« Buch 1 Flavius Josephus
Gegen Apion
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Zweites Buch

(1.) 1 In dem vorigen Buche, geehrtester Epaphroditos, habe ich das hohe Alter unseres Volkes zu beweisen und die Wahrheit meiner Darlegungen durch die Schriften der Phoenicier, Chaldäer und Aegyptier wie auch durch viele griechische Geschichtschreiber, die ich als Zeugen anführte, zu erhärten versucht; sodann widerlegte ich Manetho, Chairemon und einige andere. 2 Jetzt will ich mir zunächst angelegen sein lassen, die Angriffe der übrigen, welche etwas gegen uns geschrieben haben, zurückzuweisen. Ob ich mir freilich Mühe geben solle, den Grammatiker Apion zu widerlegen, darüber war ich im Zweifel. 3 Denn ein Teil dessen, was er schreibt, ähnelt dem von anderen bereits Gesagten, ein weiterer Teil besteht aus seinen eigenen überaus geistlosen Zusätzen, das meiste aber verrät einen so schlechten Geschmack und, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, einen so hochgradigen Mangel an Bildung, wie er sich von dem niedrigen Charakter eines Mannes, der all seiner Tage nur ein Marktschreier war, erwarten liess. 4 Weil jedoch die meisten Menschen infolge ihres Unverstandes sich durch derartiges Geschwätz mehr einnehmen lassen, als durch gewissenhaft verfasste Schriftwerke, und an Schimpfereien ihre Freude, gegen Lobsprüche aber Widerwillen haben, so hielt ich es doch für geboten, auch ihn, der uns öffentlich, als ständen wir vor Gericht, seine Anklage entgegenschleudert, nicht unbeurteilt zu lassen. 5 Denn es ist auch, wie ich sehe, die Art der meisten Menschen, sich gewaltig zu freuen, wenn jemand, der zuerst einen anderen geschmäht hat, hinwiederum seiner [145] eigenen Schwächen überführt wird. 6 Zwar ist es nicht so leicht, seine Schrift zu lesen und sich darüber klar zu werden, was er denn eigentlich sagen will. Soviel sich aber bei der grossen Unordnung und dem Gewirre von Lügen erkennen lässt, bezieht sich der eine Teil seiner Darlegungen auf die schon oben untersuchte Frage, nämlich den Auszug unserer Vorfahren aus Aegypten, 7 während der zweite Anklagen gegen die in Alexandria wohnenden Juden und der dritte Beschuldigungen gegen uns enthält, die mit den beiden vorigen Gegenständen verquickt sind und unseren Tempelgottesdienst sowie die anderen gesetzlichen Einrichtungen betreffen.

(2.) 8 Dass nun, um mit dem ersten Punkt zu beginnen, unsere Väter weder geborene Aegyptier waren noch wegen körperlicher Gebrechen oder anderer derartiger Mängel aus Aegypten vertrieben worden sind, habe ich meinem Dafürhalten gemäss oben nicht nur hinreichend, sondern sogar bis zum Überfluss nachgewiesen. 9 Was aber von Apion noch hinzugefügt wird, das will ich jetzt kurz besprechen. 10 Im dritten Buche seiner „Aegyptiaka“ sagte er: „Moyses stammte, wie ich von den Ältesten der Aegyptier erfuhr, aus Heliopolis. Obwohl er den Gebräuchen seiner Väter zu folgen verpflichtet war, verlegte er doch die Abhaltung der Gebete, die bis dahin unter freiem Himmel stattfand, in eingefriedigte Räume, wie die Stadt sie aufwies, und gab letzterer durchweg die Richtung gegen Osten; so nämlich ist die Lage der Sonnenstadt. 11 Anstelle der Obelisken errichtete er Säulen, an deren Fuss ein kahnähnliches Gebilde angebracht war, auf welches der Schatten der Säulenspitze fiel, sodass dessen Lauf stets dem der Sonne am Himmel folgte.“[1] 12 So lautet der wunderliche Satz des Grammatikers; um aber zu zeigen, dass sein Inhalt erlogen ist, [146] bedarf es keiner Worte, sondern die Thatsachen beweisen dies aufs klarste. Denn weder hat Moyses selbst, als er Gott dem Herrn das erste Zelt errichtete, ein derartiges Gebilde darin angebracht, noch schrieb er jemals vor, dass seine Nachfolger ein solches verfertigen müssten, und auch der spätere Erbauer des Tempels in Jerusalem, Solomon, hat sich der Verwendung jedes derartigen Beiwerkes, wie Apion sich eins zusammenstoppelte, enthalten. 13 Dass Moyses aus Heliopolis war, will er von den Ältesten gehört haben. Freilich, er war ja der Jüngere und musste jenen glauben, und sie waren natürlich so alt, dass sie Moyses selbst gekannt und mit ihm verkehrt hatten! 14 Und während der Grammatiker von dem Dichter Homer nicht mit Bestimmtheit angeben kann, in welcher Stadt er geboren war, und ebensowenig von Pythagoras, der doch sozusagen gestern und vorgestern auf Erden wandelte, ist er mit Moyses, der so unendlich viele Jahre vor jenen lebte, ganz im reinen und glaubt einfach, was er von den Ältesten vernommen hat – ein deutlicher Beweis, dass er lügt. 15 Was sodann die Zeit betrifft, in der Moyses die Aussätzigen, Blinden und Lahmen weggeführt haben soll, so steht da, wie ich finde, der gewissenhafte Grammatiker mit denen, die vor ihm schrieben, in recht netter Übereinstimmung. 16 Manetho nämlich setzt den Auszug der Juden aus Aegypten in die Regierungszeit des Königs Tethmosis, d. i. dreihundertdreiundneunzig Jahre früher als Danaos nach Argos floh, Lysimachos in die Zeit des Königs Bokchoris, also fünfzehnhundert Jahre früher, Molon und andere, wie es ihnen beliebte; 17 der Allerzuverlässigste aber, nämlich Apion, hat die Zeit des Auszuges ganz genau bestimmt: er giebt die siebente Olympiade an und zwar das erste Jahr derselben‚[2] in welchem, wie er sagt, die Phoenicier Karthago gründeten. Die zusätzliche Bemerkung über Karthago machte er jedenfalls in der Meinung, dies werde der augenfälligste Beweis für die Wahrheit seiner [147] Angabe sein; er hat aber nicht bemerkt, dass er damit gerade einen Beweis gegen sich anführte. 18 Denn wenn man hinsichtlich jener Ansiedelung den Urkunden der Phoenicier trauen darf, so ergiebt sich aus diesen, dass der König Hirom – die ihn betreffenden Belegstellen aus den phoenicischen Annalen erwähnte ich bereits oben mehr als hundertfünfzig Jahre vor der Gründung Karthagos lebte, 19 mit Solomon, dem Erbauer des Tempels in Jerusalem, befreundet war und vieles zur Vollendung des Tempels beitrug. Solomon selbst aber erbaute den Tempel erst sechshundertzwölf Jahre nach dem Auszug der Juden aus Aegypten. 20 Nachdem Apion sodann die Zahl der Vertriebenen nach dem Vorgang des Lysimachos willkürlich auf hundertzehntausend angesetzt hat, giebt er eine wunderbare und überaus glaubwürdige Erklärung für die Entstehung des Namens Sabbat. 21 Er sagt nämlich: „Nach sechstägigem Marschieren bekamen die Juden Leistengeschwüre und mussten deshalb am siebenten Tage ruhen, nachdem sie glücklich das jetzt Judaea genannte Land erreicht hatten. Darum nannten sie mit Beibehaltung eines aegyptischen Wortes den siebenten Tag Sabbat; denn der Schmerz, den Leistengeschwüre verursachen, heisst bei den Aegyptiern Sabbatosis.“ 22 Man weiss nicht, soll man über derartiges Geschwätz lachen oder die Schamlosigkeit, die sich im Niederschreiben solcher Dinge kundgiebt, verabscheuen? Es müssten also die hundertzehntausend Menschen samt und sonders an Leistengeschwüren gelitten haben! 23 Aber wenn es, wie Apion behauptet, lauter Blinde, Lahme und mit allerhand Krankheiten behaftete Leute waren, so hätten sie doch wohl keinen einzigen Tag marschieren können; waren sie aber imstande, die weite Einöde zu durchwandern und noch dazu mit den Waffen in der Hand ihre Gegner zu bekämpfen, so sind sie gewiss nicht nach dem sechsten Tage sämtlich an Leistengeschwüren erkrankt. 24 Denn es ist weder eine Naturnotwendigkeit, dass man vom Marschieren ein derartiges Leiden bekommt – haben doch schon Heere von vielen tausend Mann, [148] ohne auszusetzen, ähnliche Märsche zurückgelegt –, noch spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies gerade hier der Fall gewesen sei; die Geschichte ist eben gar zu widersinnig. 25 Kaum hat ferner der Schlaukopf Apion behauptet, sie seien in sechs Tagen nach Judaea gekommen, als er auch schon gleich wieder bemerkt, Moyses habe den zwischen Aegypten und Arabien liegenden Berg Sinai bestiegen, sich hier vierzig Tage lang verborgen gehalten und nach seiner Rückkehr von dort den Juden die Gesetze gegeben. Aber wie war es doch möglich, dass dieselben Menschen vierzig Tage in der wasserlosen Wüste blieben und trotzdem das ganze Zwischenland in sechs Tagen durchzogen? 26 Die grammatische Ableitung des Wortes Sabbat vollends ist entweder ein Zeichen von arger Unverschämtheit oder von tiefster Unwissenheit. 27 Die Worte Sabbo und Sabbat haben nämlich durchaus nichts miteinander gemein: Sabbat bedeutet in der jüdischen Sprache das Ausruhen von jeder Arbeit, Sabbo dagegen bezeichnet, wie Apion behauptet, bei den Aegyptiern den Schmerz, den Leistengeschwüre erzeugen.

(3.) 28 Derartige Erfindungen, die er den schon vorhandenen anreiht, bringt der Aegyptier Apion über Moyses und den Auszug der Juden aus Aegypten vor. Darf es übrigens wunder nehmen, dass er über unsere Vorfahren lügt und sie als geborene Aegyptier hinstellt, 29 wenn er über seine eigene Person die umgekehrte Lüge auftischt? Er ist nämlich in der Oase Aegyptens geboren; gleichwohl hat er – sicher der erste von allen Aegyptiern, der dies that – sein wirkliches Vaterland und seine Herkunft abgeschworen und sich fälschlich für einen Alexandriner ausgegeben. Damit gesteht er selbst zu, wie verächtlich er von seiner Abstammung denkt. 30 Selbstverständlich nennt er nun alle, die er hasst und in ein schlechtes Licht stellen möchte, Aegyptier. Hielte er die Aegyptier nicht für ein durch und durch schlechtes Volk, so würde er seine Verwandtschaft mit ihnen nicht leugnen; denn wer auf sein [149] Vaterland stolz ist, setzt eine Ehre darein, sich nach ihm zu nennen, und straft diejenigen Lügen, die ohne Berechtigung dies zu thun wagen. 31 Zweierlei können also die Beziehungen der Aegyptier zu uns sein: entweder machen sie Anspruch auf Verwandtschaft mit uns, um dadurch im Ansehen zu steigen, oder sie wollen auch uns in den üblen Ruf bringen, in dem sie selbst stehen. 32 Der edle Apion aber scheint die Schimpferei gegen uns gewissermassen aus Dankbarkeit für das ihm geschenkte Bürgerrecht an die Alexandriner übertragen zu wollen, und da er ihre feindliche Gesinnung gegen die jüdischen Bewohner Alexandrias kannte, nahm er sich vor, diese zu verlästern, und wart dann alle anderen Juden mit ihnen zusammen – in dem einen wie dem anderen Punkte ein unverschämter Lügner.

(4.) 33 Wir wollen jetzt sehen, welches denn die schlimmen Unthaten sind, die er den Juden in Alexandria vorwirft. „Sie kamen,“ sagt er, „von Syrien her und liessen sich an einem hafenlosen Meere nieder, in der Nähe der Brandung.“ 34 Nun, wenn an dem Ort etwas zu tadeln ist, so betrifft ja dieser Tadel seine eigene – freilich nicht wirkliche, sondern nur angebliche – Vaterstadt Alexandria. Denn auch der unmittelbar ans Meer stossende Teil derselben ist, wie allseitig zugegeben wird, zur Ansiedelung sehr geeignet. 35 Wenn aber die Juden den Platz mit Gewalt in Besitz nahmen und ihn auch später behaupteten, so ist das ein Zeichen ihrer Tapferkeit. In Wirklichkeit jedoch hat Alexander ihnen denselben zur Niederlassung angewiesen und ihnen mit den Macedoniern gleichen Rang zuerkannt. 36 Ich möchte wohl wissen, was Apion sagen würde, wenn sie sich in der Nekropolis[3] niedergelassen hätten, während sie jetzt in der Nähe des königlichen Palastes ihren Wohnsitz nehmen durften und ihr Stamm den Beinamen Macedonier erhielt, den sie noch bis heute führen. 37 Wenn übrigens Apion die Briefe des Königs Alexander und [150] des Ptolemaeus Lagi sowie der nachfolgenden aegyptischen Könige gelesen und ferner die in Alexandria stehende Säule gesehen hat, auf der die von dem grossen Caesar den Juden verliehenen Rechte verzeichnet sind[4] – wenn er, sage ich, diese Urkunden kannte und dennoch das Gegenteil von dem, was sie melden, in seiner Schrift zu behaupten sich erdreistete, so ist er ein schlechter, wenn er sie aber nicht kannte, ein unwissender Mensch. 38 Sich darüber zu wundern, dass die in Alexandria wohnenden Juden Alexandriner genannt wurden, verrät den gleichen Mangel an Bildung. Denn alle, die jemals in eine Kolonie berufen wurden, erhalten, so verschieden auch ihre Herkunft sein mag, ihren Namen von dem Gründer der Ansiedelung. 39 Beispiele aus der Fremde anzuführen, ist unnötig; vielmehr bleibe ich bei uns und weise darauf hin, dass die jüdischen Bewohner von Antiochia Antiochener genannt werden, weil der Gründer der Stadt, Seleukos, ihnen das Bürgerrecht verliehen hat. Ebenso führen die Juden in Ephesos und anderen ionischen Städten den gleichen Gesamtnamen wie die eingeborenen Bürger; die Diadochen haben ihnen dies gestattet. 40 Auch erlaubten ja die Römer in ihrer Grossmut fast allen Menschen, und zwar nicht nur einzelnen Männern, sondern auch ganzen Völkerschaften, sich die Bezeichnung Römer beizulegen. Demzufolge werden die ehemaligen Iberer, Tyrrhener und Sabiner Römer genannt. 41 Wenn aber Apion diese Art des Bürgerrechtes nicht gelten lassen will, so höre er vor allem auf, sich selbst einen Alexandriner zu nennen. Denn geboren ist er, wie ich oben sagte, mitten in Aegypten; wie kann er also ein Alexandriner sein, wenn das geschenkte Bürgerrecht seiner gegen uns vorgebrachten Behauptung gemäss keines ist? Freilich nur den Aegyptiern haben die Römer, die jetzigen Herren der Welt, die Annahme jedes fremden Bürgerrechtes verboten.[5] [151] 42 Apion jedoch ist so edelmütig, dass er, weil sein Verlangen nach dem steht, was ihm versagt war, diejenigen zu verkleinern sucht, die es mit Fug und Recht besitzen. Denn Alexander hat nicht etwa deshalb, weil es ihm an Ansiedlern für die von ihm so eifrig gegründete Stadt mangelte, eine Menge Juden dorthin berufen, sondern weil er alle in Betracht kommenden Menschen hinsichtlich ihrer Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit einer genauen Prüfung unterzog und dabei den Angehörigen unseres Volkes den Preis zuerkennen musste. 43 Er hatte überhaupt grosse Achtung vor uns, wie denn auch Hekataios bezeugt, dass er den Juden wegen der Biederkeit und Treue, die sie ihm gegenüber an den Tag legten, das Samariterland als steuerfreies Gebiet zu ihrem bisherigen Besitz noch hinzugeschenkt habe. 44 Ähnlich wie Alexander war auch Ptolemaeus Lagi gegen die in Alexandria ansässigen Juden gesinnt. Denn ihnen vertraute er die aegyptischen Festungen an, überzeugt, dass sie dieselben treu und tapfer behaupten würden; auch sandte er in der Absicht, seine Herrschaft in Kyrene und den anderen Städten Libyens zu befestigen, eine Schar jüdischer Ansiedler dorthin. 45 Und was seinen Nachfolger Ptolemaeus Philadelphus betrifft, so gab er nicht nur die sämtlichen in seinem Reiche lebenden Kriegsgefangenen frei, sondern machte ihnen auch zu wiederholten Malen Geldgeschenke; dass wichtigste aber ist, dass er unsere Gesetze kennen zu lernen und unsere heiligen Bücher zu lesen verlangte. 46 Zu diesem Zweck beschied er Männer zu sich, die ihm das Gesetz verdolmetschen sollten, und damit ein vortreffliches Schriftstück zustande käme, übertrug er die Vorbereitungen nicht etwa dem ersten besten, sondern betraute damit den Demetrius Phalereus, der unter seinen [152] Zeitgenossen durch Bildung hervorragte, sowie Andreas und Aristeas, denen die Bewachung der Person des Königs oblag.[6] 47 Er wäre doch wohl kaum so begierig gewesen, unsere Gesetze und die bei uns einheimische Weisheit kennen zu lernen, wenn er von den Männern, die damit vertraut waren, geringschätzig gedacht und nicht vielmehr seine ganze Bewunderung ihnen gezollt hätte.

