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In den kritischen Briefen über die Tonkunst, im ersten Bande 1760, befindet sich eine Auffoderung an den berühmten Dichter und Tonkünstler zu Braunschweig, Herrn F. U. Zachariä, daß er seine Muse Grauns Tode widmen solle. Man kann ordentlicher Weise auf Lobreden nicht viel fussen; indessen giebt es unter Grauns Bewundrern nur wenige, die nicht bereit wären, alle diejenigen mit Feuer und Schwerdt zu verfolgen, welche sich unterstehen wollten, an der Wahrhaftigkeit dieses Auffodrers zu zweifeln.[H 1] Er sagt: „Mein Herr, Unser Graun ist hin! Der Schmuck der deutschen Musen; der Meister des schönen, des edlen Gesanges; der Schöpfer seines Geschmacks. Der Mann, der sich mit nichts als unserm Herzen unterhielte, zärtlich, sanft, mitleidig, erhaben, prächtig, donnernd; der Thränen, Freude und Verwundrung aus uns preßte; ein Künstler, der die Kunst nur dazu gebrauchte, um die Natur, die reizende Natur desto glücklicher, desto ausdrückender nachzubilden; dessen Pinselstriche durch keinen harten Zug jemals verstellet wurden; erfindungsvoll, gedankenreich, ein unerschöpflicher Geist; ein Muster in der heiligen Musik, unnachahmlich auf der Bühne; – der liebenswürdigste Mann, der rechtschaffenste Weltbürger, der Patriot – unser Graun ist dahin! – Sie können versichert seyn, daß der Verlust eines grossen Mannes vielleicht nie allgemeiner und aufrichtiger in Berlin bedauret

Anmerkungen (H)

  1. [306] Wo sind die Menge Gedichte und Lobreden, die Herr Burney auf Graun anführt, und wovon das Publikum nichts weiß? Man schätzte ihn allerdings sehr hoch, und bedauerte einen Mann vom lobenswürdigsten Charakter. Auch ausser Berlin hatte er und Hasse lange Jahre Deutschland vergnügt. Sonderbar ist’s, daß Herr Burney einer ganzen Nation sagen will, das sollte euch nicht gefallen! Ist das Wahrheit, daß Grauns Bewundrer so wüthend sind? Herr Burney hat auf seiner Reise durch Deutschland [307] manchen Bewundrer Grauns kennen gelernt, ist er verfolgt worden? Er kann deswegen auch ganz sicher wieder zu uns kommen. Herr Burney kann auch finden, daß selbst in Berlin Grauns eifrigste Freunde, z. E. Herr Agricola, ihn nicht vergöttern. Er lese nur in Sulzers allgemeiner Theorie der schönen Künste 1 Th. S. 109. und 110 der 4. Edition, den Artikel Ausdruck. Da heißt es: „Graunen hatte die Natur eine Seele voll Zärtlichkeit, Sanftmuth und Gefälligkeit gegeben. Wiewohl er nun alle Geheimnisse der Kunst in seiner Gewalt hatte, so war ihm nur der Ausdruck des Zärtlichen, des Einnehmenden und Gefälligen eigen, und mehr als ein mal scheiterte er, wenn er das Kühne, das Stolze, das Entschloßne auszudrücken hatte.“