Berlin 1 Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
Potsdam
Berlin 2


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Potsdam.


Der Weg von Berlin hierher geht fast beständig durch Mahlsand, bis an ein Tannengehölz. Wenn man durch das Tannengehölz gefahren, welches auf der kleinern Hälfte des Weges nach Potsdam zu liegt, sieht man linker Hand eine schöne Ebene mit einem breiten See, und vor sich den hübschen Anblick der Stadt mit drey Thürmen, die alle drey von einerley Höhe und Gestalt, aber zierlich erbauet sind.


An den Thoren dieser Stadt wird man beym Ein- und Ausfahren sehr genau befragt, genauer wenigstens, als mirs auf meinen Reisen an andern Orten vorgekommen ist. Der Name, Stand, Gewerbe, bey wem Geschäfte? woher? wohin? wie lange man zu bleiben, bey wem man abzutreten gedenket? und andre Fragen mehr. Alles wird aufgeschrieben.

Indessen wird ein fremder für dieses Examen und den bösen Weg schadlos gehalten, durch die Mannigfaltigkeit und die Pracht der Gegenstände, die ihm in dieser Stadt vorkommen. [81] Ihre Gassen sind die regelmässigsten und schönsten, die ich mich gesehn zu haben erinnre. Die Häuser scheinen alle von Quadersteinen gebauet zu seyn, ob sie gleich nur von gebrannten Mauerziegeln mit Kalk übertünchet, und auf Steinart angestrichen sind. Ein aus der Havel geleiteter Canal fließt mitten durch die Stadt, welche auf einer Insel liegt, die obbesagter Fluß macht, der Werder genannt. Man fährt in die Stadt über eine grosse Strecke Wassers vermittelst einer steinernen Brücke.

Diese Stadt ist unter der gegenwärtigen und vorigen Regierung fleissig angebauet. Im Anfange dieses Jahrhunderts bestund sie aus ungefehr zwey hundert Häusern, und itzt hat sie deren wenigstens über zwey Tausend; die Garnison nicht mitgezählt, welche aus acht Tausend Mann bestehen mag, beläuft sich die Anzahl der Einwohner auf siebzehn Tausend.

Die vier Battaillons Fußgarde, eine Esquadron Leibgarde, und das Regiment des Prinzen von Preussen haben hier ihr beständiges Standquartier. Die Fußgarde macht in ihrer blauen Uniform mit silbernen Borten und Tressen um den Hüten einen edlen Anblick, und ausserdem, daß es sehr schön gewachsene Leute sind, geben ihnen auch die Art wie ihre Hüte aufgestutzt und getragen werden, bey ihren schwarzen Stutzbärten ein sehr kriegerisches Ansehen.

[82] Die grossen Plätze, öffentlichen Gebäude und selbst die Häuser der Bürger dieser Stadt sind von edler und geschmacksvoller Bauart. Die venetianische Baukunst des Palladio ist hier häufig und glücklich nachgeahmt. Se. Majestät finden itzt Vergnügen an Bauen, und sollen dazu jährlich sehr ansehnliche Summen ausgesetzt haben. Potsdam ist fast ganz neu nach des Königs eignem Entwurfe gebauet; ausser dem neuen Pallaste bey Sanssouci, sind seit dem letzten Kriege eine grosse Menge Häuser und Palläste in Berlin errichtet worden. Wenn ein Bürger in Berlin oder hier in Potsdam bauen will, muß solches nach einem von dem Könige vorgeschriebenen Plane geschehen, wogegen denn die Voderseite des Gebäudes auf königliche Kosten ist.

Den Augenblick, da ich in Potsdam ankam ging ich zum Herrn Benda, in Hofnung, ihn noch vorher zu sprechen, eh’ er nach dem Concerte des Königs ginge. Er war aber schon dahin gegangen, und mir ward gesagt, daß solches bereits angegangen wäre; dergestalt war für Heute keine Hofnung mehr, daß ich Se. Majestät hören könnte. Es war beynahe sieben Uhr, und zu einem Ersten Besuche bey einer vornehmen Person fast zu spät. Indessen war mir meine Zeit so kostbar, daß ich mich nicht streng an das Etiquette binden konnte; ich setzte mich also darüber weg und wagte es, dem Lord Marshal meine Aufwartung zu [83] machen, an den Herrn Harris so gütig gewesen war, mir einen Brief mit zu geben.

Se. Lordschaft wohnt in einem sehr artigen kleinen Hause in der Vorstadt, welches, wie mir der Kutscher ungefragt erzählte, der König für ihn hat bauen lassen. Der Bediente, ein ehrlicher Schottländer, fragte gleich, ob ich Englisch spräche, und sagte mir, sein Lord sey zu Hause, aber im Schlafrocke. Ich ließ ihm wissen, daß ich einen Brief abzugeben hätte, gab meinen Namen ab, und sagte, wenn ich Mylord im Geringsten beschwerlich fallen sollte, wollte ich lieber Morgenfrüh wiederkommen. Der Mensch kam bald zurück und führte mich zu seinem Herrn.

Es war schon so dunkel, daß ich ihn kaum mehr sehen konnte. Er sagte mir mit einem sehr gütigen Tone der Stimme, ich möchte mich setzen. Ich übergab ihm meinen Brief und ließ ihm merken, daß ich sehr von der Zeit gedrängt würde, sonst würde ich Se. Lordschaft nicht so spät beunruhigt haben. Er sagte, es wäre ihm zu allen Zeiten lieb, mich zu sehen. Als Licht gebracht wurde, gefiel mir sein Gesicht eben so sehr, als mir vorher seine Stimme gefallen hatte. Es ist das angenehmste, wohlgebildeteste und sanfteste, das man sich erdenken kann.

Ich blieb hier drey Stunden, während welcher Zeit er mich mit einer Menge von Anekdoten [84] unterhielt, davon viele Beziehung auf die Musik hatten. Nachdem er Herrn Harris Brief gelesen hatte, in welchem meiner Reise durch Frankreich und Italien erwähnt war, und daß solche bereits ins Deutsche übersetzt würde, sagte er zu mir, daß er Alters halber seit einiger Zeit nicht mehr an den Hof ginge, ob ihm gleich der König öfters sagte, daß beständig ein Platz an seiner Tafel für ihn offen wäre; gleichwohl wollte er was ich im Deutschen von meinem Buche bey mir hätte [1], und meinen Plan des folgenden Tages an Se. Majestät senden. Se. Lordschaft erzeigte mir die Ehre, mich auf den folgenden Tag zum Mittagsessen einzuladen, und gab mir von demjenigen Nachricht, was in Potsdam und Sanssouci das Besehen am meisten verdiente; was aber die Musik anbeträfe, sagte er, wär’ es ein Unglück für mich, daß ich an ihn addressirt wäre; denn er wäre solch ein Gothe und Wende, daß er keine Musik verstünde und keine leiden möchte, ausgenommen die Sackpfeiffe seiner Landsleute. Er sagte bey dieser Gelegenheit sehr viel Scherzhaftes über sich selbst. Nun folgte ein Gespräch über schottländische Musik und über die ersische Poesie; worauf endlich Mylord sagte: „Damit Sie mich auch nicht gar zu unempfindlich gegen die Macht der Töne halten, muß ich Ihnen sagen, daß ich eine [85] Sammlung von Nationalmelodien gemacht habe, von fast allen Völkern unter der Sonnen, die ich Ihnen zeigen kann, glaub’ ich.“ Nach einigen Suchen, fand er das Buch worin diese Stücke geschrieben stunden, und ich mußte die ganze Sammlung, ohne ein Instument, durchsingen; er hatte fast bey jedem Stücke eine Anekdote. Als das Buch durchgesungen war, hatte Mylord die Güte, ein Verzeichniß von denjenigen Stücken zu machen, welche mir wegen ihrer Sonderbarkeit oder Originalheit am meisten gefallen hatten, und versprach mir Abschriften davon. Alsdann befahl er einem schottländischen Pfeiffer, einem seiner Leute, mir einige spanische und schottische Melodien, die nicht mit in der Sammlung stunden, vorzuspielen; „Aber geht nach dem Garten, sagt’ er, denn diese feinen italiänisirten Leute, können unsre rauhe Musik nicht so nahe vor ihren delikaten Ohren vertragen.“

Das Gespräch fiel hernach auf die französische Musik, und in wiefern sie die Vergleichung mit der Italiänischen aushalten könnte; worüber mir Se. Lordschaft eine Historie erzählte, welche sehr viel ähnliches mit einer andern hat, welche Rousseau in seiner Lettre sur la Musique françoise anführt:

Eine junge Griechen, ward vor einigen Jahren aus ihrem Lande nach Paris gebracht; bald nach [86] ihrer Ankunft in dieser Stadt nahmen einige französische Damen sie mit sich nach der Oper, und dachten, sie würde, weil sie noch gar keine eurpäische Musik gehört hatte, darüber in Entzückung gerathen; aber nichts von Alledem: sie erklärte sich vielmehr, das Singen erinnere sie an das scheußliche Geheule der kalmuckischen Tartaren; und die Maschinerie, woran sie auch, wie man glaubte, grossen Gefallen finden sollte, mißfiel ihr auch grössestentheils, besonders nahm sie ein grosses Aergerniß an dem, was sie eine gottlose und heidnische Nachahmung von unsers Herrn Gottes Donner nannte. Kurz nach diesem Experimente reisete sie nach Venedig, woselbst man ein Zweytes mit ihrem unverderbten Gehöre, in einer italiänischen Oper, worin der berühmte Gizziello sung, anstellte. Bey dieser Oper zerschmolz sie fast in Vergnügen, und war sie hernach beständig eine eifrige Liebhaberinn von italiänischer Musik.

Als ich diese Historie gegen einen vortreflichen Kenner der Musik und der menschlichen Natur erwähnte, welcher sich eben zu Paris befunden, als M. de Bougainville einen Eingebohrnen der neu entdeckten Insel Otaiti mit dahin brachte, erzehlte er mir, daß man, gleich nach Putaveri’s Ankunft, die Wirkung der französischen Musik an ihm versucht hätte. „Ich wünschte, sagte mein Freund, daß Sie dabey gewesen wären, um mit [87] mir zu bemerken, welch einen sonderbaren Eindruck die französische Oper auf ihn machte. Sobald er daraus zu Hause kam, äffete er alles, was er gehört hatte, auf die natürlichste und lächerlichste Art, nach, die Sie sich nur erdenken können. Nachmals aber wiederholte er dies nicht anders, als wenn er gut aufgeräumt war; und da ich ihn eben vor seiner Abreise sah, da er melancholisch war, wollte er nicht tanzen, so sehr man ihn auch bat. Ich schlug vor, man möchte Musik kommen lassen, und man gab einem Bedienten Befehl, daß er auf seiner schlechten Geige nur vor der Thüre des Zimmers spielen sollte. Sobald Putaveri das hörte sprang er plötzlich auf, ergriff zweene von den Leuchten, setzte sie auf den Fußboden und tanzte seinen eignen Landtanz; nach diesem gab er der Gesellschaft ein Pröbchen von der französischen Oper, welches die natürlichste und vortreflichste Parodie war, die ich in meinem Leben gehört hatte, und er begleitete sie mit allen erfoderlichen Stellungen. Ich wünschte damals, die Macht der italiänischen Musik an ihm zu versuchen; aber dazu war keine Gelegenheit, denn wie sollte man die zu Paris gehörig executirt bekommen?“

Unter den Anekdoten, über die sonderbaren Wirkungen der Musik, welche ich von Lord Marshall erfuhr, erzählte er mir auch von einem Bergschotten, welcher allemal weinte, wenn er eine [88] gewisse langsame schottische Melodie, auf der Sackpfeife spielen hörte. Der General G. dessen Bedienter er war, schlich sich einst des Nachts in seine Kammer, als er schon fest schlief, und spielte eben diese ganz leise auf der Flötetraverstere; und der Mensch, ohne dabey aufzuwachen, weinte wie ein Kind.[H 1]

Se. Lordschaft bestätigte mir auch unter andern die Erzählung von der Maladie du Païs, oder dem Heimweh, welches die Schweitzer, die in fremden Diensten stehen, bekommen, wenn sie eine gewisse Melodie, der Kuhreihen (Rens de vache) genannt, zu hören bekommen. Als zu Valodilid in Spanien fünf Schweitzersoldaten, dieses Lied von einem ihrer Landsleute auf einem Thurme spielen hörten, bekamen sie alle diese Krankheit und mußten entlassen werden. Eine Wirkung, die man aus nichts anderm erklären kann, als aus der Erinnerung an vorige Freyheit und Glückseligkeit im Vaterlande.

Die Tarantelngeschichte, gestund Mylord, wäre eine erdichtete Fabel, in Ansetzung der Curart durch die Musik, nicht aber der Stich selbst, [89] der wäre wahr, wie er gewiß wüßte. Indessen hätten ihm einige Einwohner von Apulien gestanden, daß das Einzige, was die Musik dabey heilsames thun könnte, darin bestünde, daß sie den Patienten wachend erhielte, weil gemeiniglich der Schlaf gefährlich wäre, ehe der Gift aus der Wunde gezogen worden.

