Potsdam Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
Berlin 2
Hamburg


[149]
Berlin.


Den Abend nach meiner Zurückkunft in dieser Stadt; den 3ten October, war Herr Lindner so gütig, mich nach einem Privatconcerte zu führen, welches aus den besten Tonkünstlern und Liebhabern in Berlin bestund. Es ward in dem Zimmer des Herrn Kone, der erster Violinist in der preussischen Kapelle ist, gehalten, in einem der schönen Häuser der Neustadt, die Se. Majestät hat bauen lassen.

Ich hörte hier ein Concert von dem verstorbnen Concertmeister Graun, welches Herr Kone mit mehr Nachdruck als Delikatesse spielte; ein schwer Flötenconcert von Quantz, das Herr Lindner sehr nett ausführte; ein dergleichen spielte Herr Riedt von seiner eignen Komposition, wovon mir aber Komposition und Ausführung ein wenig altfränkisch [150] und trocken vorkam; und verschiedne Sinfonien von Graun und Hasse.

Ohne mich in weitre Untersuchung über den Werth der verschiedenen Kompositions einzulassen, die ich heute Abend hörte, muß ich anmerken, daß die Tonkünstler in verschiednen Gegenden von Europa, gewisse Verfeinerungen in der Art und Weise, selbst alte Musiken auszuführen, entdeckt und angenommen haben, welche die Berliner Schule noch nicht anerkennen will, welche wenig Aufmerksamkeit auf die Piano’s und Forte’s verwendet, und wo jeder Spieler auf nichts so sehr zu sinnen scheint, als seinen Nachbar im Lautspielen zu übertreffen. Ein Wetteifer, der sehr viel Aehnliches mit den alten Spiele der Seeleute, dem Ringelreihen hat; bey welchem sich ein jeder bestrebt, mit mehr Stärke zu ringen, als die andern um ihn her. Denn wie die Hauptübung der Bootsleute ist, gefühlt, so ist es des Berliner Musikers die, gehört zu werden.

Wenn ich mich auf meine eignen Empfindungen verlassen darf, so sollte ich mir einbilden, die musikalischen Concerte hierzu Lande wären Contrast; denn nicht allein enthalten sie zu viele Noten, sondern diese Noten werden auch mit zu weniger Rücksicht auf den Grad der Stärke ausgedrückt, dessen die Instrumente, wofür sie gemacht worden, fähig sind. Der Ton kann nur bis zu einem gewissen [151] Grade verstärkt werden, übersteigt er den, so wird er Geräusch. Ich habe an einem andern Orte gesagt, daß selbst Geräusch in einem vollstimmigen Stücke seine gute Wirkung thun kann. Wenn man das aber will, sollte es bloß des Contrastes und der Gegeneinanderstellung[WS 1] solcher Passagien und Sätze wegen seyn, da eine dazu dient, die Wirkung der andern zu heben. Denn, wenn ein Stück mit solcher unablässigen Wuth abgespielt wird, wie ich zuweilen gehört habe, so hört es auf, Musik zu seyn; und anstatt eines Theiles, verdient alsdann das Ganze keine andre Benennung, als Geräusch.

In diesem Concerte traf ich Herrn Rieck an, der ehemals Kammermusikus bey dem Bruder des Königs, Prinz Heinrich, war. Dieser Violinist besuchte England während des letzten Krieges, und ich hörte ihn damals manches bendaisches Solo auf der Violine, mit vieler Empfindung und Ausdruck spielen. Er hat seitdem die Musik, als eine Profession, bey Seite gelegt, als Liebhaber ist aber gar nicht müssig gewesen. Er hat eine grosse Fertigkeit der Hand, und kennt sein Griffbrett genau; und hat verschiedene Concerte, Solos und Sinfonien komponirt, aber in einem so brillanten und gefälligen, und zugleich so modernen Geschmacke, daß man ihn zu Berlin für einen Ketzer hält.[H 1] Ich ging aus dem Concerte mit ihm nach Hause, und accompagnirte ihm bey vielen von seinen eignen Stücken.

[152] Sonntag, den 4ten. Diesen Morgen erhielt ich Besuch von Herrn Agricola, Herrn Riedt den Flötenisten, der schon über zwanzig Jahre in Sr. Majestät Diensten ist, und Herrn Schüler, einen Liebhaber der Musik von vielem Verdienst und grosser Kenntniß in musikalischen Dingen.

Herr Agricola erzeigte mir die Gefälligkeit, mich nach der Peterskirche zu führen, welche die grösseste Orgel und den besten Organisten in Berlin hat. Dieses Instrument ward zu den Zeiten und auf Kosten des verstorbenen Königs gebauet, und war bestimmt, das grösseste Werk in der Welt zu werden. Seit dem Tode dieses Prinzen ist sie unvollendet geblieben, weil Se. itzt regierenden Majestät nicht geruhet haben, den ursprünglichen Plan derselben ausführen zu lassen. Diese Orgel steht über der Canzel. Nach dem ersten Entwurfe sollte sie 150 Register und ausser dem Pedale sechs Manuale haben. Itzt hat sie nur 50 Register, drey Manuale und ein Pedal. Aber selbst in diesem verminderten Verhältnisse ist sie zu stark für das Gebäude, und jeder Ton klingt so lange nach, nach dem der Finger schon aufgehoben oder auf eine andre Taste gesetzt ist, das alles undeutlich und verworren klingt.

Herr Bertuch, der Organist ist indessen ein guter Spieler; er hat eine fertige Hand und eine grosse Kenntniß seines Instruments. Nachdem [153] er ein sehr meisterhaftes Vorspiel aus dem Stegreife gespielt hatte, führte er eine sehr gelehrte und schwere Fuge aus, vom alten Bach, die er ausdrücklich für die Orgel mit dem Pedal gesetzt hat.

In der Marienkirche ist eine feine Orgel von Wagner. Herr Ringk, der Organist, wird als ein extempore Fugenspieler sehr hochgeschätzt, ob er gleich keine so brillante Fertigkeit der Finger besitzt, als der Organist zu St. Peter.

