Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation/3. Die Einwohnerschaft

Das Stadtregiment Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil/8. Stadt und Gesellschaft von der rudolfinischen Zeit bis zur Reformation
von Rudolf Wackernagel
Handel und Handwerk
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Drittes Kapitel.
Die Einwohnerschaft.



Was jetzt vor uns tritt, ist die städtische Bevölkerung, die diese Geschichte erlebt, diesen Behörden untertan ist und zugleich sie erschafft formt und beeinflußt.

Gegen außen zeigt sie das Bild einer einheitlichen geschlossenen Masse. Sie ist die Trägerin des Namens Basel, Vertreterin des großen berühmten Stadtwesens am Oberrhein. Dabei gering an Umfang. Um die Mitte der 1440er Jahre, bei Anwesenheit zahlreicher Flüchtlinge aus der Umgegend, zählte sie nicht mehr als etwa fünfzehntausend Personen.

Den Zugang zu diesem Verbande gab das Alter der öffentlich rechtlichen Mündigkeit, das mit vierzehn Jahren eintrat. Während in Zivilsachen das zwanzigste Lebensjahr handlungsfähig machte, wurde der Basler mit vierzehn Jahren wehrpflichtig steuerpflichtig und politisch berechtigt.

An dieser Bevölkerung auffallend ist der Wechsel ihres Bestandes, eine unaufhörliche Erneuung. In einem für uns kaum glaublichen Maße geht sie unter in Kriegen und Fehden, in häufigen Epidemien, in einer konstanten starken Kindersterblichkeit. Aber dieser Vernichtung antwortet immer wieder ein Ersatz. Vom Tode gelöste Ehen werden rasch und wiederholt durch neue Verbindungen der Überlebenden ersetzt, die Kindersterblichkeit begleitet einen außerordentlich großen Kinderreichtum. Es ist auch die Zeit allgemeiner Wanderbewegung. Die Zeit wiederum, die alle paar Jahrzehnte Masseneintritte ganzer Dorfschaften und Ämter brachte, aus denen nach Aufhören der Gefahr Viele wieder heimkehrten. Manche aber auch hier sitzen blieben. Dazu die normale dauernde Zuwanderung aus dem Sundgau, aus der rechtsrheinischen Nachbarschaft und dem Juragebiete, dann aus Schwaben, seltener aus dem Norden, ganz vereinzelt aus Frankreich und Italien. Von hohem Interesse ist dabei das Einwachsen dieses beständig Neuen in das Vorhandene und Angesessene, ist die Kraft mit der die Stadt [352] einer jeden Umwandlung Stand hält. Sie wird nicht das schlaffe Produkt des von allen Seiten herein Strömenden, sondern zwingt jeden Ankömmling unter ihre Eigenart.

Zeitgenössische Urteile über diese Eigenart sind selten. Wenn Basel geschildert wird, vernehmen wir meist nur die konventionelle Wiedergabe eines allgemeinen Eindrucks. Einzelheiten, die Erwähnung finden, sind höchstens die Kleidung der Einwohner, die Bauart, der Reichtum an Brunnen u. dgl. Tiefer und ins Persönliche greift der erprobte Schilderer Enea Silvio. In einem glänzenden Momente der Stadtgeschichte und aus beredtem Munde erhalten wir eine Charakteristik, die von großem Wert ist. „Die Basler sehen nicht auf den Schein, nur auf das Wesen.“ Sie scheuen sich, mehr zu zeigen als sie zu haben glauben, und hüten das, was sie wirklich haben, vor jedem Andern, weil es Diesen nichts angeht. Daher „bauen sie ihre Häuser nur für den Gebrauch“ und schaffen sie diesem zu Liebe im Innern so wohnlich als es angeht, während sie das Äußere ohne Rücksicht auf Gefallen und Bestauntwerden bilden. Daher auch im persönlichen Leben das Bergen des Gefühls als des eigensten Eigentums und, aus Scheu etwas Unwahres zu geben, das Zurückhalten jeder Begeisterung. „Mehr Sparta als Athen“, sagt Enea. Statt der verhüllten Phantasie zeigt sich ihr Gefährte, der Witz. Die Gesinnung zum Echten, die kein Lob gibt noch erwartet, weil es geheuchelt sein könnte, braucht als Mittel ihrer Erziehung den Spott. Eine erstaunliche Fülle von Spitznamen ist aus den Gassen und Stuben schon des XIV. Jahrhunderts in die Akten gerettet worden; sie zeigen, wie Jeder Jedem aufpaßt und sein Mangelhaftes oder Lächerliches festhält. Unter dem Banne solchen verbreiteten Witzes, aus der angebornen und anerzogenen Gewöhnung zum Maßhalten, zum Zurückdrängen spontaner und kühner Entschlüsse heraus, dazu in der lauen schweren Luft dieser Gegend wachsen der Einzelne wie das Gemeinwesen, gestalten sich Politik Kriegführung Handel. Alles dies an einem Orte, den stets der stärkste Weltverkehr durchflutet. Daß die Stadt so wenig durch diesen berührt wird, erscheint wie absichtliche, mit der eigenen Art völlig zufriedene Zurückhaltung. In der Tat ist schon frühe, durch Sebastian Brant, bezeugt, wie bewußt die Basler eine Singularität festhalten, welche Freude ihnen ein ausgebildetes Sonderwesen bereitet.

Der Stabilität des Stadtcharakters entspricht die Geschlossenheit, in der die Stadt gegen außen erscheint. Stadt und Einwohnerschaft sind eins. Die Auffassung herrscht, daß das Gemeinwesen jeden Einzelnen zu schützen, dieser mit jenem Lieb und Leid zu teilen habe. Jährliche Eide festigen diese Einung. Die Stadt besitzt in der Tat Auszeichnung und Vorteil einer [353] allgemeinen Gleichartigkeit im Sinne des öffentlichen Rechtes, dem Lande gegenüber, wo jedes Dorf ein Komplex verschiedener Herrschaften sein, der eine Bauer diesem, der andere jenem Berechtigten zustehen kann und auch im Ganzen noch kaum ein geschlossener Territorialbegriff waltet.

Aber treten wir näher, überschreiten wir die Stadtgrenze, so zersplittert sich uns sofort diese Masse in alle möglichen Gruppierungen örtlicher sozialer wirtschaftlicher rechtlicher Art.


Wir betrachten zunächst die rechtliche Gliederung.

Der Begriff des Bürgers, das Bürgerrecht, ruht nicht mehr auf einem Stande. Seit den Tagen Heinrichs von Neuenburg und Rudolfs von Habsburg lebt in Basel das moderne Bürgerrecht als das Recht aller Derjenigen, die sich Glieder der Gemeinde fühlen dürfen.

Eine einheitliche Bürgerschaft, ein umfassendes Bürgertum bildet sich. Das städtische Wesen tritt bewußt und begehrlich hervor, und unter dem Impulse dieses regeren öffentlichen Lebens wächst das Leben des Einzelnen, bestimmt sich der Wert des Einzelnen für das Ganze und des Ganzen für ihn, entstehen gemeinsame Interessen, gemeinsame Rechte und Pflichten für eine Bürgerschaft, die unendlich größer und gestaltenreicher ist als die Gesellschaft der alten Burger.

Diese verschwinden keineswegs. Sie bestehen weiter. Aber nicht mehr als die allein Berechtigten, sondern als der Kern der neuen Bürgerschaft. Und von allen Seiten regt es sich heran. Zu dieser Bürgerschaft strebt der Altangesessene, der bis dahin außerhalb des Kommunallebens stand; aus dem Kreis seiner Gasse und Nachbarschaft, seines Gewerbes, seiner Zunft tritt er ein in das größere Ganze der Gemeinde. Neben ihm der Ansiedler, der erst vor Kurzem hereingekommen ist und nun, da ihm dies sichere Wohnen allein nicht mehr genügt, ein verpflichteter aber auch berechtigter Genosse des Gemeinwesens werden will. Der Bewohner des Landes sodann, der von klein auf gelernt hat, diese Stadt als die große Burg und Zuflucht der ganzen Umgegend zu erkennen, in ihr Ordnung und Behagen, alle Erquickung, die lohnende Arbeit, den Schutz, die Freiheit, überhaupt die Zukunft zu suchen. Die Stadt selbst ruft ihn, die mit allen Mitteln sich stärken will. Aber es ist unmöglich zu sagen, wer bei dem Allem mehr verlangte, wer mehr gewann. Indem Basel dieses Bürgerrecht schuf, öffnete es sich einem nie versiegenden, stets frischen Zuströmen willkommensten Lebens. Der sein Bürger wurde, trat mit einem Schritt in den Mitbesitz eines gar nicht zu übersehenden Erbes von Recht Tradition Freiheit Ehre Macht.

[354] Solchergestalt ist seit den 1280er Jahren in der großen Stadt Basel von einem Basler Bürgerrecht und von Basler Bürgern die Rede. Ähnlich, aber bescheidener landstädtischer, in Kleinbasel. Bis dann das Jahr 1392 ein einziges, beiden Städten gemeinsames Bürgerrecht schuf.

Dieses Bürgerrecht gab dem Bürger, neben dem Genuß der allgemeinen Freiheiten und Privilegien der Stadt, im Einzelnen Persönlichen den Anspruch auf Rat und Hilfe der Obrigkeit bei allen Nöten; das Recht, jedes andre Gericht als das der eigenen Stadt ablehnen zu können; die Freiheit von Steuern in fremden Gebieten; die Fähigkeit, Ritterlehen zu besitzen. Außerdem war der in Basel seßhafte Bürger frei von Transitzoll und Pfundzoll. In seinem Hause durfte Niemand außer dem Richter einen Fliehenden suchen und festnehmen; noch 1458 anerkannte das Gericht das alte Recht, daß man in Basel Keinen in oder vor eines Bürgers Haus innerhalb der Dachtraufe von Geldschuld wegen fangen dürfe. Die Strafjustiz war für den Bürger eine andere gelindere als für den „usman“. Nur das Bürgerrecht gab die Ratsfähigkeit.

Den Umfang der Bürgerpflichten nennen zu Beginn, Alles in wenige Hauptworte fassend, die Forderungen, daß der Bürger Häuptern und Räten gehorsam zu sein, den Einung (Stadtfrieden) und die Bündnisse zu halten, das Mühlenungeld zu entrichten habe. Die Entwickelung des öffentlichen Lebens und die zunehmende Lust an breiter Formel brachten dann Spezialisierung dieser Pflichten: Wachtdienst, Kriegsdienst, zu Zeiten auch Frohndienst; Steuerpflicht in Entrichtung des Ungelds und jeder Steuer; das Halten aller Ordnungen, die der Rat erläßt; Lieb und Leid mit der Stadt teilen; ihren Nutzen und ihre Ehre fördern; ihren Schaden wenden. Die Verpflichtung wird mit der Zeit immer weiter zerlegt, weiter ausgedehnt: der Bürger muß in Basel wohnen und darf sonst nirgends eigenen Rauch, auch sonst nirgends Bürgerrecht haben; er soll das Pfundzollrecht der Stadt wahren, sei es daß er selbst einen fremden Gemeinder hat, sei es daß er einen Andern einen Kauf tun sieht mit einem Fremden; Recht geben und nehmen nur vor den Schultheißen zu Basel und von ihren Sprüchen nicht appellieren; auch nicht um solches Appellierens willen das Bürgerrecht aufgeben; nicht in auswärtigen Krieg laufen; kein auswärtiges Dienstverhältnis annehmen.


Das Bürgerrecht war Jedem zugänglich, auch Frauen. Es wurde erworben durch Abstammung, durch Kriegsdienst, durch Kauf oder Schenkung.

Der stillste einfachste Erwerb war derjenige durch Erbgang, das tenere nomine hereditario. Kinder unter vierzehn Jahren waren in der Aufnahme [355] ihres Vaters miteingeschlossen, während die ältern es selbst erwerben mußten.

Nach altem Herkommen konnte das Bürgerrecht unentgeltlich erworben, „verdient“, werden durch Leistung freiwilligen Kriegsdienstes für die Stadt. „Wie der Adel auf dem Schlachtfelds seine Angehörigen zu Rittern schlug, so war auf Seite der Städter für die mitziehenden Hintersassen das Bürgerrecht der Sporn zur Tapferkeit.“ Gefordert wurde, daß der Mann auf eigene Kosten und im eigenen Harnisch mitzog und innert vierzehn Tagen nach der Rückkehr sich bei der Kanzlei einschreiben ließ. Auf diesem Wege sind die meisten neuen Bürger unsrer Periode für Basel gewonnen worden. Wir hören davon schon bei den Zügen der Stadt vor Schwanau Schloßberg L’Isle Zürich, und seit 1356 sind uns die Verzeichnisse der so Aufgenommenen nahezu vollständig erhalten. Danach brachten von der Mitte des XIV. bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts die Kriegszüge eine Vermehrung der Bürgerschaft um etwa fünftausendsechshundert Neubürger (ohne Weiber und Kinder) gegenüber etwa fünfzehnhunderten, die während desselben Zeitraums das Bürgerrecht kauften.

Bei Bürgerrechtskauf war das Normale jedenfalls, daß der Einzelne um dieses Recht sich bewarb und die Ehre dieses Rechtes, die sich nicht umsonst und leichthin gab, zu erlangen strebte. Aber dazwischen kamen Momente, die auch die Behörde zur Initiative trieben. Am rückhaltlosesten durch sie selbst bezeugt im Januar 1441: „Die Stadt hat nicht so viel Leute, als sie der mancherlei möglichen Ereignisse wegen, vor denen Gott sei, bedarf. Viele sind in der Seuche gestorben. Viele durch die hohen Bürgerrechts- und Zunftrechtsgebühren fortgetrieben worden. Nur Eines kann jetzt noch gelten: der gemeine Nutz, der nach geschriebenen Rechten und göttlicher Ordnung höher zu setzen ist als irgend ein ander Ding.“ Daher wird beschlossen, das Bürgerrecht, das man bisher kaum um zehn Gulden kaufen konnte, um vier Gulden zu geben; auch die Zunftgebühren wurden ermäßigt. Aber nicht genug damit. Am 12. August 1444 verheißt der Rat durch öffentlichen Ruf das Bürgerrecht unentgeltlich Jedem, der sich Nachmittags im Rathause melde und den Eid leiste. Auf ergreifende Weise bringen uns diese Erlasse die Empfindungen des schwer bedrängten Rates, die Not jener Zeit nahe. 1441 gewann so die Stadt hundertsiebenundzwanzig neue Bürger, 1444 deren zweihundertneunzig. Vierzig Jahre später zeigt sich uns etwas Ähnliches. Der Streit mit dem Bischof, die Befeindung durch Solothurn, schwere Geschäfte wie die Konzilssache des Andreas von Krain, Alles drängte den Rat zu einer Stärkung der Bürgerschaft. [356] Den zünftigen Hintersassen, die obwohl nicht Bürger doch als „gewerblich Vollberechtigte“ Freiheit vom Pfundzoll genossen, wurde dies Privileg entzogen mit der Aufforderung, binnen Monatsfrist das Bürgerrecht zu kaufen. So in den Jahren 1484 und 1487. Wieder nach vierzig Jahren, in den Sturmzeiten der Reformation, erneute sich dies Vorgehen. Jetzt in der deutlich erklärten Absicht, eine geschlossene einheitliche Einwohnerschaft zu haben, um allem Kommenden kräftiger zu begegnen. „Daß wir Alledesto glicher bi einander sitzen.“ Daher die Mandate vom August 1525 und März 1528 über Erwerb des Bürgerrechts durch alle Zünftigen und Ausschluß der Hintersassen von der Pfundzollfreiheit. Neu hinzu trat die Forderung, daß der Bürgerrechtspetent Mannrecht (Zeugnis persönlicher Freiheit) und Abschied (Leumundszeugnis) vorzulegen habe.