Mir war sehr oft von Personen, die den Lord Marshal schon vor Jahren gekannt hatten, gesagt worden, daß kein Charakter sich der Vollkommenheit mehr näherte, als der Charakter irgend eines Sterblichen Menschen; und dieses ward itzt meine eigne Meinung. Ich verließ ihn sehr ungerne, als ich wieder nach meinem Gasthofe mußte; er hatte mich bey diesem dreystündigen Besuche durch sein geselliges, unterhaltendes, ungezwungnes und leutseliges Wesen eben so sehr für sich eingenommen, als noch irgend ein anderer in so viel Jahren gethan hatte.

Donnerstag, den 1sten October. Mein erster Gang diesen Morgen war zum Herrn Benda. Ich fand ihn als einen treuherzigen, dienstfertigen und sehr verständigen Mann, und der alle die Bescheidenheit eines wahrhaftig grossen Genies besitzt. Ich hatte an ihn einen Brief vom Herrn Giardini, über dessen Andenken er sich sehr zu freuen schien, und sagte, ob es gleich über zwanzig Jahre her sey, daß er ihn gesehn oder gehört, habe er doch [90] seinen schönen Ton, der so besonders klar, voll und lieblich gewesen, noch nicht vergessen; und fügte hinzu, daß er Zeitlebens eine deutliche und angenehme Idee von seiner gefälligen Art des Vortrags, von seiner Phantasie in den extemporirten Codenzen und von der Leichtigkeit behalten würde, womit er alles, was auf der Violin nur möglich zu machen, herausgebracht hätte.

Herr Giardini hatte ihn in seinem Briefe gebeten, er möchte mir das Vergnügen machen, daß ich ihn spielen hörte. Als er diese Bitte gelesen, schüttelte er den Kopf und sagte: Non sum qualis eram. „Schon seit fünf Jahren spiele ich schon keine Solo’s mehr, selbst vor dem Könige, meinem Herrn. Ihnen zum Gefallen indessen will ich spielen, was noch in meinen Kräften steht.“

Er spielte ein vortrefliches Solo von seiner eigenen Komposition, con sordino. Seine Hand, sagte er, wäre nicht mehr stark genug, ohne Sordin zu spielen. Er hat lange schon die Gicht in den Fingern; indessen zeigt er noch vortrefliche Ueberbleibsel von einer mächtigen Hand, ob ich gleich geneigt bin zu glauben, daß er allemal mehr Empfindungen als Schwierigkeiten gespielt hat. Sein Styl ist so wahrhaftig cantabile, daß man in seinen Kompositionen selten eine Passagie antrift, die es nicht in dem Vermögen einer Menschenstimme [91] stünde, zu singen, und er ist ein so gefühlvoller Spieler, so mächtig rührend in einem Adagio, daß mich verschiedene grosse Musiker versichert haben, wie er ihnen durch sein Adagiospielen sehr oft Thränen entlockt habe.[H 2]

[92] Es mag für angehende Musikstudirende nicht ohne Nutzen seyn, dem Wege nachzuspüren, wie er zu seinem Style im Spielen und Schreiben gelangt ist. Beydes ist bey diesem Meister so original und schön, daß ich hoffe, allen Musikliebhabern unter meinen Lesern werde ich einen Gefallen erzeigen, wenn ich einen kurzen Entwurf seiner Lebensgeschichte hier einschalte. Die vornehmsten Umstände derselben erhielt ich bey meinem Besuche aus seinem eignen Munde, das Uebrige habe ich aus Herrn Hillers Anmerkungen und Nachrichten die Musik betreffend, genommen.

Franz Benda ist 1709. zu Alt Benatky, in Böhmen gebohren. Seine Eltern thaten ihn als Singeknaben in das Schülerchor zu Neubenatky. Als er neun Jahr alt war, nahm ihn ein Anverwandter mit nach Prag, und brachte ihn als Sopranist bey der Kirche der Benediktiner an. Bald darauf ward seine Stimme so vortreflich, daß jemand ihn beredete, ohne Wissen und Willen der Benediktiner [93] mit ihm nach Desden zu gehen, um in der churfürstlichen Kapelle zu singen. Als er anderthalb Jahr in diesem Dienste gewesen, ging er ohne Urlaub mit einem Elbschiffer davon, in der Absicht, wieder zu seinen Anverwandten zurück zu kehren; allein so wie er die Elbe hinauf wollte, ward er zu Pirna angehalten und wieder nach Dresden gebracht. Bey dieser Gelegenheit aber verlohr er seine hohe Stimme, weil er des Wassers nicht gewohnt, und die Nacht sehr kalt gewesen war.

Dieses Unglück hob auf einmal alle Schwierigkeiten, seinen Abschied zu erlangen; er befand sich auf einmal in völliger Freyheit, zu gehen wohin er wollte; und als er nach Hause kam, waren seine Eltern sehr verlegen, was sie mit ihm beginnen sollten: unterdessen ward er überredet, daß er einen Versuch machen sollte, bey der Ostermusik, welche eben aufgeführt ward, den Contralt zu singen. Anfangs war seine Stimme rauh, sie ward aber so schnell besser, daß Benda an eben demselben Nachmittage im Stande war, den Contralt eben so gut zu singen, als vorher den Diskant.

Als er seiner neuen Stimme gewiß war, ging er nach Prag, woselbst er im Jesuiterseminario aufgenommen wurde, ob solches gleich damals schon sechs andre für diese Stimme hatte; denn seine Art zu singen, und der Umstand, daß er in der churfürstlichen Kapelle zu Dresden gesungen hatte, dienten ihm zu sehr nachdrücklichen Empfehlungen.

[94] Im Jahr 1723. war Benda einer von den Chorsängern in der Musik, die bey der Gelegenheit aufgeführt ward, da der Kayser Carl der VI. als König von Böhmen gekrönt wurde. Ein Umstand, der einen wichtigen Zeitpunkt in dem Leben dieses grossen Tonkünstlers ausmacht, der damals sein funfzehntes Jahr erreicht hatte. Er gestund mir, daß das vortrefliche Singen, das er damals hörte, ihm in der Folge von unendlichen Nutzen gewesen sey; besonders war er ausserordentlich gerührt von Gaetano Orsini, der einen Contralt sang. Bald hernach, da diese Feyerlichkeiten zu Ende gebracht, ward im Jesuitercollegio ein Drama von jungen Böhmischen von Adel aufgeführt, in welchem auch Musik vorkam, welche der pohlnische Kapellmeister Zalenka, dazu komponirt hatte.

Die Sänger in demselben waren, Benda, ein andrer Discantist, vom Chore der Kreuzherrn, und ein Italiäner, der den Baß sang. Ein jeder von ihnen hatte drey Arien zu singen; Benda aber ragte so weit über die andern hervor, daß ihm sein Singen nicht allein grosses Lob, sondern auch eine neue Stelle mit einem beträchtlichen Gehalte, im Convente der Kreuzherrn erwarb. Dieses Convent ist sehr reich und für diejenigen vom Adel bestimmt, welche sich der Vertheidigung der christlichen Religion gegen die Türken widmen, und wird also von den Musikern in Prag als ein Ehrenposten angesehen.

[95] Hier legte er sich zuerst auf die Komposition und setzte das Salve Regina zweymal in Musik; einmal mit blosser Begleitung der Orgel, und einmal mit zwo Violinen. Der Himmel weiß, sagte Benda, wie manche Regel des Contrapunkts ich in diesen Versuchen übertreten haben mag. Nicht lange hierauf verlohr er seine Contraltstimme und sah sich von neuem genöthigt, nach seinen Verwandten nach Benatky zurück zu kehren.

Itzt da er alle Hofnung verlohren hatte, durch Singen sein Auskommen zu gewinnen, und dabey den Gedanken nicht ausstehen konnte, daß er seinen Eltern zur Last fallen sollte, legte er sich mit allem Ernste auf die Violine, worauf er schon einen kleinen Anfang gemacht hatte, er weiß aber nicht wann, noch bey was für einem Meister. Es muß indessen schon früh in seiner Jugend geschehen seyn, weil er sich so viel erinnert, daß er in den Concerten, die die Singeknaben in Dresden unter sich hielten, die Bratsche spielte, und sichs bey Vivaldi’s Concerten sehr sauer werden ließ.

Nachdem er seine Stimme verlohren hatte, blieb ihm kein ander Mittel übrig, von seinen musikalischen Gaben Nutzen zu schöpfen, als das er mit einer herumstreifenden Bande Juden auf dem Lande herum zum Tanzen spielte; unter dieser war indessen ein blinder Hebräer Namens Löbel, der in seiner Art ein ausserordentlicher Spieler war. [96] Er zog einen guten Ton aus seinem Instrumente und setzte sich seine Stücke selbst, welche zwar sehr wild, aber doch sehr artig waren: einige seiner Tanzmelodien gingen bis ins hohe A hinauf, und dennoch brachte er sie äusserst nett und rein heraus.

Das Spielen dieses Mannes erweckte in Benda eine solche Nacheiferung, daß er seinen Fleiß verdoppelte, um ihm gleich zu kommen; und um ihm in keinem Punkte seines Gewerbes etwas nachzugeben, komponirte er sich Tänze für seine eigne Hand, die nichts weniger als leicht waren. Er spricht sehr oft von dem Danke, den er diesem Juden schuldig ist, daß er ihn angereitzt hat, auf der Violine etwas Ausserordentliches zu leisten.

Nachdem er einige Zeit auf diese Weise herumgestreift war, schloß er sich zu Prag auf eine Dachkammer ein, woselbst er sich auf Zweyerley zugleich übte, auf Musik und Mässigkeit. Hier erhielt ers, daß ihm Konyczek, ein Violinist des Fürsten Lobkowitz, einigen Unterricht gab, wodurch er sich geschickt machte, in dieses Fürsten Dienste zu treten, mit dem er hernach nach Wien reisete. Hier bekam er einen andern Herrn an dem Grafen von Uhlefeld, bey dem er oft den Vortheil hatte, den berühmten Francischello zu hören, der den Grafen informirte, und mit beyden öfters Trios zu spielen.[2]

[97] Als er diesen Dienst verließ, reisete er mit drey andern Musikern, die hernach sehr berühmte Männer geworden sind, zu Fuß nach Breslau. Diese waren, die Herrn Höckh, gegenwärtiger zerbstischer Kapellmeister, der verstorbne Herr Weidner und Herr Czarth, ehemals in der Preussischen, itzt in der Manheimer Kapelle.

Nachdem sich diese vier Reisende eine kurze Zeit in Breslau aufgehalten hatten, verdingten sie sich auf einen ordentlichen Frachtwagen nach Warschau. Als sie dieser pohlnischen Hauptstadt bis auf einige Meilen nahe gekommen waren, fanden sie in einem Walde einen vollgepackten Mantelsack, welchen, nachdem sie viele vergebne Mühe angewendet, den Eigner ausfindig zu machen, sie unter sich theilen. Bey dieser Theilung fiel dem Herrn Benda ein Kleid zu, dessen er sehr benöthigt war, und welches ihm so gut paßte, als obs ein pariser Schneider für ihm gemacht hätte.

[98] Als sie zu Warschau angelangt waren, nahmen sie ein Zimmer in dem alten casimirschen Pallaste in Besitz; welcher seit funfzig Jahren keine andere Bewohner gehabt hatte, als Eulen und Fledermäuse. Keiner der ersten Heiligen hat die Tugend der Enthaltsamkeit strenger geübt, als diese jungen Sünder von Musikern, ob sie gleich ihre Wohnung in einem königlichen Pallaste genommen hatten. Sie waren ohne Geld, ohne Plan für ihr künftiges Leben, und ohne Freunde; ihre Köpfe hatten noch für kein Geschäft ihrer Hände gesorget; sie dachten auf nichts, als sich in ihrer Einöde die Zeit auf ihren verschiedenen Instrumenten zu vertreiben; und thaten den ganzen Tag nichts, als sich üben. Während dieser Zeit ging das Gerede, daß es in dem Pallaste spuckte, von was für Art aber die Gespenster wären, daß hatte keiner von den Nachbarn das Herz zu untersuchen; bis man endlich dem Starosten Suchaczewsky Szaniawsky sagte, die Gespenster wären musikalisch, und der Muth genug hatte, ihnen einmal zuzuhören, da sie ihm dann gefielen und er solche in seine Dienste nahm.

Es ist in Pohlen eine Regel, wenn ein vornehmer Herr mehr als vier Musici in seinem Dienst hat, daß er dann einen Kapellmeister über sie setzt; und da nun die Kapelle des Starosten Suchaczewsky aus neun Personen bestund, ward dem Herrn [99] Benda dieses Ehrenamt von seinem neuen Herrn aufgedrungen.

