Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation/7. Lebensformen und Gesinnung

Die Kirche Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation
von Rudolf Wackernagel
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Siebentes Kapitel.
Lebensformen und Gesinnung.




Die Geschichte Basels von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation ist durch eine Entwickelung beherrscht, die zur Beseitigung des alten Stadt­herrn und seines Anhangs des Adels, zur Behauptung von Unabhängigkeit und Macht am Oberrheine gegenüber den Fürstengewalten Österreich Markgrafschaft und Burgund, zur Lösung vom deutschen Reich und zur dauernden Verbindung mit der schweizerischen Eidgenossenschaft führt.

Dieser gewaltige Vorgang wird in seiner Bedeutung noch dadurch gesteigert, daß dem politischen Sieg eine wirtschaftliche Überwältigung zur Seite geht und daß die Macht der vom Stadtherrn vertretenen Kirche durch Säkularisation der Bildung und in ihrem eigensten Gebiete zuletzt durch die Reformation gebrochen wird.

Überall hiebei ist Träger der Entwickelung, ist Sieger und Überwältiger das Laientum, das Städtertum, die Bürgerschaft.

Diese Bürgerschaft, zu der trotz aller sozialen Aussonderung innerlich auch die Achtbürger durchaus gehören, beschäftigt uns.

Das bürgerliche Wesen, durch eine große mannigfaltige Gesamtheit dargestellt, gibt dem Leben Sein und Leisten der Stadt das Gepräge; es wird dabei in seiner eigenen Art, unter allmählicher Ausscheidung des vornehmen Elementes, immer einheitlicher plebejisch. Es bewirkt, daß die städtische Territorialpolitik wesentlich durch Verkehrs- und Handelsinteressen bestimmt, die Politik überhaupt spezifisch kaufmännisch geartet ist. Je mehr auch das städtische Regiment unter die Gewalt zünftischer Anschauung gerät, um so unwiderbringlicher scheidet aus der politischen Geschichte Basels die Größe, um so weniger handeln Diejenigen, die das Gemeinwesen seine Staatsmänner nennt, mit weitem Blick und im Geist entschlossenen Wagens und Bahnbrechens. Aber trotz dieser Einbuße bleibt dem Städtertum, in seinem weitesten Begriffe genommen, noch immer genug der Stärke und des Verdienstes. Es hauptsächlich läßt die Kirche leben, es waltet in den [889] Parochieen. Es vertritt den Anspruch auf Laienbildung und schafft den Boden für die höchsten geistigen Taten. Es ist der Träger einer gesunden Kraft, die in ihrem Zuströmen nie inne hält, die auch das Entlegene heranbringt und hier zur Geltung kommen läßt. Es leistet das, was von Generation zu Generation die Grundlage der gesamten Existenz und der hauptsächliche Inhalt städtischen Lebens ist: die handwerkliche und kaufmännische Arbeit.

Aus dem ungeheuren Komplexe dieser Arbeit heben wir hier eine einzelne Tätigkeit heraus, das Kredit- und Pfandgeschäft des XIV. Jahrhunderts. Seine allgemeine Bedeutung bestand darin, daß es ein Teil des langen und gewaltigen Kampfes wider den Stadtherrn und die fürstlichen Nachbarn war. Neben die Gewalt stellte es ein vielleicht noch sicherer wirkendes, spezifisch geschäftsmännisches Verfahren. Es war ein Mittel, mit dem das Bürgertum die Herren um ihre Macht zu bringen und sich selbst Rechte und Gebiete zu erlangen vermochte.


Dem kirchlichen Verbote zum Trotz war das verzinsliche Darleihen etwas Alltägliches und bewegte sich in allen denkbaren Formen der Leihe. Neben den gewerbsmäßigen Geldgebern verdrängten die Kapitalisten die Juden aus dem großen Kreditgeschäfte.

In solchen Kapitalisten begegnet uns eine charakteristische Gruppe des damaligen Bürgertums. Zunächst sind es Achtbürger, deren Wohlstand meist durch das Handwerk und den Handel der Vorfahren oder durch eigene geschickte Handhabung des Geldes geschaffen ist; der alte reich gewordene Mercator läßt Andre reisen, und von der Auszeichnung, nicht mehr werken zu müssen, ist kein großer Schritt zu einer Standespflicht, nicht werken zu dürfen; nun ist er Stubenherr, kann aber dennoch mit Geldausleihen sich beschäftigen; auch an die schon junkerhaft gewordenen und nur in solchen Kreditoperationen noch den Geschäftsgeist des Vaters bewahrenden Söhne, ferner an Witwen, alte Jungfern und Klosterdamen aus solchen Kreisen haben wir dabei zu denken. Zu dieser Geldaristokratie gehören aber auch Rentner Händler und Gewerbsleute aus den Zünften; sie verbinden Gewerbsarbeit und Geldgeschäft; oder weil sie wünschen, den gemachten Erwerb sicher zu stellen, werden sie aus Geschäftsleuten zu reinen Kapitalisten. Sie brauchen deswegen nicht in die Hohe Stube zu gehen; eine freiere reichere Lebensführung, eine selbständigere Haltung, eine entschiedene Fähigkeit kann sie auch ohne Stubengenössigkeit jenen Patriziern gesellen, deren Konkurrenten im Geldgeschäfte sie sind.

[890] Vom Darleihen, das diesen verschiedenartigen Kapitalisten im innern täglichen Leben Basels zu tun gab, haben wir begreiflicherweise nur zufällige und vereinzelte Kunde. Um so mehr erfahren wir von den Leihen, deren Debitor die Stadt selbst war. Ihre Bücher zeigen uns die Größe dieser Verbindlichkeiten. Im Zeiträume von 1361—1501 wurde rund ein Viertel ihres ganzen Bedarfes durch Anleihen und zwar größtenteils bei Einwohnern selbst aufgebracht; zu Beginn des XV. Jahrhunderts erreichte die städtische Rentenschuld ein Viertel des Vermögens der gesamten Bürgerschaft.

Noch lebendiger aber wirkt, wie das Basler Geld von draußen her aufgesucht wurde. Aarau Freiburg i./U. Luzern Winterthur Rapperswil Thiengen Mainz Ulm machten hier Anleihen; in besonders starkem Maße tat dies Bern. Seine Basler Schulden begannen in den 1340er Jahren und dauerten dann durch Jahrzehnte hin. Kreditoren waren die Magstat Schliengen zur Sonnen Fröwler Stamler Buchbart zum Rosen u. A.; als Agenten und Zahlungsvermittler funktionierten hier der Wechsler Thomas von Binzen und der Kaufmann Herman Buchsman. Noch einmal, 1383, unter den Vorbereitungen zum Burgdorfer Kriege, kam es zu einer großen Geldaufnahme Berns in Basel, diesmal bei den Zscheckabürlin Billung Grieb u. A. Aber schon im Jahre darauf entschloß sich Bern zur Rückzahlung, und 1394 waren alle diese Schulden getilgt, „usgenomen zwey alte wip von Basel; denen was man schuldig lipding bi hundert guldin gelts, das man nit abgelösen kond, wie gern man es getan hette“.

Auch die Klöster Beinwil und Interlaken holten hier Geld.

Aber das geschichtlich Bedeutsamste waren die Schuldnerschaften der Fürsten und Herren; und von diesen Basler Darleihen vernehmen wir auch das Meiste.

Neben die Verpflichtung von Erben und Nachfolgern des Debitors oder die Sicherung durch Bürgen trat die Fundierung der Schuld. Bei den städtischen Anleihen als allgemeine Fundierung auf die Güter und Rechte der Stadt; wichtiger und im einzelnen Falle wirksamer war die spezielle Fundierung mittels Satzung, die Verpfändung mit sofortigem Übergange des Pfandobjekts in Gewere und Nutzung des Gläubigers.

Dabei konnte es sich um große Darleihensgeschäfte und die Dahingabe ganzer Herrschaften mit Land und Leuten handeln.

Es sind schwer verständliche Vorgänge. Aber so gut die Finanzwirtschaft des Landes mit der privaten Wirtschaft des Landesherrn nahezu identisch ist und die Privatschuld des Herrn zugleich den Charakter einer öffentlichen Schuld hat, so ist auch hier keine Scheidung. Hoheitsrechte [891] können auf dem Wege reinen Kreditgeschäftes weitergehen und dabei an Leute gelangen, die zwar Geld besitzen, aber weder Hoheit noch Herrschersinn. Das Wesen solcher Kombination kann auch fast zum Wucher gesteigert sein, wenn der Gläubiger aus der ihm verpfändeten Herrschaft mehr Nutzung zieht als einem vernünftigen Zinse der Schuldsumme entspricht.

Aber über Finanzielles und Geschäftliches hinaus haben diese Transaktionen ihr starkes inneres Leben und einen bestimmten historischen Wert. Dem Geldbedürfnisse des Herrn kommt der Ehrgeiz des reich und opulent gewordenen Bürgers entgegen. Zu dem uralten tausendfältigen Zins- und Landbesitze der Städter tritt die viel mächtigere Verfügung über Herrschaft und Gerichtsgewalt.

Einem um den Andern aus dem Kreise der Kapitalisten begegnen wir bei solchen Geschäften. Derselbe Tuchhändler Rosegg kreditiert dem Herzog von Österreich und dem Grafen von Freiburg, derselbe Henman Spitz dem Rudolf von Neuenstein, dem Friedrich von Pfirt, dem Markgrafen, dem Freiherrn von Ramstein, dem Bischof, den Städten Basel Säckingen Winterthur. Auch Frauen, wie die Anna zum Fuchs, die Jungfer Elsbeth Rötin, oder die Kapitalistinnen im Kloster Klara von Walpach Elsi von Emmerach u. dgl. m., bringen ihr Geld in Bewegung bei Fürsten und Städten. In örtlichen Gruppen schließen sich, kaum zufälliger Weise, Basler Pfandschaften zusammen. So die Buchsgauer Herrschaften und Rechte, wo z. B. in Wietlisbach zu gleicher Zeit die Stadt, die Mühle, der Zoll verschiedenen Baslern (Konrad von Efringen, Klaus Hüller, Hug Fröwler) verschrieben ist, wo auf der Burg Friedau die Basler Werner von Hall und später Konrad von Laufen, auf der Erlinsburg der Basler Heinrich Rebman, auf der Burg Aarwangen der Basler Henman Murnhart, auf der Neuen Bechburg und im Dorfe Niederbipp der Basler Konrad von Laufen als Pfandherren gebieten. Neben ihnen aber stehen Andre, gleich stark und reich: als Geldgeber des Markgrafen Hans von Leimen, Henman Spitz, Lienhart Schönkint, die nun dafür die Grundherrschaften zu Hauingen Wollbach Steinen haben; oder die Herren der Wartenberge Murnhart, die Billunge auf Landser, die von Laufen, dann die Schönkint auf der herrlichen Burg Tierstein. Und wie nahe rühren an städtisches Recht und Verfassungswesen die bischöflichen Pfandschaften: die Zölle in der Gewalt der Schönkint Relin Stamler; die Fuhrweine dem Sinz dienend, die Kleinbasler Steuer dem Konrad von Bärenfels, das Kelleramt dem Johann von Sennheim, das Brotmeisteramt den Fröwlern und denen von Laufen, das Siegel dem Henman Spitz, die großen Schlösser und Herrschaftsgebiete [892] Delsberg dem Burchard Sinz und Istein dem Hans von Laufen. In den letztgenannten Fällen ist die Pfandherrschaft von kurzer Dauer; aber durch Generationen hin bleiben die Burg Tierstein denen von Laufen, die Burg Dorneck denen von Efringen, die Aargauer Städtesteuern denen zur Sonnen.

Mächtige Formen gewinnt dies Kreditwesen vor Allem durch Johann von Walpach und Jacob Zibol.

Schon der alte Johann von Walpach 1316 ff., ein Schneider, hat Geld anzulegen und kauft sich Gefälle in Sundgauer Dörfern. Auch Heinrich 1331 ff. heißt zunächst noch Schneider, bald aber Tuchhändler; er kauft vom Krenkinger das Dorf Nieder-Eggenen und macht Geschäfte mit den Markgrafen. Heinrichs Sohn Johann aber, der zuerst im Hause zum Pfauen bei der Kürschnerlaube, dann im vornehmen Hofe neben dem St. Johannschwibogen (dem spätern Seidenhofe) wohnt, bringt der Familie ihre große Zeit. Er beginnt 1350 mit einem tiersteinischen Pfandlehen und im Jahre darauf gibt er dem Herzog Albrecht von Österreich ein Darleihen von fünftausend Gulden, für das ihm auserlesene Kleinodien (ein goldener Adler, eine goldene Krone, zwei lange goldene Gürtel mit Perlen usw.) zu Pfand gelassen werden. Von da an, durch zwei Jahrzehnte hindurch, zieht sich das österreichische Geschäft Walpachs, stets mit hohen Beträgen und entsprechenden Einsätzen. Es ist, als ob dies Geschäft ganz persönliche Werte hätte; keinem Andern gibt Walpach Geld, als diesen Herzögen Albrecht Rudolf Leopold. Ihre Verbindlichkeiten sind gewaltig wie seine Aufwendungen. Er erhält ein Burglehen zu Luzern, die Steuern im Tal und Amt Masmünster, die Steuern zu Säckingen, Burg Tal Dorf und Amt Wehr; 1366 ist er Pfandherr der Herrschaften Ensisheim Sennheim Thann Masmünster und Rotenburg, 1368 Pfandherr von Blumenberg; 1369 beläuft sich sein Guthaben an die Herzoge auf die gewaltige Summe von fünfundzwanzigtausendeinhundertfünfundsiebenzig Gulden.

In lebendiger Weise sehen wir diesen Enkel von Schneidern zum fürstlichen Bankier und Agenten werden. Er bestreitet die Kosten von Gesandtschaften nach Avignon, die Besoldung des Landvogts u. dgl. m. Ganz unausweichlich ist hiebei sein Eindringen auch in die innern Gebiete der herzoglichen Administration und Politik. Gleichen Rechtes mit den stolzen Magnaten nimmt dieser einzige Bürgerliche als Pfandherr der Sundgauer Herrschaften an Landfriedensbünden und Verschreibungen Teil. Gegen die Anfeindungen unwilliger Adliger deckt ihn der Schutz des Herzogs, und da er mit seiner Frau Agnes vornehm auf Schloß Rheinfelden zu wohnen [893] wünscht, leiht ihm der Fürst diese Herrschaft auf Lebenszeit. Auch im Ratskollegium Leopolds hat Walpach seinen Sitz und unterschreibt gelegentlich herzogliche Erlasse neben dem Hofmeister; von seinen für Herzog Rudolf geführten Verhandlungen mit Mailand über die Bötzbergstraße ist schon die Rede gewesen. Nicht zu verkennen ist auch seine Einwirkung auf die Beziehungen Leopolds zur Stadt Basel; die offene Parteinahme des Herzogs wider sie und für den Bischof geschieht erst nach dem Tode Walpachs im Frühjahr 1374.

Diesem Johann von Walpach ähnlich, aber mehrseitig geartet und von noch stärkerer Ambition ist Jacob Zibol, der die letzten Jahre Jenes noch miterlebt, die folgende Zeit aber allein beherrscht. Seine nach allen Seiten hin betriebenen großen Kreditgeschäfte, namentlich die gewaltigen Pfandschaften Schwarzwald Laufenburg Rheinfelden sind schon erwähnt worden.

Unzweifelhaft wird bei diesem Treiben viel städtisches Geld der kapitalistischen Verwertung entzogen, und insofern diese Geldanlagen draußen im Land einen Übergang des Geldgebers zu andern Lebensgewohnheiten bewirken, kann dem städtischen Wesen mit dem Geld auch der Mann verloren gehen. Es entsteht ein dem Besitz fürstlicher Lehen paralleler Zustand. Im Leben dieser Schlösser und Herrschaften wird der Städter, der zu gebieten hat, zum Landjunker. Rings um Basel, im Birstal, im Gäu, Rhein auf und ab herrscht in solcher Weise Basler Geld und schaltet Kraft dieses Geldes jetzt an Stelle von Fürsten und Edeln der Kapitalist oder der Mann aus Kontor und Werkstatt herrschergleich mit Zöllen Gerichten Steuern Geleitsrechten Ländern und Menschen. Ein Tuchscherer gebietet über Schloß St. Ursitz. An der freien offenen Straße sitzt jetzt der Vogt zu Friedau an Statt des Konrad von Laufen; der Untervogt zu Wyhlen amtet Namens des Klaus Zibol; um die Gerichte zu Schliengen und Hausen muß sich der Markgraf mit Basler Bürgern streiten. Denn durchweg handelt es sich nicht allein um Nutzungen, sondern um die Ausübung von Recht und Macht.

Aber auch danach ist zu fragen, wie solche Kreditgeschäfte der Bürger nun auf die Stadt selbst wirken mögen.

In der Regel lebt das einzelne Geschäft für sich allein und wird nur nach Konvenienz, nach Vorteil und Gewinn orientiert. Gelegentlich erscheinen Rücksichten als geboten, sodaß z. B. nach 1373 zunächst kein bürgerliches Darleihen mehr an Herzog Leopold gegeben, wohl auch nicht durch diesen begehrt wird. Eine andere Wirkung wieder ist zu sehen, wenn Hans [894] Thüring Münch sich für die Wahl seines Gläubigers Zibol zum Oberstzunftmeister verwendet.

Jedenfalls kann eine Verknüpfung des Geldbedürfnisses der Stadt mit dem Anlagebedürfnis ihrer Bürger Beiden als vorteilhaft erscheinen, und auf das Vorschießen von Geld an die Stadt durch kapitalbesitzende Geschlechter mag sich zuweilen deren Macht im Gemeinwesen gründen.

Aber nur selten ist zu sehen, daß die Pfandherrschaft des Einzelnen zum Stadtgebiet wird. Gerade weil die großen Geldgeber meist im Rate sitzen oder ihm nahe stehen, kommt es nicht zu solcher Ausnützung der Lage. Keiner will dem Andern schaden, eher noch Keiner dem Andern etwas gönnen. Aber es können sich Konflikte ergeben, wie bei Jacob Zibol im Falle Rheinfelden, und deutlich veranlaßt dann der Wunsch, solche Konflikte zu vermeiden, bei Jacobs Sohn 1424 den ausdrücklichen Konsens des Rates zur Pfandnahme des Schwarzwalds. Aus bürgerlichem Pfandbesitz erwachsen die Herrschaft der Stadt Basel über Delsberg, später ihre Rechte in Füllinsdorf und Augst, während sie bei Dorneck die Gelegenheit sträflich versäumt.

Gegen Außen aber und im Allgemeinen hat dies vielbetriebene, mit großen Summen und höchst ansehnlichen Pfändern operierende Kreditgeschäft des Einzelnen seine eigenartige Wichtigkeit. Indem es mit dem Bischof sich beschäftigt, zeigt es der Stadt als solcher den Weg. Diese folgt nur dem ihr gegebenen Beispiel, wenn sie dem Bischof in seiner Bedrängnis unaufhörlich mit Vorschüssen beisteht und dafür durch Pfandnahme ein Recht ums andere an sich zieht. Dasselbe gilt den Fürsten und dem Adel gegenüber. Hier haben diese privaten Geldgebereien die Wirkung, daß sie im Umlande Basels große Bereiche aus der Fürstenmacht lösen und ihre Umformung zu Territorien der Stadt Basel und anderer Städte vorbereiten. Zugleich wird dadurch auch hier, wie bei den bischöflichen Rechtsamen und Herrschaften geschehen, dem Adel der Boden für weiteres Gedeihen vielfach entzogen und damit seine Stellung zur Gemeinde Basel und seine Macht in dieser geschwächt.

Dieselben Leute nun, die bei diesen Geldgeschäften ihre Kraft zeigen, sitzen auch im Rat oder in Kollegien der Stadt. Ihnen zumal verdankt Basel die gute Führung seines Haushaltes, seine rationelle Finanz- und Schuldenwirtschaft. Sie vor Allen geben der städtischen Wirtschaftspolitik die Richtung.

Gerne würden wir hier das Bild der großen, Kapitalisten und Ratsgewaltige, Achtbürger und Zünftler umfassenden Bürgerschaft gegen Ende des XIV. Jahrhunderts malen. In den Kreisen des Adels ungerne gesehen, [895] ja gelegentlich geschmäht, von Chronisten mit scheuer Sorge als Vergewaltiger priesterlicher Macht und Freiheit betrachtet, trägt daneben dies Städtertum seine Waffen ins Burgundische so gut wie auf die Schlachtfelder des schwäbischen Städtebundes, ist es auf deutschen und wälschen Märkten heimisch, beherrscht und nützt es hier an diesem erlesenen Transitpunkte den großen zentraleuropäischen Handelszug. Wichtig aber ist vor Allem, wie es, im Zusammenschließen aller rein städtischen Elemente und unter der geschicktesten Anwendung der Kräfte, diese stürmische Zeit nicht nur durchzuhalten im Stande ist, sondern sich aus Gefahren Sorgen und Kämpfen als bleibenden hohen Gewinn die Stadtherrschaft und das Territorium zu holen vermag.

Eine außerordentliche Konzentration von Leistungen und Errungenschaften bezeichnet dergestalt diese Epoche. Aber dieselbe Kraft eines klugen Bürgertums, die zur politischen Herrschaft gelangt, bringt sich auch im Streite wider die Kirche und die geistliche Macht zur Geltung.

Auf verschiedenen Punkten sehen wir in dieser Zeit den städtischen Rat in den Machtbereich der Kirche eingreifen, das Vergabungswesen regeln, um die Klosterreformationen sich kümmern u. dgl. m. Er greift überall ein, wo das öffentliche Interesse eine Ordnung nach seiner Art nötig macht; er ist dabei auch Vertreter der mit manchen kirchlichen Dingen unzufriedenen Einwohner.