Ich hatte diesen Nachmittag das Vergnügen einer zwoten Unterredung mit Herrn Marpurg. Es war mir ein betrübter Umstand, daß die Menge und Mannigfaltigkeit meiner Nachforschungen und die wenige Zeit, die mir dazu zugemessen war, mich abhielten, der Unterhaltung dieses Mannes öfters zu geniessen, da seine Gelehrsamkeit und seine Einsicht in musikalischen Dingen so ausgebreitet und zugleich so gründlich sind.

Als ich von Herrn Marpurg wegging, stattete ich einen zweyten Besuch bey Mademoiselle Schmeling ab, die mir den Gefallen erzeigte und mir einige ungemein geschwinde Arien von ungewöhnlichen Umfange vorsang. Es geht wirklich bis zum Erstaunen, was sie in diesem Punkte zu machen im Stande ist. Man läßt sie aber dieser Mißbrauch von diesen Fähigkeiten machen, indem [154] man ihr Arien mit solchen Passagien giebt, welche die Stimme zu einem Instrumente erniedrigen, und wirklich zuweilen solche, die sich ein Instrumentalist von Geschmack schämen würde auf irgend einem Instrumente zu machen.

Einen gewöhnlichen Accord in gemeinen Arpeggios und solche unbedeutende Passagien zu brechen, dergleichen man in dem zweyten Allegro des dritten Solo von Corelli findet, scheint mir eben keine Arbeit zu seyn, die einem Komponisten oder Ausführer grosse Ehre erwerben kann.

Es war noch immer ein kleiner Mangel an Klarheit in der Mitte von Mademoiselle Schmelings Stimme; und ich kann mir auch die Möglichkeit denken, daß sie im Adagiosingen noch zunehmen kann, obgleich nicht in Ausführung der Allegros. Sie scheint mir gegenwärtig nicht in der allerbesten Schule zu seyn, um den höchsten Grad des Geschmacks und des Vortrags zu erwerben. Denn ausser der Anhänglichkeit des Königs an eine besondre Kompositionsart, sind auch die Sänger an dieser Oper nicht in ihrer schönsten Periode; und wenn sie’s auch wären, so ist vielleicht die Mannichfaltigkeit unentbehrlicher, ein Genie zu erwecken und den verborgnen Keim des Geschmacks zu einer jungen musikalischen Seele emporzutreiben, als das Vorbild einiger wenigen Personen, welches keine andre als blosse Nachahmungssucht [155] einflößt. Sollte Mademoiselle Schmeling nach Italien gehen, so träfe sie vielleicht in keinem einzigen Sänger mehr Kunst und Fähigkeit an, als sie selbst besitzt; allein wenn sie sich die besondern Vorzüge mancher, von verschiedenen Schulen und Talenten zu eigen zu machen suchte, so würde ihr Styl, gleich der Venus des Apelles, ein aus allen Theilen der Schönheit und Vortreflichkeit zusammengesetztes Ganzes werden.

In Mademoiselle Schmelings Hause hörte ich auch diesen Morgen Herrn Mara mit grosser Geschicklichkeit verschiedene Stücke auf dem Violonschell spielen. Er ist noch ein junger Mann, und der Sohn eines Violonschellisten dieses Namens, der in Deutschland sehr berühmt gewesen ist.

Den 5ten October. Diesen Morgen besuchte ich den Herrn Professor Sulzer, Mitglied der königlichen Akademie zu Berlin. Er hat verschiedene gelehrte Werke geschrieben, die sehr hochgeschätzet werden. Dieser Gelehrte ist der Musik besonders ergeben, und hat über dieselbe in seiner Theorie der schönen Künste weitläuftig geschrieben; und in der Art, wie er in derselben verschiedene musikalische Artikel behandelt, hat er einen feinen geläuterten Geschmack und zugleich viel Gründlichkeit und musikalische Gelehrsamkeit gezeiget.[H 2] Dieses Werk ist in der Form eines Wörterbuchs geschrieben, wovon nur erst der erste [156] Band, welcher die Buchstaben A bis I enthält, herausgekommen ist. Indessen ist er schon mit dem zweyten Bande, damit es ganz geendigt seyn wird, schon ziemlich weit fertig.

Wir hatten eine lange Unterredung mit einander, und ich fand an ihm einen Mann, der nicht nur vieles über die Musik gelesen, sondern vieles selbst darüber gedacht hatte.

Herr Schüler, der Musikliebhaber, dessen ich schon oben erwähnt habe, und der so gefällig war, mich mit dem Herrn Professor bekannt zu machen, führte mich hernach zu Herrn Kirnberger, einen Tonkünstler, den ich begierig war kennen zu lernen, weil ich verschiedene von seinen Kompositionen kannte, und mir vieles von seinen Streitschriften erzählt worden war.

Johann Philipp Kirnberger, ist 1721 zu Saalfeld, in Thüringen, gebohren. Er ging nach Leipzig als er achtzehn Jahr alt war, und studirte daselbst zwey Jahr unter Sebastian Bach das Clavier und die Komposition. Im Jahre 1741 fand er Gelegenheit nach Pohlen zu gehen, woselbst er sich zehn Jahr lang aufgehalten, nach und nach im Dienste einiger pohlnischen Herrn, und endlich als Musikdirektor bey einem Nonnenkloster Dienste gehabt hat. Er ging hernach 1751 nach Dresden und nahm bey Herrn Fickler [157] noch Unterricht auf der Violine, kam aber bald darauf als Violinist in die Kapelle Sr. Majestät des Königs von Preussen. Itzt ist er Hofmusikus bey Ihro königlichen Hoheit der Prinzessinn Amalia von Preussen. Das Clavicembal, welches sein erstes Instrument war, ist auch noch sein bestes. Er hat sehr viel dafür und für die Orgel komponirt, und hat theoretische und polemische Abhandlungen geschrieben. Neben diesen hat er auch noch vier Sammlungen fürs Clavier herausgegeben, worin sich viele Stücke von seiner eignen Arbeit befinden; über alle hat er die Aplikatur des Hamburger Bachs gesetzet.