Im Einzelnen ist zu sagen, daß die Höhe der Einkaufsgebühr wechselte. Außer den Sporteln betrug sie 1362 eine Mark Silbers, die an die Rheinbrücke verwendet werden sollte; später vier, 1440 zehn, dann wieder vier Gulden.

Dem Petenten wurde vor Allem klar gemacht, daß die Aufnahme ins Bürgerrecht ihm keinen Anspruch auf Hilfe des Rates in alten Kriegen gebe, die er mitbringe. Das Zweite war die Hörigkeitsfrage; sie wurde seit dem XVI. Jahrhundert geregelt durch die Forderung des Mannrechts; deren Vorläufer waren die Rechte des freien Zugs und der „Besetzung“.

Als altes Recht galt, daß der Herrschaft Österreich Leute im Sundgau freizügig seien in die vier Enden der Welt, und Basel, dem dieser freie Zug natürlich von hohem Werte war, hielt streng auf seine Geltung. Nicht von ungefähr lag bei den Dokumenten des Rates das auf dem Rufacher Tag 1331 getroffene Abkommen über diesen freien Zug; seine Handhabung war einer der Hauptstreitpunkte Basels mit Österreich. 1436 verglichen sich die Streitenden, aber ohne dauernde Wirkung; der Zank ging weiter, mit Österreich selbst sowohl wie mit den Inhabern einzelner Sundgauischer Herrschaften; erst die Breisacher Richtung 1449 schuf auch hier Ordnung: zwischen Basel und Österreich solle das Recht des freien Zuges gelten, zwischen Basel und einzelnen Herren das Recht der „Besetzung“.

Dieses letztere war das normale Recht, für Basel ringsum nach allen Seiten, mit Ausnahme des freizügigen Sundgaus, und seit Jahrhunderten geltend. 1285 wurde es den Kleinbaslern durch König Rudolf gegeben; im neuen Stadtbuch, das der Großbasler Rat nach dem Erdbeben anlegte, war einer der ersten Einträge die Formulierung dieses Rechtes: welcher Herr einen in Basel ansässigen Mann innert Jahr und Tag besetzt d. h. als seinen eigenen Mann anspricht und dieses Eigentum selbst beschwört [357] sowie durch sechs nahe Verwandte des Geforderten (Muttermagen) beschwören läßt, dem gibt der Rat den Mann heraus. So lautete „der Stadt Recht“; später trat an seine Stelle die „goldene Bulle“ König Sigmunds von 1431 und die Forderung von weniger als sechs Muttermagen. Im einen wie im Andern Falle aber galt, daß, wenn der Herr die Besetzung nicht durchzuführen vermochte, der Mann blieb was er gewesen war, nämlich Hintersasse zu Basel. Das Bürgerrecht erlangte er nicht „von versitzendes wegen“, sondern wie jeder Andre nur durch Kauf oder Kriegsdienst.

Das Lebendige aber ist die tatsächliche Anwendung dieses Rechtes, so 1377 im Vertrage mit der Ritterschaft, 1409 im Abkommen mit Lütold Münch, 1507 gegenüber den Herren im Sundgau. Es kam vor, daß Herren Eigenleute in Basel ansprachen, aber ihr Recht nicht bewiesen; so 1395 der von Biedertan, 1449 Konrad von Eptingen. Daneben finden sich Verzichte von Herren auf Eigenleute, die Basler Bürger geworden sind oder dort wohnen. Überhaupt dürfen wir nicht durchweg nur an Gegensatz zwischen Stadt und Herr denken. Daß Eigenleute auch mit dem Willen ihrer Herren nach Basel zogen und hier das Herrenrecht ruhig weiter gelten ließen, geschah oft; erst das Bürgerrecht schloß die Hörigkeit aus.

Eigenartig stand dem Allem gegenüber das Verhältnis zum Bischof. Wie anderwärts so scheint auch hier der alte Stadtherr den Grundsatz vertreten zu haben, daß er seine Leute nicht in das Bürgerrecht wollte aufnehmen lassen. Er anerkannte weder den freien Zug noch ließ er sich auf das Verfahren der Besetzung ein, und die Stadt hatte daher beständig mit ihm wegen der Aufnahme von Bischofsleuten zu streiten. Dieser Sache galt eine Hauptbeschwerde Johanns von Vienne, und hundert Jahre später kam Johann von Venningen auch hierauf zurück; 1471, am Regensburger Reichstag, erwirkte er von Kaiser Friedrich das allgemeine Verbot, Leute des Basler Hochstifts zu Bürgern aufzunehmen.

Schenkungen des Bürgerrechts geschahen — abgesehen von der großen Liberalität im August 1444, bei der es sich im Grunde um einen Vorentgelt für Kriegsdienst handelte — zahlreich und aus den verschiedensten Rücksichten. Eine ganz allgemeine Anerkennung führte wohl zu der Schenkung an den gelehrten Heinrich von Beinheim 1437, während in andern Fällen spezielle Leistungen geehrt wurden: 1420 die Erneuerung des Gemäldes am Rheintor durch Hans von Schlettstadt, 1439 die Besorgung von Korneinkauf durch Berthold Luterer, 1450 die Niederwerfung von Feinden der Stadt durch Hans Spar usw. Oder der Rat brauchte dies Mittel bei Berufungen: 1450 eines in der Anfertigung von Feuereimern bewährten [358] Meisters, 1468 und 1525 eines Harnischers, 1489 eines Münzmeisters u. dgl. m. 1513 erhielt Martin Springinklee das Bürgerrecht geschenkt für seine Tapferkeit in der Schlacht von Novara. Das Schönste war die Gewährung an Bernhard Sevogel 1452, ausdrücklich geschehend zu Ehren seines bei St. Jacob gefallenen Vaters Henman.


Dem Erwerbe des Bürgerrechts gegenüber stand sein Aufgeben, das aber nicht durch einfache Erklärung des Austretenden geschehen konnte, sondern nur unter Leistung eines Eides vor dem Rate mit bestimmten Zusagen und Verpflichtungen.


Seitdem im XIII. Jahrhundert der Bürgerbegriff sich entwickelt hatte zur Umfassung aller Städter, war nicht nur die Kaste der Burger von der Gemeinde der Bürger geschieden, sondern der Adlige, der einst so gut Bürger von Basel geheißen wie Andre, vom Bürger noch viel weiter weg gerückt.

Aber dies waren gesellschaftliche Verschiedenheiten und Distanzen. Das alte Bürgerrecht lebte auch in den Rittern weiter; und obgleich diese nur nach ihrem Stande genannt sein wollten, gab man doch gelegentlich auch ihnen noch den Ehrentitel eines Bürgers von Basel. Mit dem Rechte, das diesem Titel zu Grunde lag, war auch für sie nach wie vor verbunden die Ratsfähigkeit, deren Voraussetzung überdies nach altem Rechte die Ministerialität sein sollte.

Die Ratslisten, dann die Verzeichnisse der den Jahreid Schwörenden zeigen uns die Edeln, die Basler Bürgerrecht haben. Neben diese Rötel treten die Zeugnisse einzelner Bürgerrechtserwerbungen durch Adlige, die aber meist nicht neue in Basel sich einbürgernde Herren, sondern Söhne alter edler Ratsfamilien sind. Es würde irrig sein, hieraus zu schließen, dieses Edelbürgerrecht sei nicht erblich oder der Ratsbeisitz von Adligen nicht an das Bürgerrecht geknüpft gewesen. Was uns diese Bürgeraufnahmen vielmehr bezeugen, ist die maßlose Unruhe der Zeit, ist der Kampf der Stadt mit Österreich und dem Bischof, ist der Kampf des altberechtigten Stadtadels gegen neue, zur Stadtherrschaft strebende Mächte. Wie dieses gewaltige Ringen den Einzelnen erfassen und dahinreißen konnte, tritt auch in den Dokumenten des Bürgerrechts zu Tage. Da sind Edle, die den Jahreid verweigern oder die den Rat nicht mehr besuchen wollen. Der Rat antwortet mit ihrer Verbannung. Andre Ritter geben ihr Bürgerrecht geradezu auf. Ruhig und wortkarg sind die Meldungen des Stadtbuchs von diesen Vorfällen, unberedte Zeugnisse einer Entwickelung, die jedenfalls reich war an den leidenschaftlichsten Szenen. Eine Rückkehr zur Stadt aus solcher [359] Entfremdung, durch die Ausgetretenen selbst oder ihre Nachkommen, waren dann diese Erwerbungen des Bürgerrechts, die namentlich aus den Jahrzehnten 1380—1410 zahlreich gemeldet werden. Aber solche Wiedereintritte stellten das alte Wesen nicht wieder her; die Verbindung war entzwei. Dem entsprach die Art dieses Bürgerrechts. Auch bei ihm war Pflicht der Gehorsam gegen den Rat, das Entrichten von Steuer und Ungeld, Recht nehmen und geben vor den Stadtgerichten, mit der Stadt Lieb und Leid leiden und ihren Nutzen fördern; das Letztere hier als ein Beholfen sein mit Schlössern und Leuten. Aber dies Alles nur geltend für eine bestimmte Zeitdauer, im Minimum fünf Jahre. Hierin lag das Charakteristische des Adelsbürgerrechts, und dessen Besonderheit war außerdem, daß als Einkaufsgebühr in erster Linie eine Armbrust mit guter Winde, erst in zweiter Linie Geld zu entrichten war.

In manchen Fällen mag es sich hiebei nur um ein Ausbürgerrecht gehandelt haben, das rechtlich und inhaltlich vom gewöhnlichen Edelbürgerrechte sich nicht unterschied; Formel und Eid waren dieselben, und die Unterscheidung lag nur im auswärtigen Wohnen.

Wie dann im XV. Jahrhundert, während Recht und Pflicht des Bürgers immer deutlicher formuliert wurden, die Edeln immer weniger über sich gewannen, diese Pflicht zu erfüllen, und damit selbst sich des Rechtes beraubten, wird noch zu schildern sein. Hier bemerken wir, daß den häufigen Austritten Edler aus dem Bürgerrecht nur noch selten Aufnahmen von Edeln antworten; unter diesen verdient Erwähnung die ganz singuläre des Hans Bernhard von Eptingen, der nur seines Zanks mit Solothurn wegen Basler Bürger und sofort auch Ratsherr wurde. Nach der letzten großen Erschütterung des Jahres 1499 endlich sah das XVI. Jahrhundert nur noch ein dürftiges Weiterleben des Edelbürgerrechts in wenigen Familien wie Eptingen Bärenfels Rotberg. Aber ohne die alte Bedeutung. Auch die jetzt beliebende Spezialität des Erbbürgerrechts hatte wenig Belang; sie war ebenfalls nicht viel mehr als ein Schirmverhältnis mit schönerm Namen.


Das Ausbürgerrecht wurde soeben erwähnt. Sein Motiv war der Wohnsitz außerhalb der Stadt. Für diese so gut wie für die Herren. Erwägungen ähnlich denjenigen, die Basel in die Städtebünde trieb, veranlaßten auch zur Schaffung solcher Ausbürgerrechte. Die Stadt erweiterte ihre Macht, faßte Fuß in einem fremden Territorium, hatte dort Bürger die verpflichtet waren ihr zu gehorchen, ihr zu steuern, ihre Gerichtsgewalt anzuerkennen, im Kriegsfall ihr mit Schlössern Landen und Leuten zu [360] dienen. Die Ausbürger hinwieder gewannen Rat und Hilfe der mächtigen Stadt. So wechselte das Interesse. Von welcher Seite jeweilen die Initiative ausging, vermögen wir nicht zu sagen. Unmöglich auch ist uns im Einzelnen stets eine scharfe Sonderung vom normalen Edelbürgerrecht. Was wir hier als Fälle von Ausbürgerrecht nennen, sind Aufnahmen von Fürsten und Herren, die nicht in Basel angesessen waren, auch wenn Einzelne unter ihnen hier Häuser zu gelegentlicher Einkehr besitzen mochten.

Die Hauptperiode des Basler Ausbürgerrechts war das vierzehnte Jahrhundert. Da schworen dem Rat als Ausbürger die Markgrafen Otto und Rudolf von Hochberg, die Grafen Heinrich von Mömpelgard, Walraf von Tierstein, Imer von Straßberg, Rudolf von Habsburg, Rudolf von Nidau, die Freiherren von Hasenburg und von Gliers, die von Nordschwaben Müllheim Blumenegg Waldner Hatstat Pfirt Mörsberg Lörrach usw. Aber auch Johann Effinger von Brugg, Niklaus Thut von Zofingen u. dgl. Wir sehen die mannigfaltigen Wirkungen dieser Ausbürgerrechte, als größte die Teilnahme Basels an den Mömpelgardischen Kriegen, seine Züge vor Blamont 1351, vor L’Isle 1355. Bis die allgemeine Entwickelung das Verhältnis unmöglich machte. Die Stadt trat immer stärker in Gegensatz zu den benachbarten Gebieten, vor Allem zu Österreich, und in diesem Kampfe sammelten sich, wie die Stadtedeln, so nun namentlich die Herren der Umgebung, die Ausbürger Basels gewesen waren, unter dem Zeichen seiner Gegner. Das Ausbürgertum war ein Stück Territorialpolitik, das preiszugeben die Stadt durch ihren Konflikt mit dem Fürstentum genötigt wurde. Mit aller Deutlichkeit zeigt uns dies das bewegte Jahr 1411, da die Gliers Waldner Hatstat Pfirt usw. ihre Ausbürgerpflicht durchaus verletzten und nicht der Stadt dienten, sondern dem Herzog; da der Rat sie dafür auf immer aus dem Bürgerrechte wies und nun aussprach, daß er von solchem Bürgerrecht auswärts Seßhafter nichts mehr wissen wolle. In der Tat verlautet später kaum mehr etwas davon. Ganz vereinzelt nur war der Erwerb dieses Bürgerrechts durch Clara von Randegg, Frau des Hans Münch, 1460, wobei sie dem Rate das Schloß Angenstein öffnete, in der Sorge vor einem Überfall durch Solothurn. In gänzlich veränderten Zeiten sodann, durch bestimmte politische Pläne Basels veranlaßt, entstanden die Ausbürgerrechte des Grafen Wilhelm von Fürstenberg 1518 und der Gräfin Margaretha von Tierstein 1520. Aber sie befriedigten so wenig, daß der Rat 1523 neuerdings beschloß, künftig nicht mehr oder nur nach sorgfältigster Prüfung solche Verhältnisse einzugehen.

Nur kurz ist das Ausbürgerrecht von Geistlichen zu erwähnen. Hier lag das Interesse wesentlich auf der Seite des Ausbürgers, der den Schutz [361] der Stadt erwarb ohne dafür zu bieten, was der adlige Herr bot. Daher ist auch hier kaum ein System dieses Bürgerrechts zu erkennen; jeder Fall ruht ganz auf sich selbst. Neben den Bürgerrechten der Klöster Lützel St. Blasien Wettingen, die ja auch dauernde Niederlassung in Basel selbst hatten, kommen in Betracht die Bürgerrechte zahlreicher einzelner Kleriker aus der nahen Umgegend sowie von Colmar Isenheim Straßburg usw. Außerdem das Bürgerrecht der Schöntaler Klosterherren; diese wurden 1416 zu Bürgern angenommen, bei Anlaß der Reorganisation des Klosters, und als das Wesentliche erscheint dabei neben der Beschirmung durch Basel der Verzicht des Klosters auf den Gebrauch geistlichen Gerichtes gegenüber den Basler Untertanen.