Die Abnahme der Donationen sogut wie die vielerlei Häresieen sind Zeugnisse einer unter diesen Städtern verbreiteten Gesinnung. Nicht nur ein speziell kirchliches Verdrossensein liegt zu Grunde. Die Entwickelung politischen Sinnes ist Eins mit geistigem Reifen und Mündigwerden überhaupt; das Erstarken der demokratischen Kraft geht für den Einzelnen zusammen mit der Gestaltung seines innern Verhältnisses zur Kirche, und so sind auch die in eben dieser Zeit aufkommenden freien und ganz profanen Privatschulen Äußerungen neuer Bedürfnisse des Laienvolkes, Geschöpfe eines allgemeiner werdenden Verlangens nach Wissen, Orte einer Bildung die außerhalb der Kirche erworben sein will.


Alles dies ist zum großen Teil eine Sache nur des bürgerlichen Basel. Wie z. B. die Konvente der Klöster immer plebejischer werden, so nimmt der Adel auch an der allgemeinen Umwandlung der städtischen Zustände nur wenig Teil.

Unwiderstehlich bezwingt ihn, in umfassender und alle Lebensverhältnisse treffender Weise, ein gleichsam naturgemäßer Verlauf und entfremdet ihn der Stadt.

[896] Aber nur sehr allmählich. Wie der Adel in manchen seiner Geschlechter, z. B. den Münch und den Ramstein, noch große Reichtümer aufzuweisen hat und mit diesen gleich den bürgerlichen Kreditoren Darleihens­- und Pfandgeschäfte treibt, so ist inmitten des städtischen Wesens noch immer unbestreitbar und über Alles hin geltend sein gesellschaftlicher Rang und Glanz. Er herrscht im Domkapitel, er lebt in der Nähe des Bischofs und im alten Besitze hoher bischöflicher Hofämter. Namentlich aber beachten wir seine Stellung im Rate.

So wenig wie das Bürgertum ist der Adel ein innerlich durchweg Gleiches. Der einzelne persönliche Sinn entscheidet. Auch jetzt noch können Edle im Rate sitzen, denen die Interessen der Stadt soviel gelten wie eigene Interessen und die durch Eifer und angeborne Regentenqualitäten die Schwäche ihrer Zahl in der Ratsgesamtheit völlig vergessen machen; zur gleichen Zeit, da ihre Nächsten und Verwandten vielleicht bei den Feinden der Stadt stehen. Das Wichtige ist, daß die Verfassung des Rates dem Adel noch immer seine bestimmten Rechte auf Teilnahme und Vorsitz gibt, und daß es nur von ihm abhängt, diese Rechte zur Anwendung zu bringen.

Über den schließlichen Ausgang freilich kann Niemand im Zweifel sein. Seit 1337, vollends seit 1382 weiß der Adel, daß die Stadt Basel politisch für ihn verloren ist. Er kann sich regen, um Zukunft Glück und Ehre außerhalb dieser Stadt zu suchen, wenn ihm das längere Verweilen hier nicht mehr zusagt. Das Leben an Höfen, die Tätigkeit in fürstlichen Regierungskollegien und Beamtungen, der Kriegsdienst ziehen Manchen schon jetzt hinweg aus den Kreisen des trotz Allem die alte Heimat noch lange nicht preisgebenden Adels.

Wie weit hinaus dieser Zug führen kann, zeigen die zahlreichen Basler in den italiänischen Soldkompagnieen der Zeit, im Dienste der Republik Pisa z. B. ein Schaler 1349 und ein Reich 1370, im Dienste des Papstes z. B. ein zu Rhein 1352, ein Münch 1363, ein Ramstein 1368. Im Fürstendienst auch erlebt unser Adel seine Katastrophen bei Sempach und Nikopolis.


Die folgenden Jahrzehnte sind bewegt durch eine merkwürdige Steigerung des Lebens auf jedem Gebiete. Alles ist voll Regsamkeit, tätig, energisch. Daher z. B. das merkantile Wesen dieser Zeit sich uns in ungewohnter Beweglichkeit zeigt. Es bildet einen neuen Kaufmannsbegriff aus, den großen Händler und Lieferanten im Gegensätze zum Krämer; es drängt auch zur Exportproduktion in der Safrankultur, in der Tuchmacherei, in der Gerberei; es schafft einzelne Kaufleutefiguren voll Leben, voll Keckheit [897] und Unternehmungslust, überall ist Fernbetrieb, Besuch ferner Märkte, Beziehung nach Außen.

Dem entsprechen die öffentlichen Dinge. Die Stadt, die sich für ihre neue größere Tätigkeit auch äußerlich neu einrichtet, lebt nicht nur in einem ungewöhnlich regen Verkehr mit dem Reiche, mit Kaiser und Städten. Sie hat vor Allem ihre mächtigen Aufgaben am Oberrhein. Und indem sie, Beziehungen zu Bern und Solothurn sowie Zürich bald wieder aufgebend, die angeborne Richtung ihrer Politik Rheinabwärts festhält, bekundet sie die Tendenz zur Führerschaft in diesen Gebieten. Sie handelt hiebei freilich im Jahre 1415 nicht mit derjenigen Rücksichtslosigkeit, die damals dem Interesse der Stadt entsprochen haben würde. Aber im Übrigen sehen wir stets dieselbe Gesinnung alle jene vielartigen Verhandlungen beleben und sich wider Katharina von Burgund, wider Österreich, wider den Rötler Herrn, wider den Nieder-Badener Markgrafen, wider Diebold von Neuenburg bewähren. Der Geist dieser Zeit erscheint in dem damals, mächtigen Feinden zu Trotz und Warnung, errichteten Spalentore verkörpert.

Daß dabei alle öffentliche Ordnung zerrissen ist und ein an sich untergeordnetes, aber in seiner Wirkung verderbliches Fehde- und Raubleben das ganze Umland Basels erregt, ist unvermeidliche Folge der vorhandenen großen Parteiungen und Gegensätze. Aber die Ursache solchen Wesens liegt noch tiefer und ist umfassender. Es handelt sich um allgemeine Verwilderung und Verhärtung des Sinnes; Keiner ist gewöhnt, sich etwas zu versagen. Trotz allen die Stadt erschütternden Bußpredigten Mulbergs und neben den die Stille und Heiligung suchenden Klausnern und Karthäusern kündet sich die Rücksichtslosigkeit eines derben und ganz eigenwilligen Draufloslebens in der allverbreiteten Rauflust und Roheit, die dem Rate damals unaufhörlich zu tun gibt, aber auch in den Kämpfen des Kuratklerus mit den Mendikanten, in den Stürmen die zuletzt durch die Vernichtung der Beginen sich befriedigen, und in der Oligarchie der Ehrenfels und zum Angen so gut wie in den wilden Aufruhrbewegungen der Zünfte. Die Erhebung eines Ammeisters und die dieser antwortende große Sezession von Adel und Patriziat zeigen die Höhe des politischen Haders.

Das Bild der Zeit würde unvollständig sein, wenn wir ihm nicht noch Andersgeartetes beifügten. Jene Sezession ist vielleicht das letzte ganz umfassende und vorbehaltlos proklamierte Zusammensein von Adel und vornehmer Bürgerschaft. Was sich hiebei als Vorstellung eines höhern gesellschaftlichen Daseins ergibt, findet seine volle Bestätigung durch Nachrichten von der Lebensführung dieser Kreise, von ihrem erstaunlich reichen Besitz [898] an Edelschmiedwerk, von dem mannigfaltigen Schmucke der Wohnungen, von der Harnischkammer und dem pompösen Schatze großer und bilderreicher Tapisserieen der Fröwler, von dem herrenmäßigen Hegen von Bären im Hause Zibol u. dgl. m.

Aber auch in Unfugen und Ausgelassenheiten finden sich die Kreise zusammen, die das äußere Treiben für ein Zeichen innerer Verwandtschaft halten. Hans Spitz steigt mit einem Freund ins Kloster Klingental; die Mißhandlung des ehrwürdigen Domherrn Konrad Elie von Laufen durch den Bruder des Erzpriesters von Tanneck wird durch Künzlin von Laufen u. A. mit den Waffen gerächt; in der adligen Trinkstube kommt es zu einer argen Schlägerei zwischen den Brüdern Sürlin und Werner Hans Münch usw. In Neid und Zank erhebt sich Geschlecht wider Geschlecht, und der 1407 vor Rat verhandelte große Zaubereiprozeß enthüllt ein Ganzes von Wahnglauben Verbrechen und wüster Unzucht, bei dem die besten Häuser der Stadt beteiligt sind. Die Stamlerin, die Frau des Bürgermeisters Bärenfels, Henmans von Leimen Frau, Hüglins von Laufen Frau, die Adelheid von Hohenfels usw. geben sich mit dem gräulichsten Zauberwesen ab, und überall handelt es sich dabei um ihre Liebesangelegenheiten, um das Bezaubern oder Vernichten ihrer Buhlen. Es ist dieselbe Zeit und dieselbe Gesellschaft, die sich uns auch mitteilt im Ehebruchsprozeß der Greda Münch, in der gegen den Ritter Rudolf von Schönau erhobenen Anklage wegen Päderastie, in der Giftmischerei der Brüder Stützenberg, in der Tollköpfigkeit des Konrad Sinz, die diesen Patrizierssohn und Ratsherrn zum Feinde der Stadt, ja zum Straßenräuber werden läßt.

In eindringlicher Weise stellt sich neben diese Korruption die Tatsache raschen Niedergehens von Geschlechtern. Der Glanz der Fröwler, durch wenige Jahrzehnte aufleuchtend, erlischt jäh mit dem Sturze des Oberstzunftmeisters Henman; die vor Kurzem noch so mächtig gewesenen Münch drohen auszusterben; die Hertenberg Kämmerer Zurkinden Marschalk Pfaff Vitztum Hagendorn vonBubendorf vonEschenz vonIsental vonSchauenburg vonFrick finden ihr Ende.

Die ganze Periode gibt den Eindruck des Gesteigerten und Maßlosen und einer starken Entwickelung, die zugleich Entartung sein kann. Öffentliches und privates Wesen haben die Eigenschaften des letzten Zustandes vor dem Ende oder vor gänzlicher Umgestaltung und Erneuerung.

Diesem Bilde gegenüber steht nun die all das Gesteigerte und Grelle übergehende, leicht stilisierte Schilderung der Stadt und ihrer Bewohner [899] durch Enea Silvio. Es ist die Schilderung eines Durchschnittszustandes, gegeben im denkwürdigsten Moment, an der Grenze zweier Weltalter.


Die große Zeit des Konzils endete mit den 1430er Jahren unter Schaffung eines Schisma, mitten in den Ängsten und Leiden der furchtbarsten Epidemie; diesen Erlebnissen folgten schwere wirtschaftliche Not, die Schrecken des Armagnakeneinfalls und ein Jahrzehnt erbitterten Krieges.

Alles dies zusammen bildete eine Heimsuchung, deren Macht nicht unerwidert bleiben konnte. Große Stiftungen, Buß- und Bittgänge, die Luxusgesetze, die Verfassungskämpfe, die Rückkehr in die römische Obedienz waren Äußerungen eines zu Änderung des Lebens entschlossenen Willens. In Worten, die über jede gewohnte Formel hinausgehen, verraten uns auch die Urkundenschreiber die tiefe Zerknirschung: „von Anfang der Welt ist alles Leben mit dem Tod überherrscht, die Zeit vergehet wie der Schatten und der Tag wird schreckhaft unheimlich und bitter“.

Ein Erleben solcher Art machte nur um so empfindlicher und empfänglicher für die gewaltigen Mächte, die jetzt über Stadt und Gesellschaft hereinkamen: die Kunst des Buchdrucks, die freie humanistische Gelehrsamkeit, die Universität, die Schicksale des Reiches und der Welt. Auch Basel hatte dem Geiste Stand zu halten, der tausendfältig sich offenbarte, in der Emanzipation und Differenzierung weltlicher Herrschaft, in der kirchlichen Regeneration, im Erschaffen neuer Bildungselemente und neuer Bildungsmittel, im Wecken neuer wirtschaftlicher Kräfte, in der Verfeinerung aller Sinne. Unter seiner Herrschaft formten sich Leben und Gesinnung.


Wir beachten vorerst die soziale Gestaltung.

Der Friede mit Österreich 1449 war ein Triumph der Stadt über Fürst und Edelmann gewesen. Die Empfindung hievon lebt auf allen Seiten. Basel hat sich über seine Kraft ausgewiesen und bedarf der Herren nicht mehr. So gewinnen die Beziehungen zu Österreich einen neuen Ton, und gleichzeitig geht die Teilnahme des Adels am Stadtregiment ihrem Ende zu. Das Einzelne dieses Verlaufes wurde geschildert.

Wir erleben jetzt auch das Aussterben alter ruhmreicher Adelsfamilien Basels, wie der Münche von Landskron, zur gleichen Zeit, da große Dynastenhäuser — Hasenburg Ramstein Tierstein — zu Grunde gehen.

Andre dauern aus, suchen aber eine ihrem Wesen gemäße Tätigkeit im Hofdienst oder bei der Verwaltung des modernen Staates. Jacob und [900] Herman von Eptingen, Arnold Reich, Lütold von Bärenfels u. A. dienen dem Haus Österreich, Ludwig von Eptingen dem Grafen von Württemberg, Jacob und Peter Reich u. A. dem Herzog Karl von Burgund. Konrad von Ramstein gibt seine Tochter der Gräfin Margaretha von Württemberg in ihr Frauenzimmer.

Daneben bleiben immer noch Edle genug, anspruchsloser und weniger grundsätzlich gesinnt, am alten Orte. Sie behalten hier den Wohnsitz als Hintersassen oder Bürger. Sie fügen sich, wenn auch oft lässig oder widerstrebend, in Dienst Steuer und Eidespflicht der Stadt. Die Münch Eptingen Andlau Bärenfels wohnen in den alten erinnerungsreichen Höfen, sie reiten ein und aus. Sie nehmen zuweilen noch ihren Sitz im Rat ein oder dienen der Stadt bei Gelegenheit mit besondern Arbeiten. Sie brauchen, wie der Rat etwa sagt, die Almend, Wunne und Weide, Stege Wege und Brunnen, werden Tags wie Nachts beschirmt; sie mögen den reichen Verkehr und die städtische Geselligkeit, das Vergnügen, die Wärme und Sicherheit nicht entbehren. Sie geben ihren Stolz für solchen Komfort und bescheiden sich mit einem rechtlich nicht ausgezeichneten, aber von gesellschaftlichen Vorteilen und von Behagen umgebenen Leben in derselben Stadt, die ihren Vätern einst als Herren gehorcht hatte.

Es sind die Reize und Vorzüge Basels, um derer willen jetzt auch neue Adelsgeschlechter von draußen hereinkommen und hier heimisch werden: die Hertenstein, die Halwil, die Truchsessen von Wolhusen, die Randeck, die Diesbach usw. Auch sie treten politisch nicht hervor. Aber Geschäfte Lehen Heiraten führen sie in den Kreis unserer Hohen Stube. Sie bringen der Basler Adelswelt neue Kräfte und Gestalten. Sie gehören fortan zur guten Gesellschaft der Stadt.

Anders geartet erweisen sich die Achtbürger. Bei ihnen fehlt, was den Edeln den Verlust der Macht im Stadtstaate ersetzen kann: die Funktion an Fürstenhof und Landesregiment. Der Achtbürger als solcher weiß von nichts als von seiner Stadt, und eine seiner städtischen Herrschaft gleichwertige und gleichartige Tätigkeit gibt es für ihn nicht, wenn er sie hier nicht mehr hat.

Hiezu kommt ein Weiteres. Dem durch lange Zeiträume hindurch ausdauernden und lebenskräftig bleibenden Adel gegenüber degenerieren die Achtbürger merkwürdig rasch. Aus niedern Verhältnissen aufsteigend, verlieren sie in den neuen Anschauungen und Lebensgewohnheiten bald ihre Widerstandsfähigkeit. Sie leben über das ihnen Eigene hinaus, gesteigert und gezwungen; sie wenden dieses neue Leben vielleicht aufs glänzendste [901] an und entwickeln vermöge derselben Energie, die sie aus der Verborgenheit emportrieb, nun hier oben die wirksamsten Kräfte; aber schnell ist es um sie geschehen. Die Zibol Schilling Grieb Sevogel Kilchman finden schon nach wenigen Achtbürgergenerationen ihr Ende. Mit der Schmach des die Stadt bestehlenden Werner Ereman schließt das eine Geschlecht der alten Münzmeister seine Laufbahn, während die Linie Sürlin in der Nachlässigkeit des Pfäffinger Burghauptmanns Dietrich 1446, in der Aussatzkrankheit des Hans 1491, dann in den Roheiten des Lorenz ihre Dekadenz erweist. Die zur Sonnen enden in dem Raubmörder Georg 1461 auf dem Schaffott. Einzig die Offenburg vermögen sich durch längere Zeit auf der Höhe zu halten, wie sie auch physisch von bemerkenswerter Frische und Zähigkeit sind. Ihr Größter, Henman, behauptet sein Wesen auch in der Nähe der Fürsten, während Andre, z. B. Friedrich Kilchman, bei solchem Verkehre sich selbst verlieren.

In den Kreisen der Adligen und der Achtbürger findet sich die höhere Vornehmheit der Stadt beisammen. Sie bilden die Hohe Stube. Eine geschlossene Einheit im öffentlichen Rechte und zumal im Gegensatze zur Plebs. Was aber nicht hindert, daß diese Herren unter sich keineswegs als Gleiche mit Gleichen leben, vielmehr ihrer Standesunterschiede durchaus bewußt sind.

Die Edelgebornen suchen gerade jetzt stärker als bisher ihre Vorrechte durch Betonung und Abgrenzung zu wahren. Es ist die Zeit der Ahnenproben und des neuen Adelsdekretes beim Domkapitel; eine exklusive Gesinnung dieser Art führte schon 1436 beim großen Schaffhauser Turnier dazu, daß dem Henman Sevogel als einem Bürgerlichen und daher Turnierunfähigen der Helm in den Schmutz der Straße geworfen, Heinrich von Ramstein aber wegen seiner Heirat mit Agnes von Efringen durch die ritterlichen Standesgenossen verprügelt wurde; wir sehen in der Tat, daß Allianzen zwischen Edeln und Achtbürgern jetzt seltener sind als vor Jahren. Aber sie kommen immer noch vor. Die der Herzogin Margaretha von Württemberg als Hofdame dienende Dorothea von Baldeck will den Konrad Schönkint durchaus zur Ehe haben, und dem Hans Schlierbach, der im Wirtshause zum Meyen mit Studenten zecht und dabei über die Bürgerfrauen spöttelt, entgegnen die Andern: „Wähnet Ihr, daß Jedermann Grafen- und Rittersweiber haben möge wie Ihr?“

Eine größere Zahl solcher Szenen aus dem Leben würde uns erkennen lassen, wie es mit diesem Leben, mit der Anwendung der gesellschaftlichen Rechte und Satzungen, vor Allem mit den Anschauungen, der [902] Gesinnung, der menschlichen Art und Bildung im Einzelnen wirklich bestellt war. Aber wir erfahren kaum etwas und auch da nur das Ungewöhnliche. Bei den Murer sehen wir Söhne und Töchter des kindlich gewordenen Heinzman sich um den Sitz im Hause streiten und den Alten um die Wette ausnützen. Die Frau des Peter Offenburg, Agnes von Laufen, schaltet voll Habgier weiter im Hause ihres verstorbenen ersten Mannes Hans Wiß; vor den Augen seines Bruders Heinrich schafft sie den besten Hausrat fort nach Schauenburg, und wie die Tochter Änneli sich für diese Habe wehren will, gibt sie ihr Schläge.

Gegen Außen sind die zwischen den Angehörigen der Hohen Stube bestehenden Gegensätze jedenfalls verhüllt durch die dieser ganzen Gesellschaft gemeinsame Haltung des Lebens. Was damals Bereicherung und Verfeinerung der Daseinsformen ist, findet Aufnahme in den Häusern der adligen und vor Allem der patrizischen Geschlechter. Hier begegnet uns z. B. die zahlreiche Dienerschaft, die kostbare Ausstattung. Bezeichnend ist auch die Funktion dieser achtbürgerlichen Höfe als Fürstenquartiere. Während die hohen Gäste der Stadt früher meist in den Kurien der Domherren Wohnung erhalten haben, führt man sie jetzt in diese mit dem reichern modernen Komfort versehenen Häuser. Bei den Offenburg an der Petersgasse wohnen 1445 die Tochter des Papstes, 1450 der Herzog Albrecht, 1473 der Markgraf von Baden, 1476 der Herzog René; von ähnlichen glänzenden Gästen können Sürlins Hof, der von Laufen Hof, auch der bürgerliche Engelhof berichten; unter den adligen Wohnungen ist der Ramsteinerhof hinter dem Münster die präsentabelste.

Auch der Kriegsdienst bringt die Gruppen in der städtischen Partei zusammen, und hier kann der Achtbürger, wenn er Mut und Glück hat, die Ritterwürde erlangen, wie Thomas Sürlin bei Murten. Sogar der Zugang zum eigensten Gebiete des Adels, dem Turnierplatze, wird ihm etwa gewährt; Andres Sürlin und der Schönkint reiten zum großen Stechen nach Zürich, und 1468 ist zu Basel ein Turnier zwischen Arnold Truchseß und Hans Bernhard Schilling. Im festlichen Waffenspiel, das hier 1454 zu Ehren des Burgunderherzogs stattfindet, kämpft auch Hans Waltenheim und findet dabei den Tod von der Lanze Sevogels.

