Begriffe und Bilder dienen müssen, und das uns zuweilen gleichwohl als eine Sprache wahren Gefühles tönt, zuweilen nur als ein Tändeln oder Prangen mit fremdem Schmuck. Wie ungleich sind auch Geschicklichkeit und Geschmack bei solcher Nachbildung. Derselbe Peter von Andlau, der entzückt der Schönheit alter lateinischer Poesie lauscht, fertigt 1460 die elenden Hexameter zur Eröffnung der Universitätsmatrikel. Bis in die Missiven der städtischen Kanzlei dringt das moderne Latein. Grabschriften wie diejenigen Arnolds von Rotberg oder Georgs von Andlau zeigen zwischen den nordisch-mittelalterlichen Formen und Bräuchen eingesprengt ein paar antike Ausdrücke, die fremdartig sind und dem Ganzen doch einen wundersamen Wohllaut geben. Auch sonst kommt die humanistische Sprachkunst kirchlichen Dingen zu Hilfe und stellt ganz unvermittelt neue Formen und Schönheiten oft in Fülle neben sie. Der sprödeste Traktat erhält seinen Aufputz durch die Beisteuer einer sapphischen Strophe; die Ausgabe der Konzilsdekrete durch Sebastian Brant muß ihr tönendes Elogium an Basel haben; die Synodalstatuten Christophs von Utenheim sind rings umgeben von Oden und Distichen, die zum herben Inhalte des Buches Klänge und Gedanken aus einer ganz andern Welt fügen, und zuletzt ruft der fromme Bischof selbst noch die Musen an.

Neben einem veredelten Latein kam durch den Humanismus auch die griechische Sprache nach Basel. Diese Studien waren hier prachtvoll vorbereitet durch die 1443 vom Predigerkloster erworbene griechische Bibliothek des Johann von Ragusa. Schon am Konzil waren Griechen hier gewesen, 1434 als Gesandte des Kaisers und des Patriarchen von Konstantinopel; der Untergang dieser Stadt und ihres Reiches 1453 brachte dann wiederholt in Flüchtlingen und Reisenden eine bisher unerreichbar fern gewesene, antike Welt nahe. Auch der gelehrte Andronikos Kontoblakas, der um die Mitte der 1470er Jahre in Basel den Johann Reuchlin Griechisch lehrte, wird ein solcher Gastfreund aus dem Osten gewesen sein. Ohne der Universität anzugehören, gab er hier diesen Unterricht. „Durch ihn genießt Basel den Ruhm, daß in seinen Mauern zum ersten Male wieder seit der Zeit der Ottonen ein Deutscher auf deutschem Boden Griechisch lernte.“

Der neben Kontoblakas und wie dieser als freier Lehrer in Basel lebende Wessel Gansfort war, wie schon erwähnt worden ist, gleichfalls des Griechischen und überdies des Hebräischen kundig.

[593] Aber so früh auch die griechische Gelehrsamkeit in Basel heimisch war, so kurz dauerte sie zunächst. Unter Reuchlins Anregung suchten auch Heynlin und Brant sich die Sprache Homers anzueignen; aber sie gelangten dabei nicht weit, so daß Jener schon 1488 sagen konnte, daß Niemand in Basel Griechisch verstehe. Erst dem Zeitalter des Cono und des Erasmus war ein Wiederaufnehmen auch dieser Studien vorbehalten.

Das Wichtige bei dem Allem ist, daß der Humanismus es war, der zuerst wieder die alte Literatur zum Gegenstande philologisch-historischer Untersuchungen machte, daß er überhaupt daran ging, den ersten Quellen nahezukommen, und daß er die junge Buchdruckerkunst sofort für diese Zwecke benützte. Ganz unzweifelhaft sind Wirkungen seines Geistes die zahlreichen und monumentalen Editionen, die jetzt in Basel zustande kommen: die Ausgaben der großen Kirchenlehrer Ambrosius und Augustinus, der kanonischen Rechtsbücher, der Bibel, unter diesen die denkwürdige Edition „Fontibus ex graecis“ die erste, die unmittelbar nach griechischen und hebräischen Quellen gearbeitet ist. Aber auch Dekrete des Basler Konzils, die justinianeischen Rechtsbücher, ja der Sachsenspiegel werden hier gedruckt; andern Richtungen des Humanismus dienen die Werke des Petrarca, die Briefsammlungen des Gasparini und des Filelfo, Poggios Facetien, Rhetoriken des Agostino Dato und des Enea Silvio, die Klassiker Sallust und Persius usw.

Die diesen Reichtum von Reproduktion begleitende eigene Humanistenliteratur zeigt sich uns in zahlreichen wissenschaftlichen erbaulichen und satirischen Werken. Außerdem aber war sie eine von den größeren und dauerhafteren Werken sich unterscheidende Gelegenheitsschriftstellerei; gerade diese läßt uns eine Eigenart der Humanisten in lebendiger Weise erkennen.

Aus dem Wohlgefallen an schöner Form, aus einem oft ganz unverhüllt sich zeigenden Drange zur Selbstdarstellung und dem durch den Buchdruck und seine grenzenlosen Möglichkeiten erregten Autorgefühl erwuchs die Gewohnheit der Humanisten, eigenen Publikationen, sowie solchen der Lehrer und Freunde das mannigfaltigste Schmuckwerk von Prologen und Epilogen, von Widmungen Empfehlungen und Episteln beizugeben. Stücke, die mit dem Inhalte des Buches gar nichts zu tun haben und die Person des Autors wichtiger darstellen als sein Werk. Die Freude an sich selbst, gegenseitige Hilfe und Bewunderung, das Bewußtsein, Ruhm oder Schmach in eindrücklichster Form austeilen zu können, leben in diesen Produktionen. Es ist gleichsam eine öffentliche Unterhaltung, bei der sich die Genossen grüßen rühmen und trösten, auch vor der Vergessenheit bewahren wollen. Und in der Tat können solche ganz persönliche und momentane Beigaben, [594] die oft den Ernst, die Dürre, die Mühsal und die Gelehrsamkeit eines Buches mit reichen Ornamenten umgeben, noch heute Leben ausströmen, indes das Buch selbst schon lange bei den Toten liegt. Auch führen sie uns mitten hinein in jene Welt. Welchen weiten und buntgemischten Kreis von Menschen stellen z. B. die Dedikationen Brants vor uns.

Aber nicht nur an diese persönlichen Zuschriften denken wir. Auch Zeitereignisse fanden sofort Beachtung: Schlachten Hagelwetter Feuersbrünste usw. Wie solche Stücke literarisch die alten Memorienverse weit übertrafen, so meldete sich jetzt auch noch Anderes: die seit Ende der 1480er Jahre regelmäßig jeden Rektor begrüßenden Gedichte in der Matrikel, die dem neuen Taufstein zu St. Peter gewidmeten Strophen u. dgl. m., lauter Äußerungen der Freude des Autors an seinem Können und zugleich der Überzeugung, daß diesen Sprüchen die Kraft einer besondern monumentalen Sicherung und Weihe des Andenkens innewohne.

Manches dieser Dinge mag uns im Einzelnen unbedeutend erscheinen. Aber im Gesamten der Bewegung lebt ein prächtiger Jugendsturm, lebt das Wesen des Geschlechtes, das eine geistige Revolution zu erleben das Glück hat. Durch Gelehrten- und Literatentum, durch Geziertheit Eitelkeit und Streitsucht, auch durch Unfertiges und Mangelhaftes hindurch spüren wir die frische, Alles wagende und anfassende Kraft.

In solchen Äußerungen kommt uns der Basler Humanistenkreis dieser Zeit nahe. Aber sein Bild wechselt beständig. Zu den Wenigen, die ein Jahrzehnt oder mehr hier aushalten, tritt die Schar der beweglichen Wanderer. Auch Basel erlebt die Unruhe dieser Menschen, die von Ort zu Ort gehen; sie wollen durch die ganze Welt ihr Wesen verkünden, Neues hören und lernen, Gleichgesinnte begrüßen. Sie sind überall auf ihre Manier zu Hause. Was sie etwa fesselt, ist ein kurzer Lehrauftrag, eine Bibliothek oder ein Buchdrucker. Auch ein so ernster und gründlicher Mann wie Heynlin wird durch solche Unruhe von Ort zu Ort und aus einer Tätigkeit in die andere getrieben. In allen Richtungen regt sich dabei das Leben. Der Domherr Hartman von Eptingen z. B., mit dem Erhard Windsberg über Astrologie korrespondiert und dem Heinrich Bebel die Kosmographie des Corvinus bringt, hat auch den Besuch des Konrad Celtes 1494. Wie Johann Rhagius 1501 aus Italien heimreist, macht er in Basel Halt und liest den Freunden sein neuestes Werk vor. Besuche dieser Art sind natürlich zahllos, und die Nennung vieler Namen würde hier ohne Wert sein. Nur einen einzigen dieser Gäste beachten wir noch, einen seltsamen Fremdling: den Flavius Guilelmus Raymundus, der seiner Sprachkenntnisse [595] wegen – er war des Lateinischen Griechischen Hebräischen Arabischen und Chaldäischen mächtig – den Beinamen Mithridates trug; von Geburt ein spanischer Jude, vielseitig, mit Titeln prunkend; als er 1485 auf der Reise von Köln nach Italien durch Basel kam, empfing er hier die Huldigung der Gelehrten, darunter ein großes Preisgedicht des Sebastian Brant.

Das Wichtige, das sich an solches Kommen und Gehen, Schreiben und Debattieren anschloß, der geistige Verkehr, die Belehrung und Anregung, ist im Einzelnen nur zu ahnen. Gleiches war hier stets geschehen und geschah auch jetzt vielen Andern, nicht nur den Humanisten; hauptsächlich von diesen bekannt wird es nur vermöge ihrer Redseligkeit, ihrer Beweglichkeit und ihres Eifers, von der eigenen Person zu sprechen. Auch ihnen, wie vielen Ungenannten vor ihnen und neben ihnen, war die „durch den unsterblichen Ruhm des Rheinstroms emporgehobene Stadt Basel“ der Punkt, auf dem alle Welt sich begegnen konnte. Wie Regiomontan Nürnberg, so feierten Viele Basel als das Zentrum Europas; seine Lage und sein Verkehr machten eine conversacio mit den allenthalben wohnenden Gelehrten möglich.


Von erster Wichtigkeit war nun aber die Anerkennung und Berücksichtigung dieser neuen Tendenzen im Rahmen des offiziellen Schulbetriebes.

