Leipzig Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
Berlin 1
Potsdam


[55]
Berlin.


Den 28sten September, Morgens um Neun Uhr, langte ich, nachdem ich eine sehr kalte und [56] regnigte Nacht unterwegs zugebracht hatte, vor dem Thore dieser Hauptstadt an. Ich hofte, man würde mich ganz ruhig nach meinem Gasthofe fahren lassen, weil man an dem ersten preussischen Grenzorte, Treuenbritzen, alle meine Sachen durchgesucht und mir einen Passirzettel mit gegeben, und weil mich die Licentbedienten daselbst versichert hatten, daß man mich nunmehr nicht weiter beunruhigen würde, wenn ich nach Berlin käme. Aber das hatte ihnen nur des Trinkgeldes wegen so zu sagen beliebt. Mein Passierzettel half mir nichts; ich mußte drey Viertelstunden vorm Thore am Schlagbaume warten, ehe ich einen Soldaten zum Hüter bekam; dieser setzte sich alsdann mit geschultertem Gewehre und dem Bajonet auf der Flinte zu mir auf den Wagen und führte mich gleich einem Gefangenen durch die Hauptstrassen der Stadt nach dem Packhofe. Hier mußte ich über zwo Stunden, unter freyem Himmel, in nasser Kleidung, mit fortwährendem Schauder vor Kälte zubringen, und meinen Koffer und Schreibkästchen eben so stückweise und emsig untersuchen lassen, als ob ich grades Weges von Paris im Dover angelangt wäre.

Da ich so lange gewünscht hatte, die Hauptstadt eines Königs zu sehen, in dem die Welt nicht weniger den Beschützer und Kenner der schönen Künste, als den grossen Held und Feldherrn bewundert: so war ich ungeduldig, meine musikalischen [57] Nachforschungen an einem Orte anzufangen, wo seit langer Zeit beständig ein Operntheater gewesen, und woselbst von noch lebenden Männern von grossen und bekannten Verdiensten, beydes, die Theorie und Praktik der Musik gründlicher behandelt ist, als anderwärts, und deren musikalische Schriften, als das Resultat von ihren vieljährigen Erfahrungen und vorzüglicher Geschicklichkeit durch ganz Deutschland für classisch angesehen werden. Unter diesen sind: Johann Joachim Quantzens, Königl. Preussischen Kammermusikus, Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin 1752. Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, von Carl Philip Emanuel Bach. Berlin. Der erste Theil 1753. und der zweyte 1762. Anleitung zur Singkunst, aus dem Italiänischen des Herrn P. F. Tosi, mit Erläuterungen und Zusätzen von Joh Friedr. Agricola. Berlin 1757. Marpurgs Anleitung zur Singecomposition. Berlin 1758. Desselben Abhandlung von der Fuge. Desselben Handbuch bey dem Generalbasse, und der Komposition. 1762. u.s.w. Die Kunst des reinen Satzes, von Kirnberger. Berlin 1771. Allgemeine Theorie der schönen Künste, von Joh. Georg Sulzer, Mitglied der Königl. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1771. die vornehmsten und beträchtlichsten.

[58] Mein Eifer für das Geschäft, in welches ich mich eingelassen hatte, war die Nacht vorher nicht so sehr mit erstarret, daß ich nicht sobald als ich von dem Packhofe meine Erlassung erhalten, nach Herrn Harris, den ausserordentlichen englischen Gesandten am Berliner Hofe, hätte gehen sollen. Herr Harris empfing mich mit ausserordentlicher Höflichkeit, und beehrte mich auf die gütigste Art mit seinem Rathe, wie ichs am besten anzufangen hätte, um meinen Zweck zu erreichen.

Des Nachmittags besuchte ich Herrn Nicolai, einem berühmten und gelehrten Buchhändler, dem mein eifriger Freund, Herr Edeling zu Hamburg, eine vorläufige Nachricht von meiner Reise und ihrer Absicht gegeben hatte; so, daß er meiner Ankunft entgegen sah, und augenblicklich zur Hauptsache kam. Nach einer langen Unterredung über den Zustand der Musik in Berlin, war Herr Nicolai so verbindlich, mich nach Herrn Agricola zu führen, welcher seit des Kapellmeisters Grauns Tode, Sr. Majestät von Preussen Komponist der ernsthaften Opern ist.

