Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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ägyptischer Gott, der Stadt Theben, gleichbedeutend Zeus
Band I,2 (1894) S. 1853 (IA)–1857 (IA)
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Ammon. 1) Ägyptischer Gott, dessen Name im Altägyptischen ʾAmûn, an unbetonter Stelle aber ʾAmn lautete (Zeitschr. für ägypt. Sprache XXI 39) und im Griechischen dementsprechend mit verschiedenen Abweichungen in zwei Grundformen wiedergegeben wird. Wo er in der Zusammensetzung an unbetonter Stelle vorkommt, z. B. in Ἀμενῆβις, Ἀμμενέμης, Ἀμανέμης, Ἀμονρασωνθήρ, hat er die Formen Ἀμεν, Ἀμμεν, Ἀμμαν und Ἀμον. Wo er für sich oder an betonter Stelle steht, ist die gebräuchlichste Namensform Ἄμμων (so z. B. auch in den Zusammensetzungen Φοιβάμμων, Θεοσάμμων [IGI 2406, 107], Ἀμμώνιος), die auch Ἀμμών geschrieben wird (Hesych. Africanus bei Sync. 33, 16; Μέρις Ἀμμών geben die LXX Nah. III 8 als Übersetzung von נא אמון‎; σὺ εἶ ὁ μέγας Ἀμμών Leemanns Pap. Gr. Lugd. Bat. II 17). Seltener ist Ἀμών (Genet. Ἀμῶνος Hss. des Niceph. Blemmid. Geogr. synopt. = Geogr. Gr. min. II 459; Ποταμών), Ἀμμοῦν oder Ἀμοῦν (Her. II 42 als Accusativform, neben Ἄμμωνα Her. I 46. II 18. Plut. Is. et Os. 9. Iamblich. de myster. VIII 3. Eustath. zu Dionys. Perieg. 211; vgl. Eudoc. Violar. 75 [= Villoison Anecd. I 48]. Origen. c. Cels. V 41. 45. 46. C. J. C. Reuvers Lettre à Letronne I 47. 58. 64; Ἀμμοῦν, Name eines Bischofs, Lequien Or. christ. II 514; Ἀμμοῦν = Ἀμοῦς Socrat. hist. eccles. IV 23; vgl. Ἀμουνῖος Rev. arch. N. S. XXIII 138, s. auch Amuneoi), Ἀμμούς (Aristoteles bei Hesych.; Αμοῦς Synes. Dio 11. 12 = Θαμοῦς Plat. Phaedr. 274 c). Im Koptischen kommt die Grundform αμουν als Personenname nicht selten vor (Champollion L’Égypte sous les phar. I 218. Zoega Catalog. 30, 26. 136, 39), aber auch die graecisierte Form αμμων (Zoega Catalog. 130, 18. 38; Ἄμμων als Personenname auch Rev. arch. N. S. XXIII 138. Lequien Or. christ. II 530. 593), in Zusammensetzungen auch αμων (Zeitschr. f. [1854] ägypt. Sprache VI 67f.). אמון‎ Jer. XLVI 25. Nah. III 8 ist der Gottesname als Gegenstand der Scheu wohl absichtlich ungenau Âmôn vocalisiert. Die römischen Autoren haben von den Griechen die Form Ammon übernommen, bevorzugen jedoch die Form Hammon; Statistik hierüber, jedoch ohne Eingehen auf die hsl. Überlieferung, bei G. Parthey Orakel und Oase des Ammon (Abhandl. Akad. Berlin 1862) 134. Gelegentlich (vgl. Antigon. hist. mir. 144. Apollon. hist. mir. 25) findet man auch Ἅμμων geschrieben. Selten ist die Form Ammo.