Schon bei der Gründung der Universität war unverkennbar der humanistische Geist mittätig. Unter den Vorschlägen, die den Rat beschäftigten, war auch der, die Artistenfakultät zum Kern der ganzen Schule zu machen und sofort mit acht Ordinarien zu versehen; außerdem sollten „zum Ruhme der Universität“ zwei Dozenten für Hebräisch und Griechisch angestellt werden, sowie „um des Bedürfnisses und des Glanzes des Gemeinwesens willen“ ein Vertreter der ars oratoria, der Eloquenz. In einem zweiten Gutachten wurde die Schaffung einer Lehrstelle für die „Poetrye“ gefordert, im gleichen Atemzuge mit Empfehlung des römischen Rechtes.

Die wenigen Seiten, auf denen diese Ideen dargelegt wurden, gehören zu den wichtigsten Dokumenten der Basler Geistesgeschichte. Rückhaltloser ist die Gesinnung, die über dem Entstehen der Universität waltete, nirgends bezeugt.

Wir sehen den Rat zur gleichen Zeit auch eine Reform des zur Universität vorbereitenden Unterrichts durch Bestellung eines Pädagogiums erwägen, und im fernern erinnern wir uns daran, daß die Universität von Anbeginn an römisches Recht lehrte und italiänische Romanisten in Menge auf ihren Kathedern hatte. Wie nahe aber Humanismus und Studium des römischen Rechtes sich standen, ist von überall her bekannt.

[596] Nach einigem Zögern trat die Behörde auf einen Teil jener Vorschläge ein, und „damit stellte sich Basel recht eigentlich an die Spitze der geistigen Bewegung der Zeit“.

Schon 1462/63 war von Anstellung und Besoldung eines „Poeten, in Poetrye ze lesen“ die Rede, und am 12. Februar 1464 wurde hiefür Meister Petrus Antonius de Vinariis (von Final) von Dôle nach Basel berufen.

Unter dieser „Poesie“ ist zu verstehen die Beschäftigung mit den antiken Schriftstellern, das Lesen ihrer Werke, die Unterweisung im klassischen Latein und seiner möglichst kunstreichen Anwendung, namentlich in metrischer Form.

Aber dieser erste Basler Poesielehrer trat innert Jahresfrist zur juristischen Fakultät über, wo er römisches Recht las. An seine Stelle kam Peter Luder.

Vor acht Jahren war dieser der erste Verkündiger des Humanismus in Heidelberg gewesen, hatte seitdem in Ulm Erfurt Leipzig Padua gelebt. 1464 kam er nach Basel und blieb hier bis 1468. Er hatte vom Rate den Auftrag, in der Poetrye ze lesen, und hieß poesis professor elegantissimus, in den offiziellen Schriften Poet; aber auch doctor medicinae und Stadtarzt; als solcher begegnet er uns oft bei Aussatzexpertisen, und als Mitglied der medizinischen Fakultät redigierte er mit Wölfflin zusammen ihre Statuten. Wie sich diese verschiedenen Funktionen miteinander vertrugen, wie stark die Tätigkeit des Mediziners Luder war, wissen wir nicht. Jedenfalls gab er sich hier wie anderwärts als den berufenen Apostel des Altertums, Lehrer der Humanitas, Feind aller deutschen Barbarei. Talentvoll, jederzeit zum Versemachen aber auch zum Geldborgen bereit, selbstbewußt bis zur Frechheit; ein kleiner brauner struppiger Kerl, wie er selbst sich schildert. Dabei von lockern Sitten und auch gotteslästerliche Reden nicht scheuend. Sogar mit dem alten guten Stadtschreiber Künlin bekam er Händel.

Nach Luders Weggang im Sommer 1468 lehrten hier die „Poesie“ als offizielle Vertreter der Altertumswissenschaft 1470 der Florentiner Jacobus Publicius und vom gleichen Jahr an Johann Mathias von Gengenbach. Dieser war in Paris Studiengenosse des Heynlin gewesen. Hier in Basel erhielt er im August 1465 einen Lehrauftrag für die freien Künste im alten Wege, und am 20. August 1470 wurde dieser Auftrag in der Weise erweitert, daß Gengenbach täglich zwei Vorlesungen halten solle, die eine in den sieben freien Künsten, die andere in der Poesie.

[597] Die in solcher Weise, mit Vereinigung alter und neuer Lehrart, gestaltete philologische Professur wurde durch Gengenbach mehr als ein Jahrzehnt lang versehen. Auch nachdem er 1480 in die juristische Fakultät übergetreten war. Er hatte damals den Ruhm sowohl des subtilsten Auslegers kanonischen Rechtes als des gelehrtesten Ordinarius der „göttlichen Poesie“.

Aber auch daran ist zu erinnern, daß während einiger Zeit der junge Reuchlin ebenfalls über die Klassiker las; wir hören von einem Konflikte der Beiden wegen einer durch sie zugleich angekündigten Virgilvorlesung.

Nach Gengenbachs Tod 1486 erscheint Jacob Carpentarius als Lehrer der Poesie. 1492 wurde diese Professur dem Diebold Westhofer gegeben, der sich dazu verpflichtete, sie zunächst, bis er selbst hinreichend geschickt sei, durch einen guten Stellvertreter versehen zu lassen.

Aber wir vernehmen nichts von Westhofers oder seines Ersatzmannes Dozieren. Vielleicht deuten die Fakultätsbeschlüsse von 1492 und 1495, wonach in den Bursen nur über Themata der Logik und Grammatik, nicht über solche der Poesie disputiert werden sollte, auf eine tatsächliche Unterbrechung der poetischen Lekturen. Jedenfalls erteilte der Rat am 5. August 1496 aufs neue einen solchen Lehrauftrag, und zwar an Sebastian Brant, der schon vorher außerordentlicherweise Vorlesungen über Poesie gehalten hatte.


Im Basler Humanismus des XV. Jahrhunderts zeigen sich uns das Leben und die Arbeit eines großen, in seinen Grenzen nicht immer sicher bestimmbaren Kreises von Männern. Als Gelehrte Dozenten Schriftsteller Buchdrucker, in Berufsstellungen oder in freien Tätigkeiten, zeitlich nahe zusammengerückt, gaben sie dem damaligen Geistesleben Basels ihr Gepräge. Von den Meisten ist uns wenig Individuelles bekannt. Aber eine Vereinigung ihrer Namen gibt uns wenigstens eine Ahnung dieser hier wirkenden mannigfaltigen Kraft. Den Ratsgewaltigen, den Stuben, den Kaufleuten- und Zunftgruppen, den Scholastikern alter Observanz, dem hohen und niedern Kirchenvolke begegnet hier eine andersgeartete Gesellschaft: Peter von Andlau, Jacob Philippi, Johann Siber, Ulrich Surgant, Johann Reuchlin, Johann Heynlin, Sebastian Brant, Johann Amerbach, Johann Bergman; die Domherren Adelberg von Rotberg, Arnold Truchseß, Hartman von Eptingen, Bernhard Oeglin, Hieronymus von Weiblingen; die italiänischen Juristen; weiter Wilhelm Textoris, Michael Wildeck, Erhard Windsberg, Jacob Hugonis, Peter Luder, Johann Mathias von Gengenbach, Franz Wiler usw.

[598] Vor Allen glänzt Johann Reuchlin. Heynlin hat ihn 1474 aus Paris nach Basel gebracht. Hier lernt er nun Griechisch bei Kontoblakas und studiert die Codices der Predigerbibliothek. Er hält auch selbst Vorlesungen. Er schreibt den vocabularius breviloquus und gibt ihn mit Amerbach heraus. Kaum über zwanzig Jahre alt, im stolzen Vorgefühle seines künftigen Gelehrtenruhmes, steht er da als eine der schönsten Gestalten dieser an Gestalten so reichen 1470er Jahre Basels. Er ist auch Jurist; nach einigen Jahren verläßt er die Stadt, um als Hofmeister des reichen Rechtsscholaren Hieronymus Zscheckabürlin mit diesem zur Universität Orléans zu gehen.


Als der Häuptling der Basler Humanisten aber, ihre Eigenart stärker und anhaltender vertretend, erscheint Heynlin. Er und Sebastian Brant sind auch die persönlich Erkennbarsten der ganzen Menge.

Johann Heynlin, von hoher Bedeutung für die Stadt, war doch keineswegs ein dauerhafter Basler. Er kam wiederholt und blieb immer nur einige Jahre. Bis er zuletzt nach einem umgetriebenen Leben hier die letzten ruhigeren Zeiten und den Tod fand.

Er hatte seine Studien in Leipzig und Löwen begonnen; dann kam ein jahrelanges Gelehrtenleben zu Paris, wo er in umfassender Arbeit zu Ansehen kam. Er muß von starkem Willen gewesen sein, ehrgeizig, voll Verlangen einzugreifen und sich geltend zu machen. Daher das Tempo und die Energie seiner Tätigkeit durchs ganze Leben und auf zahlreichen Gebieten; daher aber auch sein rascher Entschluß, mit Unterbrechung des begonnenen theologischen Studiums Paris zu verlassen und die junge Basler Universität für seine philosophische Lehre, den Realismus, zu erobern.

Zu Beginn des Sommers 1464 kam er mit diesen Absichten nach Basel; wie er Erfolg hatte, ist schon erzählt worden. Eine kurze akademische Tätigkeit in Basel schloß sich an, und diese drei Jahre, während deren er Andlau Textoris Philippi und Andern nahe trat, der Artistenfakultät Statuten gab, die ersten Zeiten der Buchdruckerkunst erlebte, reichten dazu hin, ihm Basel vertraut zu machen und jede seiner späteren Einkehren in diese Stadt als ein Heimkommen erscheinen zu lassen.

1467 ging Heynlin wieder nach Paris; dieser zweite Aufenthalt an der Seine brachte ihm nicht nur hohe Ehren im wiederholten Priorat der Sorbonne und im theologischen Doktorat; das Wichtigere dieser sieben Jahre war, daß Heynlin im Verkehre mit Fichet Senilis Bessarion u. A. zum [599] Humanisten wurde, sowie an der Einführung der Buchdruckerkunst in Paris sich unmittelbar und initiativ beteiligte.

Aber das Jahr 1474 gab die grosse Wendung. Heynlin verließ die glänzendste Stätte der Wissenschaft, das kräftigste geistige Leben und wurde Prediger in Basel. Der Ekel am Gelehrtenhader, das Streben nach einer höheren Wirksamkeit, die Liebe zu Christo trieben ihn. In Paris hatte Heynlin Schüler gehabt wie Agricola und Reuchlin, und den Letztern, den Wessel Gansfort, den Erhard Windsberg, brachte er mit sich nach Basel, wohin er auch den Johann Amerbach zog. In welchem Ansehen, mit welchen Erfahrungen kam er selbst! Reifer als Alle, die er hier vorfand. Aber er ging nicht zur Universität, sondern zur Kirche, und wurde bei dieser nicht Chorherr, sondern Pfarrer und vor allem Prediger. Eine reine geistige Wirkung erstrebte er. Seine erste Predigt hielt er am Adventssonntag 27. November 1474 auf der Kanzel seines Schülers Surgant zu St. Theodor.