Auf mein Ersuchen spielte er mir bey diesem Besuche, auf einem Clavier, einige von seinen Fugen und Kirchensachen vor, welche sehr gelehrt und sinnreich sind. Er machte mir auch ein Geschenk seiner Kunst des reinen Satzes, und Construktion der gleichschwebenden Temperatur, wie auch von verschiedenen seienr Musikalien in Abschrift.

Nach diesem war er so höflich mit mir nach Herrn Hildebrands Hause zu gehen, der itzt in Berlin die besten Flügel und Pianofortes macht. Hier spielte Herr Kirnberger abermals, und zeigte sowohl sehr grosse Fertigkeit der Hände, als Kenntniß der Harmonie und Modulation.

[158] Ich hatte vielleicht destomehr Ursache mir auf die Höflichkeit und Gefälligkeit dieses geschickten Mannes ein wenig einzubilden, weil er für ernsthaft und finster gehalten wird. Man sagt, er habe durch Streit und Widerwärtigkeiten etwas Saures angenommen. Seine gegenwärtige Neigung geht aufs Studium der Mathematik und der Theorie der Musik mehr als auf die Praxis, in welcher ers weit gebracht hat. In seinen letzten Schriften scheint er mehr nach dem Namen eines Algebraisten, als eines Tonmeisters von Genie zu streben.

Diesen Nachmittag ging ich zum Letztenmale zum Herrn Marpurg, welcher bey dieser Gelegenheit so verbindlich war, alle Reizung hervorzusuchen, um mich noch länger in Berlin aufzuhalten. Allein meine eingeschränkte Zeit machte mich unbeweglich. Er versprach indessen, allerley wissenswürdige Nachrichten, die Geschichte der deutschen Musik und Tonkünstler betreffend, für mich zu sammlen und mir nachzuschicken; und gab mir die Beschreibung einer Maschiene, nach der ich lange gesucht hatte, nemlich, welche gleich dasjenige aufzeichnet, was man darauf extempore spielt.

Solche hinfliessende Töne zu fixiren, welche in den Schäferstunden der Musen gezeugt werden, [159] wenn die „Phantasie mit naßschimmerndem Auge –

„Scatters from her pictured urn
Thoughts, that breathe, and Notes,
than burn.“[H 3]

hiesse solchen Ideen Bestand geben, welche die Ueberlegung weder finden, noch das Gedächtniß behalten kann.

Als ich einst zu Rom, gegen den Herrn Rath Reiffenstein unter andern für die Musik noch zu wünschenden Dingen, einer solchen Maschiene erwähnte, sagte er mir, daß zu Berlin eine dergleichen verfertigt worden. Und so wie ich hier anlangte, war dieses mechanische Kunststück, eins der ersten und angelegendsten wornach ich mich erkundigte. Man sagte mir zwar, daß eine solche Maschiene verfertigt worden, und den besten Musikern in Berlin Genüge gethan hätte, man hätte sie aber bald vernachlässigt und bey Seite geworfen; und da vor nicht gar langer Zeit in dem der Akademie zuständigen Hause, worin sie gestanden, Feuer ausgekommen: so sey dieses sinnreiche Kunststück mit verbrannt, und nachdem nicht wieder gemacht worden.

[160] Ehe ich etwas weiter von dieser Maschiene sage, muß ich meine Leser benachrichtigen, daß der erste Einfall von ihrer Möglichkeit, sich von dem verstorbnen Geistlichen, Herrn Creed herschreibt. Er legte solchen 1747 der königlichen Societät der Wissenschaften zu London in einem Aufsatze vor, welcher folgenden Titel führte:

„A Demonstration of the possibility of making a Machine that shall write ex tempore voluntaries, or other pieces of music, as fast as[WS 2] any master shall be able to play them, upon an Organ, harpsicord, &c. and that in a character more natural[WS 3] and intelligible, and more expressive of all the varieties those instruments are capable of exhibiting, than the character now in use.“ Das ist:

„Ein Beweiß von der Möglichkeit, eine Maschine zu verfertigen, welche Phantasien oder andre musikalische Stücke eben so geschwinde schreibt, als solche ein Meister nur immer auf der Orgel, den Flügel, u. s. w. spielen kann; und zwar mit natürlichern und verständlichern Zeichen, und die dabey alle Veränderungen, welche diese Instrumente fähig sind herauszubringen, deutlicher vorstellen, als die itzt gebräuchlichen Noten.“

[161] Dieser Aufsatz ward in die Philosophical Transactions eben dieses Jahres, No. 183,[WS 4] und hernach wieder in Martin’s abridgment Vol. 10. p. 266. eingerückt; und die Idee des Verfassers hat mir beständig so ausführbar geschienen, daß ich mich lange gewundert habe, warum sich noch kein engländischer Mechanikus darüber gemacht hat, sie ins Werk zu setzen!

So viel ich finden kann, ist in Berlin dieses Kunstwerks nicht eher Erwähnung geschehen, als im Jahr 1752, in einer gedruckten wöchentlichen Nachricht von den merkwürdigsten Entdeckungen in der Natur und den Wissenschaften. Das Jahr darauf erschien in eben diesen wöchentlichen Nachrichten eine weitläuftige Beschreibung einer solchen Maschine; und hier zeigt der Verfasser in einer ausgearbeiteten Vorrede, wie viel bisher an einem solchen mechanischen Werke entbehrt worden, beschreibt seine Eigenschaften und seinen Nutzen, und beschließt damit, daß er sagt, diese, für die Musik und Tonkünstler so nutzreiche Maschine, sey die besondre Erfindung des Herrn Unger.

Diese Beschreibung ging einige Zeit vor der Ausführung her. Man empfahl bloß die Erfindung, mit dem Erbieten, solche gegen nicht erhebliche Kosten an ein Clavierinstrument anzubringen. Es war Herr Hohlfeld, der nachher die Maschine [162] machte, und dergestalt zur Vollkommenheit brachte, daß ein grosser Meister, der den Versuch damit auf einem Clavier machte, mich versichert hat, daß nichts in der Musik wäre, das sie nicht aufgezeichnet hätte, ausgenommen das Tempo rubato.