Unser Held blieb zwey bis drey Jahre in Warschau, worauf er wieder nach Deutschland ging, und auf eine kurze Zeit in der Dresdner Kapelle Dienste that; hier bekam er einen Brief vom Herrn Quantz, darin er ihm eine Stelle in des damaligen Prinzen von Preussen Diensten anbot; Se. itzt regierende Majestät hielten sich damals, bis zu ihrer Gelangung zum Throne, gewöhnlich zu Ruppin auf.

Der verstorbne König hatte dem Kronprinzen, seinem Sohne sehr ernsthaft verboten, so wenig Musik zu hören, als selbst, welche zu lernen, und daher konnte dieser Prinz seine Neigung zu diesem Vergnügen nur ganz geheimer Weise befriedigen. Herr Quanz hat mir nachher erzählt, daß es die königliche Frau Mutter gewesen, die dem Kronprinzen zu diesem Zeitvertreibe behülflich gewesen, und die Musici für ihn angenommen habe. Aber so sehr war bey dieser Sache das Geheimniß nöthig, daß die Söhne des Apolls in grosser Gefahr geschwebt hätten, wofern es dem Könige bekannt geworden wäre, daß man seine Befehle überschritten. Der Prinz wendete oft die Jagd vor, wenn er Musik haben wollte, und hielt seine Concerte in einem Walde oder in einem unterirdischen Gewölbe.

[100] Es war im Jahr 1732 als Benda in preussische Dienste trat, und fand er bey Sr. königlichen Hoheit bereits die beyden Grauns, mit welchen er fleissig studirte und von denen, sowohl als von Quantz, er viele Freundschaftsdienste genossen zu haben bekennt.

Er führt noch das Orchester in der grossen Oper an, worin ihm sein Bruder Joseph beysteht; und er kann sich der Ehre rühmen, daß er in den vierzig Jahren, die er in Diensten des Königs gewesen, Sr. Majestät in beynahe 50,000 verschiedenen Concerten accompagnirt hat.

Herrn Benda’s Vater war ein Leinweber, und nicht weniger musikalisch, als die meisten Böhmen, seine Landsleute; denn er spielte ein wenig auf der Hoboe, der Sackpfeiffe und dem Hackebrette. Im zweyten Jahre der Regierung Sr. itzt lebenden Majestät des Königs, 1742, hatte Herr Benda das Vergnügen, seine Eltern nach Berlin kommen zu lassen, und solche zu sich ins Haus zu nehmen, und 1756 hatte dieses Paar die Freude seine funfzigjährige Jubelhochzeit zu feyern.

Herr Benda hat zwey Söhne, beyde sehr geschickt in der Musik. Seine drey Brüder sind alle drey seinem Beyspiele gefolgt, und haben die Musik zu ihrer Beschäftigung gewählt. Johann, der [101] Aelteste, dessen Instrument die Violine war, ist in Sr. preussischen Majestät Diensten gestorben; Georg, der zweyte Bruder, ist der geschickte Kapellmeister im Dienste des Herzogs von Sachsen-Gotha; und Joseph, der Dritte, ist in der Kapelle des Königs von Preussen.

Noch ein Wort von den musikalischen Verdiensten des würdigen Concertmeisters Franz Benda, womit ich diesen langen Artikel schliessen will. Sein Styl ist weder der Styl des Tardini, Somis, Veracini noch irgend eines Hauptes einer musikalischen Schule oder Sekte, davon ich die geringste Kenntniß hätte: sondern es ist sein eigner, und nach dem Muster gebildet, welches alle Instrumentalisten studiren sollten, gutes Singen nemlich.

Als ich Herrn Benda verließ, machte ich dem Herrn Obersten Quintus Julius meine Aufwartung, an den ich mit einem Briefe beehrt war. Er ist ein Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften, und Verfasser einer berühmten französischen Schrift über die Kriegskunst der Alten, und ein grosser Sammler von Seltenheiten. Er ist ein Kenner aller Künste, die Musik ausgenommen, und hat eine wohl ausgesuchte Bibliotheck, in der ich verschiedene rare und seltne Bücher fand.

[102] Hierauf hatte ich die Ehre dem Herrn Obersten Forcade meinen Besuch abzustatten, an den ich gleichfalls Briefe hatte. Ich war an diesen Herrn, welcher Hofmarschall ist, in der Absicht empfohlen worden, daß er mir die Ehre erweisen, und mich Sr. königlichen Hoheit, dem Prinz von Preussen vorstellen würde, für den man mir ein Päckchen Bücher aus England mitgegeben hatte.

Nunmehr war es zwölf Uhr, um welche Zeit man in Potsdam überall zum Mittagsessen geht. Bey Milord Marshall war ich so glücklich, die griechische Dame zu sehen und zu sprechen, die bey ihrer ersten Ankunft in Europa so mißvergnügt über die französische und so vergnügt über die italiänische Musik gewesen war. Die Mahlzeit war ganz auf engländische Weise eingerichtet und das Gespräch seiner Lordschaft war ganz ausnehmend unterhaltend.

Nach Tische fuhr ich hinaus, den neuen Pallast zu besehen, den der König nach dem letzten Kriege erbauet hat. Der Boden worauf solcher stehet, war vor acht Jahren noch ein Morast oder Moorgrund, wie die ganze Gegend umher, welche tief liegt und noch sehr öde und nackt ist. Indessen gab die Schnelligkeit, womit dieser Pallast errichtet und die Gestalt des Bodens verändert wurde, einem deutschen witzigen Kopfe Veranlassung zu [103] sagen: „man muß gestehen, daß Se. Majestät Wunder thun, ob Sie gleich keine glauben.“

Es ist nicht mein Vorsatz, eine genaue Beschreibung von diesem prächtigen Pallaste zu geben;[H 3] ich will nur überhaupt anmerken, daß er mir einer der elegantesten und vollkommensten geschienen, die ich in ganz Europa gesehen habe. Er ist, wie die meisten prächtigen Gebäude in Potsdam, nach des Königs eignem Entwurfe gebauet. Die Fronte ist mit gerifelten Pilastern von chorinthischer Ordnung geziert, und vor jeder derselben steht eine Bildsäule. Die Pilaster sind von blaßgelber Farbe und das Uebrige der Mauern ist wie rothe Mauerziegel angemahlt. Auf der Kuppel über den Fronton stehn die drey Grazien auf einem hohen Piedestal, und der Statüen und Gruppen, die die Attica und die Balustraden verzieren, sind eine solche Menge, daß man sie kaum zählen kann.

Die Gemächer sind mit ausnehmenden Geschmack und Pracht möblirt. Fast jeder Zweig der königlichen Familie hat seine eigne Reihe von Zimmern. Die für den König selbst, für die Prinzessinn Amalia und für den Prinz von Preussen sind die Prächtigsten. In jedem dieser Apartementer ist ein eignes Musikzimmer, worin man Bücher, Pulte, einen Flügel und andre Instrumente antrift.

[104] Das Concertzimmer des Königs hat Spiegel von ganz ausnehmender Grösse; die Bildhauerarbeit darin ist theils vergoldet, theils mit dem schönsten grünen Firniß à la martin überzogen. Alles Geräthe und alle Zierrathen in diesem Zimmer sind nach dem allerfeinsten Geschmacke. Es steht ein Pianoforte von dem neuburgischen Silberman darinn, das sehr schön gearbeitet und mit Firniß überzogen ist; für Se. Majestät stehet ein Pult von Schildpatte, das sehr reich und künstlich mit Silber ausgelegt ist; auf dem Tische liegt ein Verzeichniß der Concerte, welche sich im neuen Pallaste befinden, und ein Notenbuch worin, wie Se. Majestät es nennen, Solfeggi geschrieben stehen, nemlich Preludia von schweren und geschwinden Sätzen, zur Uebung der Finger und Zunge, wie die eigentlichen Solfeggi zur Uebung für die Kehle der Sänger sind. Se. Majestät haben von dieser Art Büchern für die Flöte eins in jedem Musikzimmer aller Palläste.

In einem andern Gemache steht ein sehr prächtiger Flügel von Schudi aus England. Die Hespen, der Fußtritt und das Gestell sind von Silber, der Kasten ist ausgelegt und die Fronte ist von Schildpatt. Dieses Instrument, welches zweyhundert Guineen kostet, ward zur See auf Hamburg und von hier auf der Elbe und Havel nach Potsdam gebracht, und auf dieser Reise, sagt man, ist es dergestallt beschädigt worden, daß es [105] noch nicht hat wieder in Stand gebracht werden können; idessen sollte man fast eher auf die Gedanken kommen, daß es einigen Neid erregt hätte, und daß diejenigen, denen es zum Repariren anvertraut ist, nicht gar zu aufrichtig damit zu Werke gegangen wären; denn ich habe noch nicht gehört, daß von den vielen Flügeln, welche jährlich über See nach Ost und Westindien versendet werden, ein einziges so sehr beschädigt worden wäre, als mit diesem, auf einer weit kürzern Reise geschehen seyn soll. Und itzt, da ich doch einmal von musikalischen Instrumenten rede, muß ich anmerken, daß die Deutschen solche ausser ihrem Lande viel besser machen, als in ihrer Heymath, zu urtheilen nach den Flügeln von Kirchmann und Schudi, den Pianofortes von Becker und den Orgeln von Snetzlern, welche an Güte alle Clavierinstrumente übertreffen, die ich auf meiner Reise durch Deutschland angetroffen habe.

Aber nun wieder auf den neuen Pallast bey Sanssouci zu kommen. In allen Apartementern, durch die ich geführt wurde, leuchtet eine studirte Eleganz und Delikatesse in den Möbeln hervor, dergleichen mir noch nirgend vorgekommen war. Der Geschmack ist zwar mehr französisch als italiänisch, dabey aber der Beste in seiner Art, und ist so elegant als schicklich. Der Salon, die Marmorgallerie genannt, ist im eigentlichsten Verstande prächtig und königlich. Sie ist ausserordentlich [106] groß und hoch, und durchgehends mit rothgesprenkelten oder sogenannten roth Caroline und mit weissem italiänischen Marmor vermischt, incrustrirt. Die Flur ist gleichfals von weissem Marmor, und die drey grossen und schönen Gemählde, der Morgen, der Mittag und der Abend, die man hier sieht, sind von Rode.

Obgleich des Königs Hauptsammlung von Gemählden sich in der Bildergallerie zu Sanssouci befindet: so sind doch in diesem neuen Pallaste zwey oder drey Zimmer reichlich mit Werken von den besten italiänischen Meistern angefüllt; es würde mich aber von meinem Wege abführen, solche hier zu beschreiben; und die köstlichen goldnen und silbernen Tapeten, die vortreflich gefirnißten Lambris, die reichen Platfonds und mosaische Pflaster sind nicht zu beschreiben.

Der Hauptfronte dieses Pallastes gegen über stehen zwey sehr schöne Gebäude von weissen Steine, die durch eine Colonade in Form eines halben Zirkels, von gereifelten chorinthischen Säulen, mit einander verbunden sind. In diesen Gebäuden sind unten die Küchen und Keller und andre Vorrathskammern, und in den höhern Geschossen sind Wohnzimmer für die königlichen Hofbedienten und für Fremde von Stande. Vor der Fronte eines jedem dieser Gebäude befindet sich eine doppelte zirkelförmige Treppe, welche nach [107] einer Colonade von insolirten und gereifelten chorinthischen Säulen führen, welche ein Pediment unterstützen, das mit Statuen gezirt ist; an jedem Flügel steht ein kleiner Thurm mit einer Kuppel. Die Idee hierzu ist von den palmirischen Ruinen hergenommen. Ueberhaupt hat der König von den Ueberbleibseln von Athen, Palmyra und Balbec in den Tempeln, Ruinen und andern Gebäuden den in Seinen Gärten so, wie in den Gebäuden zu Potsdam, von den Zeichnungen des Palladio, Sansovino und Scamozzi öftern Gebrauch gemacht.

In und um diesem Pallaste waren unzählige Dinge, die eine genaue Betrachtung verdienten, aber ich mußte forteilen, wenn ich bey Sr. Majestät Abendconcerte zu Sanssouci gegenwärtig seyn wollte. Ich ward des Abends zwischen fünf und sechs Uhr von einem Gardeofficier hineingeführt; ohne eine solche privilegirte Person wäre es für einen Fremden, wie ich war, unmöglich, in einen Pallast zu kommen, worin der König residirt; und selbst mit meinem Führer wurde ich scharf befragt, nicht nur wie ich aus dem Thore zu Potsdam ging, sondern an jeder Pforte des Pallastes. Als wir in der Gallerie anlangten, kam uns Mr. de Cat, Se. Majestät Vorleser und Mitglied der königlichen Academie, entgegen, an den ich einen Brief gebracht hatte, und welcher uns, meinen Führer und mich, sehr höflicher Weise den ganzen Abend über begleitete.

[108] Ich ward nach einem innern Zimmer des Pallastes geführt, worin die Herrn von des Königs Kapelle auf seinen Befehl warteten. Dieses Zimmer war dicht an dem Concertgemache, in welchem ich Se. Majestät ganz deutlich Solfeggi spielen und sich so lange mit schweren Passagien üben hören konnte, bis Sie die Musik hereinzutreten befohlen. Hier traf ich Herrn Benda an, der so gut war, mich mit Herrn Quantz bekannt zu machen.

