« Einleitung Flavius Josephus
Gegen Apion
Buch 2 »
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Erstes Buch

1 (1.) Bereits in dem Werke über die Altertümer, welches die Geschichte von fünftausend Jahren umfasst und auf Grund unserer heiligen Bücher von mir in griechischer Sprache geschrieben wurde, habe ich, trefflicher Epaphroditos, die Leser desselben meiner Meinung nach hinreichend davon überzeugt, dass unser, der Juden Volk das älteste ist, dass es am ehesten ein selbständiges Dasein erlangte, und wie es in dem Lande, welches wir jetzt bewohnen, sich ansiedelte. 2 Da ich aber sehe, dass gar viele den böswilligen Verdächtigungen gewisser Menschen Glauben schenken, meinen Ausführungen in der Schrift über die Altertümer nicht trauen und die spätere Entstehung unseres Volkes aus dem Umstand herzuleiten suchen, dass es von den berühmten griechischen Geschichtschreibern keiner Erwähnung für wert gehalten wurde, 3 so glaubte ich über alle diese Punkte eine kurze Abhandlung schreiben zu müssen, einmal um die geflissentliche Verdrehung der Thatsachen seitens der Lästerer und die Böswilligkeit jener Leute zu kennzeichnen, dann aber auch um die Unwissenheit der anderen zu belehren und allen, die die Wahrheit zu erfahren wünschen, das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen. 4 Als Zeugen für meine Behauptungen werde ich diejenigen anführen, die, was Kenntnis des Altertums überhaupt betrifft, bei den Griechen als besonders glaubwürdig gelten; solche aber, deren Schriften über uns von Verleumdungen und Lügen wimmeln, will ich sich selbst widerlegen lassen. 5 Auch werde ich versuchen, die Gründe anzugeben, weshalb so wenige Griechen in [90] ihren Geschichtswerken unseres Volkes Erwähnung gethan, anderseits aber auch zu Nutz und Frommen derer, die es nicht wissen oder sich stellen, als wüssten sie es nicht, diejenigen Männer namhaft machen, die unsere Geschichte nicht übergangen haben.

6 (2.) Zunächst muss ich mich lebhaft über diejenigen verwundern, die da meinen, man dürfe in Bezug auf die ältesten Begebenheiten sich nur an die Griechen halten und bei ihnen allein die Wahrheit suchen, während wir und die anderen Menschen keinen Glauben verdienten. Sehe ich doch, dass das gerade Gegenteil davon zutrifft, wofern man überhaupt den Thatsachen gemäss urteilen und nicht etwa von leeren Einbildungen sich leiten lassen will. 7 Bei den Griechen nämlich ist, wie du finden wirst, alles neu und sozusagen erst gestern und vorgestern geschehen: die Gründung der Städte, die Erfindung der Künste und die Aufzeichnung der Gesetze; fast das allerneueste aber ist bei ihnen die Pflege der Geschichtschreibung. 8 Anderseits giebt es, wie sie selbst gestehen, die älteste und stetigste Überlieferung bei den Aegyptiern, Chaldäern und Phoeniciern; uns nämlich will ich für jetzt noch nicht mit diesen zusammen erwähnen. 9 Alle jene Völkerschaften wohnen ja in Gegenden, welche am wenigsten den aus umliegenden Ländern kommenden Verderbnissen ausgesetzt sind, und sie haben von jeher eine besondere Sorgfalt darauf verwendet, dass die bei ihnen sich abspielenden Vorgänge nicht der Vergessenheit anheimfallen möchten, sondern stets von den weisesten Männern in öffentlichen Urkunden niedergelegt würden. 10 Griechenland dagegen war in seiner ganzen Ausdehnung von tausendfältigen Drangsalen heimgesucht, welche die Erinnerung an die Vergangenheit verwischten, und weil das Leben immer wieder auf neuen Grundlagen sich vollzog, so glaubte jedes Zeitalter, das, womit es selbst begann, sei überhaupt der Anfang gewesen. Auch lernten die Griechen erst spät und unzureichend die Buchstabenschrift: 11 denn selbst die, welche den Gebrauch der Schrift am weitesten in die Vorzeit zurückversetzen, [91] können nichts anderes zu ihren Gunsten anführen, als dass ihnen dieselbe von den Phoeniciern und von Kadmos überkommen ist, und auch aus dieser Zeit vermag niemand ein Schriftstück aufzuweisen, das sich in Tempel- oder Staatsarchiven erhalten hätte. Ja, es ist sogar recht fraglich, ob auch nur die, welche um vieles später den Feldzug nach Troja unternahmen, sich der Schrift bedient haben; kommt doch als die richtigere Ansicht mehr und mehr diejenige zur Geltung, dass ihnen die jetzt übliche Buchstabenschrift unbekannt war.[1] 12 Überhaupt findet sich aber bei den Griechen kein Schriftwerk, von dem ein höheres Alter als das der homerischen Dichtung erwiesen wäre. Dieser Dichter lebte indes offenbar lange nach der trojanischen Epoche, und auch er hat ja, wie es heisst, sein Gedicht nicht schriftlich aufgezeichnet hinterlassen, sondern es soll, nachdem sich die einzelnen Gesänge durch Überlieferung fortgepflanzt hatten, erst später zu einem Ganzen verbunden worden sein, weshalb es auch so viele Textverschiedenheiten aufweise. 13 Diejenigen vollends, die sich bei den Griechen zuerst auf Geschichtschreibung verlegten, z. B. der Milesier Kadmos, der Argeier Akusilaos[2] und wer etwa ausser ihnen sonst noch genannt wird, fallen der Zeit nach erst kurz vor den Kriegszug der Perser gegen Griechenland. 14 Auch sind jene Männer, welche zuerst unter den Griechen über himmlische und göttliche Dinge philosophische Untersuchungen anstellten, wie der Syrier Pherekydes, Pythagoras und Thales, nach allgemeinem und einhelligem Zugeständnis Schüler der Aegyptier und Chaldäer gewesen und haben nur weniges schriftlich aufgezeichnet. Anscheinend halten die Griechen deren Schriften für die ältesten; dass sie aber auch [92] wirklich von ihnen verfasst sind, glauben sie nur halb.

15 (3.) Wie unvernünftig ist es daher von den Griechen, zu meinen, sie allein kännten die Vorzeit und niemand ausser ihnen besitze die genaue Geschichte derselben! Kann man doch gerade von ihren Geschichtschreibern mit leichter Mühe erfahren, dass sie ohne zuverlässige Kenntnis der Thatsachen und nur nach den Vermutungen geschrieben haben, wie ein jeder sie über die Begebenheiten hegte. Denn in ihren Büchern widerlegen sie meist einander selbst und scheuen sich nicht, über gleiche Vorgänge die entgegengesetztesten Behauptungen aufzustellen. 16 Ganz überflüssig wäre es, wenn ich die, welche es besser wissen als ich, darüber belehren wollte, in wie vielfacher Hinsicht Hellanikos bei der Aufstellung der Geschlechtsregister mit Akusilaos nicht übereinstimmt, wie oft Akusilaos den Hesiod berichtigt, oder wie Ephoros dem Hellanikos, dem Ephoros Timaios, dem Timaios seine Nachfolger, dem Herodot aber alle miteinander eine Menge Unwahrheiten nachweisen. 17 Was die Geschichte der Sikuler betrifft, glaubt Timaios dem Antiochos, Philistos, Kallias und deren Schülern widersprechen zu müssen; in der attischen Geschichte weichen die, welche über Attika geschrieben, in der argolischen die, welche über Argos berichtet haben, voneinander ab. 18 Doch was brauche ich die Geschichte von Städten und kleineren Gemeinwesen überhaupt zu erwähnen, da sogar über den Perserkrieg und dessen einzelne Begebenheiten die berühmtesten Schriftsteller nicht einig sind? Wird doch von manchen selbst Thukydides des Mangels an Wahrheitsliebe bezichtigt, obwohl er, wie man annimmt, die genaueste Geschichte seiner Zeit geschrieben hat.

19 (4.) Will man nach den Gründen dieses erheblichen Mangels an Übereinstimmung forschen, so mag man vielleicht deren viele entdecken; auf zwei aber, die ich sogleich anführen werde, lege ich das grösste Gewicht. Der meiner Meinung nach wichtigste, mit dem ich [93] beginne, liegt darin, 20 dass bei den Griechen von jeher kein Eifer darauf verwandt worden ist, die jeweiligen Ereignisse in öffentlichen Urkunden aufzuzeichnen. Gerade dieser Fehler hat bei denen, die später über die alten Begebenheiten etwas schreiben wollten, dem Irrtum und der Entstellung Thür und Thor geöffnet. 21 Denn abgesehen davon, dass auf derartige Aufzeichnungen von den übrigen Griechen kein Wert gelegt wurde, finden wir nicht einmal bei den Athenern, die doch als echte Ureinwohner des Landes und besondere Hüter der Bildung angesehen werden, dass etwas in dieser Beziehung geschehen sei. Vielmehr galten für die ältesten öffentlichen Schriften bei ihnen die Gesetze über den Mord, welche ihnen von Drakon gegeben wurden, einem Manne, der nur kurze Zeit vor der Tyrannenherrschaft des Peisistratos lebte. 22 Über die Arkader, die von dem hohen Alter ihres Volkes so viel Aufhebens machen, brauche ich ohnehin kein Wort zu verlieren; denn sie haben ja auch später kaum irgend eine litterarische Bedeutung erlangt.

23 (5.) Dieser Umstand also, dass keine älteren Aufzeichnungen vorhanden waren, aus denen die Wissbegierigen sich unterrichten und durch welche die Verfälscher der Wahrheit überführt werden konnten, erklärt den vielfachen Widerspruch der Geschichtschreiber untereinander. 24 Dem ersten Grunde ist dann noch der folgende hinzuzufügen. Diejenigen, welche sich auf Geschichtschreibung verlegten, bemühten sich nicht sowohl um die Wahrheit – obgleich sie nicht müde wurden, dies zu versichern – sondern sie wollten nur ihre Redegewandtheit zeigen,[3] 25 und jedes Mittel, wodurch sie andere hierin übertreffen zu können meinten, war ihnen eben recht. So wandten sich denn die einen zur Fabelei, andere lobten aus Gefallsucht Städte oder Könige, wieder andere unternahmen es, die Thatsachen selbst oder die, welche sie schilderten, [94] zu verkleinern, und glaubten sich dadurch besonderen Ruhm zu verschaffen: 26 kurzum, sie gefallen sich in einer Thätigkeit, die das gerade Gegenteil von echter Geschichtschreibung ist. Denn während für die Wahrheit der letzteren der Beweis darin liegt, dass über die gleichen Gegenstände alle dasselbe sagen und schreiben, glaubten sie nur dann als recht wahrheitsliebend zu erscheinen, wenn jeder den nämlichen Gegenstand anders darstellte. 27 Allerdings was äussere Form und die Meisterschaft darin angeht, müssen wir den griechischen Schriftstellern den Vorrang lassen, nicht aber auch inbetreff der Wahrheit der Urgeschichte überhaupt und am allerwenigsten hinsichtlich der jedem Volke eigentümlichen Geschichte der Vorzeit.

28 (6.) Dass nun bei den Aegyptiern und Babyloniern von alters her mit der Besorgung geschichtlicher Aufzeichnungen die Priester und bei den Babyloniern insbesondere die Chaldäer[4] betraut waren, dass ferner von den Völkern, die zu den Griechen Verkehrsbeziehungen unterhielten, vornehmlich die Phoenicier sowohl im Handel und Wandel als zur Herstellung staatlicher Urkunden sich der Schrift bedienten, glaube ich, da es allgemein zugegeben wird, nicht weiter ausführen zu sollen. 29 Dass aber unsere Vorfahren die gleiche Sorgfalt – ob nicht vielleicht eine noch grössere als die Genannten, lasse ich dahingestellt – auf geschichtliche Aufzeichnungen verwandten, indem sie dieselben den Hohepriestern und Propheten übertrugen, und dass diese Aufzeichnungen bis zu unseren Zeiten mit grosser Gewissenhaftigkeit bewahrt worden sind und, wenn ich kühner reden darf, auch in Zukunft werden bewahrt bleiben, will ich versuchen in Kürze darzuthun.

30 (7.) Sie haben nämlich nicht nur von Anfang an diese Verrichtung den besten und im Dienste Gottes eifrigsten Männern übertragen, sondern sie liessen es sich auch [95] angelegen sein, das Geschlecht der Priester unvermischt und rein zu erhalten. 31 Denn wer des Priestertums teilhaftig ist, darf nur mit einer Landsmännin Kinder zeugen und bei ihr weder auf Geld noch auf sonstige Vorzüge sehen, sondern er muss zunächst ihre Herkunft prüfen, indem er die Erbfolge aus den alten Geschlechtern in Betracht zieht und zahlreiche Zeugen beibringt. 32 Und so halten wir es nicht nur in Judaea selbst – sondern überall, wo zahlreichere Gemeinden unseres Volkes sich befinden, da werden auch die Vorschriften über die Eheschliessung der Priester genau beobachtet, 33 wie in Aegypten, in Babylon und wo sonst in der Welt jüdische Priester zerstreut sind. Denn die letzteren schicken dann die Namen ihrer Eltern und der Voreltern väterlicherseits nach Jerusalem unter gleichzeitiger Angabe von Zeugen. 34 Bricht ein Krieg aus, wie dies schon oft der Fall war, z. B. als Antiochus Epiphanes, Pompejus Magnus und Quintilius Varus ins Land einfielen, besonders aber in unseren Tagen,[5] 35 so stellen die übriggebliebenen Priester aus den alten Urkunden wieder neue zusammen und prüfen die noch lebenden Weiber. Denn die in Kriegsgefangenschaft geratenen nehmen sie nicht in die Listen auf, weil sie bei ihnen den in diesem Falle so häufigen geschlechtlichen Verkehr mit Fremden vermuten. 36 Der beste Beweis für die Sorgfalt, womit hierbei zu Werk gegangen wird, ist der, dass bei uns alle Hohepriester seit zweitausend Jahren mit Namen und unter Angabe ihres Stammbaums von väterlicher Seite in den Urkunden aufgeführt sind, und wer irgend eine der genannten Bedingungen nicht erfüllt, darf weder den Altardienst versehen noch an den übrigen heiligen Handlungen teilnehmen. 37 Erklärlich ist ja auch die Genauigkeit der Register, oder vielmehr sie muss unbedingt vorhanden sein, da nicht jeder nach Belieben die Eintragungen machen durfte, wobei es ohne Widersprüche wohl nicht hergegangen wäre, sondern jenes Recht nur [96] den Propheten zustand, welche die ältesten Ereignisse der Vorzeit durch göttliche Eingebung erfahren und die Begebnisse der eigenen Tage genau so, wie sie sich zutrugen, geschildert haben.