Die Beschreibung der Berliner Maschine, ist der von Creed vorgeschlagnen so gleichlautend, daß ich solche nicht anführen, sondern meine Leser auf die Philosophical Transactions verweisen will, woselbst sie finden werden, daß sie aus zwey Cylindern bestund, welche von einem Triebwerke bewegt werden mußten, und zwar so, daß sie in einer Sekunde Zeit einen Zoll breit Raum fortrückten. Einer dieser Cylender enthielt das aufgerollte Papier, und der andre nahm es auf, wenn es von den Stiften oder Bleyfedern bezeichnet war. Das Papier mußte vorher mit rothen Linien zugerichtet seyn, welche grade unter die Bleyfederspitzen fallen sollten.

Die Hauptschwierigkeit bey der Ausführung, welche den engländischen Mechanikern aufgestossen ist, mit denen ich über die Sache gesprochen habe, bestund in der Zurichtung des Papiers, um die Zeichen von den Tangenten anzunehmen, und die Art vom Instrument, welche statt einer Bleyfeder dienen sollte. Denn war diese Feder zu hart und spitzig, so zerriß sie im Forte das Papier; und [163] war sie weich, so mußte sie nicht nur brechen, wenn sie stark aufgedruckt wurde; sondern mußte sich ungleich verschleissen, und ein sehr öftres Nachspitzen erfodern.

In der Berliner Maschine waren die Bleyfedern, nach Herrn Creeds Idee, nahe an ein ander gebracht, und machten gar keine lange Streiche, dergestalt, daß keine ausserordentliche Grösse des Papiers erfoderlich war; es ward aber nicht für nöthig befunden, das Papier zuzurichten, wie in den Philosophical Transactions vorgeschlagen worden; denn die Entfernung der höhern von den tiefern Tönen, ward nach einem Maasstabe gefunden, den man an das Papier legte, wann man es von dem Cylinder genommen hatte.

Für itzt will ich keine weitere Anmerkungen über diesen Gegenstand machen, als nur diese, daß obgleich Herr Unger die Ehre der Erfindung durch Herrn Creeds frühere Bekanntmachung derselben zu verlieren scheint, dennoch Herr Hohlfeld alleiniger Besitzer der Ausführung bleibt, bis solche ein Engländer dadurch mit ihm theilt, daß er seines Landesmannes, Herrn Creeds, Entdeckung eben so glücklich ins Werk setzt.

Als ich von Herrn Marpurg Abschied genommen, begab ich mich nach einem Concerte im Hause des Herrn Baron von Seidlitz, einem von Se. [164] Majestät Ministern, woselbst mich Herr Joseph Benda einführte. Der Baron ist sein Scholar, und spielte ein Concert von Franz Benda, für einem Liebhaber sehr gut. Herr Grauel, Violonschellist und Kammermusikus des Königs, spielte auch ein Concert auf seinem Instrumente. Die Komposition war nicht besonders, seine Ausführung war aber gut, ob er gleich nach der alten Art, den Bogen über der Hand, spielte. Nach diesem spielte Herr Joseph Benda ein anders von seinem Bruder sehr nett, mit einem schönen Tone und genauer Intonation. Dieses Concert hatte keinen andern Fehler, als daß es zu lang war. Das ist hier der Fehler aller Kompositionen, in welchen ein jeder Satz so lange gedehnt ist, daß sie niemals die Aufmerksamkeit bis ans Ende unterhalten können.

Auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß die Currentschüler, (eine Anzahl Knaben, welche durch die Gassen gehend singen,) noch itzt in Berlin Bestand haben. Sie bekommen graue Röcke und Manteln und sind ihrer vier und zwanzig an der Zahl. Das Geld was sie sammlen, wird unter sie vertheilt.

In der Schule in der Cölner Vorstadt werden die Kinder im Lesen Schreiben und Singen unterrichtet, so, wie die Kinder der Soldaten an der Guarnisonkirche.

[165] In den meisten Gegenden von Deutschland, wo die protestantische Religion die Herrschende ist, hat ein jedes Kirchspiel einen Cantor, der im Singen Unterricht giebt und das Chor dirigirt.[H 4]

Obgleich der Name Cantor überhaupt einen Sänger andeutet, so giebt man solchen hier zu Lande doch besonders einer Person, welche in den Hauptkirchen die Psalmen und Choräle anstimmt. Er ist der Precentor oder Tongeber bey den Gesängen und hält auch die letzten Noten eines jeden Verses am längsten wieder aus, so, daß man ihn das Alpha und Omega der Kirchenlieder nennen könnte.

Der Cantor, welcher oft zugleich auch Schulmeister ist, sollte ausser einer guten Stimme, auch nothwendiger Weise einen Begriff vom Contrapunkt haben; wo nicht in einem hohen Grade, wenigstens in so weit, als hinlänglich, um solche Fehler zu verbessern, die sich durch Unwissenheit oder Nachlässigkeit der Abschreiber in die Stimmen einschleichen können. Gleichfalls sollte er eine richtige Partitur führen, und aus derselben die von dem Komponisten angebrachte Harmonie in einem richtig bezifferten Generalbaß genau andeuten können. „Denn“, sagt Walther in seinem musikalischen Lexicon, „so lange ihnen dieses fehlt, und den Organisten die Allwissenheit mangelt, kann auch unmöglich eine gute und wohlklingende Musik zu hoffen seyn.“

[166] In den thüringischen Flecken und Dörfern, sind die Schulen gemeiniglich mit zwo Personen besetzt, und derjenige, welcher die Musik aufführt und den Choral anstimmt, wird Rector oder Schulmeister, der Organist aber gewöhnlich Cantor genannt.

