Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Mythische Gründerin und Königin von Karthago
Band V,1 (1903) S. 426433
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Dido, Tochter des tyrischen Königs Mutto (Iustin. XVIII 4, 3) oder Methres (Serv. Aen. I 343) oder Belus (Verg. Aen. I 621 u. ö.), die mythische Gründerin und Königin von Karthago, ist zuerst bei Timaios von Tauromenion (frg. 23 Müller) nachweisbar. Er erzählte von ihr, dass sie Theiosso hiess, auf phoinikisch Helissa genannt wurde und eine Schwester des Königs von Tyros Pygmalion war. Dieser tötete ihren Gemahl, worauf sie mit einigen Tyriern und ihrer Habe zu Schiffe entfloh und nach vielen Mühsalen in Libyen landete. Dort erhielt sie wegen ihres langen Umherirrens von den Einwohnern den Namen Δειδώ (diese Form kehrt auch auf den unten erwähnten Münzen und dem Mosaik wieder) und gründete Karthago. Als sich dann der König der Libyer mit ihr zu vermählen trachtete und die Bürger sie gegen ihren Willen dazu zwingen wollten, errichtete sie unter dem Vorwande eines von ihr gelobten Opfers einen grossen Scheiterhaufen, zündete ihn an und stürzte sich von dem Dache ihres nahen Hauses in die Flammen. Diese kurze Erzählung stimmt nur in den Grundzügen mit der recht ausführlichen des Iustin XVIII 4, 3f. überein, hat jedoch mit ihr gemein, dass Aineias noch nicht erwähnt wird. Die hauptsächlichsten Erweiterungen sind zunächst eine List der D., durch welche sie die Schätze ihres Gatten Acherbas (richtiger Sicharbas genannt, s. A. v. Gutschmid Kleine Schriften II 28f.) vor Pygmalion rettet und zugleich die von diesem ihr mitgegebenen Seeleute zwingt, mit ihr auszuwandern, weiter der Sagenzug, dass die sich ihren Begleitern am Ufer von Kypros preisgebenden 90 Jungfrauen als die künftigen Stammmütter der Karthager mitgenommen werden, endlich die Erzählung von der Erwerbung des Landes in Africa durch die in schmale Streifen geschnittene Rindshaut und die Vorzeichen bei der Grundsteinlegung, zuerst das Finden eines Stierkopfes, dann, nachdem dieser Platz verworfen, eines Pferdekopfes. Alles das sind keine ursprünglichen Sagenmotive, sondern man erkennt deutlich, dass das eine von der Rindshaut zur Erklärung des Namens Byrsa, der Burg von Karthago, erfunden ist, während der Jungfrauenraub an einen bekannten semitischen Brauch anknüpft und in der Zahl 90 wohl ein Hinweis auf alte karthagische Geschlechter verborgen liegt; auch die Auspicien kommen ähnlich in anderen Städten vor (vgl. Liv. I 55, 5; perioch. 14. Varro de l. l. V 41 u. ö.), sollen aber zugleich das Wappen auf den Münzen Karthagos, die Rossprotome (Head HN 738), erklären, wie die von Eustathios zu Dionys. perieg. 195f. erwähnte Palme, unter welcher der Pferdekopf verborgen liegt, diesen gleichfalls auf karthagischen Münzen dargestellten Baum (Lud. Müller Numismatique de l’ancienne Afrique II 74f.). Vorbedeutend ist dann auch der zweimal betonte listige Charakter der Stifterin Karthagos für die Punica fides des von ihr abstammenden Volkes. [427] Weiter folgte auch noch Cato (in oratione senatoria bei Solin. 27, 10f.) der den Aineias nicht kennenden Version, die Phoinikerin Elissa habe zur Zeit des Königs Iapon in Libyen die Stadt mit dem Namen Karthada gegründet, welcher auf phoinikisch ,Neustadt‘ bedeute. Nachher seien beide Benennungen durch die Änderung der phoinikischen Sprache in die punische zu Karthago und Elisa geworden.