J. F. Agricola ist 1720. in Obersachsen, in einem Dorfe nicht weit von Altenburg, gebohren. Seine Mutter war eine nahe Anverwandtinn des verstorbenen Händels, mit dem sie bis an sein Ende einen Briefwechsel unterhielt. Herr Agricola hat zu Leipzig studirt, und hat in der Musik [59] Unterricht von Sebastian Bach gehabt. Seit 1741. hat er sich beständig zu Berlin aufgehalten; und im Jahr 1751. kam er unter dem Titel als Hofkomponist in Königliche Dienste. Sein musikalisches Leben ist sehr thätig gewesen, und die Anzahl seiner Kompositionen, sowohl für die Kirche, als für das Theater, sind ein Beweiß von der Fruchtbarkeit seines Genies.

Er ist noch korpulenter als Jomelli, oder als sein Vetter Händel war. Er empfing mich sehr freundschaftlich. Er befand sich eben nicht wohl und hatte zur Ader gelassen; dem ungeachtet setzte er sich mir zu gefallen an ein schönes Pianoforte, welches ich neugierig zu hören war, und spielte darauf in einem wahrhaftig grossen Style. Man hält ihn für den besten Orgelspieler in Berlin, und für den besten Singmeister in Deutschland. Er zeigte mir einige von seinen Kirchenstücken in Partitur, die meisterhaft waren, allein er sagte, der Kirchenstyl würde in Berlin ziemlich vernachlässigt, weil der König solchen nicht liebte. In der That hatte ich schon gehört, ehe ich nach Berlin kam, daß Se. Majestät der König von Preussen eine solche Abneigung gegen diese Art Musik hätten, daß Er glaubte, ein Komponist verderbe sich den Geschmack, wenn er Kirchenstücke oder Oratorios schreibe, und wohl von andern Arbeiten solcher Männer gesagt habe: „das schmeckt nach der Kirche.“

[60] Von hier ging ich nach dem französischen Theater, mehr um das Gebäude zu besehen, als um Singen zu hören. Indessen ist die Gesellschaft, als Akteurs betrachtet, vortreflich. Man stellte le Mercure galant vor, und ob ich schon das Stück zu Paris mehr als Einmal gesehen hatte, gefiel mirs doch hier sehr gut. Zum Nachspiel ward die komische Oper, le Cadi dupé gesprochen und gesungen. Das Stück an und für sich selbst bedeutet schon sehr wenig, und die Sänger thaten diesen Abend ihr Bestes, aus diesem Wenigen noch etwas Geringeres zu machen.

Den 29ten September. Diesen Morgen war Herr Nicolai so gut, mich zu Herrn Joseph Benda, Bruder des berühmten Violinisten dieses Namens, zu führen. Dieser geschickte Musikus, war so höflich, mir ein sehr schönes Solo, von seines Bruders Komposition vorzuspielen, das er mit grosser Nettigkeit und Delikatesse ausführte. Ihn accompagnirte sein Sohn, unter dessen Direktion alle Freytage ein Liebhaberconcert gehalten wird, und er that mir die Ehre an, mich dazu einzuladen.

Als wir von Herrn Benda weggingen, sprachen wir vor bey Herrn Lindner, einem sehr braven Flötenspieler und Schüler des Herrn Quantz. Dieses Instrument ist in Berlin sehr gäng’ und gebe, weil es der König liebt. Herr Lindner gab mir [61] eine Einladung zu einem andern Concerte auf den folgenden Sonntag, und war so gütig mir zu versprechen, daß er mich selbst hinführen wollte.

Hierauf machte ich einen zweyten Besuch bey Herrn Agricola, immer in Begleitung meines verbindlichen Freundes, Herrn Nicolai, der mir diesen Tag schenkte. Heute lernte ich Madame Agricola kennen, die vor ihrer Verheyrathung Sigra. Benedetta Emilia Molteni hieß. Itzt ist sie funfzig Jahr alt, und singt dem ungeachtet noch Bravourarien mit erstaunender Fertigkeit. Man kann daraus, daß einige Stellen in ihrer Stimmme etwas dünne sind, den Abgang der Jugend merken, sie hat aber noch schöne Ueberbleibsel einer grossen Sängerinn. Ihre Stimme geht vom tiefen A unter der Linie bis ins dreygestrichne D, und sie hat einen sehr vollkommenen Triller und eine reine Intonation. Sie ist aus Modena gebürtig, und hat von allen grossen Meistern ihrer Zeit Unterricht genossen, unter welche sie Porpora, Hasse und Salinbene zählt. Sie ist schon seit fast dreyssig Jahren in Berlin als Sängerinn in Hofdiensten; und singt itzt die zwoten Rollen in den ernsthaften Opern Sr. Majestät des Königs. Während dieses Besuchs war sie so gütig mir drey Arien in verschieden Stylen vorzusingen, eine Grazioso, eine Allegro und eine Adagio, alle drey von der Komposition des Herrn Agricola.