Die italiänische Operette wird hier auf Königl. Kosten unterhalten, und besteht aus zwo Sängerinnen und drey Sängern, welche zu Potsdam wohnen. Diese Operetten, in welchen die Königl. Kapellisten das Orchester besetzen, und die Tänzer aus der grossen Oper tanzen, haben keine feste bestimmte Zeit wo sie gespielt werden, sondern der König befiehlt allemahl ausdrücklich die Tage und eines von den Theatern zu Potsdam, Berlin und Charlottenburg.

Die Königinn und die verwittwete Prinzessinn von Preussen geben zu Berlin öfters Concerte, bey welchen jedermann der Zutritt erlaubt ist; und singen hierinn die besten Sänger aus der Oper, so wie die Königl. Kapelle die Instrumenten besetzt.

Auf den Bällen wird ausser den Menuetten fast nichts getanzt, als englische Tänze. Polonoisen, welche sonst sehr beliebt waren, sind ganz aus der Mode gekommen. Nur zuweilen wird ein französischer Contretanz aufgeführt.

[167] Die Nachtwache besteht hier aus einer gewissen Anzahl bewafneter Männer, welche durch alle Gassen der Stadt vertheilt sind. Sie rufen die Stunden in einer gewissen Art von Melodie ab, und stossen vorher in ein Horn, welches fast allenthalben durch Deutschland gebräuchlich ist.

Unter den vornehmsten Musikern zu Berlin habe ich den Königl. Kammermusikus, Herrn Fasch, Sohn des berühmten Kapellmeisters dieses Namens, noch nicht genannt. Bey unsern gegenseitigen Bemühungen, uns zu Berlin kennen zu lernen, war ich allemal so unglücklich, ihn zu verfehlen, und es kam eben die Reihe an ihn, in Potsdam aufzuwarten, da ich die Stadt verließ. Ich habe nicht das Vergnügen gehabt, ihn spielen zu hören; wenn ich aber nach dem, was mir Gutes von ihm gesagt worden, und nach seinen Kompositionen für den Flügel, in welchen viel Feuer mit vieler Delikatesse verbunden herrscht, urtheilen darf, so muß er ein vortreflicher Spieler seyn.

Herr Schale ist gleichfals ein berühmter Organist und Clavicembalist zu Berlin, den ich nicht so glücklich gewesen bin, zu hören.

Herr Riedt, der vorhin erwähnte Flötenist, stammt von engländischen Eltern her. Er hat den Namen eines gelehrten Tonkünstlers; seine Komposition aber und Vortrag sind trocken und [168] kalt. Er ist der Verfasser einer Abhandlung von den musikalischen Intervallen, welche zu ihrer Zeit Aufsehens machte. Sie ist voller Calculations, welche Männern von Wissenschaft unnütz sind, und welche Männer von seinem Geschmack und Genie sich schwerlich überwinden werden, zu studiren.[H 5] In der That ist dieses eine Art von musikalischer Gelehrsamkeit, die sehr leicht in Pedanterie ausschlagen kann; und es[WS 5] ist fast ein wenig merkwürdig, daß alle die gelehrten und mühseligen Calculations der schulgerechten Mathematiker noch kein einziges musikalisches Stück hervorgebracht haben, das dem Ohre eines Mannes von Geschmacke erträglich gewesen. So wahr ist es, daß die Werke des kalten und überlegten Nachsinnens weit weniger Gewalt über unser sinnliches Gefühl haben, als die Ergiessungen der Leidenschaft und des Enthusiasmus.

In Berlin sind mehr musikalische Streitschriften und mit mehr Hitze und mehr Eifer gewechselt worden, als anderwärts.[H 6] Es giebt in dieser Stadt auch wirklich mehr theoretische als praktische Tonkünstler, und das hat vielleicht weder den Geschmack verfeinert noch die Phantasien begeistert.

Ich kann Berlin nicht verlassen, ohne der beyden Grauns eine nähere Erwägnung zu thun, als ich dazu bisher Gelegenheit gehabt habe. Um von diesen Komponisten zu sprechen, wäre es [169] vielleicht der beste Weg, dem Leser hier von jedem derselben zwey Charaktere aufzustellen; Einen von ihren Anhängern und Bewundrern zu Berlin, und den Andern nach dem ungeblendeten Urtheile derer, welchen weder Gewohnheit noch Ansehn im Wege steht, sondern die die Arbeiten dieser Männer mit eben so wenig Vorurtheilen untersuchen, als sie die Werke eines Unbekannten untersuchen würden.

Der Kapellmeister Graun hat sehr viel komponirt. Eh er nach Berlin kam, setzte er zu Braunschweig drey oder vier deutsche Opern in Musik. Allein die Worte waren schlecht, und es wäre nicht hübsch, sein Genie nach diesen jugendlichen Arbeiten zu beurtheilen.

Für das Berliner Theater hat er in der Zeit von vierzehn Jahren, von 1742, bis 1756 sieben und zwanzig italiänische Opern gesetzt. Für die Kirche ein Te Deum und eine Passion, ausser andern vermischten und weniger wichtigen Arbeiten, als Oden, Cantaten, der Sinfonie und den Recitativen zur Oper Galatea, zu welchen Se. Majestät der König, Quantz und Nichelmann die Arien setzten.