Der Wuchs dieses bejahrten Tonkünstlers ist von ungewöhnlicher Grösse:

The son of Hercules he justly seems,
By his broad shoulders, and gigantic limbs;
[H 4]

und er scheint für eine Person im 76sten Jahre eine ungewöhnliche gute Gesundheit und Stärke zu besitzen. Wir geriethen bald in ein musikalisches Gespräch; er sagte mir, sein königlicher Herr und Scholar spielte keine andre Concerte, als die er ausdrücklich für ihn gesetzt hätte, deren Anzahl sich auf dreyhundert erstreckte, und diese spielte er nach der Reihe. Diese ausschliessende [109] Neigung für die Werke seines alten Meisters, möchte manchem etwas eingeschränkt vorkommen; indessen zeigt solche eine Beständigkeit des Gemüths an, welche man nicht oft bey Prinzen antrift. Die Komposition der beyden Graun’s und Quantzens sind schon über vierzig Jahr bey Sr. Majestät in Gnaden gewesen; und wenn es wahr ist, was viele sagen wollen, daß die Musik seit der Zeit, in welcher die Scarlattis, Vincis, Leos, Pergolesis und Porporas, sowohl als die grössesten Sänger der neuern Zeiten blüheten, wieder zurückgesunken und ausgeartet ist: so zeigt es bey Sr. Majestät von einem sehr richtigen und weisen Urtheile, solchergestalt unverrückt bey den Produkten einer Periode zu beharren, welche man die Zeiten des Augustus in der Musik nennen kann; mit einer solchen unwandelbaren Beständigkeit den Strom der Mode und des Leichtsinns aufzuhalten, heißt eine Art von Stet sol besitzen, wodurch Apoll und seine Söhne verhindert werden, ins Wilde zu gehen, oder Veränderungen vom Guten zum Schlechten und vom Schlechten zum Schlimmern einzuführen.

Diese Anmerkungen, die mir während meiner Unterredung mit Herrn Quantz einfielen, wurden durch einen Laufer vom Könige unterbrochen, welcher die Herrn Kapellisten ins nächste Zimmer rufte.

Die Musik begann mit einem Flötenconcerte, in welchem der König die Solosätze mit grosser [110] Präcision votrug. Seine embouchure war klar und eben, seine Finger brillant und sein Geschmack rein und ungekünstelt; ich war sehr erfreut, und sogar erstaunt, über die Nettigkeit seines Vortrags, in den Allegro’s sowohl, als über seinen empfindungsvollen Ausdruck in den Adagio’s. Kurz, sein Spielen übertraf in manchen Puncten alles, was ich bisher unter Liebhabern, oder selbst von Flötenisten von Profession gehört hatte. Se. Majestät spielten drey lange und schwere Concerte hinter einander, und alle mit gleicher Vollkommenheit.

Man kann nicht leugnen, daß verschiedene Passagien in Herrn Quantzens Concerten nach gerade alt und gemein werden; allein das beweiset nicht, daß solche nicht neu gewesen wären, als diese Concerte komponirt wurden; denn einige davon sind schon vor vierzig Jahren gemacht.[H 5] Es ist freylich wahr, daß sie bloß für den König gemacht sind, und daß Herr Quantz sie nicht hat dürfen bekannt machen; allein in der Reihe von Jahren sind andre Komponisten auf eben dieselben Gedanken gekommen. Mit der Musik ist es, wie mit seinen Weinen, welche nicht nur schaal und flach werden, wenn sie an der Luft stehen, sondern auch von der Zeit leiden, man mag sie so gut verwahren wie man will.

Herr Quantz hatte bey dem Concert heute Abend nichts zu thun, als bey dem Anfange eines jeden [111] Satzes mit einer kleinen Bewegung der Hand den Tackt anzugeben, ausser daß er zuweilen am Ende der Solosätze und Cadenzen Bravo! rief; welches ein Privilegium zu seyn scheint, dessen sich die übrigen Herrn Virtuosen von der Kapelle nicht zu erfreuen haben. Die Cadenzen, welche Se. Majestät machten, waren gut, aber lang und studirt. Man kann leicht entdecken, daß diese Concerte zu einer Zeit gemacht sind, da der König noch nicht so öftre Gelegenheit brauchte, Athem zu nehmen, als itzt; denn in einigen von den sehr schweren und langen Solosätzen sowohl, als in den Cadenzen, war das Athemnehmen nöthig, ehe die Passagien zu Ende gebracht worden.

Ausser diesen drey Concerten ward heute Abend nichts weiter gemacht, und ich kehrte nach Potsdam zurück; aber nicht ohne eben die Fragen einer jeden Schildwacht zu beantworten, wie ich auf meinem Hinwege thun müssen.

Ich habe bereits eine Nachricht von der Regelmässigkeit gegeben, mit welcher die Lustbarkeiten des Hofes auf einander folgen, wenn der König in Berlin residirt; und einige meiner Leser möchten vielleicht neugierig seyn, zu wissen, auf was Art der preussische Monarch an jedem Tage seine Zeit zu Sanssouci hindringt. Ich will also hier die Ordnung hersetzen, an welche der König sich zu Friedenszeiten, seit seiner ganzen Regierung [112] gebunden hat. Das Exercitium seiner Truppen auf der Parade kann nicht pünktlicher seyn.

Um vier Uhr des Morgens im Sommer, und um fünf Uhr im Winter, läßt sich der König wecken, und von da an bis Neune, um welche Stunde die Minister der verschiedenen Departementer vorgelassen werden, beschäftigt er sich, Briefe zu lesen und auf dem Rande die Antwort zu schreiben. Alsdann trinkt er eine Tasse Coffee, und begiebt sich mit den Ministern zur Arbeit, welche ihre Protefeuilles voller Zweifel, Anfragen, Documente, Bittschrifter und andrer Papiere haben. Auf diese Arbeit verwendet Se. Majestät zwo Stunden, und geht alsdann auf die Parade, woselbst er sein Leibregiment eben so gut exerciren läßt, als ob er der jüngste Oberst in seinem Dienste wäre.

Um Zwölf zu Mittage geht der König an Tafel; es befinden sich an derselben gemeiniglich zwölf oder vierzehn Personen; nachdem abgespeiset worden, giebt Er Künstlern und Fabrikanten eine Stunde Gehör; darauf lieset und unterzeichnet er die Briefe, welche sein Sekretair nach den Noten gemacht hat, die der König selbst des Morgens auf dem Rande vorgeschrieben. Wenn dieses geschehen, hält der König die Geschäfte des Tages für geendigt, und das Uebrige desselben wird dem Vernügen gewidmet. Nach dem Abendconcerte bestimmt er einige Zeit der Conversation, wenn [113] er dazu aufgelegt ist, und die Hofleute, welche die Aufwartung haben, sind dazu in beständiger Bereitschaft. Wenn aber auch dieses nicht geschehen sollte, so läßt er sich doch alle Abende von seinem Vorleser Titel und Auszüge aus neuen Büchern vorlesen, worunter er diejenigen anmerkt, die er in seine Bibliothek, oder zur Lekure ins Cabinet angeschaft haben will. Auf diese Art wendet der König seine Zeit an, wenn er nicht im Felde, auf Reisen oder auf Revüen ist, und um zehn Uhr des Abends retirirt er sich; selten aber geht er eher zu Bette, eh’ er nicht noch etwas gelesen, geschrieben oder für die Flöte komponirt hat.

Freytag, den 2ten. Diesen Morgen besuchte ich Herrn Quantz; er war so gefällig, auf mein Ersuchen mir drey Solos von seiner eignen Arbeit vorzuspielen, und ungeachtet seines nicht geringen Alters bringt er die geschwinden Sätze noch mit grosser Richtigkeit heraus. Seine Musik ist simpel und natürlich. Sein Geschmack ist derselbe wie vor vierzig Jahren; und ob das gleich ein ausnehmend guter Zeitpunkt für die Komposition gewesen seyn mag: so kann ich doch nicht ganz einstimmig mit der Meinung derjenigen seyn, welche glauben, es sey nach der Zeit nichts mehr in der Musik erfunden, welches der Mühe werth sey, anzunehmen. Ohne spitzfindig oder eigensinnig zu seyn, und selbst zugegeben, daß die Komposition vor vierzig Jahren bis zu ihrem Gipfel der [114] Vollkommenheit gelangt gewesen: so kann doch gewiß eine simple Melodie durch die neuere Art den Ton aufzunehmen, den Triller einzuleiten und zu ründen, eine Passagie sowohl als einzelne Noten unmerklicher Weise wachsen und abnehmen zu lassen, und ganz vorzüglich, durch die Mannichfaltigkeit des Vortrags verschönert werden, welche aus der viel verbesserten Lehre vom Bogenstriche entspringt; denn die Spieler der Bogeninstrumente heut zu Tage, wissen ihre Bögen viel besser zu gebrauchen, als einer ihrer Vorgänger seit der ersten Erfindung ihrer Instrumente.

Aber selbst in der besten Lebenszeit des Herrn Quantz schrieen die ältern und bejahrten Musiker schon über die Neuerungen und den Leichtsinn der Jüngern. Und seit Plato’s Zeiten, der damals schon klagte, daß die Musik aus der Art schlüge, kann man keine Periode anführen, in welcher nicht über die verderblichen Neuerungen der Jüngern in der Musik geseufzet worden. Ich besorge, daß solche Dinge, die bloß ein Gegenstand des Geschmacks, der Empfindung und des Gefühls sind, niemals zu einem festen Standpunkt der Vollkommenheit gebracht werden können. In der Mahlerey haben wir die Natur, nach welcher wir kopyiren und urtheilen. In der Dichtkunst, muß gesunde Vernunft und Grammatik beständig dieselbe bleiben, obgleich Moden in die Sprachen eingeführt werden, und die neuesten und durch gemeinen [115] meinen Gebrauch am wenigsten verunedelten Worte die besten sind.

Was die Simplicität in der Musik betrift, so giebt es darin Stuffen, welche an Trockenheit, Plumpheit und Gemeinheit gränzen; und diese zu vermeiden muß das Bestreben eines jeden Komponisten seyn. Indessen möchten einige, welche von sich sagen, daß sie die Simplicität lieben, die Musik den eigentlichen metrischen Gesetzen der Dichtkunst unterwerfen, und die Melodie nach den langen und kurzen Silben ausmessen; welche über jede Silbe nicht mehr als eine Note, noch dieser Note eine längre Dauer erlauben wollen, als der poetische Rythmus erfodert. Allein was würde aus der Vokalmusik, wenn man ihnen folgen wollte, anders herauskommen, als ein blosses Recitativ, das keinen Menschen rührte! Die Menschen sind immer die zuverlässigsten Richter ihres eignen Vergnügens; und es ist natürlich zu glauben, daß wenn eine neue Gattung von Komposition oder von Sing- oder Spielart dem feinern Theile derselben durchgehends gefällt, solche mehr Reizendes und Anziehendes an sich haben muß, als die andre, wogegen solche vertauscht worden. Indessen werden Eigensinn, Eitelkeit und die Liebe zum Besondern an der einen Seite, und Steifköpfigkeit, Stolz und Vorurtheile an der andern, es beständig schwer machen, die verschiedenen Sekten zu vereinigen, oder eine [116] grade Linie zwischen dem Wahren und Falschen zu ziehen.

Herr Quantz erzählte mir, daß das erste Concert, welches der König gestern Abend gespielt, vor zwanzig Jahren gemacht worden, und die andern beyden schon vor vierzig. Wenn man dieses, und zugleich das grosse Verlangen eines jeden Komponisten in Erwägung zieht, sich vor seinen Vorgängern auszuzeichnen; so haben sich diese Concerte sehr gut gehalten. Sie enthielten Züge sowohl von Melodie als Harmonie, welche unverwöhnten Ohren zu allen Zeiten und an allen Orten gefallen müssen.

Ausser den dreyhundert Concerten, welche Se. Majestät nach der Reihe spielt, hat er beynahe eben so viele Solo’s, welche eben auf die Art an die Reihe kommen. Ein hundert ungefehr davon hat der König selbst gemacht, und die Uebrigen sind vom Herrn Quantz.

Herr Quantz und sein königlicher Scholar haben an ihren Flöten zwey Disklappen, und durch diese, und vermittelst eines beweglichen Korks in dem Oberstücke können sie, wie Herr Quantz sagt, allen Unvollkommenheiten des Instruments, in Ansehung der falschen Temperatur, abhelfen.

[117] Im Jahr 1754 setzte Herr Quantz seinen Lebenslauf in deutscher Sprache auf, welchen Herr Marpurg in das dritte Stück des ersten Bandes seiner historisch-kritischen Beyträge zur Aufnahme der Musik eingerückt hat; und weil in demselben verschiedene Umstände vorkommen, welche sowohl die Musik überhaupt, als ihn angehen: so will ich meinen Lesern keine Entschuldigung darüber sagen, daß ich einen Auszug daraus mache und mit solchen Nachrichten verbinde, die ich aus des Verfassers eignen Munde vernommen habe.