Edelherren und Geistliche waren nicht die einzigen auswärtigen Bürger Basels. Wir sehen vielmehr den Rat da und dort auch ein Pfahlbürgertum schaffen. Es geschah dies bei Dorfbewohnern, die sich ihren Untertanenpflichten dadurch entzogen, daß sie draußen sitzend Bürger von Basel wurden und die Privilegien der Städter geltend machten. Das war die in Karls IV. goldener Bulle verbotene Bürgerschaft der „falschen Bürger“, „Pfalbürger“, von der durch kein Reichs- noch Landesrecht beanstandeten Ausbürgerschaft der nicht steuerpflichtigen Adligen und Geistlichen im Wesen verschieden, aber ihr gleich in den Motiven: Aufsuchen des städtischen Schutzes gegenüber landes- oder grundherrlicher Gewalt, Streben der Stadt nach Einfluß und Macht im Territorium außerhalb ihrer Mauern. So standen z. B. in der Reihe der dem Basler Rate Schwörenden 1357 der Meier von Sierenz und der Vogt Örtli von Riehen, 1358 Peter Groß von Habsheim usw. So nahm 1407 der Rat die Stadt Delsberg, das Delsberger Tal und das Münstertal als Bürger auf. Er verhieß diesen Leuten Schutz und Hilfe gleich eingesessenen Bürgern und empfing dafür ihr Versprechen, kein andres Bürgerrecht anzunehmen, ihm jährlich ein Bürgerrechtsgeld zu zahlen und bei Kriegen Basels mitzuziehen. Über zwanzig Jahre lang dauerte das Verhältnis, ohne Einsprache des Bischofs; aber daß 1434 bei Anlaß einer gegen einige Delsberger vor dem königlichen Hofgericht erhobenen Klage der Basler Rat das Privileg seiner Bürger, nur vor dem Stadtgericht Recht geben zu müssen, auch für die Delsberger in Anspruch nahm, brachte dies Bürgerrecht zu Fall. Der Kläger erinnerte an das Pfalbürgerverbot der goldenen Bulle; er konnte auch an das erst vor kurzem, 1431, erlassene Reichsgesetz erinnern, und keine Einwendung Basels half. Durch das Hofgericht wurde das jurassische Bürgerrecht am 26. Februar 1434 aberkannt.

[362] Wie in den 1520er Jahren Basel aufs neue solche Bürgerrechte bischöflicher Landstädte und Dörfer gewann, wird an seinem Orte zu schildern sein.


Die Bürger bildeten die Stadtgemeinde, die Trägerin des Stadtregimentes war. Starke Kräfte waren hier an der Arbeit, aber lange nicht die einzigen. Eine ganze Welt von Existenzen Fähigkeiten Leistungen bestand noch und schuf mit der Bürgerschaft zusammen das Leben der Stadt. Sie nicht umgebend, nicht von ihr geschieden, sondern in tausendfachem Wechsel immerfort sich mit ihr mischend, in sie überfließend. Diesen größern Begriff der Stadtgemeinde verkündet der Rat selbst, wenn er davon redet, daß „alle Diejenigen, so in einer Ringmauer verschlossen und beschirmt werden und deshalb gleichen Nutzen an Schirm Leibes und Gutes empfangen, auch gemeine und gleiche Bürde tragen und Hilfe tun sollen.“ Mit weiter Gebärde umfaßt er die ganze Einwohnerschaft.

Aber das Recht verlangt Sonderungen; es trennt die Bürger von der Masse der Unverbürgerten und läßt Kategorien dieser Masse erkennen: Hintersassen Schirmleute Fremde.


Die Hintersassen, Edle wie Niedriggeborne, standen in derselben Pflicht des Gehorsams gegen die Obrigkeit wie die Bürger. Auch sie mußten wachen, ins Feld ziehen, Steuer zahlen. Recht geben und nehmen nur vor den hiesigen Schultheißen, im Allgemeinen der Stadt Nutzen und Ehre werben, ihren Schaden wenden, Lieb und Leid mit ihr teilen; auch zur Annahme einer Zunft waren sie gehalten. Aber eine Aufnahme in Hintersassentum fand nicht statt, keine Einkaufsgebühr wurde gezahlt, nur den jährlichen Eid hatten die Hintersassen zu leisten. Der Unterschied lag somit in den Rechten. Der Bürger war der Berechtigte. Vor Allem hatte nur er die Fähigkeit, in Rat und Gericht zu sitzen; mit Ausnahme des Großen Rates, dem als Sechser einer Zunft auch Nichtbürger angehören konnten. Nur der Bürger war vom Pfundzolle befreit, nur sein Haus eine Freistatt für die um Geldschuld Verfolgten usw. Dagegen stand das Recht des Bürgers, wegen bloß behaupteter Forderungen nicht ohne weiteres arrestiert werden zu können, wohl auch dem Hintersassen zu, ebenso die Freiheit von auswärtigem Gericht und auswärtiger Steuer. Außerdem scheinen mit der Zeit Verschiebungen vorgekommen zu sein: so die Verleihung der Pfundzollfreiheit auch an die Hintersassen, bis sie ihnen in den 1480er Jahren wieder genommen wurde; ihre Teilnahme an der Nutzung von Wunn und Weide u. A. m.

[363] Wie im Einzelnen die Anwendung dieser Sätze sich gestaltete und wie in der frühern Zeit Rat und Bürgerschaft von den Miteinwohnern schwächeren Rechtes dachte, ersehen wir nicht. Auch ist schwer zu sagen, aus welchen Elementen diese Hintersassenschaft bestand; ihren Hauptstock bildeten ohne Zweifel zahlreiche Handwerksmeister, dann in großer Menge die Gesellen, ferner Taglöhner und Arbeiter jeder Art, die Knechte der Edeln und Achtburger usw. Jedenfalls eine ansehnliche Masse, die für das öffentliche Leben von Bedeutung war. Daher gingen seit der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts Öffnung und Förderung des Bürgerrechts sichtlich Hand in Hand mit dem Streben nach Beseitigung des Hintersassentums. Es war ein Interesse der Stadt, Bürger zu gewinnen und durch ihr Bürgerrecht die Rechte bisheriger Herren solcher Hintersassen aus der Stadt zu drängen. Die Verfügungen von 1484 und 1487 zeigen deutlich diese Tendenz. Aber 1506 wieder fand der Rat in anderer Auffassung, daß man Keinen der Hereinkommenden zur Erwerbung des Bürgerrechts nötigen solle, sondern, „damit man desto förderlicher Anreizung gebe und Leute zu uns in die Stadt bringe“, möge Jeder frei sein, Bürger zu werden oder Hintersaß. Erst die 1520er Jahre brachten auch hier Strenge und Ausschließlichkeit: 1528 führte der Rat für Hintersassen die Forderung von Mannrecht und Abschied ein und, „damit die Stadt desto mehr Bürger und desto minder Hintersassen bekomme“, wurden die Letztern nochmals ausdrücklich dem Pfundzoll unterworfen. In demselben Sinne und mit dem Motiv, „daß man nicht dem Almosen und Spital zu lieb allzuviel einsitze“, ordnete dann im Februar 1534 ein ausführlicher Erlaß das Recht der Hintersassen.


Die Schutzgenossenschaft stellt uns kein einheitliches System dar, erscheint vielmehr in Formen, die nach Umständen der Zeiten und Personen wechselten. So lose war das Band und so elastisch, daß es die verschiedenartigsten Verhältnisse umfassen konnte.

Im Allgemeinen wird zu sagen sein, daß die Schutzgenossen vom Einwohnerrechte Nichts besaßen als den Anspruch auf Schutz, „Schirm und Trost“, der Obrigkeit, der sie dafür ihren Gehorsam schuldeten. Sie hatten sonst keine öffentlichen Rechte; sie unterlagen in der Regel keiner Eidespflicht, waren in der Regel vom Stadtgericht eximiert.

So während des Konzils dessen Angehörige.

So seit 1472 jährlich während einiger Wochen die Meßleute.

So dauernd der gesamte Klerus.

[364] Auch die Flüchtlinge sind zu nennen, die bei Kriegsunruhen sich und ihr Gut nach Basel in Sicherheit brachten. Aber gerade bei ihnen waltete eine eigenartige, über die Regel hinausgehende Form des Schutzrechtes, die sie eher als temporäre Hintersassen erscheinen läßt. Die Stadt bot ihnen den gewünschten Schirm und verlangte dafür das eidliche Versprechen, dem Rate gehorsam zu sein, Ungeld und Steuer zu entrichten, hier Recht zu geben und zu nehmen, mit der Stadt Lieb und Leid zu teilen; das Letztere auch in dem Fall, daß während ihres Hierseins ihr Landesherr mit Basel in Krieg geraten sollte.


Sodann die merkwürdige kleine Gruppe der Freiheiten oder freien Knaben. Gemeiniglich werden diese zum Gesindel der Bettler und fahrenden Leute geworfen, als seines Gleichen behandelt. Jedoch mit Unrecht. Allerdings standen auch sie hier außerhalb der vollberechtigten Gesellschaft und hatten nahe Berührung mit den Fahrenden vor Allem als Richter des Vogtsgerichts auf dem Kohlenberg. Aber von diesen Kohlenbergleuten waren sie doch sozial unterschieden. Wenn sie auch meist nur zu den Schutzgenossen gehörten, standen doch Bürgerrecht und Hintersassentum auch ihnen offen.

Was sie als Gruppe zusammenhielt und vor Allem von den Fahrenden trennte, war ihr bestimmtes und an den Ort gebundenes Gewerbe.

Die Freiheiten arbeiteten hauptsächlich als Träger der städtischen Getreideverwaltung; als „Säckler“, „der Stadt verordnete Sackträger“ transportierten sie die Lasten zu und von den Kornböden. Diese Verrichtung war ihr Monopol, in das kein Andrer greifen durfte. Aus den durch die Müllerherren verhängten Geldbußen wurden sie bezahlt und hatten überdies an ihnen einen Anteil.

Außerdem dienten die Freiheiten dem Gemeinwesen allenthalben als Lastenwälzer Besorger Aufräumer. Bei Fürstenbesuchen hatten sie die Stadt sauber zu machen, Abwart zu tun, die Ehrengeschenke in Haber Weinfässern usw. hin und her zu tragen. Auch in der Messe mußten sie Dienste leisten und überhaupt jederzeit, gelegentlich sogar bei Hinrichtungen, mit Gehen und Tragen zur Hand sein, namentlich bei Feuerausbruch löschen und retten helfen.

Auch Privaten sollten die Freiheiten dienen, als Boten Holzhacker u. dgl.; die sich solcher Arbeit weigerten, wurden bestraft.

Und war dies Alles getan, so konnten die Freiheiten ihr Leben noch mit Anderm fristen, als Pflasterknechte, Feilträger von Kleidern u. dgl. m.

Dies ihr Wesen, bei dem sie leicht genug in Gewohnheiten von Landstreichern und Gassenpöbel kommen mochten. Sie lebten auf der Straße [365] und in Diensten, die jedem Andern zu hart oder zu nieder waren. Daher ihre Vermischung mit den Kohlenbergleuten bei den Autoren. Daher in den Akten selbst die Erwähnung einzelner Freiheiten meist nur wegen Unfugen. Bei Wirtshausszenen Schlägereien Gewalttaten Possen aller Art finden wir die Freiheiten unaufhörlich beteiligt.

Aber daneben vergessen wir doch nicht, daß auch in diesen „rechten buben ohne Hosen und ohne messer“ ein Gefühl der Reputation, das Bewußtsein eines Standes mit Vorrecht und eigener Ehre gelebt haben muß. Sie dulden nicht, daß ein Andrer den Kornmeistern die Säcke trage. Sie sind die Starken, die freilich nur Jedermanns Knechte, aber auch die Jedermann unentbehrlichen Träger und Helfer sind. Dieses öffentlich anerkannte Dienenschafft die Grundlage für das ihnen zustehende Recht, für die Privilegien, denen sie den Namen Freiheiten verdanken.

Sie hatten den Anspruch, hier zu wohnen gleich Bürgern und Hintersassen, konnten aber weder zu den Einen noch zu den Andern genötigt werden; sie waren von Hut- und Wachtpflicht befreit, brauchten einer Ladung vor Stadtgericht nicht zu folgen, durften jedoch auch nicht wie Fremde wegen Geldschulden ins Gefängnis gelegt werden. Ihre Streitigkeiten untereinander mit Fäusten oder Stöcken aber ohne Messer waren nicht bußfällig.

Dieses „Völklein“ der Freiheitsknaben hatte, was sonst keinen Schutzgenossen auflag, den Jahreid zu leisten, neben den übrigen Zunftlosen; es zog auch als abgesonderte Gruppe in die Kriege der Stadt, vom Rate aufgeboten, mit eigenem Fähnlein, gleichen Namens aber nicht gleicher Art mit den das Heer begleitenden Freischaren.


Das eigenartigste Beispiel von Schutzgenossenschaft bietet die Judengemeinde.

Sie zeigt sich uns in zwei Ansiedelungen, indem der Vernichtung der alten Gemeinde 1349 nach einem Jahrzehnt die Bildung einer zweiten Gemeinde folgte, die ihrerseits nicht einmal vierzig Jahre lang dauerte.

Wie solchergestalt die Judenschaft in Basel ein frühes Ende fand, so war auch ihr Umfang nie beträchtlich, wohl in keinem Momente die Zahl von hundert Köpfen merklich übersteigend.

Dennoch handelt es sich um eine Institution von Bedeutung für die Stadtgeschichte. Im geschäftlichen Verkehr und Leben hatten die Juden ihre bestimmte wichtige Funktion. Sie besaßen Fähigkeiten und Verbindungen, die in diesem Maß Andern fehlten. Aber während sie so als Geldbeschaffer und Pfandleiher über die innersten Kräfte des Erwerbslebens geboten, waren [366] sie zur gleichen Zeit die Ausgestoßenen, die Fremdlinge mitten in der Stadt. Dies charakterisiert ihre Stellung. Durch ihr Gewerbe Jedem willkommen, dem Gemeinwesen wie dem Einzelnen, dem Laien wie dem Kleriker, hatten sie doch die Freiheit dieses Gewerbes zu erkaufen durch schwere Leistungen, durch beständige Furcht vor Ausplünderung und Vernichtung.

Freilich wurde dieses Fremdsein am Orte wettgemacht durch ein Daheimsein in aller Welt, die Stärke der Heimatlosen. Nicht als Fluktuieren, als stark wechselndes Ein- und Auswandern zeigt sich dies, — weil gerade das Geldgeschäft ein Beharren am Orte verlangte —, sondern als Beziehung zu auswärtigen Judenschaften. Wir finden solche bezeugt z. B. in den Herkunftsnamen baslerischer Judenfamilien, die auf Städte und Städtlein (nie auf Dörfer) namentlich des Elsaß, dann auch der untern Rheingebiete usw. weisen; ferner darin, daß die Basler Judengemeinde (wenigstens diejenige der frühern Zeit) Vorort eines größern Judenbezirkes gewesen zu sein scheint.

Daß diese Judenschaft eine Menschenart für sich sei, zeigten schon die Abzeichen, die ihre Angehörigen tragen mußten: die Stiefel, die spitzen Hütlein.