[62] Von hier gingen wir nach dem Opern Hause. Dieses Theater stehet frey auf einem grossen Platze, auf dem mehr prächtige Gebäude so nahe beysammen stehen, daß man sie mit einem Blicke ansichtig wird, als in irgend einer andern Stadt in Europa. Der itzt regierende König ließ es kurz nach seiner Thronbesteigung erbauen. Die Hauptfronte hat zwey Eingänge; einen an der ebenen Erde und den andern über einer grossen doppelten Treppe; diese Fronte ist mit sechs corinthischen Säulen geziert; sie sind mit völligem Gesimms, darüber man die Inschrift lieset:

FRIDERICUS REX
APOLLINI ET MUSIS.

Diese Fronte ist auch mit einer ansehnlichen Zahl Statüen von Dichtern und Schauspielern geschmückt, welche in Nischen stehen. Die beyden Seiten sind auf eben die Art gebauet, ausgenommen, daß sie keine Säulen haben.

Einen grossen Theil in der Fronte dieses Gebäudes nimmt ein Saal ein, worin der Hof an den Redoutentagen speiset; das übrige gehört zum Theater, welches ausser einem sehr grossen Parterre, vier Logenreihen, jede von dreyzehn Logen hat, deren etliche bis dreyssig Personen fassen können. Es ist eines der geräumigsten Theater, die [63] ich je gesehn habe, ob es bey dem allen gleich nach dem Verhältniß ein wenig zu kurz scheint.

Das Orchester ist sehr groß und nach dem Dresdner eingerichtet. Die Kapelle besteht ungefehr aus funfzig Personen, darunter sind:

Zwey Komponisten.
Zwey Concertmeister.
Eilf Violinen.
Fünf Violonschells.
Zwey Contraviolons.
Zwey Flügel.
Eine Harfe.
Vier Bratschen.
Vier Flöten.
Vier Hoboen.
Vier Bassons und
Zwey Waldhörner.

Die vornehmsten Virtuosen in Sr. Majestät Diensten sind:

Herr Johann Joachim Quantz, Kammermusikus und Komponist. Er ist nicht weniger als ein starker Flötenspieler und Komponist, als deswegen [64] berühmt, daß er die Ehre gehabt hat, Se. Majestät den König von Preussen die Flöten spielen zu lehren. Von seinen Concerten sind nur wenige bekannt geworden; Indessen hat er deren für den König über dreyhundert komponirt [H 1].

Herr Johann Friedrich Agricola, dessen oben erwähnt und der in Deutschland als musikalischer Schriftsteller und als Komponist durchgängig bekannt ist.

Herr Franz Benda, Kammermusikus und Concertmeister, hat sich einen grossen Ruhm erworben, nicht bloß durch seine ausdrucksvolle Manier die Violin zu spielen, sondern auch durch seine sehr schöne und reizende Kompositions für dieses Instrument.

[65] Se. Majestät, der König von Preussen, hält ungemein viel auf die Opern des verstorbnen Kapellmeisters Carl Heinrich Graun, und schätzt sie dermaßen hoch, daß er nicht gern welche von andern Komponisten hören mag; auch hält man in Berlin die Sinfonien und Violinconcerte seines Bruders, Johann Gottlieb Graun, der vor einiger Zeit erst gestorben ist, gleichfalls noch immer in großem Werthe, ob solche gleich, in Ansehung des Geschmacks und der Erfindungen nicht in die erste Classe gehören.

Die vornehmsten Sängerinn bey der hiesigen großen Oper sind: Mademoiselle Schmeling,[H 2] Madame Agricola und Signora Gasparini, ein Frauenzimmer von zwey und siebenzig Jahren; ein Alter in welchem die Natur uns selten eine andre Stimme läßt, als Töne des Klagens, oder einer zwoten Kindheit.

Die vornehmsten Mannsrollen sind besetzt mit Signor Anton. Uberti Porporino, ein Contraltist; er ist schon über zwanzig Jahre in des Königs Diensten und wird ausserordentlich wegen seines Geschmacks und Ausdrucks bewundert, besonders in seinen Adagio’s. Und Signor Carlo Concialini, ein Sopranist; seine Stimme ist [66] schwach aber ungemein lieblich und seine Manier, langsame Arien zu singen ist zärtlich und rührend.

Ausser diesen Komponisten und Ausführern, die ich hier eben genannt habe, werden noch vier und zwanzig Chorsänger beym königlichen Theater gehalten, und daneben ein Balletmeister, eine grosse Anzahl Tänzer und Tänzerinnen, und der Abate Landi, als Theaterdichter.