Die vergilische Sagenfonn findet sich zuerst im bellum Poenicum des Naevius. Wir besitzen daraus noch die Verse blande et docte percontat Aeneas quo pacto Troiam urbem liquerit (frg. 14 Vahlen). Da es viel näher liegt, die Sprecherin für D., deren Name in frg. 12 vorkommt, als für den König Latinus zu halten (so zuerst R. H. Klausen Aeneas und die Penaten I 515, dem Luc. Müller Enni reliquiae XXIIIf.; Leben des Ennius 147f. und Baehrens Fragmenta poet. Lat. 46 folgen, während I. Lipsius Antiq. lect. I 2. B. G. Niebuhr Röm. Gesch. I 222 und Vahlen a. a. O. an D. denken; für die letztere Annahme spricht ausser der Übereinstimmung mit Vergil das Wort blande, welches auf eine Frau besser passt als auf den würdevollen Latinus), so hat Naevius den Aineias nach dem furchtbaren von ihm wie von Vergil im Eingang seines Werkes geschilderten Sturm zur D. gelangen lassen, welche ebenso wie in der Aeneis nach dem Untergang Troias fragte. Bei der bedeutenden dichterischen Begabung des Naevius ist es recht wohl möglich, dass er selbst diese Umgestaltung der Sage vorgenommen hat. Auf die Frage der D. musste ja eine Antwort in Gestalt eines wenn auch kurzen Berichtes erfolgen, den er vielleicht nicht selbst gab, und als Vorbild für den ganzen Vorgang lag doch die Erzählung der Abenteuer des Odysseus vor Alkinoos sehr nahe. Auch die unglückliche Liebe der Erbauerin Karthagos zu dem Gründer Roms und ihr gegen ihn ausgestossener Fluch erklärte in echt poetischer Weise die in den folgenden Büchern erzählte Feindschaft der beiden Staaten. Durch ein weiteres Bruchstück (frg. 12 Vahlen) wissen wir, dass Anna als Schwester der D. bei Naevius vorkam, wir dürfen auch annehmen, dass Vergil im grossen und ganzen sich an ihn anschliesst, aber eine genauere Vorstellung von dieser Episode bei dem ältesten selbständig dichtenden römischen Epiker können wir uns natürlich nicht machen. Das gleiche gilt in erhöhtem Grade von den Annalen des Ennius, der (frg. 8, 24 Vahlen) die Punier Didone oriundos nannte, von dem man aber nicht wissen kann, wie er die Sage von Aineias und D. behandelt hatte. Dass kein darauf bezügliches Bruchstück auf uns gekommen ist, berechtigt natürlich nicht zu dem Schlusse, dass sie überhaupt nicht bei ihm vorkam. Viel eher ist das Gegenteil anzunehmen, da Ennius an anderen Stellen der ersten Bücher seiner Annalen den Naevius benützt und auch den Aineias erwähnt hatte. Jedenfalls war in der Zeit des M. Terentius Varro diese Sagenform so bekannt geworden, dass er gegen sie polemisierte und offenbar zur Erklärung der Abweichung der anderen Version erzählte, nicht D., sondern Anna (s. d.) habe sich aus Liebe zu Aineias auf einem Scheiterhaufen getötet (Serv. Aen. IV 682. V 4). Von Ateius Philologus erwähnt Charisius I 127 K. [428] sogar eine Schrift mit dem Titel an amaverit Didun Aeneas. Diese gelehrten Einwände vermochten jedoch nichts gegen den poetischen Wert der Dichtung, und so sehen wir Vergil wieder von Naevius abhängig, obschon er die Sage offenbar ausführlicher erzählt, die handelnden Personen kunstvoller charakterisiert und vieles im einzelnen ändert oder neu hinzuerfindet. So ist die D.