Die Etymologie des Namens ʾAmûn ist unbekannt. Ein Zusammenhang mit Min, dem Namen des Gottes von Koptos, würde nicht unmöglich sein (Zeitschr. f. ägypt. Sprache XX 130). Die Ägypter suchten mit Vorliebe in dem Namen ʾAmûn die Bedeutung des ‚Verborgenen‘ (Brugsch Wörterb. I 71. V 69; Religion und Mythologie 87; vgl. auch Brugsch in Gladisch Empedokles 143. Chabas Pap. magique Harris 62; Mélanges égyptolog. Sér. 3 II 253. Mélanges d’archéologie égypt. et assyr. I 71); auch Manethos (Plut. Is. et Os. 9; ähnlich Iamblich. de myster. VIII 3) gab als die etymologische Bedeutung τὸ κεκρυμμένον und ἡ κρύψις an. Doch finden die Ägypter daneben eine grosse Zahl anderer etymologischer Anspielungen in dieser Benennung. Hekataios von Abdera (Plut. a. a. O.) behauptete Ἀμοῦν sei eine προσκλητικὴ φωνή, mit der die Ägypter einander zuzurufen pflegten; gemeint sind die Imperativformen für ‚komm!‘, die im Koptischen αμου, f. αμη lauten (P. E. Jablonski Panth. Ägypt. I 179); αμου und dessen Nebenform εμου werden auch thatsächlich gerade in griechisch-koptischen Zauberanweisungen bei Beschwörungen im Sinne von ‚komm herbei!‘, ‚erscheine!‘ verwendet (Mélanges d’archéologie égypt. et assyr. III 37 Anm. Zeitschr. f. ägypt. Sprache XXI 98f.), und auch ἀμουνι findet man in magischen Anrufungen (Leemans Pap. Gr. Lugd. Bat. II 157). Ganz müssige Spielereien sind auch die Ableitungen, nach denen A. von ἄμμος ‚Sand‘ (Eustath. Dionys. Perieg. 211; vgl. Eudoc. Violar. 75. Schol. in Germ. Arat. 61 B. Serv. Aen. IV 196) herkommen oder soviel wie ‚Vater‘ (Eustath. Dionys. Perieg. 211) bedeuten, oder die libysche Benennung des Schafes (Athanas. c. gentes 24) oder ursprünglich der Name eines libyschen Hirten (Paus. IV 23, 10. Eustath. a. a. O.) gewesen sein soll.

A. ist von Haus aus nur ein Localgott, der Gott der oberägyptischen Stadt Theben, insbesondere des Tempelbezirks von ʾOpet (d. i. Karnak). Als Gott eines ursprünglich ganz untergeordneten Fleckens ist er für die Staatsreligion und die priesterliche Götterlehre anfänglich fast ohne jeden Belang geblieben. Erst mit den Fürsten der Thebaïs und dem Emporkommen Thebens ist er zur Geltung gelangt. Um ihn zum obersten Reichsgotte machen und in ihm den Urheber alles Lebens und alleinigen unerzeugten Erzeuger aller Dinge, den wahren Göttervater und Götterkönig erblicken zu können, das geheimnisvolle Wesen, welches in der Priesterlehre an der Spitze des Pantheons stand, wurde er dem früheren Reichsgotte Rêʿ gleichgesetzt (s. Amonrasonther) und nicht allein als identisch mit allen Göttern [1855] behandelt, die anderswo in Ägypten für welterzeugende Kräfte galten, sondern auch dementsprechend benannt und bildlich dargestellt. Was ihm im besondern als Abzeichen dient, ist ein runder, nach oben sich verbreiternder, stumpf abgeschlossener Kopfschmuck, auf dem zwei bunte seitlich aneinandergestellte Federn emporstehen. Vor den Federn wird die Sonnenscheibe angebracht, die Abzeichen aller Gottheiten ist, welche als Sonnengottheiten in irgend einem Sinne aufgefasst[WS 1] werden. Aus noch nicht weiter aufgeklärten Gründen gehört ihm unter den Tieren der Widder zu und zwar diejenige der in Ägypten heimischen Arten, deren Hörner mit der Spitze abwärts gebogen sind. Auch unter dem Bilde des so gehörnten Widders (Recueil de travaux égypt. et assyr. II 114f. 174), oder auch nur mit dessen Kopfe oder mit dessen Hörnern wird A. bei den Ägyptern dargestellt. Doch nimmt er auch die Hörner des Chnumis an, ja wird auch in Gestalt des Chnumiswidders (Champollion Panthéon Taf. 2 b) dargestellt (Lepsius Zeitschrift für ägyptische Sprache XV 8ff.; vgl. Chnumis). Auf diese Darstellungen, neben denen noch eine grosse Zahl anderer aufzuzählen sein würde, spielen die Alten häufig an. So heisst A. κριοπρόσωπος, κριοκέφαλος, κερασφόρος, κερατηφόρος, corniger, tortis cornibus (z. B. Lucan. IX 544), flexis per tempora cornibus (z. B. Sil. Ital. IX 298), arietinis cornibus (vgl. Parthey a. a. O. 136f.). Diese Eigentümlichkeit wird in mystischem Sinne erklärt aus der Natur des Widders und der Stellung des Sternbildes des Widders am Himmel (Procl. zu Plat. Tim. 30 A), oder auch rationalistisch, A. habe, als Herakles ihn durchaus schauen wollte, sich den Kopf eines Widders vorgehalten und sich in das Vlies eingehüllt (Her. II 42; mit Beziehung auf Festgebräuche, über die bis jetzt nichts weiter sich nachweisen lässt), er habe einmal, als alle Götter aus Furcht vor dem Typhon sich in Tiere verwandelten, die Gestalt des Widders angenommen (Ovid. met. V 328), er sei cum cornibus arietinis et uestimento lanitio erschienen, um Dürstende auf einen Quell hinzuleiten (Martian. Cap. II 157; s. auch Ammoneion), er habe als Heerführer einen Helm getragen, der ähnlich ausgesehen habe, wie ein Widderkopf (Diod. III 73), er sei mit Widderhörnern nur abgebildet worden, weil er zuerst Schafe in Ägypten eingeführt habe (Leo frg. 6); auch wird ganz euhemeristisch angenommen, er sowohl wie Dionysos müssten eben in Wirklichkeit an beiden Schläfen ein Horn als Auswuchs von Natur gehabt haben (Diod. III 73, 2). Eine Beschreibung des Gottes, wie er sich angeblich Alexander d. Gr. gezeigt hat (Ps.-Callisthen. 130), nennt ihn γεραιὸν, χρυσοχαίτην, κριοῦ κέρατα ἔχοντα κατὰ τῶν κροταφῶν; als ein greisenhaftes Wesen stellten in der That sich die Ägypter die Gottheit des Uranfanges vor. Das Ammonkostüm, welches angeblich Alexander d. Gr. gelegentlich anzulegen beliebte, soll in einem Purpurmantel, in περισχιδεῖς und Hörnerkopfschmuck bestanden haben (Athen. XII 537 e).