Da der König alle Kosten der Oper trägt, so wird für den Eingang nichts bezahlt, und wird jedermann, der nur anständig gekleidet ist, frey ins Parterre gelassen. Die erste Logenreihe ist für die königliche Familie und den hohen Adel; die Reihen, welche mit dem Parterre eben sind, wie auch die zweyten und dritten Ranglogen, sind für die Staatsminister, für die fremden Gesandten und andre adeliche Personen am Hofe bestimmt; und ein angesehener Fremder, der sich an dem Cammerherrn, Baron von Pölnitz, wendet, welcher Directeur des spactacles ist, kann sicher seyn, daß ihm ein schicklicher Platz im Theater angewiesen wird.

Die Vorstellung beginnt des Abends um sechs Uhr. Der König mit den Prinzen und seinem Gefolge nimmt seinen Platz im Parquet, dichte hinterm Orchester; die Königinn, die Prinzessinnen und die vornehmsten Hofdamen, sitzen in den grossen [67] Logen. Bey Ihro Majestät Kommen und Wegegehen, lassen sich zwey Chöre Trompeten und Pauken hören, welche an beyden Seiten des Orchesters in der obersten Logenreihe gestellt sind. [1]

Der König steht fast beständig hinter dem Kapellmeister, welcher die Partitur vor sich hat; er sieht fleißig mit hinein, und ist wirklich eben ein so guter Generaldirektor hier als Generallisimus im Felde.

So sieht der gegenwärtige Zustand der Oper in Berlin aus, und die Geschichte muß zeigen, wie er vordem gewesen ist. Hier will ich nur so viel davon anführen, daß seit dem Ableben Friederich I, im Jahr 1713 bis 1742 hier keine Opern gespielt worden sind. Kurz zuvor, ehe Se. itzt regierende Majestät 1740 den Thron bestiegen, ward ein neues Theater erbauet, worauf 1742 am Geburtstage der königlichen Frau Mutter die erste Oper vorgestellt wurde. Um diese Zeit wurden die besten deutschen Instrumentisten, italiänische Sänger und Sängerinnen, und französische Tänzer und Tänzerinnen in Dienste genommen, und die Musik ward auf einen Vielglänzendern Fuß wieder hergestellt, als vorher.

[68] Seit diesem Zeitpunkte sind auf dem königlichen Theater, alle Jahre in der Carnavalszeit, prächtige Opern aufgeführt worden. Solche waren mehr oder weniger brillant, nach dem Verhältnisse der Talente der Sänger und Sängerinnen, deren der König viele, und zwar im Ganzen genommen, sehr vortrefliche gehabt hat. Indessen scheint das Jahr 1752 eines der hervorragendsten in der musikalischen Geschichte von Berlin gewesen zu seyn, als Carestini und die Astrua, die vornehmsten Rollen sangen. Damals war das berlinische Orchester das glänzendste in Europa; Es befanden sich darunter die berühmten Männer, Bach, Benda, Czarth, Graun, Hesse, Quantz und Richter.

Einen grossen Theil dieses Nachmittags brachte ich damit zu, die Kirchen zu besuchen, welche den Ruf der besten Orgeln haben. Im Ganzen genommen fand ich die Orgeln zu Berlin groß, rauh von Ton und mit rauschenden Stimmen überladen, welches, auch selbst wenn sie gestimmt gewesen wären, keine angenehmere Wirkungen gethan haben würde; aber so, wie sie waren, wurden meine Ohren von der grossen Anzahl verstimmter rauhtönender Pfeiffen mehr gemartert als gekitzelt.

Ehe ich England verließ, hatte mir Herr Snezler gesagt, ich würde ohne Zweifel in den berliner Orgeln Schweller angebracht finden, ob er gleich [69] nicht gewiß wüßte, ob diese Verbesserung von engländischer Erfindung, schon an andern Orten des festen Landes angenommen wäre; denn schon vor verschiedenen Jahren hätte Händel ihn ersucht, die Art und Weise schriftlich aufzusetzen, wie der Schweller angebracht würde, um diese Beschreibung an einen Freund in Berlin zu senden, welcher sie daselbst gerne einführen wollte.

Allein ich erkundigte mich hier bey den musikalischen Personen vergebens, ob sie ein solches Ding, als einen Schweller, in einer von ihren Orgeln kennten, der durch das Pedal hervorgebracht würde? Man hatte niemals von einem solchen Kunststücke gehört, und es war schwer, es ihnen zu erklären.

