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Präcision votrug. Seine embouchure war klar und eben, seine Finger brillant und sein Geschmack rein und ungekünstelt; ich war sehr erfreut, und sogar erstaunt, über die Nettigkeit seines Vortrags, in den Allegro’s sowohl, als über seinen empfindungsvollen Ausdruck in den Adagio’s. Kurz, sein Spielen übertraf in manchen Puncten alles, was ich bisher unter Liebhabern, oder selbst von Flötenisten von Profession gehört hatte. Se. Majestät spielten drey lange und schwere Concerte hinter einander, und alle mit gleicher Vollkommenheit.

Man kann nicht leugnen, daß verschiedene Passagien in Herrn Quantzens Concerten nach gerade alt und gemein werden; allein das beweiset nicht, daß solche nicht neu gewesen wären, als diese Concerte komponirt wurden; denn einige davon sind schon vor vierzig Jahren gemacht.[H 1] Es ist freylich wahr, daß sie bloß für den König gemacht sind, und daß Herr Quantz sie nicht hat dürfen bekannt machen; allein in der Reihe von Jahren sind andre Komponisten auf eben dieselben Gedanken gekommen. Mit der Musik ist es, wie mit seinen Weinen, welche nicht nur schaal und flach werden, wenn sie an der Luft stehen, sondern auch von der Zeit leiden, man mag sie so gut verwahren wie man will.

Herr Quantz hatte bey dem Concert heute Abend nichts zu thun, als bey dem Anfange eines jeden

Anmerkungen (H)

  1. [303] Wer kann hier begreifen, nach welchen Grundsätzen über die Musik geurtheilt werden soll, wenn wahrhaftig gute Sätze und schöne Gedanken eines Genies, das sie vor Jahren zuerst erfand, nun dem Kenner nichts mehr werth seyn solle, weil andre sie nachgeahmt haben? Aber von Quantz insbesondere: ein Mann, [304] den Herr Burney für eins der grössesten deutschen musikalischen Genies hält, der Quantzens Sachen fast 20 Jahr durch gehört hat, behauptet noch itzt, daß Quantz gewiß Genie, und zwar Originalgenie gehabt habe. – Welches Urtheil soll gelten, wenn das Urtheil eines Genies nicht gelten soll, das auch Kenner der Kunst ist? – Daß aber ein Mann, der 300 Stücke einerley Art gemacht hat, sich hie und da wiederholt, das ist kein so grosser Fehler, als das Gegentheit ein Wunder sein würde? Noch Eins, das bey dieser Gelegenheit so schicklich ist, als bey einer andern. Muß der Tonkünstler, der sich original zu seyn fühlt, durchaus alle neue Moden mit machen? Bleibt er dann noch Original oder wird er Nachahmer? Ists erweislich, daß die komische Wendung, welche die Musik genommen hat, durchgehends wahre Verbesserung heissen könne? Ist nicht aus der Instrumentalmusik fast alles Herzrührende heraus? Wo bleibt der wesentliche Unterschied des Ernsthaften und Komischen? Wo sind die Adagio’s, wer kann sie spielen? Wer mischt nicht Lustigkeiten hinein? Wo ist Gesang der Instrumente, besonders auf der Geige herrschend? Oder soll statt der alten steifen Contrapunktkunst nun die buntscheckige Gaucklerkunst das Reich haben? [305] Soll der Komponist also mit der Zeit Schritt halten? Nein, zu rechter Zeit aufhören, das soll er. Das that Quantz nicht. Vielleicht aus andern sehr gültigen Ursachen nicht; und da ers nicht that, so fiel er nicht in den Fehler, daß er Sätze (vielleicht wußte er das nicht, und das kann den Virtuosen, die oft nicht viel Neuigkeiten hören, als ihre eignen, leicht begegnen.) noch wiederholte, als sie schon zu bekannt waren.