Johann Joachim Quantz, ward 1697 in Oberscheden, einem hanövrischen, zwischen Göttingen und Minden gelegenem Dorfe, gebohren. Sein Vater, ein Hufschmidt, ließ ihm ehe er noch neun Jahr alt war, mit dem Hammer zum Ambos treten; dies muß ihm sehr früh Gelegenheit gegeben haben, das berühmte pythagorische Experiment zu machen, dessen Jamblicus, de vit. Pythag. und alle musikalische Schriftsteller des Alterthums erwähnen. In der That war das Gehör unsers Ardalus[3] schon durch die kleinen Landreisen gebildet, die er mit seinem Bruder auf die Dörfer zu thun pflegte, als er kaum acht Jahr alt war, und denselben bey den Freudenfesten [118] der Bauern, als ein kleiner Dorfmusikant mit der deutschen Baßgeige begleiten mußte, ohne noch eine Note zu kennen. Allein diese Musik, so schlecht sie war, gefiel ihm dermassen, daß er nichts anders, als ein Musikus werden wollte, ob ihm gleich sein Vater, der schon starb, als er erst zehn Jahr alt war, noch auf dem Todtbette empfahl, er sollte bey dem ehrlichen Handwerke seiner Vorfahren bleiben.

Quantz, als er seinen Vater verlohren hatte, hatte keine andre Freunde auf deren Schutz und Beystand er rechnen konnte, als zwey Brüder seines Vaters; einer war ein Schneider, und der andre Hof- und Stadtmusikus in Merseburg, beyde erbothen sich, ihn zu sich zu nehmen, und ihre Profession zu lehren.

Bey dieser Gelegenheit überwand die Neigung des jungen Quantz zur Musik alle andre Betrachtungen. Er zog den Fidelbogen, der Scheere, und selbst dem Studiren vor, wozu ihm eine Tante, die an einen Prediger in Lautereck verheyrathet war, behülflich seyn wollte, und gab sich bey seinem Oheim, dem Stadtmusikanten auf fünf Jahre in die Lehre. Als dieser aber drey Monate darauf starb, kam er zu dessen Nachfolger und nachmahligen Schwiegersohne, mit Namen Fleischhack. Das erste Instrument, was er hier lernen mußte, war die Violine, zu welchem [119] Instrumente er auch damals die meiste Lust hatte. Indessen lernte er bald darauf auf der Hoboe und Trompete, denen er seine Lehrjahre über nächst der Violine, die meiste Zeit widmete. Da aber ein wahrer kunstmässiger Musikantengeselle in Deutschland auf allen Instrumenten muß mitmachen können: so wurde er auch mit den andern, als Posaune, Zinken, Waldhorn, flöte a bec, deutsche Baßgeige, Violonschell, Viola da Gamba, und wer weiß mit wie vielen mehren nicht verschont[H 6]. Zu seinem Vergnügen aber nahm er einigen Unterricht von einem seiner Anverwandten, Kiesewetter, der ein Organist war; bey diesem legte er den ersten Grund zu seiner Kenntniß der Harmonie und Lust zur Komposition.

Zum Glück für Quantz war sein Lehrherr Fleischhack keiner von den gewöhnlichen Stadtmusikanten, die sich mit den geerbten, trocknen, steifen und geschmacklosen Musikalien behelfen; sondern wußte gute Stücke zu wählen, und schafte [120] sich die besten und neuesten Sachen an, die damals von Telemann, M. Hofmann, Heinichen und andern heraus kamen. Aus dem Spielen und Durchsehen dieser Kompositions zog unser junger Musikus vielen Nutzen.

Die herzogliche Kapelle in Merseburg war damals nicht sonderlich zahlreich, und also mußten die Kunstpfeiffer oft die Musiken bey Hofe und in der Kirche verstärken. Hier hörte Quantz oft fremde Sänger und Instrumentisten, die ihm ganz anders däuchteten, als was er vorher gehört hatte, und bey ihm eine grosse Begierde zum Reisen erweckten. Dresden und Berlin waren damals in Deutschland am berühmtesten wegen der Musik. Er wünschte herzlich eine von beyden Städten besuchen zu können, wußte aber nicht, wie ers angreifen sollte, hinzukommen. Indessen fieng er endlich an seine Kräfte zu fühlen, und voller Vertrauen auf seine Füsse und auf seine Geige, machte er sich herzhaft auf den Weg nach Dresden.

Es war im Jahr 1714 als er in dieser Stadt ankam. Der erste Anfang hier versprach ihm nicht viel Glück, denn er konnte gar keine Condition bekommen. Er machte sich also wieder auf den Weg nach Radeburg, woselbst dem Stadtmusikanten Knoll ein Geselle abging, dessen Platz er erhielt. Aber auch diese Stelle mußte er bald [121] wieder aufgeben, weil das Städtchen vom Blitze gezündet wurde und glänzlich abbrante. Auf Zureden seines armen abgebrannten Principals ging er nach Pirna, zu dem Stadtmusikus Schalle, dem ein Geselle krank geworden war. Um diese Zeit bekam er zuerst die vivaldischen Violinconcerte zu sehen, welche so sehr seinen eignen Empfindungen und Begriffen von der Vollkommenheit entsprachen, daß er besonders ihre prächtigen Ritornellen in der Folge zu einem Muster nahm.

Da er immer Dresden als den vortheilhaftesten Ort für seine Neigung betrachtete, zog er die Condition eines Gesellen, die ihm der dasige Stadtmusikus Heime anbot, verschiedenen vortheilhaften Anerbietungen vor. Er wollte lieber als Stadtmusikantengeselle in Dresden sein Brodt kümmerlich verdienen und dabey die Gelegenheit wahrnehmen, gute Musik und Musiker zu hören, als in Bernburg in einer schlechten Hofmusik der Beste seyn, selbst bey einem angebotenen Gehalte, das seine Erwartung überstieg.

Seine zweyte Ankunft in Dresden war im Jahr 1716; und hier entdeckte er bald, daß zu einem guten Musiker mehr erfodert werde, als blos die Noten so wegzuspielen, wie sie der Komponist hingeschrieben hat; und hier lernte er zum Erstenmale fühlen, was Geschmack und Vortrag heisse.

[122] August der Zweyte war damals König in Pohlen und Churfürst zu Sachsen, und das Orchester dieses Herrn war damals zu Dresden in grossem Flor. Indessen war der Styl, den der zeitige Concertmeister Volümier eingeführt hatte, französisch. Pisendel, der ihm in seiner Stelle folgte, führte einen andern ein, der aus dem Französischen und Italiänischen vermischt war, welchen er mit der Zeit zu einer solchen Vollkommenheit brachte, daß Quantz bezeuget, er habe auf allen seinen Reisen kein besser Orchester angetroffen.

Keine Kapelle in Europa konnte so viele grosse Virtuosen aufweisen, als damals die Churfürstlich Sächsische. Es befanden sich darunter, Pisendel und Veracini auf der Violine; Pantalon Hebonstreit, auf dem Pantalon; Weiß auf der Laute; Richter auf der Hoboe, und Büssardin auf der Flöte, nicht zu gedenken mancher andern vortreflichen Violonschellisten, Bassonisten, Waldhornisten und Contraviolonisten.

Als Quantz diese grossen Leute hörte, kam er dergestalt ausser sich vor Verwunderung, und fühlt einen so heftigen Trieb, auch was Rechtes zu lernen, daß er ohn Unterlaß arbeitete, um sich einer Stelle unter so berühmten Personen würdig zu machen.

[123] Denn ein so günstiges Vorurtheil er auch für die zunftmässige Kunstpfeifferprofession bis dahin gehabt haben mochte: so fing er doch nunmehro an, es für möglich zu halten, daß man ihn bereden könnte, wenigstens das Tanzspielen an den Nagel zu hängen, so lustig es auch auf Hochzeiten dabey hergehen möchte.

Nichts destoweniger versah er hier seine Gesellendienste noch immerfort, bis im folgenden Jahr die Mutter des Königs starb, und er wegen der Landtrauer abermal den Wanderstab ergreifen mußte, und durch Schlesien, Mähren und Oesterreich von einem Orte zum andern auf die Kunst bis nach Wien reisete. Im October eben dieses Jahrs 1717 kam er über Prag wieder nach Dresden; und er meynte, wenn er ja auf dieser Reise etwas gelernt habe, so sey es bloß in der praktischen Geographie gewesen.

Kurz nach seiner Zurückkunft fiel das Jubelfest der Reformation durch D. Luther ein, und Quantz bekam in der Kirche etwas concertirendes auf der Trompete zu blasen, welches der Kapellmeister Schmidt anhörte, und dadurch bewogen ward, ihm das Anerbieten zu thun: er wolle es bey dem Könige dahin bringen, daß er ihn nach Trompetergebrauche ordentlich lehren liesse, damit er hernach in königliche Dienste, als Hoftrompeter, aufgenommen werden könnte. Quantz aber, so herzlich [124] gerne er auch eine Stelle am Hofe gehabt hätte, lehnte doch dieses Anerbieten von sich ab; weil er wohl wußte, daß der gute Geschmack, nach dem er strebte, auf diesem Instrumente nicht zu erwerben wäre; wenigstens wie es damals in Dresden traktirt ward.

Im Jahr 1718 ward die königliche, sogenannte pohlnische Kapelle errichtet. Sie sollte aus zwölf Personen bestehen; eilf waren schon angenommen, und es fehlte nur noch ein Hoboist. Nachdem er seine Probe geblasen, war er so glücklich von dem Direktor derselben, Baron von Seyfertiz, angenommen zu werden. Sein jährliches Gehalt war 150 Reichsthaler und frey Quartier in Pohlen.

Dieses war ein wichtiger Zeitpunkt in seinem Leben und in seiner Kunstübung. Die Violine, die bisher sein Hauptinstrument gewesen, ward nun bey Seite gelegt, und dafür die Hoboe zur Hand genommen; worauf er gleichwohl verhindert ward, sich hervorzuthun, weil er Cammeraden hatte, die älter im Dienste waren, als er. Mißvergnügt über diesen Umstand, fing er mit allen Ernste an, die Flöte zu üben, auf welcher er schon für sich selbst einen Anfang gemacht hatte. Seine Hauptursache aber, warum er solche itzt wieder vornahm, war die Gewißheit, daß er keinen starken Mitwerber in des Königs Kapelle [125] hatte, weil der erste Flötenist, Friese, sich eben nicht viel aus seiner Kunst machte, und ihm gerne seinen Platz überließ.

Um auf einem sichern Grund zu bauen, nahm Quantz um diese Zeit Unterricht bey dem berühmten Büffardin, von dem er aber eigentlich nur Allegro’s spielen lernte, worin die vorzügliche Stärke seines Meisters bestund, und hiermit war er in vier Monaten fertig. Damals waren solche Stücke, die ausdrücklich für die Flöte gesetzt waren, noch sehr rar; die Flötenspieler mußten sich also so gut helfen, als sie konnten, und Hoboen oder Violinsachen für ihr Instrument einzurichten suchen.

Dies bewog Quantz für sich selbst Flötenstücke zu setzen. Bis dahin hatte er noch keinen ordentlichen Unterricht im Contrapunkte gehabt; er sahe sich also genöthigt, das, was er zu Papiere gebracht hatte, von andern durchsehen zu lassen. Der Kapellmeister Schmidt hatte ihm versprochen, ihn die Komposition zu lehren; schob aber von einer Zeit zur andern auf, sein Wort zu halten, und Quantz wollte sich nicht gerne an Heinchen, dessen Collegen, wenden, aus Besorgniß, Schmidt möchte es ihm übel nehmen, weil diese beyden Meister über den Fuß gespannt waren. Unterdessen also, aus Mangel einer andern Hülfe, studirte er fleissig in den Partituren grosser Meister, [126] und ohne sie zu bestehlen, bemühte er sich ihre Art in Zusammensetzung der Stimmen bey Trios und Concerten nachzuahmen.

Um diese Zeit hatte er das Glück mit Pisendel, der an Volümiers Stelle Concertmeister geworden war, in Bekanntschaft zu kommen. Quantz ist sehr warm im Lobe dieses Mannes, den er einen gründlichen Theoretiker, einen grossen Spieler und einen wahrhaftig rechtschaffnen Mann nennt. Von diesem Concertmeister lernte er Adagio’s vortragen, und vielstimmig komponiren. Pisendel hatte in seiner Jugend von dem berühmten Pistocchi singen gelernt, und hernach für die Violine Unterricht von Torelli gehabt. Er hatte Frankreich und Italien durchgereiset, hatte das, was eine jede von diesen Nationen vorzüglich Gutes im Geschmack hatte, gemerkt, und dergestalt mit einander verbunden, daß er eine dritte Gattung, oder vermischten Styl im Spielen und Schreiben daraus bildete. Diesem Beyspiele ist Quantz gefolget, und sagt, daß er diesen zusammengesetzten Styl allemal dem Nationalstyle seiner Landsleute vorgezogen hat.