Von jetzt an finden wir den großen Gelehrten in unermüdlicher Predigertätigkeit. In Basel (St. Leonhard) selbst und in dessen Umgebung; in Bern 1476 und 1480, in Baden-Baden 1479/80 und 1480–1484, in Tübingen Urach usw. Die höchste Tätigkeit dieser Art ward ihm zuletzt an der berühmten Predikatur des Basler Domes 1484–1487.

Aber auch die treueste Hingebung an diesen Beruf absorbierte nicht die reichen Kräfte und Interessen dieses Mannes. Gerade jetzt, in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens, wurde er zum „Gipfel aller guten Kunst“, zum Führer des gelehrten Treibens in der oberrheinischen Universitätsstadt. Nicht als Angehöriger der Universität selbst. Nur zwischen hinein und ausnahmsweise, im Jahre 1477, hielt er hier Vorlesungen, wohl an Stelle des zum heiligen Grabe wallfahrenden Textoris, den er auch auf der Münsterkanzel vertrat. Um so einflußreicher in solcher Freiheit der Stellung war Heynlin Mittelpunkt des Basler Gelehrtenkreises, Editor großer Quellenwerke und Berater der Buchdrucker, vor allem Amerbachs.

Mit aller Kraft des Lebens tritt uns dabei entgegen, wie der älter werdende Heynlin kirchliche und weltliche Literatur, Christentum und Gelehrsamkeit gegeneinander abwägt. Immer mächtiger regt sich das Verlangen nach dem Ernsten, dem Kirchlichen. Diese Gesinnung wird in den Büchern Heynlins zum erregten Eifern wider die „weltlichen“ Humanisten, wider die unnütze Altertumsforschung, wider die Beschäftigung mit verderblichen Autoren, und auf der Kanzel zur herben Bußpredigt, zur gewaltigen Mahnung an die Obrigkeit, ihre Pflicht zu tun. So ist es nicht wieder Wendung des Lebens, sondern eine fast notwendige Entwickelung, wenn Heynlin noch einen Schritt [600] weiter in die Stille hinein tut. Das ist sein Mönchwerden 1487. In der Karthäuserzelle ist er nun einige Jahre lang neben der Erfüllung der Ordenspflichten noch literarisch tätig. Wie er sich dabei immer mehr auf erbauliche Werke einschränkt und wie der Prior Lauber ihm seine Strenge und seine Macht zu fühlen gibt, ist die letzte und gewiß schmerzlichste Bändigung dieser starken Natur. Heynlin starb am 12. März 1496.


Sebastian Brant, ein geborner Straßburger, immatrikulierte sich 1475 in Basel und wurde hier völlig heimisch. Zwischen dem beständigen Auf- und Abtreten der Personen dieses gelehrten Theaters steht er da als merkwürdig ruhige, ausdauernde Gestalt, auch durch keine Reisen, soviel wir sehen, im Beharren gestört. Um so eher verweilen wir bei seiner vielseitigen Tätigkeit als Dozent, als Editor und Schriftsteller, als Advokat, als Richter.

Freilich kommt uns aus all diesen Funktionen nichts entgegen, das ungewöhnliche Kraft ist. Brant erscheint nie als führende, immer als begleitende Person. In den Formen und Verhältnissen allerdings, die nur jene Periode bot, und als Freund eines Reuchlin, eines Heynlin, eines Geiler u. A., als Helfer und Genosse der größten damaligen Buchdrucker Deutschlands. Auch das ihm Eigene, ihn Auszeichnende ist im Grunde nichts Positives und nichts Aktives: die Gabe scharfer Beobachtung, die Freude an Kritik und lehrhafter Satyre.

Dieser Mann stellt sich uns zunächst vor in zahllosen Widmungen Elogien Empfehlungsschreiben u. dgl. Absichten von Huldigung und Zueignung, aber auch der Stolz darauf, was er selbst als Autor oder als literarischer Ratgeber eines Druckers geleistet, werden durch ihn in solchen kunstreich geformten Beigaben zu Büchern ausgesprochen.

Daneben waltet fruchtbar sein journalistischer Sinn für Aktuelles: in Zeit- und Gelegenheitsgedichten auf den Ensisheimer Meteorit 1492 und die Schlacht bei Salins 1493, auf Hochwasser Sonnenfinsternis und Hagelschaden, auf die schöne Aussicht vom Schreiberhause, auf den Guß der Papstglocke, auf Gelehrtenwohnungen, auf das Rotbergische Wappen usw.

Von der oft unausstehlichen Gedankenarmut und Plattheit dieser Verse sondert sich eine anmutvollere Poesie der Devotion. Hier vermag der Dichter auch ohne eigenen Reichtum zu wirken. Die schon bekannten Bilder und Vorstellungen bringen ihm Glanz Farben Gefühl Weihe. Was er noch hinzutut, sind die Formschönheiten und Klänge antiker Muster. Und so feiert er in prächtigen Gesängen seine Heiligen, den Sebastian und den [601] Onofrius, den Bruno, den Apollinaris usw., vor Allen die Himmelskönigin, die keuscheste aller Mütter, die Süßigkeit des Lebens und unser Aller Hoffnung.

Hinter diesem Dichten aber füllt ernst und mühevoll eine unausgesetzte Berufsarbeit die Jahre Brants. Er ist Lehrer bei den Juristen und den Artisten; 1487 sitzt Jacob Locher unter seinen Zuhörern. Vor dem bischöflichen Gericht und vor dem städtischen Schultheißengericht tritt er als Advokat von Parteien auf. Das seit 1490 in Basel bestehende Gericht des badischen Markgrafen (für Klagen von Baslern gegen Markgräfler um Handschulden) wird durch ihn präsidiert.

Das ist Brant der Gelehrte, der Geschäftsmann, der Rechts- und Menschenkundige, und auf dieser Höhe des Lebens, ganz reif und kühl, schafft er nun das Werk, das seinen Namen bis heute hochhält: das Narrenschiff. Kein Werk reiner Dichtung. Der Professor und der Richter stehen hinter dem Poeten und schauen ihm beständig über die Schulter. Aber in seiner Sicherheit und Ruhe der Beobachtung, in der Weite und Fülle seines Gegenstandes, in seinem Spotten dem alle Schwäche und Schlechtigkeit nichts ist als Torheit, wirkt das Buch, so steif und dürre die Form auch sein mag, mit unwiderstehlicher Lebensfrische; es hat die Bedeutung eines wichtigen Zeitdokumentes, aber nicht im Sinn einer allgemeinen Moralisation; es ist geschaut und gefunden mitten im individuellen Leben einer großen kräftigen Stadt.

In den Jahren dieser von aller Welt mit Jubel begrüßten Schöpfung wird uns Brants Bild auch sonst immer deutlicher. Seine Anstellung durch den Rat als Dozent des römischen Rechtes an Durlachs Stelle, gleichzeitig mit der Erteilung eines eigentlichen Lehrauftrages für das schon bisher von ihm versehene Fach der Poesie 1496; die Veröffentlichung seines Lehrbuches zum Corpus juris civilis und den Dekretalen 1490; seine Edition Petrarcas 1496, Hemmerlins und Lupolds von Bebenburg 1497, der Konzilsdekrete 1499, zeigen die Vielheit seiner Interessen: Humanismus, römisches Recht und Kirchenreform, dazu seine deutschnationale Gesinnung.

Der Mann, der später Deutschland beschreibt und eine Sammlung oberrheinischer Geschichtsquellen plant, widmet dem Andenken der Roswitha seine Distichen. Er feiert die Hoheit des Kaisers in zahlreichen Gedichten und erwartet gleich Peter von Andlau vom römischen Rechte die Kräftigung der kaiserlichen Macht als der höchsten Rechtsautorität. Wie 1498 im nahen Freiburg der deutsche Reichstag sitzt, kommen Heinrich von Bünau [602] und Hans von Hermansgrün herauf nach Basel, um hier den berühmten Meister, den treuen Herold des Reiches, zu begrüßen.

Wichtig ist die Wirkung dieser Dinge auf Brants Leben. Dicht um ihn sehen wir die Erregung der Zeit, die wilden Parteikämpfe in Rat und Bürgerschaft, die immer lauter werdende Opposition gegen das Reich. Brant, der Verherrlicher des Kaisers, der Editor des großen Eidgenossenfeindes Hemmerlin, macht jedenfalls unruhige Tage durch. Er erlebt den Krieg und den Friedensschluß; er sieht die prächtige Stadt, über ein Vierteljahrhundert hin seine Heimat, ihrem Verhängnisse, der Lösung vom Reiche, zueilen. Wie beneidet er den Reuchlin um sein ruhiges, den Studien gewidmetes Leben! Da zu guter Stunde kommt aus Straßburg der Ruf ans Amt des Syndikus; er nimmt ihn an und verläßt Basel im Frühjahr 1501.


Daß eine zusammenfassende Charakteristik dieser alten Basler Humanistengesellschaft unmöglich ist, muß nochmals betont werden. Der Humanismus hatte im Ganzen wie in der einzelnen Person seine Entwickelung durchzumachen bis zur schließlich fertigen Form eines durch das Altertum und das noch unmittelbarer wirkende moderne Italien bestimmten Wissenschafts- und Lebensgefühles. Wie er sich dabei seine Jünger nur allmählich zu erziehen und dienstbar zu machen vermochte, zeigt sich in Allem: in der Ausdehnung der gelehrten Interessen, in der philologischen Fertigkeit, in der Kultur des Stils und des Wortes, in der Selbstbewußtheit und Angriffslust des Verkehres, namentlich aber im Verhältnis zur Kirche. Es ist bezeichnend, daß die Meisten der Humanisten, mit denen wir es hier zu tun haben, sich auf die Seite des Realismus stellten, auf den alten Weg, der dem die Rationalität des Dogma und die kirchlichen Sätze bestreitenden neuen Nominalismus gegenüber die Sammelstelle von Anhängern der römischen Autorität und eines religiösen Charakters der Theologie war. So hat das Bild der ganzen Gruppe etwas Schwankendes. Aber gerade dies ist Leben und Wahrheit. Wir sehen auf der Bahn einer großen geistigen Bewegung die Ersten vor uns, die noch nicht sicher schreiten, die noch erstarken müssen; aber auch Andere, besonnene nachdenkliche Naturen, für die bei allem äußern Bekennen der Antike ein geistiges Epikuräertum vor dem Ernste religiöser Fragen und Forderungen doch nicht Stand hält. Soviel Individuen, soviel Nuancen oder Entwickelungsstufen. Daß Einzelne über Hemmungen nicht hinwegkamen und gleichzeitig Andere schon jetzt innerlich frei sein konnten, zeigt das nahe Nebeneinanderstehen von [603] Heynlin und Luder; und wie in Heynlin selbst sich Wandlungen vollzogen, haben wir vernommen.