Die Geschlossenheit der Gemeinde, ihr rechtspersönliches Handeln als Körperschaft, ihre Organisation mit Bethaus Schule Beamten (Hochmeister Schulmeister Sänger Knecht) ist mehrfach bezeugt.

Auch im Wohnen kam dies gesonderte Wesen zum Ausdruck, indem die große Mehrzahl der Juden, wenn auch nicht in einer geschlossenen Gasse wie anderwärts, doch nahe beisammen auf einem Fleck ihre Häuser hatten. Nicht von ungefähr natürlich an der besten Geschäftslage der Stadt, zunächst bei Markt und Kaufhaus. Hier an Gerbergasse und Grünpfahlgasse standen die Synagoge, die Schule, ein Dutzend Judenhäuser; andere, vereinzelt, finden wir am Marktplatze selbst, an Hutgasse und Spalenberg, in Kleinbasel.

Völlig abgesondert aber lagen die toten Juden. Die alte Judengemeinde hatte ihren Friedhof zwischen dem Petersplatz und dem Gnadentalkloster, an der Stelle des spätern Werkhofs. Dies war „der Juden Garten“, der 1349 zerstört wurde und dessen Grabsteine an den innern Stadtgräben Verwendung fanden. Die zweite Gemeinde hatte sich lange ohne eigenen Friedhof zu behelfen; sie trug ihre Toten irgendwohin in die Nachbarschaft und erwarb in Basel erst 1394, als es eigentlich schon zu spät war, wenige Jahre vor ihrem Ende, einen Garten in der Vorstadt zu Spitalscheuern (den hintern Teil der heutigen Liegenschaften Äschengraben 18, 20, 22), auf dem sie mit Bewilligung des Rates ihren Friedhof anlegte.

Das Verhältnis der Juden zur Stadt war das der Schirmgenössigkeit. Gelegentlich wird ein Jude Bürger genannt, zu „eingesessenem Bürger“ [367] ausgenommen. Aber was ihm vom Bürgerrechte zuteil wird, ist nur ein ausdrücklicher, verstärkter Schutz des Rates, insbesondere vor auswärtigen Gerichten. Kein anderes der spezifischen Rechte des Bürgers wird ihm verliehen, keine Teilnahme am Gemeinwesen gestattet. Daher er auch keiner Zunft angehört, kein Amt erhält, keinen Jahreid leistet, keinen Kriegsdiens ttut, nicht wacht, kein Ungeld entrichtet, keine Zollfreiheit genießt. Wie er im Glauben geschieden ist, so in Allem, was die Ehre des Bürgers und auch des Hintersassen ausmacht.

Das allgemeine Einwohnerrecht galt für den Juden, dem hier zu wohnen der Rat gestattet hatte. Man sollte ihm feilen Kauf geben wie einem Christen; zeitweise scheint eine eigene jüdische School bestanden zu haben, während zu andern Zeiten der Verkauf des rituell geschächteten Fleisches in der gewöhnlichen School stattfand. Ebenso war der Jude den Gesetzen und Polizeiverordnungen unterworfen wie die andern Einwohner. Nur in Recht und Gerichtsbarkeit bestanden Vorbehalte.

Die Beziehungen der Juden untereinander wurden durch ihr eigenes jüdisches Recht geregelt, das aber auch in die Rechtsverhältnisse zwischen Juden und Christen, namentlich beim Pfandrecht, einwirken konnte. Gerichtlich zu belangen waren die Juden in erster Linie vor ihrem Rabbiner, dann auch vor dem Stadtgerichte, was der Rat ausdrücklich anerkannte, unter Zusicherung seiner Hilfe im Falle von Vorladung vor geistliches Gericht. Aber sie hatten die Freiheit, sich auch vor diesem finden zu lassen, wenn es ihnen paßte; wie sie vor dem Schultheißen als Käufer Verkäufer Leihempfänger auftraten und nach Stadtrecht handelten, so sehen wir gelegentlich den Schultheiß sogar einen Erbschaftsprozeß in einer Judenfamilie, ausschließlich zwischen jüdischen Parteien, führen und entscheiden.

Als das Gewerbe der Juden wird vereinzelt der Pferdehandel genannt, regelmäßig aber und mit mannigfaltigster Bezeugung das Geldgeschäft, das verzinsliche Leihen auf Pfand, womit jedenfalls oft das Trödelgeschäft verbunden war.

Wie 1213 Bischof Lütold, 1223 Bischof Heinrich Schuldner von Basler Juden gewesen waren, so jetzt die Bischöfe Johann von Vienne und Imer. Das Stift St. Leonhard bedang sich wiederholt von den in seinem Sprengel angesessenen Juden ein zinsloses Kreditgeben auf Pfand aus. Und stark verschuldet bei den Juden war jedenfalls auch der Adel; Hartung von Hertenberg, Rudolf Hürus von Schönau, Hertrich zu Rhein u. A. werden als Debitoren genannt; auch bei der Vergewaltigung des Kleinbasler Juden Vivelman durch die von Andlau wird an eine solche Schuld zu denken sein.

[368] Das sind vereinzelte Erwähnungen, und wir können nur vermuten, wie viel Tatsächliches von Geschäften aller Art, von Geldnot Wucher Unrecht Leidenschaft sich hinter diesen dürftigen Angaben birgt. Näher bekannt wird uns nur die Debitorschaft der Stadt selbst, zur Zeit der zweiten Judengemeinde.

Die erste Gemeinde, die 1349 ihr Ende fand, scheint stärker ansehnlicher gewesen zu sein als die spätere. Aber sie zeigt sich uns beinahe nur in äußern Dingen ihrer Ansiedelung und im Verhältnisse zur Grundherrschaft. Von ihrer Stellung im Gemeinwesen erfahren wir kaum etwas, höchstens die beiläufige Angabe, daß sie den Schutz des städtischen Rates genoß.

In ganz andrer Weise erkennbar wird die zweite Gemeinde. Schon durch das mannigfaltige und deutliche Leben einzelner Figuren: der Familien vorerst, die seit 1362 die erst vor kurzem ausgemordeten Wohnplätze ihres Stammes wieder beziehen; dann der Ärzte Josset und seines Sohnes Gutleben; der großen Sara, der Käuflerin; der schönen Jüdin, die diesen ihren Stadtnamen und Ruhm auch im Rechnungsbuche des Rates behält; des jüdischen Diebes, der am Galgen Christ wird; namentlich aber des Moses von Colmar, neben Menlin von Rufach und Eberlin von Gebweiler eines Führers der Gemeinde. In den Geldangelegenheiten zwischen Judenschaft und Rat nahm er eine Hauptstellung ein; vielleicht war er sogar Berater bei der städtischen Finanzpolitik.

Der Wiedereintritt der Juden in Basel fiel in die Zeit, da die Stadt sich nach dem Erdbeben wirtschaftlich wieder konsolidierte, ihr Schuldenwesen ordnete, mit Neubau und Befestigung eine gewaltige Arbeit auf sich nahm. Es waren Jahre des Vorherrschens kaufmännischer Erfahrungen und Gedanken im Rate, und die Vermutung liegt nahe, daß diese Geschäftsleute, die Zscheckenbürlin Ziboll Berner Agstein usw., auch dafür wirkten, durch Öffnung Basels für Juden dem Gemeinwesen die Nutzung der Kapitalien und der finanziellen Fähigkeiten dieser Leute möglich zu machen.

In erstaunlich großem Maße haben sich die Juden während dieser Jahrzehnte an den Finanzoperationen der Stadt beteiligen, zu Deckung ihrer Geldbedürfnisse helfen müssen. Die Leistung erscheint um so beträchtlicher im Blick auf die Kleinheit der Kolonie. Aber das Lebendige, ja Ergreifende ist, daß die Juden solchen Dienst taten wie zum Entgelte dafür, das so bequeme Gewerbe des Wuchers unter öffentlichem Schutze treiben zu dürfen, und zugleich in dem gewiß unverhüllten Zwange zu diesem Dienst die stete höhnische Mahnung daran erkennen konnten, die Verachteten und Zertretenen zu sein.

[369] Aber es handelt sich nicht allein um die Stadt. Vielmehr sehen wir die Juden einer wechselnden Beherrschung und Ausnützung durch Stadt und Reich unterworfen.

Wir haben uns daran zu erinnern, daß der Bischof keinerlei Rechte über die Juden besaß. Sie standen unmittelbar unter dem Schutze des Königs, der durch seinen Reichsvogt sie schirmte und nützte d. h. von ihnen als Kammerknechten des Reiches eine bestimmte Steuer erhob, bis 1365 dieses Recht vom König an Basel überging. Am 30. April dieses Jahres erteilte Karl dem Rate das Privileg, die Juden in Basel von des Reiches wegen zu schirmen und zu besteuern.

Aber der Rat hatte schon vorher, kraft Gemeindeherrschaft, den Juden gleich den andern Einwohnern seinen Schutz gewährt. Was jetzt 1365 dazukam, war der Schutz von Reiches wegen und die Befugnis zum Bezuge der bisher an die königliche Kammer gezahlten Abgabe.

Unter der Herrschaft dieses Rechtes geschah die Judeneinwanderung in Basel während des Jahrzehnts 1362—1372. Ihr Aufhören stand wohl im Zusammenhange damit, daß Herzog Leopold von Österreich, der in diesen Jahren sich der Basler Angelegenheiten zu bemächtigen begann, auch in der Judensache dem Rat entgegentrat und 1374 den König dazu bestimmte, das Judensteuerrecht der Stadt zu nehmen und ihm dem Herzog zu geben. So hatte der Rat nicht mehr die freie Gewalt über die Juden wie bisher und fand daher auch weniger Anlaß, ihre Zuwanderung zu provozieren. In der Tat geschahen von da an nur noch vereinzelte Aufnahmen.

Das Interesse der Stadt an den Juden, das durchaus geschäftlicher Art war, zeigt sich uns in deutlichen Formen:

Zunächst als Einnahme von Gedinggeld Jahrgeld. Wer als Jude in Basel aufgenommen wurde, erhielt die Zusicherung von „Schirm und Trostunge“, die Bewilligung zum Wohnen und Wuchern auf bestimmte Zeit, nach deren Ablauf die Bewilligung erneuert werden konnte; zwischen ihm und dem Rate wurde jeweilen die Höhe des Entgeltes vereinbart, den er für seine Zulassung, gleichsam als Patentgebühr, jährlich zu entrichten hatte; diese einzelnen Beträge, häufiger der Gesamtbetrag der Geding- oder Jahrgelder aller Juden, stehen unter den jährlichen städtischen Einnahmen von 1362 bis 1397.

Weiterhin als Einnahme aus Bestattungsgebühren; für den neuen Judenfriedhof 1394 f. nachgewiesen, für den alten Friedhof zu vermuten.

Während der Jahre 1365—1374 als Einnahme aus der dem Rat überlassenen Judenreichssteuer.

[370] Vereinzelt als Einnahme aus Geschenken der Judengemeinde, so 1366/67 und 1393/94.

Endlich und hauptsächlich als Einnahme aus Geldvorschüssen der Juden. An Freiwilligkeit werden wir freilich weder hier noch bei den Geschenken glauben dürfen. Daß der Rat 1386 der Jüdin Slemme das ausdrückliche Versprechen zu geben nötig fand, sie zu keinem Leihen oder Schenken zwingen zu wollen, spricht deutlich genug.

Neben dem normalen Schuldwesen der Stadt gingen diese Judenschulden als eigenartige Ergänzung her. Zuerst bis zum Jahre 1374, indem die Rechte Herzog Leopolds einsetzten, dann wieder seit 1383. Den Einnahmen aus solchen Vorschüssen antworten in den Ratsrechnungen die Ausgabeposten über Rückzahlungen, leider nicht in so präziser Fassung und so vollständig, daß ein Vergleich möglich wäre und ein Urteil, inwieweit dem Eifer des Entleihens auch eine Beflissenheit des Zurückgebens entsprach. Durchweg aber handelte es sich nur um wenige Kreditoren. Ein einziges Mal, 1384/85, wird die Judenschaft gemeinsam als Darleiherin genannt, mit einem Betrage von dreihundert Gulden; sonst sind es Menlin Eberlin Elias Rubin, Frau Fröde, der kleine Maak, Simon von Cambray usw., die das Geld geben, in Posten von hundert Gulden, sechshundertvierzig Pfund usw. bis zu dreitausend Gulden. Der Hauptkreditor aber scheint Moses von Colmar gewesen zu sein, derselbe, dem wir auch als Geldgeber des Bischofs Imer und der Grafen von Kiburg begegnen. Mit ihm steht der Rat diese Jahre hindurch dauernd in Abrechnung. Die Aufenthaltsgebühren des Moses werden verrechnet auf den Anleihensschulden des Rates; zuweilen besorgt Moses die Zahlungen für andre jüdische Darleiher, wie er auch wieder Namens des Rates dessen Schulden an Dritte abträgt und Solches verrechnet. Von der Aufnahme des Moses 1365 an zieht sich dieser Verkehr, zum Teil mit erheblichen Summen, — Moses leiht dreihundertfünfzig Gulden, fünfzehnhundert Gulden, viertausenddreihundertundsieben Pfund usw. — bis in die 1380er Jahre, in die Zeit, da der mächtige frische Aufschwung städtischen Wesens wie alle Kräfte so namentlich die finanziellen in Anspruch nimmt und damit auch die Operationen dieser Juden Nutzung belebt und steigert.

Der Drang der neuen politischen Unternehmungen und die Bundesgenossenschaft mit den schwäbischen Städten führte auch Basel zur Teilnahme an der großen Gewalttat der Judenschuldentilgung 1385. Diese bestand darin, daß die Städte des schwäbischen Bundes in Ausführung gemeinsamen Beschlusses und auf Grund der mit vierzigtausend Gulden erkauften Bewilligung König Wenzels, innert bestimmter Frist beliebige Summen aus [371] den bei ihnen wohnenden Juden erpressen zu dürfen, diesen die Schuldtitel über gemachte Darleihen nahmen und dabei nicht nur die aus sie selbst lautenden Titel vernichteten, sondern auch der übrigen Forderungen sich bemächtigten und deren Summen in ermäßigtem Betrage von den Schuldnern entweder selbst erhoben oder sich hierüber mit den jüdischen Kreditoren verständigten.