Die Garnisonkirche ist 1722 gebauet; es ist ein längliches Viereck mit sehr massiven Säulen und hat acht Thüren, über deren jeder der preussische schwarze Adler befindlich ist, der mit einem Donnerkeile in den Klauen nach einer goldnen Sonne fliegt, mit der Inschrift non Soli cedet.

Ich fand in dieser Kirche eine grosse Orgel von Joachim Wagner. Sie ist sehr merkwürdig wegen ihres Umfangs, denn sie hat 50 Tasten in den Manualen, und wegen ihrer Anzahl Pfeiffen, die sich auf 3220 belaufen; am meisten aber wegen [70] der Arbeit und Verzierungen an der Einfassung, welche in dem wahren altdeutschen Geschmacke, und sehr künstlich gearbeitet sind.

An jedem Flügel hat sie ein paar Paucken, welche ein dabey stehender Engel schlägt, dessen Bewegung der Organist mit dem Pedal regiert; oben bey der Pyramide, oder der mittlern Pfeiffencolumne, stehen zwo Figuren, welche die Fama vorstellen, und wenn die Paucken geschlagen werden, ihre Flügel bis an die Spitze der Pyramiden ausbreiten; eine jede von diesen Figuren bläset eine Trompete und hebt sich darauf zum Fluge.

Es sind auch zwo Sonnen angebracht, welche sich bey dem Klange der Cymbeln bewegen, und von dem Winde durch die Wolken getrieben werden; unter welcher Zeit zwey Adler so natürlich fliegen, als ob es lebendige wären.

Indessen fand ich mehr Gefallen an vier Gedächtnißgemählden, welche in eben dieser Kirche aufgestellt sind, als an diesem kirchlichen Puppenspiele. Es sind Geschenke von Herrn Bernhard Rode, dem Historienmahler und Mitgliede der königlichen Akademie, welcher solche 1762 zur Ehre vier preussischer Helden mahlte, die in dem letzten Kriege geblieben sind.

[71] I. Feldmarschall Schwerin, welcher im Todte die Siegesgöttinn umarmt, und von ihr gekrönt wird. Gegen ihn neigt sich die Fahne, die er in der Hand hatte, als er 1757 in der Schlacht bey Prag blieb [2].

II. Das Monument des Generals Winterfeld, auf welchen die historische Muse sitzt und seine Geschichte schreibt.

III. Der Feldmarschall Keith, dessen Monument die Göttinn des Ruhms mit Lorbeern bedeckt.

IV. Der Major Kleist, der berühmte Dichter, welcher bey Kunnersdorf blieb, über dessen Urne die Freundschaft weinet. Unter dem Monumente liegt sein Degen und eine Leyer mit einem Lorbeerzweige umflochten.

Diesen Abend hatte ich das Vergnügen in Herrn Marpurgs Bekanntschaft gebracht zu werden. Dieser Mann hat so lange in einerley Weinberge mit mir gearbeitet, daß er die Schwierigkeiten, die ich zu überwinden habe, vollkommen beurtheilen kann. Nichts konnte mir schmeichelhafter seyn, [72] als die Art, womit er mich aufnahm. Ich fand an ihm einen Mann von vieler Lebensart, Höflichkeit, Gefälligkeit und Gesprächigkeit. Von seinen musikalischen Schriften kann man mit Recht sagen, daß sie zahlreicher und nützlicher sind, als die Schriften irgend eines Andern, der über diese Materie geschrieben hat [H 3]. Er war vielleicht der erste Theorist, den Personen von Geschmack die Geduld haben konnten zu lesen; so geschwätzig und pedantisch waren die muskalischen Schriftsteller, die vor ihm schrieben.

[73] Ausser den bereits oben erwähnten, hat dieser Schriftsteller noch heraus gegeben, fünf Bände: Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik; Anfangsgründe der theoretischen Musik; Kritische Einleitung in die Geschichte und Lehrsätze der alten und neuen Musik, und eine Menge corekter und angenehmer Kompositionen, von verschiedener Gattung, sowohl für Singestimmen als für Instrumente. Es ist ein Unglück für die Kunst, daß er ihr Studium verlassen, seitdem er vom Könige unter dem Charakter als Kriegsrath zum Generaldirektor des königlichen Lotto ernannt ist.[H 4]

[74] Seine Einleitung in die Geschichte der Musik sollte sich auch bis auf die neuere erstrecken, wie er sich denn auch noch vorgenommen hatte Walthers musikalisches Lexicon fortzusetzen, und verschiedene wichtige Werke für die Liebhaber der Musik herauszugeben; allein sein itziges Amt hindert ihn, einen von diesen Vorsätzen auszuführen.