-Episode zum Glanzpunkt der Aeneis geworden und hat namentlich durch ihre hohen formalen Vorzüge die früheren Darstellungen der Sage verdrängt. Ihr Inhalt ist der folgende. Aen. I 295f. sendet Iuppiter den Mercur, um der D. Wohlwollen gegen die Troer einzuflössen. Dann (ebd. 335f.) erzählt die in eine jungfräuliche Jägerin verwandelte Venus dem nach Libyen verschlagenen Aineias, dass dort D. herrscht, die Königstochter von Tyrus. Ihr Bruder Pygmalion hat ihren Gemahl Sychaeus bei einem Opfer erschlagen, um sich seines Goldes zu bemächtigen. Ein Traum offenbart D. das lange verheimlichte Verbrechen, worauf sie mit einer Anzahl unzufriedener Tyrier und den Schätzen des Sychaeus zu Schiff die Heimat verlässt und in Libyen eine neue Stadt gründet. Von seiner göttlichen Mutter unsichtbar gemacht sieht dann Aineias der noch nicht zu Ende geführten Erbauung zu. In der Mitte Karthagos bewundert er einen künstlerisch geschmückten Tempel der Iuno, welcher da errichtet ist, wo D. das von der Göttin verheissene Vorzeichen, einen Pferdekopf, gefunden hat. Unterdessen haben sich die schiffbrüchigen Gefährten des Aineias bereits an sie gewendet mit der Bitte um Aufnahme, bis sie ihre Flotte ausgebessert hätten. Da lässt plötzlich Venus den Aineias in voller Jugendschönheit sichtbar werden, worauf er von D. freundlich aufgenommen wird. Er lässt seinen Sohn Ascanius von den Schiffen herbeiholen, doch schiebt Venus an dessen Stelle den Amor unter, welcher D. in Liebe zu Aineias entflammt. Dann findet ein Gastmahl statt (Aen. II 1f.), bei welchem Aineias die Einnahme Troias durch das hölzerne Pferd und die List des Sinon sowie seine Seefahrt bis Karthago erzählt. Am folgenden Tage (Aen. IV 1f.) findet zwischen D. und ihrer Schwester Anna eine lange Unterredung statt, in welcher sie die Liebe zu Aineias eingesteht, worauf sie der Iuno ein Opfer darbringen. Diese führt dann auf dem während einer Jagd sich ergebenden Unwetter Aineias mit D. in einer Grotte zusammen. Als er sich aber den Winter über durch ihre Liebe in Karthago zurückhalten lässt und bereits Fama dies dem Könige von Libyen, Iarbas, einem früher von D. verschmähten Bewerber, verkündet hat, sendet Iuppiter den Mercur zu Aineias mit dem Befehl, nach Italien aufzubrechen. Vergebens sucht D. ihren Geliebten durch Bitten und Drohungen umzustimmen. Als auch Anna nicht einmal einen Aufschub der Fahrt von ihm erreichen kann, beschliesst D. zu sterben, lässt von Anna unter dem Vorgeben, dass sie durch die Zauberkünste einer massylischen Priesterin Aineias wiederzugewinnen hoffe, einen Scheiterhaufen errichten und tötet sich mit dem Schwert des Aineias, nachdem sie seine Schiffe auf hoher See erblickt und die erbitterten Kämpfe der Römer und Karthager vorausverkündet hat.