(5.) 48 Auch dass alle übrigen Könige seiner macedonischen Vorfahren die freundlichste Gesinnung gegen uns hegten, weiss Apion nicht. So hat der dritte Ptolemaeus mit dem Beinamen Euergetes nach der Eroberung von Gesamt-Syrien nicht etwa den aegyptischen Göttern zum Dank für den errungenen Sieg geopfert, sondern er kam nach Jerusalem, brachte daselbst Gott dem Herrn zahlreiche Opfer nach der bei uns giltigen Gesetzesvorschrift dar und stiftete Weihgeschenke in den Tempel, die seines Sieges würdig waren.[7] 49 Ptolemaeus Philometor ferner und seine Gemahlin Kleopatra vertrauten die ganze Regierung Juden an und ernannten zu Befehlshabern der gesamten Streitmacht die Juden Onias und Dositheos, deren Namen Apion allerdings bespöttelt und deren Handlungen er schmäht, anstatt sie zu bewundern und ihnen Dank dafür zu wissen, dass sie eben die Stadt Alexandria, deren Bürger er zu sein vorgiebt, retteten. 50 Denn als die Alexandriner mit der Königin Kleopatra im Kriege lagen und Gefahr liefen, elend umzukommen, da brachten jene Männer einen Vergleich zustande und machten so dem Bürgerkrieg ein Ende. Apion freilich sagt: „Später zog Onias mit einem unansehnlichen Heere vor die Stadt, während der römische Legat Thermus daselbst anwesend war.“ 51 Daran, entgegne ich, that er sehr recht. Denn Ptolemaeus mit dem Beinamen Physkon rückte nach dem Tode seines Bruders [153] Ptolemaeus Philometor von Kyrene heran, um Kleopatra und die Söhne des Königs aus dem Reiche zu vertreiben[8] 52 und sich dasselbe unrechtmässigerweise anzueignen. Gerade deswegen überzog ihn Onias in Kleopatras Interesse mit Krieg und wahrte so die Treue gegen das Königshaus auch in den Zeiten der Not. 53 Gott stellte übrigens seiner Gerechtigkeit ein glänzendes Zeugnis aus. Als nämlich Ptolemaeus Physkon im Begriff stand, dem Heere des Onias eine Schlacht zu liefern, nahm er alle Juden in der Stadt samt ihren Weibern und Kindern gefangen und warf sie nackt und gefesselt den Elefanten vor, damit sie von diesen zu Tode getreten würden, in welcher Absicht er die Tiere trunken gemacht hatte. Doch es geschah das gerade Gegenteil von dem, was er wollte: 54 die Elefanten liessen die ihnen vorgeworfenen Juden liegen, griffen seine Freunde an und brachten viele derselben um. Bald darauf hatte Ptolemaeus eine schreckliche Erscheinung, die ihn warnte, den Juden etwas zuleide zu thun, 55 und da auch seine liebste Beischläferin – von einigen Ithaka, von anderen Irene genannt – ihn flehentlich bat, keinen derartigen Frevel zu begehen, gab er ihr nach und bereute, was er gethan hatte oder zu thun beabsichtigte. Mit Recht feiern daher, wie bekannt, die in Alexandria ansässigen Juden diesen Tag, weil sie damals die offenbare Hilfe Gottes erfahren. 56 Apion aber, der über alles schimpft, erdreistet sich auch wegen des Krieges gegen Physkon die Juden anzuklagen, statt sie, wie es sich gehörte, zu loben.[9] Er erwähnt auch die letzte Kleopatra, welche Königin der Alexandriner war, und macht gewissermassen uns dafür verantwortlich, dass sie uns mit Undank lohnte, obwohl er doch eigentlich gegen sie hätte Partei nehmen müssen. 57 Alle erdenkliche Ungerechtigkeit und Bosheit verübte ja [154] dieses Weib nicht nur gegen ihre Blutsverwandten und gegen die Männer, deren Liebe sie entflammt hatte, sondern auch gegen die Römer insgesamt und besonders gegen die Imperatoren, von denen sie mit Wohlthaten überhäuft worden war. Ihre Schwester Arsinoë, die ihr nichts zuleide gethan, ermordete sie im Tempel; 58 ihren Bruder brachte sie durch Hinterlist um; die heimischen Götter und die Gräber ihrer Ahnen plünderte sie. Obwohl sie dem ersten Caesar ihr Königreich verdankte, trug sie kein Bedenken, sich gegen seinen Sohn und Nachfolger zu empören; den Antonius berückte sie durch ihre Liebeskünste und brachte ihn dahin, dass er sein Vaterland hasste und seine Freunde verriet; den einen nahm sie die Königskrone, die anderen trieb sie in ihrer Tollheit zu verbrecherischen Thaten. 59 Doch was will das alles dagegen besagen, dass sie den Antonius selbst, das heisst ihren Gatten und den Vater der Söhne, die sie ihm geboren, bei der Seeschlacht im Stiche liess und ihn zwang, unter Verzichtleistung auf Heer und Oberbefehl ihr zu folgen? 60 Und als nun Alexandria zum letztenmal von Caesar erobert wurde, kam sie so weit, dass sie nur dann noch Hoffnung zu hegen wagte, wenn ihm die Vernichtung der Juden gelang; denn gegen alle benahm sie sich grausam und treulos. [–][10] 61 Dafür hat sie freilich auch die gebührende Strafe erlitten; wir aber können uns auf das gewichtige Zeugnis des grossen Caesar über die treue Hilfe, die wir ihm gegen die Aegyptier geleistet haben,[11] berufen, ferner auf den Senat und seine Beschlüsse, und endlich auf die Briefe des Caesar Augustus, in denen unsere Verdienste anerkannt werden. 62 Diese Briefe hätte Apion einsehen müssen und nicht minder die Zeugnisse, die uns von Geschlecht zu Geschlecht unter Alexander und allen Ptolemäern ausgestellt wurden, sowie die Bestimmungen, welche der Senat und die [155] bedeutendsten römischen Feldherren zu unseren Gunsten getroffen haben. [Und dass die Juden, wie Apion sagt, während einer Hungersnot keinen Weizen auf dem Tische haben, ist das vielleicht etwas unrühmliches?] 63 Denn wenn Germanicus nicht allen Einwohnern Alexandrias Getreide zuteilen konnte, so beweist das doch nur einen durch Unfruchtbarkeit des Bodens erzeugten Fruchtmangel, begründet aber keinen Vorwurf gegen die Juden. Welche Gesinnung übrigens alle Imperatoren gegen die alexandrinischen Juden hegten, unterliegt keinem Zweifel. 64 Denn die Getreideverwaltung ist ihnen ebensowenig wie den Alexandrinern überhaupt abgenommen worden; vielmehr hat man den Juden die ihnen von den früheren Königen anvertrauten Ämter belassen, nämlich die Bewachung des Flusses und die Aufsicht über die gesamte Besatzung, da man sie solcher Vertrauensposten nicht unwert hielt.

(6.) 65 Apion aber bringt noch mehr vor. Er sagt: Wenn sie Bürger sind, weshalb verehren sie nicht die gleichen Götter wie die Alexandriner? Ich antworte: Wie kommt es, dass ihr, die ihr doch alle Aegyptier seid, wegen der Religion miteinander in heftiger und unversöhnlicher Fehde liegt?[12] 66 Und sprechen wir euch etwa den Namen Aegyptier oder auch überhaupt die Bezeichnung Menschen ab, weil ihr Tiere, die der menschlichen Natur feindlich sind, verehrt und mit vieler Sorgfalt füttert? Unser Volk dagegen bildet eine geschlossene Einheit. 67 Wenn aber unter euch Aegyptiern so tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten herrschen, wie magst du dich da noch wundern, dass die von auswärts in Alexandria Eingewanderten ihren Gesetzen, die von jeher bei ihnen bestehen, treu geblieben sind? 68 Ferner stellt Apion uns auch als Aufwiegler hin. Wenn aber diese Beschuldigung gegen die alexandrinischen Juden gerechtfertigt wäre, könnte er uns ebenso gut aus unserer allbekannten Eintracht [156] einen Vorwurf machen. 69 Viel eher wird man finden, dass gerade Alexandriner vom Schlage Apions es sind, die Unruhen zu erregen trachten. Denn so lange die Griechen und Macedonier Herren der Stadt waren, zettelten sie keinen Aufruhr gegen uns an, sondern liessen die alten religiösen Feierlichkeiten ruhig geschehen. Als aber die Aegyptier in Alexandria an Zahl bedeutend zunahmen, da blieb bei der durch die Zeitverhältnisse bedingten Verwirrung auch der Hader nicht aus. Unser Volk indes lud keine Schuld auf sich, 70 und nur von den Aegyptiern gingen solche Belästigungen aus, indem sie den Juden weder mit macedonischer Treue noch mit griechischer Klugheit entgegenkamen, sondern alle schlechten Charaktereigenschaften der Aegyptier hervorkehrten und ihre uralte Feindschaft an uns ausliessen. 71 Die Beschuldigung, die sie gegen uns erheben, fällt daher auf sie selbst zurück. Übrigens besitzen die meisten von ihnen das alexandrinische Bürgerrecht zu Unrecht und bezeichnen nun diejenigen als Fremde, die dasselbe anerkanntermassen vollgiltig sich erworben haben. 72 Denn den Aegyptiern ist, soviel man weiss, weder von einem alexandrinischen König noch von irgend einem römischen Imperator das Bürgerrecht der Stadt geschenkt worden. Uns aber hat Alexander daselbst Wohnsitze angewiesen, die Könige haben unsere Gerechtsame erweitert, die Römer waren so gnädig, uns dieselben stets zu belassen. 73 Und nun will Apion sie uns deshalb aberkennen, weil wir keine Bildsäulen von Imperatoren aufstellen, als wäre ihnen dies unbekannt gewesen oder als hätten sie es nötig, dass ein Apion sich ihrer annehme! Statt dessen hätte er die Grossmut und Selbstbeherrschung der Römer bewundern sollen, weil sie ihre Unterthanen nicht zwingen, die Landesgebräuche mit Füssen zu treten, sondern sich so ehren lassen, wie die zur Huldigung Verpflichteten es mit ihrem Gewissen und ihren Gesetzen vereinbaren können. Für solche Ehrenbezeugungen nämlich, die ihnen aus zwingender Not erwiesen werden, wissen sie keinen Dank. 74 Bei den Griechen freilich und einigen anderen [157] Völkern hält man es für schön, Bildsäulen zu errichten: man hat seine Freude daran, den Vater, die Gattin, die Kinder abzubilden, und stellt auch hier und da solche Personen im Bilde dar, die einen gar nichts angehen; ja, manche thun dies sogar mit fleissigen Sklaven. Was wunder also, wenn man sieht, dass sie auch die Fürsten und Gebieter in dieser Weise ehren? 75 Unser Gesetzgeber hingegen hat, nicht etwa weil er als Prophet die zukünftige Macht der Römer ahnte, die man nicht ehren dürfe, sondern lediglich deshalb die Herstellung von Bildwerken verboten, weil sie weder Gott noch den Menschen Nutzen bringen, mithin wertlos sind, und weil sie kein beseeltes Wesen, geschweige denn den unbeseelten[13] Gott getreu wiedergeben können.[14] 76 Andere Ehrenbezeugungen dagegen nächst Gott auch hervorragenden Menschen zu erweisen, hat er nicht untersagt, wie wir denn thatsächlich die Imperatoren und das römische Volk durch dergleichen Kundgebungen verherrlichen. 77 Denn ohne Unterlass bringen wir Opfer für sie dar, und wir begehen nicht nur diese feierlichen Handlungen tagtäglich auf gemeinsame Kosten sämtlicher Juden, sondern thun auch den Imperatoren allein damit eine Ehre an, die wir keinem anderen Menschen gewähren, indem wir derartige Opfer weder für das öffentliche Wohl noch für unsere Kinder darbringen. 78 Diese allgemeinen Bemerkungen wollte ich zur Widerlegung dessen, was Apion über Alexandria vorbringt, hier anführen.