Bey der Vermählungsfeyer des Churprinzen 1719, wurden in Dresden verschiedene italiänische Opern aufgeführt. Man berufte dazu den berühmten venetianischen Kapellmeister Lotti, mit den grössesten Sängern und Sängerinnen. Dieses [127] waren die ersten Opern, die Quantz hörte, und er gesteht, daß ihm solche eine sehr vortheilhafte Idee von dem ächten und wahren italiänischen Geschmacke beybrachten, wovon sich nach seiner Meinung, die spätern Italiäner zu sehr entfernt haben.

Die vornehmsten Sänger in diesen Opern waren: Senesino, Berselli, die Santa Stella, welche mit Lotti verheyrathet war, die Vittoria Tesi, die Durestanti und die Faustina.[H 7] Herr Quantz charakterisirt einige davon so richtig und meisterhaft, daß ich ihm genauer folgen werde, als ich bis hieher gethan habe.

Franceso Bernardi, genannt Senesino, hatte eine durchdringende, helle, egale und angenehme Contraltstimme,[4] eine reine Intonation [128] und schönen Triller. Seine Art zu singen war meisterhaft, und sein Vortrag vollständig. Das Adagio überhäufte er eben nicht zu viel mit willkürlichen Auszierungen: dagegen brachte er die wesentlichen Manieren mit der grössesten Feinigkeit heraus. Das Allegro sang er mit vielem Feuer, und wußte die laufenden Passagien mit der Brust, in einer ziemlichen Geschwindigkeit, auf eine angenehme Art herauszustossen. Seine Gestalt war fürs Theater sehr vortheilhaft, und die Aktion natürlich. Die Rolle eines Helden kleidete ihm besser, als die Rolle eines Liebhabers.

Matteo Berselli hatte eine angenehme, doch etwas dünne, hohe Sopranstimme, deren Umfang sich vom eingestrichnen C bis zum dreygestrichnen F mit der grössesten Leichtigkeit erstreckte. Hierdurch setzte er die Zuhörer mehr in Verwundrung, als durch die Kunst des Singens. Im Adagio zeigte er wenig Affekt, und im Allegro ließ er sich nicht viel in Passagien ein. Seine Gestalt war nicht widrig, die Aktion aber auch nicht feurig.

Santa Stella Lotti hat eine völlige, starke Sopranstimme, gute Intonation und guten Triller. [129] Die hohen Töne machten ihr wenig Mühe. Das Adagio war ihre Stärke. Das sogenannte Temporubato hab’ ich von ihr zum Erstenmale gehört, sagt Quanz. Sie machte auf dem Theater eine sehr gute Figur, und ihre Aktion, besonders in erhabnen Charakteren, war unverbesserlich.

Vittoria Tesi hatte von Natur eine männlich starke Contraltstimme. Im Jahr 1719. zu Dresden sang sie mehrentheils solche Arien, als man für Bassisten zu setzen pflegt. Nachhero aber hatte sie, ausser dem Prächtigen und Ernsthaften auch eine angenehme Schmeicheley im Singen angenommen. Der Umfang ihrer Stimme war ausserordentlich weitläufig. Viele Passagien war eben nicht ihr Werk. Durch die Aktion aber die Zuschauer einzunehmen, dazu schien sie gebohren zu seyn; vorzüglich in Mannsrollen; als welche sie, zu ihrem Vortheile, fast am natürlichsten ausführte.[5]

Aber wieder zu Quantzens Lebensgeschichte. Nachdem er die Talente der Sänger und Sängerinnen beschrieben hat, berichtet er uns, daß diese vortrefliche Operngesellschaft durch einen Zank getrennt worden, der zwischen Heinchen, des Königs Kapellmeister, und Senesino, aus trotzigem [130] Uebermuth des Letzten, entstanden war. Senesino ging in eben diesem Jahre zum Erstenmale nach England.

Von diesem Jahre bis 1723. kommt in seinem Leben eben nichts Merkwürdiges vor. In diesem Jahre aber that er mit Weiß, dem Lautenisten und dem nachherigen Kapellmeister Graun eine Reise nach Prag. Um diese Zeit hatte der Kayser Carl der Sechste zu seiner Krönung, als König von Böhmen, die meisten berühmten Virtuosen aus Europa nach Prag verschreiben lassen. Die Geschichte hat keine glänzendere Begebenheit für die Musik aufzuweisen, als diese Feyerlichkeit, noch ein ähnliches Beyspiel, da so viele grosse Meister irgend einer Kunst auf einmal an einem Orte versammlet gewesen.

Bey dieser Gelegenheit ward eine Oper in der freyen Luft aufgeführt, worin hundert Personen sungen und auf zweyhundert spielten. Unter den vornehmsten Sängern war keiner der nur mittelmässig gewesen wäre. Die Mannsrollen waren besetzt mit Orsini, Domenico, Carestini, Gassati, Borosini und Braun, ein angenehmer deutscher Baritonist. Die Sängerinnen waren: die beyden Schwestern Ambreville, wovon hernach die eine an den Violonschellisten Peroni, und die andre an den Sänger Borosini verheyrathet worden.

[131] Die Oper hieß: La Costanza e Fortezza, komponirt von Fux, dem alten berühmten Kayserl. Oberkapellmeister. Die Komposition war mehr kirchenmässig als theatralisch, aber sehr prächtig. Das Concertiren und Binden der Violinen gegen einander, welches in den Ritornellen vorkam, ob es gleich grössesten Theils aus Sätzen bestand, die auf dem Papier steif und trocken genug aussehen mochten, that dennoch hier, im Grossen, bey so zahlreicher Besetzung und in freyer Luft eine sehr gute, ja viel bessere Wirkung, als ein galanterer, mit vielen kleinen Figuren und geschwinden Noten gezierter Gesang, in diesem Falle, gethan haben würde.

Die Chöre dienten nach französischer Art zugleich zu Balletten. Der Kapellmeister Caldara gab den Tackt; Fux selbst aber hatte das Podagra; der Kayser hatte ihn also von Wien in einer Sänfte hertragen lassen, und erhörte seine Musik, nicht weit vom Kayser sitzend, mit an.

Da es die hier versammleten Sänger waren, nach welchen Benda seinen Styl gebildet, und da mir sowohl die beyden Bezozzi’s zu Turin, als andre, die dabey gewesen sind, gesagt haben, daß ihre Singart alle übrige ihrer Zeitgenossen übertroffen habe; so will ich hier den Charakter dieser Sänger für diejenigen Leser hersetzen, welche solche nicht gehört haben.

[132] Gaetano Orsini, war einer der grössesten Sänger die jemals gelebt; hatte eine schöne, egale und rührende Contraltstimme von einem nicht geringen Umfange; eine reine Intonation, schönen Triller und ungemein reizenden Vortrag. Im Allegro artikulierte er die Passagien, besonders die Triolen mit der Brust, sehr schön; und im Adagio wußte er, auf eine meisterhafte Art, das Schmeichelnde und Rührende so anzuwenden, daß er sich dadurch der Herzen der Zuhörer im höchsten Grade bemeisterte. Seine Aktion war leidlich, und seine Figur hatte nichts Widriges. Er ist lange Zeit in Kayserl. Diensten gewesen; und hat bey seinem beträchtlichen Alter seine schöne Stimme erhalten. Er starb zu Wien ums Jahr 1750.

Domenico hatte eine der schönsten Sopranstimmen, die man hören konnte. Sie war völlig, durchdringend und rein intonirt. Im übrigen aber sang und agirte er eben nicht mit sonderlicher Lebhaftigkeit.

Pietro Gassate war mehr ein grosser Akteur, als Sänger.

Borosini hatte eine lebhafte und biegsame Tenorstimme.

Braun hatte zwar eine tiefe Stimme, von denen man eben nicht viel Zierlichkeit erwartet; [133] allein er hatte so viel Geschmack und Ausdruck, daß er selbst Adagio’s auf eine angenehme und rührende Art sang.

Giovanni Carestini hatte ein starke und völlige Sopranstimme, welche sich in den folgenden Zeiten nach und nach, in einen der schönsten, stärksten und tiefsten Contralte verwandelte. Als ihn Quantz 1726. im May in Parma hörte, erstreckte sich seine Stimme vom ungestrichnen B ungefehr bis ins dreygestrichne C. Er hatte eine grosse Fertigkeit in den Passagien, die er, der guten Schule des Bernacchi gemäß, so wie Farinello, mit der Brust stieß. In willkürlichen Veränderungen unternahm er sehr Vieles, meistentheils mit gutem Erfolg, doch auch zuweilen bis zur Ausschweifung. Seine Aktion war sehr gut, und so, wie sein Singen, feurig. Nach der Zeit hat er im Adagio noch sehr zugenommen. Er ist über dreissig Jahr mit vielem Ruhme auf der Bühne geblieben; 1735. war er in England, und 1750. ging er nach Berlin, woselbst er bis 1755. im Dienste blieb, und sich alsdann nach Italien in Ruhe begab, wo er bald darauf starb.

Herr Quantz ging kurz darauf, als er in Prag bey dieser Feyerlichkeit gewesen war, im Gefolge des Grafen von Lagnasco, mit Königl. Einwilligung nach Italien. Er verließ Dresden im May 1724, und als er in Rom angelangt war, [134] fand er, daß eben Vivaldi den lombardischen Geschmack durch eine seiner Opern in Rom eingeführt hatte, und daß die Einwohner dergestalt dafür eingenommen waren, daß sie fast nichts hören mochten, was diesem Geschmacke nicht ähnlich war.

Während seines Aufenthalts in Rom nahm er von dem berühmten Gasparini Unterricht im Contrapunkte. Dieser Meister war damals 72 Jahr alt, und seine Rechtschaffenheit und sein gutes Herz scheinen einen eben so tiefen Eindruck auf Herrn Quantz gemacht zu haben, als seine Wissenschaft in der Musik.

Seine Cantaten und Opern, deren kein Komponist seiner Zeit, Aless. Scarlatti ausgenommen, mehr geschrieben hatte als er, wurden im Anfange dieses Jahrhunderts ungemein hoch geschätzet. Herr Quantz schreibt ihm die Erfindung des mit Instrumenten begleiteten Recitativs zu. Er hat fünf und zwanzig Opern für das Theater zu Venedig gesetzt; und unter seinen gelehrten Kompositionen befindet sich eine vierstimmige Messe, die aus lauter Canons besteht, und sehr hoch geschätzt wird.

Nachdem Herr Quantz sechs Monate den Contrapunkt studirt hatte, den er Augenmusik nennt, fing er an fürs Ohr zu arbeiten, und komponirte [135] Solos, Duette, Trios und Concerte. Ungeachtet, bekennt Herr Quantz, daß der Contrapunkt beym Setzen vielstimmiger Sachen seine guten Dienste thut, mußte er doch in der Praxis vieles von dem wieder ablegen, was er in der Theorie gelernt hatte, um nicht in das Steife und Trockne zu verfallen, welches gemeiniglich mit den künstlichsten Contrapunkten verbunden ist. Bey dieser Gelegenheit macht er die sehr gründliche Anmerkung, daß Erfindung das Hauptsächlichste ist, worauf ein Komponist zu sehen hat, und daß er dabey immer[WS 1] sein Augenmerk auf das Gleichgewicht zwischen Harmonie und Melodie richten müsse.

Im Jahr 1725. ging er nach Neapolis, woselbst er seinen Landsmann Hasse antraf, der damals unter Aless. Scarlatti studirte. Bis dahin hatte sich Hasse noch durch keine Komposition fürs Theater hervorgethan. Es war aber um diese Zeit, daß ein angesehener neapolitanischer Banquier eine zweystimmige Serenate bey ihm komponiren ließ, bey deren Aufführung Quantz zugegen war. Sie ward von Farinello und der Tesi gesungen. Hasse gewann durch diese Serenate so viel Beyfall, daß sie ihm den Weg zu seinem nachherigen Ruhme bahnte; denn ihm ward kurz darnach die Verfertigung der Oper für das Königl. Theater aufgetragen.

Quantz ersuchte Herrn Hasse, ihn mit seinem Meister, dem alten Scarlatti bekannt zu machen, [136] wozu er auch gleich bereit war; allein er, Hasse, bekam zur Antwort: „Mein Sohn, Sie wissen, daß ich die blasenden Instrumente nicht leiden kann; denn sie blasen alle falsch!“ Dem ungeachtet ließ Hasse nicht ab, dem Alten so lange anzuliegen, bis er die Erlaubniß erhalten, die er suchte.

Bey dem ersten Besuche, den er bey Scarlatti machte, sagt Herr Quantz, habe er Gelegenheit gehabt, ihn auf dem Flügel zu hören, worauf er auf eine sehr gelehrte Art, obgleich nicht mit so vieler Fertigkeit spielte, als sein Sohn, Mimo Scarlatti, den er zu Rom gehört hatte.

Ehe er von Neapolis abreisete, wohnte er verschiedenen Concerten bey, welche dem Fürst von Lichtenstein zu Ehren, von den Grössesten des Landes angestellt wurden, und worin sich ausser Hassen auch noch Farinello, die Tesi und Francischello hören liessen.