Dieser Komponist starb zu Berlin im Jahr 1759, und es wurden damals eine Menge Gedichte und Lobreden auf sein Andenken gemacht. [170] In den kritischen Briefen über die Tonkunst, im ersten Bande 1760, befindet sich eine Auffoderung an den berühmten Dichter und Tonkünstler zu Braunschweig, Herrn F. U. Zachariä, daß er seine Muse Grauns Tode widmen solle. Man kann ordentlicher Weise auf Lobreden nicht viel fussen; indessen giebt es unter Grauns Bewundrern nur wenige, die nicht bereit wären, alle diejenigen mit Feuer und Schwerdt zu verfolgen, welche sich unterstehen wollten, an der Wahrhaftigkeit dieses Auffodrers zu zweifeln.[H 7] Er sagt: „Mein Herr, Unser Graun ist hin! Der Schmuck der deutschen Musen; der Meister des schönen, des edlen Gesanges; der Schöpfer seines Geschmacks. Der Mann, der sich mit nichts als unserm Herzen unterhielte, zärtlich, sanft, mitleidig, erhaben, prächtig, donnernd; der Thränen, Freude und Verwundrung aus uns preßte; ein Künstler, der die Kunst nur dazu gebrauchte, um die Natur, die reizende Natur desto glücklicher, desto ausdrückender nachzubilden; dessen Pinselstriche durch keinen harten Zug jemals verstellet wurden; erfindungsvoll, gedankenreich, ein unerschöpflicher Geist; ein Muster in der heiligen Musik, unnachahmlich auf der Bühne; – der liebenswürdigste Mann, der rechtschaffenste Weltbürger, der Patriot – unser Graun ist dahin! – Sie können versichert seyn, daß der Verlust eines grossen Mannes vielleicht nie allgemeiner und aufrichtiger in Berlin bedauret [171] worden ist, als der Verlust unsers unvergleichlichen Grauns.“ – –

Nun, um die Medaille auf der andern Seite zu besehen! Die Gegenparthey leugnet, daß Graun der Schöpfer seines eignen Geschmacks gewesen; und sagt, er habe ihn nach Vinci gebildet.[H 8] Sie leugnet, daß er jemals prächtig oder donnernd sey, sondern sagen, daß durch alle seine Werke ein gleichschwebender Ton herrsche, der niemals ans Erhabne reiche, ob man gleich öfter das zärtliche Rührende darin antreffe. Sie sind eben so wenig geneigt, ihm grosse Erfindung oder Ursprünglichkeit der Ideen einzuräumen, und stehn in den Gedanken, daß man noch vollkommnere Muster der Kirchenmusik in den Chören von Händel, in den Arien und Duetten von Pergolesi und Jomelli finden könne; eben so wenig will es ihr begreiflich seyn, wie man den Komponisten unnachahmlich nennen[WS 6] könne, der selbst ein Nachahmer ist.[H 9]

Der Concertmeister, Johann Gottlieb Graun, Bruder des vorigen, sagen seine Bewundrer: „war einer der grössesten Violinspieler seiner Zeit, und ganz sicherlich ein Komponist vom ersten Range. Seine Ouvertüren und Sinfonies sind majestätisch, und seine Concerte sind Meisterstücke, besonders die für zwo Violinen, in welchen er die angenehmste Melodie, mit aller Gelehrsamkeit [172] deren sich der Contrapunkt rühmen kann, verbunden hat. Er hat auch verschiedenemale das Salve Regina und einige Missen komponirt, welche, selbst in den ausgearbeitesten Stellen, durch Simplicität und schöne Melodie noch groß und edel sind.“[H 10]

Die Bewunderer der modernern Musik aber, geben diesem Meister noch weniger Quartier, als seinem Bruder. Seine Ouvertüren und Sinfonies finden sie oft den Lüllischen zu ähnlich, und zu überhäuft mit Noten, um, wenn sie zu Berlin gespielt werden, eine andre Wirkung hervorzubringen, als diese, daß sie die Zuhörer übertäuben; und da, wo das in seinen Concerten und Kirchenkompositionen nicht der Fall ist, ist die Länge eines jeden Satzes unmässiger, als es die christlichste Geduld ausstehen kann.

Vielleicht mag die Wahrheit zwischen beyden in der Mitte liegen. Und in Ansehung des Kapellmeisters sollte man nicht vergessen, daß er selten die Freyheit hatte, dem Hange seines eignen Genies zu folgen.

Es war anfangs nicht meine Meynung, den Leser bey Berlin und seinen umliegenden Gegenden so lange aufzuhalten; allein die musikalische Kunst in Sr. Majestät des Königs von Preussen Landen, ist während höchstdesselben Regierung so [173] sehr gerühmt worden, daß solche einer besondern Untersuchung werth war. Indessen wird es nunmehro Zeit seyn, die Zeugnisse aufzuzählen, und es würde die höchste Ungerechtigkeit seyn, zu leugnen, daß Berlin seit langer Zeit unter seinen Tonkünstlern solche einzelne Männer gehabt hat, und noch hat, deren Geschicklichkeit groß und weit hervorragend ist. In Ansehung aber des allgemeinen und Nationalgeschmacks in der Komposition und Spielart, scheint es itzt so sehr nach einem Muster gebildet, daß es alles was Erfindung und Genie heißt, ausschließt. Vielleicht wäre es eben so vernünftig, wenn man annehmen wollte, das Blut eines Quantz oder eines Grauns, wenn es in die Adern eines andern Komponisten gebracht werden könnte, würde besser zirkuliren, als sein eignes, als sich einzubilden, ihre Ideen[WS 7] und Einfälle, wenn er sich solche zugeeignet hätte, würden ihm besser zustehen, als die Ideen und Einfälle, welche er von der Natur erhalten.

Von allen Tonmeistern, welche seit länger als dreyssig Jahren in preusischen Diensten gestanden, haben vielleicht nur zweene, nemlich C. P. E. Bach und Franz Benda, ganz allein den Muth gehabt, selbst Original zu seyn; die übrigen sind Nachahmer. Selbst Quantz und Graun, welche so häufig nachgeahmt worden, haben sich nach den Werken eines Vinci und Vivaldi gebildet.[H 11] Herr Quantz ist ein Mann von vieler Einsicht, und [174] spricht sehr gut über die Musik: allein Sprechen und Komponiren ist zweyerley. Als er sein Buch, vor länger als zwanzig Jahren, schrieb, waren seine Meynungen frey und uneingeschränkt, das sind sie itzt nicht mehr. Und Grauns Komposition war vor dreissig Jahren elegant und simpel, denn er war einer der Ersten unter den Deutschen, welche die Fugen und andre dergleichen schwerfällige Arbeiten bey Seite setzten und zugaben, daß wirklich ein Ding vorhanden sey, das Melodie hiesse, welches die Harmonie unterstützen und nicht unterdrücken sollte; allein, obgleich die Welt immer in ihren Kraysen fortgeht, so haben sich doch schon seit langer Zeit verschiedne berliner Musiker bemüht, solche in ihrem Laufe zu hemmen, und zum Stillstehen zu bringen.[H 12]