(7.) 79 Wundern aber muss ich mich auch über die, welche ihm zu seinen Ausfällen Veranlassung gegeben haben, nämlich Poseidonios und Apollonios Molon; denn auch sie fragen im Tone des Vorwurfs, weshalb wir nicht dieselben Götter wie andere verehren. Dabei [158] glauben sie keine Unehrerbietigkeit zu begehen, wenn sie sich mit Lügen abgeben und über unseren Tempel widersinnige Lästerungen vorbringen, während es doch für gebildete Menschen die grösste Schande ist, auf irgend eine Weise zu lügen und vollends über den weltbekannten, so unendlich heiligen Tempel. 80 In diesem Heiligtum, erfrecht sich Apion zu behaupten, hätten die Juden einen Eselskopf aufgestellt; den beteten sie an, und ihm gelte der ganze Gottesdienst.[15] Derselbe, versichert er, sei abhanden gekommen, als Antiochus Epiphanes den Tempel plünderte, wobei er jenen aus Gold gefertigten, ungemein wertvollen Kopf gefunden habe. 81 Darauf antworte ich zunächst: Selbst wenn etwas derartiges bei uns vorhanden gewesen wäre, hätte der Aegyptier kein Recht, uns deshalb zu schelten, da ein Esel nicht geringer ist als Böcke und andere Tiere, die bei ihnen für Götter gehalten werden. 82 Merkt er übrigens nicht, wie die Thatsachen seine ungeheuerliche Lüge zu Schanden machen? Wir haben nämlich immer die gleichen Gesetze, bei denen wir unerschütterlich beharren. Und obwohl nun unsere Hauptstadt wie so viele andere von mancher Drangsal heimgesucht wurde und (Antiochus) der Gott, Pompejus Magnus, Licinius Crassus und jüngst noch der Caesar Titus als Sieger im Kampfe sich des Tempels bemächtigten, fanden sie nichts dergleichen, sondern die reinste Gottesverehrung, über die wir freilich vor anderen nichts aussagen dürfen. 83 Antiochus hatte übrigens keinen stichhaltigen Grund zur Plünderung des Tempels, vielmehr trieb ihn dazu nur seine Geldnot; denn er war kein Feind, sondern griff uns, seine Bundesgenossen und Freunde, an, und auch er fand nichts darin, worüber man hätte spotten können. 84 Dies bezeugen auch viele ehrenwerte Geschichtschreiber: [159] Polybios von Megalopolis, der Kappadocier Strabo, Nikolaus von Damaskus, Timagenes, der Chronist Kastor und Apollodor; sie alle sagen, Antiochus habe, weil es ihm an Geld mangelte, das Bündnis mit den Juden gebrochen und den mit Gold und Silber gefüllten Tempel geplündert. 85 Das hätte Apion bedenken sollen; doch er hat eben das Herz eines Esels und die Unverschämtheit eines Hundes, der ja bei ihnen verehrt wird. Ein anderer Grund, weshalb er so gelogen haben sollte, ist nicht denkbar. 86 Wir erzeigen den Eseln weder irgend eine Ehre noch schreiben wir ihnen irgend welchen Einfluss zu, wie die Aegyptier den Krokodilen und Schlangen; glauben sie doch, dass jemand, der von den letzteren gebissen oder von Krokodilen geraubt wird, zur Seligkeit und Gemeinschaft der Götter gelangt. 87 Bei uns sind die Esel, was sie auch bei anderen verständigen Leuten sind: nützliche Lasttiere, und wenn sie beim Dreschen auf der Tenne fressen oder sich faul zeigen, erhalten sie tüchtig Schläge; denn sie müssen in der Landwirtschaft und bei anderen Arbeiten Dienste thun. 88 Apion aber ist entweder so ungebildet, dass er nicht einmal ordentlich lügen kann, oder er vermag selbst dann, wenn er von Thatsachen ausgeht, zu keinem richtigen Schluss zu gelangen – sonst würde er nicht mit allen seinen Lästerungen gegen uns so schlecht abschneiden.

(8.) 89 Er bringt auch noch eine andere für uns äusserst beleidigende Fabel vor, welche zugleich die Griechen angeht. Es dürfte genügen, hierüber zu bemerken: Leute, die von religiösen Dingen reden wollen, sollten doch wissen, dass es weit grössere Unreinheit verrät, wenn man Priestern frevelhafte Handlungen andichtet, als wenn man durch einen Tempel wie auf einem gemeinen Wege geht. 90 Jenen Lügnern aber lag mehr daran, einen gottesräuberischen König in Schutz zu nehmen, als über uns und den Tempel wahrheitsgemäss und geziemend zu berichten. Denn um dem Antiochus zu schmeicheln, ferner um die Treulosigkeit und den Tempelraub, womit er sich aus Geldmangel gegen unser Volk [160] versündigte, zu beschönigen, legen sie uns verleumderischerweise auch noch Absichten bei, die wir erst später hätten verwirklichen wollen. 91 Apion natürlich führt anstelle der anderen das grosse Wort. Er sagt nämlich, Antiochus habe im Tempel ein Ruhebett gefunden, auf dem ein Mensch lag. Vor diesem habe ein mit Leckerbissen von Seefisch und Geflügel besetzter kleiner Tisch gestanden, worüber der König in Erstaunen geraten sei. 92 Alsbald nun sei der Mensch ehrfurchtsvoll dem Könige zu Füssen gesunken, als wenn dieser ihm die grösste Hilfe gewähren könne, und habe ihn mit ausgestreckter Hand um Befreiung angefleht. Antiochus habe ihn dann aufgefordert, sich zu setzen und zu sagen, wer er sei, weshalb er hier sich befinde und was die Speisen zu bedeuten hätten, worauf er seufzend und weinend seine Not mit folgenden Worten geklagt habe: 93 Er sei ein Grieche, und während er, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, die Provinz durchzogen habe, sei er plötzlich von wildfremden Menschen ergriffen, in einen Tempel geschleppt und hier eingesperrt worden; nie bekomme er jemand zu sehen, doch werde er mit allen möglichen Leckerbissen gemästet. 94 Anfangs hätten diese unerwarteten Wohlthaten ihm Freude bereitet, später aber habe er Verdacht geschöpft und sei dann in Stumpfsinn verfallen; zuletzt habe er einen näher herankommenden Diener gefragt und von ihm erfahren, dass es ein geheimes Gesetz der Juden gebe, dem zulieb er genährt werde, und sie thäten das jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit. 95 Sie fingen nämlich einen fremden Griechen auf, mästeten ihn ein Jahr lang, führten ihn dann in einen gewissen Wald, schlachteten ihn, opferten seinen Leib unter herkömmlichen feierlichen Ceremonien, genössen etwas von seinen Eingeweiden und schwüren bei der Opferung des Griechen einen Eid, dessen Landsleute zu hassen; schliesslich würfen sie die Überreste des Unglücklichen in eine Grube.[16] 96 Der Gefangene habe dann [161] hinzugefügt, dass ihm nur noch wenige Tage beschieden seien, und den König gebeten, ihn aus seiner schrecklichen Lage zu befreien, einmal aus Ehrfurcht gegen die Götter der Griechen, und dann auch um durch seine Rettung die hinterlistigen Anschläge der Juden zunichte zu machen. 97 Das ist nun freilich nicht bloss ein ganz schauervolles Märchen, sondern strotzt auch von greulicher Unverschämtheit, und obendrein wird Antiochus noch nicht einmal von dem Verbrechen der Tempelschändung reingewaschen, wie es die Absicht derer war, die solche Fabeleien zu seinen Gunsten niederschrieben. 98 Denn nicht weil er etwas dergleichen argwöhnte, betrat er den Tempel, sondern was er dort fand, überraschte ihn förmlich. Er sündigte also aus bösem Willen und bleibt ein gottloser Mensch trotz allem, was unmässige Verlogenheit über ihn vorbrachte. Es ist übrigens an der Hand der Thatsachen sehr leicht, das Lügengewebe zu durchschauen. 99 Denn unsere Gesetze stehen bekanntlich nicht nur mit den Griechen in Widerspruch, sondern auch, und zwar in besonders hohem Grade, mit den Aegyptiern und vielen anderen. Es giebt aber kein Land, aus dem nicht von Zeit zu Zeit Reisende zu uns kämen. Weshalb sollten wir nun gegen die Griechen allein stets neue, blutige Verschwörungen anzetteln? 100 Oder wie wäre es möglich, dass zu diesen Menschenopfern alle Juden ohne Ausnahme sich versammelten und dass jene Eingeweide genügten, so vielen Tausenden als Speise zu dienen, wie Apion sagt? 101 Und warum hat der König den von ihm entdeckten Menschen, wer es auch immer gewesen sein mag – denn seinen Namen verschweigt die Geschichte – nicht mit Gepränge in sein Vaterland zurückgeführt? Dadurch hätte er sich ja den Ruf der Frömmigkeit und besonderer Vorliebe für die Griechen verschaffen sowie auch den allgemeinen Judenhass als mächtigen Verbündeten ausnutzen können. 102 Doch genug [162] hiervon: unvernünftige Menschen muss man nicht mit Worten, sondern durch Thatsachen zu überzeugen versuchen. Und in dieser Beziehung wissen doch alle, die die bauliche Einrichtung unseres Tempels gesehen haben, wie er beschaffen war und mit welch peinlicher Genauigkeit man auf seine Reinhaltung achtete. 103 Vier Höfe hatte er im Umkreis, und jeder derselben stand dem Gesetze gemäss unter besonderer Aufsicht. In den äusseren Hof durften alle, auch die Fremden, eintreten, und nur die Weiber, welche ihre monatliche Reinigung hatten, waren davon ausgeschlossen; 104 der zweite stand allen Juden offen sowie auch ihren Ehefrauen, wenn sie von jeglicher Befleckung rein waren; der dritte war für die reinen und geweihten Juden männlichen Geschlechtes bestimmt; in den vierten konnte niemand gelangen ausser den Priestern, die ihre Amtstracht angelegt hatten, in das Allerheiligste aber nur die Hohepriester in der ihnen eigentümlichen Gewandung. 105 Und so genau hatte man alles beim Gottesdienst vorgesehen, dass selbst die Stunden, zu denen die Priester eintraten, bestimmt waren. Früh morgens, wenn der Tempel geöffnet wurde, mussten sie hineingehen und die üblichen Opfer darbringen, desgleichen des Mittags, bis der Tempel geschlossen wurde. 106 Ferner durfte kein Gerät, welcher Art es auch sein mochte, in den Tempel gebracht werden, sondern es standen in ihm nur ein Altar, ein Tisch, ein Rauchfass und ein Leuchter, wie dies alles im Gesetz vorgeschrieben ist. 107 Selbstverständlich wird auch kein unaussprechlicher Geheimdienst im Innern des Heiligtums getrieben noch irgend ein Mahl daselbst aufgetischt. Was ich hier sage, stützt sich auf das offenbare Zeugnis unseres ganzen Volkes und auf thatsächliche Beobachtungen. 108 Denn obwohl es vier Priesterklassen giebt, von denen jede über fünftausend Köpfe zählt, so hat doch nur eine gewisse Anzahl von Priestern an bestimmten Tagen Dienst; sind diese fertig, so kommt der Reihe nach eine andere Abteilung zur Darbringung der Opfer, und zwar versammeln sich die einzelnen Priester gegen Mittag im Heiligtum [163] und übernehmen von ihren Vorgängern die Tempelschlüssel sowie die genau abgezählten heiligen Gefässe, übrigens ohne etwas von Speisen oder Getränken in den Tempel mitzunehmen; 109 denn auch zum Altar dürfen dergleichen Dinge mit Ausnahme dessen, was zum Opfer bestimmt ist, nicht gebracht werden.

Können wir demnach etwas anderes von Apion sagen, als er habe, ohne diese Thatsachen zu prüfen, unglaubliches Geschwätz vorgebracht? Schändlich ist es allerdings, wenn ein Grammatiker so gar keine Kenntnis davon hat, was geschichtliche Wahrheit ist. 110 Er kannte unseren Tempelgottesdienst, lässt ihn aber ganz unberücksichtigt; dagegen fabelt er von der Gefangennahme eines Griechen, von einer scheusslichen Speise, von überaus üppigen und herrlichen Mahlzeiten und von dem Eintritt schlechter Menschen in einen Raum, den selbst die vornehmsten Juden, wenn sie keine Priester waren, nicht betreten durften. 111 Das ist nichts anderes als vollendete Gottlosigkeit und absichtliche Lüge, lediglich darauf berechnet, solche Leute irre zu führen, denen es um die Erforschung der Wahrheit nicht zu thun war. Durch derartige, mit Worten kaum wiederzugebende Schlechtigkeiten, die man uns anhing, suchte man uns in den Augen der Welt verächtlich zu machen.

(9.) 112 Und wiederum spottet er über uns, als wäre er ein erzfrommer Mann, und fügt zu der Fabel noch weitere angebliche Thatsachen hinzu. Er sagt nämlich, jener Mensch habe erzählt, vor langer Zeit, als die Juden mit den Idumäern im Kriege lagen, sei aus einer Stadt der Idumäer ein Verehrer des Apollo mit Namen Zabidos zu den Juden gekommen und habe ihnen versprochen, Apollo, den Gott der Bewohner von Dora, ihnen in die Hände zu liefern; derselbe werde in unseren Tempel kommen, wenn alle sich hinaufbegäben 113 und die ganze Masse der Juden mitnähmen.[WS 1] Zabidos habe alsdann eine hölzerne Maschine verfertigt, sich hineingestellt, drei Reihen Lichter daran befestigt und sei so umhergewandelt, dass die fern von ihm Stehenden den Eindruck gewonnen [164] hätten, es bewege sich ein Gestirn über die Erde.[17] 114 Die Juden, über das sonderbare Schauspiel erstaunt, hätten sich, da sie weit davon entfernt gewesen, ruhig verhalten; Zabidos aber sei ganz leise in den Tempel gegangen, habe hier den goldenen Eselskopf geraubt – so witzig stellt Apion die Sache dar – und sich eiligst wieder nach Dora zurückbegeben. 115 Da legt, kann man sagen, Apion dem Esel, das heisst sich selbst, viel auf und belastet ihn mit seinem unsinnigen und erlogenen Geschwätz. Er schreibt nämlich Orte hin, die es gar nicht giebt, und vorhandene Städte verlegt er aus Unwissenheit in ganz falsche Gegenden. 116 Idumaea liegt an den Grenzen unseres Landes bei Gaza, und Dora ist keine Stadt in Idumaea. Dagegen in Phoenicien am Karmelgebirge giebt es eine Stadt Dora, die aber mit Apions Gefasel wohl nichts zu thun hat; denn sie ist vier Tagereisen von Judaea entfernt. 117 Und wie kann er uns einen Vorwurf daraus machen, dass wir nicht dieselben Götter haben wie andere, wenn unsere Väter sich so leicht bereden liessen, Apollo werde zu ihnen kommen, und ihn schon mit den Sternen auf Erden umherwandeln zu sehen wähnten? 118 Ein Licht hatten sie natürlich noch nie gesehen, sie, die so grosse und schöne Feste mit Anzündung von Lichtern feiern! Auch begegnete ihm, als er durch das Land heimzog, selbstverständlich niemand von den vielen Tausenden, und trotz des damals herrschenden Krieges fand er die Stadtmauern von Wachen entblösst! 119 Doch ich verlasse diesen Gegenstand und erwähne nur noch eins: die Thore des Tempels waren sieben Ellen hoch, zwanzig Ellen breit, über und über mit Goldplatten bekleidet, ja so gut wie aus massivem Gold gefertigt; nicht weniger als zweihundert[18] Mann mussten bei ihrer Schliessung mitwirken, was täglich geschah, da es streng untersagt war, sie offen zu lassen – [165] 120 und doch hat jener Lampenträger sie mit Leichtigkeit geöffnet, weil er meinte, sie öffnen zu können, und noch dazu soll er das gethan haben, während er den Eselskopf trug! Hat er uns übrigens den Kopf zurückgebracht, oder nahm Apion ihn und stellte ihn uns wieder zu, damit Antiochus ihn entdecken und dem Apion Stoff zu einer zweiten Fabelei geben könnte?