Aber über alles Einzelpersönliche hinaus erscheint zuweilen ein großes Ideales, die Vorstellung eines geschlossenen und gemeinsamen Wirkens Vieler. Seine Spiegelung finden wir in den Elogien, die damals der Stadt durch Humanisten zuteil wurden, und im Ehrennamen der inclyta Basilea. So auch in der anmutigen Schilderung, die der Studiosus Johann Ziegler 1471 einem Leipziger Commilitonen entwirft. Der an Anderes gewöhnte Sachse bekommt hier das Bild der schönen süddeutschen Stadt zu sehen, mit der weichen Luft, dem Wasserreichtum, den stattlichen Häusern, dem wonnigen Kranze der Weingärten rings um die Mauern. Mitten in diesem Behagen wohnen Menschen, denen der Himmel Leutseligkeit und Humanitas verliehen hat, sind viele Gelehrte und ist eine hohe Schule mit einer Fülle von Büchern; was Ziegler in Leipzig vergeblich gesucht hat, findet er hier sofort: den Quintilian, den Livius, den Macrobius, des Vittorino da Feltre Schrift über die ciceronianische Rhetorik. Aber dies ist nur ein vereinzelter Reflex jener Zustände. Ähnliche Bilder von Gemeinsamkeit und Einheit hoher Art kommen uns entgegen aus andern Zeugnissen, wie dem Gelehrtenkatalog Tritheims, der die berühmten kirchlichen Schriftsteller Basels aufzählt: den Karthäuser Heinrich Arnoldi, den Wilhelm Textoris, den Heynlin Reuchlin Geiler Brant Leontorius; oder dem Schreiben Reuchlins, in dem dieser drei seiner Basler Freunde, und nur diese, als die großen Führer verherrlicht: den Johann Heynlin, den Sebastian Brant, den Johann Amerbach.


Der Name Amerbach führt uns zu derjenigen Macht, die um die Mitte des XV. Jahrhunderts zu den gewohnten Kräften des geistigen Lebens noch hinzutrat.

Die Anfangszeiten der Universität brachten der Stadt auch die ersten Buchdrucker und die frühesten ihrer erstaunlichen Werke. Aber dies Neue war nicht allein ein gleichzeitiges, sondern auch ein gleichmächtiges und in der Summe seiner Wirkungen so unübersehbar wie die Universität selbst.

Die Einrichtung dieser Anstalt und ihre Lehrweise, durch ehrwürdige Tradition beherrscht, entsprach im Grund einer Welt ohne gedruckte Bücher. Während hart neben ihr und sofort mit den mutigsten Impulsen die junge Kunst auftrat, brachte die Universitätsgründung aufs neue die alte Form. Was in dieser lebte, blieb natürlich den Einflüssen des Buchdruckes nicht [604] entzogen; um so ungehemmter aber steigerte dieser alle Möglichkeiten einer außerhalb des akademischen Bereiches sich ergehenden wissenschaftlichen Tätigkeit und eines freien geistigen Verkehres.

Es war nicht die Universität gewesen, die das typographische Gewerbe nach Basel gezogen hatte. Wie im übrigen Deutschland nicht Leipzig, nicht Erfurt und nicht Heidelberg, sondern Straßburg Augsburg Nürnberg die großen Buchdruckerstädte wurden, so wirkten auch in Basel vor Allem wirtschaftliche Zustände: der Reichtum und die Größe der Stadt, ihre Handelsherren, ihre Lage, der große Verkehr. Was außerdem noch sehr in Betracht kam, war die hier blühende Papiererei.

Basel verdankte diese Industrie seinem großen Bürger Heinrich Halbisen. Anregungen des Konzils und eigene Wahrnehmungen, die er auf seinen Geschäftsreisen gemacht hatte, trieben ihn zu dieser Gründung. Am Kleinbasler Teiche, auf der uralten Gewerbeliegenschaft zu Allen Winden vor dem Riehentor, errichtete er schon vor 1440 die erste Basler Papiermühle. Bald aber hatte er Konkurrenten in den aus Piemont eingewanderten Brüdern Gallizian. Schon 1451 treffen wir diese am St. Albanteich; ihre andere Papiermühle, die sie vor dem Steinentor am Rümelinbach gebaut hatten, gaben sie 1453 auf und konzentrierten sich auf den Betrieb zu St. Alban, woselbst nun auch Halbisen ihnen folgend ein Lehen erwarb. Doch ist die Überlegenheit der Galliziane deutlich, die aus ihrer Heimat eine schon alte Papierertradition und Praxis mitgebracht haben; auffallend auch, wie Piemont hinter ihnen drein noch zahlreiche andere Papierer nach Basel schickt: die Pastor, die Commora, die Odere, die Trappo usw. Die autochthone ruhmvolle Firma Halbisen bricht vor dieser Invasion zusammen; unter Führung der Italiäner wächst das Gewerbe mächtig empor; erst allmählich nehmen sich auch Deutsche seiner an: 1469 Ulrich Zürcher, 1472 Peter Hofelin, später Jerg Dürr, Hans Wetzel, Fridli Hüsler usw. Wie aber der lokale Bedarf sich nicht ausschließlich dieser einheimischen Fabrikation bedient, so geht sie ihrerseits über ihn hinaus. Sie erobert sich draußen neue Produktionsorte und Absatzgebiete. Die Galliziane betreiben Papiermühlen in Ettlingen und Epinal; sie sind auch in Laufen bei Nürnberg; Bartholome Pastor macht 1497 Papier in Lörrach u. dgl. m.


Solche Mächte zogen die Buchdrucker nach Basel und ermöglichten ihnen, hier zu arbeiten und zu gedeihen.

Ein neues Gewerbe wanderte mit ihnen in Basel ein, das allerdings Anknüpfungen an schon vorhandene Fertigkeiten hatte. Namentlich das vielgestaltige, [605] durch alle Stufen vom Handwerk zur Kunst gehende Wesen der Formschneider Kalendermacher Heiligenmaler Heiligendrucker Karten- und Briefmaler u. dgl. ist zu nennen, dessen Ausdehnung gerade in Basel groß war. Zahlreiche Namen und mehrere noch erhaltene xylographische Werke selbst lassen uns die Bedeutung des Betriebes, die wohl in einzelnen Schreibstubengeschäften zentralisierte Produktion und die Wichtigkeit dieses frühen Handschriften- und Büchermarktes Basel ahnen. Der wiederholte Übergang vom Schreiber (Johann Meister), vom Kartenmaler (Lienhard Isenhut, Adam von Speyer), vom Buchbinder (Jacob Spidler, Hans Wurster) zu der neuen Kunstübung zeigt, wie nahe sich die Gebiete lagen.

Als die ersten Buchdrucker zu Beginn der 1460er Jahre sich in Basel niederließen, fanden sie ein in Jahrhundertelanger Entwickelung gebildetes und abgeschlossenes wirtschaftliches System vor. Für eine nur den Buchdruckern angepaßte neue Form war in diesem System kein Platz mehr, und zu einfacher Einfügung in eine der vorhandenen Formen, etwa in die Zunft der Krämer, erschien das Gewerbe als zu eigenartig, zu geistig.

Der Kreis der Zünfte blieb dem Gewerbe als solchem geschlossen. Nicht aber seinen einzelnen Vertretern. Da alle Ordnungen Beziehungen und Funktionen des öffentlichen und sozialen Lebens auf diesem Kreis aufgebaut waren, hatten auch die neuen Gewerbsleute sich seiner Organisation zu fügen. Jeder für sich mußte in einer der Zünfte, nach seiner Wahl, Aufnahme suchen und finden, um da seinen bürgerlichen Platz zu haben. Die Buchdruckerei als Ganzes dagegen stand, gleich dem Papierergewerbe, außerhalb der gegebenen Wirtschaftsordnung; es blieb freies Gewerbe und, im Sinne der ihm benachbarten artes liberales der Universität, freie Kunst.

Höchst anziehend ist nun, dem Wachstum dieser auf sich selbst gestellten Arbeit zu folgen und eine Entwickelung zu beobachten, auf die keinerlei zünftige und stadtwirtschaftliche Reglementierung einwirkt. Da bestehen keine Vorschriften über Ausgleich, über Hemmung des Wettbewerbs und des rücksichtslosen Großbetriebs. Arbeitszeit und Arbeitslohn sind so wenig reglementiert wie die Zahl der Arbeiter; als 1471 zwischen den Buchdruckern und ihren Arbeitern Streit entsteht und die Letztern die Arbeit liegen lassen, entscheiden nicht Zunftmeister, sondern das Stadtgericht bringt einen Vergleich zustande. Auch im Zollwesen wird den Buchdruckern eine Ausnahmestellung gewährt; bei völliger Zollfreiheit für die selbstständige Ausfuhr eigener Verlagswerke haben sie vom Lohnwerk für auswärtige Verleger einen sehr ermäßigten Pfundzoll zu entrichten, und in einzelnen Fällen, wie dem Drucke des großen Bibelwerkes durch Amerbach [606] Petri und Froben für Koberger 1505, tritt eine noch weitergehende Reduzierung ein, die fast der Zollfreiheit gleichkommt, sowie für das von außen importierte Papier Freiheit vom Kaufhauszwang. Um der Ehre und des materiellen Vorteils willen, den diese drei Druckerherren der Stadt brachten, wurden sie überdies der persönlichen Wachtpflichtleistung enthoben. Auch wird erst eine spätere Zeit offiziell gegen den Nachdruck auftreten und den Geschäftsbetrieb Fremder einschränken; jetzt suchen sich die Drucker selbst durch Abreden und Vergleiche gegen Nachdruckschaden zu sichern. Neben dem Drucker kann auch der fremde Sortimenter gedeihen, der wandernde Mann, der überhaupt keine Schranke duldet und die Freiheit seines Betriebes geltend macht.

Es ist begreiflich, daß es einem derartig emporgehobenen und begünstigten Gewerbe hier wohl sein mußte. Wenn die Drucker auf den Titelblättern ihrer Werke die Stadt, in der diese Bücher zur Welt gekommen, als die inclyta, die nobilis, die egregia, die insignis, die celebris, die precelsa urbs Basilea priesen, so war dies nicht nur Äußerung des auch von ihnen geteilten städtischen Stolzes, sondern zugleich Antwort auf jene gute Behandlung in der Stadtwirtschaft. Ächt humanistisch dankte mit derartigen Titulaturen das Gewerbe für seine Freiheit.