Er nahm es sehr gütigerweise über sich, wie unterschiedliche Bücher und Papiere zu verschaffen, nach denen ich suchte, und erbot sich sehr freundschaftlich, mich nach solchen Personen und Oertern hinzuführen, die ich zu meinem Zwecke, in Berlin, nöthig hatte kennen zu lernen.

Nach diesem Besuche ging ich mit meinem Führer, Herrn Nikolai zu Hause. Er hatte unter seinen Freunden ein kleines Liebhaberconcert veranstaltet, und ich brachte einen sehr angenehmen Abend bey ihnen zu.

Mittwoch, den 30ten September. Es war verabredet, daß ich diesen Vormittag Mademoiselle Schmeling besuchen sollte. Wie hoch meine Erwartungen von dieser Sängerinn gespannt waren, wird der Leser aus folgendem Auszuge eines Briefes beurtheilen können, den ich von einem einsichtsvollen musikalischen Correspondenten aus Deutschland erhielt, als ich noch in England war.

[75] „Zu Berlin befindet sich gegenwärtig eine deutsche Opernsängerinn die jedermann in Erstaunen setzt, der sie hört. Leute die lange Zeit in Italien gewesen sind, und vordem eine Faustina, Cuzzoni und Astrua gehört haben, versichern mich, daß sie solche alle miteinander übertreffe. Ich war wirklich ganz ausser mir, als ich sie vor zwey Jahren in Leipzig hörte. Ich habe noch keine Stimme gehört, die zu gleicher Zeit so voll, und so lieblich gewesen wäre: sie konnte alles damit machen, was sie wollte. Sie singt vom G bis in dreygestrichne E mit der grössesten Stärke und Leichtigkeit, und hat nach meiner Meynung nicht ihres Gleichen, so wenig im Portamento di voce, als in der Fertigkeit der Kehle. Allein, damals als ich sie hörte, schien sie nur das gerne zu singen, was schwer und geschwind war. Sie sang auf der Stelle vom Blatte weg, was sehr gute Violinisten Mühe hatten, sogleich vom Blatte zu spielen. Man konnte ihr nichts zu schweres vorlegen, sie brachte alles rein, und mit Leichtigkeit heraus. Sie hat aber hernach ihren Geschmack dergestalt ausgebildet, daß sie in Hassens Oper die Rolle der Tisbe singen können, welche mehr Simplicität und Ausdruck, als Fertigkeit der Kehle erfodert; und es ist ihr damit vollkommen geglückt, wie Herr[WS 1] Agricola, der Uebersetzer von Tosi’s Arte del Canto, und unser bester Singemeister in Deutschland, versichert hat. Der [76] König von Preussen, ein grosser Kenner, ward darüber in Verwunderung gesetzt. Ihr Name ist Schmeling, ungefehr zwanzig Jahr alt, und sie war als Kind in England, woselbst sie auf der Violine spielte; dies Instrument aber hat sie verlassen, und sich, auf den Rath einer engländischen Dame, der ein weiblicher Geiger nicht gefallen wollte, aufs Singen befliessen.“

Diese Nachricht ward mir von vielen bestätigt, als ich nach Deutschland kam, und hatte man mir gesagt, daß Se. Majestät, der König von Preussen, schwer zu bewegen gewesen, Mademoiselle Schmeling zu hören. „Eine deutsche Sängerinn? Ich könnte eben so leicht erwarten, daß mir das Wihern meines Pferdes Vergnügen machen könnte!“ Indessen als der König sie die erste Arie singen gehört hatte, sagt man, daß er die allerschwersten Arien in seiner Sammlung aufgesucht, um sowoh zu versuchen, was sie machen konnte, als um sein Ohr zu ergötzen, und sie sang alles, was ihr in allerley Gattungen auf Befehl des Monarchen vorgelegt wurde, dergestalt gleich vom Blatte weg, als ob sie eine jede von diesen Arien Zeit ihres Lebens geübt hätte.

Mademoiselle Schmeling empfing mich sehr höflich und ohne Geziere. Sie ist nicht groß von Person, und keine Schönheit, aber nichts weniger als unangenehm von Bildung; es leuchtet [77] vielmehr aus allen ihren Zügen ein recht guten Herz hervor, welches macht, daß man ihr gleich sehr gewogen wird. Ihre Zähne sind nicht ganz regelmässig, und stehn zu weit vorwärts, allein im Ganzen ist sie, bey ihrer Jugend und freundlichem Lächeln, sehr angenehm von Wuchs und Gestalt.