Basel ist diesem Vorgehen keineswegs fern geblieben. So knapp und fast verschämt schweigsam die Angaben des Rechnungsbuches auch sind, geben sie uns doch eine deutliche Anschauung. Wir sehen Ende Junis und Anfang Julis 1385 die Ratsdeputierten in die Judenhäuser gehen, zum Eberlin, zum Moses, zum Rubin, zum Menlin usw., vernehmen die Ausgaben für Pergament u. dgl. zu den Protokollierungen und Inventaraufnahmen, für Bewachung der Juden in ihren Wohnungen, in der Synagoge und auf den Gefängnistürmen, für die wiederholten Gesandtschaften nach Ulm, für die Sendung von fünfhundert Gulden zu des Königs Händen, — all dies kurze Detail, zusammengehalten mit den Abreden der Städte und spätern Äußerungen Wenzels, beweist unwiderleglich, daß auch Basel an der Judenschuldentilgung sich beteiligt hat. Sie war vielleicht der äußerlich größte Gewinn, den es vom Städtebunde zog. Und wie lebendig ist dann der Vorfall mit den Markgrafen von Hochberg, die gleichfalls Schuldner von Basler Juden sind, daher nun auch ihrerseits an der Wohltat der Schuldentilgung Teil haben wollen, über diese Gläubiger herfallen und deswegen mit Basel Streit bekommen. Wieder steht Moses von Colmar im Vordergrunde der Judengemeinde. Er ist der reichste Hebräer zu Basel, hat die meisten und größten Guthaben; die Deputierten gehen auch in sein Haus, nehmen seine Titel, legen ihn selbst in den Turm, sein Weib in den Käfig. Deutlich zeigt sich hier, daß der Rat, wenn er auch seine eigenen Schuldbriefe kassiert, nicht den andern Schuldnern gegenüber einfach an Stelle der Juden tritt, sondern sich mit diesen in die Forderung teilt oder mit ihnen über einen zu zahlenden Betrag, eine Art Loskauf, „teidingt“ d. h. nach Belieben und Vermögen sie bares Geld zahlen oder zur Zahlung sich verpflichten läßt. Daher von jetzt an die hohe Verschuldung der Basler Judenschaft gegenüber dem Rate. Auch Moses muß zahlen, im September 1385 ist er noch zehntausend Gulden schuldig, und der Rat setzt ihm Termine unter Drohung nochmaliger Einkerkerung. Aber Moses stirbt in dieser Trübsal, und seine Witwe Slemme führt nun das Geschäft weiter. Sie ist die vielgenannte Moysessin, mit der des Rates Kassiere von jetzt an zu tun haben. Auch sie scheint gelegentlich andre Juden bei diesen [372] Tributleistungen zu vertreten. Sie muß mächtige Summen entrichten: achtundzwanzigtausendundzwanzig Gulden, Zweitausendvierhundertzwanzig Gulden usw., bis zum Jahre 1394 zieht sich die Abrechnung über ihre Schuld. Was daneben immerzu an Judengeld beim Rat eingeht, ist zum größten Teile gleichfalls Frucht dieser Ausplünderung von 1385; die Kleinbasler Juden zusammen haben achthundert Gulden zu zahlen, die Großbauer sechshundert Gulden, fünfhundertvierzig Gulden, wiederholt fünfhundert Gulden; erst 1395 werden auch sie frei, ist die ganze Schuld getilgt.

Während so der Rat seine Kasse speisen ließ, hatte er Auseinandersetzungen mit König Wenzel. Vorerst 1386 über den großen aus Häusern Hausrat Silbergeschirr Pfandgütern usw. bestehenden Nachlaß des Moses von Colmar, den einerseits die Erben ansprachen, andrerseits der Vogt des Reichs als angeblich erbloses Judengut zu konfiszieren begehrte. Das Schultheißengericht entschied zu Gunsten der Erben; aber König Wenzel gab sich nicht zufrieden. In Hin- und Widerschreiben zwischen ihm und dem Rate ging diese Sache weiter, bis 1390 ein Abkommen getroffen werden konnte. Es brachte auch die andern Streitigkeiten des Königs mit der Stadt zur Ruhe; Wenzel hatte noch immer Forderungen aus dem Tilgungsgeschäft von 1385 geltend gemacht und mußte auch hierüber zufriedengestellt werden. Gegen Zahlung von zweitausendfünfhundert Gulden verzichtete Wenzel auf alle Ansprüche und überließ dem Rate wieder das Schirm- und Nutzungsrecht über die Juden von Reiches wegen, zwar nicht unbeschränkt, wie er es 1365—1374 besessen hatte, sondern nur für vierzehn Jahre und vom fünften Jahr an nur zur Hälfte.

Aber in dem Reichtum der Zeugnisse über dies Alles liegt etwas Irreführendes. Das Geldgeben der Juden an Stadt und König war ja nur ein Teil des Ganzen, für uns allerdings der kenntlichste; das eigentliche Leben der Judenschaft war doch durch Anderes gebildet: das alltägliche kleine schmutzige Geldgeschäft, das Geschäft mit Jedermann, das Handeln und Wuchern solcher Juden, die nicht groß waren wie Moses, nicht Gewinne hatten wie er, aber auch nicht seine Leiden und Verluste. Was er und Andre seines Stammes zu erdulden hatten, erscheint uns über das Persönliche hinausgehoben als Staatsmaßregel großen Stils, bei deren Betrachtung das erbarmungslos Quälerische des Verfahrens wie eine Nebensache hingenommen wird, ja fast als Kompensation erscheint für alle Ungerechtigkeit Härte und Ausbeutung, die sich die Juden im Ganzen bei ihrem Gewerbe zu schulden kommen ließen. Dies wucherische Gewerbe bestimmte ihre Stellung und Geltung in der Stadt; wie die Verhaßtheit dieses Gewerbes [373] überall, wo es seine wahre Natur zeigte, zu Tage trat, regte sich auch alsbald und allenthalben, nur auf den ersten Ruf zur Gewalttat wartend, der mächtige und nie sterbende Widerwille der Rasse.

Daß sich die Juden 1394 einen Friedhof anlegten, zeigt allerdings ein Vertrauen auf Dauer ihrer Gemeinde. Aber sie wußten ja, wie unpopulär sie waren und blieben, wie vereinsamt inmitten des dichtesten Quartiers. Auf den Schutz des Rates war vielleicht nicht allzusehr zu bauen; denn seit der Regelung des Steuerverhältnisses durch Wenzel fühlte sich die Stadt am Gedeihen der Juden nicht mehr so interessiert wie vordem. Überdies fielen gerade in diese Jahre einige schwere Freveltaten von Juden, wie die Verführung eines Christenmädchens, Gengenbachs Tochter, 1394 und die Schmähung der heiligen Katharina 1396, und kurz darauf hörte man, daß zu Rappoltsweiler Juden wegen Vergiftung von Brunnen hingerichtet worden seien und auch ein Basler Jude, Schekan, zu dem Verbrechen geholfen habe.

Fassen wir dies Alles zusammen, so begreifen wir den plötzlichen Abschluß. Die Juden selbst entwichen; um ihr Leben besorgt, in Basel sich nicht sicher fühlend, suchten und fanden sie Schutz beim Herzog von Österreich; als der Basler Rat sie und ihre Habe zurückhalten zu können meinte, widerlegte dies der Herzog mit Berufung auf dasselbe Recht der Freizügigkeit, das der Rat schon so oft gegenüber Österreich zur Geltung gebracht hatte. Alle Juden schieden aus Basel, es war eine geschlossene Auswanderung der Gemeinde; zu Beginn des Novembers 1397 war Keiner von ihnen mehr hier zu sehen.

Was nun noch folgte, war die Liquidation des Immobiliarnachlasses, wobei König und Rat um die Synagoge und die Judenhäuser stritten und auch die Judenschaft selbst noch Ansprüche geltend zu machen vermochte; erst 1404 ging dieser Zank zu Ende.

Einziger Überlebender der Basler Judengemeinde war Meister Gutleben der Unentbehrliche, den der Rat im November 1398 wieder als Stadtarzt bestellte. Die Gemeinde selbst zerstreute sich in die Umgegend. Den Robin finden wir kurz darauf in Freiburg wieder; den Vivelman in Schaffhausen, dann in Dießenhofen, wo er 1401 unter der Anklage, den Mord eines Christenknaben angestiftet zu haben, verbrannt wurde.

So ist Basel seit Ende des XIV. Jahrhunderts frei von Juden. Werden sie hier betreten, so geschieht das nur für Momente; 1398 ist ihnen das Übernachten in Basel verboten, später der Eintritt in die Stadt an die Erteilung ausdrücklichen Geleites gebunden; zu Zeiten, selten, finden wir daher auch Juden das Stadtgericht beschäftigen. Das gewaltige Völkergemenge [374] des Konzils bringt dann natürlich auch Hebräer nach Basel, häufiger als sonst und wohl auch unkontrollierter, als Geschäftsleute Wechsler Wucherer, dann als großes Paradestück beim Krönungszuge des Felix eine ganze hiefür zusammengetriebene Judenschaft. Aber die Kirchenversammlung hat auch wiederholt das erfreuliche Schauspiel einer Judentaufe: 1435 des Diebes Michael Uchel am Galgen, der dann als Christ vom Stricke befreit und unter Urfehde entlassen wird, 1433 eines schönen Judenjünglings mit der erlauchten Patenschaft des Kaisers, des Markgrafen von Brandenburg usw. Solche Konversionen und Taufen wiederholen sich auch später: 1473, 1474, 1477, 1489, wobei der Rat die Kosten trägt und dem neuen Mitchristen seinen Taufschein nebst Empfehlung mit auf den Weg gibt. Und von einem solchen getauften Juden lernt der wißbegierige Stadtschreiber Künlin die hebräischen Buchstaben.

Was die Akten sonst von Juden melden, lautet anders, trägt den alten Ton. Wohl dürfen sie nicht in der Stadt wohnen; aber nun sitzen sie in der Nachbarschaft, hart vor den Toren, haben dort die Möglichkeit, mit dem Geldbedürfnisse von Baslern Geschäfte zu machen. Zum Ärger des Rates, der z. B. einen in Münchenstein ansässigen Juden wegzubringen sich jahrelang bemüht, 1529 die Fortweisung eines jüdischen Wucherers aus Häsingen begehrt. Das Ratsbuch selbst gibt seine Blätter zu einer Verwünschung der Juden her; sie sind noch immer „die bösen unseligen Höllenhunde, die mit ihrem Wucher uns Christenmenschen unser Gut sogar böslich abnehmen“.


Aber diese Gruppen von Bürgern Einsassen Schutzbefohlenen, jede mit ihrem Rechte begabt, in ihren Grenzen, mit ihrer Ordnung, erhalten Relief doch erst durch das, was sie umgibt. In dem Gewimmel und Wandel der Bevölkerung sind sie ruhige gesicherte Bereiche. Das Ganze bestimmend, aber nicht mit ihm identisch.

Vielmehr haben wir, wenn wir die Stadtpersönlichkeit in ihrer vollen Erscheinung kennen lernen wollen, auch auf das merkwürdige Vielerlei zu achten, das als Summe der irgendwie hier Anwesenden neben jenen Gruppen hergeht und, ohne ihr Recht zu besitzen, doch gleichfalls Basel ist. Eine Bevölkerung, die in raschem Wechsel immer neue Gestalten zu zeigen scheint, die auf sich selbst ruht und auch meist auf sich selbst ruhen bleibt. Nur selten geschieht ein Übergang aus ihr in jene geordnetere Einwohnerschaft. Sie ist nicht Vorstufe, sondern Umgebung. Aber auch so von hoher Bedeutung für das Stadtleben, indem sie auf ihre Weise, viel mannigfaltiger [375] als die Scharen der Zuwanderer, aus denen die Bürgerschaft sich rekrutiert, eine Vertretung aller Welt am Orte Basel ist.

Die Wichtigkeit des Auslandes für die Stadt ist hier nur zu erwähnen. In dem Gegensatz von Heimat und Fremde, von stabil und beweglich, von beschränkt und frei, wirken Kräfte, die, wie das höhere Leben ja das Glück des Einzelnen, so Bedeutung und Gedeihen der Stadt begründen und halten oder aber vernichten können. An einer der größten Verkehrs- und Pilger-Straßen, an alter historischer Wegscheide, bei der Grenze der Nationen gelegen, war Basel der unvergleichliche Ort jedes Austausches, konnte es täglich inne werden, wie weit und reich die Welt sei. Es empfing unaufhörlich Besuch von nah und fern, aus allen Richtungen her, durch Hoch und Nieder.

Wie es diesem Besuch seine Herbergen bot, neben den vielen kleinen Gasthäusern die großen berühmten Tavernen, deren eine Gruppe in der Unterstadt, die andre in den beiden Transitvorstädten Äschen und Spalen sowie in Kleinbasel gelegen war, außerdem die für gewisse Schichten dieser Stadtgäste bestimmten Elenden-Herbergen und Hospize, daran ist hier nur zu erinnern.

Die Fülle von Anregung Bereicherung Lehre Kritik, die einer solchergestalt den Fremden am Wege liegenden Stadt zu Teil wurde, ist nicht zu ermessen. Viel mehr als heute standen damals Stadt und Ausland sich gegenüber. Das letztere war voll von Überraschung Gefahr und Abenteuer, dazu in einem nicht mehr zu begreifenden Maße reich an einzelnen eigenartigen Gebieten und Rechtskreisen. Dies war von Wichtigkeit für den Basler, der hinaus wollte oder mußte. Ihm begegnete aber ein nie aussetzender Strom Solcher, die Basel aufsuchten, hier durchpassierten oder sich aufhielten, in jedem Falle Kunde und Wesen neuen Lebens mit hereinbrachten.

Sie waren die Fremden, die Gäste, von denen die Ordnungen reden. Für sie stand hier im Zivilprozeß ein eigenes Recht bereit, und in den Sitzungen des Gerichts wurden ihre Sachen zuerst vorgenommen; die Strafjustiz war eine andre für den Bürger als für den Fremden; dieser büßte höher als der Einheimische; er war überall im Stadtgebiete verhaftbar; den Nachlaß des Fremden, der ohne bekannte Erben hier starb, nahm der Vogt in Anspruch. Die Stadt hatte das Recht, die Fremden zu geleiten. Sie nahm von ihnen den Zoll, während die Bürger Zollfreiheit genossen. Aber im Handel waren die Fremden zwar eingeengt, doch ihrer Unentbehrlichkeit wegen mit starken Vorbehalten. Und so finden wir auch im täglichen Leben, im sozialen Verkehr keinerlei Ausschließlichkeit. Die Universität war lange [376] Zeit eine Versammlung von Fremden; die höchsten Ämter der Stadtverwaltung wurden absichtlich und konsequent mit Fremden besetzt.

Diese ganze nebenan lebende Bevölkerung ist von Wichtigkeit für den Zustand und die Geschichte der Stadt. Aber sie steht außerhalb der großen Rechtskörper von Bürgerschaft Hintersassen und Schutzgenossen; sie ist abgewendet von allen höhern Pflichten und Gedanken des Gemeinwesens; wie sie seinen Sorgen und Mühen ferne bleibt, so seinen großen Erlebnissen voll Glück und Ehre.

Hier kann es sich nur darum handeln, diesen Teil der Einwohnerschaft im Allgemeinen und von ferne zu betrachten. Regeln und Rechte zeigen sich kaum; Alles scheint formlose Tatsächlichkeit zu sein und eine Fülle, die jeder Darstellung spottet.

Denn auch hier wieder ist zu sagen, daß, was wir zu sehen und zu hören bekommen, fast immer nur die Störungen von Gewohntem, die Ausschreitungen, die Laster sind. Das Normale des Lebens ist verhältnismäßig viel schwächer bezeugt. Die ruhigen Gäste, die Reisenden, die zahllosen Besucher und Passanten, in ihrer Summe eine Erscheinung doch von gewaltiger Größe und von unausgesetztem Einfluß auf die Stadt, hinterlassen uns selten eine Spur.

Wir erfahren nur, daß der Rat sie im Auge behielt und den Wirten regelmäßige Anmeldung der bei ihnen übernachtenden Fremden befahl, wozu in sorglichen Zeiten eine scharfe Fremdenpolizei schon unter den Toren trat.

Zuweilen werden große Weltereignisse auch im kleinen Vorgang einer Zu- und Durchwanderung hier spürbar; die „Griechen“ z. B., die in den Jahren nach 1453 hier wiederholt sich zeigten und vom Rate beschenkt wurden, waren ohne Zweifel Flüchtlinge aus dem Untergange des griechischen Reiches.

Auch an die Reglementierung des fremden Kaufmanns ist zu erinnern und an die Ordnung des Pilgerwesens.