Kraft solcher Freiheit sehen wir die Buchdruckerei sich in allen Möglichkeiten ergehen. Als Produktion und als Vertrieb. Als Lohnwerk und als Arbeit auf Lager und für den eigenen Verkauf. Dieselbe Offizin mag auch mehrere Gewerbe nebeneinander treiben: Druck und Holzschnitt, Druck und Einband.

Im Allgemeinen aber reißt die wachsende Kraft der Druckerei alle jene vorbereitenden und helfenden Techniken auch in deren eigenem und selbständigem Betriebe mächtig empor. Der Papiererei, der Binderei, dem Buchschmuck in allen seinen Arten stellt sie unaufhörlich die größten Aufgaben; ihre Wirkung ist es, wenn jetzt diese Gewerbe mächtiger als je gedeihen.

Gesellschaften bilden sich in jeder denkbaren Form. Stärker und entwickelter als auf andern Gebieten ist hier namentlich das Verlagsverhältnis, und mit aller Deutlichkeit sehen wir, wie Kapital und kaufmännischer Unternehmergeist sich rasch dem neuen industriellen Wesen zuwenden. Kaum zunächst um ein Buch entstehen zu lassen, eine Edition zu ermöglichen, einem Autor zum Ruhme zu helfen, sondern um etwas zu verdienen. Weniger Mäcene, als Geschäftsleute. Wolf Lachner allerdings ist selbst ein Büchermann; er heißt „Buchführer“, weil er mit dieser Ware nur [607] handelt, nicht zugleich auch sie produziert. Aber Andreas Bischoff, Peter von Wissenburg, Jacob von Kilchen, Ulrich Meltinger, Heinrich David u. A., lauter Kaufherren und Krämer von Beruf, lassen ihr Geld im Buchgewerbe arbeiten, und ihre Namen leben nun neben denen der Schriftsteller und Typographen noch heute auf den Blättern herrlicher Wissenschaftswerke. Dabei ist der Beachtung wert, wie diese kommerziellen Anregungen des Buchgewerbes weiter gehen, wie das Verlegertum nun auch im Bereiche des Zunftsystems rücksichtsloser auftritt und überhaupt der Gegensatz des kapitalistischen unbeschränkten Betriebes zum Handwerke sich verschärft.

Am mächtigsten wirkt doch die Vorstellung von der Grenzenlosigkeit des Absatzgebietes, das der Buchdruckerei gehört. Von vornherein handelt es sich bei diesem Gewerbe nicht nur um Produktion für heimischen Bedarf. Das Hauptgeschäft ist vielmehr draußen, in deutschen und wälschen Landen. Gerade darin liegt der Wert jener Ungebundenheit des Betriebes, daß sie das Produzieren für den Weltmarkt und die wirksame Konkurrenz im Ausland ermöglicht. Um dieses Exportes willen werden die Auflagen so groß gemacht, sind die Drucker und ihre Reisenden unaufhörlich auf allen Straßen, reiten sie zu den Messen nach Frankfurt Leipzig Lyon usw., in die Städte, in die Landpfarrhäuser. Bis Konstanz Freising Augsburg, nach Passau und Wien, weit in die Freigrafschaft hinein folgen wir ihnen; Michel Wensler sendet eine große Bücherladung nach England. Basler Bücher finden überall Käufer. Wie Savonarola die Frobenische Bibelausgabe von 1491 besaß und benützte, so war Luthers Handbibel in Basel 1509 gedruckt. In der erquickendsten Frische steht dies energische und tüchtige Wesen vor uns, durch Briefe Rechnungen Gerichtsakten usw. hundertfältig bezeugt. Vom meisten übrigen Basler Handel sich unterscheidend ist hier ein großer Export lokaler Produktion; was das angesessene, durch Stadt und Zunft behutsam eingeengte Gewerbe nur selten vermag, das vollbringen diese eingewanderten freien Künstler des Buchdruckes im weitesten Bereiche. Name und Ruhm Basels gehen mit ihren Werken durch die Welt.

Die natürliche Antwort auf diese Initiative ist der Auftrag von außen. Der Erzbischof von Besançon, der Bischof von Konstanz, der Rat von Bern machen bei den gefeierten Basler Buchdruckern ihre Bestellungen; Verleger wie Koberger in Nürnberg, Rem in Augsburg usw. lassen die Basler Pressen arbeiten.

Jene Buchläden in Paris und Lyon, die den Baselschild tragen, sind nicht auswärtige Betriebe, sondern Niederlagen oder Filialen hiesiger. Aber in vielen andern Fällen sehen wir, wie Kraft Wagemut Streit Mißgeschick [608] Einzelne aus Basel hinaustreiben. Die Erde steht ja dem in internationalen Formen sich bewegenden und einem internationalen Bedarfe dienenden Gewerbe offen, und so wandern Basler Buchdrucker fort, nehmen Pressen und Typen, vielleicht auch Arbeiter mit sich, und begründen irgendwo draußen eine neue Werkstatt: Friedrich Biel in Burgos 1487, 1490; Michel Wensler in Cluny 1493, in Mâcon 1494, in Lyon 1495; Johann von Besigheim in Rom 1489; Eberhard Fromolt in Vienne 1477–1481; Heinrich Turner in Toulouse 1477; Niklaus Lamparter in Frankfurt a./O. 1507 f. usw.

Es ist wichtig, diese wirtschaftlichen Zustände und Wirkungen sich ohne jede Beigabe klar zu machen. Erst jetzt tritt hinzu, was das Bild der Buchdruckerkunst wesentlich zu bestimmen pflegt, was auch in der Tat ihre ganz singuläre Art begründete und speziell in Basel ihr eine mächtige, ja weltgeschichtliche Bedeutung gab.

Vor Allen zog die Kirche die neue Fertigkeit in ihren Dienst. Es waren die Zeiten ihrer mächtigen Regenerationsversuche, und sie begriff sofort, wie förderlich dabei diese Möglichkeit rascher und tausendfacher Vervielfältigung sein konnte. Bibeln wurden gedruckt, Heiligenleben Beicht- und Gebetbücher Predigten Kommentare Agenden usw. Auffallend ist auch die durch die Basler Drucker als eine, jedenfalls einträgliche Spezialität betriebene massenhafte Anfertigung von Missalen und Brevieren: für die Bistümer Basel Worms Köln Trier Metz Utrecht Salzburg und für englische Diözesen durch Wensler; für Chur durch Adam von Speyer, für Basel und Besançon durch Richel, für das Bistum Würzburg und den Predigerorden durch Jacob von Pforzheim, für das Bistum Konstanz durch Meister und Kölliker usw. Dazu dann die Anwendung des Druckes für momentane Bedürfnisse kirchlicher Administration, für Zitationen, für Ablaßverkündigungen u. dgl. Die Bischöfe Johann und Caspar ließen zahlreiche Erlasse gedruckt ausgehen, und ein großes Beispiel sind die Statuten Christophs, deren rasche Verteilung in alle Pfarrhäuser der Diözese gewollt war.

Merkwürdig zögernd nahm dagegen die weltliche Behörde die Gelegenheit wahr. Am großen Mainzer Manifest von 1461 konnte der Rat doch die Nützlichkeit des neuen Verfahrens kennen gelernt haben. Aber die Kanzleiroutine war offenbar mächtiger, und auch daran ist wohl zu denken, daß die allgemeine Lesefähigkeit nicht so rasch nachkam; der gemeine Mann, der lesen konnte, hatte dies an Geschriebenem gelernt, nicht an Gedrucktem. Noch die Ankündigungen der großen Jahrmärkte 1471 und die Einladungen zum Glückshafen 1472 wurden in massenhaften Vervielfältigungen handschriftlich, [609] nicht gedruckt verbreitet; erst nach zehn Jahren, beim Crainensishandel und beim Spitalablaß, zog auch der Rat die Buchdruckerei zu Hilfe. Doch ergingen seine Rufe an das Volk nach wie vor, und der Mandatendruck begann vereinzelt nicht vor den 1490er Jahren, häufiger erst dreißig Jahre später.

Zu diesem Allem aber gesellt sich die Bedeutung der neuen Kunst für die Wissenschaft, für das geistige Verlangen und die persönliche Schriftstellerei. Wir haben es hiebei mit Wirkungen der größten Art zu tun. Wenn man auch in den Klöstern trotz den Pressen weiterschrieb, um die Leute zu beschäftigen, und wenn es noch immer Liebhaber gab, die das vornehme Einzelprodukt der Schreib- und Malschule einem vervielfältigten Exemplar vorzogen, so trat der Druck doch überall da an die Stelle der Schreibmühsal, wo rasch und für Viele gearbeitet werden sollte. Eine erregende Kraft ohne Grenzen machte sich spürbar. Sie trieb zur Produktion, sie antwortete vorhandenen Bedürfnissen und erweckte neue. Den Autoren gab der Buchdruck einen neuen Maßstab, ein neues Bewußtsein und Machtgefühl. Jetzt wurden die Bücher ein Element des Lebens. Und zur frischen Produktion trat das Öffnen eines unermeßlichen Schatzes aus alter Zeit. Neben dem kirchlichen Regenerator, dem Prediger, dem Dichter und Erzähler, dem Lehrer, dem Verfasser des Flugblattes und Pamphletes wirkte auf Tausende der Editor der Bibel und der Kirchenväter, der Rechtsbücher, der ehrwürdigen Geschichtswerke, der ersehnten Klassiker.

Den Druckern selbst dürfen wir Vieles zutrauen. Manchem eine hohe Auffassung seines Berufes mit bestimmten Absichten religiöser Art, Manchem eine gelehrte Bildung und ein wissenschaftliches Urteil. Viele unter ihnen hatten Universitätsstudien gemacht; Amerbach korrespondierte gelegentlich lateinisch mit Koberger und mit Reuchlin.

Dabei führten selbstverständlich Geschäftsinteressen zur Berücksichtigung der nicht so rasch zu lenkenden allgemeinen Stimmung der Zeit. Die Scholastik war deswegen in den Basler Publikationen der ersten Jahrzehnte stärker vertreten als die antike und die speziell humanistische Literatur. Aber der Zustand änderte sich allmählich, und schon von Anbeginn haben wir mit einem ungeduldigen Antriebe der Humanisten zu rechnen.

Aus solchem Antrieb und aus der Erkenntnis, daß die typographische Kunst das bildsamste und wirksamste Geräte zum Dienste des neuen Geistes darbiete, erwuchs nun das Verhältnis, das uns in Hunderten von Werken und Briefen entgegentritt, voll Leben und Geist, voll persönlicher Art, ganz momentan und intim, ein Zusammenarbeiten des Autors und Editors mit dem Drucker.