Im Ganzen genommen, wurden meine Erwartungen von Berlin nicht völlig erfüllet, denn ich fand nicht, daß der Geschmack in der Komposition oder in der Spielart, welchem Se. Majestät der König von Preussen den Vorzug beylegt, meinem Begriffe von der Vollkommenheit entspräche. Ich spreche sowohl hier als anderwärts nach meinen Empfindungen. Indessen würde es Verwegenheit von mir seyn, wenn ich mein einseitiges Urtheil, dem Urtheile eines so erleuchteten Monarchen entgegen setzen wollte, hätte ich nicht glücklicherweise die Meynung des grössesten Theils von Europa auf meiner Seite. Denn, müßte es auch [175] zugegeben werden, daß Se. Majestät den goldnen Zeitpunkt des Augustus in der Musik gewählt hätten, so scheint es doch nicht, daß Dieselben den besten Komponisten aus diesem Zeitpunkte Dero Gunst geschenkt haben. Vinci, Pergolese, Leo, Feo, Händel und viele andre, welche in den besten Zeiten von Quantz und Graun geblühet haben, halte ich für grösser an Genie und Geschmack als sie. - Und dennoch sind die Namen Graun und Quantz zu Berlin heilig, und wird mehr darauf geschworen, als auf Luther und Calvin.

Unterdessen giebt es zu Berlin so gut, wie anderwärts, Spaltungen; nur sind die Ketzer genöthigt ihre Meynungen geheim zu halten, indessen daß die herrschende Parthey frey und laut spricht. Denn obgleich hier in Ansehung der verschiedenen christlichen Religionsmeynungen eine völlige Toleranz herrscht, so ist doch derjenige, der nicht graunisch und quantzisch ist, vor Verfolgung nicht sicher.

Die Musik hier zu Lande ist deutscher als in irgend einer andern Gegend des deutschen Reichs. Denn ob hier gleich beständig zur Carnavalszeit italiänische Opern sind, so dürfen doch keine andre aufgeführt werden, als von Graun, Agricola oder Hasse, und von diesem Letzten und Besten nur sehr wenige. Und der König hält in dem Opernhause eben sowohl auf gute Mannszucht [176] als im Felde, und wenn an beyden Orten der geringste Fehler in einer einzigen Bewegung oder Evolution vorfällt: so wird er bemerkt und der Fehlende zurecht gewiesen. Und wenn einer unter den italiänischen Truppen sich unterstünde, von der genauesten Subordonation abzuweichen, und eine einzige Passagie in der vorgeschriebenen Rolle zu vergrössern, zu ändern, oder zu vermindern; so würde er eine Ordre empfangen, sich genau an die vorgeschriebenen Noten zu halten.[H 13] Dieses ist gar eine vortrefliche Methode, wenn die Komposition gut und der Sänger zügellos ist: sie steht aber auch gewiß dem Geschmacke und dem Raffinement entgegen. Bey alledem aber steht hier der Geschmack in der Musik auf einem festen und unbeweglichen Punkte.

Anmerkungen (H)