Vergils Darstellung, in der seine alten Erklärer [429] den Einfluss der Argonautika des Apollonios von Rhodos erkannten (Macrob. Sat. V 17, 4 übertreibt stark, wenn er von Vergil sagt: bene in rem suam vertu quidquid ubicumque invenit imitandum adeo, ut de Argonauticorum quarto, quorum scriptor est Apollonius, librum Aeneidos suae quartum totum paene formaverit ad Didonem vel Aenean amatoriam incontinentiam Medeae circa Iasonem transferendo, vgl. Serv. Aen. IV 1), ist namentlich für die römischen Dichter massgebend geworden. Das zeigt besonders deutlich die 7. Heroide des Ovid, in welcher die schon zum Sterben entschlossene D. den Aineias noch durch lang ausgesponnene Bitten und Vorstellungen zurückzuhalten sucht. Ihr ganzer Brief ist eine stark rhetorisierende Erweiterung der Klage D.s bei Vergil. Die Scenerie ist die gleiche, indem das Todesschwert bereit liegt (v. 182 scribimus et gremio Troicus ensis adest) und dieselben Nebenpersonen wie bei Vergil, Anna, Ascanius, Anchises, Iarbas und Sychaeus, vorkommen. Von eigenen Erfindungen des Dichters verdient nur die Erscheinung des Sychaeus in dem ihm von D. errichteten marmornen Kenotaph Erwähnung, welcher ihr viermal somo tenui zuruft: Elissa veni. Ferner ist für Ovid bezeichnend, dass jeder Hinweis auf die späteren Kämpfe der Römer und Karthager fehlt. In einigen kürzeren Erwähnungen der D. (amor. I 18, 25. 31; a. a. III 39f.; remed. 57f.) schliesst sich Ovid gleichfalls völlig an Vergil an, dagegen hat er fast. III 545f. die Sage gelegentlich der Schilderung der späteren Schicksale der Anna selbständig fortgeführt. Um deren Vertreibung aus Africa und spätere Ankunft in Italien zu ermöglichen, lässt er entgegen der sonstigen Überlieferung nach dem Tode der D. Iarbas Karthago erobern und seine Bewohner vertreiben. Sonst kommt D. in dieser Dichtung nur noch bei der Flucht der Anna aus dem Hause des Aineias vor (639f.), wo sie als Traumerscheinung die Schwester vor den Nachstellungen der eifersüchtigen Lavinia warnt. Mit geringen Abweichungen, aber noch weiter ausgemalt, kehrt eben diese Episode bei Sil. Ital. III 501 wieder, welcher D. auch I 21f. II 406f. IV 765. VI 312f. XI 597. XIV 573. XV 746f. XVII 224 immer im Anschluss an Vergil erwähnt. In ähnlich engem Zusammenhang stehen mit diesem die meist kurzen Citate bei Stat. silv. III 1, 74f. IV 2, 1. V 2, 12. Claud. carm. min. 30, 128. Priap. 67, 1. Anth. Lat. 60, 1 Riese. Augustin. conf. I 28. Tertull. apol. 50; exhortat. 13; ad nat. 18. Ennod. dict. 28. Auch die späte schwülstige Heroide der D. an Aineias (Anth. Lat. 83 Riese) von einem unbekannten Verfasser weicht sachlich nirgends von Vergil ab. Ferner kommt eine Anzahl Stellen römischer und griechischer Prosaiker hinzu: Strab. XVII 832. Voll. I 6, 4. Quintil. IX 2, 46. Gell. IX 9, 14. Luc. de salt. 46. Macrob. III 11, 7. Martian. Cap. V 485. Einen deutlichen Beweis für die Popularität der Sage und dafür, dass man im stande war, sie für vollkommen sichere Überlieferung zu halten, liefert der an Nero verübte Betrug, wonach ein römischer Ritter, Caesellius Bassus, die von D. verborgenen Schätze auf seinem Landgute in Africa gefunden haben wollte (Tac. ann. XVI 11 Suet. [430] Nero 31f.). Nicht minder bemerkenswert ist, dass Zenobia ihr Geschlecht von D. herleitete (Hist. Aug. XXX tyr. 27, 1) und in ihrer Tracht öffentlich erschien (ebd. 30, 2, vgl. Verg. Aen. I 496f.). Die durch Vergil bewirkte weite Verbreitung der Sage hebt Macrob. Sat. V 16, 5 in folgenden Worten hervor: ut fabula lascivientis Didonis, quam falsam novit universitas, per tot tamen saecula speciem veritatis obtineat et ita pro vero per ora omnium volitet, ut pictores fictoresque et qui figmentis liciorum contextas imitantur effigies hac materia vel maxime in effigiandis simulacris tamquam unico argumento decoris utantur nec minus histrionum perpetuis et gestibus et cantibus celebretur.