38 (8.) Denn bei uns giebt es keine Unzahl voneinander abweichender und sich gegenseitig widersprechender Bücher, sondern nur zweiundzwanzig,[6] welche die gesamte Vergangenheit schildern und mit Recht als göttlich angesehen werden. 39 Fünf derselben sind von Moyses;[7] sie enthalten die Gesetze und die Geschichte von der Entstehung des Menschengeschlechtes bis zum Tode des Verfassers. Dieser Zeitraum erstreckt sich über beiläufig drei Jahrtausende. 40 Vom Ableben des Moyses aber bis zur Regierung des Artaxerxes, der nach Xerxes über die Perser herrschte, haben die auf Moyses folgenden Propheten die Begebenheiten ihrer Zeit in dreizehn Büchern aufgezeichnet; die übrigen vier enthalten Lobgesänge auf Gott und Vorschriften für das Leben der Menschen. 41 Auch von Artaxerxes an bis auf unsere Tage ist alles eingehend beschrieben; diese Bücher stehen aber nicht in gleichem Ansehen wie die früheren, weil es da an der genauen Aufeinanderfolge der Propheten mangelte.[8] 42 Ein Beweis für das Vertrauen, das wir jenen volkstümlichen Schriften entgegenbringen, ergiebt sich übrigens aus folgender Thatsache. In den vielen Jahrhunderten, die seit Abfassung der erwähnten Bücher verstrichen sind, hat noch niemand sich erdreistet, Zusätze im Text anzubringen oder Verstümmelungen und sonstige Änderungen daran vorzunehmen. Alle [97] Juden bringen vielmehr den Glauben an deren göttlichen Ursprung gleichsam mit zur Welt wie auch den Vorsatz, ihnen treu zu bleiben und, wenn es sein muss, mit Freuden für sie zu sterben. 43 Hat man doch schon oft Kriegsgefangene gesehen, die massenhaft bei der Aufführung von Schauspielen Folterqualen und alle möglichen Todesarten auf sich nahmen, nur um kein Wort gegen die Gesetze und die dazu gehörigen Schriften aussprechen zu müssen. 44 Welcher Grieche würde das für sein Gesetz erdulden oder auch nur den geringsten Schaden sich gefallen lassen, selbst wenn er dadurch die gesamte Litteratur seines Vaterlandes vom Untergang retten könnte? 45 Denn sie halten ihre Schriften doch nur für rednerische Kunststücke, in denen die Verfasser sich nach Herzenslust breit machten. Und mit Recht denken sie in dieser Weise sogar von den älteren Schriftstellern; müssen sie doch sehen, wie einige ihrer Zeitgenossen über Ereignisse schreiben, bei denen sie nicht persönlich zugegen waren und über die sie nicht einmal bei Augenzeugen sich zu erkundigen für gut fanden. 46 Selbst über den Krieg, den wir jüngst führten, haben gewisse Leute Berichte geschrieben und veröffentlicht, ohne an Ort und Stelle gewesen zu sein, ja ohne auch nur in die Nähe des Kriegsschauplatzes sich begeben zu haben. Vielmehr stellten sie nur vom Hörensagen einiges zusammen und waren dann dreist genug, den Namen Geschichte durch derartiges Geschreibsel zu verunglimpfen.[9]

47 (9.) Ich dagegen habe sowohl den Krieg im allgemeinen, wie auch die einzelnen Begebenheiten desselben wahrheitsgetreu schildern können, weil ich an allen Ereignissen persönlich teilnahm. 48 Denn zunächst befehligte ich, so lange noch Widerstand möglich war, die sogenannten [98] Galiläer; hierauf geriet ich in römische Kriegsgefangenschaft und wurde während meiner Haft von Vespasianus und Titus genötigt, ihnen beständig zur Seite zu bleiben, wobei man mich anfangs gefesselt hielt; später ward ich meiner Bande entledigt und von Alexandria aus mit Titus zur Belagerung Jerusalems geschickt. 49 In dieser Zeit entzog sich nicht das Geringste meiner Kenntnis; denn was ich im Lager der Römer sah, schrieb ich sorgfältig nieder, und die Berichte der Überläufer waren ohnehin nur mir verständlich. 50 Als ich sodann in Rom Musse fand und den ganzen Stoff beisammen hatte, verfasste ich die genaue Darstellung der Begebenheiten, indem ich der griechischen Sprache wegen einige Hilfskräfte heranzog. Dabei gab mir das Bewusstsein der Wahrhaftigkeit einen solchen Mut, dass ich die beiden Männer, die aus jenem Kriege als Imperatoren hervorgingen, Vespasianus und Titus, vor allen anderen als Zeugen glaubte anrufen zu dürfen. 51 Denn ihnen zuerst übergab ich die Bücher, die ich hernach an viele Römer verkaufte, welche den Krieg mitgemacht hatten, sowie ferner an viele meiner Landsleute. Unter den letzteren befanden sich Männer, die auch mit griechischer Weisheit wohlvertraut waren, wie Julius Archelaus,[10] der erlauchte Herodes[11] und der hochbewunderte König Agrippa selbst. 52 Sie alle bezeugten mir, dass ich gewissenhaft der Wahrheit die Ehre gegeben, und sie würden gewiss nicht geschwiegen haben, wenn ich aus Unwissenheit oder Liebedienerei irgendwelche Thatsachen verdreht oder übergangen hätte.

53 (10.) Nichtsdestoweniger erfrechten sich gewisse schlechte Menschen, mein Geschichtswerk zu verkleinern, indem sie dasselbe nur als Übungsstück hinstellen, wie es etwa [99] von jungen Leuten in der Schule angefertigt wird. Damit bringen sie freilich eine ungeheuerliche Anklage und Verleumdung vor. Man sollte doch wissen, dass, wer anderen eine Darstellung thatsächlicher Begebenheiten verspricht, zuvor selbst genaue Kenntnis davon erlangt haben muss, entweder dadurch, dass er mit dabei gewesen ist, oder dadurch, dass er sie von Augenzeugen vernommen hat; 54 und eben dies glaube ich bei beiden Werken recht sorgfältig gethan zu haben. Denn die Altertümer übersetzte ich, wie schon erwähnt, aus den heiligen Schriften, da ich als Priester und Abkömmling eines Priestergeschlechtes die in den letzteren enthaltene Weisheit besonders verstehe; 55 die Geschichte des Krieges aber schrieb ich, nachdem ich bei vielen Ereignissen desselben die handelnde Hauptperson, bei den meisten Augenzeuge gewesen war, überhaupt aber alles, was während des Krieges verhandelt und vollführt wurde, mit sämtlichen Einzelheiten in Erfahrung gebracht hatte. 56 Wie könnte also das Benehmen derer, die sich erkühnen, mir die Wahrheit streitig zu machen, etwas anderes als Frechheit sein? Mögen sie immerhin sagen, sie hätten die Denkwürdigkeiten der Imperatoren gelesen: bei dem, was auf unserer, der Gegner, Seite vorging, sind sie doch nicht zugegen gewesen.

57 (11.) Notgedrungen machte ich diese Abschweifung, wodurch ich zugleich die mangelhafte Befähigung derer, die sich als Geschichtschreiber aufspielen, zeigen wollte. 58 Nachdem ich nun im Vorstehenden genügsam, wie ich glaube, bewiesen habe, dass schriftliche Aufzeichnung alter Begebenheiten bei den Barbaren mehr als bei den Griechen zu Hause ist, will ich zunächst mit denen, die aus dem angeblichen Stillschweigen griechischer Geschichtschreiber über uns Veranlassung nehmen, das hohe Alter unseres Volkes zu leugnen, 59 eine kurze Erörterung halten und sodann aus den schriftlichen Urkunden anderer Völker Zeugnisse für unser frühes Dasein beibringen sowie die völlige Grundlosigkeit der gegen unsere Nation vorgebrachten Schmähungen darthun.

[100] 60 (12.) Wir Juden bewohnen weder ein Küstenland,[12] noch haben wir Freude am Handel[13] und dem dadurch begünstigten Verkehr mit den Fremden – sondern unsere Städte liegen weit vom Meere entfernt, und wir beschäftigen uns hauptsächlich mit der Bearbeitung unseres vortrefflichen Ackerbodens. Den grössten Eifer aber verwenden wir auf die Erziehung der Kinder, und die Beobachtung der Gesetze wie der durch sie überlieferten Frömmigkeit machen wir zur wichtigsten Aufgabe unseres Lebens. 61 Erwägt man nun ausser dem Gesagten noch die Eigentümlichkeit unserer Lebensweise, so ergiebt sich, dass keiner von den Anlässen vorlag, welche in früheren Zeiten einen Verkehr der Unsern mit den Griechen hätten bewirken können, wie ein solcher Verkehr der letzteren mit den Aegyptiern durch die Ein- und Ausfuhr, mit den Bewohnern der phoenicischen Küste durch den Eifer im Klein- und Grosshandel aus Liebe zum Geldgewinn entstand. 62 Auch verlegten sich unsere Vorfahren nicht wie gewisse andere Völker auf Räubereien[14] oder Eroberungskriege, obgleich ihr Land viele Tausende beherzter Männer aufwies. 63 So kam es denn, dass die Phoenicier, indem sie des Handels wegen zu den Griechen segelten, alsbald mit diesen bekannt wurden, und durch sie die Aegyptier und weiterhin alle diejenigen, aus deren Ländern sie, weite Meeresstrecken durchfahrend, den Griechen Schiffsladungen zubrachten. 64 In der Folge lernten sie auch die Meder und Perser dadurch kennen, dass diese ihre Herrschaft weiter über Asien ausbreiteten, die letzteren insbesondere durch deren Kriegszug in den anderen Weltteil; von den Thrakern erhielt man Nachricht, weil sie in ziemlicher Nähe wohnten, von den [101] Skythen durch die den Pontus befahrenden Schiffer. 65 Überhaupt kam zu denen, welche sich in Geschichtschreibung versuchen wollten, viel eher die Kunde von den Küstenbewohnern, mochte es sich nun um das östliche oder das westliche Meer handeln, als von den Völkern im Binnenlande, über die sie zumeist gar nichts erfuhren. 66 Das war augenscheinlich schon in Europa der Fall: denn die Stadt Rom, die bereits seit langer Zeit eine bedeutende Macht erlangt hatte und von der so herrliche Kriegsthaten ausgegangen waren, hat weder Herodot noch Thukydides noch ein Zeitgenosse dieser beiden erwähnt, sondern erst verhältnismässig spät drang ein dunkles Gerücht von ihr zu den Griechen. 67 Und vollends über die Gallier und Iberer sind die Geschichtschreiber, welche für die gründlichsten gelten, wie z. B. Ephoros, in solcher Unwissenheit, dass dieser die Iberer, die doch einen grossen Teil der westlichen Erde innehaben, für die Bewohner einer einzigen Stadt hält, und dass jene Geschichtschreiber insgemein ihnen Gewohnheiten als wirklich bei ihnen bestehend zuschreiben, die weder unter ihnen anzutreffen noch sonst von jemand behauptet worden sind. 68 Dass sie die Wahrheit nicht kannten, lag an dem mangelhaften Verkehr, dass sie falsche Berichte schrieben, an der Sucht, mehr als andere erzählen zu wollen. Ist es da noch zu verwundern, wenn auch unser Volk, das so weit vom Meere entfernt wohnt und eine so eigentümliche Lebensweise führt, nicht gar vielen bekannt wurde und keinen Anlass bot, es in Schriftwerken zu erwähnen?

69 (13.) Gesetzt nun den Fall, wir wollten umgekehrt zum Beweis dafür, dass die Griechen keine alte Nation sind, uns darauf stützen, dass in unseren Schriften nichts von ihnen erwähnt wird. Würden sie dann nicht alle uns auslachen, vermutlich die gleichen Gründe, die ich eben geltend machte, vorbringen und ihre Nachbarvölker als Zeugen ihres frühen Daseins anführen? 70 Nun, so will auch ich dasselbe zu thun versuchen. Die Aegyptier hauptsächlich und die Phoenicier möchte ich als Zeugen [102] aufrufen, und es wird wohl niemand ihr Zeugnis als falsch verwerfen können. Denn bekanntlich sind die Aegyptier insgesamt sehr schlecht auf uns zu sprechen, wie unter den Phoeniciern besonders die Tyrier. 71 Von den Chaldäern kann ich allerdings nicht dasselbe sagen, weil sie das Stammvolk unseres Geschlechtes sind und auch in ihren Schriften der Juden als eines ihnen verwandten Volkes Erwähnung thun. 72 Nachdem ich von[15] ihnen Beweise beigebracht, werde ich zu den griechischen Schriftstellern übergehen, welche die Juden erwähnt haben, damit die Verleumder auch von dieser Seite keine Gründe für ihren Widerspruch gegen uns mehr heranziehen können.

73 (14.) Beginnen will ich also mit den aegyptischen Urkunden. Sie selbst hierher zu setzen ist freilich nicht angängig. Manetho aber war bekanntlich geborener Aegyptier und besass griechische Bildung, denn er schrieb in griechischer Sprache[16] die Geschichte seines Vaterlandes und zwar, wie er selbst sagt, indem er aus den heiligen Büchern übersetzte; auch weist er nach, dass Herodot, was die aegyptische Geschichte anlangt, aus Unkenntnis viele Irrtümer begangen hat. 74 Dieser Manetho nun schreibt im zweiten Buche seiner „Aegyptiaka“ über uns wie folgt (ich führe seine eigenen Worte an, da ich ihn gewissermassen als Zeugen sprechen lassen will): 75 „Wir hatten einen König mit Namen Timaos; während seiner Regierung entzog uns die Gottheit – ich weiss nicht weshalb – ihre Gunst: ganz unerwartet drangen Menschen von unbekannter Abstammung aus den östlichen Gegenden mit keckem Mut in unser Land ein und brachten es leicht und ohne Schwertstreich in ihre Gewalt. 76 Und nachdem sie sich der Befehlshaber bemächtigt hatten, legten sie schonungslos die Städte in Asche und verwüsteten die Heiligtümer der Götter; alle Eingeborenen behandelten sie aufs feindseligste, indem [103] sie die einen niedermachten, den anderen Weib und Kind in die Sklaverei fortschleppten. 77 Schliesslich machten sie einen aus ihrer Mitte Namens Salatis zum König. Dieser liess sich in Memphis nieder, legte dem oberen und unteren Lande schwere Steuern auf und versah die geeignetsten Plätze mit Besatzungen. Hauptsächlich aber befestigte er die östlichen Teile des Landes, um sich gegen die damals übermächtigen Assyrier zu schützen, von denen er annahm, dass sie einen Einfall ins nämliche Königreich planten. 78 Da er nun im Saïtischen Bezirk eine östlich vom bubastischen Arm des Flusses[17] sehr günstig gelegene Stadt entdeckte, die nach dem Verfasser einer älteren Götterlehre Auaris genannt wurde, erweiterte er sie, befestigte sie mit äusserst starken Mauern und legte eine Besatzung von nahezu zweihundertvierzigtausend Schwerbewaffneten hinein. 79 Hierher kam er zur Sommerszeit, teils um die Verteilung von Proviant und Sold vorzunehmen, teils auch um durch fleissige Einübung der Krieger den Auswärtigen Furcht einzuflössen. Er schied nach neunzehnjähriger Regierung aus dem Leben. 80 Nach ihm herrschte ein anderer mit Namen Beon vierundvierzig Jahre, hierauf Apachnas sechsunddreissig Jahre und sieben Monate, sodann Apophis einundsechzig Jahre, weiterhin Janias fünfzig Jahre und einen Monat, endlich noch Assis neunundvierzig Jahre und zwei Monate. 81 Das waren ihre sechs ersten Könige, welche beständig mit Aegypten im Kriege lagen und es sozusagen mit Stumpf und Stiel zu vertilgen suchten. 82 Das ganze Volk führte den Namen Hyksos, d. h. Hirtenkönige; denn Hyk bedeutet in der heiligen[18] Sprache „König“, Sos aber heisst „Hirt“ und hat diese Bedeutung auch in der gemeinen Sprache. So entstand das zusammengesetzte Wort Hyksos. Einige halten sie für [104] Araber.“ 83 In einem anderen Exemplar übrigens heisst es, die Silbe Hyk bedeute nicht „Könige“, sondern durch das ganze Wort würden kriegsgefangene Hirten bezeichnet. Thatsächlich ist im Aegyptischen das Wort Hyk neben der anderen Form Hak – mit der Aspiration – die eigentliche Bezeichnung für Kriegsgefangene. Diese Auslegung erscheint mir glaubwürdiger und mehr mit der alten Geschichte übereinstimmend. 84 Die vorhin erwähnten Könige der Hirten nun, erzählt Manetho weiter, und deren Nachkommen hätten fünfhundertelf Jahre lang über Aegypten geherrscht. 85 Darauf hätten die Könige von Thebaïs und dem übrigen Aegypten einen Aufstand gegen die Hirten erregt, und es sei ein heftiger und langwieriger Krieg zwischen ihnen ausgebrochen. 86 Schliesslich habe ein König Namens Alisphragmuthosis die Hirten besiegt, sie aus ganz Aegypten vertrieben und in einen zehntausend Joch umfassenden Ort eingeschlossen, der Auaris geheissen habe. 87 Die Hirten hätten, fährt Manetho fort, diesen Platz mit einer grossen und starken Mauer umzogen, um ihre gesamte Habe sowie die gemachte Beute dort sicher bergen zu können. 88 Des Alisphragmuthosis Sohn Thummosis habe sie alsdann mit vierhundertachtzigtausend Mann belagert und die Festung zu stürmen versucht, aber die Belagerung aufgeben müssen und einen Vertrag mit ihnen geschlossen, demzufolge sie Aegypten verlassen und, ohne irgendwie belästigt zu werden, sollten ziehen dürfen, wohin es ihnen beliebe. 89 Dieser Übereinkunft gemäss seien sie mit ihren Familien und ihrem ganzen Besitztum in der Stärke von nicht weniger als zweihundertvierzigtausend Köpfen aus Aegypten aufgebrochen und hätten den Weg durch die Wüste nach Syrien eingeschlagen. 90 Weil sie sich aber vor der Herrschaft der Assyrier, die damals Asien in ihrer Gewalt hatten, fürchteten, hätten sie in dem Lande, welches jetzt Judaea heisst, eine Stadt erbaut, die Tausende von Menschen fassen konnte, und diese Stadt Jerusalem genannt. 91 In einem anderen Buche der „Aegyptiaka“ berichtet Manetho, dieses sogenannte Hirtenvolk [105] werde in seinen eigenen heiligen Büchern[19] auch als Kriegsgefangene bezeichnet, und darin hat er recht. Denn unsere ältesten Vorfahren hatten die Gewohnheit, Herden zu weiden, führten ein Nomadenleben und wurden deshalb Hirten genannt.[20] 92 Anderseits werden sie von den Aegyptiern in deren Schriften nicht ohne Grund als Gefangene bezeichnet, da ja unser Ahnherr Joseph dem Aegyptierkönig gegenüber sich selbst einen Gefangenen nannte[21] und später mit des Königs Erlaubnis seine Brüder nach Aegypten kommen liess. Hierüber[22] indes werde ich noch anderswo eine genauere Untersuchung anstellen.