(10.) 121 Erlogen ist auch der Eid, den er uns andichtet, als ob wir bei Gott, dem Schöpfer des Himmels, der Erde und des Meeres schwören müssten, keinem Fremden und besonders keinem Griechen wohlwollend zu begegnen. 122 Wollte er einmal lügen, so hätte er uns schwören lassen sollen, dass wir gegen keinen Fremden, namentlich aber gegen keinen Aegyptier eine freundliche Gesinnung zu hegen gewillt seien. So nämlich würde die Lüge inbetreff des Eides wenigstens zu den früher von ihm aufgetischten Märchen gepasst haben, da es ja die Aegyptier waren, die unsere Väter, ihre Stammesgenossen, nicht etwa um ihrer Bosheit willen, sondern unter dem Druck von Schicksalsschlägen vertrieben. 123 Von den Griechen aber sind wir mehr durch den Raum als durch unsere Bestrebungen geschieden und haben darum keinen Grund, sie zu hassen oder zu beneiden. Im Gegenteil, viele von ihnen haben sich für unsere Gesetze interessiert, und manche sind treue Anhänger derselben geworden, während andere, die keine Kraft zum Ausharren besassen, wieder abfielen. 124 Übrigens hat noch niemand behauptet, es sei ihm etwas von einem derartigen jüdischen Eid zu Ohren gekommen; nur Apion, wie es scheint, hörte davon, denn er selbst hat ihn erfunden.

(11.) 125 Gewaltig erstaunen wird man auch ob der tiefen Weisheit Apions, die sich im folgenden kundgiebt. Ein Beweis dafür, sagt er, dass wir keine vernünftigen Gesetze hätten und auch Gott die ihm gebührende Verehrung nicht zollten, sei der Umstand, dass wir keine herrschende Stellung einnähmen, sondern bald von diesem, bald von jenem Volk unterjocht worden seien und besonders mit unserer Hauptstadt schon viel Unglück gehabt [166] hätten – als ob sie (die Alexandriner) von jeher die Herren der weltbezwingenden Stadt (Rom) gewesen und nicht vielmehr umgekehrt an das römische Joch gewöhnt wären! 126 Und doch dürfte nicht mancher die gleiche Grossmut erfahren haben, wie sie von seiten der Römer. Es wird nun wohl niemand in der Welt umhin können zu sagen, dass alle vorstehenden Behauptungen Apions sich gerade so gut gegen ihn selbst kehren wie gegen uns. 127 Denn nur wenigen Völkern war es vergönnt, längere Zeit die Oberherrschaft zu führen, und auch sie hat der Schicksalswechsel immer wieder den anderen unterthan gemacht; ja, die meisten Nationen haben sogar zu wiederholten Malen unter fremder Botmässigkeit gestanden. 128 Die Aegyptier allein waren, angeblich weil die Götter in ihr Land flohen und dadurch, dass sie sich in Tiere verwandelten, gerettet wurden,[19] so ausnehmend bevorzugt, dass sie keinem asiatischen oder europäischen Herrscher jemals sich unterzuordnen brauchten – sie, denen bekanntlich nicht einmal von ihren einheimischen Tyrannen ein einziger Tag der Freiheit gewährt wurde! 129 Welche Behandlung sie von den Persern erfuhren, die ihnen nicht nur einmal, sondern öfters ihre Städte zerstörten, ihre Tempel verwüsteten, ihre vermeintlichen Götter schlachteten, will ich ihnen nicht zu ihrer Schande vorhalten; 130 denn es steht mir nicht an, die Oberflächlichkeit eines Apion nachzuahmen, der weder an das Unglück der Athener noch an das der Lakedaemonier denkt, von denen die letzteren allgemein als die tapfersten, die ersteren als die frömmsten Griechen bezeichnet werden. 131 Auch will ich nicht davon reden, wie oft solche Könige, die wegen ihrer Frömmigkeit berühmt waren, z.B. Krösus, in ihrem Leben von widrigen Schicksalen heimgesucht wurden, nicht reden von der Einäscherung der Akropolis in Athen, des Tempels in Ephesos, des in Delphi, und von zahlreichen anderen Unglücksfällen, die noch niemand den davon [167] Betroffenen, sondern den Urhebern vorgeworfen hat. 132 Jetzt aber fand sich einer, der uns alle miteinander anklagt: Apion, dem das traurige Geschick seiner Landsleute in Aegypten aus dem Gedächtnis entschwunden ist, weil die sagenhaften Thaten des aegyptischen Königs Sesostris ihn geblendet haben. Wir dagegen wollen von unseren Königen David und Solomon, die doch auch viele Völkerschaften unterjochten, nichts erwähnen 133 und sie mit Stillschweigen übergehen; die eine allgemein bekannte Thatsache aber, von der Apion nichts weiss, sei hier hervorgehoben: während die Aegyptier zu den Persern und deren Nachfolgern in der Herrschaft über Asien, den Macedoniern, in einem geradezu sklavischen Abhängigkeitsverhältnis standen, 134 waren wir fast hundertzwanzig Jahre lang[20] frei und geboten noch dazu über die umliegenden Staaten, bis auf Pompejus den Grossen. Und als die sämtlichen Fürsten des Erdkreises von den Römern gewaltsam unterjocht wurden, da blieben allein meine Landsleute wegen ihrer Treue deren Bundesgenossen und Freunde.

(12.) 135 „Aber wir haben keine grossen Männer aufzuweisen, wie z. B. Erfinder von Künsten und ausgezeichnete Gelehrte.“ Dann zählt Apion den Sokrates, den Zeno, den Kleanthes und etliche andere Männer von Bedeutung auf und setzt – das allerwunderlichste von dem, was er vorbringt – seinen höchsteigenen Namen hinzu, indem er Alexandria glücklich preist, dass es einen Bürger wie ihn besitze. 136 Er hatte es allerdings nötig, sein eigener Lobredner zu werden. Denn bei allen anderen Leuten galt er für einen schlechten Marktschreier, für einen verdorbenen Menschen und Schriftsteller, weshalb man Alexandria mit Recht bedauern müsste, wenn es sich auf diesen Menschen etwas einbildete. Dass aber bei uns Männer gefunden werden, die so gut wie irgend [168] einer des Lobes würdig sind, das wissen diejenigen sehr wohl, die sich mit der alten jüdischen Geschichte vertraut gemacht haben.

(13.) 137 Was sonst noch in der Schmähschrift steht, würde vielleicht besser unerwidert bleiben, damit Apion so recht als sein eigener und der Aegyptier Ankläger dastehe. Er macht uns nämlich zum Vorwurf, dass wir Tiere opfern und kein Schweinefleisch essen; auch spottet er über die Beschneidung. 138 Nun findet sich aber der Brauch, die Haustiere zu schlachten, bei allen anderen Menschen, und Apion verrät sich, indem er die Opfer tadelt, nur als Aegyptier; wäre er ein Grieche oder Macedonier, so würde er es uns nicht übel nehmen. Die letzteren pflegen ja Gelübde zu thun, wonach sie den Göttern ganze Hekatomben opfern, und sie verwenden die Opfertiere zu Mahlzeiten, ohne dass deshalb, wie Apion befürchtet, der Welt das Nutzvieh ausgeht. 139 Wenn dagegen alle es wie die Aegyptier machen wollten, so würde die Welt gar bald menschenleer und voll der wildesten Tiere werden, welche die Aegyptier in dem Wahn, dass sie Götter seien, sorgfältig aufziehen. 140 Richtete man ferner die Frage an ihn, welche Leute unter den Aegyptiern er für die weisesten und frömmsten hielte, so würde er zweifellos die Priester als solche anerkennen. 141 Denn ihnen sollen die Könige von jeher zwei Gebote gegeben haben: die Götter zu ehren und nach Weisheit zu streben. Gerade die Priester aber lassen sich alle beschneiden[21] und enthalten sich des Schweinefleisches. Gleichwohl bringt sonst kein Aegyptier in Gemeinschaft mit ihnen den Göttern blutige Opfer dar. 142 Apion war also nicht recht bei Verstand, als er den Aegyptiern zulieb uns zu schmähen sich anschickte; er klagt ja in Wirklichkeit nur sie an, die nicht bloss den von ihm verlästerten Sitten anhangen, sondern auch, wie Herodot [169] sagt, andere Völker die Beschneidung lehrten.[22] 143 Deshalb halte ich es auch für wahrscheinlich, dass Apion eben wegen der Beschimpfung seiner heimatlichen Gesetze nach Gebühr bestraft worden ist. Denn er musste sich notgedrungen der Beschneidung unterziehen, weil an seinen Schamteilen ein Geschwür sich bildete. Die Beschneidung half ihm indes nichts, sondern er verfaulte bei lebendigem Leibe und starb unter fürchterlichen Qualen. 144 Der Gutgesinnte soll ja die religiösen Satzungen seiner Heimat gewissenhaft halten, ohne die der anderen zu schmähen. Apion aber ist jenen untreu geworden und hat die unseren verlästert. So beschloss dieser Mann sein Leben, und damit sei auch meine Rede gegen ihn zu Ende.

(14.) 145 Weil nun aber auch Apollonios Molon und Lysimachos und einige andere teils aus Unwissenheit, zumeist jedoch aus Böswilligkeit ebenso ungerechte wie unzutreffende Urteile über unseren Gesetzgeber Moyses und unsere Gesetze gefällt haben, indem sie jenen verleumderisch als Gaukler und Betrüger bezeichnen und von den Gesetzen behaupten, sie wiesen uns nicht zur Tugend, sondern zur Schlechtigkeit an, so will ich in aller Kürze auch noch über unsere Religionsverfassung im ganzen und über die Einzelheiten derselben, so gut ich kann, mich verbreiten. 146 Es wird dann hoffentlich klar werden, dass unsere Gesetze zur Gottesfurcht, zur Pflege der gesellschaftlichen Beziehungen und zur Nächstenliebe im allgemeinen, sowie zur Gerechtigkeit, zur Ausdauer in Beschwerden und zur Todesverachtung die beste Anleitung geben. 147 Nur bitte ich diejenigen, in deren Hände diese Schrift gelangt, sie ohne missgünstiges Vorurteil zu lesen. Denn es liegt nicht in meiner Absicht, eine Lobrede auf unser Volk zu schreiben, sondern ich halte hinsichtlich der vielen falschen Beschuldigungen, die man gegen uns erhebt, diejenige Rechtfertigung für die beste, [170] welche auf die Gesetze Bezug nimmt, nach denen wir unser ganzes Leben einrichten – 148 zumal da Apollonios seine Vorwürfe nicht wie Apion in gehöriger Ordnung, sondern vereinzelt und in seiner ganzen Schrift zerstreut gegen uns hat anrücken lassen. Bald verlästert er uns als gottlos und menschenfeindlich, bald wieder wirft er uns Feigheit vor; an anderen Stellen dagegen beschuldigt er uns der Tollkühnheit und des Fanatismus. Ferner sagt er, wir seien die ungebildetsten unter den Barbaren[23] und hätten deshalb allein keinen Beitrag zu den für das Leben nützlichen Erfindungen geliefert. 149 Alle diese Beschuldigungen werden, denke ich, klar widerlegt sein, wenn es sich herausstellt, dass gerade das Gegenteil von dem, was er behauptet, uns durch die Gesetze vorgeschrieben und von uns aufs pünktlichste befolgt wird. 150 Wenn ich hierbei genötigt sein sollte, zu erwähnen, dass es bei anderen Völkern entgegengesetzte Bräuche giebt, so fällt die Schuld davon verdientermassen auf die, welche unsere Einrichtungen durch Vergleichung derselben mit fremden als schlechter hinzustellen suchen. Ihnen glaube ich auch zwei Ausflüchte abschneiden zu können, nämlich die, dass die Gesetze, von denen ich die hauptsächlichsten anführen werde, nicht wirklich die unsern seien, und die andere, dass wir unsere eigenen Gesetze nicht besonders treu beobachteten.

(15.) 151 Indem ich etwas weit aushole, möchte ich vorab darauf hinweisen, dass diejenigen, die zuerst das Verlangen nach einem gesetzlich geordneten Gemeinschaftsleben hegten und demgemäss ein solches einführten, selbstverständlich das Lob der Gesittung und edler Charaktereigenschaften vor denen voraus haben, die gesetz- und ordnungslos dahinleben. 152 Aus diesem Grunde sucht auch jede Gemeinschaft die bei ihr geltenden Gesetze möglichst weit ins Altertum hinaufzurücken, damit es nicht den Anschein gewinne, als habe sie fremde Einrichtungen nachgeahmt, sondern damit umgekehrt [171] sie selbst als die Lehrerin gelte, die anderen das Leben auf gesetzlicher Grundlage beigebracht habe. 153 Unter diesen Umständen ist der Vorzug eines Gesetzgebers darin zu suchen, dass er das Beste herauszufinden versteht und seine Bestimmungen denen annehmbar macht, die sich danach richten sollen, der Vorzug der Menge aber darin, dass sie allen Beschlüssen treu bleibt und weder durch Glück noch durch Unglück sich verleiten lässt, etwas daran zu ändern. 154 Ich stelle nun die Behauptung auf, dass unser Gesetzgeber alle irgend sonst in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter übertrifft. Denn Lykurgos und Solon wie auch der Lokrer Zaleukos und alle anderen bei den Griechen in hoher Bewunderung stehenden Gesetzgeber sind, mit ihm verglichen, offenbar erst von gestern und vorgestern. War ja doch nicht einmal die Bezeichnung ‚νόμος’ für ‚Gesetz’ bei den Griechen von alters her bekannt, 155 wie daraus hervorgeht, dass Homer in keinem seiner Gedichte das Wort gebraucht.[24] Zu seiner Zeit nämlich gab es nichts dergleichen, sondern nach unbestimmten Meinungen wurden die Massen gelenkt und durch die Befehle der Könige. Deshalb galt auch lange Zeit hindurch nur ungeschriebenes Herkommen, das noch dazu in vielen Stücken je nach Umständen wieder geändert wurde. 156 Unser Gesetzgeber dagegen, der älteste von allen – das gestehen ja selbst diejenigen zu, die sonst nichts gutes an uns lassen –, bewährte sich als der beste Führer und Ratgeber der Massen, schuf ihnen in seinem Gesetz eine für alle Verhältnisse passende Lebensordnung, bewog sie zu deren Annahme und wusste es durchzusetzen, dass sie, mit den einzelnen Bestimmungen vertraut, dieselben zugleich getreulich beobachteten.