[610] Starke Wechselwirkungen zeigen sich. Der Buchdrucker ist s. Z. nicht dem Professor zugezogen, sondern dem Kapitalisten, dem Kaufmann und dem Speditor. Nun er aber da ist, braucht er den Gelehrten und wird wieder von diesem in Anspruch genommen. Je mehr sich die Produktion der einzelnen Offizin entwickelt und hebt, um so unentbehrlicher ist ihr die Mitarbeit, um so reger aber auch das Interesse des Gelehrten. Wie dieser, abseits stehend, voll von Plänen, nach Büchern gierig, auf den Drucker einwirkt, ihm Ideen geben will, ihn mahnt und drängt, aber auch seinerseits von ihm Aufträge erhält für Beschaffung von Handschriften usw., das steht in Briefen, wie z. B. solchen des Leontorius oder des Wimpfeling an Amerbach, mit aller Anmut und Wirklichkeit solchen Verkehres noch heute vor uns. Wimpfeling treibt unablässig zum Drucke des frommen Battista Mantovano; Leontorius gibt gute Ratschläge für die Editionen des Marcianus Capella und der Postille des Hugo von St. Cher; aber er würde noch lieber sehen, wenn Amerbach sich für eine Ausgabe der Plautinischen Komödien anstrengte. Überall verrät sich die Freude der Gelehrten wie der Lernbegierigen an einem solchen Drucker. Sie preisen ihn als einzigartige Zierde und Leuchte; sein Name ist in eines Jeden Mund; der Eberbacher Martin Movemius dankt ihm in alle Ewigkeit dafür, daß er ihn durch seine Bücher von einer rohen und barbarischen Sprache hinweg zur antiken Wohlredenheit erzogen habe.

Daneben erhalten wir Einblicke in das Zustandekommen der Werke. Ein irgendwo draußen gedrucktes Buch wird hier nachgedruckt. Manuskripte melden sich von allen Seiten; Heinrich Bebel bringt 1496 aus Krakau das geographische Compendium des Corvinus, der Domherr Arnold zum Luft gibt eines seiner Sieneser Kollegienhefte, die Vorlesung des Caccialupi, u. dgl. m. Alte Codices der Klosterbibliotheken werden gesucht, und prachtvoll zeigen sich hier Geist und Mut der alten Basler Drucker; Amerbach verlangt von Reuchlin, daß er ihm einen Jeremias auftreibe, er geht einer durch Leontorius signalisierten Maulbronner Handschrift nach, für die Ausgabe des Augustin schickt er den Dodo auf Reisen u. s. f.

Sichtlich entwickelt sich hiebei auch eine bestimmte Buchtechnik. Die humanistische Art tritt in Vielem zu Tage, in der lichten Anordnung des Druckes und in einzelnen Behelfen und Kunstmitteln wie Einteilung in Kapitel, Anlegung der Register, Art der Interpunktion, Gebrauch gewisser Zeichen für gewisse Wissenschaftsgebiete.

Das Wesen der Zusammenarbeit von Drucker und Gelehrten zeigt sich uns am schönsten in dem Verkehre zwischen Heynlin und Amerbach. Aber auch mit Niklaus Keßler und andern Druckern arbeitete Heynlin in [611] dieser Weise. Wie er überhaupt diese Funktion des Gelehrten vollkommen darstellt. Er hat sich der Buchdruckerei nicht nur bedient, sondern selbst sie in einer Stadt wie Paris eingeführt. Er war der Bibliophile, aber auch der Anordner eines schönen und klar gestalteten Typensatzes, und überdies der philologische Kritiker. Begeistert pries ihn Fichet um die Mühe und Meisterschaft, mit welcher er in den Editionen die klassischen Texte herstellte und von Kopistenfehlern säuberte.

Auf einer andern Stufe stand Sebastian Brant. Auch er hatte unaufhörlich mit den Basler Buchdruckern zu tun und half zahlreichen Büchern zum Leben. Aber nicht so überlegen wie Heynlin; er war der Korrektor und der Gehilfe, und die Drucker bedienten sich gerne seiner jederzeit bereiten Verskunst, um ihren Büchern auch die besondern Zierden von Widmungen Epigrammen usw. beizugeben.

Aber dies ganze Treiben wird uns in seiner Macht erst klar beim Gedanken an die merkwürdige Anziehungskraft der Basler Offizinen. Es gab noch nicht viele Orte in der Welt, wo Pressen standen; und gerade an diesem einen Orte, in Basel, schien sich das Beste der neuen Kunst darzubieten. Daher haben wir es bei den um diese Werkstätten sich sammelnden Gelehrten auch mit zahlreichen und oft erlauchten Zuzügern zu tun. Der unmittelbare persönliche Verkehr war der förderlichste, der Autor war gerne neben seinem Drucker zu Hause. Schriftsteller und Editoren wanderten herein, nicht die Universitäts-, sondern die Buchdruckerstadt suchend.

In solcher Weise bildet und regt sich die gelehrte Schar, die diesen jeder Forderung gewachsenen Basler Buchdruck braucht beherrscht und leitet. In seinen Werken lebt ihr Name weiter und lebt der Ruhm der Stadt. Und das Bewußtsein hievon findet gelegentlich enthusiastischen Ausdruck. Mit tönenden Rhythmen feiert Brant die Basler Buchdruckerkunst, durch welche die einst arme Welt nun mit einem Reichtum von Büchern beglückt werde, die den Cicero und den Virgil in Deutschland heimisch mache; ihr Werk sei es, daß im Rheine die Wogen des Eurotas fluten, daß der delphische Hain auf den Schwarzwald versetzt sei und der Jura statt der Fichten nun Lorbeeren und Efeu trage. Überschwängliche Worte, in denen doch die tiefe Empfindung des Dichters waltet, in einer neuen, Alles verheißenden Zeit zu leben.

So der frohe Humanist. Ihm antworten zahlreiche triumphierende Äußerungen der Buchdrucker. Sie selbst sind erstaunt über die Herrlichkeit und die mächtigwirkende Kraft ihrer Schöpfungen. Wenn ein erlesener Mensch wie Amerbach in seiner Arbeit eine heilige Kunst sieht, die er nicht [612] so sehr um des Gewinnes willen als zur Ehre Gottes übe, so ist im übrigen der durchgehende Grundton das Lautwerden eines Stolzes, den kein zweites Gewerbe so unverhohlen äußert.


Durchweg ein Tun und Vollbringen, dem andere Grenzen nicht gesetzt waren als diejenigen von Fähigkeit Entschlossenheit und Glück des Einzelnen.

Näheres Betrachten dieser Einzelnen ist hier freilich nicht möglich. Mit Berthold Ruppel, Michel Wensler und Bernhard Richel beginnt die Reihe; der rührigste und tätigste unter ihnen ist jedenfalls Richel. Dann wird der viel beschäftigte Martin Flach kenntlich; als geborner Basler zog er die offiziellen Aufträge der Stadt usw. an sich; er saß auch im Rate, gleich Niklaus Keßler. Dieser Keßler, sodann Jacob Wolf von Pforzheim, Michael Furter, jahrzehntelang nebeneinander tätig, zeigen gleichmäßig andauernde Kraft und große Leistungen. Um sie bewegen sich die Andern: Johann Meister, Peter Kölliker, Johann von Besigheim, Hans Wurster, Lienhard Isenhut, Adam von Speyer, Kilian Vischer. Die große Zahl dieser Offizinen ist auffallend. Aber es sind noch nicht die stolzen Basler Buchdruckerherren der goldenen Zeit, Manche von ihnen geben dem Stadtgerichte mehr Arbeit als gut ist. Den unreifen und unwürdigen Existenzen unter ihnen und ihrer Gesellenschaft gilt der Spott Sebastian Brants über die verkommenen Studenten, die Buchdrucker werden, weil sie nirgends sonst Aufnahme finden würden.

Sehr deutlich heben sich aus diesem Schwarme Johann Amerbach und Johann Bergman von Olpe, die unbestreitbar Ersten der frühem Buchdruckerzeit Basels.

Der Franke Amerbach studierte in Paris und wurde dort Magister, dort wohl auch Buchdrucker, unter der Anregung seines Lehrers Heynlin. Mit diesem zusammen scheint er 1474 Paris verlassen zu haben; nach einem Aufenthalt in Venedig lebte und arbeitete er bis zu seinem Tode 1513 in Basel.

Mit ihm zuerst kam ein größerer Stil in das Basler Buchdruckerwesen. Seine feine und starke Persönlichkeit, seine geschäftliche Kunst, seine hohe Bildung, sein freundschaftlicher Verkehr mit großen Gelehrten gaben ihm eine fast zentrale Stellung im damaligen wissenschaftlichen Leben Deutschlands.

In der Produktion seiner Pressen sehen wir die Bücher religiöser und kirchlicher Art überwiegen; erst in zweiter Linie stehen humanistische Werke. [613] Aber dann auch welcher Glanz jugendlicher Erscheinung ruht auf Erstlingsausgaben, wie derjenigen des Petrarca 1496. In demselben Jahre plante Amerbach auch eine Ausgabe aller Poeten, und wegen Edition der Dichtungen der Roswitha verhandelte er damals mit Celtes. Deutlicher als bei Andern wird bei ihm der persönliche Anteil des Druckers am Buche bis ins Einzelne der Korrektur; über das Technische und Geschäftliche hinaus nähert ihn sein Wissen den Gelehrten, und kraft solcher Autorität vermag er seinem Betriebe die bedeutendsten Helfer und Mitarbeiter zu gewinnen: Heynlin Reuchlin Brant, später Leontorius Dodo Cono Pellikan Beatus Rhenanus. Die denkwürdige, unmittelbar nach griechischen und hebräischen Quellen gearbeitete Ausgabe der Bibel steht schon am Beginne seiner Tätigkeit und bleibt dann, in wiederholten Auflagen, die große Leistung seines Lebens, an die sich das ähnlich mächtige Unternehmen einer Edition der Kirchenväter schließt.

In solcher Weise erscheint Johann Amerbach, der praestantissimus literatoriae artis chalcographus, als der schönste Typus der ältern Buchdruckergeneration. Kerniger von Natur und Größeres leistend als sein berühmter Sohn. Sein Verdienst vor Allem ist „die in Deutschland einzig dastehende Blüte des Basler Buchdruckes im XV. Jahrhundert.“

Nicht so ausschließlich Drucker war Johann Bergman von Olpe.

In den kirchlichen Akten der vier Jahrzehnte vor der Reformation ist er bezeugt als Archidiakon des Salsgaus (im Stift Münster-Granfelden) und als Domkaplan zu Basel; sein Ansehen in diesen Kreisen führte ihn zu den Würden eines Einsammlers der bischöflichen Biennien, eines Kämmerers und dann Dekans der St. Johannesbruderschaft auf Burg, 1513 eines Kommissärs für den Konstanzer Ablaß in Klein-Basel. Er war auch Notar und konnte in dieser Eigenschaft 1504 bei der Kanzlei des Legaten Peraudi aushelfen.