Bald macht sich aber auch ein Gegensatz gegen Vergil geltend. Am deutlichsten ist er ausgesprochen in einem namenlosen Egigramm (Anth. Plan. 161; die dem Ausonius zugeschriebene Übersetzung ins Latein p. 420 Peiper stammt wahrscheinlich erst aus dem 15. Jhdt.): ἀρχέτυπον Διδοῦς ἐρικυδέος, ὦ ξένε, λεύσσεις, εἰκόνα θεσπεσίῳ κάλλεϊ λαμπομένην. τοίη καὶ γενόμην, ἀλλ’ οὐ νόον οἷον ἀκούεις αἰσχρὸν ἐπ’ εὐφήμοις δόξαν ἐνεγκαμένη. οὐδὲ γὰρ Αἰνείαν ποτ’ ἐσέδρακον οὐδὲ χρόνοισι Τροίης περθομένης ἤλυθον ἐς Λιβύην, ἀλλὰ βίας φεύγουσα Ἰαρβαίωνὑμεναίων πῆξα κατὰ κραδίης φάσγανον ἀμφίτομον. Πιερίδες, τί μοι ἁγνὸν ἐφωπλίσσασθε Μάρωνα; τοῖα καθ’ ἡμετέρης ψεύσατο σωφροσύνης. Das ist der gleiche chronologische Einwand, wie ihn u. a. Serv. Aen. I 267 (vgl. 340. IV 36. 335. 674) erhebt, nach dem Aineias nicht nach Karthago gekommen sein kann, weil dies 70 Jahre vor Rom gegründet sei. Da Aineias auf diese Weise entfernt wird, so ergiebt sich die Annahme, D. habe sich getötet, um nicht von ihren Unterthanen gezwungen zu werden, sich mit Ιarbas zu vermählen. Auch der angeblich zur Besänftigung der Manen ihres ersten Gatten errichtete Scheiterhaufen, in welchen sie sich stürzt, fehlt nicht bei Serv. Aen. I 340. Ähnlich wird die nach Vergil am meisten gelesene Behandlung der Sage durch Livius gewesen sein, der nach perioch. 16 den Ursprung und die ersten Anfänge von Karthago als Einleitung der Erzählung des ersten punischen Krieges vorausgeschickt hatte. Dass er auf Einzelheiten einging, beweisen die bei Serv. Aen. I 343. 366. 738 erhaltenen Bruchstücke, wonach z. B. der Führer von D.s Flotte bei ihm Bitias hiess, der auch in der Aeneis einer der vornehmsten Tyrier in ihrer Umgebung ist. In welchem Zusammenhange mit Livius die bereits besprochene Erzählung des Trogus Pompeius stand, welche Iustin im Auszuge erhalten hat, ist unsicher. Hierher gehört auch Appian. Lib. 1, der nach einer griechischen im Gegensatz zu der karthagisch-römischen stehenden Version Karthago 50 Jahre vor der Eroberung Troias erbaut sein lässt und wie Iustin von Aineias kein Wort sagt. Nur kurz ist die Erwähnung bei Priscian, welcher perieg. 185 von Karthago erzählt: qua regnans felix D. per saecula vivit atque pudicitiam non perdit crimine falso. Der Ausgangspunkt dieser und der ähnlichen oben erwähnten Überlieferungen ist, offenbar, die an die Zweizahl der karthagischen Könige anknüpfende Erzählung des Philistos (FHG I 190 frg. 50, vgl. Eudoxos im Schol. [431] Vatic. Eurip. Troad. 220), wonach Karthago 21 Jahre vor der Zerstörung Troias von den (eponymen) Tyriern Ezoros (oder Azaros oder Azoros oder Zoros) und Karchedon gegründet wurde. Andere wie Eustathios zu Dionys. perieg. 195f. Malalas VI 162f. Kedren. I 245f. suchen zwischen beiden Versionen zu vermitteln oder bringen neue Züge hinzu wie den, dass D. aus der kleinen phoinikischen Seestadt Chartima stammte und dass Aineias D. aus Furcht vor Iarbas verliess. Vereinzelt steht Serv. Aen. I 363 da, nach welchem D. sich der von Pygmalion zum Ankauf von Getreide mit Gold versehenen Flotte bemächtigt hatte. Als sie verfolgt wurde, warf sie es, um sich zu retten, ins Meer.