(16.) 157 Betrachten wir einmal die erste seiner Grossthaten. Als unsere Vorfahren beschlossen hatten, Aegypten [172] zu verlassen und in ihr Stammland zurückzukehren, da stellte er sich an die Spitze der nach Hunderttausenden zählenden Menge und brachte sie aus vielen Drangsalen in Sicherheit; denn sie mussten die wasserlose Sandwüste durchziehen, Feinde besiegen und ihre Weiber und Kinder samt der Beute mit dem Schwert in der Hand verteidigen. 158 In allen diesen Gefahren bewies er sich als überaus trefflicher Feldherr, als einsichtsvoller Ratgeber und als der treueste Versorger des ganzen Volkes. Er brachte es zuwege, dass alle samt und sonders an ihm hingen, und obwohl sie jedem seiner Befehle gehorchten, zog er doch daraus keinerlei Vorteil für seine Person[.] In einer Lage, wo die meisten Befehlshaber nach tyrannischer Herrschaft streben und das Volk an ein durch und durch gesetzloses Leben gewöhnen, 159 gerade da hielt er, der Inhaber der Gewalt, es im Gegenteil für seine Pflicht, fromm zu leben und den Massen nur Wohlwollen zu erzeigen in der Hoffnung, auf diese Weise seine eigene Tugend am deutlichsten hervortreten lassen und denjenigen, die ihn zum Führer gewählt hatten, den sichersten Weg zur Rettung angeben zu können. 160 Weil er nun wirklich diese schöne Absicht hegte und glänzende Thaten vollbrachte, glaubten wir mit gutem Grund, an ihm einen gottgesandten Führer und Ratgeber zu haben; und nachdem er zuvor den eigenen festen Entschluss gefasst hatte, alle seine Handlungen und Gedanken nach dem Willen Gottes einzurichten, hielt er sich in erster Linie für verpflichtet, die gleiche Überzeugung auch den Massen beizubringen. Denn wer da glaubt, dass Gott auf sein Leben schaue, der ist keiner Sünde fähig. 161 Ein solcher Mann eben war unser Gesetzgeber, kein Gaukler, auch kein Betrüger, wie die Lästerer ihn ungerechterweise nennen, sondern dem Minos vergleichbar, dessen die Griechen sich rühmen, und den anderen Gesetzgebern nach ihm. 162 Sie legten ja ihren Gesetzen göttlichen Ursprung bei, und Minos namentlich führte die seinen auf Apollo und dessen delphisches Orakel zurück, sei es dass sie selbst daran glaubten, sei es dass [173] sie, indem sie dies vorgaben, eher Glauben zu finden hofften. 163 Wer aber seinen Gesetzen die höchste Vollendung gegeben, und wer in Bezug auf den Glauben an Gott das richtige getroffen hat, das kann nur durch eine Vergleichung des Inhalts der Gesetze selbst entschieden werden, auf den ich nun zu sprechen komme. 164 Unendlich sind im einzelnen die Verschiedenheiten der Sitten und Gesetze im Menschengeschlecht: hier hat man die Regierung der Staaten Monarchen, dort wenigen mächtigen Familien, anderwärts dem Volke überlassen. 165 Unser Gesetzgeber hingegen hat auf keine solche Regierungsform Rücksicht genommen, sondern den Staat, wie man mit einem etwas erzwungenen Wort sagen könnte, zu einer Gottherrschaft[25] gemacht, indem er Gott die Herrschaft und Gewalt anheimgab 166 und die grosse Masse bewog, auf ihn als den Urheber alles Guten, das die Menschen im staatlichen wie privaten Leben geniessen und das ihnen, wenn sie darum baten, selbst im Unglück zuteil wurde, hinzuschauen; denn seinem Wissen könne nichts entgehen, was sie thäten oder was auch nur ein einzelner Mensch bei sich denke. 167 Ihn selbst stellte er als ungeschaffen und in alle Ewigkeit unveränderlich dar; an Schönheit sei er erhaben über jede vergängliche Gestalt, und offenbar werde er uns durch das Wirken seiner Macht, wiewohl wir ihn seinem Wesen nach nicht zu erkennen vermöchten. 168 Dass solche Gedanken über Gott die Weisesten bei den Griechen erst fassen lernten, nachdem er den Anfang damit gemacht, will ich jetzt nicht weiter erörtern; dass es aber vortreffliche, dem Wesen und der Herrlichkeit Gottes angemessene Gedanken sind, davon legten sie lautes Zeugnis ab. Haben doch, wie bekannt, Pythagoras, Anaxagoras, Plato, nach ihnen die Philosophen der Stoa und beinahe alle anderen die gleichen Ansichten über die Natur Gottes gehabt. 169 Aber während sie ihre Lehre einigen wenigen mitteilten und [174] den in vorgefassten Meinungen befangenen Volksmassen die Wahrheit nicht zu verkünden sich getrauten, hat unser Gesetzgeber, der freilich auch Thaten aufweisen konnte, die den Gesetzen entsprachen, nicht nur seinen Zeitgenossen jene Überzeugung beigebracht, sondern auch ihren sämtlichen Nachkommen bis ins fernste Geschlecht den unerschütterlichen Glauben an Gott eingepflanzt. 170 Dass übrigens seine Gesetzgebung sich in so hervorragender Weise von den anderen unterschied und zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass er die Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend machte, sondern die übrigen guten Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene Eintracht der Bürger untereinander, als Äusserungen der Frömmigkeit erkannte und sie demgemäss erläuterte. 171 Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott, weil Moyses nichts davon ungeprüft und ungeregelt liess. Es giebt ferner bei jeder Art von Bildung und Erziehung zwei Wege, den der mündlichen Belehrung und den der Angewöhnung durch Übung. 172 Nun gingen die anderen Gesetzgeber in ihren Ansichten auseinander, sodass die, welche sich vornehmlich für den einen Weg entschieden, von dem anderen nichts wissen wollten. Die Lakedaemonier und die Kreter z. B. pflegten durch Angewöhnung zu erziehen, nicht durch Belehrung, während die Athener und fast alle übrigen Griechen durch gesetzliche Vorschriften befahlen, was man thun oder lassen solle, und dabei keinen Wert auf praktische Einübung legten.

(17.) 173 Unser Gesetzgeber dagegen hat diese beiden Erziehungsweisen aufs sorgfältigste miteinander verbunden. Denn einerseits war er darauf bedacht, dass der Sittenübung die theoretische Anweisung nicht fehle, und anderseits wollte er das in Worte gefasste Gesetz auch praktisch ausgeführt wissen, indem er, sowie die Erziehung und häusliche Lebensweise eines jeden begann, nichts, auch nicht das geringste der Wahl und Willkür derer überliess, für die seine Gesetze bestimmt waren. 174 Ja, selbst [175] bezüglich der Speisen, welche man essen dürfe und welche nicht, der Personen, die an dieser Lebensweise teilnehmen sollten, der Mühen, Anstrengungen in den einzelnen Gewerben, und wiederum bezüglich der Erholung von den Mühen stellte er in seinem Gesetz eine Regel und Richtschnur auf, damit wir unter ihm wie unter einem Vater und Gebieter leben und weder absichtlich noch aus Unwissenheit sündigen möchten. 175 Denn auch den Entschuldigungsgrund, dass man von den Vorschriften keine Kenntnis habe, wollte er aus der Welt schaffen, indem er das Gesetz zugleich zum schönsten und notwendigsten Bildungsmittel machte und uns die Verpflichtung auferlegte, es nicht bloss einmal oder zweimal oder öfters zu hören, sondern auch an jedem siebenten Tage uns aller sonstigen Geschäfte zu enthalten, zur Anhörung des Gesetzes zusammenzukommen und dasselbe gründlich zu erlernen[26] – eine Anordnung, die meines Wissens alle anderen Gesetzgeber ausser acht gelassen haben.

(18.) 176 Übrigens sind die meisten Menschen so weit entfernt, nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, dass sie dieselben vielmehr kaum kennen und erst, wenn sie gesündigt haben, von anderen erfahren, sie hätten das Gesetz übertreten. 177 Selbst die Inhaber der höchsten und wichtigsten Ämter bekennen ihre Unwissenheit in diesem Punkte, indem sie als Vorsteher der Verwaltung solche Männer neben sich thätig sein lassen, die ihrem Vorgeben gemäss mit den Gesetzen vertraut sind. 178 Bei uns hingegen mag man den ersten besten über die Gesetze befragen, und er wird sämtliche Bestimmungen derselben leichter hersagen als seinen eigenen Namen. Weil wir nämlich gleich vom Erwachen des Bewusstseins an die Gesetze erlernen, sind sie in unsere Seelen sozusagen [176] eingegraben. Übertretungen kommen infolgedessen selten vor; zugleich aber ist auch jede die Abwendung der Strafe bezweckende Ausrede unmöglich gemacht.

(19.) 179 Dies vor allem hat die wunderbare Eintracht unter uns geschaffen. Denn eine und dieselbe Überzeugung von Gott haben, im Leben und in den Sitten sich nicht voneinander unterscheiden – das bringt die schönste sittliche Übereinstimmung unter den Menschen zustande. 180 Wir sind die einzigen, bei denen man keine sich widersprechenden Ansichten von Gott hört, wie solches vielfach bei anderen Völkern der Fall ist, wo oft nicht nur der gemeine Mann seine unsinnigen Einfälle über die Gottheit verlauten lässt, sondern auch manche Philosophen das gleiche thun, indem die einen das Dasein Gottes überhaupt zu leugnen sich erkühnen,[27] andere wenigstens seine Fürsorge für die Menschen in Abrede stellen. 181 Auch in Bezug auf die Lebensweise sieht man bei uns keine Verschiedenheiten; vielmehr ist unser aller Thun ein gemeinsames, getragen von dem einheitlichen, dem Gesetz entsprechenden Bekenntnis, dass Gottes Auge alles sieht. Übrigens kann man die Ansicht, dass Gottesfurcht das Ziel sei, auf welches alle übrigen Bestrebungen des Lebens hinarbeiten müssten, selbst aus dem Munde unserer Weiber und Sklaven vernehmen.

(20.) 182 Daraus erklärt es sich auch, wie uns von manchen der Vorwurf gemacht werden konnte, wir hätten weder auf dem praktischen noch auf dem theoretischen Gebiet erfinderische Köpfe aufzuweisen. Andere Völker sehen einen Vorzug darin, dass man nicht beim Althergebrachten stehen bleibt, und wer am eifrigsten weiterzukommen trachtet, dem spricht man einen besonders hohen Grad von Weisheit zu; 183 wir dagegen halten nur den für klug und tugendhaft, der in seinem Thun und Denken mit den ursprünglichen gesetzlichen Vorschriften überhaupt nicht in Widerspruch gerät. Das ist doch sicher ein [177] Beweis für die Vortrefflichkeit der Bestimmungen unseres Gesetzes, wie umgekehrt die häufigen Änderungen anderer Gesetzgebungen deren Verbesserungsbedürftigkeit klar zutage treten lassen.

(21.) 184 Weil wir nun überzeugt sind, dass das Gesetz gleich von Anfang an den Willen Gottes zum Ausdruck bringen sollte, würde es eine Gottlosigkeit sein, wenn wir in irgend einer Beziehung von ihm abwichen. Was möchte denn auch jemand daran ändern? Und was könnte er schöneres selbst erfinden oder besseres von anderen entlehnen? Etwa die Einrichtung des Gemeinwesens überhaupt? 185 Wo aber fände sich eine vortrefflichere und vernünftigere Verfassung als die, welche Gott, den Lenker des Weltalls, an die Spitze stellt, den Priestern die gesamte Verwaltung des Staates überträgt und dem Hohepriester die ausschliessliche Beaufsichtigung der übrigen Priester anvertraut. 186 Die letzteren hat übrigens der Gesetzgeber gleich anfangs nicht mit Rücksicht auf ihren Reichtum oder andere zufällige Vorzüge in ihr Ehrenamt eingesetzt, sondern er hat hauptsächlich denjenigen seiner Genossen, die sich durch Gehorsam und sittliche Kraft vor den anderen auszeichneten, den Gottesdienst zugewiesen. 187 Sie wachten denn auch getreulich über dem Gesetz und den anderen Einrichtungen; denn die Priester führten ihrem Amt gemäss die Aufsicht über alle, richteten bei vorkommenden Streitigkeiten[28] und bestraften die Verurteilten.[29]

(22.) 188 Wo wäre demnach eine gleich ehrwürdige Staatsverwaltung zu finden? Wo eine, die mit der Ehrfurcht gegen Gott in schönerem Einklang stände? Wenn alle Schichten des Volkes zur Frömmigkeit erzogen werden, wenn die Pflege der letzteren vornehmlich den Priestern anvertraut ist – sieht das nicht aus, als ob das [178] gesamte öffentliche Leben eine einzige heilige Festfeier wäre? 189 Was Fremde unter dem Namen Mysterien und Weihen in wenigen Tagen begehen, ohne es jedoch dauernd in ihrem Herzen bewahren zu können, daran halten wir mit jubelnder Freude und unverrückten Sinnes allzeit fest. – 190 Welcher Art sind nun die Gebote und Verbote im einzelnen? Vor allem sind sie einfach und fasslich. Das erste lehrt von Gott und zwar folgendermassen: Gott ist alles; er ist vollkommen und selig, sich selbst und allen genügend: Anfang, Mitte und Ende von allem.[30] Offenbar durch seine Werke und Gnaden, erkennbar wie alles andere, ist er doch nach Gestalt und Grösse uns völlig unbekannt; 191 denn kein Stoff, und wäre es der kostbarste, ist wert, dass sein Bild daraus verfertigt werde, keine Kunst vermag etwas zu ersinnen, das ihm gliche; etwas ihm ähnliches auch nur zu erdenken oder zu vermuten, ist bei uns schon sündhaft. 192 Seine Werke schauen wir: Licht, Himmel, Erde, Sonne und Mond, die Gewässer, die stets sich erneuernden Tiergeschlechter, und die fruchttragenden Gewächse. Diese hat Gott gemacht, nicht mit Händen, nicht durch Arbeit, noch bedurfte er dazu einer fremden Beihilfe – sondern er wollte Gutes, und gut war es alsbald geschaffen. Diesem Gott müssen alle gehorchen, und in Tugendübung sollen sie ihn ehren; denn das ist der würdigste Gottesdienst.

(23.) 193 Weil immer gleiches zu gleichem passt,[31] soll der eine Gott auch nur einen Tempel haben, der das gemeinsame Eigentum aller ist, wie sie alle denselben Gott verehren.[32] Der Gottesdienst wird ohne Unterlass von [179] den Priestern besorgt, an deren Spitze jeweilig der erste seiner Klasse steht. 194 Er soll mit seinen Amtsgenossen Gott dem Herrn opfern, über dem Gesetz wachen, Zwistigkeiten beilegen und die einer rechtswidrigen Handlung Überführten bestrafen. Wer ihm nicht gehorcht, soll genau so büssen, als hätte er sich gegen Gott selbst vergangen. 195 Die Opfer bringen wir übrigens nicht unter Frass und Völlerei dar – was Gott missfällig und nur ein Anlass zur Zügellosigkeit und Verschwendung wäre –, sondern wir bleiben dabei vernünftig, anständig und nüchtern, damit die heilige Handlung durchaus würdevoll verlaufe. 196 Während der Darbringung des Opfers beten wir vorschriftsmässig zunächst für das Wohl des Gemeinwesens und dann erst für unser eigenes; denn wer jenes höher achtet als sein persönliches Interesse, an dem hat Gott sicherlich das grösste Wohlgefallen. 197 Bei der Anrufung Gottes im Gebet aber soll man nicht flehen, dass er uns das Gute beschere – denn aus eigenem Antrieb hat er es allen gegeben und angeboten –, sondern dass wir imstande seien, es aufzunehmen und bei uns zu bewahren. 198 Ausser der Darbringung von Opfern hat das Gesetz noch besondere Reinigungen vorgeschrieben nach einer Leichenbestattung, nach dem ausserehelichen oder ehelichen Beischlaf und bei vielen anderen Anlässen, deren Aufzählung hier zu weit führen würde. Das also ist unsere Lehre von Gott und seinem Dienst, welche zugleich die Bedeutung eines Gesetzes hat.