93 (15.) Jetzt aber will ich als Zeugen für das hohe Alter jener Ereignisse abermals die Aegyptier reden lassen und Manethos Mitteilungen über das Verhältnis der Zeitordnung wiedergeben. Er sagt nämlich folgendes: 94 „Nach dem Auszug des Hirtenvolkes aus Aegypten gen Jerusalem herrschte der König Tethmosis, der sie verjagt hatte, bis zu seinem Tode noch fünfundzwanzig Jahre und vier Monate, worauf sein Sohn Chebron dreizehn Jahre lang das Scepter führte. 95 Alsdann regierten der Reihe nach: Amenophis zwanzig Jahre und sieben Monate; dessen Schwesster Amessis einundzwanzig Jahre und neun Monate; Mephres zwölf Jahre und neun Monate; Mephramuthosis einundzwanzig Jahre und zehn Monate; 96 Thmosis neun Jahre und acht Monate; Amenophis dreissig Jahre und zehn Monate; Oros sechsunddreissig Jahre und fünf Monate; dessen Tochter Akenchres zwölf Jahre und einen Monat; deren Bruder Rathotis neun Jahre; 97 Akencheres I. zwölf Jahre und fünf Monate; [106] Akencheres II. zwölf Jahre und drei Monate; Armaïs vier Jahre und einen Monat; Ramesses ein Jahr und vier Monate; Armesses, der Sohn des Miammos, sechsundsechzig Jahre und zwei Monate; Amenophis neunzehn Jahre und sechs Monate; 98 endlich Sethosis, auch Ramesses[23] genannt, der eine starke Reiterei und eine beträchtliche Kriegsflotte besass. Dieser setzte seinen Bruder Armaïs als Verwalter des aegyptischen Reiches ein und übertrug ihm alle königlichen Rechte; nur verbot er ihm, das Diadem zu tragen, die Königin als Mutter der Prinzen zu beleidigen und mit den Kebsweibern des Königs Umgang zu pflegen. 99 Er selbst zog gegen Cypern und Phoenicien und sodann gegen die Assyrier und Meder zu Felde und unterwarf sie alle teils mit Waffengewalt, teils durch den blossen Schrecken, den seine Macht ihnen einflösste, und ohne Schwertstreich. Diese Erfolge machten ihn übermütig, und alsbald unternahm er einen zweiten, noch verwegeneren Kriegszug, um die Städte und Länder im Osten[24] zu unterjochen. 100 Einige Zeit nachher nun fing der in Aegypten zurückgelassene Armaïs an, sonder Scheu alles zu treiben, was sein Bruder ihm untersagt hatte: er vergriff sich an der Königin, gebrauchte ohne Bedenken die Kebsweiber, trug auf Zureden seiner Freunde die Königskrone und warf sich in aller Form zum Gegenkönig seines Bruders auf. 101 Der Beamte jedoch, der mit der Oberaufsicht über die Heiligtümer Aegyptens betraut war, schickte dem Sethosis eine von ihm verfasste Denkschrift, worin er diesen von allem in Kenntnis setzte und ihm namentlich mitteilte, wie sein Bruder Armaïs sich wider ihn aufgelehnt habe. Sethosis kehrte deshalb schleunigst zurück, erschien vor Pelusium und musste sich sein eigenes Reich wieder erobern. 102 Von ihm erhielt das Land den Namen Aegypten; denn Sethosis wurde – so sagt Manetho – [107] auch Aigyptos, sein Bruder Armaïs auch Danaos genannt.“

103 (16.) Soweit Manetho. Rechnet man nun die erwähnten Jahre zusammen, so ergiebt sich, dass die sogenannten Hirten, unsere Vorfahren, als sie aus Aegypten fortgezogen waren, sich in ihrem jetzigen Lande dreihundertdreiundneunzig Jahre früher ansiedelten als Danaos nach Argos kam. Und doch halten die Argeier diesen für ihren ersten Stammvater. 104 Zwei äusserst wichtige Thatsachen also hat uns Manetho aus den aegyptischen Urkunden bezeugt: erstens, dass unsere Vorfahren von auswärts nach Aegypten gekommen, zweitens, dass sie von dort wieder weggezogen sind und zwar in so uralter Zeit, dass ihr Auszug fast tausend Jahre vor den Trojanischen Krieg fällt. 105 Die übrigen Angaben Manethos aber, die er nach eigenem Geständnis nicht aus aegyptischen Urkunden, sondern aus unverbürgten Sagen geschöpft hat, werde ich unten im einzelnen widerlegen und dabei zeigen, wie unglaubwürdig sein diesbezügliches Gerede ist.

106 (17.) Ich will nun zu den Mitteilungen übergehen, welche die phoenicischen Urkunden über unser Volk enthalten, und die ihnen entnommenen Zeugnisse hierhersetzen. 107 Bei den Tyriern nämlich giebt es weit zurückreichende, von Staatswegen verfasste Schriften über alles, was sich bei ihnen selbst zutrug und was nach aussen hin[25] geschah. 108 Darin findet sich auch die Angabe, dass zu Jerusalem von dem Könige Solomon hundertdreiundvierzig Jahre acht Monate vor der Gründung Karthagos durch die Tyrier ein Tempel erbaut worden sei, 109 und es wird auch die Einrichtung unseres Tempels daselbst beschrieben. Hirom[26] nämlich, der König der Tyrier, hatte, dem Beispiel seines Vaters folgend, mit unserm Könige Solomon Freundschaft geschlossen, 110 und da er es sich zur Ehre anrechnete, im Verein mit Solomon zur prächtigen [108] Ausgestaltung des Bauwerkes beizutragen, schenkte er hundertzwanzig Talente Gold und schickte zugleich für die Bedachung überaus schöne Baumstämme, die er auf dem sogenannten Libanongebirge hatte fällen lassen. Solomon machte ihm dagegen ausser vielem andern auch ein Stück Land in dem Bezirk von Galilaea, der Chabulon heisst, zum Geschenk. 111 Vornehmlich jedoch war es der Drang nach Weisheit, der ihre Freundschaft knüpfte; denn sie sandten sich gegenseitig schwierige Aufgaben zum Lösen, worin Solomon, der auch sonst der weisere war, den Hirom übertraf. Noch jetzt werden bei den Tyriern viele von den Briefen aufbewahrt, die sie miteinander wechselten.[27] 112 Dass aber diese Angaben über die bei den Tyriern vorhandenen Schriftstücke nicht etwa von mir erfunden sind, mag das Zeugnis des Dios beweisen, eines Mannes, dem man eine besondere Kenntnis der phoenicischen Geschichte zutraut. Er schreibt in seiner Geschichte der Phoenicier folgendermassen:[28] 113 „Nach dem Tode des Abibalos bestieg dessen Sohn Hirom den Thron. Dieser versah auch den östlichen Teil von Tyrus mit Festungswerken, erweiterte die Stadt und brachte mit ihr den bis dahin abseits auf einer Insel stehenden Tempel des Olympischen Zeus dadurch in Verbindung, dass er zwischen Stadt und Insel einen Damm anlegte. Den Tempel schmückte er mit goldenen Weihgeschenken; auch stieg er auf den Libanon und liess dort Bäume für die Erbauung von Tempeln fällen. 114 Der Beherrscher von Jerusalem, Solomon, soll dem Hirom Rätselfragen geschickt und von ihm ebensolche verlangt haben unter der Bedingung, dass der, welcher sie nicht lösen könne, dem Errater eine Geldzahlung leisten müsse. 115 Hirom sei darauf eingegangen, und da er die Rätsel nicht zu lösen vermochte, habe er grosse Summen als Strafe bezahlt. Später aber habe ein Tyrier mit Namen Abdemon die Aufgaben gelöst und nun seinerseits andere [109] gestellt, deren Lösung dem Solomon nicht gelang, worauf dieser dem Hirom noch weit mehr Geld habe entrichten müssen.“[29] So werden durch das Zeugnis des Dios unsere obigen Mitteilungen bestätigt.

116 (18.) Des weiteren führe ich Menander von Ephesos an. Er hat die Begebenheiten unter allen Königen griechischer wie barbarischer Nationalität beschrieben und sich bemüht, aus den einzelnen Landesurkunden die geschichtlichen Thatsachen kennen zu lernen. 117 In seinem Bericht über die früheren Könige von Tyrus nun kommt er auch auf Hirom zu sprechen und äussert sich folgendermassen: „Nach dem Tode des Abibalos folgte ihm in der Regierung sein Sohn Hirom, der dreiundfünfzig Jahre lebte und vierunddreissig Jahre den Thron innehatte. 118 Er legte den sogenannten weiten Platz an, stiftete in den Tempel des Zeus die goldene Säule, begab sich auf das Libanongebirge und liess dort Cedern fällen, um das zur Bedachung von Tempeln nötige Holz zu gewinnen. Die alten Tempel liess er niederreissen und neue erbauen; dem Herakles und der Astarte weihte er je ein Heiligtum, 119 zunächst das des Herakles im Monat Peritios, später, als er aus einem siegreichen Feldzug gegen die Tityer, welche die Steuern verweigert hatten, zurückkehrte, auch das der Astarte. 120 Während seiner Regierung lebte ein jüngerer Sohn des Abdemon, der in dem von Solomon, dem Könige zu Jerusalem, angeregten Rätselwettstreit den Sieg errang.“ 121 Der Zeitraum von diesem Könige bis zur Gründung Karthagos wird sodann folgendermassen berechnet: „Als Hirom gestorben war, folgte ihm auf dem Throne sein Sohn Baleazar, der sieben Jahre regierte und dreiundvierzig Jahre alt wurde. 122 Dessen Sohn und Nachfolger Abdastratos starb nach neunjähriger Regierung im neunundzwanzigsten Lebensjahr, meuchlings ermordet von den vier Söhnen seiner Amme, deren ältester zwölf Jahre lang die Herrschaft [110] behauptete. Nach ihm regierte zwölf Jahre lang des Delaiastartos Sohn Astartos, der ein Alter von fünfzig Jahren erreichte. 123 Hierauf herrschte neun Jahre lang dessen Bruder Aserymos, der im vierundfünfzigsten Lebensjahr von seinem Bruder Pheles umgebracht wurde. Dieser bemächtigte sich sodann des Thrones und starb nach achtmonatlicher Regierung im Alter von fünfzig Jahren. Ihn tötete Ithobal, der Priester der Astarte, der nun zweiunddreissig Jahre lang König blieb und achtundsechzig Jahre alt wurde, 124 worauf ihm sein Sohn Badezor folgte, der nach sechsjähriger Regierung im fünfundvierzigsten Lebensjahre starb. 125 Dessen Sohn und Nachfolger war Matgenos; dieser erreichte ein Alter von zweiunddreissig Jahren und regierte neun Jahre lang. Alsdann kam sein Sohn Pygmalion auf den Thron, der diesen siebenundvierzig Jahre innehatte und im Alter von sechsundfünfzig Jahren starb. Im siebenten Jahre seiner Regierung baute seine Schwester,[30] die aus ihrer Heimat geflohen war, in Libyen die Stadt Karthago.“ 126 Mithin umfasst der gesamte Zeitraum von der Thronbesteigung Hiroms bis zur Gründung von Karthago hundertfünfundfünfzig Jahre acht Monate. Da aber im zwölften Regierungsjahre Hiroms der Tempel in Jerusalem errichtet wurde, so sind von der Erbauung des Tempels bis zur Gründung Karthagos hundertdreiundvierzig Jahre und acht Monate verflossen. 127 Was brauche ich nun diesem phoenicischen Zeugnis noch weiter hinzuzufügen? Lässt doch die unter den Zeugen herrschende Übereinstimmung die Wahrheit in recht hellem Lichte erscheinen. Selbstverständlich aber ist die Ankunft unserer Vorfahren in Judaea weit früher anzusetzen als die Erbauung des Tempels; denn erst nachdem sie das ganze Land erobert hatten, begannen sie das Heiligtum zu errichten, wie ich dies in den „Altertümern“ aus den heiligen Schriften genau nachgewiesen habe.