Ich fand,[WS 2] daß sie ihr Englisch noch nicht vergessen hatte; es fehlten ihr wohl zuweilen an Worten, allein, da sie es in ihrer frühesten Jugend gelernt hatte, sprach sie die, welche sie vorbrachte, sehr richtig aus. Sie war so gefällig, auf mein Bitten, sehr bald nach meiner Ankunft zu singen. Sie begann mit einer schweren Bravourarie von Traetta, die ich schon auf Mingottis Theater gehört hatte. Sie sang solche vortreflich, und entsprach völlig dem hohen Begriffe, den ich mir von ihrer Fähigkeit gemacht hatte, die Stimme selbst ausgenommen, welche ein wenig dunkel und nicht so ganz von Tone war, als ich mir solche vorgestellt hätte.[H 5] Sie hatte aber einen kleinen Schnupfen und Husten, und klagte, daß sie sich nicht völlig wohl befände; bey alledem aber, war der Ton ihrer Stimme sehr angenehm, und sang sie völlig rein. Sie hat einen ausnehmend schönen Triller, einen guten Ausdruck, und eine erstaunenswürdige Leichtigkeit, die schweresten und schnellesten Passagien rein und rund heraus zu bringen.

[78] Die zwote Arie, die sie sang, war ein Larghetto von dem Braunschweigischen Kapellmeister, Herrn Schwanenberg, an sich sehr schön gesetzt; allein sie machte solche solche durch ihren Geschmack und Ausdruck wahrhaftig entzückend. Sie war keinesweges verschwendrisch mit willkührlichen Auszierungen, die sie aber anbrachte, paßten vollkommen zum Style des Komponisten und zur Idee des Dichters.

Hierauf sang sie ein Andante aus der Parthie, die sie im künftigen Carnaval in Graun’s Meropo zu singen hatte, und zeigte dabey viel Geschmack, Ausdruck und wahren Vortrag.

Der König residirt sehr selten zu Berlin, ausgenommen in der Carnavalszeit, welche gemeiniglich in der Mitte des Decembers ihren Anfang nimmt und sich mit den Januar endigt.

Wenn Se. Majestät mit dem Hofe nach Berlin kommt: so hat jeder Tag in der Woche, der Sonnabend, als ein Ruhetag ausgenommen, seine bestimmte Lustbarkeit, nach folgender Ordnung.

Sonntags ist grosses Concert bey der Königinn. Montags Oper. Dienstags Redoute oder Masquerade im Opernhause. Mittwochs französische Comödie, auf dem Hoftheater. Donnerstags Courtag bey der verwittweten Prinzessinn und Freytags wieder Oper.[H 6]

[79] Ausser dieser Zeit hat der König seine gewöhnliche Residenz zu Sanssouci bey Potsdam, woselbst sich immer eine gesetzte Anzahl von der Hofmusik befindet, die sich alle Monath nach der Reihe ablöset.

Der Ruhm von Sr. Majestät Geschicklichkeit auf der Flöte hatte schon lange eine heftige Begierde in mir erregt, Dieselben spielen zu hören, und ich hatte itzt mit verschiedenen Freunden die besten Maaßregeln abgeredet, um diesen Wunsch zu befriedigen. Ich hatte Empfehlungsschreiben an verschiedene vornehme Personen in Potsdam erhalten, worin solche gebeten wurden, ihr Möglichstes zu thun, mir die Ehre zu verschaffen, daß ich während Sr. Majestät gewöhnlichen Abendconcerte in die Königl. Zimmer zu Sanssouci gelassen würde.

Da itzt der Hof und verschiedene der besten Virtuosen aus des Königs Kapelle zur Aufwartung in Potsdam waren, so trieb mich meine Ungeduld dahin, um meine Neugierde zu befriedigen und den König zu hören. Ich machte mich also gleich diesen Morgen auf den Weg nach Potsdam, so wie ich von Mademoiselle Schmeling wegging und nachdem ist erst von von meinem würdigen Freunde, Herrn Nicolai, Abschied genommen hatte, der zu meinem grossen Bedauern nach der Leipziger Messe reisen mußte. Dies war mir ein wirklicher Verlust, [80] denn seine Kenntniß in der Musik, seine Bekanntschaft mit musikalischen Personen, bey seinem Eifer, mir Gefälligkeiten zu erweisen, hatte mir seinen Umgang sehr angenehm und nützlich gemacht.