Was die Deutung betrifft, so hat sich die Sagengestalt der D. gewiss aus der in Karthago als Burg- und Stadtgöttin verehrten Tanit (Caelestis, s. d.) entwickelt (Iustin. XVIII 6, 8 quam diu Karthago invicta fuit, pro dea culta est. R. H. Klausen Aeneas und die Penaten I 502f. F. C. Movers Die Phönizier I 609f. O. Meltzer Geschichte der Karthager I 100f. 458f. und in Roschers Mytholog. Lexikon I 1015f.). Es geschah das offenbar unter griechischem Einfluss, der so mächtig war, dass die Karthager selbst sich ihm nicht entziehen konnten (Appian. Lib. 1), um so mehr als der semitische Name sich auch in der griechischen Sage hielt. Seine Etymologie ist unsicher, indem man entweder im Anschluss an die Erklärung im Etymologicum Magnum s. v. durch πλανῆτις eine Form (ne)dîdâ d. i. ,die Herumschweifende‘ annahm (Bochart Chanaan I cap. 24. Movers bei Ersch und Gruber 3. Sect. XXIV 439. Schröder Die phönic. Sprache 126), oder ihn als amor eius i. e. Baalis sive mariti übersetzte (Gesenius Monum. Phoenic. 406. Ed. Meyer im Litterar. Centralbl. 1880, 453). Gust. Jahn in Königsberg verweist mich in einer mir freundlichst überlassenen Mitteilung auch auf den ,wohl gleichbedeutenden alttestamentlichen Eigennamen Dodo (von dôd = Liebe), in welchem nach der Nebenform Dodaj und dem höchst wahrscheinlich damit gleichbedeutenden Dodawâhu, woraus Dodo zusammengezogen ist, der Jahwename steckt. Ebenso verhalten sich zu einander die von dem verwandten Verbum wadad herkommenden biblischen Eigennamen Jiddo, Jiddaj und Jedîdjâh.‘ Vgl. auch H. Winckler Forschungen I 341ff.

Bildliche Darstellungen der D. sind nur in geringer Anzahl erhalten. Ein in Halikarnass gefundenes Mosaik zeigt sie (Δειδώ) mit Αἰνέα zu Ross (Aen. IV 135) auf der Jagd, s. Ch. Newton Discoveries at Halicarnassus 283f. W. Henzen Bull. d. Inst. 1860, 115. H. Heydemann Archäol. Zeit, 1871, 123. Gleichfalls inschriftlich gesichert ist die Deutung als D. für eine stehende Frau, welche die Erbauung eines Stadtthores beaufsichtigt, auf einer unter Elagabal geprägten Erzmünze von Tyros (E. Babelon Catalogue des monnaies grecques de la Biblioth. Nat., Perses Achém. nr. 2231 Taf. 36. 23, vgl. nr. 2232. 2287. 2316 Taf. 37, 25. 38, 10). Eine weitere gleichzeitige Erzmünze dieser Stadt zeigt dieselbe vielleicht eine Statue nachbildende Gestalt mit nacktem Oberkörper und erhobenem rechten Arme, der mit gebieterischer Gebärde ein ἄφλαστον ausstreckt, [432] während die Linke ein κηρύκειον hält (ebd. nr. 2230. 2277. 2336 Taf. 36, 22. 37, 19). In wenig abweichender Haltung kehrt sie auf zwei tyrischen Erzmünzen des Antonius Elagabal und der Aquilia Severa wieder, wo sie von männlichen Begleitern umgeben auf einem Ruderschiffe steht (ebd. nr. 2246. 2256. 2268. 2335 Taf. 37, 7. 10). Auf sidonischen Erzmünzen des Elagabal und der Iulia Maesa sitzt sie dagegen als Göttin aufgefasst in gnädig vorgeneigter Haltung und hält in der rechten Hand eine Schale (ebd. nr. 1805 mit der Beischrift Dido, 1836 Taf. 32, 19. 