den in vorgefassten Meinungen befangenen Volksmassen die Wahrheit nicht zu verkünden sich getrauten, hat unser Gesetzgeber, der freilich auch Thaten aufweisen konnte, die den Gesetzen entsprachen, nicht nur seinen Zeitgenossen jene Überzeugung beigebracht, sondern auch ihren sämtlichen Nachkommen bis ins fernste Geschlecht den unerschütterlichen Glauben an Gott eingepflanzt. 170 Dass übrigens seine Gesetzgebung sich in so hervorragender Weise von den anderen unterschied und zum Gemeingut wurde, erklärt sich daraus, dass er die Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil der Tugend machte, sondern die übrigen guten Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Standhaftigkeit, Besonnenheit, vollkommene Eintracht der Bürger untereinander, als Äusserungen der Frömmigkeit erkannte und sie demgemäss erläuterte. 171 Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott, weil Moyses nichts davon ungeprüft und ungeregelt liess. Es giebt ferner bei jeder Art von Bildung und Erziehung zwei Wege, den der mündlichen Belehrung und den der Angewöhnung durch Übung. 172 Nun gingen die anderen Gesetzgeber in ihren Ansichten auseinander, sodass die, welche sich vornehmlich für den einen Weg entschieden, von dem anderen nichts wissen wollten. Die Lakedaemonier und die Kreter z. B. pflegten durch Angewöhnung zu erziehen, nicht durch Belehrung, während die Athener und fast alle übrigen Griechen durch gesetzliche Vorschriften befahlen, was man thun oder lassen solle, und dabei keinen Wert auf praktische Einübung legten.
(17.) 173 Unser Gesetzgeber dagegen hat diese beiden Erziehungsweisen aufs sorgfältigste miteinander verbunden. Denn einerseits war er darauf bedacht, dass der Sittenübung die theoretische Anweisung nicht fehle, und anderseits wollte er das in Worte gefasste Gesetz auch praktisch ausgeführt wissen, indem er, sowie die Erziehung und häusliche Lebensweise eines jeden begann, nichts, auch nicht das geringste der Wahl und Willkür derer überliess, für die seine Gesetze bestimmt waren. 174 Ja, selbst
Flavius Josephus: Des Flavius Josephus Selbstbiographie, Gegen Apion. Otto Hendel, Halle a.d.S. 1900, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FlavJosApionVitaMakkGermanClementz.djvu/174&oldid=- (Version vom 4.8.2020)