Anmerkungen

  1. Diese Art von Musik ist die älteste und scheint bey allen ihrem geräuschvollen Lärmen, und trotz der Mode gewordenen Verfeinerungen in der neuern Musik, den Europäern noch immer die Liebste zu sein, besonders wenns auf Feyerlichkeiten ankommt.
  2. Neulich ist diesem tapfern Generale zu Berlin, auf dem Wilhelmsplatze, wo die Soldaten täglich exercirt werden, eine marmorne Statue gesetzt. Ein befeuernder Anblick für einen Kriegsmann!

Anmerkungen (H)

  1. Quanz starb (dieses Jahr 1773), den 12ten July, zu Potsdam, in seinem 77 Jahre am Steckfluß. Er hat über dreyssig Jahr in Sr. königlichen Majestät Diensten gestanden und ist bis an sein Ende ein rührender Flötenspieler gewesen. Der König will ihm ein Monument setzen lassen. Quanz hat 299 Flötenconerte gemacht, davon keines schecht ist, weil sie aber alle für den König gemacht sind, so ist keines davon bekannt, als die sechszehn bis zwanzig Jahre alt sind. Beym Dreyhundertsten ist dieser fleissige Mann gestorben. Man sagt, der König wolle das noch daran fehlende letzte Allegro selbst dazu machen.
    Aus der Zeitung: der Deutsche, sonst Wandsbeckerbothe.
  2. Ist seit Kurzem an den vortrefflichen Violoncellisten Herrn Mara verheyrathet.
  3. Herrn Marpurgs schriftstellerische Ehre verliert gewiß nicht das geringste, wenn sichs auch finden sollte, daß er nicht der voluminöseste unter allen gewesen wäre. Der Uebersetzer hat eine wahre Hochachtung für Herrn Marpurgs Person und Verdienste, und diese Note hat nichts weniger zur Absicht, als einen Vergleich zu Herrn Marpurgs Nachtheile anzustellen. Allein man ist auch den Verstorbnen Gerechtigkeit schuldig. – Mattheson hat ganz gewiß mehr geschrieben, als Herr Marpurg. Ich besuchte den ersten einst als er 72 Jahr alt war. Während unsrer Unterredung, die wegen seiner Taubheit nicht schnell seyn konnte, indem man das, was man ihm sagen wollte aufschreiben mußte, fragte ich ihn nach der Anzahl seiner edirten Werke? seine Antwort war, „ich bin 72 Jahr alt, und eben so viel Bücher habe ich schon drucken lassen; und eben so viele Werke habe ich noch im Mscrpt. liegen.“ Ich fragte ihm halb im Scherze, ob er mich nicht zum Erben dieser Handschriften einsetzen wollte? „Nicht nur das, war seine Antwort, sondern Sie sollen sie grössesten Theils gleich haben, mit der Bedingung, daß Sie jährlich wenigstens Eins davon in den Druck geben wollen.“ Indessen war [73] die Bedingung etwas bedenklich für mich; ich drang nicht auf das Geschenk, und ich habe auch noch nicht in Erfahrung bringen können, wohin seine Handschriften nach seinem Tode gekommen sind. Davon aber bin ich überzeugt, daß sich ein lesenswürdiger und nützlicher Auszug daraus machen lasse. Nützlich sind Matthesons musikalische Schriften auch gewesen, daran wird niemand zweifeln, dem der Zustand der Musik in Deutschland vor ungefehr dreyssig bis vierzig Jahren noch aus dem Gedächtnisse oder aus Erzählungen erinnerlich ist. Daß uns sein Styl nicht mehr schmecken kann, ist sehr natürlich, aber nicht sowohl Matthesons Schuld selbst, als die Schuld seiner Zeiten. Auch findet man nicht daß seine Zeitgenossen ihn wegen seines Styls getadelt hätten. Scheibens Styl ist schon viel gefeilter – Die deutsche Sprache hat seit dreyssig Jahren solche grosse und schnelle Schritte zur Vollkommenheit gethan, daß mans einem Manne bey Jahren nicht übel nehmen muß, wenn er nicht mit kommen können.
  4. [303] Hier fehlen Marpurgs kritischen Briefe über die Tonkunst, die ihm mehr Ehre machen, als seine auch nicht allemal correkten Kompositionen.
  5. [303] Das war sie traun sonst ganz und gar nicht. Der sel. Schiebeler nannte sie daher gleich Hoboe.
  6. [303] Der Leser wird wohl thun, die Urtheile des Herrn B. über die Schmeling, auf dieser und auf der 153. Seite[WS 3] zu vergleichen, und zu reimen so gut er kann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. statt Vorlage: wie mich Herr – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  2. Vorlage: faud
  3. Vorlage: 145. Seite
Leipzig Nach oben Potsdam
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