Aber wie arm sind diese Notizen neben der Fülle des gesunden Lebens selbst, während eine vielfältige Überlieferung uns das Lärmende Unruhige Verdorbene nahe bringt. So lernen wir beinahe nur das „Hudelmannsgesind und Bubenvolk“, die „üppigen unnützlichen“ Leute kennen. Auch im Namen „Müßiggänger“ findet die Mißachtung, die der auf Zucht Ernst und Arbeit haltende Stadtregent und Städter dieser Gesellschaft schenkte, gelegentlich ihren Ausdruck.

Es handelt sich hiebei um eine zu Wenigem taugende, jedenfalls politisch unwirksame und untätige Bevölkerung. Sie ist zum Teil in Basel ansässig; zum Teil fahrendes Volk, das hier ankehrt und nur eine Weile [377] sich aufhält. Aber Grenze und Wechsel sind im Einzelnen unbestimmbar. Die Art des ganzen Wesens bringt es mit sich, daß Herumziehende hier sitzen bleiben, das unstäte Leben aufgeben und das seßhafte wählen, daß hinwiederum Ansässige zu Fahrenden werden können. So müssen wir uns mit demjenigen Gemeinsamen begnügen, das durch die Ordnung des Kohlenbergs gezeigt wird.


Die Kohlenberggegend grenzte an die Altstadt und war doch abseits gelegen, den großen zur Stadt führenden Landstraßen nicht zu fern. Fast durchaus Garten und Feld konnte sie nie als eigentliche Vorstadt gelten, sondern war isoliertes Nebenland zwischen zwei Vorstädten. Aber seit dem XIV. Jahrhundert ummauert gab auch sie den Begriff von Stadt, das Gefühl von Sicherheit.

Hier oben nun, mit dem Blick hinab auf die große Stadt, in der die Ordnung, die Strenge und die Arbeit herrschte, aber auch die Sorge wohnte, die feste Ansässigkeit oft bedrücken mochte, breitete sich das Quartier der Unverpflichteten Streifenden, der Anrüchigen Ehrlosen Ausgestoßenen.

Auf dem Kohlenberg fanden sich zusammen die ständig hier wohnenden Nachrichter und Totengräber, sodann Bettler Gauner Frauenwirte, Dirnen mit ihren Zuhältern, Kriegsknechte Gaukler Spielleute Sprecher, eine ganze Vagantenwelt, in der auch Räuber und Mörder sein konnten neben Hausierern und den durchs Land ziehenden Kesselflickern Spenglern u. dgl. Allen diesen war der Kohlenberg, nicht ausschließlich, Sammelplatz Wohnung Herberge.

Basel bot dem fahrenden Volke dieses Stelldichein, einen mitten im Reichtum der oberrheinischen Lande und bei allen Heerstraßen gelegenen, von den Schlupfwinkeln in Bergen und Tälern leicht erreichbaren Platz; es ergänzte damit seine Funktion einer Transitstadt auf seltsame aber durchaus nützliche Weise. In einer Zeit ohne jede systematische Armenpflege, ohne konstante Fremden- und Gaunerpolizei war hier ein Ort geschaffen, wo dies ganze Treiben eine Regelung erhielt, die Herumschweifenden eine Art Heimat fanden. Wohl schon frühe und ursprünglich weniger von Basels als von des Reiches wegen. Nur die Reichsgewalt vermochte diesen Leuten, die sich an keinen Ort banden, eine solche Ordnung zu geben; sie schützte das Publikum, indem sie „das ungebundene Volk dem Staate näher brachte“, „mit menschenfreundlicher Weisheit den gefährlichsten Teil der Menschen, die weder Gut noch Ehre zu verlieren hatten, zu einem Rechtsgefühl bildete“.

Drei Tage lang durften die Totengräber und andre Hausbesitzer auf dem Kohlenberg einen Fahrenden herbergen; für dieselbe Zeitdauer gab der [378] Reichsvogt Solchen, die hier betteln wollten, die Erlaubnis hiezu. Diese Wohnung unter dem Schirme der Stadt und diese Bettelfreiheit machten den Basler Kohlenberg zu einem Asyl für das sonst überall verachtete verjagte, zu Unrecht und Gewalttat aufgereizte Vagantenvolk.

Aber noch mehr: hier oben fand dieses auch seinen eigenen Gerichtshof, mit den in Basel schirmgenössigen Freiheiten als Richtern und Urteilern und unter der Aufsicht des Reichsvogtes. Zuständig war das Gericht für alle Fahrenden und Unehrlichen, ohne Rücksicht auf Wohnsitz, und klar trennt das Recht ihre verschiedenen Hauptgruppen: die „Giler Stirnstößel Blinden Lahmen Köppeler“ d. h. die Bettler und Landstreicher; die „leichten schnöden Leute“ d. h. die Dirnen mit ihrem Anhang; die Nachrichter, Totengräber.

Es ist von Reiz zu sehen, wie die staatliche Gewalt dieses schwer zu fassenden Volkes sich annimmt[WS 1], ihm ein Recht schafft; wie die rohe Wildheit, das ungebundene Leben immer wieder sich unter diese Ordnung stellt. Freilich nicht der Ordnung zu Liebe. Was die Fahrenden auf dem Basler Kohlenberge suchen, ist Schutz, ist Ruhe auf ihrer Jagd durch die Lande, ist Dach und Fach, ist in der reichen Stadt ein privilegierter einträglicher Bettel, ist Gesellschaft von Ihresgleichen. Hier ist der weit in der Runde berühmte Sammelplatz für alle Bettler und Landstreicher, Bursche und Weiber.

So täuschen wir uns auch nicht über das Leben, das im Rahmen dieser Ordnung geführt wird. Was Sebastian Brants Reime davon sagen, wiederholen ausführlicher die Akten. Nicht nur drei Tage bleiben die Leute da oben liegen, wie sie sollten, sondern oft viel länger, ganz nach Belieben, in Völlerei und Spiel. Immer wieder hat der Oberstknecht gegen das Gesindel einzuschreiten, Fehlbare fortzuweisen. Alles Lokale erscheint dabei als beseitigt; es ist das Treiben des freien zuchtlosen Volkes, dem die Welt gehört, das hier in der Stadt leben will und lebt wie draußen auf der Heide, im Wald, in der Dorfschenke. Es hat auch sein Fest hier, am Tage vor St. Jacob, 24. Juli; da ist die Basler Kilbe der Fahrenden, und unter der Gerichtslinde springen Bettler und Dirnen, Blinde und Lahme im Tanz.

Dies buntgemischte Volk berührt sich auch mit den Zigeunern.

Während der 1410er Jahre zeigen sich diese, die „Heiden“, die „Sarraciner“, hier zum ersten Mal. In wiederholten Stößen streichen sie durch die oberrheinischen Lande. 1414, 1417, 1418, 1419, dann wieder 1422 unter ihrem Herzog Michael von Ägypten. Sie sind Jedermann unleidlich, trotz den königlichen Geleitbriefen, und werden nicht in die Stadt gelassen, sondern müssen draußen im freien Felde lagern; „ungeschaffene [379] schwarze Leute, mit silbernen Ringlein in den Ohren; sie behaupten, in der Leute Hände lesen zu können, und stehlen das Geld aus dem Seckel.“ Die Brot- und Weinspenden, die der Rat ihnen reicht, erscheinen wie ein Loskauf von dieser Plage. Aber sie kehren immer wieder, werden immer wieder mit Ratsalmosen abgefunden, bis in den 1470er Jahren dies scheue Dulden ersetzt wird durch Verfolgung und Austreibung. An Beschlüsse der eidgenössischen Tagsatzung 1471, daß Niemand in ihren Gebieten die Zigeuner hausen noch hofen solle, schließen sich ähnliche Maßregeln Basels. Jetzt hören wir von Zigeunerjagden in der Landschaft. Zigeunern, die man aufgreift, werden mit glühenden Eisen Baselstäbe durch die Backen gebrannt; ein späterer Beschluß, 1510, droht ihnen an, daß man sie mit Ruten aushauen und, wenn sie wieder kommen, ins Wasser schießen werde.

Aber diese unheimliche Erscheinung der schwarzen Heiden, bald da bald dort, vereinzelt, auftauchend und wieder verschwindend, war doch nur Nebensache und gleichsam exotisches Wunderstück neben der dauernden allgemeinen Last des eingebornen Landstreichertums. Wir können uns diese Last nicht schwer genug denken. Die Gesellschafts-, Rechts- und Herrschaftsverhältnisse, die politischen Vorgänge, der Mangel an Polizei und Armenpflege ließen zusammen einen Zustand furchtbarster Verwahrlosung und Roheit entstehen, zugleich aber auch ein Übermaß von Unglück, das die Menge der von Schilderern des Vagantentums genannten Verbrechen zwar nicht rechtfertigt aber erklärt.

Wie wenig verlautet doch in älterer Zeit, außer der Kohlenbergordnung von Beschäftigung der Behörden mit diesem Übel. Höchstens die Landfriedensbünde mögen dem Einschreiten nicht nur gegen Raubritter, sondern auch gegen die Gauner und ihre Banden gegolten haben. Einer ähnlichen Verständigung jedenfalls diente die Auskunft über „der gileren ufsätz damitte sy der welte ir gelt abertriegent“, die 1410 von Straßburg an Basel, von diesem an Bern mitgeteilt wurde, und auf welcher der berühmte Basler Erlaß über diese Betrügereien und die Geheimsprache der Vaganten beruht.


Neben den rechtlichen Gliederungen der Einwohnerschaft lebten ständische gesellschaftliche. Sie kreuzten sich mit ihnen; in der Hohen Stube wie in den Zünften finden wir sowohl Bürger als Hintersassen.

Der Eintritt Zünftischer in den Rat 1337 erledigte endgültig den ein halbes Jahrhundert früher angehobenen Prozeß der Einführung bürgerlicher Gleichheit. Von jetzt an bestand durchweg, auch im höchsten Rechte, der Ratsfähigkeit, Gleichheit Aller. Es gab keine Geschlechterherrschaft mehr.

[380] Die Stände von ehedem wurden freilich durch diesen Vorgang nicht ausgeglichen. Sie gewannen vielmehr ein noch stärkeres Bewußtsein des sie Trennenden und konnten zu Parteien werden, die innerhalb derselben politischen Einheit stehend sich bekämpften. Nach wie vor wirkten sie mit aller Macht auf das tägliche Dasein. Aber im öffentlichen Leben des Gemeinwesens war ihre Aufgabe nur noch, für die Ausübung des Allen gemeinsamen Rechtes, die Erfüllung der Allen gemeinsamen Pflicht die Formen darzubieten.

Dies waren die beiden großen Gruppen der Hohen Stube und der Zünfte. In ihnen hatte der Staat seine Angehörigen zu suchen und zu fassen.

Nur von dieser öffentlich rechtlichen Bedeutung der Stände ist hier die Rede.


Ritter und Burger, durch Gleichheit der Rechte und Verwandtschaft der sozialen Stellung vereinigt, waren im XIII. Jahrhundert die Führer der Stadt. Ihre Zusammengehörigkeit zeigte sich in der Hohen Stube, die als rein gesellige Organisation vielleicht schon von früher her bestand, in der Zeit der Verfassungsänderungen unter Heinrich von Neuenburg aber zum politischen Verbande wurde, um als solcher über zwei Jahrhunderte hinein Element im Leben des Gemeinwesens zu sein. Aber wir wissen wenig von diesem merkwürdigen Gebilde.

Die meisten Zünfte haben sich in ihren Akten und Büchern wortreich überliefert; das Schrifttum der Hohen Stube dagegen ist uns beim Aussterben oder Auswandern ihrer Genossen verloren gegangen. Dieser ganze Komplex, politisch sozial wirtschaftlich von so hoher Bedeutung, ist in Fragmenten überliefert, als Ganzes nur schattenhaft zu erkennen.

Zu Beginn bestanden wohl getrennt eine vorwiegend adlige und eine vorwiegend bürgerliche Stube, jene im Hause zur Mücke auf dem Burghügel bei den Adels- und Domherrnhöfen, diese im Hause zum Brunnen am Petersberg, beim Fischmarkt, im Kaufleutenquartier. Die Parteiungen von Psittich und Stern unter Heinrich von Neuenburg, dann unter Peter Reich, die ohne Zweifel über den Stiftsadel hinaus auch die ihm nahestehenden Kreise der Burger ergriffen, scheinen diese erste einfache Stubenorganisation gestört und eine Gruppe von Dissidenten, aus Rittern und Burgern gemischt, zur Bildung einer dritten Stube geführt zu haben. Dies war die Stube zum Seufzen, oberhalb des Fischmarkts am Birsig bei der Neuen Brücke gelegen. Sie blieb bestehen, auch nachdem Friede geworden war, und hieß den unter dem Namen der Obern Stube zusammengefaßten Stuben zur Mücke und zum Brunnen gegenüber die Niedere Stube.

[381] Diese drei Stuben bildeten die Einheit der Hohen Stube. Aber mit der Zeit, namentlich in Folge der Abnahme des Adels, ward diese Einrichtung zu weiträumig. Am frühesten ging die Stube zur Mücke ein; schon zu Beginn des XV. Jahrhunderts gab nicht sie, sondern die Stube zum Brunnen der gesamten Obern Stube den Namen, und während des Konzils jedenfalls war sie nicht mehr vorhanden. Dann nahm auch die Stube zum Brunnen ein Ende, wahrscheinlich in Folge der Wirren der 1440er Jahre. Von da an ist nur noch vom Seufzen die Rede, der jetzt als Versammlungsort der ganzen Hohen Stube diente und unter dessen Namen diese insgesamt begriffen wurde, was nicht hinderte, die alte und für die Ratsverfassung wichtige Unterscheidung der Obern und der Niedern Stube auch jetzt noch beizubehalten.

Mit dem Untergang der einzelnen Stuben schlossen sich aber ihre Häuser und Gesellschaftssäle keineswegs, sondern behielten ihren Wert für die Stadt. Sie boten die schönsten Räume, die besten Küchen und Keller, sodaß der Rat seine solennen Mahlzeiten mit Vorliebe in ihnen abhielt und alle Gäste, die vornehm und wählerisch waren, in ihnen bewirtete. Vor Allem das Haus zur Mücke leistete während des Konzils die wichtigsten Dienste als städtisches Kasino, dessen weite Räume für Bankette Bälle Sitzungen Papstwahl gebraucht wurden. Wenige Jahrzehnte später wurde es zum Tuchhaus und Fruchtspeicher der Stadt.

Die Verteilung der Achtbürgergeschlechter auf Obere und Niedere Stube ist gut bezeugt, sehr dürftig diejenige des Adels. Aber das uns Wichtige liegt nicht in dieser Verteilung, sondern in der Zugehörigkeit zur Hohen Stube überhaupt.