(24.) 199 Wie lauten die Bestimmungen über die Ehe? Das Gesetz erkennt nur den naturgemässen Verkehr mit dem Weibe an, und zwar zum Zweck der Kindererzeugung; den Beischlaf unter Männern verdammt es, und wer dieses Laster begeht, hat den Tod verwirkt. 200 Heiraten darf man nicht um der Mitgift willen, auch keine gewaltsame Entführung oder listige Überredung dabei anwenden, sondern man soll um das Weib bei dem, der sie zu vergeben hat, anhalten, wofern die Verwandtschaft mit ihr dies gestattet. 201 Das Weib, heisst es weiter, steht in jeder Beziehung unter dem Manne. Sie [180] soll ihm daher unterthan sein, nicht um von ihm Misshandlungen erfahren zu müssen, sondern damit sie von ihm geleitet werde; denn Gott hat dem Manne die Herrschaft gegeben. Nur mit ihr darf er vertrauten Umgang pflegen; eines anderen Gattin begehren, ist Sünde. Wer dies thut, ferner wer eine Jungfrau, die einem anderen verlobt ist, notzüchtigt oder eine Ehefrau verführt, der verfällt unbedingt der Todesstrafe. 202 Die Kinder müssen, so will es das Gesetz, alle grossgezogen werden.[33] Den Weibern ist es verboten, die Leibesfrucht abzutreiben oder sonst zu vernichten; wird eine dabei ertappt, so soll sie als Kindsmörderin angesehen werden, weil sie ein Leben im Keime erstickt und die Nachkommenschaft verringert hat. Wenn jemand einen ausserehelichen Beischlaf vollzogen oder eine Schändung begangen hat, kann er nicht für rein gelten; 203 aber auch nach der rechtmässigen Begattung zwischen Mann und Frau gebietet das Gesetz eine Waschung. Denn in der Seele wie im Leibe entsteht dadurch eine Befleckung, als wenn die Seele in eine niedrigere Sphäre versenkt würde. Überhaupt leidet die Seele durch ihre enge Verbindung mit dem Körper, weshalb sie sich auch wieder von ihm löst, nämlich im Tode. Aus diesem Grunde hat das Gesetz in allen derartigen Fällen Reinigungen angeordnet.

(25.) 204 Zur Feier der Geburt von Kindern Schmausereien zu veranstalten und dadurch Anlass zur Völlerei zu geben, ist untersagt; vielmehr soll die Erziehung schon gleich im Anfang Mässigung predigen. Ferner besteht die Vorschrift, die Kinder lesen zu lehren, ihnen die Kenntnis der Gesetze beizubringen und sie über die Thaten der Vorfahren zu unterrichten, damit sie diese nachahmen und mit den Gesetzen von Jugend auf so vertraut werden, dass sie vor Übertretungen bewahrt bleiben und auch keine Unkenntnis vorschützen können.

(26.) 205 Die den Verstorbenen zu erweisenden letzten [181] Ehren erblickt das Gesetz weder in prunkvoller Bestattung noch darin, dass man ihnen glänzende Denkmale setzt, sondern es sollen nur die nächsten Angehörigen ein einfaches Leichenbegängnis halten.[34] Eine weitere gesetzliche Bestimmung lautet dahin, dass alle, die einem Leichenzug begegnen, ihn begleiten und an der Trauer teilnehmen müssen; das Haus aber, in dem die Leiche gelegen hat, soll mitsamt seinen Bewohnern gereinigt werden, damit es einem etwaigen Mörder recht zum Bewusstsein komme, wie sehr er sich verunreinigt habe.[35]

(27.) 206 Die Verpflichtung, den Eltern mit Ehrfurcht zu begegnen, stellt das Gesetz unmittelbar hinter die Pflichten gegen Gott. Wer die Liebe, die er von ihnen empfing, nicht erwidert und irgend eine Ausschreitung gegen sie begeht, der soll gesteinigt werden. Auch sollen überhaupt die älteren Leute von den jüngeren geehrt werden, weil Gott das älteste Wesen ist.[36]207 Vor Freunden darf man nichts geheim halten; denn wo kein vollkommenes Vertrauen bestehe, sei von echter Freundschaft nicht die Rede. Wenn einmal zwischen Freunden eine Zwistigkeit [182] ausbricht, soll man doch die Geheimnisse nicht verraten. – Ein Richter, der Geschenke annimmt, ist des Todes schuldig. – Wer einen um Hilfe Flehenden unerhört lässt, obwohl er ihm beizustehen vermag, begeht ein Verbrechen. – 208 Was einer dem anderen nicht in Verwahr gegeben hat, darf er ihm auch nicht nehmen; überhaupt soll niemand fremdes Eigentum anrühren, und niemand für Darlehen einen Zins fordern. Diese und noch viele derartige Bestimmungen halten das auf gegenseitigen Verpflichtungen beruhende Gesellschaftsleben bei uns aufrecht.

(28.) 209 Bemerkenswert ist aber auch die Art, wie der Gesetzgeber über das pflichtgemässe Verhalten gegen Fremde gedacht hat. Es wird sich nämlich zeigen, wie er aufs allerbeste dafür sorgte, dass einerseits unser heimisches Leben nicht verdorben würde und anderseits diejenigen, die sich daran anzuschliessen wünschten, keine abstossende Behandlung erführen. 210 Denn alle, die zu uns kommen und nach unseren Gesetzen leben wollen, müssen wir freundlich aufnehmen, weil nicht bloss die Zugehörigkeit zum selben Stamme, sondern auch gemeinsame Lebensgrundsätze eine Verwandtschaft bedingen können. Zu denen aber, die nur zufällig und vorübergehend mit uns in Verkehr treten, dürfen wir keine vertrauten Beziehungen unterhalten.

(29.) 211 Im übrigen ist es uns zur strengen Pflicht gemacht, stets hilfreiche Hand zu leisten. So müssen wir jedem, der dessen bedarf, Wasser, Feuer, Nahrung verabfolgen, ihm den Weg zeigen, ihn nicht unbeerdigt liegen lassen. Mild soll auch das Verfahren gegen die Feinde im Kriege sein. 212 Der Gesetzgeber verbietet nämlich, ihr Land mit Feuer zu verwüsten, und gestattet auch das Fällen der Obstbäume nicht; ja, selbst die Plünderung der in der Schlacht Gefallenen ist untersagt. Kriegsgefangene, zumal solche weiblichen Geschlechtes, will er vor Misshandlung geschützt wissen. 213 Überhaupt hat er uns Sanftmut und Nächstenliebe so sehr zur Pflicht gemacht, dass er sogar der unvernünftigen Tiere [183] nicht vergass. Denn er gestattet nur den rechtmässigen Gebrauch derselben und hat jeden anderen untersagt. Tiere, die wie schutzflehend in Häuser sich flüchten, verbot er umzubringen; mit jungen Vögeln auch die alten aus dem Nest zu nehmen, erlaubt er nicht; arbeitende Tiere sollen auch in Feindesland geschont und nicht geschlachtet werden. 214 So hat er in jeder Beziehung sein Augenmerk auf Milde gerichtet, indem er die genannten Gesetze im Tone freundlicher Belehrung gab. Anderseits aber setzte er auch schwere Strafen fest, die an den Übertretern unnachsichtlich zu vollstrecken seien.

(30.) 215 Für die meisten Vergehen nämlich bestimmte er die Todesstrafe, z. B. für Ehebruch, Mädchenschändung, den Versuch, mit Männern widernatürliche Unzucht zu treiben, und für das Eingehen auf einen solchen Versuch. Auch die Knechte stehen unter demselben unerbittlichen Gesetz. 216 Ferner wird bestraft – und zwar nicht so mild wie bei anderen, sondern weit strenger –, wer falsches Mass und Gewicht verwendet, wer im Handel übervorteilt und sich hinterlistiger Kniffe bedient, wer fremdes Eigentum wegnimmt und anvertrautes Gut nicht herausgiebt. 217 Misshandelt jemand seine Eltern oder begeht er einen Frevel gegen Gott, so wird er, auch wenn die That nicht völlig zur Ausführung gekommen ist, augenblicklich hingerichtet. Diejenigen hingegen, welche das Gesetz in allen Punkten befolgen, erhalten zur Belohnung nicht Silber und Gold, auch keinen Kranz aus Öl- oder Eppichzweigen[37] oder eine andere Auszeichnung dieser Art, 218 sondern ein jeder von ihnen begnügt sich mit dem Zeugnis, das sein eigenes Gewissen ihm ausstellt, und glaubt auf die durch Gott als wahr bekräftigten Verheissungen des Gesetzgebers hin, dass denen, die das Gesetz treu beobachten und, wenn es sein muss, mit Freuden für dasselbe in den Tod gehen, [184] von Gott immer wieder ein neues Dasein und ein besseres Leben beschert wird. 219 Ich würde es nicht über mich gewinnen, diese Dinge hier zu erwähnen, wenn es nicht allbekannte Thatsache wäre, dass schon zu wiederholten Malen viele der Unseren mit Starkmut das äusserste erduldeten, um nur ja kein Wort gegen das Gesetz aussprechen zu müssen.

(31.) 220 Nehmen wir nun an, unser Volk wäre nicht so allgemein bekannt, wie es jetzt ist, und man wüsste nichts von unserm Gehorsam gegen die Gesetze, 221 sondern es würde jemand diese Gesetze unter dem Vorgeben, er habe sie verfasst, den Griechen vorlesen oder sagen, jenseits der bekannten Erde habe er Menschen getroffen, die eben diese erhabene Ansicht von Gott hegten und eben solche Gesetze seit Jahrhunderten treu beobachteten: würden da nicht alle im Hinblick auf die bei ihnen selbst so häufigen Veränderungen in Erstaunen geraten? 222 Denjenigen ihrer Landsleute nämlich, welche ähnliche Gedanken über Staatsverfassung und Gesetzgebung in ihren Schriften zum Ausdruck gebracht haben, wird der Vorwurf gemacht, sie seien Phantasten, die sich auf unmögliche Voraussetzungen stützten. Von anderen Philosophen, die derartige Versuche unternahmen, will ich schweigen 223 und nur auf Plato hinweisen, der bei den Griechen wegen seiner hohen Sittenreinheit und der überzeugenden Kraft seiner Darstellung, durch die er alle anderen Jünger der Philosophie weit überragt, nur mit Bewunderung genannt wird. Auch er wird ja von denen, die sich für Meister in der Politik ausgeben, bis auf den heutigen Tag fast nur verspottet und lächerlich gemacht. 224 Übrigens wird man bei genauem Zusehen finden, dass er sich nicht immer mit schwerverständlichen Problemen befasst, sondern häufig den Gewohnheiten der Menge nahekommt. Freilich gesteht er offen ein, es sei nicht ratsam, die richtigen Vorstellungen von Gott unter den unwissenden Haufen zu bringen.[38] 225 Gleichwohl erklärt [185] man die Lehren Platos für gehaltloses Zeug und schwulstige Stilübungen. Die meiste Bewunderung als Gesetzgeber geniesst Lykurgos, und überall verkündet man das Lob Spartas, weil es den Gesetzen dieses Mannes so ausnehmend treu geblieben sei. 226 Wir wollen zugeben, dass der Eifer, mit dem die Gesetze befolgt werden, ein Beweis für ihre Vortrefflichkeit ist. Nun aber mögen die Verehrer der Lakedaemonier die Zeit, während welcher es eine spartanische Verfassung gab, mit dem mehr als zweitausendjährigen Bestehen der unserigen vergleichen 227 und dann auch noch bedenken, dass die Lakedaemonier nur so lange im Rufe treuer Gesetzeserfüllung standen, als sie von niemand abhängig waren, dagegen fast alle ihre Gesetze in Vergessenheit geraten liessen, sowie ihr Glück sich wandte. 228 Wir aber, die wir durch den Wechsel der Herrschaft über Asien von tausendfachem Unglück heimgesucht wurden, gaben selbst in der äussersten Bedrängnis unsere Gesetze niemals preis. Auch blieben wir ihnen nicht etwa aus Bequemlichkeit und Hang zum Wohlleben treu, sondern sie legten uns, recht betrachtet, weit grössere Mühen und Arbeiten auf, als die Lakedaemonier ihrem, wie bekannt, mit grosser Zähigkeit festgehaltenen Gesetze zulieb je ertrugen. 229 Denn ohne den Ackerbau zu betreiben oder sich mit Künsten abzumühen, lebten sie in ihrer Stadt frei von aller Anstrengung, behaglich und durch körperliche Übungen ihre Schönheit pflegend; 230 andere mussten ihre Diener sein, die ihnen alle Lebensbedürfnisse herbeischafften und auftischten, ohne dass sie selbst eine Hand zu rühren brauchten. Ausser Essen und Trinken kannten sie als ziemlich und nutzbringend nur die eine Aufgabe, jede Anstrengung und jedes Ungemach zu ertragen, damit sie alle, gegen die sie zu Felde ziehen würden, niederwerfen könnten. 231 Dass sie aber diesen Zweck nicht erreichten, brauche ich nicht besonders zu erwähnen; denn nicht nur einzelne von ihnen, sondern auch ganze Massen haben sich gar oft den gesetzlichen Bestimmungen zuwider in Wehr und Waffen den Feinden ergeben.

[186] (32.) 232 Weiss nun jemand bei uns, ich will nicht sagen ebenso viele, nein, nur zwei oder drei anzugeben, die an unseren Gesetzen aus Furcht vor dem Tode Verrat begangen hätten, und zwar nicht vor dem so überaus leichten Tode in der Schlacht, sondern dem Tode auf der Folterbank, der für den allerschwersten gilt? 233 Wahrlich, manche von denen, die uns besiegt haben, verfuhren, wie ich glaube, nicht aus Hass mit aller Strenge gegen uns, sondern nur um mit eigenen Augen das Wunder zu schauen, dass es Menschen giebt, die ein Unglück für ihre Person lediglich dann vorhanden glauben, wenn sie zu einer That oder Äusserung gegen ihre Gesetze gezwungen werden. 234 Es darf übrigens nicht befremden, dass wir dem Tode mit einem bei allen anderen Völkern unbekannten Mannesmut entgegengehen. Denn die Pflichten, welche uns gar nicht schwer vorkommen, werden anderen keineswegs leicht, wie z. B. die Befolgung der Vorschrift, mit eigenen Händen[39] zu arbeiten, Einfachheit in der Nahrung zu beobachten, beim Essen und Trinken, beim Beischlaf, bei besonderen Aufwendungen nicht nach zufälligem Belieben oder nach blossen Gelüsten zu verfahren, und auch hinsichtlich der Ruhe die einmal feststehende Ordnung einzuhalten. 235 Wir dagegen haben uns über die Verordnungen inbetreff der Lebensweise selbst dann nicht hinweggesetzt, wenn wir mit dem Schwert in der Hand uns auf den Feind warfen und ihn frischweg in die Flucht schlugen. Indem wir so dem Gesetz freudigen Gehorsam erzeigen, wird es uns leicht möglich, auf dem Schlachtfeld reichliche Beweise von Tapferkeit zu geben.