In diesem Allem liegt eine Äußerung von Reichtum. Auch finanziell ist die Hohe Stube eine Macht. Zu ihr gehören z. B. in den Kirchspielen St. Peter und St. Leonhard beinahe drei Vierteile der mehr als zweitausend Gulden versteuernden weltlichen Personen; und noch immer erweist sich die ökonomische Kraft dieser Familien in zahlreichen Kreditgeschäften. Sie leihen [903] den Gewerbsleuten in Basel Geld und tragen davon Gewinn und Verlust. Auch der Basler Rat ist ihr Schuldner, Hans Wattenheim und Bernhard von Efringen stehen als Geldgeber in zahlreichen Urkunden des Predigerklosters; unaufhörlich gibt Hans Heinrich Grieb mit seinen Kreditsachen dem Gerichte zu tun. Noch mehr erfahren wir von solchen finanziellen Beziehungen nach außen, zu den Markgrafen, zu den Grafen von Württemberg usw. Für Städte und Adlige der Vorlande und namentlich für die Schweiz funktioniert Basel als der große Bankplatz, als das mächtige wirtschaftliche Zentrum. Wer rasch flüssiges Geld braucht, schickt seine Boten hierher und findet Hilfe. Weit mehr als nur ein finanziell beachtenswertes Faktum ist dies; ein bedeutender Sinn liegt darin, eine historische Wichtigkeit. Die von Laufen Kilchman Schönkint Götz Heinrich von Eptingen Änneli Murer u. A. sind solche Geldgeber; auch die fromme Witwe Zibol hat die Sorgen und Freuden einer Kapitalistin und muß mit Peter von Hagenbach streiten wegen ihrer Zinsen auf der Herrschaft Rheinfelden.

Bei diesem Darleihensgeschäft von Stubenherren handelt es sich um ein als standesgemäß geltendes Geldverdienen. Wer aber in dieser Gesellschaft ohne derartig verwendbare Mittel ist, kann auf die vornehmste Weise Mangel leiden. Daher man für Söhne von Familien, „die verarmen, weil sie kein gemeines Gewerbe treiben dürfen“, bei Gründung der Universität in den Professuren anständige Lebensstellungen zu schaffen hofft; es wird empfohlen, die Lehrstühle stets nur auf kurze Zeit zu besetzen, um bei Gelegenheit zu Gunsten solcher Junker über sie verfügen zu können.

In welchem Maße die Stubenherren politisch wichtig sind und wie namentlich die Achtbürger unter ihnen gerade jetzt Großes für das Gemeinwesen leisten, ist schon erwähnt worden.

Aber auch das höchste politische Verdienst und die stärkste finanzielle Kraft Einzelner hemmen nicht das der Gesamtheit zugeteilte Verhängnis; die Hohe Stube geht in diesen glänzenden Jahrzehnten unaufhaltsam ihrem Ende zu.


Die sie bedrohende und zuletzt besiegende Macht ist die breitgedehnte unübersehbare Zunftgesellschaft. Seit anderthalb Jahrhunderten auf dem Wege zur Beherrschung des öffentlichen Wesens, und nun beinah am Ziel. Sie ist dabei nichts Kompaktes, sondern durch Verschiedenheiten und Gegensätze aller Art zerrissen.

Sichtbarer als je tritt jetzt aus dieser Masse die Gruppe der Zunftgewaltigen vor; von verschiedenen Zünften her, namentlich Schlüssel Bären [904] Safran, aber auch Gartnern und Schmieden, findet sie sich zusammen. Ihr Gemeinsames ist das im Großen betriebene Gewerbe, der Reichtum, der Geldstolz, die Ambition nach einer Macht im Gemeinwesen, die der wirtschaftlichen Macht gleichkommt.

Das sind die Bär Rieher Meltinger Zscheckabürlin Irmi, weiter die Eberler Bischoff Meyer Hütschi Jungerman u. A. Lauter Kaufherren und große Krämer; sie spekulieren auch in Liegenschaften; sie treiben Kreditgeschäfte; sie haben Bergwerke; von ihrer Stellung in der Stadtwirtschaft, von ihren Handelsgesellschaften, von ihrer Verlegerei usw. ist schon die Rede gewesen. Als das Charakteristische des glücklich gewordenen Mannes dieser Kreise gilt dem Volke, daß er nicht mehr zu arbeiten brauche, Geld auf Zinsen ausleihen könne und im Regimente der Stadt sitze.

Einzelne dieser Existenzen lernen wir aber noch näher kennen.

Im Hause zur Augenweide die Zscheckabürlin. Sie sind und bleiben Krämer auch im Großbetriebe und lehnen, trotzdem sie das mächtigste Vermögen zusammengebracht haben, den Übergang zur Hohen Stube konsequent ab. Sie halten am Geschäfte fest; Bank und Bergwerk müssen sich mit dem Detail ihres frequentierten Kaufladens zum Pfauen vertragen. Aber zwei Töchter verheiratet der alte Hans an Adlige, den ältesten Sohn läßt er in Paris und Orléans studieren und gibt ihm den Johann Reuchlin als Hofmeister mit. Nach seinem Tode beherrscht die Witwe Margareth als energische Frau das Haus und schafft auch Ordnung, da Zank ausbricht wegen des Heiratsgutes der einen Tochter, dann wegen der Kosten des Studiums von Hieronymus. Das allen Familiengliedern Wichtige ist doch die Geltung nach Außen. Auch als Zünftler wollen sie, die Reichsten der Stadt, obenan stehen. Daher die vielfach erzeigte Großheit in Stiftungen der Devotion, daher auch die Geldopfer für den Studenten Hieronymus, in der Erwartung, daß er als Doktor aus der Fremde heimkehre und den väterlichen Sitz im Rat einnehme. Er tut dies dann doch nicht, sondern wird Mönch, wobei er, wie die Geschwister behaupten, das Elternhaus zu Gunsten des Klosters ausplündert.

Ohne rechte Haltung steht daneben Andres von Walpach, mit dem das Geschlecht jenes großen Geldherrn des XIV. Jahrhunderts seinem Erlöschen zugeht. Zeitweise benimmt er sich sehr vornehm, ist mit einer Adligen verheiratet, hat Lehen vom Reich, vom Markgrafen usw.; zwischenhinein ist er wieder ganz bürgerlich und in Kräften reduziert.

Heinrich Sinner dagegen erweist sich konsequent als der vollendete Typus des händelsüchtigen aufbegehrischen widersetzlichen Zünftlers. Mit [905] seinen Unfugen und bösen Reden beschäftigt er den Rat unaufhörlich, während sein ähnlich gearteter Bruder Klaus mit der Schwiegermutter im ärgsten Streite liegt und, da er krank wird, durch Frau und Mägde vergiftet zu sein behauptet.

Wie bei den Söhnen des reichen Bäckers Kilchman fast nur von Trotz Händelsucht und einem in übelm Sinne herrenmäßigen Treiben zu reden ist, so begegnen dieselben Manieren auch bei andern übermütigen Jungherren, den Eberler, den Meyer, den Waltenheim u. A. Was Hans Eberler zusammen mit Hütschi Gsell Zscheckabürlin verübt, ist allerdings Münzbetrügerei, wenn auch Einige dabei nur an die vornehme Zeitmode der Alchimie zu denken scheinen.

Dann aber erscheint dies ganze Eberlerwesen zum Stärksten und Vielseitigsten erhoben in Mathis Eberler, einem Vetter des Hans. Sein Reichtum macht ihn zum Großkreditor des Bischofs, seine Fähigkeiten helfen ihm zu den Stellen eines Ratsherrn und eines Statthalters am Oberstzunftmeistertum. Aber was ihn vor uns sich bewegen läßt wie einen Lebenden, sind mannigfaltige Kunden andrer Art: von der Verwilderung seines Ehestandes, von seinem Jähzorn und seiner Gewalttätigkeit, aber auch von der großen prachtliebenden Art, mit der er sich das Haus zum Engel auf dem Nadelberge baut und ausstattet, zu Hiltalingen als Schloßherr lebt, in der St. Peterskirche Kapelle und Grab bereitet u. dgl. m.

Alle diese Nachrichten von Familien und Einzelnen führen uns in denselben Kreis. Es ist die Welt der Unternehmenden und der Genießenden, aber auch der an der Beherrschung der Stadt Beteiligten. Ihre außerordentliche Lebenskraft, bei einzelnen dieser Familien während nur kurzer Zeit wirksam und wie aufgestaut in Wenigen, waltet durchweg: in der politischen Leistung, in der gewerblichen Arbeit, in der opulenten Kirchenstiftung, im Übermute der sich Alles erlaubt. Dabei geht meist, auch hart neben dem emsigsten Geschäftsgeiste, alles Sinnen solcher Kaufleute aus Imitation der Pracht, des Lebensgenusses, der stolzen Geberde, die sie nur in der vornehmen Welt heimisch wähnen. Ein Streben, das bis zur törichten unglückbringenden Sucht ausarten kann; Hans Jungerman zeigt uns die höchste Steigerung dieses Wesens.

Als Krämer aus Masmünster erwirbt Heinrich Jungerman 1437 das Basler Bürgerrecht; er wird zu Gartnern, zu Safran, zu Hausgenossen, zu Schmieden, zum Schlüssel zünftig und kommt in den Rat; er erwirbt mehrere Häuser, er heißt Wechsler und Kaufmann. Sein Sohn Hans handelt weiter mit Tuch Samt Eisen Venedigerglas usw.; Alles umfaßt er Kraft [906] seiner Vielzünftigkeit, wird Ratsherr und zuletzt Oberstzunftmeister. Und nun sollen zu diesem mühsam erarbeiteten Reichtum auch Glanz und Hoheit kommen. Hans Ulrich, des Hans Sohn, ist auf dem Weg, ein Geistlicher zu werden; da nimmt ihn der Vater aus der Schule und kauft ihm einen Hengst, damit er ein Ritter werde. Aber das Krämerblut ist im Jungen mächtiger; er betreibt mit dem Roß einen Holzhandel. Nun führt ihn der Vater zu den „mutwilligen Gassenjunkern“, unter deren Anleitung er bei Wein Spiel und Dirnen die edle Lebensart lernen soll. Auch das ist dem Hans Ulrich zuwider, und auch der vom Vater ihm aufgezwungenen Ehe mit Katharina Bischoff entzieht er sich. Aus Überdruß wird er liederlich und schlecht und kommt ins Gefängnis; zuletzt ist er Trabant des Grafen Heinrich von Fürstenberg und findet neben ihm den Tod auf dem Dornacher Schlachtfelde, wird von den Schweizern „ritter-zu-tot“ geschlagen, 1499.

In solchen Figuren tritt uns dieser Kreis nahe. Durchweg empfinden wir das Unbestimmte und Unklare seines durch so verschiedene Tendenzen erregten Wesens. Vom Einen kann er als reiche und starke Zünftlergesellschaft, vom Andern als eine Geldaristokratie, als ein neues Patriziat, als ein der Zeit gemäßer Erbe der Hohen Stube gewertet werden. Dem entspricht aber auch der Spott wie der Unwille, dem er von beiden Seiten her ausgesetzt ist. Mit aller Bestimmtheit lehnt Peter von Andlau die Möglichkeit einer Nobilitierung von Handeltreibenden ab, während Sebastian Brant sich über Den lustig macht, der Bürger und Kaufmann ist, aber adlig und der Ritter Genosse sein möchte. Weil die Achtbürger turnieren, gelüstet auch den reichen Zünftler nach diesem Vergnügen, und es kann zu Szenen kommen gleich jener widerlichen, da der Löwenwirt Rieher und der Tuchmann Hans von Landau ein Lanzenrennen auf dem Münsterplatze veranstalten, aber dabei bald aus der Rolle fallen und statt des Turnierens eine ordinäre Rauferei zum Besten geben; sie fassen einander am Kragen und wollen sich aus den Sätteln ziehen, die Rosse werden scheu, brechen in die Zuschauer und treten da einen armen alten Pfründer zu Tode.


In der Gesamtheit der Städter machen sich neben Adligen Achtbürgern Kaufherren und über die mächtige Zunftgemeinde hinaus noch die Zunftlosen geltend. Und jetzt gerade noch mehr als früher.

Wie Alles lebendiger beachtet und gewertet zu sein und stärker zu wirken scheint, so auch die Situation Basels. „An den Grenzen Deutschlands Burgunds Frankreichs Savoyens und Italiens ist die Stadt gelegen“, heißt es bei der Gründung ihrer Universität. Mitten in der Welt [907] und aller Welt geöffnet. Die Humanisten preisen sie. Der Florentiner Diplomat Ugolini bewundert die Trefflichkeit ihrer Lage und ihrer Verbindungen. Ihr Ruhm ist unverkennbar gesteigert, und jedes hier gedruckte Buch trägt ihn neu in die Weite hinaus.

Aber auch die allgemeine Erregung, die unverkennbar größere Beweglichkeit aller Welt werden hier spürbar. Wie die Durchwanderung stärker und mannigfaltiger wird, so auch die Zuwanderung; sie wächst nicht allein numerisch, sondern ist auch qualitativ gehoben. Als junge Kraft eigentümlichster Art ist hiebei die Universität wirksam. Seit 1460 entsteht durch sie inmitten des alten Basel ein neues, bildet sich eine frische Schicht der Einwohnerschaft, sowohl hoher als niederer, sowohl flottanter als dauernder Art; jedenfalls aber neben der alle Welt kennenden Kaufmannsgesellschaft eine zweite, in höherm Sinn internationale Gesellschaft.

Von der Wichtigkeit der Fremden für die städtische Kultur war schon wiederholt zu reden. Wir beschränken uns hier darauf, die verschiedenen Influenzen dieser Art zu nennen.

Die französische zumal, die hauptsächlich im Bereiche des Adels und der großen Kaufleute fühlbar ist; aber auch Cluny, sodann die Universitäten Paris Orléans Dôle usw. wirken mit Macht herüber, und in andrer Weise wieder vertreten heimkehrende Söldner oder Männer wie Thomas Basin 1468 und die vornehmen Exulanten aus der Freigrafschaft 1479 das wälsche Wesen.

Der Einwanderung aus Schwaben, von der auch der Predigermönch Fabri redet, werden wir in lebendigen Einzelfiguren gewahr beim Hofgerichte sowie in der städtischen Kanzlei, in überraschend reichen Scharen sodann bei den Gewerben der Goldschmiede Maler u. dgl.

Endlich Italien mit unvergänglichen Gaben. Wie es Lehre und Anregung der verschiedensten Art bringt, zeigen der Basler Handel und die Basler Wissenschaft, vergegenwärtigen überdies hier am Orte selbst der Florentiner Lampertus Bernardi de Lamperteschis und der Neapolitaner Lodovico Cescases.

Aber mit der Erwähnung solcher Einzelheiten kann die Bedeutung der Gesamteinwirkung des Auslandes auf die Stadt nur angedeutet werden. Auch haben wir uns dabei stets dessen zu erinnern, welche Grenzen Basel selbst solcher Einwirkung setzte. Wie es aller Macht und Menge des die Stadt durchflutenden Weltverkehrs gegenüber das Eigenste seiner Art doch stets unberührt erhielt. Aber auch wie es, durch keinerlei wälsche Influenz bestimmbar, sich immerfort als Grenzposten deutschen Wesens fühlte. Wir lassen das Eine wie das Andre gelten und haben gleichwohl festzustellen, [908] daß die geistige und künstlerische Größe Basels in diesen wunderbaren Jahrzehnten zum guten Teil auf Leistungen von Eingewanderten, nicht von Autochthonen ruhte. Ganz universaler Art war die Kraft der Zeit, die auf Basel eindrang und diese kleine örtliche Existenz an jedem Punkt ihres Gefüges traf.


Ein Basler, der nach langem Fernesein jetzt zurückkehrte, fand eine veränderte Heimat. Was Valerius Anshelm später in der Eidgenossenschaft wahrnahm, die Fülle neuer Sitten und Bräuche, zeigte sich in Basel schon jetzt.

Die Bevölkerung, die Gasse, das Haus dieser Zeit stehen in den Bildern der Bergmanschen Publikationen — Ritter vom Turn Narrenschiff — und in den Zeichnungen zum Terenz vor uns. Reicher mannigfaltiger in vielen schriftlichen Zeugnissen. Wir sehen das gesamte Dasein, gehoben und gesteigert, mächtiger und bewegter als je, aber auch komplizierter und unstäter; einem verfeinerten Empfinden entsprechen stärkere Wünsche und Bedürfnisse.

Enea Silvio hat einst mit Verwunderung die ernste Schlichtheit im Auftreten der Basler kennen gelernt. Nur wenige Adlige hat er in Farben gehen sehen; auch an den Frauen ist ihm keine andre Eitelkeit begegnet, als die Sorge für Fülle des Busens und zierliche Kleinheit der Füße. Jetzt sieht man hier Kleider in leuchtenden Farben, mit eingewirktem oder aufgenähtem Zierrat, üppig in Form und Schnitt; allenthalben Silber Gold Perlen und Schmuck jeder Art, kostbares Pelzwerk, Seide Samt usw. Pellikan erzählt, daß diese Moden aus der Fremde hereingekommen seien; bald ist es die burgundische Tracht, bald eine andre; die jungen Murer brüsten sich in „ungrischen kleidern“, u. s. f. Während der Rat in seinen Mandaten solche Pracht verbietet, Brant und Geiler die Ziernarren und Spiegelnarren und weibischen Männer verspotten, haben die Schneider unaufhörlich für diese zu arbeiten; Barettmacher und Hosenstricker werden zu vielbeschäftigten Handwerkern; bis ins Kleine hinab dringen die Neuerungen; unter den Geräten des Komforts, die sich erst seit dieser Zeit in den Inventaren zeigen, sind auch Pantoffeln und Kleiderbürsten.

Anschaulich legen überhaupt diese Inventare die Dinge vor uns hin und geben die Möglichkeit des Vergleichens mit früheren Zeiten. Die Stelle der alten großen Behänge, der Teppiche und Banktücher ist nun eingenommen durch zahlreiche kleinere Stücke. Die Wände sind geschmückt mit Gemälden Kalendern Spiegeln. Trinkgläser kommen auf; der alte Reichtum [909] an Silbergeschirr ist zu verschwenderischer Fülle geworden. Auch der kleine Bürger, der einsame Kaplan besitzen zuweilen ganze Reihen von Schalen Bechern usw.

Auffallend in den neuen Hausratverzeichnissen ist die große Zahl einzelner Stücke, das Vielerlei und die Spezialisierung. Wie mächtig ist aber der Hintergrund all des häuslichen Tandes. Dieser steht neben dem jetzt jede Kirche und Kapelle bis zum Übermaß füllenden Zierrat, neben der gleichfalls jetzt und in erster Linie von Basel aus in alle Lande gehenden Fülle von Holzschnitten Kupferstichen usw., neben den unvergleichbaren Werken einer hohen und neugearteten Kunst. Überall sehen wir die Wirkungen einer betriebsamen Tätigkeit in Handel und Gewerbe, den verbreiteten Wohlstand, das Behagen, die Üppigkeit. Die von Verlangen aller Art und von hoher Kraft erfüllte Zeit weckt immer neue Bedürfnisse, steigert unaufhörlich Empfinden und Fähigkeit.

Wie könnte hier von jeder Einzelheit dieser Lebensfülle geredet werden? Sie umfaßt das Höchste und das Niederste.

Es ist auch die Zeit starker Blüte des Gewürzhandels, und die Basler Spezierer, die sich rühmen, auf allen Märkten der Welt nur das Beste zu kaufen und die höchsten Preise zu zahlen, erziehen durch ihren Import Mode und Bedürfnis. Zwar die Feigen, die Meertrauben, der Konfekt aus Pfirsichkernen, mit denen Bischof Johann beschenkt wird, mögen schon alte Bekannte sein. Aber zum ersten Mal ist dabei von Pomeranzen die Rede. Jetzt kommt auch der Reis auf die Tische; mit seinem Import aus der Lombardei bereichern sich die Irmi. Daneben wird der Zucker genannt, immer noch als Seltenheit; gleich dem Malvasier ein Genuß, den sich nur Wenige gönnen dürfen. Die Karthäuser werden in der Aderlaßzeit durch gute Freunde mit diesen Delikatessen getröstet; sie gehören auch zu den Promotionsgebühren der theologischen Fakultät.

Außer dem Malvasier finden nun noch andre wälsche Weine Aufnahme: Zitwin Veltliner Lurer usw. Der Rat regelt ihren Ausschank und ihre Verungeltung, und neben diese südlichen Novitäten tritt jetzt als Import aus dem Norden das Bier. 1488 wird es hier heimisch mit dem Bierbrauer Hans Berwanger von Speyer, und 1491 tritt in die Gartnernzunft der Bierbrauer Adam Zeller. Vorerst scheint der Rat dieses neue Getränk noch nicht sehr ernst zu nehmen; im März 1490 beschließt er, einstweilen keine Steuer davon zu erheben, sondern „hin lan triben, denn man versehe sich eins guten herpst, gott well es war machen, amen.“ Aber im Jahre darauf schon, offenbar bei wachsendem Bierkonsum, ist er andrer [910] Meinung und findet gut, auch das Bier zu versiegeln und zu besteuern. Von da an ist das Bierungeld eine regelmäßige Einnahme der Stadt.

Wie sehr die ganze Lebenshaltung sich hebt, werden wir auf jedem Gebiet inne. Das Alte befriedigt nicht mehr durch seine Ehrwürdigkeit. So richten sich z. B. die Zünfte auf neuem Fuß ein. In den Speisezetteln ihrer Mahlzeiten stellen sie zum Derben und Massigen nun auch das Leckere Feine; sie mehren ihre Silberkammern durch die Festsetzung eines Obligatoriums für Sechserbecher und lassen einzelne ihrer alten Hauptstücke durch Vergoldung und Schmelzwerk schöner machen; dem Schlüssel muß der erste Architekt Basels einen Prunkbau aufführen; in den 1450er Jahren wenden die Schmiede große Summen auf ihr Zunfthaus.