33, 1). Ähnliche Münzen s. noch bei Eckhel D. N. III 388 (Elagabal, Otacilia, Valerianus). Mionnet Description de médailles antiques V 433, 441f.; Supplément VIII 310f. und Cohen Description des monnaies de l’empire romain2 V 156 (Berytus, Valerian I.). Neben Aineias steht die als Jägerin gekleidete D. auf einem gut gearbeiteten elfenbeinernen Diptychon in Brescia (F. Wieseler Das Diptychon Quirinianum zu Brescia, Göttingen 1878, 11 Taf II, vgl. A. Michaelis Archäol. Zeitg. 1868, 102f.; wegen der Basis unter den Füssen der D. und weil beide Gestalten in einem Intercolumnium mit zurückgezogenem Vorhang stehen, ist hier wohl die Nachbildung einer plastischen Gruppe zu erkennen). Mit diesen Denkmälern zeigen die Abbildungen der illustrierten Vergil-Hss. Vaticanus 3225 (4. bis 6. Jhdt.) und 3867 (12. bis 13. Jhdt.) so grosse Ähnlichkeit, dass man sie als Copien nach guten alten Vorlagen ansehen muss (Bartoli Virg. cod. bibl. Vat. picturae. Millin Galérie mythol. Taf. 175 bis f. Agincourt L’histoire de l’art par les monumens V Taf. 20f. 63f. P. de Nolhac in den Notices et extraits des mss. de la Bibl. Nat. XXXV 683f.; eine den jetzigen Anforderungen entsprechende Veröffentlichung der Miniaturen des Vaticanus 3225 ist von Seiten der Bibliotheksverwaltung in Aussicht genommen). Auf D. bezieht sich zunächst ein Bild, welches sie bei der Beaufsichtigung des Baues von Karthago zeigt; auf dem zweiten ist die Gesandtschaft der Troianer vor D. dargestellt; auf dem dritten das Gastmahl, bei welchem ihr Aineias seine Abenteuer erzählt; auf dem vierten das von ihr und Anna der Iuno dargebrachte Opfer; auf dem fünften ihr Zusammentreffen mit Aineias in der Grotte; auf dem sechsten ihre letzte Unterredung mit demselben; auf dem siebenten liegt D. in einem Gemach mit dem Schwert in der Hand auf einem Ruhebette, unter welchem ein Scheiterhaufen aufgeschichtet ist; auf dem achten wird ihr Selbstmord von Anna und anderen karthagischen Frauen entdeckt. Von den vielen sonst ausgesprochenen Deutungen von plastischen Werken und Wandbildern als D. kann keine auf Sicherheit Anspruch erheben. So ist auf einem Gemälde aus der casa di Meleagro in Pompeii (Museo Borbonico IX Taf. 4 = Roscher Mytholog. Lexikon I 1015) nicht sie, sondern eine thronende Alexandreia zu erkennen, umgeben von der Africa mit den Elefantenexuvien auf dem Haupte, einer zweiten Personification (Libya ?), welche ihr Tribut in Gestalt eines Elefantenzahnes darbringt, und einer Dienerin mit dem Sonnenschirm, während im Hintergrunde eine Alexandrina navis sichtbar wird (Senec. epist. mor. X 1, 1). Ähnlich steht es mit den [433] Bildern bei W. Helbig Wandgemälde der vom Vesuv versch. Städte nr. 1381. 1381 b. Auch die Benennung eines jugendlichen Frauenkopfes mit einer ,phrygischen Mütze‘ und langen Locken auf autonomen Münzen von Karthago (Ludv. Müller Numismatique de l’ancienne Afrique II 75f. Head HN 728 und Guide to the gold and silver coins in the Brit. Mus. Taf. 26, 41. 42) als D. lässt sich nicht erweisen.

Ausser der bereits erwähnten Litteratur s. Virgilius ed. Chr. G. Heyne et Ph. Wagner I 712f. O. Ribbeck Gesch. d. röm. Dichtung I 25. II 63f. F. Cauer Jahrb. f. Philol. Suppl. XV 101. 102. 170. A. Rebélliau De Vergilio in informandis muliebribus quae sunt in Aeneide personis inventore, Paris 1892, 9f.