Aber die das geistliche Amt mancher Kleriker begleitende profane Tätigkeit war bei ihm während einiger Jahre das Publizieren gedruckter Bücher.

Es ist nicht anzunehmen, daß er selbst Drucker im eigentlichen Sinne, Techniker, gewesen sei und Hand angelegt habe. Aber er war höchst wahrscheinlich Inhaber einer Offizin; daneben ließ er auch durch andere Drucker, z. B. Furter, arbeiten. In seinem wohlausgestatteten Hause, in seiner Freundschaft mit Sebastian Brant u. A., als Urheber der verschiedenen unter seinem Namen geschehenden Publikationen gibt er das Bild eines überlegten Praktikers, dem „nüt on ursach“ geschieht, aber auch eines behaglich geistigen, geschmackvollen Menschen, der neben Altardienst Pfründengenuß [614] und Dekanatsgeschäften eine Zeit lang die Bücherproduktion als Liebhaber, weniger als Geschäftsmann betreibt. „Ein Gentleman, der sich mit dem Verkaufe von Büchern beschäftigt.“ Was er drucken ließ und der Welt gab, waren literarische Spezialitäten. Keine großen Quellenwerke, keine Lehrbücher und Compendien nach üblichem Muster, auch nichts Erbauliches als etwa Wimpfelings Gedicht über die Reinheit ULF. und Brants Rosengärtlein 1499. Wohl aber Lupold von Bebenburg 1497; Reuchlins Komödie 1498; Dichtungen von Locher; der Ritter vom Turn 1493; Brants Cato, Moretus, Facetus, dessen Flugblätter vom Donnerstein 1492, u. s. f., namentlich aber das Narrenschiff 1494 und die Gedichtsammlung 1498; auch „Almanache“ gehörten zu seiner Produktion, und möglicherweise lag die illustrierte Ausgabe eines deutschen Terenz, unter Mitwirkung von Brant und Locher, in seinem Plane. Dabei zeigt die Ausstattung dieser Werke einen überraschend feingebildeten und wählerischen Geist. Bergman beschäftigte einen Künstler, der hoch über der zeitgenössischen Buchillustration stand, den „Meister der Bergmanschen Offizin“, bei dem schon an Hans Wechtlin und Albrecht Dürer gedacht worden ist. Das Narrenschiff war „in der Satzanordnung, in der Wahl der Lettern, im Reichtum des Schmuckes ein Meisterwerk der Buchkunst.“


Hier sind nun auch die Bibliotheken zu nennen, als mehr oder minder organisierte Studienorte der Universität verwandt und zugleich die schönsten Tummelplätze freien gelehrten Treibens.

Vom Buchdruck, von der Erneuerung der Studien, vom humanistischen Sammeleifer, von der kirchlichen Regeneration her trafen die stärksten Impulse das Gebiet des Bücherwesens. Überall sehen wir in dieser späten Zeit systematisches Anlegen und Ausgestalten von Bibliotheken. Bücherlust und Sammeln sind von neuem Leben ergriffen.

Deutlich wird dies vor Allem bei den kirchlichen Personen und Genossenschaften.

Bücherbesitzer hatte es in diesem Kreise immer gegeben, und was sie besaßen, wird uns aus gelegentlichen Aufzeichnungen da und dort bekannt. In der Hauptsache Theologisches, die Sentenzen des hl. Gregor und des nirgends fehlenden Petrus Lombardus, die Bibel, Predigtsammlungen Heiligenleben usw. Bibliotheken solcher Art waren z. B. diejenigen des Klingentaler Kaplans Peter Schlatter 1392 und des Leutpriesters Heinrich zu St. Ulrich 1416. Unter den „vierzehn Büchern und dreißig kleinen Büchlein“, [615] die dieser Pfarrer hinterließ, war auch ein Buch über das Schachspiel und ein Äsopus; in der von Kaplan Konrad Schlatter 1432 dem Steinenkloster geschenkten Sammlung fanden sich ein Thesaurus pauperum und ein „buch, seit von den Römeren“.

Später werden solche Büchereien Einzelner häufiger genannt; auch sind sie größer. Beim Tode des Domkaplans Hans Kappler 1475, eines Mannes, der einst in Erfurt und Leipzig sich seine Bildung geholt, lagen auf vier Gestellen sechzig Bücher; ähnliche Reihen waren beim Leutpriester Michel Meyer zu St. Alban und bei den Peterschorherren Westhofer 1506 und Bernhard Müller 1513, usw. Mit Geschick schuf sich auch der Kaplan des Antonierhauses Johann Burchardi ein Museum; er besaß eine Reihe wertvoller Codices, darunter Kanzelreden des Pastoris, und als er 1450 einem Kollegen Geld leihen mußte, ließ er sich von diesem neben andern Büchern die Metamorphosen Ovids als Pfand geben. Arnold zum Luft, Domherr und Offizial, besaß eine wohlgepflegte Privatbibliothek von hundertzwanzig Bänden, die namentlich an juristischen Werken reich war. Vor allen berühmt aber war die Bibliothek Heynlins, gegen dreihundert Bände umfassend. Ihr Schöpfer und Besitzer war ein Bibliophile von Bedeutung; er brachte nicht nur Werke aus allen Gebieten, sowohl Drucke als Manuskripte, zusammen, sondern machte auch für die Ausstattung seiner geliebten Bücher, für ihren Einband und für Schmuck feinster Art, mit goldenen Initialen, zierlichen Miniaturen, reicher Rubrizierung usw. große Aufwendungen. Die Sammlung erregte Staunen als eine der schönsten Gelehrtenbüchereien jener Zeit überhaupt.

Diese Bücher Heynlins kamen mit ihm 1487 in die Karthause, diejenigen Arnolds zum Luft fielen 1517 an das Barfüßerkloster. Es war der hocherwünschte Übergang vereinzelten privaten Besitzes in die umfassende und öffentliche Sammlung. Und doch war man über den Wert solchen Übergehens schon damals geteilter Meinung. Während Reuchlin die Hemmung wissenschaftlicher Arbeit durch das Vereinigen aller Bücher zu einer einzigen Sammlung und dessen Gefährlichkeit beklagte, pries Matthaeus Hummel den Segen einer großen zentralen, Jedem zugänglichen Anstalt. Im Basel des XV. Jahrhunderts waren jedenfalls die den Studien förderlicheren Sammlungen nicht die Bibliotheken einzelner Personen, sondern diejenigen der Stifter und Klöster.

Das St. Peterskapitel ließ 1484 seine Bibliothek neu inventieren; auf drei Pulten kamen da vierundsechzig Bücher zusammen, hauptsächlich theologische und juristische Werke.

[616] Mehr erfahren wir vom Domstift. Für dessen alte Bücherei richtete Bischof Johann von Venningen über der großen Halle des Kreuzganges einen Saal ein; er selbst vermachte dieser Bibliothek alle Bücher seines Nachlasses, über die er nicht anders verfügte. Eine große Zuwendung war ihr schon vorher durch Heinrich von Beinheim geworden. So bewährte sich die Kraft dieser beiden Männer und ihre Einsicht in die Bedürfnisse der Zeit auch hier bei gemeinsamer Tätigkeit für die Dombibliothek. Die Klage Wurstisens über die Zerstreuung dieser Sammlung zur Zeit der Reformation läßt auf ihre Größe und Wichtigkeit schließen; trotz der Beraubung umschloß sie zu Ende des XVI. Jahrhunderts noch einige hundert Bände.

Die neben ihr auf Burg bestehende Bibliothek, ebenfalls eine Schöpfung dieser denkwürdigen Zeit, war diejenige der Münsterpredikatur, sie wurde 1469 durch das Domkapitel geschaffen und hatte ihren Platz im Amthause des Predikanten; dieser sollte nicht auf die allgemeine Bibliothek des Stifts angewiesen sein, sondern die nötigen Bücher stets bei der Hand haben.

Sammlungen eigener Art waren von jeher die Klosterbibliotheken. Neben theologischen Kompendien Lehrbüchern Sprüchwörter- und Exempelsammlungen fanden sich auch hier Handschriften von Klassikern, sowie zahlreiche Hefte und Bücher, in denen spezifisch klösterliche Themen behandelt waren: von der Erkenntnis seiner selbst, vom Gehorsam, von der wahren Buße, vom Alleinsein mit Gott, von den Anfechtungen, von der Verderbtheit des Weibes u. dgl. m.

In erster Linie ist dabei der Predigerbibliothek zu gedenken. Nirgends wie in diesem Hause wurde von Anbeginn das Bücherwesen gepflegt, der Ordensregel gemäß, die eine Bibliothek den kostbarsten Schatz des Konventes nannte. Schon der Vertrag der Basler Prediger mit denjenigen zu Bern 1326 über den Besitz von Büchern zeigt die Kraft dieser Interessen und dieselbe Gesinnung, die 1434, als dem Kloster einige Bände abhanden kamen, vom Konzil die Exkommunikation der Entwender erwirkte. Wir verstehen daher durchaus, daß Johann von Ragusa seine große Bücherschenkung dem Basler Konvente zukommen ließ. Er war selbst Dominikaner, einer der Führer des Basler Konzils; er hatte 1435/37 eine ansehnliche Sammlung lateinischer und namentlich griechischer Handschriften zusammengebracht, als er Gesandter des Konzils in Konstantinopel war. Mit diesem Geschenk, einem Seitenstück zu Bessarions berühmter venezianischer Stiftung, übernahmen die Mönche die Pflicht, einen schicklichen Raum für die Bücher herzurichten. Wie sie dies taten, war noch lange nachher zu sehen: neben dem [617] Refektorium ein gewölbter heller Saal, in dessen Langwänden fünf Schränke für die Bücher eingelassen waren. Doch scheint hier die gesamte Klosterbibliothek, nicht nur der durch Ragusa legierte Teil aufgestellt gewesen zu sein. Sie war größtenteils theologischen Inhaltes und besaß namentlich eine lange Reihe von Bibelkommentaren, viel Patristik, Ordensliteratur, Schriften über Predigtwesen und Ketzerverfolgung. Aber auch ansehnliche Bestände an Juristischem und Medizinischem. Vereinzelt standen daneben Petrarca Poggio Platina de honesta voluptate, ein paar Chroniken und eine Weltkarte, von den antiken Autoren Aristoteles und Cicero. Über Alles hin aber glänzte als Unikum die Sammlung griechischer Handschriften mit dem Neuen Testament, der Apostelgeschichte, dem Gregor von Nazianz, dem Theodoret usw.