Auch in der außerordentlichen Stärke kirchlicher Bau- und Dekorationstätigkeit dieser Jahrzehnte wirken nicht nur Devotion sowie kirchliches Machtgefühl; es treiben auch der Wunsch, Andre zu übertreffen, und das allgemeine Verlangen nach Schönheit Form und Pracht.

Gerne wüßten wir auch vom Privatbau Bestimmtes. Der Engelhof Eberlers und die Arrondierung der Pfauenliegenschaft durch Zscheckabürlin zeigen, was auf diesem Gebiete geschieht. Für das Verfahren des Zusammenlegens und einheitlichen Überbauens einer Mehrzahl von Hausstellen finden sich zahlreiche Beispiele, frappant namentlich am Nadelberg und an der Untern Freiestraße. Das Bedürfnis neuer schöner Räume, dazu oft auch der Wunsch, sich einen Namen zu machen, beherrschen den Bauherrn, und der Hohn Geilers über die Baunarren, deren Narrheit das edificare multa magna sumptuosa delectabilia ist, trifft auch die Basler. Von der oft glänzenden Ausstattung dieser Räume zeugen die Teilrödel, die schon erwähnten Inventare u. dgl. m.; die privaten Badstuben, die Hauskapellen und die Hausaltäre, von denen jetzt hie und da die Rede ist, sind vielleicht ein neuer Brauch. Draußen vor der Stadt aber gesellt sich nun der Burg und dem Wasserschlosse das behaglichere Landhaus mit der Gartenlust.

Zu den neuen Schönheiten des Lebens scheint auch die Musik zu gehören. Doch handelt es sich hiebei für uns nicht um die alte Berufsmusik der Spielleute und der vornehmern Virtuosen, sondern um das dilettantische Musizieren. In diesem Bereich ist die völlig freie Freude und Arbeit im Spiele des Einzelnen wie in der gemeinsamen Hausmusik eine neue Kraft persönlicher Kultur. Während der Dominikaner Stefan Irmi und der Minorit Franz Wiler Musiktheorie treiben und an der Universität Michael Kainspeck aus Nürnberg, dann Balthasar Prasperg aus Meersburg Musik dozieren und Kompendien veröffentlichen, spielen zu [911] St. Peter die Chorherren Augustin Alantsee die Laute und Diebold Westhofer die Pfeife, zu St. Alban aber der Leutpriester Meyer das Trumscheit. Jetzt bläst Hans Bernhard von Eptingen die Doppelflöte, und der Maler Antoni bringt seiner Schönen eine Serenade auf dem Hackbrett. Dieselbe Zeit, in der auch die Kirche das Musizieren stärker betreibt, Gesangbücher drucken läßt und neue Orgeln aufstellt, zeigt uns in zahlreichen Inventaren das musikalische Leben des Bürgerhauses; dessen Instrumente sind Laute Pfeife Harfe Portativorgel Clavicord usw.

Es sind dies lauter kleine und vereinzelte Nachrichten. Aber sie bezeugen eine private persönliche Musikliebhaberei. Sie erinnern an die allgemeine geistige Entwickelung, die uns jetzt immer deutlicher und ausgedehnter eine Laienbildung erkennen läßt.


Dieselbe Kraft, die in solcher Weise Lebensstimmung und Lebensführung umzugestalten vermag, ist vor unsern erstaunten Augen auch sonst überall am Werke: im individualistischen Wesen der Kaufherrei, der Handelsgesellschaft, der Monopole, das sich den Massenordnungen von Stadt- und Zunftwirtschaft gegenüberstellt; ebenso in einem neuen Regierungsgefühl, in sozialen Bewegungen, im Verhältnis zu kirchlicher Macht und Lehre, in einer veränderten Wertung und Richtung der bildenden Kunst. Bedeutsam insbesondere, zugleich mit dem Verjüngen gelehrten Wesens und höherer Geistigkeit, in der Steigerung des Bildungsbedürfnisses überhaupt.

Hiebei kommt wieder die damals entstehende Buchdruckkunst und ihr ungeheurer Einfluß auf Menschen und Institutionen in Betracht. In einer bis dahin unmöglich gewesenen Weise kann jetzt der Einzelne auf die Gesamtheit einwirken; zum Prediger Volksredner Anführer treten der Dichter, der gelehrte und der populäre Schriftsteller. Ihre persönliche Macht in Wissen und Können, Zahllose zugleich ergreifend, ist im Stande, neue Elemente der Bildung, neue Erkenntnisse und Anschauungen zu verbreiten.

Der Zustand einer verbreiteteren Bildung aber, zu dessen Schaffung eben diese Buchdruckkunst so wesentlich mithilft, hat hier seine eigenartige Umgebung. Indem jene gedruckten Werke den Namen Basels weit hinaustragen, erinnern sie wieder an die Überlegenheit der Gelehrtenstadt Basel. Die Universitäten Heidelberg Freiburg Tübingen mochten durch Fürsten gestützt sein; aber ihnen fehlte die Kraft und Fülle eines sie umgebenden großen städtischen Lebens und fehlte überdies ein entwickeltes Buchdruckergewerbe. Straßburg Augsburg Nürnberg hatten ihre Patrizier und ihre Pressen, aber keine Universität. Basel kombinierte Alles.

[912] Wir tun gut daran, die hohe Bedeutung eines derartigen Zusammentreffens und den Reichtum der nun in Folge hievon beständig eintretenden gegenseitigen Einwirkungen uns so klar als möglich zu machen. Die Gesamtheit des städtischen Daseins ist dadurch merkwürdig gehoben und jedes Ereignis gewinnt in diesem gemeinsamen Spiel der verschiedensten Kräfte sein eigentümliches Leben. Dasselbe mächtige Jahr 1474, das Heynlin Reuchlin Amerbach u. A. von Paris nach Basel bringt, ist auch das Jahr der Kriegserklärung Basels an Herzog Karl von Burgund. So reich an Inhalt und von so starker Gesinnung ist diese Zeit. Und wichtig ist, daß neben der Universität die völlig freie wissenschaftliche Arbeit hier gleichfalls eine ihr vor andern Orten zusagende Stätte findet.

Inmitten einer so glänzenden und hochgestimmten Welt, unaufhörlich berührt durch ihre starken und mannigfaltigen Anregungen, wächst heran, was Laienbildung heißt.

Von den im Gegensatze zum traditionellen Monopol der Kirche sich erhebenden Mächten des weltlichen Gelehrtentums und des gebildeten Laienvolkes beschäftigt uns das letztere.

Schon frühe finden wir auch in Basel die „klugen Laien“ Königshofens. Aber wir vernehmen wenig Bestimmtes von ihnen. Viel mehr als bei der Geistlichkeit tritt bei der Laienbevölkerung, wenn wir deren Bildung zu erkennen wünschen, an Stelle einzelner Äußerungen das große Zeugnis des Tuns und Vollbringens selbst. Wir haben das Dasein der Stadt vor uns und folgen der Entwickelung. Der Gang der Geschichte, die politische Leistung, die künstlerische Produktion, Verkehr und Lebenshaltung überhaupt dokumentieren zur Genüge. In besonderer Weise gibt Aufschluß die Entstehung der nur dem Bildungsbedürfnisse von Laien dienenden Schulen gegen Ende des XIV. Jahrhunderts.

Von da an werden auch die profanen Bildungszustände kenntlicher durchsichtiger. Zahlreiche persönliche Äußerungen geben uns Einblick. Die Zeit stellt immer größere Forderungen an den Einzelnen, die Anregungen mehren sich, und höchst bezeichnend sind die das Entstehen des Universitätsgedankens vorbereitenden Stimmungen. Die Beratungen der Behörden über die Universitätsgründung selbst aber zeigen dann deutlich, wie auch in Laien eine Gesinnung und Kraft moderner Art tätig ist und sich selbstbewußt neben der Kirche für das Zustandekommen der Hohen Schule regt.

Mit der Eröffnung dieser Anstalt beginnen neue Zeiten auch für das außerhalb der Gelehrsamkeit liegende Gebiet. Das Geistige in seiner ewigen Dauer besteht als ein Ehrfurcht Forderndes, als ein Veredelndes fortan [913] mit offizieller Autorität für das ganze Dasein des Gemeinwesens und des Einzelnen. Wir glauben wahrzunehmen, daß die Laienbildung individueller und auch exklusiver wird, daß sie Spezialitäten, persönliche und kritische Richtungen hat.

Es gehört jedenfalls zum guten Ton, bei der Universität der Vaterstadt immatrikuliert zu sein. Man wird deswegen nicht Kleriker, hat auch sonst keine Verpflichtung zur Gelehrsamkeit. Aber man ist gerne Student und erwirbt sich Kenntnisse, die in jedem Berufe zu Statten kommen können. So sehen wir die jungen Waltenheim Spitz Rieher Sürlin VonBrunn Bär usw. auf den akademischen Bänken sitzen. Lauter Söhne der bekannten guten und mächtigen Häuser. „Der wachsende Reichtum des Lebens verlangt auch eine strengere Sorge für die Bildung“. Zum äußern Behagen tritt eine feinere Kultur, die den spezifischen Charakter dieser Kreise tragen mag. Heinrich Zeigler, dessen wichtige Regierungs- und Diplomatentätigkeit ohne gute Bildung, speziell ohne Kenntnis des Italiänischen, aber auch des Lateinischen nicht denkbar ist, hat schon vor Bestehen der Universität die Vorlesungen Peters von Andlau besucht; jetzt 1483 sind seine Söhne immatrikuliert. Balthasar Irmi erwirbt sich den Magistertitel, wird aber Kaufmann und treibt großindustrielle Verlegerei. Wie viel auch muß vorausgehen, damit ein Oberstzunftmeister, Lienhard Grieb, im Jahre 1512, in einem großen und glänzenden Momente, zur Improvisation einer lateinischen Ansprache an den Papst in Rom Namens gesamter Eidgenossenschaft fähig ist. Dieser Grieb, der sich einen akademischen Grad erworben hat, ist zugleich einer der führenden Staatsmänner Basels; die Relationen, die er von seinen Gesandtschaften nach Hause schickt, zeichnen sich schon durch die Handschrift aus, eine ganz individuelle und jedem Kanzleischema ferne Gelehrtenschrift.

Aber diese ausgezeichneteren Erscheinungen sind in einem allgemeinen Zusammenhange zu würdigen. Um die einzelnen, höhere Bildung sich verschaffenden Laien her gelangt eine weite Bevölkerung zu Kenntnissen elementarer Art. Der Bürger muß immer mehr über Kenntnisse gebieten, wenn er im Verkehr und in seinem Gewerbe bestehen will. Daher die starke Vermehrung der Privatschulen. Auch schafft der Buchdruck neben wissenschaftlichen Publikationen eine populäre Literatur sowohl erbaulicher als unterhaltender und unterweisender Art, welche starke Verbreitung findet, und parallel hiemit geht auch eine überaus mannigfaltige Illustration, die in Büchern Bilderbogen Flugblättern unter die Masse kommt; in ihr findet das auf Kunst oder auch nur auf bildliche Anschauung gerichtete allgemeine Verlangen seine Befriedigung. Der gesamte Vorgang ist von höchstem [914] historischem Belange. In ihm lebt die Kraft eines mündig gewordenen, vorwärts drängenden Volkes, die auch in den politischen und sozialen Kämpfen der Zeit sich immer mächtiger ankündigt.

Inmitten dieser allgemeinen Bewegung beschäftigt uns hier das Vorhandensein der ungelehrten, aber mehr als nur elementar gebildeten Einwohner. Es ergibt sich dabei das für die geistige Verfassung der Stadt Wichtige, daß in diesen gebildeten Laien eine neue Schicht entsteht, die durch den geistigen Besitz von den Besitzlosen gesondert, aber mit den gleich Begüterten außerhalb Basels kosmopolitisch verbunden ist. Der gebildete Laie mag aber auch ein Halbgelehrter sein, und welche Bedeutung gerade ein Solcher in diesen Zeiten der Unzufriedenheit und der Umsturztendenzen haben kann, zeigt deutlich die in der nächsten Nähe Basels entstehende Reformschrift des sogenannten oberrheinischen Revolutionärs.

Lebendig dargestellt ist uns der Typus des höher gebildeten Laien, im Komplex einer auch sonst unser Interesse heischenden Persönlichkeit, durch Niklaus Meyer. Dieser hat in seiner Jugend tolle Streiche verübt, später fügt er sich in die Arbeit und den Ernst des Ratsschreiberamtes; er ist reich, er wohnt im vornehmen Quartier; Zeugnis des Luxus, mit dem er sich da umgibt, ist noch heute ein prachtvoller gewirkter Wandbehang. Vor Allem aber wird uns seine Bücherlust nahe gebracht durch schöne Exlibris und durch Stücke der Bibliothek selbst. Es scheint keine Sammlung von der umfassenden und wissenschaftlichen Art etwa der Bibliotheken Gossembrots in Augsburg oder Herman Schedels in Nürnberg gewesen zu sein; bei Meyer finden wir fast allein unterhaltende Literatur. Aber ein moderner, humanistisch gerichteter Sammler und Leser ist er jedenfalls; er besitzt die Historie des Königs Apollonius und Petrarcas Griseldis, beide in der deutschen Übersetzung des Heinrich Steinhöwel; des Enea Silvio Novelle von Euryalus und Lucrecia in der deutschen Übersetzung des Niklaus von Wil; Hans Erhart Tüschs burgundische Historie; 1471 fertigt er sich selbst eine kostbare, reich illustrierte Handschrift mit der Geschichte der schönen Melusine.

Wir vernehmen auch sonst von privaten Bibliotheken. Es geschieht dies viel häufiger als früher, und es zeigen sich uns dabei ein andrer Geschmack, eine andre Vorliebe. Wie im Gebiete der Kirche das Bibliothekswesen systematisch erneuert wird, so beginnt jetzt im Laienhause das Büchersammeln als standesgemäße Form der Beschäftigung mit geistigen Dingen zu gelten. Junker Franz von Leimen besitzt die Geschichte vom trojanischen Kriege; dasselbe Werk findet sich neben den Gesta Romanorum bei Gerhard Mecking. Cäcilia von Eptingen hat das Buch Belial und allerhand gedruckte Lieder, [915] Ulrich Billung die Römergeschichten, den Äsop und die Meerfahrt; da und dort in den guten Häusern liest man den Ritter vom Turn; der uns wohlbekannte Mathis Eberler läßt sich 1464 durch einen Studenten, den Johann Lichtenstein aus München, eine Prachthandschrift der deutschen Bibel anfertigen.

Aber im Anschlusse hieran ist noch Andres zu nennen, das, in seiner Vereinzelung kleinlich erscheinend, doch Teil einer allgemeinen Gedankenwelt ist. Der Söldner Rolinger tauft einen seiner Knaben Patroclus; das Eheweib des Stubenknechts zum Seufzen, Erhärt Wiß, heißt Melusina; unter den Benützern der Karthausbibliothek sind neben Pfarrern Professoren u. dgl. auch Leute wie der Sohn des Bartscherers Kunz und der Tuchhändler Einfältig; Jener entleiht 1483 ein logisches Übungsbuch, Dieser 1487 eine Chronik der Basler Bischöfe u. dgl. m.

Zuweilen mag ja ein eitles Gebildetseinwollen sich breit machen in der Art der durch Brant verspotteten Büchernarren, und auch sonst ist bei der Laienbildung wohl viel Dilettantisches, viel Modewesen. Doch spüren wir auch deutlich die Einwirkungen des Humanismus, und im Allgemeinen lebt hinter allen diesen Bestrebungen unverkennbar etwas Edles und Erlesenes. Jedenfalls hat der ganze Vorgang eine hohe Bedeutung für die Stadt. Nur aus einer solchen, jedem Stande mitteilbaren höhern Gesinnung erwächst die Möglichkeit des Zustandekommens der Universität, nur auf ihr ruht die Alles überdauernde Eigenart und Auszeichnung Basels.


Zu einer Äußerung des neuen Geistes kommt es nun auch in der Geschichtschreibung.

Die Beschäftigung mit städtischer Geschichte ist lange Zeit nur Sache von Klerikern gewesen. Auch die hochbewegten Jahrzehnte zu Beginn des XIV. Jahrhunderts haben keiner lokalen Geschichtschreibung gerufen. Mathias von Neuenburg, der minoritische Chronist, der zu St. Leonhard sitzende Verfasser der oberrheinischen Chronik haben ihre großenteils reichs- und weltgeschichtlichen Bücher nicht aus weltlichen Anschauungen heraus geschrieben, sondern aus solchen des Hochstifts, des Ordens und des Klosters. Auch die verschiedenen annalistischen Darstellungen aus der spätern Zeit des XIV. Jahrhunderts sind gleich dem Alphabet der Erzählungen des Dominikaners Konrad von Waltikofen Werke von Geistlichen. Eine entschieden städtische Geschichtschreibung finden wir nur in Aufzeichnungen der Ratskanzlei, die aber nicht aus dem Streben nach Schaffung eines selbständigen stadtgeschichtlichen Ganzen geschehen, sondern rasche, unmittelbar nach dem [916] Ereignis gegebene Referate sind, in der Absicht einer Ergänzung oder Erläuterung der Akten verfaßt.

Andrer Art ist die spätere Periode. Ihre Geschichtschreibung sucht sich einen neuen Inhalt; an Stelle von Weltchronik u. dgl. tritt die Stadtgeschichte und die Lebensbeschreibung.

Wie beinah Alles, was geistige Tätigkeit in dieser Zeit ist, auf das große Konzilserlebnis zurückweist, so auch die Historiographie. Sie mag noch so befangen sein, so zeigt sie doch eine erst jetzt erwachende Kraft.

Mit Deutlichkeit sehen wir die mächtigen Ereignisse von 1438 und 1439 einen bescheidenen Menschen wie Appenwiler zum Chronisten machen. „Schinder und das Konzilium“ ist auch das große Motiv der jetzt in neuen Formen einsetzenden Kanzleiannalistik; das Gefühl der Erlösung aus Not und Gefahr gibt diesen Schreibern des Rates ein neues Bewußtsein ihrer Aufgabe. Und in derselben Stimmung, durch eine große Zeit aufgerüttelt, schreiben dreißig Jahre später die Kanzelisten Gerhard Mecking seinen Bericht über den Einfall Herzog Karls im Elsaß und Niklaus Rüsch seine Kriegshistorie, damit man des Geschehenen eingedenk sei und aus seiner Kenntnis die zur Überwindung künftiger Irrsale nötige Einsicht gewinne; aus der Vergangenheit soll man lernen, das Bessere zu erwerben und das Ärgere zu vermeiden, „denn by süßem sur und by surem süß erkannt werden mag“.

In gleicher Weise sind unter dem Drange der Zeit auch die frühesten privaten und von Laien geschriebenen Geschichtsbücher entstanden.

Zunächst die Chronik des Bäckermeisters Brüglinger. Inhaltlich von höchstem Werte, die Erzählung ein sorgfältiges Referat; aber ohne Charakteristik einzelner Personen, mit auffallend wenig Raisonnement. Der Wucht und Spannung der geschilderten Ereignisse gegenüber erscheint die ruhige Haltung des Schreibens nur als trocken philiströs.

Aber in denselben belebten Zeiten entstehen auch die beiden bedeutenden Werke, die als Chronik Henman Offenburgs und als anonyme Chronik von 1445 bekannt sind. Bis in die letzte Silbe ist Offenburgs Buch erfüllt von Eigenart. Dieser Autor steht lebendig und kräftig über seinem Stoff und interessiert durch sich selbst. Nichts Edles und nichts Großes zeigt sich uns dabei, aber etwas ganz und gar Echtes; um des Zweckes der Selbstapologie willen ist das Buch so persönlich gehalten, ist es so vibrierend von Leidenschaft, daß es nicht allein die schreibenden Mitbürger insgesamt beschämt, sondern in der nordischen Geschichtsliteratur jener Zeit überhaupt Wenig seines Gleichen hat.

[917] Nahe bei Offenburg steht der Verfasser der Aufzeichnungen von 1445, wohl einer der damals aus dem Rate gestoßenen Herren selbst. Nur ist das Werk nicht auch als Plaidoyer gedacht. Es will nur die von Haß und Gewalt erfüllte Episode als ein interessantes Erlebnis für die Erinnerung festhalten, und dies vollbringt der Autor mit einer stolzen, jede heftige Äußerung verachtenden Ruhe, die gerade deswegen von starker Wirkung ist.

Wie diese beiden Patrizier auf ausgezeichnete Weise, so bringen andre bürgerliche Historiker mit viel schwächeren Kräften und im Einzelnen sehr verschieden doch als Gesamtheit die in diesen Kreisen vorhandenen Interessen und Fähigkeiten zur Geltung: Heinrich Sinner, Ludwig Kilchman, der zur Schneidernzunft gehörende Annalist.

Das Alles ist jetzt Laienliteratur. Aber dieser tritt noch einmal die alte Gattung in einer Gruppe klerikaler Geschichtschreiber gegenüber.

Zwei Chroniken hat Heinrich von Beinheim hinterlassen: seine Bischofschronik als ein einheitlich geschaffenes, retrospektives Werk, in der Hauptsache eine auf Form und Komposition verzichtende Notizenarbeit; die Stadtchronik ist nur zerfetzt und verdorben erhalten, sodaß ein Urteil unmöglich ist.

Knebels Diarium sodann, dessen hoher Quellenwert schon gewürdigt worden ist, stellt sich hier zum Vergleiche mit der Chronik Appenwilers. Wie verschieden sind diese Domkapläne als Autoren, sowohl in der Auffassung ihrer Aufgabe als in der Kraft der Ausführung. Während Appenwiler sich als Annalist bescheidet und Alles wegläßt, was nicht unter Jahr Monat Tag unterzubringen ist, tritt Knebel durchweg als der gewandte, um Mittel nicht verlegene Schreiber auf. Er ist auch der bessere Lateiner, der gebildete Notar; in die Massen der Geschichtserzählung mischt er kleine Bilder individuellen Wesens.