  1. [305] Es ist sonderbar, daß Herr Burney sich einbildet, und seine Leser überreden will, in Berlin habe alles auf Quantz und Graun geschworen! Es giebt da eine große Menge Leute, selbst am Hofe, deren Geschmack nichts weniger als eingeschränkt ist. Es giebt sogar Antiquanzianer von Gewicht.
  2. [305] Der Herr Professor Sulzer hat die musikalischen Artikel in seinem Lexicon nicht allein gemacht. Im ersten Theile hat Agricola viel gearbeitet, und im 2ten arbeitet Kirnberger.
  3. Aus ihrer bunten Urne
    Gedanken gießt, die athmen, und Noten, welche flammen. –
  4. [306] Herr Burney hätte auch leicht erfahren können, daß bey den lateinischen Schulen in Städten, der Cantor einer der ersten Collegen ist.
  5. [306] Sind die musikalischen Calculationen in der Mathematik unnütz? Dafür hielte solche ein Doctor der Musik?
  6. [306] Musikalische Streitigkeiten hat Mattheson mehr und derber geführt, als Marpurg und Kirnberger, die beyden einzigen Berliner, die Streitschriften geschrieben haben.
  7. [306] Wo sind die Menge Gedichte und Lobreden, die Herr Burney auf Graun anführt, und wovon das Publikum nichts weiß? Man schätzte ihn allerdings sehr hoch, und bedauerte einen Mann vom lobenswürdigsten Charakter. Auch ausser Berlin hatte er und Hasse lange Jahre Deutschland vergnügt. Sonderbar ist’s, daß Herr Burney einer ganzen Nation sagen will, das sollte euch nicht gefallen! Ist das Wahrheit, daß Grauns Bewundrer so wüthend sind? Herr Burney hat auf seiner Reise durch Deutschland [307] manchen Bewundrer Grauns kennen gelernt, ist er verfolgt worden? Er kann deswegen auch ganz sicher wieder zu uns kommen. Herr Burney kann auch finden, daß selbst in Berlin Grauns eifrigste Freunde, z. E. Herr Agricola, ihn nicht vergöttern. Er lese nur in Sulzers allgemeiner Theorie der schönen Künste 1 Th. S. 109. und 110 der 4. Edition, den Artikel Ausdruck. Da heißt es: „Graunen hatte die Natur eine Seele voll Zärtlichkeit, Sanftmuth und Gefälligkeit gegeben. Wiewohl er nun alle Geheimnisse der Kunst in seiner Gewalt hatte, so war ihm nur der Ausdruck des Zärtlichen, des Einnehmenden und Gefälligen eigen, und mehr als ein mal scheiterte er, wenn er das Kühne, das Stolze, das Entschloßne auszudrücken hatte.“
  8. [307] Wie würde es aussehen, wenn Herr B. den Beweiß führen sollte, daß Graun sich nach Vinci gebildet hätte! Der erste Widerspruch ist der, daß Graun seine ersten Opern setzte, da Vinci in Deutschland wohl kaum bekannt war. Sodann ist in seinen Opern nichts Vincisches. Graun ist viel weicher, zärtlicher; Vinci stärker und höher. Graun ist ausführlicher und seine Melodie viel fliessender; Vinci mahlt fast keinen Gedanken aus; Graun nicht selten zu sehr; Grauns Instrumente wirken [308] mit vielmehr Kunst und Ueberlegung mit, Vinci ist sorgloser, obgleich nicht unwirksam. Graun hat schon viel Passagien und Coloraturen; Vinci weniger. Im Recitativ sonderlich zeigt Graun mehr Wissenschaft der Modulation und Deklamation, und modulirt zuweilen, ohne daß die Worte es erfodern, zu kühn. Vinci wird man nicht stark im Recitativ finden. Graun wiederhohlt sich oft, ist sich zu gleich, Vinci ist abwechslender. Vinci liebt kurze Ritornelle, Graun lange. Vinci scheint auf seine accompagnirte Recitative (ausgenommen im letzten Akt der Dido,) wenig zu halten; Graun bringt sie gerne an, und ist glücklich darinn. Und nun vor allem, Vinci in Duetten, Terzetten, Quartetten! welch ein himmelweiter Unterschied. – Diese Vergleichung liesse sich weiter ausdehnen, wenn es gälte; auf Arbeiten beyder Männer über ein Subjekt. – Grosse Erfindung, d.i. reiche, und im Erhabnen, Schrecklichen, Heftigen, könnte man Graum allerdings absprechen; dabey hat er die Trommelbässe bis zum Ueberdruß. Aber wer ihm im Zärtlichen, Sanften, ihm eigenthümliche Gedanken, Rührung, weiches Gefühl und Erfindung abläugnen wollte! – Eilfertige Kritiker können freylich leicht dazu verleitet werden. Sie nehmen eine ganze Oper, (wobey dem Komponisten durch allerley [309] Umstände die Freyheit des Geistes eingeschränkt wurde, und weil er nicht Universalgenie genug war, ihnen in allen und jeden Theilen Genüge zu thun und ein vollkommnes Ganzes zu machen. Ergo – sind die Theile, worin die Poesie einem Genie gemäß war, nicht schön! Es ist doch immer gut um ein klein wenig Philosophie, um dem Geschmack des Gehörs ein wenig zu Hülfe zu kommen.
  9. [309] So Etwas nennt man Petit. Princip.
  10. [309] Ganz Deutschland hat seine Sinfonien gerne gehört. Seine Manier ist nun freylich grade das Zärtliche nicht. Aber würde man den Poeten verwerfen, der eine etwas brausende feurige Manier hätte, die zwischen dem Kühnen, Erhabenen und Sanften in der Mitte läge? Man würde ihn nicht Oben an setzen – aber verwerfen? So bunt, als viele neuere Sinfonien konnte der Con. M. Graun nicht seyn, das war damals noch nicht ausstehlich. Doch glaub’ ich, die Manier seiner Sinfonien sei sich selbst stets zu gleich, ohne daß er sich ausschrieb. Daß Gedanken geborgt, wird man wohl nicht sagen, so wie nicht läugnen wollen, daß viele aus ihm geborgt haben. Wenn doch ein Burney der Zweyte im Jahr 1783 reisete, wie würden [310] alsdann die Helden Burney’s der Ersten, z. E. Haydn, u.s.w. mitgenommen werden!
  11. [310] Aus Gesprächen weiß ich, Bach giebet nicht zu, daß Quantz sich nach Vivaldi gebildet habe. Quantzens Concerte haben auch eine feinere Einrichtung, sind mit den Instrumenten verwebter, als die von Vivaldi, die ich von ihm kenne. Lernen sollen und müssen wir ja alle von denen die vor uns waren. Aufs ängstliche Kopiren, nur darauf kommts an!
  12. [310] Wer wäre denn das eigentlich gewesen? Daß man in Berlin nicht jede Neuerung so gerade weg annimmt! That es doch Hasse und Metastasio und Bach u. a., die der V. lobt, auch nicht. Aber nicht sowohl berliner Komponisten, als berliner musikalische Schriftsteller sind Schuld an dem üblen Rufe der berliner Schule. In Wien, Manheim gieht es auch Komponisten so, so! Nur lassen sie auch bey andern Fünfe grade seyn; und so ziehen sie sich denn auch keine Feindschaft auf den Hals. Die berliner Kritiker verkannten das Genie anderer Komponisten, sobald sie gegen die Regeln der musikalischen Gramatik anstiessen; und ob sie gleich mit Fug gegen manchen wahren Unsinn in grosser Italiäner Werken eiferten, so hatte es doch oft das Ansehn, als ob sie alles Gute zu eilig übersähen, und dem Genie nicht erlaubten, [311] etwas zu wagen – wenn es nicht aus ihrer Schule war. Das macht freylich eben so wenig Freunde, als es bessert. – Den alten Quantz zu tadeln, daß er itzt nicht so frey denke! ’T is not fair, Sir!
  13. [311] Spaltungen und Ketzer haben in Berlin grosse Freyheit; gut! Toleranz in allen unschädlichen Sachen, Herr Doktor! Warum soll ein grosser Monarch, nicht das Recht eines jeden Privatmannes unangefochten geniessen, in der Musik seinem Geschmacke zu folgen?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gegeneinangerstellung
  2. Vorlage: a; siehe Burney S. 214 Google
  3. Vorlage: naturel
  4. S. 445–450 Google; Siehe dazu auch: Johann Beckmann: Beyträge zur Geschichte der Erfindungen, Artikel 3. Notensezer, Extemporirmaschine, Band 1, S. 28–32, Leipzig: Kummer 1786 Google
  5. Vorlage: er
  6. statt Vorlage: kennen – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
  7. statt Vorlage: daß ihre Ideen – Verbessert nach dem Druckfehlerverzeichnis
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