(33.) 236 Und doch verlästern uns Menschen wie Lysimachos, Molon und andere Federfuchser dieser Art, nichtsnutzige Sophisten und Jugendverführer, als wären wir die schlechtesten aller Erdenbewohner. 237 Es ist nun eigentlich nicht meine Absicht, die Einrichtungen anderer Völker einer Prüfung zu unterziehen; denn wir pflegen [187] wohl das Eigene treu zu bewahren, nicht aber gegen Fremdes anzugehen. Hat doch der Gesetzgeber schon mit Rücksicht auf den Namen „Gott“ uns streng untersagt, die Götter, an welche andere Nationen glauben, zu verspotten oder zu lästern.[40] 238 Weil aber unsere Ankläger meinen, uns dadurch schlagen zu können, dass sie ihr eigenes Volk herausstreichen, darf ich nicht ganz schweigen, zumal die folgenden Bemerkungen nicht erst von mir, der ich sie jetzt niederschreibe, ins Treffen geführt, sondern schon von vielen hochangesehenen Gelehrten[41] ausgesprochen worden sind. 239 Denn wo finden wir unter den Griechen einen ob seiner Weisheit bewunderten Mann, der nicht den namhaftesten Dichtern und den angesehensten Gesetzgebern Vorwürfe darüber gemacht hätte, dass sie von jeher so niedrige Ansichten über die Götter im Volke verbreiteten? 240 Sie gaben nämlich die Zahl derselben ganz nach Belieben an, liessen sie bald auf diese, bald auf jene Art voneinander abstammen und unterschieden sie wie Tiergeschlechter nach Wohnplätzen und Lebensweise, indem sie den einen die Erde, anderen das Meer, wieder anderen, und zwar den ältesten, den Tartaros anwiesen, wo sie gefesselt seien; 241 über die, welchen sie den Himmel zuteilten, setzten sie als Herrn einen bestimmten Gott, der zwar Vater heisst, sich aber wie ein Tyrann und Despot benimmt; deshalb müssen auch seine Gattin, sein Bruder und die aus seinem eigenen Haupt geborene Tochter sich wider ihn verschwören, um ihn zu fangen und in Gewahrsam zu bringen, wie er selbst seinem Vater gethan hatte.

(34.) 242 Mit Recht halten die verständigeren Menschen derartige Ansichten für sehr tadelnswert und spotten auch darüber, dass man sich die Götter teils ohne Bart [188] und jugendlich, teils älter und bärtig denken soll, ferner darüber, dass der eine Gott diese, der andere jene Kunst versteht, weshalb man unter ihnen hier einen Erzschmied, dort eine Weberin, dann wieder einen Krieger findet, der sich sogar mit Menschen schlägt, oder Zitherspieler und solche, deren Liebhaberei das Bogenschiessen ist; 243 weiterhin machen sie sich über die vielen Streitigkeiten unter den Göttern und ihre Zänkereien wegen der Menschen lustig, wobei es nicht nur zum Handgemenge, sondern selbst dahin kommt, dass sie, von Menschenhand verwundet, wehklagen und sich krank fühlen. 244 Die grösste Schamlosigkeit aber liegt darin, dass – unsinnig genug – fast allen Göttern, männlichen sowohl als weiblichen, geschlechtliche Unmässigkeit und Liebesabenteuer nachgesagt werden. 245 Der edelste und erste unter ihnen, der Göttervater selbst, lässt es zu, dass die von ihm verführten und geschwängerten Weiber eingekerkert oder im Meer ertränkt werden, und die von ihm erzeugten Kinder kann er, wenn das Geschick sie ereilt, weder retten noch auch ihren Tod ohne Thränen ertragen. 246 Fürwahr, recht nett ist dies und noch anderes, was damit in Zusammenhang steht! Schauen doch die Götter im Himmel dem Ehebruch so ohne alle Scham zu, dass manche ihren Neid gegen die darein Verwickelten offen gestehen. Was kann man aber auch von ihnen anderes erwarten, wenn sogar der älteste, ihr König, das Verlangen, seiner Gattin beizuwohnen, nicht einmal so lange bezähmen konnte, bis er mit ihr ins Schlafgemach gekommen war? 247 Und wenn es von anderen Göttern heisst, sie hätten bei den Menschen als Knechte gedient, ihnen bald Häuser gebaut, bald die Herden gehütet, oder sie seien wie Missethäter in ein ehernes Gefängnis eingesperrt worden – muss da nicht jeder rechtlich Denkende sich ereifern, die Erfinder solcher Märchen schelten und die grosse Dummheit derer, die sie gläubig weiter erzählen, verdammen? 248 Auch Furcht sogar und Schreck, Tollwut und Betrug, ja die allerschlimmsten Leidenschaften haben jene Leute dem Wesen und der Person [189] von Göttern angedichtet. Alsdann beredeten sie die Staaten, den gutartigeren unter ihnen Opfer darzubringen. 249 Daraus aber erwuchs den Bürgern die arge Verlegenheit, dass sie nur einen Teil der Götter für Spender des Guten halten konnten, während sie die anderen als Unheilbringer bezeichnen mussten. Die letzteren suchen sie sich deshalb wie die schlimmsten Menschen durch Gaben und Geschenke vom Halse zu halten, indem sie sich grossen Unheils von ihnen versehen, wenn sie ihnen den schuldigen Tribut nicht entrichten.

(35.) 250 Was ist nun die Ursache dieser Verkehrtheit und des fehlerhaften Verhaltens gegen die Gottheit? Meines Erachtens der Umstand, dass die Gesetzgeber weder den richtigen Begriff vom Wesen Gottes hatten noch auch die Gotteserkenntnis, soweit sie ihnen erreichbar war, als Ausgangspunkt benutzten, von welchem aus sie dem Gemeinwesen seine sonstige Ordnung hätten geben können, dass sie vielmehr die ganze Angelegenheit, als wäre sie höchst unwichtig, den Dichtern und Rednern überliessen. 251 Die ersteren führten dann Götter ein, welche sie wollten, selbst solche, die allen möglichen Leiden unterworfen waren, während die Redner das Volk zu Beschlüssen verleiteten, die fremden Göttern das Heimatrecht im Staate verschafften. 252 Reichlichen Gebrauch von der Freiheit, welche die Griechen ihnen in diesem Punkte liessen, haben auch die Maler und Bildhauer gemacht, indem jeder von ihnen irgend eine Gestalt ersann, die dann der eine in Thon, der andere in einem Gemälde wiedergab; die am meisten bewunderten Künstler freilich benutzten als Stoff für ihre stets neuen Darstellungen Elfenbein und Gold. 253 Nach und nach sind sodann die Götter, welche früher in hohen Ehren standen, veraltet, 254 und auf andere, neu eingeführte hat man die jenen gezollte Verehrung übertragen. Ebenso steht ein Teil der alten Tempel jetzt leer, während andere ganz nach Willkür neu erbaut wurden. Und doch sollte man im Gegenteil die Ansichten über Gott und seine Verehrung unabänderlich festhalten.

[190] (36.) 255 Apollonios Molon gehört nun freilich zu den unverständigen und aufgeblasenen Schriftstellern. Die echten griechischen Philosophen jedoch waren durchweg unserer oben dargelegten Ansicht, und auch die geistlosen Flunkereien der Allegorien[42] waren ihnen wohlbekannt, weshalb sie diese nach Gebühr verachtet haben und unserer richtigen, geziemenden Lehre von Gott beigetreten sind. 256 Von ihr ging auch Plato aus; denn abgesehen davon, dass er überhaupt keinen Dichter in seinem Staat haben will, schickt er selbst den Homer, nachdem er ihn bekränzt und mit Oel übergossen hat, höflich weg,[43] damit er nicht die richtige Ansicht über Gott durch seine Fabeln verdunkele. 257 Übrigens hat Plato sich auch darin aufs genaueste nach unserem Gesetzgeber gerichtet, dass er seinen Bürgern an erster Stelle die Verpflichtung auflegte, sämtliche Gesetze eingehend zu erlernen; desgleichen untersagte er den Verkehr mit Ausländern und sorgte so dafür, dass seine aus treuen Beobachtern des Gesetzes bestehende Gemeinde unvermischt erhalten blieb. 258 Alles das bedenkt Apollonios Molon nicht, wenn er uns einen Vorwurf daraus macht, dass wir diejenigen, die in anderen Ansichten über Gott befangen sind, nicht bei uns dulden und mit Leuten von ganz anderen Lebensgewohnheiten keine Gemeinschaft haben wollen. 259 Aber auch dieser Zug ist nicht ausschliesslich unserem Volke eigen, sondern er kehrt insgemein bei allen Griechen und gerade bei den angesehensten ihrer Stämme wieder. Und was die Lakedaemonier angeht, so haben sie von jeher die Fremden ausgewiesen und ihren Staatsangehörigen verboten, ins Ausland zu reisen, weil sie in beiden Fällen verderbliche Folgen für die allgemeine Sittlichkeit befürchteten. 260 Ihnen kann man nun wohl mit Recht vorwerfen, sie benähmen sich abstossend, weil sie niemand das Bürgerrecht verleihen [191] oder den Aufenthalt gestatten; 261 wir aber nehmen, obwohl wir die Nachahmung fremder Sitten verschmähen, dennoch mit Freuden alle auf, die sich den unseren anschliessen wollen. Das ist doch sicherlich, sollt’ ich meinen, ein Zeichen von Menschenfreundlichkeit und Grossmut.

(37.) 262 Doch genug von den Lakedaemoniern. Wie aber die Athener, die sich ja laut rühmen, dass ihre Stadt jedermann offen stehe, in diesem Punkte dachten, davon hat Apollonios gleichfalls keine Ahnung. Dass sie z.B. jeden, der auch nur ein Wort gegen ihre Gesetze verlauten liess, unerbittlich bestraften, ist ihm unbekannt. 263 Weshalb denn sonst hat Sokrates sterben müssen? Er hatte ja weder die Stadt den Feinden verraten noch einen Tempel beraubt, sondern weil er neue Eide schwur und – sei es im Ernst oder, wie manche glauben, scherzweise – behauptete, ein gewisses Daimonion mache ihm Offenbarungen, darum wurde er verurteilt, den tödlichen Schierlingssaft zu trinken; 264 auch beschuldigte ihn sein Ankläger, er verderbe die Jugend, indem er sie anleite, die heimische Verfassung und die Gesetze zu verachten. Nun hat Sokrates als athenischer Bürger diese Strafe erlitten; 265 Anaxagoras dagegen war aus Klazomenae, und doch wäre er, weil er dem Glauben der Athener, die Sonne sei ein Gott, entgegentrat und das Gestirn für eine glühende Masse erklärte, beinahe zum Tode verurteilt worden, denn nur wenige Stimmen fehlten. 266 Auf den Kopf des Meliers Diagoras setzten sie den Preis von einem Talent, weil es hiess, er mache ihre Mysterien lächerlich. Auch Protagoras entging nur durch schleunige Flucht der Gefahr, verhaftet und hingerichtet zu werden; er sollte eine Schrift verfasst haben, deren Inhalt sich mit den Ansichten der Athener über die Gottheit nicht deckte. 267 Kann es übrigens wunder nehmen, dass sie in dieser Weise gegen hochangesehene Männer verfuhren, wenn sie nicht einmal Weibern gegenüber Schonung walten liessen? Haben sie doch erst neulich eine Priesterin[44] [192] getötet, die von irgend jemand beschuldigt worden war, dass sie insgeheim fremde Götter lehre. Das war bei ihnen gesetzlich verboten, und wer es dennoch that, hatte den Tod verwirkt. 268 Galt aber bei ihnen ein solches Gesetz, dann haben sie sicherlich die Götter anderer Nationen nicht als solche anerkannt; denn sonst hätten sie nicht sich selbst die Freude missgönnt, mehrere zu besitzen. 269 So verhielt es sich mit diesen Dingen in dem wohlgeordneten Staate der Athener. Aber selbst die mordlustigen Skythen, die sich nur wenig von wilden Tieren unterschieden, glauben ihre heimischen Einrichtungen schützen zu müssen. So töteten sie den Anacharsis,[45] dessen Weisheit die Griechen mit Bewunderung erfüllt hatte, gleich nach seiner Rückkehr, weil er ihnen von griechischem Wesen angesteckt schien. Auch bei den Persern sind viele, wie man liest, um derselben Ursache willen hingerichtet worden. 270 Und doch fand Apollonios gerade an den Gesetzen der Perser ersichtliches Wohlgefallen und zollte ihnen seine Hochachtung, wahrscheinlich deshalb, weil die Griechen einen Geschmack von der Tapferkeit dieses Volkes und seiner einheitlichen Ansicht inbetreff der Götter bekommen hatten: von der Tapferkeit durch die Tempelbrände, welche die Perser entfachten, von dem Götterglauben durch den beinahe gelungenen Versuch derselben, Griechenland zu knechten. Er machte auch alle persischen Gebräuche nach, indem er fremden Weibern Gewalt anthat und Knaben verschnitt. 271 Bei uns dagegen wird auf Todesstrafe erkannt, wenn jemand auch nur ein unvernünftiges Tier in der angegebenen Weise misshandelt, und zum Gehorsam gegen diese Gesetze konnte uns weder die Furcht vor unseren Zwingherren veranlassen noch der Wunsch, es denen gleichzuthun, die bei anderen eine besondere Wertschätzung geniessen. 272 So haben wir uns auch im tapferen Dreinschlagen nicht deshalb geübt, weil wir behufs Stärkung unserer Macht kriegerische Unternehmungen [193] planten, sondern weil wir unsere Gesetze beschirmen wollten. Aus jeder anderen Drangsal machen wir uns nicht viel; will uns aber jemand nötigen, unser Gesetz preiszugeben, dann wählen wir den Krieg, auch wenn unsere Kräfte nicht langen, und lassen uns selbst durch das äusserste Unglück nicht wankend machen. 273 Warum sollte es uns auch nach den Gesetzen fremder Völker gelüsten, da wir doch sehen, dass sie nicht einmal von denen unverändert gelassen werden, die sie gegeben haben? Zwar thaten die Lakedaemonier gut daran, dass sie ihrer staatlichen Abgeschlossenheit ein Ende machten und dadurch die Zahl der Heiraten vermehrten, und ebenso zweckmässig handelten die Eleier und Thebaner, indem sie den bis dahin geduldeten widernatürlichen und höchst abscheulichen Geschlechtsverkehr zwischen männlichen Personen untersagten; 274 aber man erkennt doch daraus, dass sie sich später zu dem, was sie früher in allen Ehren und ohne jeden Nachteil thun zu dürfen geglaubt hatten, nicht mehr bekennen mochten, wenn sie es auch thatsächlich nicht aufgaben. 275 Jedenfalls haben sie nicht mehr die ursprünglichen Gesetze, die doch einst bei den Griechen so grosse Geltung hatten, dass man selbst den Göttern geschlechtlichen Umgang mit männlichen Personen nachsagte. Ebenso verhält es sich mit den Eheschliessungen zwischen leiblichen Geschwistern, die zur Entschuldigung unziemlicher und naturwidriger Wollust dienen mussten.

(38.) 276 Ich verzichte darauf, auch noch von den Strafen zu reden und zu zeigen, wie von jeher die meisten Gesetzgeber den Schlechten so manche Arten der Abfindung zugestanden, indem sie für Ehebruch Geldstrafen, für Notzucht die Verpflichtung zur Ehe mit der Geschändeten festsetzten, ferner wie viele Ausflüchte bei einer Anklage wegen Gottlosigkeit sich darboten, falls überhaupt eine solche je erhoben wird. Bei den meisten Völkern ist ja die Übertretung der Gesetze Gegenstand eines besonderen Studiums geworden. 277 Nicht so bei uns. Wird uns auch unser Reichtum, unsere Heimat und was [194] wir sonst gutes haben, entrissen: das Gesetz wenigstens bleibt uns unzerstörbar, und kein Jude kommt so weit von seinem Vaterlande weg und fürchtet einen erbitterten Tyrannen so sehr, dass nicht seine Scheu vor dem Gesetz doch noch grösser wäre. 278 Werden wir also durch die Trefflichkeit der Gesetze veranlasst, eine solche Gesinnung gegen sie zu hegen, so gebe man nur zu, dass wir die besten Gesetze haben. Glaubt man aber, wir hielten trotz ihrer Minderwertigkeit so treu an ihnen fest, um wie viel mehr haben dann unsere Ankläger Strafe verdient, dass sie ihren eigenen besseren nicht treu bleiben! 279 Weil nun die Länge der Zeit als der zuverlässigste Prüfstein für alle Einrichtungen angesehen wird, möchte ich gerade sie auch für die Vorzüge unseres Gesetzgebers und der durch sie überlieferten Lehre von Gott Zeugnis ablegen lassen. Denn im Vergleich zu allen anderen Gesetzgebern gehört er offenbar einer weit früheren Zeitepoche an.