128 (19.) Ich wende mich nunmehr zu dem, was die [111] geschichtlichen Urkunden der Chaldäer über unser Volk melden, Schriften, die auch in anderer Hinsicht vielfach mit den unseren übereinstimmen. 129 Ein Zeuge hierfür ist Berosus, ein geborener Chaldäer, der übrigens der gebildeten Welt wohlbekannt ist, da er über die Astronomie und die Philosophie der Chaldäer einige für die Griechen bestimmte Abhandlungen veröffentlichte. 130 Dieser Berosus nun hat, den ältesten Aufzeichnungen folgend, über die Sintflut und den dadurch bewirkten Untergang des Menschengeschlechtes ganz wie Moyses berichtet, sowie auch über die Arche, in welcher „Nochos“, der Erzvater unseres Geschlechtes, gerettet wurde, indem dieselbe auf dem Gipfel des Armenischen Gebirges landete.[31] 131 Dann zählt er unter Hinzufügung der Zeitangaben die Nachkommen des Nochos auf und kommt endlich auf Nabopalassar, den König von Babylon und Chaldaea, dessen Thaten er schildert. 132 Hierbei erwähnt er, wie Nabopalassar seinen Sohn Nabuchodonosor mit einer grossen Streitmacht nach Aegypten und in unser Land schickte, da er von dem Abfall der Bewohner Kunde erhalten hatte; wie dieser alle besiegte, den Tempel zu Jerusalem in Flammen aufgehen liess, unser ganzes Volk wegführte und nach Babylon versetzte, und wie alsdann unsere Hauptstadt siebzig Jahre lang bis auf den Perserkönig Cyrus verödet blieb. 133 Auch habe der Babylonier, sagt Berosus, Aegypten, Syrien, Phoenicien und Arabien unterjocht und alle früheren Könige der Chaldäer und Babylonier durch glänzende Kriegsthaten übertroffen. Etwas weiter unten in seiner Geschichte des Altertums kommt Berosus nochmals auf ihn zu sprechen. 134 Ich setze seine eigenen Worte hierher, die also lauten: 135 „Als sein Vater Nabopalassar den Abfall des Satrapen, den er über Aegypten und die Gegenden von Coelesyrien und Phoenicien gesetzt hatte, erfuhr, [112] übergab er, da er selbst den Strapazen nicht gewachsen war, seinen noch jugendlichen Sohne Nabuchodonosor einen Teil des Heeres und sandte ihn gegen den Satrapen aus. 136 Nabuchodonosor stiess alsbald mit dem Empörer zusammen, lieferte ihm ein Treffen und bemächtigte sich nicht nur seiner Person, sondern unterjochte auch sein Land. Um diese Zeit erkrankte sein Vater Nabopalassar und starb nach einundzwanzigjähriger Regierung in der Stadt Babylon. 137 Als Nabuchodonosor bald darauf vom Tode seines Vaters Kunde erhielt, ordnete er die Angelegenheiten Aegyptens und der übrigen Landesteile und gab einigen seiner Freunde den Auftrag, die gefangenen Juden, Phoenicier, Syrer und Aegyptier samt dem schwerbewaffneten Teile des Heeres und dem Gepäck nach Babylonien zu führen; dann brach er auch selbst auf und legte in wenigen Tagen den Weg durch die Wüste nach Babylon zurück. 138 Hier übernahm er die von den Chaldäern[32] besorgte Leitung des Staates sowie die Königswürde, die der beste derselben ihm inzwischen gesichert hatte, und trat überhaupt die Vollherrschaft über sein väterliches Reich an. Sowie nun die Gefangenen ankamen, liess er ihnen in den passendsten Gegenden Babyloniens Wohnsitze anweisen; 139 dann schmückte er mit der Kriegsbeute den Tempel des Bel und die übrigen Heiligtümer aufs herrlichste, liess in der bisherigen Hauptstadt Neubauten aufführen und erweiterte sie durch eine zweite ausserhalb liegende in der wohlmeinenden Absicht, künftige Belagerer an der Ableitung des Flusses und der dadurch bewirkten Bedrängung der Stadt zu hindern. Ferner zog er um die innere Stadt drei Ringmauern und ebenso viele um die äussere, teils aus gebrannten Ziegeln und Asphalt, teile aus blossen Ziegelsteinen. 140 Nachdem er so die Stadt gehörig befestigt und die Thore mit prächtigem Schmuck versehen hatte, erbaute er im Anschluss an den Palast seines Vaters einen anderen, der jenen an Höhe und glänzender Ausstattung [113] übertraf. Ihn in seinen Einzelheiten zu schildern, würde wohl zu lange aufhalten; ich begnüge mich deshalb mit der Angabe, dass er trotz seiner Grösse und Pracht bereits in fünfzehn Tagen vollendet wurde. 141 Innerhalb dieses Palastes liess der König auch hohe steinerne Terrassen errichten, und indem er ihnen durch Bepflanzen mit allerlei Bäumen das Ansehen natürlicher Berge gab, schuf er den sogenannten hängenden Park, vornehmlich seiner Gattin[33] zulieb, die in Medien erzogen war und deshalb ein starkes Verlangen nach Berglandschaft hegte.“[34]

142 (20.) Vorstehendes berichtet Berosus über den genannten König, und ausserdem noch vieles andere im dritten Buche seiner „Chaldaika“, wo er auch die Meinung der griechischen Geschichtschreiber, dass Babylon von der assyrischen Königin Semiramis gegründet worden sei, als falsch und ihre Erzählung von den Wunderwerken, die sie daselbst errichtet haben soll, als erdichtet verwirft. 143 Und hierin muss man allerdings den Schriften der Chaldäer Glauben schenken, besonders da sich auch in den Archiven der Phoenicier über die Unterjochung von ganz Syrien und Phoenicien durch jenen König der Babylonier Aufzeichnungen finden, welche mit den Angaben des Berosus übereinstimmen. 144 Auch Philostratos bestätigt dieselben in seinem Geschichtswerk, indem er der Belagerung von Tyrus gedenkt, desgleichen Megasthenes im vierten Buche seiner „Indika“, wo er zu zeigen sucht, dass der genannte König der Babylonier, was Tapferkeit und Heldenthaten anlangt, den Herakles übertroffen habe. Denn er habe, sagt Megasthenes, sogar den grössten Teil von Libyen und ausserdem ganz [114] Iberien unter seine Botmässigkeit gebracht. 145 Was sodann die oben erwähnte Einäscherung des Tempels zu Jerusalem durch die kriegerischen Scharen der Babylonier betrifft sowie den begonnenen Wideraufbau desselben, als Cyrus die Herrschaft über Asien erlangt hatte, so werden diese Thatsachen vollauf durch die Mitteilungen des Berosus bestätigt. Er äussert sich nämlich im dritten Buche wie folgt: 146 „Kaum hatte Nabuchodonosor mit dem Bau der erwähnten Mauer begonnen, als er in eine Krankheit fiel und nach dreiundvierzigjähriger Regierung starb. Den Thron bestieg nun sein Sohn Evilmaraduch, 147 der ein Gesetzesverächter und übermütiger Herrscher war und nach nur zweijähriger Regierung[35] von Neriglissoor, dem Gatten seiner Schwester, meuchlings ermordet wurde. Nach seinem Tode trat eben dieser Neriglissoor, durch dessen Hinterlist er sein Leben gelassen hatte, die Herrschaft an und blieb vier Jahre lang König. 148 Dessen Sohn Laborosoarchod kam als neunmonatliches Kind auf den Thron, wurde aber, weil man recht schlimme Charaktereigenschaften an ihm bemerkte, alsbald von seiner Umgebung umgebracht, 149 worauf seine Mörder sich versammelten und nach gemeinsamem Beschluss einem der Mitverschworenen, dem Babylonier Nabonned, die Krone aufs Haupt setzten. Unter ihm wurden die Mauern der Hauptstadt Babylon, da wo sie an den Fluss stiessen, mittels gebrannter Ziegelsteine und Asphalt schöner als vorher aufgebaut. 150 Im siebzehnten Jahre seiner Regierung rückte Cyrus, nachdem er mit grosser Streitmacht aus Persien aufgebrochen war und das ganze übrige Asien unterjocht hatte, gegen Babylonien heran. 151 Als Nabonned von seinem Anmarsch Kunde erhielt, zog er ihm an der Spitze eines Heeres entgegen und lieferte ihm ein Treffen, wurde aber geschlagen und schloss sich mit wenigen seiner Leute, die gleich ihm [115] entkommen waren, in die Stadt Borsippos ein. 152 Cyrus eroberte unterdessen Babylon, liess die äusseren Mauern der Stadt, weil die Festung ihm viel zu schaffen gemacht und sich als schwer einnehmbar erwiesen hatte, schleifen und marschierte hierauf nach Borsippos, um Nabonned zu belagern. 153 Dieser aber ergab sich, ohne es auf eine Belagerung ankommen zu lassen, und wurde deshalb von Cyrus freundlich behandelt, der ihm nun Karmanien als Wohnsitz anwies und ihn aus Babylonien dorthin schickte. In diesem Lande brachte Nabonned den Rest seines Lebens zu und starb auch daselbst.“

154 (21.) Diese Erzählung hat den Schein der Wahrheit für sich und stimmt auch mit unseren Büchern überein. Denn in den letzteren findet sich die Angabe, dass Nabuchodonosor im achtzehnten Jahre seiner Regierung unseren Tempel zerstört habe, der dann fünfzig Jahre in diesem Zustand blieb, dass aber im zweiten Jahre der Regierung des Cyrus der Grund zu seinem Wiederaufbau gelegt und dieser im zweiten Jahre der Herrschaft des Darius vollendet worden sei. 155 Ich will aber auch noch die phoenicischen Urkunden hierhersetzen, um es selbst an einem Übermass von Beweisen nicht fehlen zu lassen. In diesen Urkunden ist folgende Zeitrechnung enthalten: 156 „Unter dem Könige Ithobal belagerte Nabuchodonosor Tyrus dreizehn Jahre lang. Nach ihm regierte Baal zehn Jahre. 157 Hierauf wurden Richter eingesetzt, von denen Eknibal, des Baslach Sohn, zwei Monate, Chelbes, des Abdaios Sohn, zehn Monate, der Oberpriester Abbar drei Monate, Mytgonos und Gerastratos, die Söhne des Abdelemon, sechs Jahre diese Würde bekleideten, jedoch so, dass dazwischen die einjährige Königsherrschaft des Balatoros fiel.[36] 158 Nach seinem Tode berief man aus Babylonien den Merbal, welcher [116] vier Jahre regierte, und als auch dieser gestorben war, seinen Bruder Hirom, dessen Regierung zwanzig Jahre dauerte; zu seiner Zeit herrschte Cyrus über die Perser.“ 159 Die gesamte Zeit beträgt mithin vierundfünfzig Jahre und drei Monate. Denn Nabuchodonosor begann im siebenten Jahre seiner Regierung Tyrus zu belagern, während der Perser Cyrus im vierzehnten Jahre Hiroms auf den Thron gelangte. 160 Hinsichtlich des Tempels stimmen demnach die Urkunden der Chaldäer und Tyrier mit den unseren überein, und das von mir Gesagte bildet einen zwingenden und unwiderleglichen Beweis für das hohe Alter unseres Volkes. Wer also nicht um jeden Preis recht haben will, dem wird, denke ich, das Mitgeteilte genügen.

161 (22.) Nun muss ich aber auch noch den Ansprüchen derer gerecht werden, die den Urkunden der Barbaren keinen Glauben beimessen, sondern nur die Griechen für glaubwürdig halten. Doch auch von diesen kann ich viele namhaft machen, die unser Volk kannten und nicht vergassen, es in ihren Schriften gelegentlich zu erwähnen. 162 So war offenbar der Samier Pythagoras, der in grauer Vorzeit lebte und den man seiner Weisheit und Frömmigkeit wegen hoch über alle Philosophen stellt, nicht nur mit unseren Einrichtungen vertraut, sondern hat auch gar manches davon entlehnt. 163 Von ihm selbst allerdings ist kein unbestritten echtes Werk vorhanden; viele aber haben über ihn geschrieben, und unter ihnen ist der bedeutendste Hermippos, ein durchaus gewissenhafter Geschichtsforscher. 164 Er sagt in dem ersten seiner über Pythagoras verfassten Bücher: „Nach dem Tode eines seiner Schüler mit Namen Kalliphon aus Kroton behauptete Pythagoras, dessen Seele verkehre mit ihm Tag und Nacht und habe ihn ermahnt, an einer Stelle, wo ein Esel unter seiner Last zusammengebrochen sei, nicht vorüberzugehen, auch sich abgestandenen Wassers zu enthalten und jegliche Lästerung zu meiden.“ 165 Alsdann fügt er noch hinzu: „Indem, er also handelte und lehrte, huldigte er den Ansichten der [117] Juden[37] und Thraker, die er auch zu den seinigen machte.“ Mit Recht wird also behauptet, dass dieser Mann viele Gesetzesbestimmungen der Juden in seine Philosophie aufgenommen habe. 166 Übrigens war unser Volk auch schon ganzen Gemeinwesen im Altertum nicht unbekannt, und bereits damals hatten viele unserer Sitten sich hierhin und dorthin verbreitet und bei einzelnen Nachahmung gefunden. Das bezeugt Theophrastos in seinem Werk über die Gesetze. 167 Er sagt nämlich, bei den Tyriern sei es gesetzlich verboten, fremde Eide zu schwören, unter denen er ausser einigen anderen auch den sogenannten Eid Korban aufzählt. Nirgends aber als bei den Juden allein findet sich dieser Eid,[38] der, aus dem Hebräischen übersetzt, etwa „Geschenk an Gott“ bedeutet. 168 Ja, selbst Herodot von Halikarnassos hat unser Volk nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern er scheint es andeutungsweise zu erwähnen. In seinem zweiten Buche nämlich, wo er von den Kolchern erzählt, berichtet er folgendes:[39] 169 „Die Kolcher, Aegyptier und Aethiopen sind die einzigen, welche von alters her die Schamteile beschneiden. Die Phoenicier dagegen und die Syrier in Palaestina geben zu, dass sie es von den Aegyptiern gelernt hätten; 170 die Syrier um den Thermodon aber und den Fluss Parthenios sowie deren Grenznachbarn die Makronen, behaupten, erst in neuerer Zeit sei die Sitte von den Kolchern zu ihnen gekommen. Die Genannten sind die einzigen unter den Menschen, die sich beschneiden, und sie haben es augenscheinlich den Aegyptiern nachgethan. Was aber die Aegyptier und Aethiopen betrifft, so kann ich nicht angeben, welches dieser Völker es von dem anderen gelernt hat.“ 171 Herodot sagt also, die Syrer in Palaestina bedienten sich der Beschneidung. Unter allen Bewohnern Palaestinas aber [118] thun dies allein die Juden; er kann mithin nur sie gemeint haben. 172 Auch der Dichter Choirilos, der noch viel früher lebte, hat unseres Volkes Erwähnung gethan, indem er es an dem Kriegszug des Xerxes gegen Griechenland teilnehmen lässt. Nachdem er nämlich alle Völker hergezählt hat, führt er auch das unsrige an mit den Worten:

173 Hinter ihm zog ein Völkchen daher von seltsamem Anblick;
Sprache Phoeniciens tönt’ aus seinem Munde; zu Hause
War’s in den Solymerbergen am See, der breit sich erstrecket:
Struppig der Scheitel, geschoren ringsum, und darüber trug es
Abgezogene Pferdegesichter,[40] im Rauche getrocknet.