Knebel und Appenwiler sind auch als Kleriker gut städtisch gesinnt und schreiben Stadtgeschichte. Zum Unterschiede von Blauenstein, der nichts Anderes sein will als bischöflicher Hofchronist. Bei ihm aber ist aufschlußreich für den Wandel geschichtlicher Auffassung das Übergehen von der Fortsetzung der Weltchronik zu lokalgeschichtlichen Aufzeichnungen, namentlich aber zu einer Bischofschronik; in dieser vermag der Autor lebendige Porträts einzelner Fürsten zu zeichnen.

Endlich die Karthäuserchronik des Heinrich Arnolds, eine nach dem Rücktritte vom Priorat geschriebene Altersarbeit. Auch sie ist, gleich den Werken des Cäsarius von Heisterbach, des Thomas von Kempen und andrer Mönche in Dialogform gehalten; der Einsame Schweigende konstruiert sich die Gegenwart eines Andern und die Unterhaltung mit diesem. Bei aller [918] wortseligen Weitschweifigkeit ist der ganze Bericht völlig eingeschränkt auf die Geschichte des Klosters, ohne jede Beachtung von Ereignissen der Außenwelt und ohne irgend etwas Selbstbiographisches. Aber solchergestalt umgrenzt, dazu ausgezeichnet durch Einheitlichkeit des Stiles, gibt er ein unvergleichliches Bild von klösterlicher Existenz.

Das Ganze dieser Geschichtschreibung ist in Tendenz und Ausführung unverkennbar etwas Neues. Freilich mit starken Beschränkungen. Nehmen wir den einen Offenburg, zum Teil auch Knebel aus, so erscheinen diese Basler Chronisten, so sehr sie die alten Annalisten übertreffen mögen, in ihrer Gesamtheit noch recht befangen. Die Eigenart des Ortes, die Keinen frei gibt, bezwingt auch den Autor. Nüchtern und reserviert schreiben diese Chronisten im Vergleiche mit denen anderer Städte. Ihre Auffassung vom Wissenswerten in der Geschichte ist enge. Was interessiert sie? Kaum Einer erwähnt die Gründung der Universität, Keiner redet von Gelehrten, von merkantilen Verhältnissen, von den Anfängen des Buchdrucks. So wenig sind diese Bürger und Kapläne zu einer Repräsentanz ihrer Zeit berufen.


Endlich aber offenbaren sich Art und Kraft der Epoche auch in den öffentlichen Zuständen. Der neue Geist schafft ein neues Regierungsgefühl, eine neue Anschauung bei der Administration der städtischen Dinge.

In der Zeit, da überall in den Territorien sich die Souveränitäten gestalten, kleinere Herrschaften in größeren aufgehen, Erbgesetze und Verträge für Unteilbarkeit der Lande sorgen, tut auch unsere Stadt einen Schritt vorwärts.

Basels Politik hat jetzt einen neuen Ton. Der große Kampf der 1440er Jahre, die zahllosen Fehden, die gewaltigen Burgunderkriege erziehen das Selbstgefühl des Gemeinwesens; in den Anstrengungen, mit denen Rat und Bürgerschaft sich der Bischöfe, der Tiersteiner, der Solothurner und Anderer zu erwehren haben, wächst der Begriff „städtisch“ zu etwas Eigenem. Er macht sich auch gegenüber der Kirche geltend. Und hiezu tritt nun die umfassende Einwirkung der überall und auf jedem Gebiete des Lebens tätigen frischen Gedanken und Kräfte. Was der Einzelne bei seinem Gewerbe, in seinem Verkehre, auf seinen Reisen an solcher Neuheit erfährt oder erlebt oder lernt, kann er hier in die Behandlung der öffentlichen Dinge mitbringen. Wie der Einzelne aber wird auch die Behörde dazu geführt, ihrer selbst bewußt zu werden, sich auf ihr Wesen zu besinnen; auffallend ist, wie jetzt wiederholt Reflexionen des Rates über seine Pflicht und Aufgabe in ganz offizieller Weise laut werden.

[919] Auf solchen Wegen bilden sich neue Staatsgedanken, kommt es zu einer Ausgestaltung des Regimentes. Zum Erlangen der Selbständigkeit tritt der Erwerb von Territorien so gut wie von Gescheiden und Meieramt, tritt die Ausbildung des Stadtrechtes, die Organisation des Stadtgerichtes, die Schaffung einer städtischen Appellationsinstanz. In diesem Allem lebt derselbe Geist eines Stadtwesens, das sich als Persönlichkeit fühlt und als solche auch gelten will. Das große Antwerpner Privileg von 1488 mit seiner Anerkennung von Steuerrecht und Gesetzgebungsrecht des Rates gibt das Wesentliche in aller Kürze. Wir sehen ein straffes Zusammenfassen der öffentlichen Gewalt; bis in alle Möglichkeiten hinein wird es praktisch wirksam, und gelegentlich, in den Akten des Kampfes mit den Bischöfen, findet es auch eine theoretische Begründung.

Der Begriff der öffentlichen Institution, der Beamtung hat sich der frühern Auffassung von nutzbaren, dem Vorteile des Inhabers gewidmeten Rechten gegenüber durchaus gewandelt; in entsprechender Weise ist die Haltung der Behörden überhaupt eine andere; ein fester geordnetes Verwaltungswesen mit Scheidung der Kompetenzen, Abstufung der Ämter nach Wichtigkeit und Ansehen, Sonderung von Behörden und Beamten usw. wird geschaffen.

Am erkennbarsten wird uns dies bei der Kanzlei. Bestand und Name ihrer verschiedenen Beamtungen sind konsolidiert. Die Reihe der in diesen Jahren neu angelegten Ratsbücher (Spruchbuch 1462, Stadtfriedensbuch 1480, Erkantnisbuch 1482, Bürgerrechtsgebührenbuch 1486 usw.) zeigt das Wachsen von Präzision in der Geschäftsverteilung und Protokollierung. Das Archiv wird in gründliche Pflege genommen. Mit der allgemeinen Entwickelung des schriftlichen Ausdruckes hält der Kanzleistil Schritt. Nicht nur die zunehmende Lust an breiterer Form ist zeitgemäß, sondern auch das Finden neuer Worte, die logische Schärfung der Sprache, ja sogar eine offizielle Wohlgezogenheit und Würde, die das Vulgäre zu vermeiden sucht. Aber auch das Humanistenlatein dringt in das offizielle Schriftwesen ein, und neben der neuen Sprache meldet sich auch schon eine höhere Bildung. 1439 ruft der Ratsbuchchronist dem Zeugnis des „weisen Meisters Cato“, und wie Johann Gerster einem Freund in der kaiserlichen Kanzlei schreibt, zitiert er den Cicero und nennt sich selbst den Pylades des Adressaten.

Es ist begreiflich, daß wir jetzt auch von einer städtischen Bibliothek vernehmen. 1458 unterhielt man sich im Rathause von einigen „alten Chroniken dieser Stadt“ und wünschte sie zu haben; den Ort der einen sollte Herr Kaplan Schlatter wissen, die andre sollte in einem Frauenkloster [920] zwischen Bern und Solothurn liegen. Handelte es sich hiebei um historische Interessen, so bei dem Buche nova practica, das der Rat 1454 schreiben und einbinden ließ, um Formular- oder Nachschlagebedürfnisse der Kanzlei. Außerdem beschäftigten natürlich die Schriften des Basler Konzils den Rat schon frühe. 1454 kaufte er einen Traktat des Enea Silvio über das Konzil, wobei wohl hauptsächlich das Konzil, aber auch der Autor der Schrift als ein Freund der Stadt und als moderner Stilmeister in Betracht kam. Auch 1469 suchte der Rat nach einem Konziliumbuch, das irgendwo verborgen liegen sollte, und 1472 kaufte er „etwas gesta von unserm concilium geschriben, so papa Pius von der statt Basel gemacht hat.“ Dazwischen fiel das Legat, durch das Johann von Segovia fünf Bände seiner Werke, darunter die Geschichte des Basler Konzils, dem Rate vermachte; im Dezember 1458 trafen diese Bücher in Basel ein; hauptsächlich auf sie beziehen sich dann jene wiederholten Einträge im Ratsbuche, die den bei den Barfüßern verwahrten Büchern gelten und die Frage behandeln, ob sie nicht ins Kollegiengebäude verbracht werden sollen.

Von der amtlich im Rathause betriebenen Historiographie ist schon die Rede gewesen. Zu ihr gehört, als ein durchaus modernes Produkt, auch die in den 1470er Jahren, gleichfalls bei der Kanzlei, entstandene Abhandlung über Ursprung und Name Basels; sie findet die Anfänge der Stadt bei den Römern.


Wichtig ist nun aber die gleichzeitige Erweiterung des städtischen Regierungswesens. Zur innern Festigung und Zusammenfassung tritt ein Begriff von Obrigkeit, der neue Gebiete verlangt und neue Grenzen steckt.

Zunächst ergeht sich diese Auffassung in einer intensiven Sittenpolizei.

Neben den kirchlichen Geboten hatten sich bis dahin die weltlichen Verordnungen im Wesentlichen auf den Bereich des Stadtfriedens beschränkt. Dann brachte das Konzil neue Zustände und andre Anschauungen. Unter seinem Einflusse, unter der Wirkung des auf Reform von Kirche und Menschheit dringenden Geistes überhaupt, berührt von der allgemeinen Entwickelung — wobei auch an die von Handwerk und Zünften herkommende strengere Auffassung der Ehrbarkeit zu denken ist —, gelangen jetzt Stadtbehörde und Stadtrecht zu neuen Begriffen. Wie die allgemeine Tendenz der kirchlichen Regeneration Forderungen stellt, so vertieft sich auch der Beruf der weltlichen Gewalt, und diese schafft Ordnungen, die über das Bisherige hinaus gehen, im Sinne sowohl einer ernstern Sittlichkeit [921] als einer stärkern Bezwingung des Individuums durch die öffentliche Macht. In einer merkwürdigen Äußerung bezeichnet damals der Rat selbst als Hauptaufgabe seines Regimentes, Gottes Ehre zu fördern und aller Unbill und groben Sünde zu begegnen.

Deutlich zeigt sich dieser Geist zuerst in den städtischen Luxusgesetzen 1439 f. Sie regeln die Gesellschafts- und Familiensitten der Beschenkung Bewirtung usw. bei Bestattungen. Durchweg im Sinne der Einschränkung, mit Aufhebung der bisherigen Freiheit, die zu Mißbrauch und Verschwendung geworden. Das dabei deutlich ausgesprochene Motiv des Rates ist, daß in dieser Zeit großen Sterbens viele Fremde wegen der beträchtlichen Ehrenausgaben die Stadt verlassen möchten; um dies zu hindern, dringt er auf Einfachheit. Aber daß seine Tendenz mehr bedeutet als nur ein Berücksichtigen solcher Zufälligkeiten des Momentes, zeigen die sofort folgenden Verordnungen; sie wollen auch bei Brautgastierungen auf den Stuben, beim ersten Kirchgang der Wöchnerin, bei Taufen usw. keinen Aufwand mehr sehen. Mit Erlassen von 1456 und 1462 sodann richtet sich der Rat gegen unziemliche Kleider, lange Schnäbel an den Schuhen, Tragen silbernen Schmuckes u. dgl. m.

Gotteslästerung ist bisher von der weltlichen Gewalt nur beachtet und bestraft worden in den Fällen jener „ungewöhnlichen“ Schwüre, die das Leistungsbuch mit so bemerkenswerter Sorgfalt aufzeichnet, bei jenem sinnlosen und ungezügelten Heraussprudeln alles Lästerlichen und Schmutzigen, das gerade auf die Zunge kommt. Jetzt wird Schwören und Fluchen überhaupt zum Delikte des Stadtrechtes, das der Rat verfolgt, unter Aufstellung einer amtlichen Rügepflicht für seine Mitglieder, für die Sechser, für Stubenmeister Stubenknechte usw. Mit feierlichem Ernste warnt er sein Volk vor allem Schmähen Gottes und der Heiligen.

Es ist derselbe Rat, der 1451 auch eine allgemeine Bußprozession anordnet, der 1455 durch öffentlichen Ruf von der Rathaustreppe herab darauf hinweist, wie der Menschen tröstlichste Zuversicht und ewige Seligkeit nur zu erlangen seien durch Beugung unter die göttlichen Gebote, und wie Gott, weil diese Gebote nicht gehalten werden, nicht nur seine geheimen Strafen verhänge, sondern jetzt auch die offenbaren Plagen der Epidemie, des Krieges, der Teurung, des Frostes und Mißwachses. So kommt der Rat auch zum Verlangen, daß die Klosterreformation fortgesetzt und der aus solchem Beginnen für die Stadt sich ergebende Trost und Segen gemehrt werde; so zum wiederholten Beschlusse, „Gottes Ehre zu fördern“, insbesondere zum Gebot ernsterer Begehung der Feiertage. In seinen Erlassen von 1455, [922] 1456, 1457, 1466, 1467, 1469 befiehlt er, an solchen Tagen jede unnötige Arbeit Gewerbe und Kaufmannschaft zu unterlassen. Auch Lebensmittel, auch Wein, auch Lebkuchen und Gremperwaren dürfen an diesen heiligen Tagen weder zu Markte noch zu Laden feilgeboten werden; der Rat trifft Abreden mit dem Bischof, daß die alten Jahrmärkte der Marienfeste an Werktagen stattfinden; Vogeljagd ist Feiertags verboten; am Karsamstag soll sich der Rat ohne das Geläute versammeln u. dgl. m.

Dieselbe Strenge erhebt sich nun auch gegen die geschlechtliche Ungebundenheit.

Die Rechtsfolgen solcher Verhältnisse sind schon bisher klar geordnet gewesen. Der unehelich Geborene kann eine Zunft haben, aber in der Zunft nicht Sechser werden; sein Nachlaß fällt an die Stadt. Mit Österreich und mit dem Bischof schließt Basel 1468 Verträge, wonach beim Tod eines Unehelichen dessen Gut demjenigen Herrn werden soll, in dessen Gebiet er gestorben ist.

Auch dafür hat der Rat schon frühe gesorgt, daß Recht und Ruhe der Einzelnen und die öffentliche Ordnung durch diese Dinge möglichst wenig beeinträchtigt werden. Er anerkennt die das Unzuchtgewerbe treibenden Dirnen als eine Klasse der städtischen Gesellschaft, verweist sie aber an abgelegene Plätze in die Vorstädte. Da sollen die Dirnen, die „fahrenden Töchter“, „hübschen Frauen“ für sich allein oder in einem der Frauenhäuser beisammen wohnen. Diese Bordelle, „zu Vermeidung mehrern Übels“ und zu Schutz der ehrbaren Frauen geschaffen, befinden sich bei Bösingers oder Rintschuchs Turm (in der Gegend der Kornhausgasse), auf der Lys (beim Leonhardsgraben), in der Neuen Vorstadt und in der Malzgasse. Der Rat hält sie unter Aufsicht und verpachtet sie, wofür jeder Frauenwirt dem Obersten Knecht ein Paar Hosen und auf Neujahr einen Lebkuchen zu entrichten hat. Auch den baulichen Unterhalt bestreitet die Stadt. Wenn das Bedürfnis zunimmt, vermehrt sie die Zahl dieser Häuser, so 1432 wegen des Konzils, 1459 wegen der Universität. Alle „offenbaren“ Dirnen sind durch ihre Tracht kenntlich gemacht; sie dürfen nicht herumziehen und sich nicht in der innern Stadt in Wirtshäusern usw. aufhalten; dafür haben sie das vom Stadtrecht geschützte Monopol ihres Gewerbes und können als Genossenschaft unter ihrem Panner gegenüber den nicht privilegierten Dirnen einschreiten. Auch gegen Ausbeutung durch ihre Dienstherren und durch Zuhälter, die Riffiane, sind sie geschützt.

Während die Kirche von jeher alle Unsittlichkeit rügt und nicht nur Kleriker, sondern auch Laien wegen Hurerei zur Verantwortung zieht und [923] büßt, wird die weltliche Gewalt erst seit den Konzilsjahren für diese ihr bisher gleichgültig gewesenen Dinge empfindlich.

Zunächst wendet sie sich gegen Konkubinat und gegen Ehebruch. Das Zusammenwohnen Lediger, das „öffentlich bei der Unehe Sitzen“ soll nicht mehr geduldet werden. Ebenso bedroht 1441 der Rat den Ehebrecher mit Verbannung, und 1457 unterwirft er den Ehebruch ausdrücklich der städtischen Judikatur und bestellt eine Aufsichts- und Strafbehörde von drei Herren, gibt dieser auch als spezielle Polizeimannschaft die Knechte über den Ehebruch bei; der Ehebrecher soll mit Geldbuße belegt oder je nach Größe des Frevels an Leib und Gut gestraft, die Ehebrecherin aus der Stadt gewiesen werden. Der Rat nimmt damit ein Stück geistlicher Gerichtsbarkeit auch für sich in Anspruch, fertigt aber die deswegen erhobenen Beschwerden der Bischöfe Johann und Caspar 1466 und 1481 mit der allgemeinen Entgegnung ab, er beabsichtige nicht, dem Bischof Eintrag zu tun; aber der gemeine Ruf und die Klagen der Prediger auf den Kanzeln hätten diese Maßnahmen veranlaßt, die er Gott und der Welt schuldig sei um der Ehrbarkeit willen.

Unverkennbar treibt die Sittengesetzgebung des Rates nun auch den Bischof zum Eingreifen, und sie selbst gewinnt dabei immer schärfere Töne. Mit erhöhtem Ernste wird das ganze Gebiet des Unordentlichen unter obrigkeitliche Zucht genommen.

Wir aber fragen nicht allein nach den Zuständen, die einem solchen Vorgehen rufen, sondern auch nach dessen tatsächlicher Wirkung.

Die allgemeine Anschauung, die dem Enea Silvio hier begegnete, daß Huren sowenig ein Unrecht sei wie Trinken, herrscht im weltlichen Gebiete noch lange. Ganz unbefangen und rückhaltlos ist in Urkunden Ratsakten usw. dieser spätern Zeit von den Zuhälterinnen und Bastarden angesehener Städter die Rede. Im gemeinsamen Testamente Peter Wolfers und seiner Frau 1475 werden den natürlichen Söhnen des Wolfer so gut Legate zugeschrieben, wie Hans Waltenheims kinderlose Witwe 1479 die Kebskinder ihres verstorbenen Mannes, Anton und Elsbet, mit Vermächtnissen bedenkt. Die Rechnungen des Fiskals verraten uns neben der bußfälligen Klerisei auch zahlreiche Laien, die wegen Unzucht Defloration Ehebruch usw. zur Verantwortung gezogen worden sind, von den Bademägden an den Steinen und bei Rümelinsmühle bis zu Michel Gallician und Wilhelm Grieb. Mathis Eberler hat seine Ehefrau in Basel, während er in Hiltalingen mit hübschen Frauen Haus hält; er hinterläßt fünf Bastarde. Und wie seine Frau durch eine Freundin mit dem Hinweise darauf getröstet [924] wird, daß viele Männer hier seien, die junge Eheweiber haben und dennoch buhlen, so erklärt auch Bürgermeister Bärenfels dies als eine stadtkundige Tatsache. Mit merkwürdigem Gleichklang, obwohl ein volles Jahrhundert auseinander, spotten 1382 der Koch Birin und 1492 die getaufte Jüdin über diese Stadt Basel, in der man eine unschuldige Jungfrau nur in der Wiege finde. Bis in die Schwankliteratur dringt die Geschichte vom reichen Basler Kaufmann, dessen Weib ihn, während er in Geschäften reist, mit einem Liebhaber betrügt.

Dies das eine Gebiet von vielen und das in einzelnen Erwähnungen am stärksten bezeugte. Und zu beachten ist, wie völlig es sich verträgt mit der scharfen städtischen Sittengesetzgebung selbst, die nicht mehr nur den Ehebruch und den Konkubinat, sondern jetzt seit den 1470er Jahren auch Buhlschaft und Unzucht aller Art mit ihren Strafen bedroht.

Daneben aber breitet sich in weitestem Umfange noch jede andre denkbare Zügellosigkeit. Die Bücher und Akten des Rates, die Kundschaften, die Gerichtsprotokolle usw. reden von einem Zustande, der noch über jene sexuellen Dinge hinaus den Behörden unaufhörlich zu tun gibt. Vom „unziemlichen Mutwillen“, von der „üppigen Freude“ an geht er bis zu Verwilderung, zu Frevel jeder Art, zu Rücksichtslosigkeit und Unfug, zu Streitsucht, zu schändlicher Roheit. In seiner Verbreitung hat dies Wesen kaum etwas Individuelles mehr für uns, nichts einem Stand oder einem bestimmten Moment ausschließlich Angehörendes. Tag um Tag und jede Nacht erleben solche Szenen, und der Rat ist unermüdlich. Mit seinen Mahnungen und Strafdrohungen bekämpft er Alles. Noch immer den Luxus, der sich bei Taufen Hochzeitsfesten Bestattungen ersten Messen usw. breit macht; aber auch das grobe Spiel, die Gotteslästerung mit großen unchristlichen Schwüren, die Entweihung der Feiertage, die Lascivität der engen und kurzen Kleider, das Nachtgeschrei, das nächtliche Unfugtreiben auf den Gassen, die üppigen Lieder, die Raufboldposituren des Degentragens „im Katzbalg“, das Tanzen im Freien usw.

Eine Überfülle von Kraft glüht und klingt in diesem Allem, und es fällt uns schwer, das prächtige Bild des Lebens nur im Schatten des obrigkeitlichen Tadels und Verbotes sehen zu sollen. Aber wir vernehmen auch den ganz persönlichen Unwillen ernster Männer bei diesem Treiben, in den Bußpredigten Heynlins und den bittern Invektiven Brants. Erregtheit und Steigerung überall, in den lauten Rufen, die den Zorn verkünden und eine Vergeltung drohen, wie in den unruhigen sorglichen Maßregeln des Rates, aber auch in all dem Unwesen selbst, das trotzig und in unhemmbar [925] scheinender Macht nach wie vor dahingeht; den Hintergrund bildet, oft mit den schwülsten Finsternissen schreckend, eine Zeit voll Pein und Ahnung.