Dabei ist vor Allem wieder zu sagen, daß es sich nicht um eine geschlossene Kaste handelt. Wir vergleichen die Gesellschaft der Hohen Stube in den Jahren 1300 und 1450 und sind erstaunt über die Verschiedenheit dieser Listen. Die Adelshäuser Schaler Marschalk Vitztum Mazerel Straßburg Titensheim Uffheim Zerkinden usw. sehen wir dort, aber nicht mehr hier; geblieben sind nur Rotberg Ramstein Münch Reich zu Rhein Eptingen; neu hinzugetreten sind Bärenfels Flachsland. Noch stärker ist der Wechsel bei den Achtbürgergeschlechtern: nur wenige — zur Sonnen Rot Iselin Münzmeister Schönkind — haben diese Spanne überdauert; aber die Arguel Fuchs Relin zum Roten Turm Stetten Schliengen zum Angen zum Rosen Steblin Hall Gundolsdorf Helbling usw. sind vergangen und statt ihrer stehen jetzt da die Murer zum Haupt Walpach Fröwler Sevogel Schilling Laufen Utingen Offenburg Hegenheim Waltenheim usw. So ändert sich [382] der Bestand. Durch Fortgehen und Herzukommen wird das Ganze beständig in Bewegung erhalten; und zwar handelt es sich bei diesem Zuströmen, dem Aufsuchen dieses Kreises von Vornehmheit selten um Einwanderung von außen, sondern fast stets um ein Heraufsteigen aus den Zünften, über denen die Hohe Stube sich hält als der Inbegriff der Auserwählten. Dieser nie ruhende Wechsel gibt dem Bilde der Hohen Stube etwas eigentümlich Schillerndes; aber ihre Bedeutung ruht doch auf ihm. Nicht nur hineingeboren wird der Stubenherr in seine Rechte und Ehren, sondern Ehrgeiz Wille Tüchtigkeit können ihn hineintragen, und die mächtigsten förderlichsten Vertreter des Standes sind vielleicht gerade solche Ankömmlinge.

Die Hohe Stube durfte sich als die Elite der Stadt geben. Gegen außen war sie lange Zeit wesentlich durch den Adel repräsentiert, im Innern stets der Inbegriff Alles dessen, was vornehm war oder sein wollte. Eine bestimmte soziale Gruppe und als solche rechtlich anerkannt und wirksam, aber nicht ein Ausschuß der Bürgerschaft und das Bürgerrecht nicht die Voraussetzung ihrer Mitgliedschaft. Daher ging sie auch in ihrer Beteiligung am Rate, bei der allerdings nur Inhaber des Bürgerrechts in Frage kommen konnten, keineswegs auf; äußerlich nicht, indem sie jederzeit Genossen hatte, die nicht im Rate saßen; innerlich nicht, indem auch die Katastrophe, bei der sie die Sitze im Rate verlor, sie zwar schmerzlich traf, aber ihre Existenz selbst nicht aufhob. Daß die Hohe Stube im Rate saß, Wahl- und Gemeindekörper war, hatte bestimmten Wert für die wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Hohe Stube ermöglichte eine mannigfaltige Tätigkeit, die sich in keine Zunftkategorien fügen ließ, und gewährte gleichwohl die Vorteile der Zünftigkeit; sie verhalf Rentnern, Kommanditären von Handelsgesellschaften u. dgl., die nicht zünftig sein konnten oder mochten, dennoch zur Teilnahme am Stadtregiment.

Als Ratsgenossenschaft kam die Hohe Stube zuerst vor den Zünften. Aus ihr wurde regelmäßig der Bürgermeister, häufig auch der Oberstzunftmeister genommen. Im Rate hatte sie verfassungsmäßig das Recht auf vier Rittersitze und acht Burgersitze, die ausschließliche Besetzung der Unzüchter; im Kollegium der Kieser, im Siebneramt und im Dreizehneramt die Majorität; in allen Kollegien war sie vertreten; Wacht und Kriegsordnungen gaben ihr die wichtigsten Pflichten und selbst die Leitung.

Mit solchen Rechten ausgestattet nahm die Hohe Stube am Regimente teil, überall neben den Zünftischen, und von höchstem Interesse ist die Betrachtung des in diesem Gegensatz wirkenden Lebens, das hier wie dort niedergehalten glüht und nur im gleichen Eifer für die Stadt sich zum [383] gemeinsamen Dienste bändigt. Aber dieser Zustand bleibt nicht ungestört und nicht stets derselbe. Die Sezession 1414 und der Ausschluß 1445, mächtiger als diese gewaltsamen raschen Ereignisse das in ruhiger unhemmbarer Wucht fortschreitende Anwachsen der Demokratie, ihm gegenüber das resignierte Weichen, das Wegziehen und Wegsterben der Stubenherren, zuletzt 1515 die Beseitigung ihrer Vorrechte, dies Alles bestimmt die Geschichte der Ratsverfassung, der Gesellschaft, ja des Gemeinwesens.

Das Innere der Hohen Stube bleibt uns beinahe ganz verborgen. Nur gelegentlich zeigen sich die drei Stubenmeister; vom Gesellschaftsvermögen ist die Rede; wir nehmen wahr, daß einzelne Genossen nicht in Basel wohnen. Leben verraten die Nachrichten von Streitigkeiten, z. B. der Offenburg und der Schönkind über die Präcedenz im Rate 1495, oder von der durch Hans Waltenheim und Genossen an Ritter Münch verübten Gewalttat 1454, zu deren Aburteilung ein besonderes Gericht, wie es scheint der eigene Gerichtshof der Hohen Stube, zusammentrat.

Diese Vorfälle lassen uns zugleich erkennen, wie zerklüftet doch auch die Gesellschaft war, die ihren Widersachern als geschlossene Einheit begegnete. Wir wundern uns hierüber nicht. Wohl nirgends bot sich Anlaß zu Hader wie hier, wo so wenig Festigkeit im Bestande, so wenig innerlich Verbindendes war, das Wahre dicht neben dem Unechten stand und der Parvenü neben dem gebornen Herrn, wo gerade um dieses Mangels an Einheitlichkeit willen jede Wirkung von außen ihre empfindliche Stelle fand.


Solange der Adel im Rathause herrschte, waren die städtischen Interessen ohne weiteres auch die seinigen. Aber der Eintritt der Zünfte in den Rat, während kurzer Zeit im XIII. Jahrhundert, dauernd seit 1337, änderte dies Verhältnis durchaus, und die Geschichte des Basler Adels ist von da an, für die politische Betrachtung, eine Geschichte von Kampf und Untergang.

Schon im Äußern wirkt dies. Unsre wesentlich städtische Überlieferung zeigt uns nach dem mächtigen, Alles überstrahlenden Wesen des früheren Adels jetzt ein allmählich verblassendes Bild. Hie und da allerdings, wie etwa bei Erwähnung von Adelshöfen und Turnieren in Basel, in Urkunden des Pfalzgrafengerichts usw. tut sich uns ein rascher Blick auf in eine ritterliche Welt Basels, die noch immer kraftvoll und farbig ist. Aber sie hat mit der Stadt immer weniger zu tun, und das Verstummen unsrer Quellen entspricht wirklich den Tatsachen. Der Beschluß der Basler Bürgerschaft vom 21. Juli 1445, der den Begünstigern der Armagnaken Wohnung Bürgerrecht und Regimentsfähigkeit absprach, hatte die öffentlich rechtliche [384] Stellung des Adels unheilbar getroffen. Weil er nur den Begünstigern persönlich, nicht auch ihren Nachkommen galt, finden wir auch später noch zahlreiche Edelleute in Basel wohnen; sie gaben gewissen Gegenden der Stadt und Kreisen der Gesellschaft noch immer das Gepräge; auch die Ratsbänke standen noch immer für sie da. Aber daß infolge jenes Beschlusses der Adel das Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten Basels verlor, konnte umso leichter geschehen, als die Regierungskollegien und Beamtungen der Fürsten nun immer mehr Anlaß boten, tätig zu sein und etwas zu gelten. Es war nicht ein Ausgestoßenwerden aus der politischen Stellung zu Basel, sondern ein Preisgeben und Verlassen.

Den Verlauf dieser allmählichen Entfremdung vermögen wir beinahe statistisch festzustellen an der Geschichte der Adelshäuser, die eins ums andre in bürgerliche Hände übergehen. Schärfer noch zeigen uns die Ratslisten diesen Verlauf. Eine Zählung, bei der wir die unadligen Ritter natürlich nicht berücksichtigen, zeigt uns z. B. im Zeitraume 1360—1385 dreizehn, im Zeitraume 1460—1485 nur noch fünf adlige Ratsfamilien: Rotberg Bärenfels Flachsland Ramstein Eptingen; weggefallen sind Münch Schaler Frick Vitztum Biedertan Reich zu Rhein Marschalk. Jene dreizehn Familien aber deckten die fünfundzwanzig Jahre hindurch jährlich außer dem Stuhle des Bürgermeisters die vier Adelssitze im Rat, also hundert Sitze, diese fünf decken im gleichen Zeitraume den Bürgermeisterstuhl und einundzwanzig Sitze.

Wir unterlassen eine Wertung des einzelnen Adligen und verkennen doch keineswegs, wie viel dem städtischen Regiment die Beteiligung dieses Standes als solchen, mit seinem Erbe von Kraft Edelsinn Weltkenntnis, bedeutete und wie viel sein Ausscheiden. Eine ganze Summe charakteristischen Wesens ging der Stadt allmählich verloren und wurde durch nichts Gleiches ersetzt. Freilich erlebte Basel hierin, was auch andre Städte erlebten. Aber die Wichtigkeit des Erlebnisses ist darum nicht kleiner; sie zeigt sich uns beim Gedanken an Bern, und dieser Vergleich führt auch auf die Ursachen. Handel Gewerbe Geldgeschäft machten die Stadt unadlig.

In Basel war es mit der Herrschaft des Adels schon im XIV. Jahrhundert vorbei. Der an höfisches Leben, an den Verkehr der Standesgenossen und der Fürsten gewöhnte Edelmann hatte jetzt zusammenzusitzen und zu arbeiten mit einer Schar anspruchsvoller lauter Zünftler, die sich schon als Herren der Stadt zu geben liebten und die schlechte Luft wie die schlechten Manieren ihrer Trinkstuben Krämereien und Werkstätten in den Ratssaal brachten. Die Gegensätze waren in der Tat gewaltig, und wir ahnen nur, wie viel Leben, gewiß in leidenschaftlichen und menschlich ergreifenden [385] Vorgängen, hiebei geopfert zerquält verbraucht wurde. Es ist nicht nur an Kämpfe zu denken; die eindrücklichsten Gestalten sind vielleicht gerade diejenigen Adligen, denen das Wohl der Stadt auch jetzt noch mehr galt als Stand und Partei. Das Ganze war ein Verlauf, der einer Generation nach der andern zu arbeiten und zu leiden gab. Dem Ausschluß von Edeln 1374 folgte das Unglück der bösen Fastnacht und die Reaktion, dieser ein Wiederaufstehen der Bürgerlichen und dann, eingeleitet durch die furchtbare Schwächung des Adels bei Sempach, Jahrzehnte hindurch ein hartes Ringen, bis zuletzt der Verweisungsbeschluß von 1445 und kurz darauf der Friede mit Österreich neue Zustände schufen.

Was seitdem noch an Recht und Regiment durch den Adel hier geübt wurde, war dürftig. Es verkörpert sich uns in den wenigen einsamen Adligen des Rates, vorab in Hans von Bärenfels, der von 1452—1494 Ratsherr und Bürgermeister war. Diese zweiundvierzigjährige Regierung, während deren das Größte geschah und ein neues Basel sich bildete, zeigt ihn allerdings nicht als machtvolle Person, sondern als einen duldsamen Herrn, dem genug war, ein nur ihm als dem einzigen Edelmann zustehendes Recht ausüben zu können. Aber nicht nur solcher Befriedigung zu Liebe ließ er sich die glanzlose Rolle eines völlig Isolierten gefallen und mochte dabei die Respektversagung von demokratischen Ratskollegen so gut in den Kauf nehmen wie den von Schlössern und Hoflagern hereinklingenden Spott von Standesgenossen; dies Verhalten war doch nur möglich auf dem Grunde wahrer Anhänglichkeit an die Stadt; und wenn die Erscheinung des Bärenfels auch nicht imponierend ist, so hat sie doch beinahe die Tragik eines „letzten Ritters“. Keine Opposition überwältigte ihn, sondern das Alter. Ganz andrer Art waren die zwei adligen Bürgermeister, die ihm folgten: Hartung von Andlau und Hans Imer von Gilgenberg. Den Umständen nach, unter denen sie, beinahe zur Verpfründung, hereinkamen, erscheinen sie wie Karrikaturen früherer Inhaber der Würde. Mit ihnen schloß der Adel seine Tätigkeit im Basler Rathause.


In den Achtbürgern lebten, nicht tatsächlich aber im Begriffe, die alten Burger des XIII. Jahrhunderts weiter, die berechtigten Städter, bei denen der Gleichheit im öffentlichen Recht eine Gleichheit der sozialen Stellung entsprochen hatte. Als ein neuer weiterer Bürgerrechtsbegriff entstand, ging die soziale Kennzeichnung und Aussonderung jener alten Schicht nicht unter; sie wirkte weiter, bis in die 1330er Jahre die ausschließliche Ratsfähigkeit begründend, außerdem eine geschlossene Gesellschaft [386] bildend. Wer zu dieser gehörte, hieß daher „alter Burger“; häufiger war die Bezeichnung „Achtburger“, der darauf ruhte, daß jährlich acht aus der Gesellschaft in den Rat gewählt wurden.

Indem diesen Acht von Anbeginn nur vier Ritter zur Seite standen und weil dann überhaupt die Achtbürger sich länger zu halten vermochten als die Adligen, konnten sie als die Hauptvertreter der Hohen Stube im Rate gelten. Sie auch vor Allen als die Führer der Stadt. Sie waren exklusiv ehrgeizig aufstrebend, besaßen Fähigkeiten und Mittel, kannten die Welt und wußten zu leben. Dies Alles hob sie hoch über die Masse der Plebejer; und doch blieben sie Söhne derselben Erde, Stadtkinder, von einem Heimats- und Gemeindegefühl belebt wie keiner ihrer adligen Stubengenossen.

Wir vergegenwärtigen uns dies angesichts der Repräsentanz der Achtbürger im Rate. Während der hundertachtzig Jahre von ca. 1350 bis ca. 1530 saßen auf ihren acht Sitzen insgesamt nur sechsundvierzig Geschlechter. Diese Vorstellung gesammelter Kraft würde noch viel stärker sein, wenn wir nicht Wandlungen in dem Bestande wahrnähmen, das Vergehen alter, das Heraufsteigen neuer Familien. Nur wenige zeigen Ausdauer; unter den Achtbürgergeschlechtern des XV. Jahrhunderts haben den Rat schon im XIII. Jahrhundert besessen die Rot, die Schönkind, die zur Sonnen; gleich früh die Iselin und die Münzmeister (Ereman Sürlin), die sogar bis ins XVI. Jahrhundert sich hielten. Jahrzehnte hindurch standen die Fröwler, die von Hall, die Murnhart, die Sevogel, die Zibol, die Schilling, die von Laufen, die Murer, die Offenburg aufrecht.

Auch an die Kollisionen zwischen persönlichen Beziehungen und offizieller Stellung und Pflicht haben wir zu erinnern. Die Achtbürger mochten hinter ihren adligen Genossen nicht zurückstehen; gleich diesen traten sie den Fürsten nahe und empfingen Lehen. Dazu ihre Geldgeschäfte, mit denen sie Schlösser Herrschaften Lande Leute erwarben. Beim Adel lösten diese Beziehungen das Verhältnis zur Stadt; bei den Achtbürgern kam es zum Konflikt, und wie heftig dieser werden konnte, zeigen Jacob Zibol und Henman Offenburg.