Als ‚Götterkönig‘ war den Griechen A. gleichbedeutend mit Zeus, und dementsprechend ist von ihm sehr häufig als dem Zeus-Ammon, Iuppiter-Hammon, dem Thebaïschen Zeus u. s. w. die Rede [1856] (vgl. Pind. Pyth. 4, 28. Herod. II 42. 54. IV 181. Diod. I 15, 9. Hesych. s. Ἀμμούς. Eustath. zu Dionys. Perieg. 211. Eudoc. Violar. 75. Serv. Aen. IV 196. Zeitschr. f. ägypt. Sprache IX 119). Iuppiter … cum Hammon locatus (vulg. vocatur), habet cornua, et cum Capitolinus, tunc gerit fulmina (Minuc. Felix Oct. 22, 6). Das ägyptische Theben hat von dieser Gleichsetzung den Namen Diospolis (s. d. und Chenephren). Unter den Herrschern thebaïschen Ursprungs wurde der Ammonkultus zunächst nach Nubien und schliesslich auch in die entlegenen Gebiete am oberen Nil verpflanzt, welche von der Gesittung Ägyptens während der Periode des zweiten thebaïschen Reiches so viele Entlehnungen gemacht haben. Ammon-Zeus wird wiederholt als der Hauptgott des Aethiopenreiches von Meroë (s. d.) auch seitens der Alten bezeichnet. Man verehrte ihn auch in den westlich an Ägypten angrenzenden Oasengebieten (s. Amenebis, Ammoneion, Hibis). Inschriftlich erwähnt wird auch der A. von Kanobos (Kaibel IGI 959 a. CIG 4696). Als A. wird ferner der höchste Gott der Kyrenaika bezeichnet, in welchem die Griechen ebenfalls ihren Zeus wiederfanden (vgl. Pind. Pyth. 4, 28; Pyth. 9. Plat. Polit. 257 b). Gelegentlich wird die Kyrenaika geradezu ἡ Ἄμμωνος γῆ genannt (Synes. IV 167). Die Kyrenaeer weihen nach Delphi einen Wagen mit einem Ammonbilde darauf (Paus. X 13, 5). Auf den Münzen von Städten der Kyrenaika ist ein sehr häufiges Abzeichen der Kopf dieses A., eine Nachbildung des Zeusideals der griechischen Kunst, nur dass der Kopf an den Schläfen das Ammonshorn als Abzeichen trägt (L. Müller Numismat. de l’ancienne Afrique I 99f.). Es kann fraglich erscheinen, ob hierbei ausser dem ägyptischen A. nicht auch derjenige Gott im Spiel ist, welchen die Phönizier nach den חמנים‎, den Steinen, in denen sein Abbild besteht, als den בעל חמן‎, Baaʿl ḥammân, bezeichnen. Jedenfalls ist es auf die Ähnlichkeit, welche der Name dieses im Gebiete Karthagos ganz besonders verehrten Gottes mit dem ägyptischen Gottesnamen zu haben schien, zurückzuführen, dass die Schreibung Hammon überhaupt hat aufkommen können. Allerdings scheint es, als sei auch der Baal ḥammân selbst dem A. der Ägypter angeähnelt worden, wenigstens deutet man als Darstellung dieses Gottes Bildwerke, welche einen ältlichen bärtigen Mann mit Ammonshörnern an den Schläfen vorstellen, der Widderfiguren zu Lehnen seines Sessels hat (Perrot et Chipiez Histoire de l’art III 73). Kein anderer als der punische Gott ist wohl im Grunde gemeint mit dem Hammon, der den Erzeuger des Iarbas (Verg. Aen. IV 196) oder den Stammvater eines Geschlechts von Ärzten (Sil. Ital. V 357ff.) oder den Namen eines Libyers (Sil. Ital. VI 675. XII 749) in der Dichtung abgeben muss. In Griechenland wird vereinzelt ein Kultus des A. erwähnt, so zu Aphytis, wo die Ammonverehrung