Von einziger Gewalt ist nun, wie um die Mitte der 1490er Jahre diese ganze Stimmung zusammengefaßt wird in einigen mächtigen Manifesten der Geistlichkeit.

In ihnen lebt derselbe Geist, der vordem den Heynlin seine Mahnungen und Zurechtweisungen an die hohe Obrigkeit richten ließ. Vor Allen werden jetzt die Mitglieder des Rates selbst aufgefordert, in sich zu gehen und von ihren Sünden zu lassen; sie sollen das Gleiche von ihrem Volke verlangen; sodann erhält das Domkapitel dieselbe Mahnung; von jeder Kanzel der Diözese endlich soll zur Buße gepredigt werden; Prozessionen Kasteiungen Gebete haben sich anzuschließen. Alles, um den in der Not dieser Zeit sich offenbarenden Zorn Gottes zu versöhnen. Denn Gott sei nicht dem Sünder gnädig, sondern dem der Buße tue.

Daß der auf solche Art apostrophierte Rat entsprechend handelt, ist begreiflich. Aber in bedeutsamer Weise tut er es als Stadtherr. Keinen Hauch der in den Eingaben ihm gepredigten Bußgesinnung bekommen wir zu spüren.

Im Frühjahr 1498 erläßt er eine große „Reformationsordnung“ und stellt an ihre Spitze die Erwägung, daß Städte, in denen der eigne Nutzen dem gemeinen Gut vorangesetzt, der Gehorsam verweigert, Neid und Haß im Verborgenen genährt, das Unrecht nicht gestraft, die Unordnung nicht beseitigt werde, an Ehren Tugenden und beständlichem Wesen abnehmen. Dann folgen, sorgfältig redigiert, mit strengen Strafbestimmungen, die Abschnitte von Schwören und Gotteslästerung, von Haltung der Eide, von Heiligung der Feiertage, vom Ehebruch, vom Spiel, vom Zutrinken. Zum ersten Male findet sich hier, unter dem modernen Schlagworte „Reformation“, das bisher in Beschlüssen und Edikten zerstreute Recht systematisch zusammengefaßt und einheitlich redigiert. Auch die Art der Veröffentlichung im Drucke zeichnet das Mandat aus; es ist das erste dieser Art.

Indem der Rat eine solche sittenpolizeiliche Maßregel großen Stils ins Werk setzt, löst er sie aus dem Zusammenhange seiner bisherigen, der kirchlichen Regeneration verwandten Vorschriften; er macht sie zu einem Teile der profanen, rein städtischen Reformen des öffentlichen Wesens, die das Jahrzehnt bewegen.


Der neue Begriff von Regentenpflichten und Regentenrechten führt den Rat auch noch auf andern Gebieten zum Eingriff in kirchliches Wesen und Herrschen.

[926] In Betracht kommt hiebei zunächst die städtische Amortisationsgesetzgebung, indem diese jetzt, um die Mitte des XV. Jahrhunderts, eine endgültige Formulierung erhält. Ihr Zweck ist, den Zuwendungen von Liegenschaften oder Gefällen an die manus mortua der Kirche Schranken zu setzen.

Basel geht mit der Reglementierung dieser Verhältnisse allerdings weniger weit als andre Städte. Seine Vorschriften beschränken sich auf Beschützung der natürlichen Erben vor Mißbrauch und Willkür.

So schon der Ratsbeschluß von 1386: bei Zustimmung der Erben hat der Testator Freiheit, auch in der Form, und kann seine Verfügungen treffen vor dem Offizial oder vor dem Notar oder vor dem Seelsorger; sonst sind die Verfügungen nur gültig, wenn sie vor dem Schultheißengerichte geschehen, das als öffentliches städtisches Tribunal die Interessen der Erben zu wahren weiß. Tiefer greift der Rat 1401: damit die rechten Erben nicht verkürzt werden, sind überhaupt nur Legate von Barschaft zulässig. Hat Einer ohne seiner Erben Wissen der Kirche etwas vermacht, so soll das „Auftun der Kisten“, das Nehmen und Wegtragen den Pfaffen nicht gestattet sein; der Erbe ist zunächst in Gewalt und Gewere des Gutes zu setzen, und erst dann mögen die Geistlichen mit ihren Ansprüchen sich vor dem Schultheiß melden. 1401 ist dem Testator noch gestattet, ein „bescheidenes Seelgeräte“ zu ordnen; bald nachher hält der Rat für nötig, eine Summe zu bestimmen, über die hinaus Niemand Vergabungen für seiner Seele Heil machen dürfe, „damit die rechten Erben nit so gröblich enterbet werden“, und in dem an Statuten so reichen Jahre 1457 endlich wird zwar die Form der Vergabung wieder frei erklärt, sodaß sie auch vor dem Pfarrer, vor dem Offizial usw. geschehen mag, aber für die Vergabung selbst bestimmt, daß sie nicht über ein Viertel des Erbgutes betragen solle.

Dies die Vorschriften. Aber beherrschen sie tatsächlich die Praxis? Wie weit reicht und wie stark ist die Gegenwirkung der Kirche? Jedenfalls zeigt sich uns in Urkunden Zinsbüchern und Anniversarien jetzt das kirchliche Gut als ein ungeheures Ganzes. Großenteils als ein in frühern guten Zeiten aufgesammeltes; aber Zuwendungen an die Kirche geschehen noch immer. Auch ist uns im Einzelnen das Wesen selbst, das Treiben um die Kranken- und Totenbetten, das Verhalten der Pfarrer oder Beichtväter in zahlreichen und zum Teil höchst lebendigen Bildern nahe gebracht. Es erscheint geradezu als das Normale, daß der Priester den Sterbenden fragt, ob er nichts „um seiner Seele willen besetzen“ wolle. Er erhält dann ein Legat für die Kirche und oft ist er zugleich auch Exekutor des ganzen Testamentes. Aber als 1461 Gred Schlup von Riehen, [927] Burkart Schultheißen Witwe, in einem Hause Kleinbasels im Sterben liegt und die Klarissen davon hören, schicken sie ihren Beichtvater Herrn Johann Rebknecht an das Bette der Gred und lassen ihr sagen: wenn sie vor dem Tode noch den Orden annehme, so werde ihr geschehen wie einer Konventschwester; sie aber antwortet: „ich habe schon einen Orden, den will ich behalten“, und meint damit die heilige Ehe; weiter sagt sie: „Jedermann sucht, das er meint zu finden, und sorgt für sich selbst; aber Niemand sucht und sorgt für die armen Töchter“; damit meint sie ihre Verwandten, die auch am Bette stehen, und hinterläßt diesen allein ihr ganzes Gut. 1489 reklamiert das Schönensteinbacher Kloster das von Burkart Scherer hinterlassene und ihm vermachte Vermögen, wogegen der Sohn einwendet, daß diese „Erbmachung“ nicht vor Gericht aufgerichtet worden sei und ihn daher nicht binde. Szenen dieser Art, durch das Gerichtsbuch überliefert, machen begreiflich, daß im Rat oft davon geredet werden konnte, wie die Priester die Kranken nötigen, wie die Beichtväter heimlich Fahrnis forttragen u. dgl. m. Der Rat muß die Kautionspflicht der Geistlichen für die auf Vermächtnissen haftenden Schulden ausdrücklich feststellen, und 1516 wird die Änderung eines frühern Testamentes vor Gericht Notar oder glaubwürdigen Personen gestattet, aber nicht vor dem Beichtvater, „damit Gefährde vermieden werde“.


Demselben Bereiche gehört an, ruht aber im Einzelnen auf andern Notwendigkeiten, was hinsichtlich der Zinse Rechtens ist. Auch hier handelt es sich um einen mächtigen Faktor des städtischen Wirtschaftslebens. Die Zinse, denen die Liegenschaften in weitestem Umfange untertan sind und denen meist als erblichen oder unablösbaren Zinsen ewige Dauer anhaftet, zeigen sich uns vor Allem als Rechte der Geistlichkeit.

Schon in der Zeit Johanns von Vienne beschwert sich der Rat darüber, daß Zinsleute ohne Wissen des Leiheherrn ihre Jahrzeiten und Seelgeräte auf das Gut schlagen und damit dessen „Eigenschaft schwächen“. Aber auch über die, großenteils durch das Erdbeben geschaffene Unsicherheit des Zustandes wird damals geklagt: das Domstift, die Parochieen, die Orden fordern Zinse und Seelgeräte von Liegenschaften trotz der Einsprache der Inhaber, daß sie nichts von solchen Abgaben wissen.

Erst 1441 gelangt man zu einer grundsätzlichen Regelung: in Betracht der übermäßigen Belastung der städtischen Liegenschaften mit Zinsen, in deren Folge viele Häuser verwahrlost werden, verbietet der Rat, neue unablösbare Gülten auf Liegenschaften zu schlagen, und gestattet nur Gülten [928] „mit der Gnade des Wiederkaufs“. Die Übelstände dauern aber weiter. 1481 wendet sich der Rat aufs neue gegen die Beladung mit ewigen Zinsen, und im großen Antwerpner Privileg Kaiser Friedrichs 1488 läßt er der 1441 für alle neuen Rentbestellungen gegebenen Vorschrift der Ablösbarkeit rückwirkende Kraft für die frühern geben. „All und jeglich ewig gülten und zins“ sollen ablösbar sein. Auch hier, wie 1441, wird der Fuß auf fünf vom Hundert festgesetzt, und deutlich vernehmen wir, welchen Wert die Stadt diesem „mit schweren Kosten“ erwirkten Privileg beilegt. Es ist die grundsätzlich und umfassend statuierte Aufhebung der Unkündbarkeit. Ein neues Recht und eine neue Freiheit. Dem entspricht auch die Opposition der Kirche. Sie macht geltend, daß Jahrzeiten und Pfründen für die Ewigkeit gestiftet seien; durch eine Ablösung, die heut oder morgen stattfinden könne, werde das Gedächtnis des Stifters dahingehen; namentlich aber macht sie die große Vermögenseinbuße geltend, welche die Klöster Stifter und Gotteshäuser erleiden würden, auch deswegen, weil sie nach dem großen Erdbeben „zu Ehren der Stadt und damit sie wieder in Wesen komme“, einen Teil der Zinsen nachgelassen haben und nun bei einer Ablösung nur das Kapital des reduzierten Zinses erhalten würden. Diese Einsprache hat in der Tat Erfolg; der Rat läßt durch eine Kommission mit dem Klerus verhandeln, und es kommt zu einer Abrede, wonach die Unkündbarkeit aufrecht erhalten wird für alle Erbleihezinse und für alle Herrlichkeiten und Dienstbarkeiten, die von Eigentum herrühren (Zinshühner Bohnenzinse Heuer St. Martinsgeld u. dgl.); nur die übrigen Zinse sollen abgelöst werden können. Der Rat verzichtet also darauf, das ganze, ihm vom Kaiser verliehene Recht gegenüber den geistlichen Zinsherren zur Anwendung zu bringen; er darf sich also nicht darüber wundern, wenn wieder Klagen laut werden über die „ufschwellenden zinse der eigenschaft uf den gütern“. Er überlegt, ob er nicht die ganze Sache nach Rom tragen und dort, dem städtischen Klerus zum Trotz, eine Konfirmation der Antwerpner Freiheit begehren wolle. Aber auch dies scheint unterblieben zu sein, und inzwischen begnügt er sich damit, 1504 das Verbot der Errichtung neuer Ewigzinse zu wiederholen. 1514 geschieht dies nochmals, zugleich mit dem Entschlusse, nun das kaiserliche Privileg trotz aller Opposition zu handhaben. Aber schon 1515 vermag der Klerus wieder durchzusetzen, daß die Erbleihezinse bei der Ablösung ausgeschieden bleiben sollen. Erst die Jahre der Reformation werden die allgemeine Ablösbarkeit bringen.

Im ganzen Verlaufe dieser Gesetzgebung wird ein Motiv wiederholt laut ausgesprochen: bei Überlastung einer Liegenschaft mit Zinsen, die unkündbar [929] sind, kann es dazu kommen, daß weder der alte Eigentümer noch der Zinsmann mehr Aufwendungen auf ein durch Brand Alter usw. beschädigtes Haus machen wollen; dieses wird verwahrlost und verlassen, sodaß wüste Stätten und herrenlose Ruinen das Stadtbild schänden. Tiefer liegt eine andre und gewiß die entscheidende Absicht: die wirtschaftliche Macht des Klerus einzudämmen, den Wohlstand der weltlichen Einwohnerschaft zu sichern. Doch auch hiebei verfährt Basel mit Zurückhaltung. Wie es später und mäßiger als andre Städte Bestimmungen gegen die Häufung von Immobilien in der Hand der Kirche trifft, wie es sich mit der kirchlichen Steuerfreiheit zufrieden gibt, so sehen wir auch hier, daß der Rat dem Klerus, den er im Politischen meistert, im Finanziellen nicht allzu wehe tun will.


Auch den Werken der Armenpflege und Fürsorge tritt die weltliche Gewalt nahe. Sie übernimmt Funktionen der Kirche in eigene Hand oder sie beteiligt sich helfend und beaufsichtigend.

Auf solche Weise können einzelne, aus Stiftungen der Devotion entstandene Anstalten dadurch, daß sie weltlichen Pflegern unterstellt werden, beinahe zu städtischen Unternehmungen werden.

So hat die Elendenherberge Wilers ihren Pfleger aus dem Rate, ebenso das Kleinbasler Almosen. Kilchman stellt sein Hospiz, Peter von Weißenburg seinen Spendefonds sofort unter die Augen von Ratsvertretern.

Wir erkennen hierin, in gleicher Weise wie bei den Pflegereien von Klöstern, den Willen der Behörde sowie der Bevölkerung, daß auch zur innern Verwaltung dieser Anstalten gesehen werde und daß in ihnen eine Ordnung herrsche, die den Anschauungen und Gepflogenheiten weltlichen Regimentes entspreche. Im Besondern muß es ein Wunsch der Donatoren sein, die Verwendung des von ihnen Hingegebenen unter öffentliche Kontrolle zu stellen und auf diesem Wege die Erfüllung ihrer Absichten zu sichern.

Aber hierüber hinaus haben wir es noch mit einem unmittelbaren und Alles umfassenden Eingreifen des Rates zu tun.


Das Bettlerwesen hat Zustände, deren Größe und Last wir uns nur schwer vorstellen können.

Die Kriege und Fehden, die Landverwüstungen, die Leibes- und Verbannungsstrafen der Justiz schufen zusammen mit wirtschaftlichem und sozialem Mißgeschick normaler Art immer neue Massen von Notleidenden, von Heimatlosen, während zur gleichen Zeit keine irgendwie genügende Fürsorge [930] und keine Kontrolle geübt wurde. Eine Woge der elendesten Menschheit wälzte sich über das Land, und in welch ungewöhnlichem Maße die am geeignetsten Orte, zwischen Gebirg und Ebene und am Treffpunkte der großen Straßen, gelegene Stadt Basel von diesem Volk ohne Ziel und Heimat aufgesucht wurde, wie dieses hier zu- und durchströmte und hier sich staute, zeigt uns in anschaulichster Form das Leben auf dem Kohlenberge. Ernst und überlegen stehen neben diesen Nachrichten der Erlaß über die Betrügereien und die Geheimsprache der Vaganten, später der liber vagatorum und die von Grimm und Spott erfüllten Äußerungen Brants; sie zusammen enthüllen uns das Bild einer häßlichen unheimlichen und unabtreibbaren Menge, in der neben den wirklich Bedürftigen, den „rechten Armen“, faule starke Landstreicher und Dirnen, sowie Betrüger aller Art sind; diese geben sich als Begarden, als fahrende Schüler, als Kollektanten, als Teufels- und Wetterbeschwörer, als Kaufleute, als Wallfahrer, als Büßer; sie simulieren Krankheit Verstümmelung Wunden usw.

Aber noch über dies Alles hinaus läßt das große vielgestaltige Mendikantenwesen Basels seine Spuren. Wir erinnern uns namentlich an die zahllosen Verfügungen, die im Bereiche der Kirche zur Linderung von Not geschaffen worden sind. Auch sonst hat die Armut ihr Recht und ihre Geltung. Die Köppeler und die Giler sind anerkannte Berufe; Bettler stehen sogar in den Steuerlisten, und im Nachlasse solcher Personen kann der inventierende Gerichtschreiber ganze Vorräte finden: eine Reihe Luxschuhe, siebzehn Strangen Garn, zwölf Ellen neues Tuch usw.

Dem Allem gegenüber hilft sich die Stadt lange nur mit dem Kohlenberg und läßt im Übrigen dem Unwesen seinen Lauf. Während ihre Knechte die Gassen von ansteckend Kranken und von Wahnsinnigen säubern, kommt es zur Ausschaffung der Bettler, der Blinden, der „unnützlichen Leute“ überhaupt höchstens bei Kriegsgefahr und Hungersnot.

Erst im XV. Jahrhundert beginnt der Rat kräftiger zuzugreifen. Er duldet nicht mehr, daß die Bettler während des Hochamtes im Münster herumliegen und gehen und die zelebrierenden Priester stören; sie sollen auf dem Platz oder im Kreuzgange warten, bis die heilige Handlung zu Ende ist. Auch auf die Almosenausteilungen gewöhnt er sich zu achten; er läßt Starke und Gesunde, die noch arbeiten können, vom Spendeplatz wegschicken. Und im Allgemeinen sollen nun auch die Gassen von den Bettlern gesäubert werden, jederzeit, nicht nur in den Momenten ungewöhnlicher Not.

Aber es bleibt großenteils bei der Absicht dieser Polizei. Die Ausführung versagt, und Basel hat nach wie vor allzeit bettelnde Arme bei sich.

[931] Die Behörde muß sich in der Regel damit begnügen, den Betrug von Almosenheischenden zu bestrafen. Kunz von Libitz wird 1417 geschwemmt und dann auf ewig verbannt, weil er, obwohl kerngesund, mit den Abzeichen eines Aussätzigen gebettelt und die Welt betrogen hat. Aber auch von der andern Seite her sucht der Rat das Übel zu fassen und bedroht jeden Einwohner mit Strafe, der einen bettelnden Arbeitsfähigen unterstützt. Und endlich wehrt sich die Stadt auch gegen das mißbräuchliche Abschieben Kranker und Armer durch andre Herrschaften nach Basel. Wiederholt (1503, 1506, 1528) hat sich der Rat bei Zürich Luzern usw. darüber zu beschweren, daß deren Schiffleute arme Kranke herabführen und hier ans Land setzen; die von Hegenheim bringen 1493 einen kranken Bettler bis auf die Stadtgrenze beim Heiligen Kreuz, wo er dann stirbt und durch Basel beerdigt werden muß.


Höchst ansehnlich und wirksam steht nun neben diesen unsichern Bemühungen, was der Rat durch Spital und Siechenhaus vollbringt. In diesem Anstaltswesen lebt sichtlich die stärkste und zugleich geregeltste Kraft aller Caritas und Wohlfahrtspolizei; sie übertrifft namentlich auch die noch spät neben ihr hergehende Tätigkeit der Infirmerieen von Klöstern, sowie vereinzelter selbständiger Pflegehäuser.

Das Spital stellt sich dar als ein durch die Stadt geleitetes Gotteshaus. 1389 ist es in der Ehre der vier Evangelisten geweiht, später heißt es Heiliggeistspital, seit der Mitte des XV. Jahrhunderts Spital der heiligen Dreifaltigkeit.

Mit dem Spital ist ein priesterliches Amt verbunden, ausdrücklich dazu bestimmt, den Spitalinsassen, da sie keine Pfarrkirche besuchen können, mit Seelsorge und Sakramentspendung zu dienen, sowie in der dem Spital angebauten Kirche die Messe zu feiern und zu predigen. Der Geistliche, der diese Geschäfte besorgt, heißt Leutpriester; neben ihm haben einige Kapläne ihre Pfründen. Rechtlich haben wir somit eine von der Parochie eximierte Haus- oder Anstaltspfarrei vor uns, deren Sprengel nicht über die Spitalmauern hinausreicht; die Spitalkirche ist gleichwohl nicht für Andre geschlossen, und Heinrich von Nördlingen predigt in ihr vor allem Volke. Der Anstaltspfarrei entspricht auch der Anstaltskirchhof, der aber nicht bei der Spitalkirche liegt, sondern in der Vorstadt am Wege zur Spitalscheuer.

Zu beachten ist, daß im Laufe des XIV. Jahrhunderts auch das Amt des Spitalmeisters zu Zeiten durch einen Geistlichen versehen wird und daß im Spital eine Fraternität von Brüdern und Schwestern besteht, die [932] nicht allein die Pflege der im Spital Versorgten auf sich hat, sondern auch am Hausregimente beteiligt ist und gelegentlich die Anstalt neben dem Meister vertritt. Außerdem wirken die vom Rate bestellten Pfleger procuratores gubernatores mit.

Aber die 1380er Jahre, die große Epoche städtischer Entwickelung, schaffen auch im Spital neue Formen. Die Organisation ist von da an dauernd in folgender Weise gestaltet:

Unter Aufsicht der Ratspfleger leitet der Meister die Anstalt. Der Schreiber, der neben ihm schon früh im XIV. Jahrhundert sich zeigt, ist zunächst nur sein Gehilfe. Mit der Zeit wird dem Meister hauptsächlich die innere Verwaltung, dem Schreiber die Besorgung der äußern Geschäfte übertragen. Unter diesen beiden Beamten regt sich ein zahlreiches Gesinde für die Geschäfte der Pflege, des Haushaltes, des Gutsbetriebes und der Vermögensverwaltung.