174 Es wird wohl, denke ich, jedem klar sein, dass die Worte des Dichters sich nur auf uns beziehen können, da die Solymerberge und der breiteste und grösste aller syrischen Seen, der Asphaltsee, in unserem Lande, das wir noch jetzt bewohnen, sich befinden. 175 In dieser Weise also hat Choirilos unser Volk erwähnt. Dass aber die Griechen, und zwar nicht etwa die schlechtesten, sondern die um ihrer Weisheit willen am meisten bewunderten, die Juden kannten und denjenigen von uns, mit denen sie in Berührung kamen, achtungsvoll begegneten, ist leicht zu beweisen. 176 So lässt z. B. Klearchos, ein Schüler des Aristoteles und einer der ausgezeichnetsten Peripatetiker, in seinem ersten Buche über den Schlaf seinen Lehrer Aristoteles, indem er diesen redend einführt, von einem Juden eine Geschichte erzählen, die ich nachstehend wörtlich wiedergebe. 177 (Aristoteles:) „Ein ausführlicher Bericht über ihn würde wohl zu sehr aufhalten; was aber an ihm Bewunderung verdient und sein Streben [119] nach Weisheit erkennen lässt, das mag ganz passend in ähnlicher Weise (wie vorhin Erzähltes) besprochen werden. Wohlgemerkt übrigens, Hyperochides, was ich hier sage, wird dir wie ein Traum vorkommen.“ Ehrerbietig entgegnete Hyperochides: „Eben darum möchten wir’s alle gern hören.“ 178 „Nun denn,“ fuhr Aristoteles fort, „wir wollen nach der Vorschrift der Rhetoriker zunächst die Abstammung des Mannes ermitteln, um die Glaubwürdigkeit der Berichterstatter nicht in Frage zu stellen.“ „Sprich nur, wie es dir beliebt,“ äusserte sich Hyperochides. 179 (Aristoteles:) „Jener Mann also war seiner Herkunft nach einer der Juden aus Coelesyrien, welche Nachkommen der indischen Philosophen sind. Bei den Indern heissen, wie man sagt, die Philosophen Kalaner,[41] bei den Syrern Juden. Diesen Namen erhielten sie von einer Örtlichkeit; denn die von ihnen bewohnte Gegend wird Judaea genannt. Der Name ihrer Hauptstadt ist ein merkwürdiges Wortgebild: er lautet Jerusalem. 180 Jener Mensch nun war viel gereist, hatte sich aus dem Binnenland in die Küstenorte begeben und war nicht nur seiner Sprache, sondern auch seiner geistigen Bildung nach fast ein Grieche geworden. 181 Gerade während unseres Aufenthaltes in Asien kam er zufällig in die Orte, wo wir uns befanden, und traf mit uns und einigen anderen Jüngern der Wissenschaft, deren Weisheit er erproben wollte, zusammen. Übrigens teilte er in dem vertrauten Verkehr, den er mit vielen gebildeten Männern unterhielt, mehr mit, als er empfing.“ 182 Vorstehendes sagt Aristoteles bei Klearchos und schildert dann auch noch die grosse und bewundernswerte Mässigkeit des jüdischen Mannes im Essen und Trinken, sowie seine sonstige Enthaltsamkeit. Wer Lust hat, mag das weitere in dem Buche selbst nachlesen; denn ich hüte mich, mehr daraus [120] mitzuteilen, als hierher gehört. 183 Während nun jener Bericht des Klearchos, in dem von uns die Rede ist, nur als eine Abschweifung sich darstellt – denn sein eigentlicher Gegenstand war ein anderer – hat dagegen Hekataios von Abdera, ein Gelehrter und dabei ein höchst fähiger Staatsmann, welcher gleichzeitig mit dem Könige Alexander den Gipfel des Ruhmes erstieg und Beziehungen zu Ptolemaeus Lagi unterhielt, nicht nur beiläufig der Juden Erwähnung gethan, sondern ein eigenes Buch über sie geschrieben,[42] aus dessen Inhalt ich einiges in aller Kürze durchgehen will. 184 Zunächst bestimme ich die Zeitperiode. Hekataios erwähnt die Schlacht, welche Ptolemaeus bei Gaza dem Demetrius lieferte; sie fällt, wie Kastor berichtet, in das elfte Jahr nach Alexanders Tod[43] und in die hundertsiebzehnte Olympiade. 185 Denn sowie er an diese Olympiade kommt, sagt er: „Um jene Zeit schlug Ptolemaeus bei Gaza den Demetrius, Sohn des Antigonus, mit dem Beinamen Poliorketes.“ Alexanders Tod aber erfolgte nach allgemeiner Annahme in der hundertvierzehnten Olympiade. Somit ist es klar, dass unser Volk zu Alexanders und des ersteren Zeit blühte. 186 Hekataios fährt dann fort: „Nach der Schlacht bei Gaza ward Ptolemaeus Herr der syrischen Landschaften. Viele, die von seiner Güte und Menschenfreundlichkeit hörten, wünschten ihn nach Aegypten zu begleiten und an der Verwaltung des Reiches teilzunehmen. 187 Unter ihnen befand sich auch der Hohepriester der Juden, Ezekias, ein Mann von etwa sechsundsechzig Jahren, der bei seinen Landsleuten in hohem Ansehen stand, grosse Einsicht und rednerische Vorzüge bekundete und Erfahrung in Staatsgeschäften wie kaum sonst jemand besass. 188 Übrigens sind die Priester der Juden, die den Zehnten vom Ertrage des [121] Landes beziehen und das Gemeinwesen verwalten, fast fünfzehnhundert Köpfe stark.“ 189 An einer anderen Stelle erwähnt er den Mann nochmals mit folgenden Worten: „Dieser Hohepriester stand zu uns in vertrauten Beziehungen. Sowie er Bekannte traf, las er ihnen alle unterscheidenden Merkmale der Juden vor; denn er besass eine Schrift, worin die Wohnplätze und die Verfassung der Juden geschildert waren.“ 190 Ferner erzählt Hekataios von unserem Verhalten gegen die Gesetze und dass wir es für besonders ehrenvoll halten, lieber alles mögliche zu erdulden als sie zu übertreten. 191 „So können sie denn,“ fährt er fort, „trotz aller üblen Nachrede von seiten ihrer Grenznachbarn und Besucher, und trotz der wiederholten schmählichen Behandlung durch die persischen Könige und Satrapen in ihrer Überzeugung nicht erschüttert werden, sondern sie lassen um eben dieser Überzeugung willen Folterqualen und die schrecklichsten Todesarten widerstandslos über sich ergehen, um nur den Glauben ihrer Väter nicht verleugnen zu müssen.“ 192 Alsdann führt er ziemlich viele Beispiele von unserer unwandelbaren Treue gegen die Gesetze an. Er erzählt nämlich, Alexander habe, als er einst in Babylon war, den Entschluss gefasst, den verfallenen Tempel des Bel wiederherzustellen, und deshalb allen seinen Soldaten ohne Ausnahme befohlen, Erde herbeizuschaffen. Nur die Juden hätten nicht gehorcht, vielmehr sich anhaltend schlagen lassen und grosse Geldstrafen gezahlt, bis der König ihnen schliesslich Verzeihung gewährt und Straflosigkeit zugesichert habe. 193 „Als diese,“ fährt er fort, „in ihr Heimatland zurückkehrten, wo ihre Landsleute Tempel und Altäre errichtet hatten, rissen sie diese sämtlich nieder und wurden zum Teil dafür von den Satrapen in Strafe genommen, während andere Verzeihung erlangten.“ Ausdrücklich fügt er dann hinzu, sie hätten wegen dieses Verhaltens Bewunderung verdient. 194 Ferner spricht er von dem gewaltigen Anwachsen der jüdischen Bevölkerung, wofür er als Beweis anführt, dass viele tausend der Unseren früher von den Persern [122] nach Babylon geschleppt worden und dass nach Alexanders Tod wegen der Unruhen in Syrien ebenfalls Tausende nach Aegypten und Phoenicien ausgewandert seien. 195 Derselbe Geschichtschreiber schildert auch die Grösse und Schönheit des von uns bewohnten Landes. „Sie haben,“ sagt er, „fast drei Millionen Joch[44] des besten und fruchtbarsten Landes in Besitz; denn dies ist die Flächenausdehnung Judaeas.“ 196 Ja, er erzählt noch weiter von Jerusalem selbst als von einer überaus schönen und grossen Stadt, welche wir von alters her bewohnten, sowie von ihrer zahlreichen Einwohnerschaft und der Einrichtung des Tempels, indem er sich also auslässt: 197 „Die Juden haben in ihrem Lande umher eine Menge befestigter Städte und Dörfer; besonders fest aber ist eine Stadt, die annähernd fünfzig Stadien im Umfang hat und von etwa hundertzwanzigtausend Menschen bewohnt wird. Diese letztere nennen sie Jerusalem. 198 Hier befindet sich, so ziemlich inmitten der Stadt, eine steinerne, etwa fünf Plethren[45] lange und hundert Ellen breite Ringmauer mit zwei Thoren. Innerhalb dieser Umfriedigung steht ein viereckiger Altar, der nicht aus behauenen, sondern aus zusammengelesenen rohen Steinen erbaut ist; jede seiner Seiten ist zwanzig Ellen lang, und in der Höhe misst er zehn Ellen. Neben ihm liegt ein grosses Gebäude, in welchem ein Altar und ein Leuchter sich befinden, beide von Gold, zwei Talente im Gewicht. 199 Über ihnen ist ein Licht angebracht, das Tag und Nacht nicht verlöschen darf. Weder Bildwerke noch Weihgeschenke sieht man dort, auch nicht die Spur einer Anpflanzung, wie einen Hain oder dergleichen. In dem Heiligtum halten sich bei Nacht wie bei Tage Priester auf, die gewisse Weihen vornehmen und hier keinen Wein trinken dürfen.“ 200 Ausserdem bezeugt er, [123] dass wir die Kriegszüge Alexanders und später die seiner Nachfolger mitgemacht haben. Ich will nur das anführen, was er von der That eines an dem Feldzuge beteiligten Juden berichtet und wovon er seiner Angabe gemäss selbst Augenzeuge war, nämlich folgendes: 201 „Als ich ans Rote Meer reiste, befand sich in der jüdischen Reiterabteilung, die uns geleitete, auch ein mutiger und starker Mann mit Namen Mosollam,[46] der bei Griechen wie Barbaren allgemein als der beste Bogenschütz anerkannt war. 202 Als nun die ‚ganze Schar auf der Strasse beisammen marschierte und ein Wahrsager, der den Flug der Vögel beobachten wollte, alles stillstehen hiess, fragte der Jude, weshalb man denn warte. 203 Der Wahrsager machte ihn nun auf einen bestimmten Vogel aufmerksam und erklärte ihm, wenn dieser sitzen bleibe, wo er sich jetzt befinde, sei es auch für sie ratsam, an Ort und Stelle zu verweilen; wenn er sich aber erhebe und vor- oder rückwärts fliege, müssten sie dementsprechend weiterziehen oder umkehren. Ohne ein Wort zu sagen, spannte der Jude den Bogen und schoss den Vogel tot. 204 Hierüber wurden der Wahrsager und einige andere unwillig, und als sie ihn deshalb verwünschten, entgegnete er: „Was seid ihr doch für verrückte Menschen, dass ihr euch mit diesem Unglücksvogel einlasst! Wie hätte er, der nicht einmal voraussah, was seiner eigenen Rettung diente, uns einen vernünftigen Rat inbetreff unseres Marsches geben können? Denn wäre er imstande gewesen, die Zukunft vorher zu wissen, so hätte er sich wohl nicht an diesen Ort begeben, aus Furcht, der Jude Mosollam könnte ihn mit einem Pfeilschuss töten!“ 205 Doch genug von dem Zeugnis des Hekataios; wer Lust hat, kann ja das nähere leicht aus dem Buche selbst erfahren. – Als einen weiteren Schriftsteller, der unser Volk erwähnt hat, stehe ich nicht an den Agatharchides zu nennen, obwohl er uns wegen unserer Einfalt zu verspotten für gut findet. 206 Er spricht von uns bei [124] Gelegenheit des Berichtes über Stratonike,[47] von der er erzählt, wie sie ihren Mann Demetrius verlassen habe und aus Macedonien nach Syrien gekommen sei; alsdann habe sie, da Seleukus ihrer Erwartung entgegen sie nicht ehelichen wollte und Demetrius bei Babylon ein Heer zusammenzog, zu Antiochia einen Aufstand erregt. 207 Der König aber sei alsbald von seinem Feldzug zurückgekehrt und habe Antiochia erobert; hierauf sei sie nach Seleukia geflohen und, obwohl sie rasch zu Schiff entkommen konnte, wenn sie nicht auf einen Traum geachtet hätte, der ihr hiervon abriet, gefangen genommen und getötet worden. 208 Im Anschluss an diesen Bericht spottet nun Agatharchides über das abergläubische Gebaren der Stratonike, wobei er dann auch auf uns zu sprechen kommt, und zwar folgendermassen: 209 „Die sogenannten Juden bewohnen eine überaus stark befestigte Stadt, welche die Eingeborenen Jerusalem nennen. Sie haben die Gewohnheit, sich am siebenten Tage der Arbeit zu enthalten und während desselben weder Waffen zu tragen noch den Acker zu bauen noch irgend einer anderen Beschäftigung obzuliegen; vielmehr beten sie mit ausgebreiteten Händen im Tempel bis zum Abend. 210 Einst zog Ptolemaeus Lagi an einem solchen Tage mit Heeresmacht in die Stadt ein, und da die Bewohner an ihrer unsinnigen Gewohnheit festhielten, anstatt ihre Vaterstadt zu beschützen, bekam diese einen harten Gebieter. Es war somit der Beweis geliefert, dass das Gesetz einen ganz verderblichen Brauch eingeführt hatte. 211 Auch zogen alle, nur nicht die Juden, aus diesem Ereignis die Lehre, dass man solchen Träumereien nicht nachhängen dürfe und den hergebrachten Wahn von einem religiösen Gesetz aufgeben müsse, sobald vernünftige Überlegung in bedrängter Lage keinen Ausweg mehr sieht.“ 212 Die Treue gegen das Gesetz kommt also dem Agatharchides lächerlich vor; prüft man aber ohne Vorurteil, so wird man [125] eine bedeutsame und durchaus lobenswerte Erscheinung darin finden, dass es Leute giebt, welche die Beobachtung der Gesetze und die Frömmigkeit gegen Gott allzeit höher achten wie ihre eigene und des Vaterlandes Rettung.

213 (23.) Nun glaube ich auch einen Beweis dafür beibringen zu müssen, dass manche Schriftsteller unser Volk wohl kannten, aber aus Neid oder anderen unreinen Beweggründen keinen Vermerk von ihm nehmen wollten. Das ist z.B. bei Hieronymos der Fall, der eine Geschichte der Diadochen schrieb, mit Hekataios gleichzeitig lebte, ein Freund des Königs Antigonus[48] war und das Amt eines Statthalters von Syrien bekleidete. 214 Während nämlich Hekataios ein besonderes Werk über uns verfasste, hat Hieronymos in seiner Geschichte mit keiner Silbe unseres Volkes gedacht, obwohl er sozusagen in Judaea aufgewachsen war: so verschiedentlich war das Interesse, das jene beiden Männer für uns hegten. Der eine glaubte uns eines genauen Berichtes würdigen zu sollen; dem anderen verdunkelte eine unbillige Leidenschaft gänzlich die Erkenntnis der Wahrheit. 215 Doch es genügen, um das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen, die Aufzeichnungen der Aegyptier, Chaldäer und Phoenicier, an welche sich noch eine beträchtliche Zahl griechischer Schriftwerke anreiht. 216 Denn ausser den bereits erwähnten Geschichtschreibern haben Theophilos, Theodotos, Mnaseas, Aristophanes, Hermogenes, Euhemeros, Konon, Zopyrion und auch wohl noch viele andere – alle Bücher habe ich ja nicht gelesen – unser Erwähnung gethan, und zwar nicht bloss beiläufig. 217 Freilich haben die Genannten der Mehrzahl nach unsere alte Geschichte nicht wahrheitsgetreu dargestellt, weil unsere heiligen Bücher ihnen nicht zugänglich waren; was aber die Frage angeht, die uns hier zunächst beschäftigt, nämlich das hohe Alter unseres Volkes, so haben sie sich alle einstimmig zu gunsten desselben ausgesprochen. [126] 218 Auch Demetrius Phalereus, der ältere Philo und Eupolemos sind allerdings nicht ganz bei der Wahrheit geblieben; doch kann man ihnen das nachsehen, denn es war ihnen nicht möglich, sich genau an unsere Schriften zu halten.