Prachtvoll sodann war die Bibliothek der Karthäuser. Das eigenartige, ruhig geordnete Wesen des Klosters war hiebei wirksam; aus der Ordensvorschrift an die Mönche, andächtige Bücher abzuschreiben, entwickelte sich auch in diesem Hause der größte Eifer für alles Bücherwesen. Zu den innerhalb des Klosters selbst entstehenden Bänden traten die von draußen erworbenen, wie die schon 1430 gekaufte prachtvolle Postille des Nicolaus von Lyra in mehreren Bänden. Zum Ruhme des Priors Albert Bur (1432–1439) half auch seine Sorge für die Bibliothek; noch verdienter machte sich der Prior Lauber (1480–1500) durch Organisation der stark wachsenden Sammlung; ihm erschien ein Kloster ohne Bücher wie eine Stadt ohne Reichtum, wie eine Burg ohne Mauer, wie eine Küche ohne Geschirr, wie ein Tisch ohne Speisen, wie ein Garten ohne Kräuter, wie eine Wiese ohne Blumen, wie ein Baum ohne Blätter. Gleicher Gesinnung war sein Nachfolger Zscheckabürlin, der seine schon in Laienzeiten geübte Bücherfreundschaft nun als allmächtiger Prior diesem Besitze des Klosters zuwendete. Der Reichtum der Karthäuserbibliothek war in der Tat ungewöhnlich. Sie genoß die Gunst der Basler Buchdrucker, die sie mit ihren Erzeugnissen beschenkten, und in der Büchersammlung Heynlins erwarb sie einen unvergleichlichen Schatz. Dazu nun noch die Beflissenheit der Mönche selbst. So wurde die Bibliothek zur bedeutendsten der Stadt. Sie griff über den Klosterbedarf hinaus und war dazu angetan, den Beruf einer den weitesten Kreisen dienenden Gelehrtenbibliothek zu erfüllen. An die Bibeln, die Kirchenväter, die Scholastiker, die Predigten und Andachtsbücher, an die Mediziner und Juristen reihten sich in vielen Bänden die antiken Autoren; auch Petrarca Boccaccio Filelfo Valla usw. waren zu finden und von deutscher Literatur U. F. Spiegel, das Buch von den heiligen [618] Dreikönigen, das Reisebuch des Ritters von Mandeville, die Moserschen Übersetzungen von Erbauungsschriften, St. Martinslegende „in niderlendischer sprach“ usw. usw. bis zu Paulis Schimpf und Ernst und dem Brantischen Narrenschiff.

Zu St. Leonhard befand sich eine mehrere hundert Bände starke Bibliothek mit Werken aus allen Wissenschaften; auch medizinische und juristische Schriften waren dabei.

Daß diese Klosterbibliotheken immerzu gemehrt wurden, zeigt sich bei den Karthäusern am deutlichsten. Ihre Sammlung blieb nie stehen, sondern erhielt stets Vieles vom Neuesten.

Aber auch sonst sehen wir in das Einzelne dieser Verwaltungen. Sie wirkten über das Kloster hinaus. Sie wurden stark benützt, nicht nur im Büchersaale selbst. Die Klöster liehen ihre Bücher auch aus, und die Empfangsscheine der Prediger wie das Ausleihejournal der Karthaus geben uns das lebendigste Bild. Die Benützung wandelt sich in sehr bezeichnender Weise. Aus der Karthäuserbibliothek z. B. werden bis zum Beginne des XVI. Jahrhunderts vorwiegend die Postillen entliehen, die Kirchenväter, die scholastischen Traktate, sowie antike Schriftsteller; daneben findet allmählich die neue Humanistenliteratur zahlreichere Leser; in den 1520er Jahren sodann werden die Werke Luthers und die gegen ihn gerichteten Schriften unaufhörlich bezogen. Das Barfüßerkloster lieh in der Mitte des XV. Jahrhunderts die Dekretalen dem Unterschreiber Mecking. Von den berühmten Evangeliencodices der Prediger war der eine dreißig Jahre lang an Reuchlin ausgeliehen, den andern benützte Erasmus für seine Ausgabe des Neuen Testamentes.

Auch die Universität verfügte schon in ihren ersten Jahren über eine eigene Bibliothek. Doch hatte diese Sammlung, die im Kollegiengebäude untergebracht war, noch wenig Bedeutung; sie fand ihre Ergänzung in den soeben erwähnten, Bücher an Professoren und Studenten ausleihenden Bibliotheken der Klöster.


Während dies ganze wissenschaftliche Wesen, mit Bewegungen beinah aller Welt sich berührend, zu einem Gegenstand universaler Interessen wurde und Basel zu einem weithin herrschenden geistigen Zentrum erhob, war es doch auch dem Einflusse ganz lokaler Zustände unterworfen.

Dies gilt hauptsächlich von der Universität.

Der Gründung des Generalstudiums, der Bestellung zahlreicher Lehrkräfte mit starker Betonung der Artisten folgten die Beschlüsse über die Vertretung [619] des römischen Rechts, über die Aufnahme Heynlins, über die Schaffung eines Lehrstuhls für „Poesie“, über Parität der beiden Wege u. dgl. m. Es waren Zeugnisse einer großen und weiten Gesinnung. Aber hinter ihnen stand stets Parteiung und Diskussion. Viele beanstandeten solche Aufwendungen überhaupt, und überdies erhob sich die Opposition einer alten wissenschaftlichen Richtung gegen Geltung der neuen. Es waren Kämpfe, die niemals ruhten, und lebendig tönen sie in den Akten wieder. Vor Allem in den ausführlichen Bemerkungen, die jährlich den Stadtrechnungen zur Rechtfertigung der Universitätsausgaben beigegeben wurden; sie waren die Antworten auf Vorwürfe und Befürchtungen. Auch allerhand Vorschläge wurden gemacht; z. B. 1462: man solle den Dozenten, die Pfründen zu St. Peter haben, dreißig Gulden an ihrem Sold abziehen; man solle einen der Canonisten entlassen; man solle die Weinungeldverhältnisse in den Bursen untersuchen usw. 1463 kam es dann zur Inkorporation von St. Peter, während der gleichfalls schon früh begehrte Verzicht der Universität auf ihre Ungeldfreiheit erst 1474 erlangt werden konnte. Mit ernsten Worten wendeten sich 1464 die Freunde der Universität im Rat an deren Gegner und an die kleinmütigen Zweifler. Die Sache selbst wurde dadurch nicht leichter, und noch im Sommer 1465 klagte Künlin darüber, daß so Manches, namentlich bei den Juristen und den Artisten, erst provisorisch geordnet sei, da doch „viele deutsche und wälsche Studenten warten, ob hier die Dinge auf ein bestantlich phulment gesetzt werden.“

Daß die Last für die Stadt groß war, konnte Keiner leugnen. Wiederholt rechnete man und gelangte stets zu hohen Summen; andrerseits nahm die Zahl der Immatrikulationen seit 1466 ab, der von Vicomercato zugesagte große Zufluß reicher Studenten blieb aus

So ist begreiflich, daß auch die Liberalität des Rates nachließ. Das Wichtigste hiebei war die Entlassung der italiänischen Rechtslehrer, womit Basel großartige Absichten seiner ersten Universitätsjahre preisgab.

Wir haben an Vorgänge in Rat und Bürgerschaft zu denken, die uns nicht bezeugt sind. Auch das Ausscheiden einzelner Personen aus den Behörden, wie des Bürgermeisters Flachsland 1463 und des Stadtschreibers Künlin 1468, war jedenfalls von Bedeutung. Sie hatten Anschauungen höherer Art vertreten; nun sie fehlten, konnte die Ängstlichkeit, die in eben dieser Zeit den großen Rheinfelder Territorialplan bekämpfte, auch in Universitätsdingen sich zum Worte melden.

Freilich pflegt solchen Depressionen eine neue Steigerung zu folgen. In der Tat zeigt das große Jahrzehnt der 1470er Jahre, durch das die Politik [620] in ähnlicher Kraft und Kühnheit begleitende Wirken von Gelehrten und Buchdruckern ausgezeichnet, auch wieder einen Aufschwung in den Universitätszuständen; seine äußerliche Dokumentierung ist das Wachstum der Immatrikulationen.

Dann aber wendete sich Alles stetig dem Niedergange zu. Wie die Frequenz sank, so schwand allmählich die Frische und Entschlossenheit, die bis dahin im Universitätsleben bestimmend gewesen war, und dem entsprach die Zurückhaltung der Behörden. Die Absorption von Fähigkeiten und Mitteln durch die allgemeinen Zustände, die politischen Schwierigkeiten, die sozialen und wirtschaftlichen Kämpfe machten sich aufs stärkste gerade hier geltend. Auch ein vereinzeltes, rasches sich Aufraffen wie die Berufung Ulrich Krafts 1495 bedeutete nicht viel. Es kam so weit, daß 1497 im Rate die Aufhebung der Universität in Vorschlag gebracht wurde, und die wiederholte Bestellung von „Botten in der Universität Sach“ zeigt, wie ernst man sich mit diesen Fragen beschäftigte. Diese Beratungen zielten offenbar, der die Behörden damals beschäftigenden Reform der Ratsordnung entsprechend, auf Revision der Verfassung der Universität; dasselbe Jahr 1501, das den Beitritt Basels zur Eidgenossenschaft schuf, brachte dann auch die offizielle Erklärung, daß man die Universität nicht wolle fahren lassen. Mit dem gleichzeitigen Entschluß allerdings, den Fiskus möglichst zu entlasten, welcher Entschluß seine Formulierung erhielt in der Ordnung von 1507. Von da an bis zu einer neuen, unter ganz andern Verhältnissen sich vollziehenden Reorganisation war es mit dem Glanze der Universität vorbei.

Wie aber neben der hohen Schule und ihrer Genossenschaft das wissenschaftliche Leben sich in freier Macht ergehen konnte, ist schon gezeigt worden. Wir werden dessen auch jetzt wieder gewahr, da sich der verkümmerten Universität gegenüber die glänzende Erscheinung eines mit Buchdruckern und Künstlern in höchster Tätigkeit verbundenen Gelehrtenkreises erhebt. Nichts ist dabei in die Verfügung einer Behörde gegeben. Das offizielle Wesen, durch Pflichten und Sorgen anderer Art übermächtig bestimmt, versteht sich zu einem großartigen Gewährenlassen. Ungehemmt vermag der Impetus der Zeit zu wirken, und so wird dem Gemeinwesen das Glück, daß es, in der neuen staatlichen Verbindung auf die Höhe politischen Ansehens mit hinaufgeführt, zur gleichen Zeit eine geistige Macht größter Art wird.



Anmerkungen (Wikisource)