Das Spital ist auch jetzt noch Gotteshaus und heißt so. Aber das geistliche Element zeigt sich nur noch bei Plebanat und Kaplaneien. An der Verwaltung des Hauses nimmt kein Kleriker mehr Teil, und auch die alte Bruderschaft ist verschwunden. Zwar soll eine neue Fraternität 1432 an ihre Stelle treten, auf Initiative zahlreicher Damen der Stadt, an deren Spitze Herrn Günther Marschalks Witwe, die daran erinnern, daß im Spital viele Kranke ohne geistlichen Beistand sterben, „da doch nötig sei, einem jeden Menschen in der Stunde, da Seele und Leib voneinander scheiden, einen ganzen starken Glauben und vollkommene Hoffnung des ewigen Lebens vorzusagen“. Doch scheint diese neue Bruderschaft mit der frühern nur den Namen gemein zu haben, auch nicht ein Verband von im Spitale selbst Dienenden zu sein, sondern sich auf Anstellung von Wartpersonal zu beschränken.

Wie in dieser Zeit die ganze Anstalt wächst und wiederholt mit neuen Ordnungen begabt wird, so entwickelt sich auch der Plebanat; er erhält 1439 vom Rate die Einkünfte des in der Spitalkirche stehenden Dreikönigsaltars zugewiesen; 1482 kommt es, da im großen Brande 1417 die Urkunden untergegangen sind, zu einer neuen Dokumentierung der Rechte, die dem Rate gegenüber Leutpriesterei und Kaplaneien zustehen, und zur Aufzeichnung von Ordnungen für die Inhaber dieser Ämter. Den Pleban, ebenso einige der Kapläne, wählt der Rat, der auch den Spitalmeister Schreiber usw. ernennt.

Das Spital ist städtische Anstalt; aber nicht Teil der Stadtverwaltung, sondern selbständiges „städtisches Gotteshaus“. Allen administrativen oder [933] polizeilichen Interessen überlegen ist auch in ihm die Caritas das Lebenbringende; Fürsorge und Hingebung Einzelner macht sich geltend neben obrigkeitlicher Kraft. Das Spital verwaltet sein mächtiges, hauptsächlich durch private Stiftungen und Geschenke gebildetes Vermögen getrennt vom Stadtgut und nach eigener Ordnung; es erhält von der Stadt die auf dem Markte konfiszierten Waren, ferner Bußgelder von bestraften Fluchern usw., und dient ihr mit Fuhrleistungen.

Klar erkennbar wird jetzt auch der Beruf des Spitals. Es ist ein Armenhaus, bestimmt nur für die „Dürftigen und Bettrysen“. Nur solche Armen sollen Aufnahme finden, die „Bettrysen“ sind d. h. Steg und Weg nicht brauchen, nicht von Haus zu Haus gehen und das heilige Almosen fordern können. Das Spital ist zunächst nicht Pflege- und Heilanstalt armer Kranker, sondern in erster Linie Versorgungsanstalt für „unvermögende arme Leute“. Aber kein „Zehrhaus, in dem man auch außerhalb der gewöhnlichen Mahlzeiten Ürten halten könnte“, sondern nur der Notdurft angepaßt, eine Zuflucht der Dürftigen und Verlassenen, keinem Reichen geöffnet. Es leistet den armen Städtern, was die Elendenherberge den armen Fremden.

Daß das Spital Pfründer aufnimmt, ist eine Verletzung seines Prinzips und nur als ökonomische Maßregel zu rechtfertigen. Daher wird das Pfründerwesen auch wiederholt angegriffen und das Begehren gestellt, keine Pfründer mehr aufzunehmen, sondern das Spital den Armen zu lassen, denen es zugehöre.

So zeigen sich uns folgende Gruppen von Spitalinsassen:

Vor Allen die „Armen und Kranken“. Sie werden aufgenommen und verpflegt um Gotteswillen; ein Pflegegeld ist zu entrichten nur bei Knechten und Mägden, die von ihren Herrschaften in das Spital getan werden. Unter diesen Patienten können auch Geisteskranke sein; ferner Kindbetterinnen; ferner arme Kinder, namentlich Waisen.

In erster Linie finden nur Bürger und Hintersassen Aufnahme. Doch kann sich die Spitalpforte auch Fremden öffnen; von Aufnahme Solcher ist gelegentlich die Rede, und in spezieller Weise geregelt ist sie in den Verträgen über die Spitalplätze von Handwerksgesellen, die ja meist Fremde sind; die Gesellenschaft erwirbt durch eine einmalige, zuweilen durch eine jährliche Zahlung ein Bett im Spital, in dem ihre kranken Brüder Pflege finden.

Der Kranke bringt in das Spital mit, was er besitzt; hilft ihm Gott wieder aus, so läßt man ihn gehen mit dem Seinen, ohne etwas von ihm [934] zu fordern; stirbt er aber, so bleibt sein Nachlaß dem Spital, doch ohne daß dieses auch die Passiven übernimmt; Forderungen an eine im Spital verstorbene Persönlichkeit lehnt das Gericht ab. Dasselbe Recht gilt hinsichtlich der Habe eines Gesellen. Waisen bringen ihr Gut mit; sind sie erwachsen und treten sie aus, so bleibt ihr Gut dem Spital.

Endlich die, trotz allen Bedenken, nie fehlenden Pfründer. Das Regelmäßige ist, daß sie im Spital wohnen, Nachts in einem Kämmerlein, Tags in der gemeinsamen Pfrundstube und am gemeinsamen Pfrundtisch. Sie erhalten Essen Trinken Holz Licht Schuhe sowie alle Pflege und Handreichung in gesunden wie kranken Zeiten. Dafür übergeben sie dem Spital beim Eintritt ihr gesamtes Vermögen, wobei aber der Mann Harnisch und Werkzeug, die Frau ihre Leibsangehörden und Tüchlein vorbehält, oder sie zahlen beim Eintritt eine Summe und anerkennen, daß nach ihrem Tod ihr Nachlaß an das Spital fallen soll. Seltener ist der Verkauf einer Pfründe aus dem Spital: der Pfründer bleibt draußen und erwirbt sich die Speiselieferung. Unterschieden werden die Pfründen im obern und im untern Spital; später finden sich drei Abstufungen: die oberste, die obere, die gemeine Pfrund.

Die Stellung dieser Pfründer im Organismus ist klar bezeichnet. Vergabungen an das Spital für Besserung der Pflege und Kost z. B. geschehen nur zu Gunsten der armen Spitalleute, ausdrücklich nicht der Pfründer. Doch nehmen Letztere an außerordentlichen und festlichen Zulagen (Kümmiwecken zu Weihnachten, Neujahrsgeschenke, Trauben und süßer Most im Herbst, Extrawürste beim Schlachten der Mastschweine usw.) Teil.


Notwendige Ergänzung des Spitals ist das Siechenhaus für Verwahrung von ansteckend Kranken, namentlich Aussätzigen. Rings um Basel liegen solche Häuser; die eigene Leproserie der Stadt befindet sich draußen beim St. Albanteich an der zum Birssteg führenden großen Landstraße.

Alles ist hier natürlich beschränkter als beim Spital und dem besondern Dienste des Hauses gemäß. Nur Basler Bürger sollen aufgenommen werden. Für die fremden Siechen gilt das Recht, daß sie aus der Stadt getrieben werden; findet Einer aus ihnen dennoch Aufnahme im Hause, so geschieht dies nur, weil und wenn er so viel zahlt, daß das Haus einen Nutzen davon hat. In keinem Fall aber kommt eine Aufnahme um Gottes willen vor, wie beim Spital; sondern stets ist eine Einkaufsgebühr zu bezahlen. Sie beträgt fünf Pfund. Wer zu arm ist, um sie zu zahlen, der [935] mag sich versorgen wo er kann. Wohlhabende Siechen aber sollen sich nirgends anderswohin tun.

Aus dem Gute des Hauses, das durch Stiftungen Einkaufsgelder und die täglich gesammelten Gaben sich bildet, erhalten die Siechen ihre Verpflegung, „die Pfrund“. Sie leben in strenger Disziplin. Sie müssen schwören, dem Birsmeister gehorsam zu sein und an ihren Pfründen sich genügen zu lassen. Fleißiger Besuch der Predigt, Genuß des Abendmahls, Gebet, Meidung von Lastern, Meidung von Übelreden über einander wird ihnen eingeschärft.

Wer in dieses Haus eintritt, der läßt alle Freuden und Rechte des Lebens für immer hinter sich; auch über sein Eingebrachtes darf er nicht verfügen; nach seinem Tode fällt es ohne Weiteres an die Anstalt.

Zum Siechenhause gehört auch ein Priester, der an bestimmten Tagen die Messe liest und predigt, die Siechen besucht tröstet und mit den Sakramenten versieht. Doch scheint die dem hl. Jacobus geweihte Kirche oder Kapelle beim Siechenhaus erst zu Beginn des XV. Jahrhunderts entstanden zu sein, vielleicht aus Anlaß der Erneuerung des Birssteges.

Die furchtbare Macht, welche die Siechenhausleute aus der menschlichen Gesellschaft ausstößt, treibt sie in die engere Gemeinschaft mit Ihresgleichen über Grenzen von Stadt und Land hinweg. Die „armen verschmähten Kinder“ zu St. Jacob bilden eine Bruderschaft mit den Siechen zu Liestal Rheinfelden Laufenburg Waldshut St. Apollinaris Sattellöse (bei Schlierbach) Hüningen Eimeldingen Bellingen; zwei Bruderschaftsmeister strafen jede durch einen Bruder mit Fluchen Trinken usw. begangene Verfehlung; aus den hiebei eingehenden Bußen und den Jahresbeiträgen erhalten die notleidenden Brüder Unterstützung.


Wir kehren zum Rate zurück und zu denjenigen seiner Leistungen, in denen die neue Anschauung von den Obliegenheiten städtischen Regimentes lebt.

Das Höchste und Ruhmwürdigste dabei, auch das am mächtigsten in die Ferne Wirkende ist jedenfalls die Gründung der Universität samt Allem, was an dieses eine große, Gedanken und Arbeiten der Behörde ungeheuer erweiternde Werk sich anschließt: das Eintreten für den Humanismus, das Erwägen der Einführung eines höhern Schulunterrichtes usw.

Von Anderm ist die Rede gewesen. Einiges ist hier noch zu nennen: die Errichtung eines Stadtwechsels; die neue sanitarische Organisation mit Festsetzung eines bestimmten Verhältnisses der medizinischen Fakultät zur Praxis, mit Wundschauordnung, Aufsicht auf Ärzte Apotheker und Hebammen.

[936] Hiezu gesellen sich nun, als charakteristische Äußerungen dieser spätern Zeit, die Verfügungen, in denen Gesellschaft und Behörde für gewöhnliche Schicklichkeit, für Behagen Ruhe Sicherheit, für Schonung eines verfeinerten Gefühles oder empfindlicher gewordener Nerven besorgt sind.

Solcher Art ist die Schärfung der Feuerpolizei; 1463 wird den Hafnern und Zieglern, 1466 den Glockengießern verboten, in ihren Häusern zu werken; sie sollen damit in die Vorstädte gehen. 1486 werden auch die Bäcker, 1487 die Lebkücher dort hinaus gewiesen. Die alte dürftige Sodbrunneneinrichtung Kleinbasels wird ersetzt durch das Hereinleiten von Quellwasser. Den Hausbesitzern wird 1466 eine allsamstägliche Straßenreinigung befohlen, den Bäckern 1476 das Halten von Zuchtschweinen in ihren Häusern verboten. Der Verkauf finnigen Fleisches scheint schon beizeiten, vielleicht unter der Wirkung des Konzils, abgekommen zu sein. Die Kuttler dürfen ihren Wust nicht mehr am Tage sieden, sondern nur Nachts, „damit der Gestank den Leuten minder Drang tue“; kein Keßler darf in der Stadt sein Handwerk mehr treiben, außer wenn er mit der Werkstatt sieben Schuhe tief im Boden sitzt, auch sollen nicht mehr als zwei Keßler in derselben Gasse sein.

In solcher Weise gestaltet sich die Öffentlichkeit nach neuen Bedürfnissen und Meinungen, nach neuem Geschmacke. Und in bedeutsamer Weise sehen wir zur gleichen Zeit auch in die Begriffe Bürgerschaft und Einwohnerschaft ein verändertes Leben eindringen. Die Stadt strebt nach einer großen Zahl von Insassen; aber mehr als dies: sie wünscht ein Wesen zu sein, in dem nur ein einziger Wille gilt und ein einziges, möglichst vollkommenes Recht. Daher die Erlasse der 1440er, dann wieder der 1480er Jahre, die auf eine Stärkung der Bürgerschaft zielen; aber es ist im Interesse der Stadt nicht nur, Bürger zu gewinnen, sondern auch, durch deren Bürgerrecht die Rechte bisheriger Herren von Hintersassen aus der Stadt zu drängen. Es ist ein Weiterbilden über frühere Zustände hinaus, denen die Rechte des freien Zuges und der Besetzung genügen mochten. Bei den Beratungen hierüber findet das neue Staatsbewußtsein seinen vielleicht frühesten offiziellen Ausdruck in den Worten des Rates, daß nur Eines jetzt noch gelte: der gemeine Nutz, der nach geschriebenen Rechten und göttlicher Ordnung höher zu setzen sei als irgend ein ander Ding.


In enger Berührung mit diesem Probleme der Stadtbewohnerschaft steht das Reisläufertum und dessen Behandlung durch den Rat.

Unruhe Kampflust „abenteuerndes Wanderblut“ trieben von jeher die Jugend hinaus. Die Stadt kümmerte sich lange nicht darum, und deswegen [937] vernehmen wir von diesen Dingen so wenig. Aber in italiänischen Soldlisten schon des XIV. Jahrhunderts steht mancher Basler verzeichnet, und auch später noch, gelegentlich, klingt da und dort in der Ferne der Name eines solchen durch Krieg und Abenteuer verschlagenen Bürgers: 1442 in Bologna der des Hans Vogler, im venezianischen Heere der des Hans Hartenlawlin aus der Goldenen Barbe am Kornmarkt, 1483 in Kairo bei den Mameluken der des Konrad Sevogel.

Konrad zur Sonnen ist Söldner des Herzogs von Lothringen, sein Bruder Jerg genannt Fürnach hat zuerst dem Basler Rat als Reiter gedient, dann dem König Karl VII. von Frankreich als Gardist und ist dort gerne gesehen, „ein schöner Mann, jung lang und gerade“. Im Dezember 1446 ermordet er mit Hilfe seines Knechts in einem Walde der Touraine einen Deutschen, den Müller von Tambach, der bei den königlichen Armbrustschützen gedient und seinen Abschied genommen hat und nun mit Gold und Kleinodien auf dem Wege nach Hause ist. Jerg zur Sonnen beraubt ihn und kehrt nach Basel zurück; hier heiratet er des Oberstzunftmeisters Ospernell Witwe, hat aber auch eine Dirne bei sich, die er mißhandelt, und immer ist um ihn das unheimliche Gerücht von einer Mordtat; „er hat einen bösen Flecken“. Zuletzt, nach Jahren erst und auf Klage einiger königlicher Bogner, Kameraden des Ermordeten, kommt es hier zur Untersuchung, und Jerg wird nach scharfen Verhören, bei denen er den Mord bekennt, im Mai 1461 hingerichtet. Die Witwe Barbara stiftet zu seinem Gedächtnis eine Pfründe mit einem Altar in der Ehre St. Georgs und heiratet dann ihren dritten Mann, den Mathis Eberler im Engelhof.

Das ist eine Episode aus dem Reisläuferleben. Aber natürlich haben wir noch an Anderes zu denken. Daran, wie die Weite den kleingebornen Städter erziehen und jeder Reisläufer neue Gedanken und Bilder nach Hause tragen konnte. Auf keinem andern Wege wurden große Weltereignisse so kräftig und eindrücklich, als Miterlebtes, der Heimat nahe gebracht.

Seit den 1440er Jahren sehen wir den Rat gegen das Reisläufertum einschreiten. Es ist auch hierin der Geist und die Kraft der sich fühlenden Stadt. Die Obrigkeit will ihre Leute bei sich und zu ihrer Verfügung haben, sie nicht Andern Jugend und Leben hingeben lassen.

Daher die Erlasse wider das Laufen unter fremde Fahnen. Das Verbot wird oft wiederholt, also oft übertreten, und ist immer wieder von Nöten.

Bei Seckenheim, bei Giengen kämpfen Basler Adlige. Konrad von Bärenfels und Hans Münch dienen dem Grafen von Württemberg. Klaus Murer macht die blutige Schlacht der Österreicher wider die Venezianer [938] bei Calliano 1487 mit und verdient sich durch seine Tapferkeit eine Ehreninschrift zu Trient. Im burgundischen Krieg und bei den Greueln der Erstürmung von Dôle 1479, überall sind Basler Söldner dabei, und in des Königs von Frankreich Dienst finden wir um die Wende des Jahrhunderts den Heinrich Meltinger, den Matthäus Wenz, den Uli Späti u. A.; sie machen den „Krieg von Roussillon“ mit, in Chalon werden sie gemustert; noch nach Jahren erzählen sie zu Hause von ihren Erlebnissen, vom Zank der Hauptleute, von den Verhandlungen über den Sold usw.

Unablässig ist die Berührung der Basler Jungmannschaft mit dem Kampf aller Welt, und jetzt macht sich auch Italien immer häufiger geltend.

Den Gonzagen in Mantua dient 1492 und 1506 als Büchsenmeister Johann von Basel; die Kriege, die zur selben Zeit das ganze italiänische Land erfüllen, bringen auch die nach Neuigkeit und Kampf, nach Beute und Lagerleben verlangende, jedem Werber folgende Jugend Basels in Bewegung. Bei diesen schicksalsvollen Unternehmungen sind wie die Schweizer so die Basler überall beteiligt, und nur ganz zufällige Erwähnungen, namentlich die in spätern Jahren bei allerhand nachträglichen Forderungen und Streitigkeiten gesammelten Kundschaften, machen uns mit ihnen bekannt: mit dem Martin Kilchman, dem Hans Zülli, dem Klaus Frischlin u. A. im Lager zu Novara 1495 oder mit Henman Müller, der für Frankreich wirbt. Im Solde zu Averna liegen Jacob Lützelman und der Kleinbasler Jacob Bader, in der Besatzung des Neapler Schlosses Hans Schwarz von Muttenz; Hölderlin wird beschuldigt, dort ein kostbares Kreuz geraubt zu haben. Lebendiger als dies Alles aber steht eine Szene aus der berühmten Verteidigung von Forli durch Caterina Sforza gegen Cesare Borgia 1499 vor uns; in der Besatzung dienen die Basler Schwarzhans, Christian Baumann, Werlin Saler, Müßlin von Münchenstein u. A., auch Meister Eberhards des Schmieds Sohn. Eines Abends sitzen sie „als gute Gesellen“ lustig beisammen, trinken und spielen, und der Schmiedssohn klappert mit seinem Gelde; er hat vierundzwanzig Dukaten in Gold und zwei silberne Ringe und am Hals eine silberne Kette. Andern Tags stürmt Cesare die Mauern, und bei einem Ausfalle der Besatzung erhält der Basler Schmiedssohn eine Schußwunde; seine Kameraden retten ihn nach Forli hinein; am folgenden Morgen stirbt er und wird „nackt und bloß“ zur Erde getragen und vergraben.


Diese ganze Entwickelung des öffentlichen Wesens vollzieht sich in einer Stadt, die zur gleichen Zeit erschüttert ist durch die heftigsten Parteileidenschaften. [939] Mitten in der Erregung eines gewaltigen politischen und sozialen Prozesses reifen Zustände und Meinungen, erneuern sich die Lebensformen.

Die Bedeutung dieser Kämpfe ist um so größer, weil sie nicht vereinzelt lokal geschehen, sondern Äußerungen einer universal tätigen Kraft sind; sie begegnen uns allenthalben.

Ihre Notwendigkeit oder ihre Berechtigung ist hier nicht zu prüfen. Aber wenn Beinheim schon Angesichts der Ereignisse der 1440er Jahre sagt, daß die Edeln geschickter und weiser seien als das gemeine Volk; wenn einige Jahrzehnte später in Akten von der Wichtigkeit der Reichen für Bestand und Gedeihen des Gemeinwesens gesprochen und jede Maßregel abgelehnt wird, die sie aus Basel vertreiben könnte; wenn von Außen herein Herren wie Peter von Hagenbach und Hans Friedrich von Reischach den zu Ratsherren gewordenen Schneidern und Schuhmachern und dem verpöbelten Stadtgericht ihre Verachtung zeigen; wenn Sebastian Brant darüber spottet, daß jeder Narr jetzt mitsprechen wolle; — so lebt in all diesen verschiedenartigen Reden doch gleichartig die Empfindung Dessen, was auf dem Spiele stehe: der Niedergang des Gemeinwesens in der dem ausschließlichen Zunftregiment eigenen Beschränktheit Gewöhnlichkeit und Schwäche.

Die Stadt hat nicht vermocht, den Adel an sich zu fesseln und ihr Interesse dauernd zu dem seinen zu machen; statt seiner haben die Zünfte in dem Basel beschiedenen Leben ihr Recht, aber auch ihre Verantwortung, indem sie die öffentliche Gewalt an sich reißen. Mit unwiderstehlicher Gewalt dringen sie zum Ziele und beseitigen, was im Wege steht: den alten Adel, aber noch leidenschaftlicher und gereizter die aus ihrem eigenen Kreis hervorgegangenen und vornehm gewordenen Machthaber. Knebels Schmähreden über die Sürlin und der Spottvers von den Mürli Sürli Tschekenpürli usw. sind läppisch; aber sie formulieren uns die Empfindungen der Masse.