(39.) 280 Von uns nun sind die Gesetze auch allen anderen Menschen beigebracht worden,[46] und immer mehr hat man sie zum Muster genommen. 281 Zuerst nämlich haben die griechischen Philosophen, während sie scheinbar an ihren heimischen Satzungen festhielten, in That und Lehre sich an Moyses angeschlossen, indem sie ähnliche Begriffe von Gott hegten und gleich ihm die Einfachheit der Lebensweise sowie die auf Gegenseitigkeit beruhende Gesellschaftsordnung gehandhabt wissen wollten. 282 Aber auch schon unter den Massen bemerkt man seit längerer Zeit viel Eifer für unsere Religion, und es giebt kein Volk und keine griechische oder barbarische Stadt, wo nicht unser Brauch, am siebenten Tage die Arbeit ruhen zu lassen, Eingang gefunden hätte und wo nicht das Fasten, Anzünden von Lichtern und viele unserer Abstinenzgebote beobachtet würden. 283 Auch unsere bürgerliche Eintracht, unsere Wohlthätigkeit, unseren gewerblichen Fleiss, unsere Ausdauer in Drangsalen, wenn es [195] sich um die Verteidigung des Gesetzes handelt, suchen sie nachzuahmen. 284 Am meisten freilich muss man sich darüber wundern, dass das Gesetz lediglich durch die ihm innewohnende Kraft, ohne Anwendung sinnlicher Reizmittel und Lockungen dies vermocht hat: wie Gott das Weltall durchdringt,[47] so hat sich das Gesetz durch die ganze Menschheit verbreitet. Schaue nur ein jeder auf sein eigenes Vaterland und seine Familie, und er wird finden, dass meine Behauptung allen Glauben verdient. 285 Unsere Ankläger sollten daher entweder alle Menschen vorsätzlicher Schlechtigkeit beschuldigen, weil sie sich zu mangelhaften fremden Einrichtungen mehr als zu ihren eigenen vollkommenen hingezogen fühlen, oder aufhören uns zu verlästern. 286 Wir massen uns ja kein gehässiges Benehmen an, wenn wir unseren Gesetzgeber ehren und seine Offenbarungen über Gott für wahr halten. Denn hätten wir auch kein Verständnis für die Vortrefflichkeit aller seiner Gesetze, so müsste uns doch schon die Menge derer, die sie als musterhaft ansehen, einen hohen Begriff von ihnen beibringen.

(40.) 287 Übrigens habe ich von unseren Gesetzen und unserer Verfassung bereits in meinen „Altertümern“[48] eine genaue Darstellung gegeben. Hier wollte ich nur, soweit es nötig war, daran erinnern, nicht in der Absicht, fremde Gebräuche zu tadeln oder die bei uns geltenden herauszustreichen, sondern um den Schriftstellern, die uns unrecht gethan, den Nachweis zu liefern, dass sie die Wahrheit selbst schamlos ins Angesicht schlugen. 288 Ich glaube nun mein Versprechen durch die vorliegende Schrift hinreichend eingelöst zu haben. Denn ich wies das überaus hohe Alter unseres Volkes nach, von dem die Widersacher behaupten, dass es erst in jüngster Zeit aufgetreten sei. Zu dem Zweck führte ich eine Reihe alter Schriftsteller an, die uns in ihren Werken erwähnen, während jene versichern, kein einziger habe dies gethan. [196] 289 Ferner behaupten sie, unsere Vorfahren seien Aegyptier gewesen; es wurde aber gezeigt, dass sie von auswärts nach Aegypten kamen. Und was die Lüge betrifft, sie seien wegen körperlichen Siechtums ausgewiesen worden, so ergab es sich klar, dass sie freiwillig und vor Gesundheit strotzend in ihr Heimatland zurückkehrten. 290 Endlich beschimpften jene Menschen unseren Gesetzgeber, indem sie ihn als durch und durch lasterhaft hinstellten; wir aber fanden, dass zuerst Gott der Herr und dann auch die Zeit für seinen tugendhaften Wandel Zeugnis gab.

(41.) 291 Über die Gesetze waren nicht viele Worte nötig. Vielmehr zeigte es sich an ihnen selbst, dass sie nicht Gottlosigkeit, sondern die wahrste Frömmigkeit lehren; dass sie nicht zum Menschenhass, sondern zu gegenseitiger Wohlthätigkeit auffordern; dass sie, dem Bösen abhold, der Gerechtigkeit Vorschub leisten, Müssiggang und Üppigkeit verbannen, Genügsamkeit und Lust zur Arbeit einschärfen, 292 von Eroberungskriegen abhalten, dagegen Mannesmut einflössen, wo es gilt, für sie selbst einzutreten; dass sie unerbittlich sind im Strafen, durch Wortklauberei sich nicht umgehen lassen und stets durch die That bekräftigt werden: denn wir haben immer Werke aufzuweisen, die noch deutlicher reden als die Schrift. 293 Deshalb darf ich kühn behaupten, dass wir gar viele und herrliche Tugenden bei anderen eingeführt haben. Denn nichts ist vortrefflicher als unwandelbare Frömmigkeit, nichts ein deutlicheres Zeichen der Gerechtigkeit als der Gehorsam gegen die Gesetze. 294 Und was könnte es nützlicheres geben als gegenseitige Eintracht, infolge deren es weder im Unglück zur Trennung noch im Glück zu übermütigen Zänkereien kommt, und als jene Gesinnung, die im Kriege Todesverachtung, im Frieden Lust an Handwerk und Ackerbau, überhaupt aber die Überzeugung bewirkt, dass Gottes Vorsehung alles in der Welt regiert? 295 Wenn derartige Lehren bei anderen früher niedergeschrieben und treuer befolgt wurden als bei uns, gut, so sind wir als Schüler ihnen zu Dank [197] verpflichtet; wenn sie jedoch, wie man sehen kann, bei uns am meisten das Leben beeinflussen, und wenn von mir dargethan wurde, dass auch die erste Entdeckung derselben uns zuzuschreiben ist, dann sind Menschen wie Apion und Molon sowie alle, die am Lügen und Lästern ihre Freude haben, als widerlegt zu betrachten. 296 Dir aber, Epaphroditos, dem begeisterten Freunde der Wahrheit, und um deinetwillen allen, die gleich dir mit unserem Volke näher bekannt werden möchten, sei dieses und das vorige Buch gewidmet.


  1. Also Sonnenuhren. Vergl. hierzu Müller a. a. O., S. 227; Zipser, Des Flavius Jos. Werk über das hohe Alter des jüdischen Volkes, S. 102ff.
  2. 752 v. Chr.
  3. S. Namenregister.
  4. S. Jüd. Altert. XIV, 7, 2; 10, 1ff.; XIX, 5, 2.
  5. Von diesem Verbot ist aus anderen Quellen nichts bekannt; wohl aber bestand die einschränkende Bestimmung, dass Aegyptier nur dann römische Bürger werden konnten, wenn sie vorher das Bürgerrecht in Alexandria erworben hatten.
  6. S. Jüd. Altert. XII, 2, 2ff.
  7. Womit übrigens nicht gesagt sein soll, dass Ptolemaeus den Gott der Juden als den allein wahren Gott anerkannt habe. Er ehrte ihn vielmehr wie jeden anderen Landesgott. So auch Ptol. Philopator (3. Makk. 1, 9).
  8. Von hier bis zum Beginn des Abschnittes 9 ist der griechische Text verloren gegangen und nur eine alte lateinische Uebersetzung vorhanden.
  9. Nach 3. Makk. 5 und 6 handelte es sich um Ptol. Philopator, nicht um Physkon.
  10. Der hier im Text folgende Satz wurde etwas weiter nach unten verschoben, wohin er dem Zusammenhang nach zweifellos gehört.
  11. S. J. A. XIV, 8, 1; Jüd. Krieg I, 9, 3.
  12. Jeder Nomos hatte seine besonderen Götter und seinen besonderen Tempeldienst; zudem hatte jeder Tempel eine eigene Trias von Göttern, die an der Spitze der anderen Götter stand. Vgl. Strabo XVII, 1.
  13. D. h. unerschaffenen. Das Fehlen des griechischen Urtextes ist hier besonders zu bedauern. Müllers Erklärung (a. a. O. S. 257), der an einen heidnischen Götzen denkt, wird durch den Zusammenhang widerlegt.
  14. Der Hauptgrund war indes, wie sich aus 2. Mos. 20, 4f. ergiebt, die Verhütung des Götzendienstes.
  15. Worauf diese Lüge fusste, hat Müller (a. a. O. S. 258f.) gezeigt. Auch den Christen wurde ein solcher Eselsdienst nachgesagt (Tertullian, Apolog. c.16; Minucius Felix, Octavius 28; Kuhn, Roma, S. 123f.).
  16. Apion war also der erste, der die Juden des rituellen Mordes WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt beschuldigte. S. hierzu Müller, a. a. O., S. 263ff.; Zipser, desgl. S. 116f.
  17. Hier setzt der griechische Text wieder ein.
  18. Im „Jüd. Krieg“ (VI, 5, 3) heisst es: zwanzig. Wahrscheinlich sind hier alle Thore zusammen gemeint.
  19. S. Plutarch, Isis 72; Ovid, Metam. V, 34ff.
  20. Genau: 102 Jahre, nämlich von 165 v. Chr. (Befreiung Jerusalems durch Judas Makkabaeus) bis 63 v. Chr. (Eroberung Jerusalems durch Pompejus).
  21. Josephus will nicht sagen, dass bei den Aegyptiern die Beschneidung auf die Priester beschränkt war, sondern dass die Priester sich ihr unterzogen.
  22. Dagegen nimmt Zipser (a. a. O. S. 139ff.) die Priorität der Beschneidung für die Juden in Anspruch.
  23. Barbar hiess bei den Griechen jeder Ausländer.
  24. Bei Homer lautet die Bezeichnung: θέμιστες, bei Drakon und Solon: θεσμοί. Das Wort νόμος kommt am frühesten bei Hesiod vor (op. 278. 390; vergl. Theog. 66. 417).
  25. Josephus war der erste, der das Wort Theokratie für die in der Thora begründete Verfassung des jüdischen Staates gebrauchte.
  26. Nach 5. Mos. 31, 10ff. sollte die Vorlesung der Thora nur alle sieben Jahre stattfinden. Erst seit Esra gab es Lehrvorträge am Sabbat (Soferim X), die im Zeitalter des Josephus allgemein in den Synagogen üblich wurden.
  27. Hier hat Josephus wohl die Skeptiker im Sinne.
  28. Im Laufe der Entwicklung wurde jedoch das Richteramt den Priestern ganz entzogen und eigens von der Gemeinde erwählten Richtern übertragen.
  29. Nach 5. Mos. 25, 2f. hatten die Priester die Vollziehung der Strafe nur zu beaufsichtigen, nicht selbst zu besorgen.
  30. Vergl. Jeremias 41, 4; 44, 6; Offenb. Joh. 1, 8; 21, 6; 22, 13.
  31. Ein oft citiertes griechisches Sprichwort (z. B. Odyssee, XVII. Gesang, Vers 218; Aristot. Ethik. IX, 3, 3).
  32. Man beachte, wie Josephus hier den Oniastempel in Aegypten völlig ignoriert. Er hat also gleich seinen Glaubensgenossen in Palaestina und Alexandria diesen Tempel für ungesetzlich gehalten, obwohl er mehr als irgend ein anderer von ihm berichtet (J. A. XII, 9, 7; XIII, 3, 1; 10, 4; XX, 10; Jüd. Krieg VII, 10, 3f.). Des gleichen berücksichtigt er ihn nicht J. A. IV, 8, 5.
  33. D. h. die Eltern können nicht über das Leben ihrer Kinder verfügen und dürfen namentlich keine Neugeborenen aussetzen.
  34. Vergl. jedoch Jüd. Krieg II, 1, 1. Zur Erklärung dieses scheinbaren Widerspruches s. Zipser, S. 170f.
  35. Dass diese Erklärung nicht die richtige sein kann, liegt auf der Hand. Eine viel zutreffendere und schönere Deutung giebt R. Aaron ha-Levi, indem er (Sepher ha-Chinnuch No. 263) zum Verbot Levit. 21, 1 sich also äussert: „Weil die Priester zum Dienste Gottes ausersehen sind, müssen sie sich besonders vor jeder Verunreinigung durch einen Leichnam hüten. Ich habe bereits oben auseinandergesetzt, dass alles Hässliche und Ekelhafte Verunreinigung hervorruft. Den menschlichen Leichnam aber haben die Weisen den Erzvater aller Unreinheit genannt. Das kommt daher, dass, wenn die Seele, welche Leben und Sittlichkeit spendet, sich vom Körper getrennt hat, derjenige Teil des Menschen allein zurückbleibt, der seines rein irdischen Ursprungs wegen minderwertig ist und gewiss die dem Menschen von Gott eingehauchte Seele zur Sünde und Unsittlichkeit verleitete. Darum ist es nicht mehr als billig, dass, sobald alle Hoheit und Würde ihn verlassen hat, der Körper, der die blosse Materie ist, seine ganze Umgebung verunreinigt.“ S. auch Zipser, a. a. O. S. 171f.
  36. Vergl. Daniel, Kap. 7, V. 9, 13, 22: Der Uralte der Tage.
  37. Den olympischen Siegern ward ein Kranz aus Oelzweigen, den nemeïschen und isthmischen ein solcher aus Eppichzweigen als Preis zuteil.
  38. Timaios § 9 (Bekker’sche Textausgabe, Band VII, S. 255, Zeile 1f.).
  39. D. h. ohne ausschliessliche Verwendung von Sklaven.
  40. Jüd. Altert. III, 7, 7; IV, 8, 10. Ob auch die Stelle 2. Mos. 22, 28 hierher zu rechnen sei, ist fraglich.
  41. So von Heraklit, Xenophanes, Demokrit, Plato, den Pythagoräern, den Stoikern u. a.
  42. Die Allegorien bezweckten, das Anstössige aus den Göttermythen zu entfernen.
  43. Politeia III, 9 (Bekker’sche Textausgabe, Band VI, S. 412f.).
  44. Gemeint ist die Priesterin Theoris (Plutarch. Demosth. 14f.).
  45. S. Herodot IV, 76.
  46. Paulus, Römerbrief 2, 19ff.
  47. S. Dähne, Alexandrinische Religionsphilosophie II, S. 243.
  48. Besonders im dritten Buche.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Ausgabe Tilly übersetzt „Die ganze Masse der Juden glaubte ihm.“
« Buch 1 Flavius Josephus
Gegen Apion
[[Gegen Apion/|]] »
fertig
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