Anno 1726 war er zu Venedig, als die beyden Opern, Siface von Porpora, und Siroe von Vinci um den Vorzug stritten. Die Letzte fand den meisten Beyfall. Der Cavalier Nicolini, ein Contralt, die Romanina eine tiefe Sopranistinn und der berühmte Tenorist Geov. Paita, machten den Schimmer des Schauspiels.

[137] San Martino, der grosse Hoboespieler, der sich nachmals in London niederließ, war eben zu Venedig, wie auch Vivaldi.

Zu Turin lernte er Herrn Somis kennen, bey welchem eben le Clair die Violine studirte.

Von Turin ging er nach Paris, und dieses hieß in Ansehung der Musik von einem Aeussersten ins andre, von der Mannichfaltigkeit ins Einförmige versetzt werden.

„Ungeachtet, sagt Herr Quantz, mir der französische Geschmack eben nicht unbekannt war, und ich ihre Art zu spielen sehr wohl leiden konnte: so gefielen mir doch in ihren Opern, weder die aufgewärmten und abgenutzten Gedanken ihrer Komponisten, und der geringe Unterschied zwischen Recitativ und Arien; noch das übertriebene und affektirte Geheul ihrer Sänger und besonders ihrer Sängerinnen.“

Herr Quantz war der Erste, der eine zwote Klappe an seiner Flöte anbrachte, um ihren Unvollkommenheiten abzuhelfen; und im Jahr 1726 kam er zuerst auf diesen Gedanken.

Im Jahr 1727 kam er nach London, woselbst er die Oper unter Händels Direktion in einem sehr blühenden Zustande fand. Die damalige [138] neueste Oper von Händel, war Admetus, deren Musik Herr Quantz prächtig nennt. Senesino sang die erste Mannsrolle und die Cuzzoni und Faustina waren die ersten Sängerinnen.

Quantz scheint in seinem Urtheile über diese beyden Wetteiferinnen, ganz frey von dem Partheygeiste zu seyn, der damals über das Londoner Publikum wüthete; und daher will ich solches meinen jüngern Lesern zum Gefallen hersetzen.

Die Cuzzoni hatte eine sehr angenehme und helle Soprastimme, eine reine Intonation und schönen Triller. Der Umfang ihrer Stimme erstreckte sich vom eingestrichnen C bis ins dreygestrichne C. Ihre Art zu singen war unschuldig und rührend. Ihre Auszierungen schienen wegen ihres netten, angenehmen und leichten Vortrags nicht künstlich zu seyn: indessen nahm sie durch die Zärtlichkeit desselben doch alle Zuhörer ein. Im Allegro hatte sie bey den Passagien eben nicht die größte Fertigkeit; doch sang sie solche sehr rund, nett, und gefällig. In der Aktion war sie etwas kaltsinnig; und ihre Figur war für das Theater nicht allzu vortheilhaft.

Die Faustina hatte eine zwar nicht allzu helle, doch aber durchdringende Mezzosopranstimme, deren Umfang sich damals vom ungestrichnen B nicht viel über das zweygestrichne G erstreckte, [139] nach der Zeit aber sich noch mit ein paar Tönen in der Tiefe vermehrt hat. Ihre Art zu singen war ausdrückend und Brillant, (un Cantar granito.) Sie hatte eine geläufige Zunge, Worte geschwind hintereinander und doch deutlich auszusprechen, eine sehr geschickte Kehle, und einen schönen und sehr fertigen Triller, welchen sie mit der größten Leichtigkeit, wie und wo sie wollte, anbringen konnte. Die Passagien mochten laufend oder springend gesetzt seyn, oder aus vielen geschwinden Noten auf einem Tone nach einander bestehen, so wußte sie solche in der möglichsten Geschwindigkeit, so geschickt herauszustossen, als sie immer auf einem Instrumente vorgetragen werden können. Sie ist unstreitig die Erste, welche die gedachten, aus vielen Noten auf einem Tone bestehenden Passagien, im Singen, und zwar mit dem besten Erfolge, angebracht hat. Die Adagio’s sang sie mit vielem Affekt und Ausdruck, nur mußte keine allzutraurige Leidenschaft, die durch schleifende Noten, oder ein beständiges Tragen der Stimme ausgedruckt werden kann, darinne herrschen. Sie hatte ein gutes Gedächtniß in den willkührlichen Veränderungen, und eine scharfe Beurtheilungskraft, den Worten, welche sie mit der grössesten Deutlichkeit vortrug, ihren gehörigen Nachdruck zu geben. In der Aktion war sie besonders stark; und weil sie der Vorstellungskunst, oder, mit Mattheson zu reden, der Hypokritik, in einem hohen Grade mächtig war, [140] und nach Gefallen, was für Mienen sie nur wollte, annehmen konnte: kleideten sie sowohl die ernsthaften, als verliebten und zärtlichen Rollen gleich gut. Mit einem Worte, sie war zum Singen und Agiren gebohren.

Die Partheyen für die Eine von diesen beyden Sängeringen waren allemal heftig gegen die Andre, und das ging soweit, daß die Eine allzeit zischte, wenn die Andre klatschte, und endlich deswegen die Opern in London auf einige Zeit eingestellt werden mußten.

Wenn die Opernsänger damals keine Feinde ihres eignen Vergnügens gewesen wären, so hätten sie, da die Vorzüge dieser beyden Sängerinnen von so deutlich unterschiedener Art waren, beyden nach einander Beyfall schenken, und von ihren verschiedenen Vollkommenheiten, nach einander, ein gleiches Vergnügen schöpfen können.

Es ist ein Unglück für solche billige Menschen, welche Vernügen von Talenten suchen, bey wem sie solche auch finden mögen, daß diese Faustrechtskämpfe alle nachfolgende Opernentreprenneurs abgeschreckt haben, jemals zugleich zwey Sänger oder Sängerinnen kommen zu lassen, deren Vorzüge unausgemacht wären.

[141] Da der Wunsch sehr natürlich ist, zu wissen, was Fremde von unserm Lande denken, so will ich Herrn Quantz noch ein wenig weiter in dem Berichte folgen, den er von dem Zustande der Musik in London giebt, als er dort gewesen.

Das Orchester in der Oper bestund grössestentheils aus Deutschen, mit ein paar Italiänern und zwey oder drey Engländern; Castrucci führte es an, und unter Händels Direktion ging alles gut.

Die zwote Oper, die Quantz in London hörte, war von Buononcini; sie fand aber nicht so viel Beyfall, als die andre; denn „Händels Grundstimme,“ sagt Quantz, „überwog Buononcinis Oberstimme.“

Damals waren Artilio und Tosi in London, woselbst sich eben nicht viele Solospieler befanden. Die vornehmsten darunter waren: Händel auf dem Flügel; Geminiani, ein grosser Geiger; Debur, sein Scholar, ein Engländer, ein sehr gefälliger Violinist; die beyden Brüder Castrussi waren leidliche Solospieler; Maura d’ Alaia, welcher in Gesellschaft der Faustina nach England gekommen, war ein guter Violinist, und braver Anführer; sein Spielen war sehr brillant und deutlich, in ausserordentliche Schwierigkeiten aber ließ er sich nicht ein. Die Flötenisten waren: [142] Wiedemann ein Deutscher, und Festing ein Engländer.

Herr Quantz sagt, daß er das Glück hatte von vielen vornehmen Familien gut aufgenommen zu werden, welche ihn zu bereden suchten, ganz in England zu bleiben. Selbst Händel rieth ihm dazu; Lady Pembroke eine Kennerinn und Beförderinn der Musik, wollte ein Benefit für ihn anstellen, und Baron Bothmar wollte sein Bestes dabey besorgen, allein er verbat es; denn er glaubte, es sey nicht schicklich, sich öffentlich hören zu lassen, ehe er nicht dem Könige, seinen Herrn, die ersten Früchte seiner Reise geopfert habe.

Bey seiner Zurückkunft in Dresden, ward er in die sächsische Kapelle, mit 250 Thalern Zulage aufgenommen. Nunmehr legte er die Hoboe gänzlich beyseite, weil ihr Ansatz dem Ansatze auf der Flöte, die er itzt zu seinem alleinigen Instrumente machte, gänzlich zuwider ist.

Im Jahr 1728 reisete er im Gefolge des Königs, mit dem Baron von Seyfertitz nach Berlin, woselbst er auf Verlangen der Königinn von Preussen, mit Erlaubniß des Königs seines Herrn, einige Monate verbleiben mußte. Pisendel, Weiß und Büffardin, wurden gleichfalls auf Befehl dahin gerufen. Nachdem er sich einigemal vor der Königinn hatte hören lassen, wurden [143] ihm Ihre Dienste, mit 800 Thalern Gehalt angeboten. Er hätte beydes gern angenommen, der König sein Herr aber wollte nicht darein willigen. Indessen bekam er von demselben die Erlaubniß, so oft nach Berlin zu gehen, als er verlangt werden möchte.

In eben diesem 1728sten Jahre entschloß sich der damalige Kronprinz, itzt regierender König von Preussen, die Flöte spielen zu lernen, und Herr Quantz hatte die Ehre, denselben zu unterrichten. Zu diesem Ende mußte er alle Jahre zweymal nach Berlin, Ruppin oder Reinsberg gehen.

Als 1733 August der Dritte nach seines Vaters Tode den pohlnischen Thron bestiegen, wollte er Quantzens ebenfalls nicht fahren lassen, sondern erhöhete lieber seinen Gehalt bis auf 800 Thaler, und bestätigte dabey die obengemeldete Erlaubniß, so oft als erforderlich nach Berlin zu reisen.

Im Jahr 1734 gab er seine ersten sechs Solos heraus. Er bekennt sich aber nicht zu den andern Sonaten, die vorher schon in Holland unter seinem Namen herausgekommen waren.

Wegen Mangel an guten Flöten fieng Herr Quantz 1739 selbst an, welche zu bohren und abzustimmen. [144] Ein Unternehmen, welches ihm in der Folge Geld eingetragen hat.

Am Ende des 1741 Jahres wurden ihm von Sr. Majestät in Preussen abermals Dienste, unter sehr vortheilhaften Bedingungen, angeboten. Zwey tausend Thaler jährliche Besoldung auf Lebenszeit; ausserdem eine besondre Bezahlung für seine Komposition; hundert Dukaten für jede Flöte, die er liefern würde; die Freyheit, nicht im Orchester, sondern nur in der königlichen Kammermusik zu spielen, und von Niemand, als des Königs Befehl abzuhangen, verdienten wohl, einen Dienst aufzugeben, wo er solche Vortheile niemals zu hoffen hatte. Und der König von Pohlen, war zu gnädig, sein Glück zu hindern.

Im Jahr 1752 ließ er seinen Versuch einer Anweisung die Flötetraversiere zu spielen, drucken; und um eben diese Zeit erfand er auch bey einer gewissen Gelegenheit, den Aus- und Einschiebekopf an der Flöte, vermittelst dessen man dieselbe, ohne Wechslung der Mittelstücke, und ohne der reinen Stimmung Eintrag zu thun, um einen halben Ton tiefer oder höher machen kann.

Und nunmehro, nachdem wir diesen fleissigen Tonkünstler durch die unruhigen Wege begleitet, auf welchen er zu dem Tempel des Glücks gelangt ist, wollen wir ihn verlassen, und ihm zu dem Genusse [145] der mit Ehren verdienten Bequemlichkeit, diesem Otium cum dignitare, nach welchen ein jeder Künstler bey Jahren und richtigem Verstande trachtet, Glück wünschen!

Von Herrn Quantzen ging ich nach der Parade, und hoffte, daß ich sowohl Kriegsmusik in ihrer höchsten Vollkommenheit hören, als Kriegsübung und Disciplin sehen würde.

Diese Parade zu Potsdam ist auf einem Platze, der mit einem Walle umgeben ist, und kein Fremder wird ohne Erlaubniß des wachthabenden Capitains hinaufgelassen. Was die Musik anbetrift, so bemerkt man hier dieselbe Unveränderlichkeit im Geschmacke, wie bey Hofe; und ich fand nicht, daß die preussischen Märsche, seit dem Antritt der Regierung des itzigen Königs, nur einen Schritt zur Neuheit oder Verbesserung gethan hätten; denn weder die gespielten Stücke, noch die Instrumente, worauf sie gespielt wurden, hatten etwas Vorzügliches. Indessen ist vielleicht der alte Marsch, Tautorrotan, der allerbeste für die Soldaten, um ihren Schritt darnach zu richten.

Als ich umher ging die Hauptgassen und Plätze dieser schönen Stadt zu besehen, welche neu, prächtig, schön gebauet und gepflastert ist, konnt ich mich nicht entbrechen, die Anmerkung zu machen [146] daß die Fußgänger sowohl hier, als in allen europäischen Städten, London ausgenommen, wegen Mangel eines abgesonderten Fußweges[6][H 8] allerley Zufällen von Fuhrwerken und Pferden, und der Grobheit und Brutalität ihrer Reiter und Führer ausgesetzt sind.