In welcher Weise diese Kämpfe geführt werden und sich entwickeln, zeigen die Unruhen von 1479, der Bischoffische Revolutionsversuch von 1482, die andauernden Revisionsbestrebungen und Debatten in den Räten. Alles dies ist schon geschildert worden.

Es sind Kämpfe, die auf den Umsturz der Ratsverfassung und auf Beseitigung der seit Alters politisch Bevorrechteten gehen. Aber ihre Bedeutung ist allgemein.

Wir haben nicht nur an die Ausbildung der Administration, an die Erweiterung der Regierungstätigkeit zu denken. Die hierin wirkende Erstarkung von Staatsgefühl und Staatsbegriff äußert sich auch noch sonst.

[940] All diese Jahrzehnte hindurch ist mit zunehmender Häufigkeit vom „gemeinen Nutz“ die Rede, von der Gesamtheit und ihren Interessen, die Alles überwiegen, Allem vorgehen sollen.

Es ist eine allgemeine Anschauung, welcher bei Einzelnen ein sicheres munizipales Bewußtsein und ein Stolz antworten, stark und hingebend genug, um sie auch zu freien Opfern an die Stadt zu vermögen. Dies geschieht jetzt in der Tat. Die traditionellen Vergabungen der Devotion an die Kirche erhalten eine Parallele in Stiftungen, die nicht dem eigenen Seelenheile dienen sollen, sondern dem Heile des Gemeinwesens und der Ehre der Republik. Ganz vereinzelt ist eine solche Vergabung schon einmal vorgekommen: 1370 im Testamente des Hugo Zscheckabürlin. Dessen Legat von sieben Pfunden an den Rat ad faciendum vias et hujusmodi necessaria ist unverkennbar italiänische Reminiszenz und wird erst hundert Jahre später wieder aufgenommen im Vermächtnis eines Harnischs durch Hans Strübli 1467. Dann aber häufen sich die Legate guter Bürger an die Stadt: 1475 des Heinrich von Äsch, 1476 der Domkapläne Vischer und Blauenstein, 1490 des Walter Baumgartner, 1505 des Niklaus Rüsch usw.; Peter Breitenbach und seine Ehefrau machen 1485 die Stadt zu ihrer Universalerbin.

Die Auffassung von Recht und Macht des kollektiven Lebens, von der Pflicht des Einzelnen seine Kräfte in den Dienst der Gesamtheit zu stellen, hat aber auch noch andre Ergebnisse. Aus ihr wächst in eben dieser überreichen und übermächtig bewegten Zeit der Kampf gegen bevorrechtete Klassen und Stände, der Kampf im Gewerbe gegen alles willkürliche Freisein und Großsein, der Widerstand gegen ein individuelles Handeln des Einzelnen in öffentlichen Dingen durch Pensionenwesen und Reisläufertum, die auf den Gebieten von Universität und Kirche sich erhebende Gährung gegen alle Privilegien.


Uns fesselt die Erscheinung einer nicht ermüdbaren Kraft, die überall webt und waltet: auf den politischen sozialen gelehrten Kampffeldern, in der gesamten Reformbewegung, im stolzen Selbstgefühl des Kaufherrn Buchdruckers u. dgl., in der Überzeugung vom Werte der einzelnen Leistung für das Gemeinwesen, im Suchen und Schaffen neuer Lebensformen, in der wissenschaftlichen Forschung, in der künstlerischen Tat, im Genießen, im übeln Tun. Es ist ein großes Schauspiel alles Dessen, das sich gesund und stark fühlt, und des schrankenlosen Wollens.

Bei so elementarem Hervorbrechen der Lebensmächte fällt uns ein Erfassen von Einzelnem schwer. Wir haben eine Gesamterscheinung vor [941] uns, aus der nur Weniges sofort hervortritt, wie z. B. die der Zeit eigenen Gruppen der verwilderten Scholaren und der ausgelassenen Buchdruckergesellen. Auch im Übrigen aber bringen uns Akten und Literatur nur das Schlimme vor Augen, das diese allverbreitet unbändige Kraft anrichtet. Von „Bosheit und Raub“ ist viel die Rede, und merkwürdig oft von Totschlägen; unter diesen erregen Aufsehen die Ermordung des eigenen Vaters durch Franz von Brunn und die Tötung des bekannten Metzgers Uli Mörnach durch Hans von Veringen und Klaus Pfister 1502. Überall ist Kampflust und Ungestüm, sodaß auch alte Sitten in Übermaß entarten. Der fröhliche harmlose Kirchweihbesuch z. B. genügt nicht mehr; man zieht nun rottenweise hin, mit Trommeln und Pfeifen, in Waffen und Wehr. Daher auch der gewohnte Zug nach Haltingen am Georgsfeste jetzt verboten wird. Daher auch Geiler auf der Münsterkanzel seine Zuhörer davon abhalten will, Sonntags in die Dörfer zu gehen, gen Weil oder gen Binningen oder gen Kleinhüningen in die Krautgärten oder gen Riehen zu den guten Fischen, und dort zu prassen.


Über dies ganze Gewühl und Getöse hin wirkt die von allen Seiten hereindringende Macht einer Bewegung, die durch die Welt geht.

Die „wilden Läufe“ sind ein allgemeines Übel. Bettlerbanden Gauner und Mordgesindel halten ringsum das Land in Unruhe, und von ihrem Treiben ist das spezielle Unwesen des „Geläufs der Knechte“ schwer zu sondern.

Diese Kriegsleute und Söldner, die „laufenden knechte“, die „müßigen mutwilligen knechte“, sind ein Charakteristikum der Zeit. Man hat ihre fast unausgesetzte Erwähnung in den Basler Ratsbüchern, aber auch in den Protokollen der Eidgenossenschaft und der Niedern Vereinigung zu beachten, um die Bedeutung dieses gesellschaftlichen Elementes zu würdigen. Die im Leben des Heeres oder der Freischar verwilderten, zwischenhinein beschäftigungslosen Leute werden überall angetroffen; sie bringen ihre Soldatenmanieren auch in die friedlichste Umgebung. Vom Kriege nicht mehr oder noch nicht in Anspruch genommen, aber für jede bürgerliche Ordnung gründlich verdorben, treiben diese Bewaffneten, die auch kühne Landstreicher und gewaltige Bettler heißen können, meist mit einem Anhange von Dirnen, Unfug in jedem Wirtshaus, übertreten die Spielverbote, belästigen die städtischen Gassen, gefährden die Landstraßen, rufen mit ihrem Trotz und Lärm, ihrer Rauflust, ihren langen Degen, ihrer üppigen und verwegenen Tracht unaufhörlich der Polizei. Basel steht mitten im Getreibe, als Durchgangs- [942] und oft als Sammelplatz dieser Menschenart, die in solchen Massen erst jetzt zu entstehen scheint.

Wie aber durch solches Kriegsvolk sich die Ferne und die Fremde dem städtischen Wesen mitteilen kann, so sehen wir dieses jetzt überhaupt in einem bisher nicht erreichten Maße durch allgemeine Kräfte berührt. Es ist die Zeit neuer Verkehrswege und eines zu eminenter Bedeutung gesteigerten Transites. Über die gewohnten Wirkungen der Handelsreisen, der Studienreisen, der Badefahrten hinaus werden alle möglichen Zustände und Interessen ökumenischer Art hier fühlbar. Der Rhodiser Ablaß samt den Schriften Heynlins und des Karthäuserpriors zeigen Basel teilnehmend an der universalen Erhebung wider den Erbfeind der Christenheit; in denselben Jahren wird an den Höfen der Plan eines europäischen Fürstenbundes behandelt, dem Basel, das centrum mundi, das an den Grenzen der Nationen und der Idiome gelegene, als Sitz eines ständigen Gesandtenkongresses und als Bundesstadt dienen soll. Mit weit ausgebreiteten Armen und vollem Atem eint sich das Leben unsrer Stadt dem Leben aller Welt, dem ungeheuer bewegten Leben voll Leidenschaft und Verlangen, mit seinen Kriegen Pilgerzügen Entdeckerfahrten. Dabei hat die Erweiterung der Horizonte keine Grenzen. Die neue Erde, die sich auftut, ist nicht nur Morgenland und Abendland, sondern ein weit über fremden Meeren gefundenes Gebiet von Inseln und Ländern. Sebastian Brant, der auch später noch die kühnen Seefahrer preist, veröffentlicht hier im Jahre 1493, zuerst in Deutschland, den berühmten Brief des Columbus.


Zu dieser Periode allgemeinen neuen Erlebens scheint aber gehören zu müssen, daß sie auch eine neue Krankheit erhält.

Die Syphilis kommt im Jahre 1495 durch Söldner aus Frankreich nach Basel. Das ist die „Franzosenkrankheit“, sind die „bösen Blattern“. Wie überall, so hier ein plötzlich alarmierender und Entsetzen erregender Schrecken. Was bisher sorglos genossen werden konnte, bietet jetzt die größte Gefahr für Leib und Leben, die Wirkung der Seuche ist rasch und furchtbar. „Manchen stolzen Mann und manches stolze Weib lähmt sie, sodaß sie elende Leute werden, und Viele sterben“.

Merkwürdig langsam erhebt sich die Stadt zu Schutzmaßregeln. Es ist, als ob man die Leichtigkeit der Ansteckung nicht sofort erkannt oder zunächst an der Möglichkeit einer Abwehr überhaupt gezweifelt hätte.

[943] Erst von 1503 an gibt der Rat seine Anordnungen und Verbote. Die von der Franzosenkrankheit Befallenen dürfen die öffentlichen Brunnen und Bäder nicht gebrauchen, in der Schol und auf dem Markte nichts berühren. Sie sollen überhaupt aller Gemeinsamkeit müßig gehen, sie sollen zu Hause bleiben. Einzelne Fälle will der Rat ins Siechenhaus bringen; aber die Aussätzigen sperren sich gegen diese Hausgenossen und verlangen deren Absonderung mit eigener Wartung, eigener Küche, eigenem Abtritt.


Die Syphilis war nur eine der großen Heimsuchungen, die jetzt über die Menschen hereinbrachen: allerhand Epidemieen und eine weitverbreitete Hungersnot, Erdbeben Hochwasser Teurung. Daß dergestalt zur Erneuung alles Lebensgefühles sofort die Gewißheit eines ringsum Vernichtung drohenden Unheiles trat, gab der Epoche auch von dieser Seite her den Charakter einer gewaltigen Krisis.

Unmittelbar neben Kraft und Freude das tiefste Entsetzen, und was Brant aussprach, daß all die schweren Plagen nichts Anderes seien als Geschosse zürnender Götter, Strafen für die Sünde, war die Überzeugung Vieler.

Wir sehen, wie diese Gesinnung zu Reue und Buße führte. Aber sie konnte auch die Wege wunderlichen oder schauerlichen Aberglaubens gehen.


Geängstigt und erregt von mannigfaltiger Not wendet sich der gemeine Mann an allerhand Gewalten, durch die er sein Leben geheimnisvoll begleitet wähnt. Er befragt Segner und Segnerinnen, die Verlorenes aufdecken oder Träume deuten. Eine Reihe schwerer dunkler Regentage gilt dem Volk als Strafe dafür, daß man eine Selbstmörderin in geweihter Erde bestattet hat; es nötigt den Rat, die Leiche wieder auszugraben und in den Rhein zu werfen. Schon der Komet des Jahres 1472 ruft düstern Ahnungen. Daß im Sommer 1474, während Basel durch die größten Gefahren bedroht ist, ein Hahn ein Ei legt, kann nur ein schlimmes Vorzeichen sein und bringt die ganze Stadt in Aufregung; der Rat beseitigt daher den Anstoß so rasch als möglich und läßt den Hahn seine Verirrung mit dem Feuertode durch Henkers Hand büßen. Wie der Wahn auch sonst sich regt und die Menschen plagt, zeigt der Traktat über Geister und Dämonen, mit dessen Abfassung der Konzilssekretär Numagen, da er durch die Verhaftung seines Herrn Andreas stellenlos geworden ist, sich über die Zeit hinwegzuhelfen sucht. Johann Bergman freilich will von den Geistern, die hier bei hellem Tageslichte zu sehen gewesen, nicht reden; [944] er überläßt seinem Freunde Brant, das Nähere sich von Andern erzählen zu lassen.

Aber auch den städtischen Rat selbst betreffen wir in dunkeln Gebieten. Er teilt durchaus den Glauben an das durch einen Pakt mit dem Teufel zu erwerbende Freischützentum; der Stadt Sennheim denunziert er 1479 ein dort lebendes altes Männlein, Namens Christian, das früher in Basel gewohnt und Zauberei getrieben habe.

Das Wichtigste aber ist seine Verfolgung der Hexen.

Der alte eingeborne Wahnglaube, dessen stärkste Wirkungen uns im großen Zaubereiprozesse des Jahres 1407 bekannt werden, zeigt sich auch später noch in mannigfaltigen Formen. Aber schon früh ist, in Ausdeutung der zwischen dem Zauberer und den Dämonen bestehenden Verbindung und unter systematischer, aus asketisch-scholastischen Anschauungen kommender Zuspitzung der Magie auf das weibliche Geschlecht, die Vorstellung des Vertrages und des geschlechtlichen Verkehres mit dem Teufel hinzu gekommen. Damit wird die Zauberei zur Ketzerei und unterliegt der kirchlichen Ketzerinquisition; ihre Verfolgung geschieht seither in dem bei den Ketzerprozessen ausgebildeten Inquisitionsverfahren.

Wir haben jedoch in den Nachrichten über diese Zustände in Basel nur eine Tätigkeit der weltlichen Behörde vor uns. Das Bestehen eines Ketzergerichtes ist in unserer Stadt wohl denkbar; doch sehen wir stets nur den Rat beschäftigt, denselben Rat, der z. B. 1472 dem Dominikanergeneral den Heinrich Nolt, Mönch des Basler Klosters, zur Wahl als Inquisitor empfiehlt. Wenn er auch zuweilen nur Exekutor von Urteilen der kirchlichen Instanz sein mag, so handelt er in andern Fällen unverkennbar aus eigener Initiative. Durch den klerikalen Richter instruiert und in Bewegung gebracht, unter dem Zwange verbreiteter Anschauungen, unternimmt die weltliche Behörde von Amteswegen die Aufspürung der Hexen und ihre Bestrafung.

Die erste Verbrennung einer Hexe durch den Rat, von der wir vernehmen, geschah im Jahre 1444/45 in Waldenburg. Weitere Exekutionen dieser Art folgten in den 1450er Jahren.

Wir erinnern uns daran, daß in eben diesen Jahren Jacob Sprenger, ein geborner Basler, dem hiesigen Dominikanerkonvent angehörte. Mit seinem Ordensbruder Heinrich Institoris zusammen wurde er der Verfasser des berühmten Lehrbuches der Hexenverfolgung, des malleus maleficarum, und erhielt 1482 zugleich mit Institoris päpstliche Vollmacht, in ganz Deutschland gegen die Zauberer und Hexen gerichtlich vorzugehen.

[945] Mit Lebendigkeit führen uns gerichtliche Kundschaften von 1450 in dies Treiben. Der mit der Hexenverfolgung amtlich betraute Oberste Knecht Peter zum Blech wird vom Rate nach Heidelberg gesandt, wo dem Vernehmen nach viele Leute durch Hexen lahm geschwollen blind usw. geworden sind; der Pfalzgraf fragt den Peter, wie man zu Basel in solchen Fällen verfahre, und auf dessen Rat werden alle verdächtigen Weiber eingefangen und befragt; sie denunzieren noch andre, sodaß über Fangen und Foltern eine lange Zeit hingeht; zuletzt werden ihrer acht verbrannt, darunter des Stadtschreibers Frau als Königin aller Hexen. Peter zum Blech aber ist hiebei, durch Zutun der verzweifelnden Weiber, selbst lahm und krumm geworden, vom „Hexenschuß“ getroffen. Endlich wie er wieder gehen und reiten kann, kehrt er mit dem Hexenmeister, der ihn geheilt hat, nach Basel zurück und scheucht nun hier sofort einen Schwarm von Verdächtigen auf. Angst Bosheit Suggestion führen immer weiter zu Anklagen, alle Türme liegen voll von solchen Weibern, und Eine beschuldigt die Andre. Der Säckingerin, die krank ist, soll es die Fröhlicherin angetan haben; auch ihrem Manne hat diese die Kraft genommen. Die Burcine verredet sich, die Andern seien schuldiger als sie; Jene seien rechte Hexen, sie selbst nur eine „Zutreiberin“; die Fröhlicherin könne Hagel und Reif machen, Vieh und Leute lähmen u. dgl. m. Wir vernehmen bei dem Allem nur von Malefizien der alten Art, nicht von spezifischem Hexentum, und es kommt daher hier auch nicht zu einem Todesurteil. Vielleicht aber hängt die Verbrennung der Rößlerin in Waldenburg doch mit diesem Massenprozesse zusammen.

Die 1480er Jahre sodann, während deren überall in Oberdeutschland zahlreiche Hexen vertilgt werden, bringen auch unserer Stadt die Greuel dieser Verhöre und Verbrennungen in Menge: 1481, 1482, 1483, 1487, 1490, 1492, 1495 usw. Von da an kennt hier die Hexenverfolgung zunächst keine größern Pausen mehr.

Bezeichnenderweise gehört schon die früheste hier verurteilte Hexe der Berggegend des Baselgebietes an, dem Amte Waldenburg; in diesem sowie dem Amte Farnsburg finden sich dann auch in der Folge die meisten Hexen.

Zu beachten ist auch die seltsame Figur des Hexenmeisters. Er ist der allen Zauberkünsten gewachsene Kenner und Sachverständige; als solcher hilft er bei den Prozessen, namentlich bei Verhör und Folterung. Dem Meister Hans von Furnfelt wird nachgesagt, daß er alle Hexen, die in einem Lande seien, in einen Kreis zusammen bringen könne, auch daß [946] er am First eines Hauses zu erkennen vermöge, ob eine Hexe darin sei; er selbst leugnet dies und will nur mit Segenssprüchen und Kräutern Etlichen, denen Krankheit und Schwäche „angetan“ worden, zu helfen gesucht haben. Er heilt den verhexten Oberstknecht und, da die Säckingerin krank liegt und kein Arzt ihr helfen kann, kommt er an ihr Bett, besieht sie beim Schein einer geweihten Kerze und sagt: es ist Euch angetan. Aber der Rat will nur gewissenhafte Experten; wie Meister Hans eine Frau unbegründeterweise als Hexe verleumdet, wird er auf ewig aus Basel verbannt. 1487 funktioniert hier ein andrer Hexenmeister: Hans Trittherfür.


In Inquisition und Hexenverfolgung erkennen wir nicht nur dumpfen Fanatismus und Wahn, sondern auch ein leidenschaftliches eiliges Bemühen, zu strafen und zu retten, so lange es noch Zeit ist. „Das Jahrhundert stürmt dahin, und der Abend der Welt neigt sich seinem Ende zu“, ruft der große Richter Institoris im malleus, „und die wachsende Bosheit der Menschen wird inne, daß ihr nur noch kurze Frist gegönnt ist.“ Ähnlich klingt es aus dem Mund eines Andern, dem wir lieber zuhören, Heynlins: „Die ganze Welt verharrt in Sünden, und ein Narr ist, wer da hofft, in ihr Frieden zu erlangen. Wer ruhen will, der verlasse das stürmische Meer dieser Welt und steige auf den Berg, nach dem wir uns sehnen, den Berg der wahren und ewigen Ruhe, das Himmelreich.“ Mit diesen Empfindungen geht Heynlin in die Karthause. So will Christoph von Utenheim mit seinen Freunden Geiler und Lamparter die Welt verlassen und in einem Schwarzwaldtal Einsiedler werden. So preist Sebastian Brant das Glück des Mönchsdaseins. Und so würdigen wir auch das Überwältigtwerden Einzelner: die Konversionen des Frauenwirts Konrad Weber in der Neuen Vorstadt 1457 und der durch eine Predigt plötzlich miteinander ergriffenen sieben Dirnen an der Lys 1474; dann die berühmte Flucht des jungen Hieronymus Zscheckabürlin aus der Welt ins Kloster.

Vorgänge solcher Art lassen uns gewahr werden, welche Erschütterungen der Fülle dieses glänzenden und hochgestimmten Daseins beigegeben waren. Aber auch über sie hinaus noch sehen wir, beim letzten Blick auf die von Erlebnis Wahn und Ahnung aller Art aufs höchste erregte Stadt, viele Gestalten voll Unruhe und Sorge.

Nicht nur jene furchtbaren einzelnen Heimsuchungen bedrängen sie. Die Gewalt des Lebens überhaupt bringt in dem ungeheuern Reichtum seines Neuen und Großen Manchen zugleich eine beängstigende Last. Nachdenklicher als die mit dem Genusse jedes Tages neu Zufriedenen wissen sie sich abhängig [947] von einem Mächtigeren, empfinden sie Bangen mitten im Gefühle der Kraft und Gewalttat. Resigniert warten sie darauf, daß Alles dahingehn werde in den Schauern einer nahen Katastrophe.

Es gibt auch Starke, die mitten in der stolzen oder desperaten Stimmung der Zeit gleich Jenen auf Alles gefaßt sind, aber dabei doch sich selbst nicht verlieren, und denen hinter dem drohenden Gerichte schon wieder eine neue Erde winkt. Als ihren Wortführer vernehmen wir jenen merkwürdigen Nachbar Basels, der auch seinerseits mit dunklem Pessimismus allem ihn Umgebenden feind und fremd geworden ist, aber nicht die Waffen senkt. In seiner großen Reformschrift verlangt und verkündigt er die Zertrümmerung des Bestehenden und sodann das Werden einer neuen Kirche und eines neuen Reiches, einer neuen Ordnung alles Lebens, eines neuen Rechtes, das verkörpert ist im gemeinen Wohl. „Denn eigner Nutz fälschet das Recht.“

Anmerkungen (Wikisource)