219 (24.) Jetzt erübrigt mir noch eine besonders wichtige Aufgabe, die ich mir zu Beginn dieser Abhandlung gestellt habe, nämlich die Grundlosigkeit der Verleumdungen und Schmähungen nachzuweisen, welche hier und da gegen unser Volk vorgebracht wurden, sowie die Schriftsteller, die sie sich haben zu schulden kommen lassen, durch ihr eigenes Zeugnis zu überführen. 220 Dass dergleichen Verunglimpfungen infolge der Böswilligkeit dieses oder jenes Geschichtschreibers auch sonst häufig vorkommen, ist, wie ich wohl annehmen darf, allen, die mit geschichtlichen Studien vertrauter sind, hinreichend bekannt. Denn gar manche gefielen sich darin, den Adel ganzer Völker wie der berühmtesten Städte zu beflecken und deren Verfassung zu schmähen. 221 So hat Theopompos die staatlichen Einrichtungen der Athener, Polykrates die der Lakedaemonier, der Verfasser des „Tripolitikos“[49] – Theopompos nämlich ist es sicher nicht, wie man hier und da glaubt – dazu noch die der Thebäer verleumdet. Eine Reihe von Beschimpfungen schleuderte auch Timaios in seinen Geschichtswerken gegen die erwähnten und gegen andere Gemeinwesen. 222 Mit besonderer Vorliebe befolgt man dieses System gerade bei den berühmtesten Städten, teils aus Missgunst und Böswilligkeit, teils in der Hoffnung, sich durch neue Behauptungen einen Namen zu machen. Bei beschränkten Köpfen sehen diese Verleumder ihre Erwartungen auch stets erfüllt; Leute von gesundem Urteil dagegen verdammen das nichtswürdige Treiben.

223 (25.) Den Anfang mit Schmähungen gegen uns machten die Aegyptier, und um sich ihr Wohlgefallen zu erwerben, [127] haben auch sonst manche sich damit abgegeben, die Wahrheit zu verdrehen, indem sie weder die als geschichtliche Thatsache feststehende Einwanderung unserer Vorfahren nach Aegypten zugeben, noch ihren Auszug wahrheitsgemäss darstellen. 224 Gründe, uns zu hassen und zu beneiden, hatten ja die Aegyptier genug, vor allem den, dass unsere Vorfahren in Aegypten das herrschende Element waren und, als sie nach dem Auszug von dort die Reise in ihr Heimatland machten, abermals der Gunst des Glückes sich erfreuten. Arge Feindschaft erregte ferner bei ihnen der religiöse Gegensatz; denn der Unterschied unserer Gottesverehrung von der dort vorgeschriebenen ist ebenso gross wie der Abstand zwischen der Natur Gottes und der der unvernünftigen Tiere. 225 Herrscht doch bei ihnen der allgemeine Glaube, die letzteren seien Götter, so sehr sie auch in der Art, sie zu verehren, voneinander abweichen mögen. Fürwahr, das sind gedankenlose und ganz unverständige Leute, die sich seit uralter Zeit an schlechte Vorstellungen über die Götter gewöhnt haben. Unsere ehrwürdige Lehre von Gott anzunehmen, dazu konnten sie sich nicht aufraffen, und als sie sahen, wie zahlreich die Anhänger unseres Glaubens wurden, da regte sich ihr Neid. 226 Einige von ihnen gingen in ihrer geistigen Beschränktheit und in ihrem Unverstand so weit, dass sie sich nichts daraus machten, ihren eigenen alten Urkunden zu widersprechen; ja, von ihrer Leidenschaft verblendet, merkten sie es nicht einmal, wenn sie in ihren Schriften mit sich selbst in Widerspruch gerieten.

227 (26.) Bei einem von ihnen, demselben, den ich weiter oben als Zeugen für das hohe Alter unseres Volkes angeführt habe, werde ich etwas länger verweilen, nämlich bei Manetho. 228 Indem dieser Schriftsteller, der eine aegyptische Geschichte durch Übersetzung des Textes der heiligen Bücher zu liefern verspricht, von unseren Vorfahren erzählt, dass sie zu vielen Tausenden nach Aegypten gekommen seien und dessen Bevölkerung unterjocht hätten, indem er ferner selbst zugiebt, dass sie in [128] späterer Zeit das Land wieder verlassen, das jetzige Judaea in Besitz genommen, Jerusalem gegründet und den Tempel erbaut hätten, folgte er insoweit wirklich dem Text der Urkunden. 229 Dann aber verfährt er willkürlich, erklärt, er wolle die über die Juden umlaufenden Sagen und Gerüchte wiedergeben, streut unzuverlässiges Gerede in die Erzählung ein und sucht einen Haufen aussätziger und an sonstigen Krankheiten leidender Aegyptier, die, wie er sagt, zur Verbannung aus Aegypten verurteilt waren, mit uns in einen Topf zu werfen.[50] 230 Dabei erwähnt er einen König Amenophis, dessen Name erdichtet ist und dessen Regierungszeit er eben darum nicht zu bestimmen wagt, obwohl er bei anderen Königen die Jahreszahlen pünktlich beifügt. An diesen Namen nun knüpft er gewisse Sagen und vergisst beinahe, dass er den Auszug der Hirten nach Jerusalem fünfhundertachtzehn Jahre früher, 231 als Tethmosis König war, angesetzt hat. Sodann kommt eine Reihe von Königen, die zusammen dreihundertdreiundneunzig Jahre regierten, bis auf die Brüder Setho und Hermaios, von denen der erstere nach Manetho den Namen Aigyptos, der letztere den Namen Danaos erhalten haben soll. Setho vertrieb den Hermaios und war neunundfünfzig Jahre König; hierauf regierte sein ältester Sohn Rampses sechsundsechzig Jahre lang. 232 Nachdem nun Manetho selbst zugestanden hat, dass unsere Väter um so viele Jahre früher aus Aegypten ausgewandert sind, bringt er noch den eingeschobenen König Amenophis daher und erzählt, dieser habe wie einst Oros, einer seiner Vorfahren auf dem Thron, die Götter zu schauen verlangt und seinen Wunsch dem ebenfalls Amenophis heissenden Sohne des Paapis kundgethan, der um seiner Weisheit und Prophetengabe willen im Rufe eines der Gottheit verwandten Mannes gestanden habe. 233 Dieser Namensbruder nun habe ihm gesagt, er werde die Götter schauen dürfen, wenn er das ganze Land von Aussätzigen und anderen Unreinen [129] säubere. 234 Hierüber erfreut, habe der König alle, die an körperlichen Gebrechen litten, achtzigtausend an der Zahl, aus ganz Aegypten zusammenbringen lassen 235 und in die Steinbrüche östlich vom Nil geschickt, damit sie dort, getrennt von den übrigen Aegyptiern, beschäftigt würden.[51] Unter ihnen hätten sich auch einige mit dem Aussatz behaftete schriftgelehrte Priester befunden. 236 Jener Amenophis aber, der weise, mit der Zukunft vertraute Mann, habe für sich und den König den Zorn der Götter befürchtet, wenn sie diese Priester gewaltsam behandelt sähen, und deshalb die Weissagung hinzugefügt, mit den Unreinen würden sich noch andere Menschen verbünden und Aegypten dreizehn Jahre lang in ihrer Gewalt haben. Doch habe er sich nicht getraut, dies dem Könige zu sagen, sondern alles schriftlich hinterlassen und sich ums Leben gebracht, worüber der König ganz mutlos geworden sei. 237 Hierauf fährt Manetho wörtlich also fort: „Als nun die Unreinen lange Zeit hindurch in den Steinbrüchen schwer gearbeitet hatten, baten sie den König, er möge ihnen zur Erholung und zum Schutz die damals verödete Stadt der Hirten anweisen, worauf er ihnen Auaris überliess, das der Götterlehre zufolge von alters her dem Typhon[52] verfallen war. 238 Kaum waren sie hier eingezogen, als sie im Vertrauen auf die Beschaffenheit der Gegend abfielen und sich in der Person eines Priesters von Heliopolis mit Namen Osarsiph einen Führer erwählten, dem sie unbedingten Gehorsam eidlich gelobten. 239 Er legte ihnen nun vor allem die gesetzliche Verpflichtung auf, die Götter nicht anzubeten, keines der in Aegypten als besonders heilig verehrten Tiere zu verschonen, vielmehr sie alle zu schlachten und zu verzehren, und mit niemand als mit den Eidgenossen sich einzulassen. 240 Nachdem er solche [130] und noch sehr viele andere mit den Sitten der Aegyptier in schreiendem Widerspruch stehende Gesetze erlassen hatte, befahl er ihnen, mit vereinten Kräften die Mauern der Stadt wieder aufzubauen und sich zum Kriege gegen den König Amenophis zu rüsten. 241 Er selbst nahm einige Priester und eine Anzahl gleich ihm Verseuchter zu sich und begab sich als Gesandter zu den von Tethmosis verjagten Hirten in eine Stadt Namens Jerusalem, erzählte ihnen, wie es ihm und seinen Leidensgefährten ergangen sei, und forderte sie auf, vereint mit ihm gegen Aegypten zu marschieren. 242 Zunächst, versprach er ihnen, werde er sie in die Vaterstadt ihrer Ahnen, Auaris, führen, die Lebensmittel für die gesamte Menge in Hülle und Fülle herbeischaffen, im Notfall für sie kämpfen und ihnen das Land mit leichter Mühe unterwerfen. 243 Hocherfreut zogen sie alle, gegen zweihunderttausend Mann, bereitwillig mit ihm fort und kamen bald darauf in Auaris an. Als Amenophis, der König der Aegyptier, von ihrem Anrücken Kunde erhielt, geriet er, der Weissagung Amenophis’, des Sohnes des Paapis, gedenkend, in nicht geringe Bestürzung, 244 zog grosse Scharen der Aegyptier zusammen, hielt Kriegsrat mit den Befehlshabern, liess die in den Tempeln vornehmlich verehrten heiligen Tiere heranbringen und gebot den Priestern der einzelnen Ortschaften, die Bildnisse der Götter in möglichst sichere Verstecke zu schaffen. 245 Seinen fünfjährigen Sohn Setho, der nach seinem Vater Rampses auch Ramesses hiess, schickte er einem Freunde zu. Er selbst rückte an der Spitze der übrigen Aegyptier, die fast dreihunderttausend durch und durch streitbare Männer zählten, vor, lieferte jedoch den ihm entgegenziehenden Feinden keine Schlacht, 246 sondern kehrte in der Meinung, er werde vielleicht gegen eine Gottheit zu kämpfen haben, wieder um und begab sich nach Memphis. Hier nahm er den Apis und die übrigen dort untergebrachten heiligen Tiere und zog mit der Flotte und dem gesamten Heere der Aegyptier eiligst hinauf nach Aethiopien. Der König der Aethiopen nämlich war ihm zu Dank verpflichtet, [131] 247 weshalb er auch die ganze Menge gastlich aufnahm und mit allen Lebensmitteln, wie das Land sie lieferte, versah. Auch wies er ihnen Städte und Dörfer an, welche für die dem Könige vorherbestimmten dreizehn Jahre des Verlustes seiner Herrschaft genügen konnten, und gab ihnen ein aethiopisches Heer bei, das für den König Amenophis und die Seinen die Grenzen gegen Aegypten hin bewachen sollte. 248 So sah es in Aethiopien aus. Die Solymiter aber verfuhren, als sie mit den unreinen Aegyptiern in das Land gekommen waren, gegen dessen Bewohner so ruchlos, dass die damaligen Zeugen ihrer Frevel keine schlimmere Herrschaft für möglich hielten. 249 Denn es war ihnen nicht genug, Städte und Dörfer einzuäschern, Heiligtümer zu plündern und Bildnisse von Göttern zu zerstören, sondern sie gebrauchten sogar die letzteren beständig beim Braten der göttlich verehrten heiligen Tiere, nötigten die Priester und Wahrsager, diese zu schlachten und zu opfern, und jagten sie selbst nackt davon. 250 Der ihre Verfassung einrichtete und ihnen Gesetze gab, war, wie es heisst, ein Priester aus Heliopolis mit Namen Osarsiph – so genannt nach dem in Heliopolis verehrten Osiris[53] –, und seitdem er an dieses Volk sich anschloss, soll er den veränderten Namen Moyses angenommen haben.

251 (27.) Das also ist es, was die Aegyptier über die Juden berichten; vieles andere übergehe ich der Kürze halber. Übrigens sagt Manetho an einer anderen Stelle, Amenophis sei später mit grosser Streitmacht wie auch sein Sohn Rampses, der gleichfalls ein Heer befehligte, aus Aethiopien zurückgekehrt; die beiden hätten dann den Hirten und den Unreinen eine Schlacht geliefert, sie besiegt, viele von ihnen getötet und die übrigen bis zu den Grenzen Syriens verfolgt. 252 Dies und ähnliches ist in Manethos Schrift zu finden. Dass er aber damit thörichtes Geschwätz und offenbare Lügen vorbringt, werde ich beweisen, und nur einen Punkt nehme ich um [132] dessentwillen, was ich gleich gegen ihn sagen will, von diesem Urteil aus. Er selbst nämlich hat uns das ausdrückliche Zugeständnis gemacht, dass die Juden ursprünglich keine Aegyptier waren, vielmehr von auswärts nach Aegypten kamen, es in ihre Gewalt brachten und später wieder fortzogen. 253 Dass aber die körperlich Siechen unter den Aegyptiern sich nachher nicht mit uns verbanden, und dass Moyses, der Führer des Volkes, nicht zu ihnen gehörte, sondern viele Menschenalter früher lebte, das will ich aus Manethos eigenen Angaben zu beweisen suchen.