aufgekommen sein soll, weil, als Lysandros die Stadt belagerte, ihm der Gott im Traume erschienen sei und ihm abgeraten habe, die Belagerung fortzusetzen (Paus. III 18, 3), zu Gythion (Paus. III 21, 8), zu Theben in Boeotien, wo Pindar ein Götterbild von der Hand des Kalamis, das A. darstellte, geweiht hatte (Paus. IX 16, 1). Zu Megalopolis gab es eine [1857] Herme mit dem Bilde des A., Widderhörner am Kopfe (Paus. VIII 32, 1). Ein Ammonkopf in Erz, der als Brunnenmündung gedient hat, Ἄμμωνος κεραοῦ χάλκεον ἀντίτυπον, ist bei Dêr el-ḳalʿat im Libanon, unweit Beirut, gefunden worden (Archaeol. Zeitg. IV 247). Mehrfach kommen Doppelhermen vor, bei denen A. vertreten ist (Ann. d. Inst. 1848, 186ff.): Bakchos und A. (Archaeol. Zeitung II 315), Herakles und A. (Archaeol. Zeitung XXII 254*), wozu der Name Heraclammon (Hist. Aug. Aurelian. 24) zu vergleichen ist.

Hammonis cornu erwähnt Plinius (n. h. XXXVII 167) als eine Kostbarkeit Aethiopiens unter den Edelsteinen, es sehe goldgelb aus, habe die Gestalt eines Widderhornes und solle praedivina somnia repraesentare, eine Eigenschaft, die wohl von dem Wesen des Orakel erteilenden Gottes hergeleitet war. Γόνος Ἄμμωνος = κρινάνθεμον Leemanns Pap. Gr. Lugd. Bat. II 41. Eine Insel des A. wurde zu den drei unnahbaren Eilanden gerechnet, die im fernen Westen jenseits der Säulen des Herakles im Ocean lagen (Procl. in Tim. 54 F).

Als ehemaliger Herrscher wird Ἀμμὼν ἡμίθεος nach Manethos von Africanus (Sync. 33, 16) in der ägyptischen Königsliste aufgeführt, und bei Plato (Phaedr. 134) zeigt Theyth, als er die Schriftzeichen erfunden hat, sie dem Könige Θαμοῦς von Theben, der Stadt des Gottes A., womit das euhemeristische Gegenstück des Gottes A. gemeint ist; daher heisst auch bei Synesios (Dio 11. 12) der König Ἀμοῦς. Noch weiter geht hierin die hermetische Litteratur, aus der Iamblich (de myster. VIII 5) die Notiz entnimmt, die Überlieferungen des Hermes seien von Bitys (s. d.), der sie aufgefunden habe, dem ‚Könige Ammon‘ überbracht worden. Auch haben wir ja noch die Ὅροι Ἀσκληπίου πρὸς Ἄμμονα βασιλέα (zuerst gedruckt mit dem Poimandres des Hermes, Paris 1554). Den derselben Litteratur angehörigen Satz, dass Gott seinem Wesen nach πάγκρυφος sei, citiert Iustin (cohort. ad Graec. 38) als Ausspruch eines der allerältesten Denker, des Ἄκμων, d. i. des Ἄμμων.

Litteratur: Chr. Jak. Schmitthenner De Iove Hammone syntagma 1, Weilburg 1840. W. Osburn On the God Ammon, and the Derivation of his Name, Transactions R. Society of Literature Sec. Ser. II 305–307. R. Lepsius Über den ersten ägyptischen Götterkreis (Abh. Akad. Berl. 1851). L. Stern Ein Hymnus auf Amon-Rā, Zeitschr. f. ägypt. Sprache XI 74ff. Eug. Grébaut Hymne à Ammon-Ra (Bibliothèque de l’école des Hautes Études 21), Paris 1875. E. de Rougé Étude des Monuments du massif de Karnak, Mélanges d’archéologie égypt. et assyr. I 35ff. 66ff. 101ff. 128ff. Ed. Meyer Roschers Lexik. d. Myth. I 283ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: aufge-gefasst.