Ich weiß nicht, ob es von den Reisebeschreibern bemerkt ist, daß bey der via appia, und andern alten Heerstrassen in Italien, an jeder Seite ein Weg für die Fußgänger abgetheilt war; und als ich Pompeja besucht, woselbst ein ganzer alter römischer Weg ausgegraben worden, habe ich eben dasselbe bemerkt. Ein römischer Bürger, Pratricier oder Plebejer, war ein ehrwürdiger Charakter, und, vielleicht ist itziger Zeit England das einzige Land, worin das gemeine Volk hoch genug geschätzt würd, ums der Mühe werth zu halten, für die Erhaltung seines Lebens und seiner gesunden Gliedmassen zu sorgen.

Ich verließ Potsdam nicht eher, bis ich einen neuen Beweiß von Lord Marshalls Gastfreyheit genossen, und zum Zweytenmale sein Mittagsgast gewesen war. Witz, gute Lebensart und Munterkeit beseelten das Fest. Als ich mich darauf anschickte, nach Berlin zurückzugehen, erhielt ich [147] Bothschaft von dem Herrn Obersten von Forcade, daß ich mich um halb sieben Uhr bey Sr. Hoheit dem Prinz von Preussen zum Abendessen einfinden sollte; und daß er mich beyden königlichen Hoheiten vorstellen würde. Diese hohe und unerwartete Ehre setzte mich in einige Verlegenheit, weil ich alles eingerichtet hatte, noch heute Abend wieder in Berlin zu seyn und einem Concerte beyzuwohnen, wozu man mich eingeladen, und mir gesagt hatte, daß man es meinetwegen so brillant als möglich machen würde. Aus Furcht aber, man möchte mirs auslegen, als ob ich die herablassung des Prinzen nicht hinlänglich zu schätzen wüßte, und theils auch, um die mir aufgetragne Commission wegen der Bücher gehörig auszurichten, entschloß ich mich, hier zu bleiben.

Also ging ich um halb Sieben nach dem Pallaste des Prinzen, woselbst ich Musik zu hören erwartete. Allein es ward bis zur Tafel gespielt und gesprochen. Bey meinem ersten Eintritt ins Gemach hatte ich die Ehre, der Princessinn seiner Gemahlinn vorgestellt zu werden. Sie ist blond, von Wuchs etwas lang und hat den liebenswürdigen Grad von Fleischigkeit, welchen die Franzosen l’embonpoint charmant nennen: und mit einer Person, die unendlich weniger angenehm wäre, als dieser Prinzessinn zu Theile geworden ist, würde ihre ungemein gnädige Leutseligkeit und Herablassung im Reden und Betragen, das [148] Herz eines jeden Menschen fesseln, der das Glück hat, sich ihr zu nähern.

Ihro Königl. Hoheit hatten gehört, daß ich beym Lord Marshal gewesen, und daß ich ein Musikus wäre; und hierüber hatte solche die Gnade eine ziemliche Zeitlang zu sprechen. Die Prinzessinn spielt selbst recht gut das Clavier, wie mich versichert worden, und sie war über die Musik sehr neugierig und gesprächig. Selbst als sie sich zum Spiele gesetzt, war sie so gnädig, mir allerley zu sagen, und endlich fragte sie mich auch, ob ich ihren Bruder gekannt hätte, als er in England gewesen? - Itzt, und nicht ehe, besann ich mich, das Ihro Königl. Hoheit eine gebohrne Prinzessinn von Hessen-Darmstadt wären, und eine Schwester von dem Prinzen aus diesem Hause, welcher voriges Jahr eine Reise durch England gethan, und dem ich in London vorgestellt zu werden die Ehre gehabt hatte.

Unter dieser Zeit wurden ein Prinz von zwey Jahren, und eine Prinzessinn von Einem zu Ihro Hoheit, ihrer Mutter, ins Spielzimmer gebracht; und bald darauf folgte der Prinz von Preussen selbst, dem ich vorgestellt zu werden, die Ehre hatte. Se. Königl. Hoheit sind lang gewachsen, von männlichem, offnem, natürlichem und leutseligem Charakter. Bey Tafel war dieser Prinz so gnädig, mich zu seiner Linken setzen zu lassen, und [149] fast den ganzen Abend mit mir zu sprechen. Er war munter und offen, und schien mit der Verfassung der verschiedenen Reiche in Europa, besonders der Engländischen, sehr bekannt zu seyn. Die Musik hatte auch einen grossen Antheil an der Unterhaltung, und es war leicht zu entdecken, daß Se. Königl. Hoheit der alten Musik und den alten Komponisten nicht völlig so sehr geneigt sind, als Se. Majestät der König.

Anmerkungen

  1. Ich hatte damals nur erst einige Aushängebogen von der Uebersetzung, die hernach in Hamburg heraus kam, zugeschickt erhalten.
  2. Francischello war der grösseste Violonschellist seiner Zeit. Geminiam erzählt von ihm, daß, als er [97] einst zu Rom dem Nicolini eine Cantate auf seinem Instrumente accompagnirte, die Alessandro Scarlatti für die Singstimme und ein obligates Violonschell gesetzt hatte, der Komponist, welcher am Flügel saß, nicht glauben wollte, daß ein Sterblicher so himmlisch schön spielen könnte, sondern sagte, es müßte ein Engel seyn, der Francischello’s Gestalt angenommen hätte. Um so vieles spielte er schöner, als Scarlatti beym Komponiren der Cantate gedacht, oder für möglich gehalten hatte, daß es ein Mensch ausdrücken könnte.
  3. Ardalus war ein Sohn des Vulkans und der Aglaia, einer der Grazien, und der Erfinder der Pfeiffe Tibia genannt.
  4. Herr Quantz nennt sie mezzo soprano, welche selten das zweygestrichne f überstieg. Allein da diese Beschreibung auf die jüngern Jahre des Senesino
  5. Siehe Band 2. pag. 236.
  6. Dieser Mangel einer guten Polizey kostet in Paris jährlich eine Menge Menschen, Gesundheit und Leben.

Anmerkungen (H)

    [128] geht, ehe er nach England gekommen war, so kann man glauben, daß dernach seine Stimme einige von den hohen Tönen verlohren habe; denn in allen Arien, die Händel für ihn gesetzt hat, bleibt er genau in den Gränzen des Contralts.

  1. Der Uebersetzer kannte einen noch lebenden Musikum, welcher allemal bis zum Weinen gerührt wurde, wenn er die Choralmelodie: „O Gott du frommer Gott“ auch ohne Worte und einstimmig, singen oder spielen hörte.
  2. Ohne ganz genau zu sehen, ob es hier der schicklichste Ort sey, muß ich meinem Herzen Luft machen, und bezeugen, daß mich noch kein Violinist so tief gerührt hat, als der vortrefliche Mann, der uns Deutschen eine eigne Spielart geschaffet, und bey seinen Solos und Concerten eine der Musik würdigere Absicht gehabt hat, als dem Spieler Gelegenheit zu geben, seine Fertigkeit in Bogen und Fingern bewundern zu lassen. Als ich ihn 1766. im Julii in Potsdam besuchte, und ihn nicht einmal einen Gruß von einem Freunde zu bringen hatte, war er dennoch so verbindlich und offen im Gespräch, daß ich fast darüber vergaß, daß ich gewünscht hatte, ihn spielen zu hören. Ich war auch wirklich schon aufgestanden, um Abschied zu nehmen, als Herr Benda zu mir sagte, er glaube, ich sey doch wohl zu ihm gekommen, um ihn spielen zu hören, ob ich gleich zu höflich schiene, um es ausdrücklich zu verlangen; er wolle auch gerne meine Neugierde befriedigen, wenn nur einer von seinen Söhnen zu Hause wäre, der ihm accompagniren könnte. Aber da war keiner zu Hause, noch sonst zu finden, und bey einem etwas eigensinnigen oder weniger gefälligen Virtuosen hatte ich meine Reise nach Potsdam vergebens gethan gehabt. Bey ihm hingegen hatte ich schon so viel Zuversicht gewonnen, daß ich ihm sagte, da er doch einmal den gütigen Vorsatz gehabt, zu spielen, so wollte ich eher den Versuch wagen, ihn auf der dortliegenden Bratsche zu accompagniren, als aus Blödigkeit ihn gar nicht zu hören. Auch dieses erhielt ich; und Herr Benda trieb seine Gefälligkeit gegen einen völlig Fremden so weit, als nicht leicht ein anderer gethan haben würde, nemlich, mit Besorgniß vor einem verheerenden Accompagnement, zu spielen. Ein entscheidender Zug seines Herzens; so wie es seine Bescheidenheit beweiset, daß er, als ich ihn im Anfang meines Besuchs Herr Concertmeister nannte, solches von sich ablehnte, und sagte, der König habe ihm diesen Titel nicht beygelegt. - Da ich hoffe, daß Herr Benda dieses Buch lesen wird: so wünsche ich durch diese Note ihn zu überzeugen, daß er als Musikus und als Mensch meinem Herzen ergebne Dankbarkeit und wahre Hochachtung eingeflösset hat.
    Der Uebersetzer.
  3. [305] Eine vollständige Beschreibung wird der Liebhaber im folgenden Werke finden: Description des Palais de Sanssouci, de Potsdam & de Charlottenburg contenent &c.&c. Dresde, chez Walther. 1773. 4.
  4. Er scheint bey seinen Schultern und gigantischen Gliedmaassen ein wahrer Sohn des Herkules zu seyn.
  5. [303] Wer kann hier begreifen, nach welchen Grundsätzen über die Musik geurtheilt werden soll, wenn wahrhaftig gute Sätze und schöne Gedanken eines Genies, das sie vor Jahren zuerst erfand, nun dem Kenner nichts mehr werth seyn solle, weil andre sie nachgeahmt haben? Aber von Quantz insbesondere: ein Mann, [304] den Herr Burney für eins der grössesten deutschen musikalischen Genies hält, der Quantzens Sachen fast 20 Jahr durch gehört hat, behauptet noch itzt, daß Quantz gewiß Genie, und zwar Originalgenie gehabt habe. – Welches Urtheil soll gelten, wenn das Urtheil eines Genies nicht gelten soll, das auch Kenner der Kunst ist? – Daß aber ein Mann, der 300 Stücke einerley Art gemacht hat, sich hie und da wiederholt, das ist kein so grosser Fehler, als das Gegentheit ein Wunder sein würde? Noch Eins, das bey dieser Gelegenheit so schicklich ist, als bey einer andern. Muß der Tonkünstler, der sich original zu seyn fühlt, durchaus alle neue Moden mit machen? Bleibt er dann noch Original oder wird er Nachahmer? Ists erweislich, daß die komische Wendung, welche die Musik genommen hat, durchgehends wahre Verbesserung heissen könne? Ist nicht aus der Instrumentalmusik fast alles Herzrührende heraus? Wo bleibt der wesentliche Unterschied des Ernsthaften und Komischen? Wo sind die Adagio’s, wer kann sie spielen? Wer mischt nicht Lustigkeiten hinein? Wo ist Gesang der Instrumente, besonders auf der Geige herrschend? Oder soll statt der alten steifen Contrapunktkunst nun die buntscheckige Gaucklerkunst das Reich haben? [305] Soll der Komponist also mit der Zeit Schritt halten? Nein, zu rechter Zeit aufhören, das soll er. Das that Quantz nicht. Vielleicht aus andern sehr gültigen Ursachen nicht; und da ers nicht that, so fiel er nicht in den Fehler, daß er Sätze (vielleicht wußte er das nicht, und das kann den Virtuosen, die oft nicht viel Neuigkeiten hören, als ihre eignen, leicht begegnen.) noch wiederholte, als sie schon zu bekannt waren.
  6. Diese Mannichfaltigkeit der Instrumente, womit sich die Lehrlinge bey einem Kunstpfeiffer plagen lassen müssen, hält ein manches sehr musikalisches Genie zurück, etwas Vortrefliches auf einem Instrumente zu leisten. Wenn man nun weiß, daß an vielen Orten Deutschlands die Stadtmusikanten zu allen öffentlichen Musiken ein ausschliessendes Privilegium haben: so hat man Eins von den Hindernissen gefunden, warum die Musik in Deutschland, bey aller Fähigkeit der Deutschen, nicht überall so gut ist, als sie es seyn könnte.
    Der Uebers.
  7. Hier hat Herr Burney wohl durch ein Versehen Hasse für Hesse gelesen. In Quantzens Lebenslaufe steht Frau Hesse eine Deutsche, und Gemahlinn des berühmten Violdagambisten dieses Namens, itzigen Landgräflichen Darmstädtischen Kriegsraths. Dieser Nachsatz hätte den Herrn Doctor schon noch einmal hinsehen lassen sollen: ob es auch würklich Herrn Hassens Gemahlinn, die Faustina, gewesen?
  8. [305] Ein besondrer Fußpfadt ist indessen in vielen deutschen Städten, z.E. in Braunschweig, Hannover, Göttingen u. m.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. statt Vorlage: nimmer – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
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