254 (28.) Lächerlich ist zunächst die Veranlassung, die er jenen erdichteten Begebenheiten zu Grunde legt. „Der König Amenophis,“ sagt er, „begehrte die Götter zu schauen.“ Was für Götter? Sollen es die gewesen sein, die bei den Aegyptiern als solche galten, der Stier, der Bock, Krokodile und Hundsaffen, so sah er diese je; 255 die himmlischen Götter aber, wie konnte er sie sehen? Und warum hatte er dieses Verlangen? Antwort: „Weil einer der früheren Könige sie gesehen hatte.“ Durch ihn musste er also doch auch erfahren haben, wie beschaffen sie sind und wie er es angestellt hatte, sie zu Gesicht zu bekommen, sodass es eines neuen Kunstgriffs nicht bedurfte! 256 Aber vielleicht war der Wahrsager, durch dessen Vermittelung der König seinen Zweck zu erreichen hoffte, ein besonders weiser Mann. Nun, warum hätte er dann nicht auch wissen sollen, wie unmöglich die Erfüllung jenes Verlangens war, das ja thatsächlich nie gestillt wurde. Und wodurch sollen die Götter sich veranlasst gesehen haben, wegen der Verstümmelten oder Aussätzigen sich dem Anblick zu entziehen? Sie geraten doch über Schandthaten und nicht über körperliche Gebrechen in Zorn. 257 Wie war es ferner möglich, achtzigtausend Aussätzige und Sieche sozusagen an einem Tage zusammenzubringen? Und wie kam es, dass der König dem Wahrsager nicht folgte? Dieser hatte ihm ja geraten, die Kranken über die Grenze Aegyptens zu schaffen. Er aber steckte sie in die Steinbrüche, als [133] hätte er Arbeiter nötig gehabt, nicht aber das Land säubern wollen. 258 Des weiteren berichtet er, der Wahrsager habe, weil er den Zorn der Götter und das dem Lande der Aegyptier drohende Unheil voraussah, sich das Leben genommen und dem Könige seine Weissagung schriftlich hinterlassen. Aber weshalb wusste der Wahrsager nicht gleich anfangs seinen eigenen Tod voraus? 259 Und warum hat er nicht sofort dem Könige den Wunsch, die Götter zu sehen, ausgeredet? Wie unwahrscheinlich ist ferner bei ihm die Furcht vor zukünftigem Unglück, das nicht mehr zu seinen Lebzeiten eintreten sollte! Oder welches schlimmere Leid stand ihm bevor, dass er so grosse Eile hatte, sich selbst zu töten? 260 Doch das unsinnigste kommt noch: der König, der dies erfährt und wegen der Zukunft sehr besorgt ist, treibt jene Siechen, von denen er der Verkündigung gemäss Aegypten hätte reinigen sollen, auch jetzt noch nicht aus dem Lande, sondern schenkt ihnen auf ihre Bitten die einst von den Hirten bewohnte, Auaris genannte Stadt. 261 Hier, sagt Manetho, sammelten sie sich und wählten zu ihrem Oberhaupt einen aus den ehemaligen Priestern von Heliopolis, der ihnen dann vorschrieb, weder die Götter anzubeten noch die in Aegypten heilig gehaltenen Tiere zu verschonen, sondern sie alle zu opfern und zu verzehren, und mit niemand als mit Eidgenossen in Verbindung zu treten; denn er habe die Menge durch Eidschwüre verpflichtet, diese Gesetze unverbrüchlich zu halten. Auch habe er Auaris befestigt und den König mit Krieg überzogen. 262 Manetho fügt dann noch hinzu, der Gesetzgeber habe nach Jerusalem geschickt und dessen Bewohner aufgefordert, seine Kampfgenossen zu werden, unter dem Versprechen, ihnen Auaris schenken zu wollen; denn diese Stadt sei der Stammsitz derer, die aus Jerusalem zu ihm kommen würden, und von ihr aus könnten sie ganz Aegypten unterjochen. 263 Sie seien auch in der That, fährt er fort, zweihunderttausend streitbare Männer an der Zahl, herangerückt, und Amenophis, der König der Aegyptier, sei, [134] um nicht gegen einen Gott ankämpfen zu müssen, schleunigst nach Aethiopien geflohen, nachdem er zuvor den Apis und einige andere heilige Tiere den Priestern in Verwahr gegeben hatte. 264 Die Ankömmlinge aus Jerusalem hätten alsdann die Städte zerstört, die Tempel eingeäschert, die Pferde getötet und überhaupt alle erdenklichen Frevel und Grausamkeiten begangen. 265 Der Schöpfer ihrer Verfassung und ihrer heiligen Gesetze, sagt er weiter, sei aus Heliopolis gewesen und nach dem daselbst verehrten Osiris Osarsiph genannt worden, habe aber seinen Namen in Moyses geändert. 266 Nach dreizehn Jahren – der ihm vom Schicksal bestimmten Verbannungszeit – sei dann Amenophis an der Spitze einer gewaltigen Streitmacht aus Aethiopien zurückgekehrt, habe die Hirten und die Unreinen in einer Schlacht besiegt, viele von ihnen niedergemetzelt und die übrigen bis zur Grenze Syriens verfolgt.

267 (29.) Abermals merkt Manetho nicht, wie er gegen alle Wahrscheinlichkeit hier lügt. Denn wenn auch die Aussätzigen und ihre zahlreichen Verbündeten dem Könige und den Urhebern der auf die Prophezeiung des Wahrsagers hin gegen sie ergriffenen Massregeln zunächst grollten, so müssen sie sicherlich, als sie die Steinbrüche verlassen durften und vom König eine Stadt nebst Ländereien zum Geschenk erhielten, milder gegen ihn gestimmt worden sein. 268 Aber selbst wenn sie ihn hassten, hätten sie doch wohl ihm allein nach dem Leben getrachtet und nicht das ganze Volk, unter dem sie bei ihrer grossen Anzahl gewiss recht viele Verwandte hatten, mit Krieg überzogen. 269 Doch auch für den Fall, dass sie entschlossen gewesen wären, mit Menschen zu kämpfen, hätten sie immerhin deren Götter nicht zu beleidigen gewagt und keine Gesetze aufgestellt, die ihren väterlichen Satzungen, unter denen sie erzogen waren, schnurstracks zuwiderliefen. 270 Wir müssen übrigens dem Manetho Dank dafür wissen, dass er als die Haupturheber dieses Frevels nicht die Zuzügler aus Jerusalem hinstellt, sondern eben die Aegyptier [135] selbst, deren Priester ihn vornehmlich geplant und die Menge durch Eidschwüre verpflichtet haben sollen. 271 Aber wie reimt sich dies? Da soll niemand von ihren Angehörigen und Freunden an ihrer Empörung teilgenommen, niemand den Gefahren des Kampfes gleich ihnen sich unterzogen haben, während dagegen die Unreinen nach Jerusalem geschickt und von hier sich Bundesgenossen geholt hätten. 272 Welcher Art war denn die Freundschaft oder Verwandtschaft, die sie bisher mit diesen verbunden haben sollte? Nein, sie waren im Gegenteil deren Feinde und vermöge ihrer Sitten himmelweit von jenen verschieden. Trotzdem sollen sie auf das blosse Versprechen hin, sie würden Aegypten in ihre Gewalt bekommen, ihnen unverzüglich willfahrt haben – als hätten sie das Land, aus dem sie doch mit Gewalt vertrieben worden waren, nicht gekannt. 273 Ja, wären sie arm oder sonst übel dran gewesen, so hätten sie vielleicht alles aufs Spiel gesetzt. Aber sie bewohnten eine wohlhabende Stadt und genossen die Früchte eines grossen Landes, das noch gesegneter ist wie Aegypten; warum also hätten sie alten Feinden, die noch dazu mit einer Krankheit behaftet waren, vor der selbst die nächsten Angehörigen sich scheu zurückziehen, in ihrem tollkühnen Unternehmen Hilfe leisten sollen? Die spätere Flucht des Königs konnten sie selbstverständlich nicht vorherwissen; 274 vielmehr sagt ja Manetho selbst, der Sohn des Amenophis sei ihnen mit dreihunderttausend Mann bis Pelusium entgegengezogen. Das war den dort Befindlichen zweifellos bekannt; woraus aber hätten sie auf seine Sinnesänderung und die von ihm geplante Flucht schliessen sollen? 275 Weiter berichtet er, die Ankömmlinge aus Jerusalem hätten die Getreidevorräte Aegyptens geraubt und viele Greuel verübt. Und deshalb schimpft er über sie und thut, als ob keine Feinde ihnen entgegengerückt wären oder als dürfte man von auswärts herbeigerufenen Kriegern das zur Last legen, was schon vor ihrer Ankunft geborene Aegyptier gethan und in Zukunft zu thun geschworen hatten. 276 „Aber längere Zeit [136] nachher,“ heisst es weiter, „rückte Amenophis heran, siegte in einem Treffen und trieb die Feinde unter stetem Gemetzel bis nach Syrien.“ Natürlich, so leicht ist es für jeden Feind, sich Aegyptens zu bemächtigen, er mag kommen, woher er will; 277 und die, welche damals das Land als Eroberer beherrschten, haben selbstverständlich auf die Kunde, dass Amenophis noch lebe, weder die Pässe nach Aethiopien, zu deren Befestigung sie so viele Mittel besassen, verschanzt noch überhaupt ihr Heer in Bereitschaft gehalten! Und dann sagt Manetho noch: „Mordend verfolgte er sie bis nach Syrien durch die wasserlose Sandwüste.“ Bekanntlich ist aber diese Wüste selbst für ein nicht im Kampfe begriffenes Heer nur schwer zu durchziehen.

278 (30.) Nach Manetho stammt also unser Volk weder aus Aegypten, noch haben sich Bewohner dieses Landes mit ihm vermischt. Denn von den Aussätzigen und Kranken müssen doch viele in den Steinbrüchen, wo sie lange Zeit verweilten und schwere Leiden erduldeten, viele auch in den nachmaligen Schlachten, die meisten jedoch im letzten Treffen und auf der Flucht umgekommen sein.

279 (31.) Es erübrigt mir nun noch, ein Wort mit ihm über Moyses zu reden. Diesen halten auch die Aegyptier für einen bewundernswerten und gottgesandten Mann; sie möchten ihn aber sich selbst aneignen, indem sie die unglaubliche Verleumdung ausstreuen, er sei ein Priester aus Heliopolis gewesen und wegen seines Aussatzes vertrieben worden, 280 während doch aus den Urkunden erhellt, dass er fünfhundertachtzehn Jahre früher gelebt und unsere Väter in das jetzt von ihnen bewohnte Land geführt hat. 281 Dass er aber auch an keinem derartigen Gebrechen litt, geht aus seinen eigenen Anordnungen deutlich hervor. Den Aussätzigen nämlich verbot er, in der Stadt zu bleiben oder in einem Dorfe Wohnung zu nehmen sondern sie sollen allein und mit zerrissenen Kleidern im Freien umherwandeln, und wer sie auch nur berührt oder unter einem Dache mit ihnen zusammenwohnt, den [137] erklärt er für unrein. 282 Ja, selbst für den Fall, dass die Krankheit geheilt wird und der Leib seine frühere Beschaffenheit wiedererlangt, schrieb er gewisse Reinigungen vor, nämlich Abwaschungen und Bäder in Quellwasser und das Abscheren aller Haare; und erst wenn der Geheilte viele und mannigfaltige Opfer dargebracht hat, erlaubt er ihm den Eintritt in die heilige Stadt.[54] 283 Wäre er nun selbst mit diesem Gebrechen behaftet gewesen, so hätte man doch im Gegenteil eine gewisse menschenfreundliche Fürsorge für seine Leidensgenossen von ihm erwarten dürfen. 284 Aber nicht allein inbetreff der Aussätzigen hat er solche Bestimmungen erlassen, sondern er schliesst sogar alle, die auch nur den geringsten körperlichen Fehler aufweisen, von der Priesterwürde aus, und wenn jemand mitten während der heiligen Handlungen von einem solchen Unglück betroffen wird, so nimmt er ihm sein Amt.[55] 285 Wie ist es nun denkbar, dass er solche Bestimmungen traf, die gegen ihn selbst zur Anwendung kommen mussten, und dass er Gesetze zu seiner eigenen Schmach und Schande gab? 286 Auch dass er den Namen gewechselt haben soll, ist höchst unwahrscheinlich. „Früher,“ sagt Manetho, „hiess er Osarsiph.“ Dieser Name stimmt aber doch gar nicht mit der späteren Änderung; der wahre Name bezeichnet vielmehr den Moyses als einen aus dem Wasser Geretteten: denn Wasser heisst bei den Aegyptiern „Moy“. 287 Ich glaube nun den genügenden Beweis erbracht zu haben, dass Manetho zwar, so lange er sich an die alten Urkunden hält, der geschichtlichen Wahrheit ziemlich nahe kommt, dass er aber, sowie er sich unverbürgten Sagen zuwendet, entweder selbst unglaubwürdige Vermutungen aufstellt oder den Leuten glaubt, deren Aussagen vom Hasse beeinflusst sind.[56]

[138] 288 (32.) Nach ihm möchte ich noch Chairemon einer Prüfung unterziehen; denn auch er will eine „Aegyptische Geschichte“ geschrieben haben. Er führt denselben Königsnamen an wie Manetho, nämlich Amenophis, nennt dessen Sohn Ramesses 289 und sagt dann weiter, Isis sei dem Amenophis im Traum erschienen und habe ihm Vorwürfe darüber gemacht, dass ihr Heiligtum im Kriege verwüstet worden sei. Ein Schriftgelehrter Namens Phritiphantes habe ihm nun erklärt, das Schreckbild werde ihn in Ruhe lassen, wenn er Aegypten von den mit unreinen Krankheiten behafteten Leuten säubere. 290 Darauf habe der König zweihundertfünfzigtausend Sieche zusammengebracht und des Landes verwiesen. Ihre Führer seien die Schriftkundigen Moyses und Joseph gewesen: denn auch letzterer habe die heilige Schrift verstanden. Die aegyptische Bezeichnung für Moyses habe Tisithen, für Joseph Peteseph gelautet. 291 Diese seien nun nach Pelusium gekommen und hätten dort dreihundertachtzigtausend von Amenophis zurückgelassene Menschen getroffen, denen er die Übersiedelung nach Aegypten nicht habe gestatten wollen. Mit ihnen verbündet hätten sie alsdann einen Feldzug gegen Aegypten unternommen. 292 Amenophis aber habe ihrem Angriff nicht standgehalten, sondern sei mit Zurücklassung seiner schwangeren Gattin nach Aethiopien geflohen. In einer Höhle versteckt habe nun das Weib einen Sohn Messenes[57] geboren, der, zum Manne herangereift, die etwa zweihunderttausend Köpfe zählenden Juden nach Syrien verjagt und seinen Vater Amenophis aus Aethiopien wieder heimgeholt habe.

293 (33.) Soweit Chairemon. Die Lügenhaftigkeit der beiden Schriftsteller ergiebt sich aber, wie ich glaube, [139] von selbst aus ihren Berichten aufs deutlichste. Lägen nämlich den letzteren wahre Begebenheiten zu Grunde, so könnten die beiderseitigen Angaben nicht so sehr voneinander abweichen. Nur wer sich mit Lügen abgiebt, kümmert sich nicht um die Übereinstimmung seiner Schriften mit anderen, sondern erdichtet, was ihm selbst gut dünkt. 294 So erzählt denn Manetho, das Verlangen des Königs, die Götter zu schauen, sei die Veranlassung zur Ausweisung der Unreinen gewesen, während Chairemon anderseits sich einen Traum von der Isis zurechtlegt. 295 Bei jenem heisst der Mann, der dem Könige den Rat gab, das Land zu säubern, Amenophis, bei diesem Phritiphantes. Recht nett stimmen auch die Zahlenangaben überein: der eine spricht von achtzigtausend, der andere von zweihundertfünfzigtausend Personen. 296 Ferner: Manetho schickt die Unreinen zunächst in die Steinbrüche, dann giebt er ihnen Auaris zum Wohnsitz, lässt sie die anderen Aegyptier mit Krieg überziehen und nun erst Hilfe von Jerusalem herbeirufen; 297 nach Chairemon dagegen treffen sie gleich nach ihrem Auszug aus Aegypten bei Pelusium dreihundertachtzigtausend von Amenophis dort zurückgelassene Menschen an, mit denen vereint sie wieder über die Aegyptier herfallen und den Amenophis nach Aethiopien verjagen. 298 Das schönste aber ist, dass der Erfinder des Traumes von der Isis und den Aussätzigen weder sagt, was die vielen Myriaden, die jenes Heer bildeten, für Leute waren noch woher sie kamen: ob sie geborene Aegyptier oder von auswärts herangezogen waren. Ja, nicht einmal den Grund giebt er an, warum der König sie nicht nach Aegypten habe führen wollen. 299 Sodann stellt Chairemon dem Moyses als mit ihm des Landes verwiesen den Joseph zur Seite, der doch vier Menschenalter, d. h. etwa hundertsiebzig Jahre vor Moyses starb. 300 Weiter: Ramesses, der Sohn des Amenophis, steht nach Manetho bereits im Jünglingsalter, zieht mit seinem Vater in den Kampf und flieht gleich ihm nach Aethiopien; Chairemon aber lässt ihn erst nach dem Tode seines Vaters in einer Höhle geboren [140] werden, später eine Schlacht gewinnen und dann zweihunderttausend Juden nach Syrien vertreiben. 301 Welche Leichtfertigkeit! Denn wie er vorher nichts davon sagt, wer denn die dreihundertachtzigtausend waren, so hören wir auch nicht, wie die vierhundertdreissigtausend umkamen, ob sie in der Schlacht fielen oder sich dem Ramesses ergaben. 302 Das allerseltsamste aber ist, dass man bei ihm gar keine Klarheit darüber gewinnen kann, wer die von ihm genannten Juden sind oder welchem Teile er diese Bezeichnung beilegt, ob den zweihundertfünfzigtausend Aussätzigen oder den dreihundertachtzigtausend, die bei Pelusium standen. 303 Doch es könnte thöricht aussehen, wenn ich solche Schriftsteller, die sich selbst widerlegt haben, noch ferner widerlegen wollte; denn sie kommen, wenn andere dies nicht thun, jedenfalls schlimmer weg.

304 (34.) Endlich will ich noch den Lysimachos anführen, der nicht nur auf demselben Boden der Lüge steht wie die Genannten, sondern ihre Unglaubwürdigkeit mit seinen Erdichtungen sogar noch überbietet. Deshalb kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ihm lediglich der Hass die Feder führte. 305 Er sagt nämlich, unter dem aegyptischen König Bokchoris sei das mit Aussatz, Krätze und anderen Krankheiten behaftete Volk der Juden in die Tempel geflohen und habe hier um Speise gebettelt. Immer weiter habe die Krankheit sich ausgebreitet, und dazu sei auch noch das Land unfruchtbar geworden. 306 Der König Bokchoris habe nun zu Ammon[58] geschickt, um einen Orakelspruch inbetreff der Unfruchtbarkeit zu erhalten, und es sei ihm von dem Gotte der Bescheid erteilt worden, er solle die Heiligtümer von den unreinen und gottlosen Menschen säubern, diese aus den Tempeln in die Wüste jagen, die Krätzigen und Aussätzigen aber, über deren Dasein die Sonne[59] zürne, [141] ertränken und die Tempel durch Sühnopfer heiligen; dann werde die Fruchtbarkeit des Landes sich wieder einstellen. 307 Nach Empfang dieses Spruches habe Bokchoris die Priester und Altardiener berufen und ihnen befohlen, die Unreinen auszusondern und sie durch Soldaten in die Wüste abführen, die Aussätzigen aber in Blei einhüllen und ins Meer versenken zu lassen. 308 Demgemäss habe man die Aussätzigen und Krätzigen ertränkt und die übrigen samt und sonders in Einöden versetzt, damit sie hier zu Grunde gingen. Sie aber hätten sich zusammengeschart und nach gepflogener Beratung in der ersten Nacht bei brennendem Feuer und Lampenlicht gewacht, um sich zu schützen, in der nächstfolgenden aber durch Fasten die Götter zu versöhnen gesucht und um Rettung zu ihnen gefleht. 309 Tags darauf habe dann ein gewisser Moyses ihnen geraten, unverzagt und geradeswegs vorwärts zu dringen, bis sie bewohnte Gegenden erreichten, und ihnen ausdrücklich anbefohlen, keinem Menschen eine wohlwollende Gesinnung zu beweisen, niemand den besten, sondern jedem den schlechtesten Rat zu geben und die Tempel und Altäre der Götter, wo sie solche anträfen, zu zerstören. 310 Die anderen hätten ihm Beifall gezollt, ihren Entschluss ins Werk gesetzt, die Wüste durchzogen und seien nach vielen Mühseligkeiten endlich in bewohnte Gegenden gekommen. Unter steter Misshandlung von Menschen, Plünderung und Einäscherung von Tempeln hätten sie dann das jetzt Judaea genannte Land erreicht, eine Stadt gegründet und daselbst sich niedergelassen. 311 Von dem Gebaren der Gründer sei diese Stadt Hierosyla[60] genannt worden; später aber, als sie zu grösserer Macht gelangten, hätten sie den Namen, um der damit verbundenen Schmähung zu entgehen, geändert und die Stadt Hierosolyma, sich selbst also Hierosolymer genannt.

312 (35.) Dieser Lysimachos wusste also nicht denselben König anzugeben wie jene, sondern erdichtete wieder [142] einen neuen Namen. Auch erwähnt er nichts von einem Traum und einem aegyptischen Wahrsager, sondern er schlägt den Weg zu Ammon ein, um einen Orakelspruch inbetreff der Krätzigen und Aussätzigen zu holen. 313 Wenn er nun erzählt, es hätten sich eine Menge Juden in den Tempeln zusammengefunden, legt er dann diesen Namen den Aussätzigen als solchen bei, oder sollen bloss die Juden mit Krankheiten behaftet gewesen sein? Er sagt ja: das Volk der Juden. 314 Was denn für eins? Ein von aussen zugewandertes, oder ein im Lande einheimisches? Waren es Aegyptier, weshalb nennst du sie Juden? Waren es Ausländer, warum sagst du nicht, woher sie kamen? Und wie konnte es geschehen, dass, nachdem der König viele von ihnen im Meer ertränkt und die übrigen in öde Gegenden vertrieben hatte, doch noch eine so grosse Anzahl übrig war? 315 Oder auf welche Weise konnten sie die Wüste durchziehen, das jetzt von uns bewohnte Land in Besitz nehmen, sogar eine Stadt daselbst gründen und den in aller Welt berühmten Tempel erbauen? 316 Sodann hätte Lysimachos nicht nur den Namen des Gesetzgebers nennen, sondern auch sein Geschlecht und seine Abstammung sowie die Gründe angeben sollen, weshalb er seinen Leuten auf dem Marsch derartige Gesetze hinsichtlich der Götter und inbetreff der gegen die Menschen zu verübenden Ungerechtigkeiten gab. 317 Waren seine Begleiter geborene Aegyptier, so werden sie wohl ihren von den Vätern überkommenen Gebräuchen nicht so ohne weiteres untreu geworden sein; waren sie anderswoher, so hatten sie doch sicher schon gewisse durch lange Gewohnheit bei ihnen fest eingewurzelte Gesetze. 318 Wenn sie übrigens wirklich hätten schwören müssen, gegen die, von welchen sie vertrieben waren, nie mehr eine freundliche Gesinnung zu hegen, so könnte man das noch verständlich finden; dass aber Leute, die, wie Lysimachos selbst sagt, in schlimmer Lage waren und jedermanns Beistand bedurften, mir nichts dir nichts alle Menschen mit den fürchterlichsten Kriegsdrohungen angegangen sein sollen, das ist der reine [143] Unsinn, der freilich nicht den Verleumdeten zur Last fällt, sondern dem Erfinder dieser Lüge. Wagt er doch sogar die Behauptung, sie selbst hätten der Stadt vom Tempelraub den Namen gegeben und diesen erst nachher geändert. 319 Daraus erhellt ja deutlich, dass den späteren Geschlechtern dieser Name Hass und Schande zuzog, während doch die Gründer der Stadt, indem sie ihn erfanden, sich selbst damit hatten ehren wollen. In seiner unbändigen Schmähsucht hat der Treffliche auch ganz übersehen, dass die jüdische Bezeichnung für Tempelraub nicht dieselbe ist wie die griechische. 320 Doch was braucht man gegen einen so unverschämten Lügner noch weitere Worte zu verschwenden? Übrigens hat ja dieses Buch schon einen angemessenen Umfang erhalten, und so will ich denn lieber von neuem ansetzen und das, was sonst noch zum vorliegenden Thema gehört, im folgenden Buche behandeln.



  1. Vergl. jedoch Plinius, Naturgesch., VII, 57; XIII, 11. Josephus will wohl sagen, der Gebrauch, den die spätere Zeit von der Buchstabenschrift machte, sei damals unbekannt gewesen.
  2. Näheres über die in dieser Abhandlung erwähnten Schriftsteller etc. s. im Namenregister.
  3. So auch Aristot., Polit, V, 10; Strabo I; Josephus, Jüd. Krieg, Vorwort 5.
  4. Gemeint sind die Chaldäer im engeren Sinne, die Mitglieder der Priesterkaste.
  5. Bezieht sich auf den Krieg unter Vespasianus und Titus.
  6. Josephus zählt hier folgendermassen: 1), 2), 3), 4), 5) Pentateuch, 6) Josua, 7) Richter, 8) Ruth, 9) Sam. I, II, Kön. I, II, 10) Chronik I, II, 11) Esra, 12) Nehemia, 18) Esther, 14) Hiob, 15) Psalmen, 16) Sprüche Salomons, 17) Prediger nebst dem Hohen Lied, 18) Jesaias, 19) Jeremias nebst den Klageliedern, 20) Ezechiel, 21) Daniel, 22) Kleine Propheten.
  7. Ueber die von Josephus beliebte Schreibweise und Ableitung des Namens vergl. J. A. II, 9, 6 sowie Abschnitt 31 des vorliegenden Buches.
  8. Hier sind wohl die Apokryphen gemeint.
  9. Bezieht sich auf Justus von Tiberias (vergl. Selbstbiographie, Abschnitt 65), für den der Franzose Salvador (Geschichte der Römerherrschaft in Judaea) eine Lanze brechen zu müssen glaubte.
  10. Sohn des Helkias und Schwiegersohn Agrippas des Grossen (s. J. A. XIX, 9, 1; XX, 7, 1; 7, 8).
  11. Wahrscheinlich ein Sohn des jüngeren Phasaël und der Salampsio (s. J. A. XVIII, 5, 4). Dass er zur königlichen Familie Herodes’ des Grossen gehörte, beweist das Prädikat „erlaucht“ (σεμνότατος).
  12. In etwas gezwungener Weise verwertet hier Josephus für seine Beweisführung den Umstand, dass die Küstenstädte Palaestinas vorzugsweise von Heiden bewohnt waren.
  13. Thatsächlich war die Hauptbeschäftigung der damaligen palaestinischen Juden Ackerbau und Handwerk; den Handel begünstigte ja auch das Gesetz in keiner Weise.
  14. D. h. Seeräuberei.
  15. Statt περὶ ist zu setzen παρὰ.
  16. S. jedoch Uhlemann, Israeliten und Hyksos in Aegypten, S. 6.
  17. Um den in dieser Ortsbestimmung liegenden geographischen Widerspruch zu beseitigen, wäre statt „im Saïtischen Bezirk“ zu lesen: im Sethroïtischen Bezirk. Vergl. übrigens: Poitevin, Recherches sur la ville égyptienne d’Avaris.
  18. D. i. hieroglyphischen.
  19. Hiernach wäre Manetho mit dem alten Testament bekannt gewesen, was sicher nicht zutraf. Ob Josephus ihn missverstanden hat?
  20. 1. Mos. 46, 32 und 34; 47, 3f.
  21. 1. Mos. 47,4 (deine Knechte).
  22. Bezieht sich nicht auf den Patriarchen Joseph, sondern auf das hohe Alter der Juden nach Manetho, wovon unten (Abschnitt 16 und 26) wieder die Rede ist.
  23. Ramses II. Nach Parets Vorgang schiebe ich vor Ῥαμέσσης ein.
  24. Nach Diodor. Ι, 47: Baktrien.
  25. Statt ἀλλήλους lies: ἄλλους.
  26. In den „Jüdischen Altertümern“ heisst er Hiram.
  27. Proben dieser (zweifellos unechten) Briefe s. J. A. VIII, 2, 6f.
  28. Vergl. J. A. VIII, 5, 3.
  29. Einige dieser Rätsel hat der Midrasch aufbewahrt (Rabba zu IV, M. P. 19; Menachoth p. 37, a. Tosephot und Pessikta).
  30. Dido (tyrisch Elissa).
  31. Berosus hat dabei wohl nicht aus den hebräischen Quellen geschöpft, sondern aus der (in neuerer Zeit von George Smith herausgegebenen) Sintflut-Keilinschrift. Vergl. Ausland 1873, S. 497f.
  32. S. die Anmerkung zu Abschnitt 6.
  33. Amytis, Tochter des medischen Königs Kyaxares (Herodot I, 74; 175).
  34. Mit dieser Erzählung des Berosus stimmt eine am Euphrat gefundene, seit 1807 im Ostindienhaus zu London befindliche Keilinschrift, die 1854 von Rawlinson entziffert wurde (s. Ausland 1854, S. 1245) vollkommen überein – wieder ein Beweis, dass Berosus die Keilinschriften als erste Quelle benutzt hat.
  35. Nach J. A. X, 11, 2 regierte er achtzehn Jahre. Winer nimmt zur Erklärung dieser Verschiedenheit eine Mitregentschaft oder eine Provinzialregentschaft an.
  36. Müller (Des Flav. Jos. Schrift gegen den Apion, S. 158) und Movers (Phoenicier II, 1, 438; 465) meinen, dass in den unruhigen Richterzeiten ein Jahr lang ein Nebenkönig, eben dieser Balatoros, regiert habe.
  37. Vergl. 2. Mos. 23, 5; 5. Mos. 22, 4.
  38. Josephus kann hier nur die 4. Mos. 30, 2ff. erwähnten Gelübde im Sinne haben, durch welche irgend ein Gegenstand für das Heiligtum geweiht wurde.
  39. Herodot II, 104.
  40. Vergl. Herodot VII, 70.
  41. Ein solcher Kalanus oder Gymnosophist befand sich im Heere Alexanders des Grossen, wo der Name Kalanus als nomen proprium gefasst wurde. Der Mann hiess aber nach Plutarch (Alex. 65) Spinas oder Sphines. Ganz richtig wird also hier K. als Gattungsname gebraucht.
  42. Dieses Buch wird aber schon von Origenes (c. Celsum I, 3, 2) für apokryph gehalten. S. auch Willrich, Forschungen zur hellenistisch-jüdischen Geschichte und Litteratur, S. 86 ff.
  43. Alexander starb 328 v. Chr.
  44. ἄρουρα, ein Flächenmass, das aber nicht überall gleich gross war. Die aegyptische A. mass nach Herodot II, 168 hundert Ellen im Geviert.
  45. 1 Plethron = 30,83 Meter.
  46. Meschullam.
  47. Tochter Antiochus’ I. (Soter).
  48. A. Gonatas, König von Macedonien (seit 277 v. Chr.)
  49. Dieses „Dreistädtebuch”, eine Schmähschrift gegen Athen, Sparta und Theben, war von einem Feinde des Theopompos in dessen Manier geschrieben worden, um ihn verhasst zu machen.
  50. Vergl. hierzu Ewald, Geschichte Israels II, S. 56–77.
  51. Uebersetzt nach Holwerdas Verbesserung: εἶεν κεχωρισμένοι (statt οἱ ἐγκεχωρισμένοι).
  52. Typhon = Zerstörer des Lebens, Gegensatz des Osiris, Ungeheuer mit hundert Schlangenköpfen, Erzeuger der lernäischen Schlange, der Chimaira, der Sphinx u. a.
  53. Osar-sif = Schwert des Osiris.
  54. 3. Mos. 13ff.; Matth. 8, 4; Mark. 1, 44; Luk. 5, 14.
  55. 3. Mos. 21, 17ff.
  56. Historische Treue konnte man von Manetho auch wohl nicht erwarten. Denn wie er selbst in der Vorrede an Ptolemaeus Philadelphus angiebt, war seine Schrift eine Antwort auf die Frage dieses WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Königs: ‚περὶ τῶν μελλόντων τῷ κόσμῷ γίγνεσθαι‘ (über die zukünftigen Schicksale der Welt), Ein Werk aber, dessen Hauptzweck die Prophezeiung war, nahm es mit der geschichtlichen Wahrheit vermutlich nicht allzu genau.
  57. Nach Bekker ist hier zu lesen: Ramesses. S. auch Ewald, Gesch. Israels II, S. 124.
  58. Vergl. Tacitus, Hist. V, 3. Das Orakel des Ammon war das bedeutendste in Aegypten (Herodot I, 46; II, 83).
  59. Ueber den Sonnengott der Aegyptier vergl. Herzog, R.-E. XIV, 532 IA.
  60. D. i. Tempelraub.
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Gegen Apion
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