Durch Alles hindurch wirkt das Zwitterhafte dieser Achtbürgergesellschaft, sodaß es uns schwer fällt, jedem Einzelnen unter ihnen gerecht zu werden. Neben den alten Geschlechtern, denen die Auszeichnung dieses Standes ererbter und bewährter Besitz ist, stehen solche, die sie erst vor unsern Augen erwerben. Wir sehen Tuchhändler Krämer Wechsler Bäcker Gerber usw. reich werden und dann vornehm. Sie verlassen die Zunft und werden in die Hohe Stube aufgenommen, wo sie nun nicht nur Achtbürger [387] sondern auch Adlige als Genossen finden. Gleich diesen heißen sie jetzt Junker; sie mögen sogar Ritter werden. Sie können Adelsfräulein heiraten oder ihre Töchter den Edeln geben. Sie bringen frisches Blut in den Herrenstand, Munterkeit in die durch Mode und Konvenienz langweilig gewordenen vornehmen Häuser. Und dennoch berühren sich in diesem Verkehre nicht Gleich und Gleich. Eine Kluft trennt trotz Allem die zwei Welten. Die „natürliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Männern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen“, wirkt auch im Politischen. Schon das XIV. Jahrhundert zeigt uns diesen Gegensatz; das XV. verschärft ihn; das Ende, zu dem die ganze städtische Entwickelung mithilft, ist Ausscheiden des Adels und Absorption des Achtbürgertums durch die allgemeine Bürgerlichkeit.

Aber diese Achtbürger, so schwer zu fassen ihr Bild auch ist, haben dennoch ein historisches Verdienst hoher Art. Dem Stolze, der Berechnung, der Passivität jener Familien gegenüber, die trotz äußerer Möglichkeit zünftisch bleiben, zeigen sie den Vorzug eines freieren beweglicheren Geistes. Der Einzelne traut sich zu, mehr sein zu können, als sein Vater war. Dies Unbehagen im Gegebenen und das Drängen nach Mehr und Höher läßt allerdings Manchen am Schein einer unwahren Existenz sich genügen, Manchen auch daran untergehen, daß er nun über seine Kräfte lebt; im Ganzen begründet es doch den auserwählten Charakter des Standes. Die Ergänzung dieser initiativen Kraft kann die Reife sein, die politische Einsicht, die ein Geschlecht in der dauernden und verantwortungsvollen Tätigkeit am öffentlichen Wesen erwirbt und von jeder Generation auf die folgende erben läßt. Es handelt sich um eine Gruppe im Rat, die wenig Eigenes als Stand aufzuweisen hat, viel Eigenes einzelner Persönlichkeiten. Aber gerade hierin liegt das Große, das die Schwäche der Zwitterstellung wett macht. Dieselben Jahrzehnte, die uns das allmähliche Schwinden des Patriziats im Rate zeigen, sind zugleich die Periode seiner stolzesten Tätigkeit. Heinrich Iselin, Heinrich Zeigler, Antoni von Laufen, Lienhard Grieb treten deutlich als Führer des Rates hervor. Sie gehen nicht zu den Rittern, behaupten ihre Klasse; aber all das Wichtige, das die Zeit auszeichnet, erscheint fast als ihr Werk. Der Schimmer, der auf diesen Taten ruht, strahlt um so heller, weil es Taten eines untergehenden Geschlechtes sind.


Der Hohen Stube gegenüber stehen die Zünfte.

In ihnen finden wir die Masse der Einwohnerschaft. Mit all dem Unerfreulichen Formlosen der Masse, aber auch mit ihrer Fülle Wucht und [388] Macht. Diese Gesamtheit der Zünfte imponiert ohne weiteres als der große gewaltige Begriff, als die Repräsentanz der Stadt. Sie ist die weite Einheit, in der Alles das zusammenfließt und zu städtischer Art sich formt, was jahrüber vom Lande hereinströmt und städtisch werden will, und die ebenso unaufhörlich, freilich in keinerlei Mengen, sondern nur vereinzelt, wieder ihr Bestes abgibt an den obern Stand.

Aber auch über den Wechsel dieses Zu- und Abströmens hinaus ist es keine beruhigte Masse. Sie ist beständig erregt durch das Streben nach der Stadtherrschaft; ihr Kampf mit der Vornehmheit um diese Herrschaft bildet den innersten Kern städtischer Geschichte.

Nicht nur die Größe, nicht nur diese Ambition zur Herrschaft sind bedeutsam. Das Bild der Zünfte ist wesentlich dadurch bestimmt, daß in ihnen die Arbeit getan wird; daß dem „Müßiggang“ der in der Hohen Stube vereinigten Kapitalisten und Grundbesitzer hier die organisierte Arbeit gegenübersteht; daß die Zünfte die alltägliche unerläßliche Tüchtigkeit vertreten und die oberste Lebensnotwendigkeit erfüllen; daß durch diese ihre Arbeit die Stadt besteht und wächst und sich behauptet.

In diesem Allem zeigt sich der Gegensatz. Freilich tragen Hohe Stube und Zünfte zusammen das Gemeinwesen, dienen ihm vereint in Rat und Kollegien, im Aufgebot bei Feindes- und Feuersnot, im Kriegsheere. Aber sie tun dies nicht in gleicher Art und Bedeutung. Die Hohe Stube ist durch Verwandtschaft Lehnspflicht Lebensart vielfach unstädtisch, ihr Blick oft nach außen gerichtet. Die Zünfte dagegen sind recht eigentlich die Stadt. Sie wissen nichts Anderes, nichts außerhalb Gelegenes. Sie haben die Mängel, aber auch die hohen Vorzüge dieser Beschränkung.


Nach wenigen vereinzelten Figuren, die uns die Einwohnerschaft der frühem Jahrhunderte andeuten, tritt die Stadtbevölkerung zum ersten Male mächtig breit und laut in den Zünften auf. Dasselbe Volk, dessen Gewalttätigkeit die 1240er Jahre erschüttert, zeigt sich zur gleichen Zeit gegliedert in den Zunftverbänden.

Um die Mitte des XIII. Jahrhunderts scheint die Zunftbildung in der Hauptsache abgeschlossen gewesen zu sein; 1260 erklärte Bischof Berthold, daß beinahe alle Handwerke Basels Zünfte hätten, und unter Heinrich von Neuenburg erreichten diese Zünfte schon ihr politisches Ziel: 1274 hatten sie fünfzehn Vertreter im Rate der Stadt. Doch war dieser Ratsbeisitz nicht von Dauer. Erst 1336/37 traten Zunftratsherren neben die Ritter und Burger. Ihre Zahl kennen wir nicht. 1354 entstand noch eine Zunft, [389] diejenige der Fischer und Schiffer, und von da an blieb es bei den fünfzehn Zünften. Ihre offizielle Reihenfolge, von der Mitte des XIV. Jahrhunderts an bezeugt, war folgende: Kaufleute, Hausgenossen, Weinleute, Krämer, Grautücher und Rebleute, Bäcker, Schmiede, Schuhmacher und Gerber, Kürschner und Schneider, Gärtner, Metzger, Zimmerleute und Maurer, Maler Scherer Sattler und Sporer, Leinwetter und Weber, Fischer und Schiffleute.

Die Vertretung dieser Zünfte im öffentlichen Leben geschah durch das Kollegium ihrer Meister, dann seit 1337 dauernd durch ihren Beisitz im Rate selbst. Dieser Beisitz geschah, seit 1357 nachweisbar, durch fünfzehn Zunftratsherren, seit 1382 neben diesen noch durch die fünfzehn Zunftmeister, so daß der Rat unter der Leitung der beiden Häupter aus vier Rittern, acht Burgern und dreißig Zünftigen bestand.

Wir wiederholen, daß die Vertretung der Hohen Stube im Rat allmählich durch Aussterben oder Auswandern sich verminderte, die Zunftvertretung dagegen stabil blieb, kein Nachlassen und kein Erlöschen zeigte, ihr lebte die unverwüstliche Kraft einer großen Gemeinde, die der wählerischen und lässigen Art der Herren ihre rauhe produktive Kraft, allerdings auch der freieren Weltbildung und Gesinnung Jener ihre eigene kleinbürgerliche Befangenheit entgegenstellte. Sie hatte von Anbeginn die Majorität im Rate; wenn dies nicht immer zum Ausdrucke kam, so war der Grund der, daß Edle und Patrizier durch Geist Energie, persönliche Macht über die Brutalität der Stimmenmehrheit zu siegen vermochten.

Das Regiment der Zünfte im Rat fand seine Ergänzung durch ihre Funktionen bei Wacht Aufgebot und Kriegszug. Dieser mannigfaltige, zum Teil ununterbrochen dauernde und in schweren Zeiten noch vermehrte Dienst ruhte zum größten Teil auf den Zünften und den hiebei ihnen koordinierten Gesellschaften Kleinbasels und der Vorstädte.

Aber auch im zivilen Leben bildeten die Zünfte gleichsam die Handhabe, an welcher der Rat seine Einwohnerschaft faßte. Daher die Leistung des Jahreids auf den Zünften, daher die Promulgation obrigkeitlicher Erlasse dadurch, daß man jeder Zunft eine Ausfertigung zustellte zur Eröffnung an ihre Genossen, oder daß große Hauptgesetze, wie z. B. die Feuerordnung 1422 und die Wasserordnung 1531, jährlich am Johannistag in den Versammlungen der Zünfte verlesen werden mußten. Der Steuerbezug scheint in der frühern Zeit nach den Zünften geschehen zu sein, erst später nach den Kirchspielen; auch für die Bildung von Getreidevorräten durch die Bürger waren die Zünfte die Organe des Rates u. dgl. m.

[390] Unmittelbaren Bezug auf diese Geltung der Zunft als politische Körperschaft hatte die Institution der gespaltenen Zünfte.


Sie war ein Kompromiß. Sie glich das in der Sache begründete Getrenntsein der Gewerbe mit der Forderung des Gemeindedienstes aus, der eine bestimmte Zahl von Zünften vorsah und sie nicht überschreiten lassen wollte.

Freilich sind die Vorgänge bei dieser Gestaltung nicht aufgehellt. Während einzelne Gewerbe und Zünfte sich deckten (Bäcker Metzger), war bei andern einer Mehrheit von Gewerben gerecht zu werden; man vereinigte sie in gemischten oder in gespaltenen Zünften. Ohne daß wir eine hiebei geltende Regel gewahr werden; Hausgenossen und Spinnwettern z. B. hätten ebenso gut gespaltene Zünfte werden können wie andere. Überdies traten nachträglich Änderungen ein: so wurden Kürschner und Schneider, ursprünglich in zwei selbständigen Zünften organisiert, später in einer gespaltenen Zunft vereinigt, wie andrerseits in noch späterer Zeit die Grautücher aus einer gespaltenen Zunft in eine gemischte übergingen.

Im Gewerblichen galt offenbar die Einheit des einzelnen Gewerbes, durch Zunftzwangschranken geschützt auch gegenüber Gewerben, die in derselben Zunft mit ihm vereinigt waren. Aber diese Selbständigkeit zeigte sich auch im Organisatorischen; am deutlichsten zu Hausgenossen, wo die Wechsler den mit ihnen zünftigen Handwerken der Goldschmiede Kannengießer Hafengießer gegenüber ihr Sonderrecht innerhalb der Zunft sehr entschieden geltend machten.

Als schließliches Ergebnis der Zunftbildung stehen fünf gespaltene Zünfte vor uns:

Grautücher und Rebleute; das prägnanteste Beispiel der nur aus äußern Gründen geschehenen Kombination. Die Gewerbe waren in ihrer Art so verschieden als möglich, und die „numerische Kraft der beiden Teile stand im umgekehrten Verhältnis der sozialen Bedeutung.“ Ihre Vereinigung geschah in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts und wurde 1453 wieder gelöst; die Zunft blieb den Rebleuten, während die Grautücher zur Schlüsselzunft gingen.

Schuhmacher und Gerber, nach vielen Streitigkeiten 1441 endgiltig als gespaltene Zunft organisiert.

Schneider und Kürschner; ursprünglich getrennt, scheinen sie im XIV. Jahrhundert vereinigt worden zu sein. Aber auch hier regte sich viel Widerstand. 1387 verlangten die Schneider Aufhebung des Zusammenseins und Selbständigkeit jedes Teils; der Rat lehnte dies ab.

[391] Scherer Maler Sattler Sporer; während die andern gespaltenen Zünfte je zwei Gewerbe umschlossen, finden sich hier deren vier, die aber gleichfalls in zwei Gruppen gesondert waren: die Scherer (und Bader) einerseits, die gewerblich sich verwandten Maler Sattler Sporer andrerseits.

Fischer und Schiffleute; diese späte Schöpfung, 1354, zeigt Motiv und Wesen der gespaltenen Zünfte deutlich; sie wurzelte nicht im Gewerberecht, das für die beiden Gewerbe schon früher festgestellt war, sondern geschah aus Gründen der öffentlichen Verwaltung.

Als Regel galt, daß die in solcher Weise „zusammengestoßenen“ Teilzünfte für die innern Angelegenheiten selbständig waren; jedes Gewerbe „besetzte halb Regiment“, hatte als Teilzunft seine selbstgewählten drei Sechser, seine Stuben- oder Hausmeister, sein Haus, seinen Knecht, sein Gerfähnlein, seine Gerichtsbarkeit, seine „Folge“ (Geleite zum Grab) und Jahrzeit usw. Aber im Verhältnis nach außen, zum Rat und im öffentlichen Dienst gab es nur eine Körperschaft: die gemeinsame Zunft; diese hatte ihren Meister, der alternierend aus den Teilzünften genommen wurde, aber über die gesamte Zunft gebot und sie im Rate vertrat; das kriegerische Aufgebot galt der Zunft; nur ein Banner war vorhanden, und dieses trug die Wappen der Teilzünfte vereinigt.


Das Interesse des Rates an der Zünftigkeit, auf den öffentlichen Funktionen der Zünfte ruhend, entsprach dem Interesse der Gewerbetreibenden. Neben dem gewerblichen Zunftzwang stand ein politischer, von Obrigkeit wegen gehandhabter, dessen Bedeutung uns namentlich da klar wird, wo es sich um Angehörige nicht von Gewerben, sondern freier Berufe handelte. Den Grundsatz, daß Niemand ohne eine Zunft hier seßhaft sein solle, sprach der Rat öfters aus: z. B. im Kriegsjahre 1409 und dann wiederholt seit der Mitte des XV. Jahrhunderts.

Damit verband er keineswegs Zünftigkeit und Bürgerrecht. Dieses war nicht von vornherein eine Voraussetzung jener. Es sollte nicht ohne weiteres erlangt werden können, galt als Ehre, als Auszeichnung, die mit Wohnung Arbeit, Tragen öffentlicher Lasten nicht notwendig verbunden war. Niemand stieß sich daran, daß zahlreiche Fremde in den Zünften saßen. Erst die immer stärker werdende Teilnahme der Zünfte am Stadtregiment führte zu einer Änderung; man empfand, daß solche Hintersassen Ehre und Nutzen der Stadt nicht zu beurteilen Fug hätten, und kam damit zum Gesetze von 1401 über die Meisterwahlen, dann zum Erlaß von 1441, der mit dem Bürgerrecht auch die Zunft öffnete. Man sah ungerne, daß [392] Einwohner schwächeren Rechtes in Gewerbe Zunft Heer usw. die gleiche Stellung hatten wie Bürger. Wirkungen hievon waren die Beschlüsse schon der 1470er Jahre, dann noch bestimmter 1484, die letztern vielleicht provoziert durch das anstößige Vorkommnis des Adam Walch. Aber zur anerkannten Maxime wurde das Bestreben nicht. Noch 1528 wurde das Verbot an die Zünfte, keinen Nichtbürger anzunehmen, erneuert, und erst die spätere Zeit machte vollen Ernst mit dem Bürgerrechtszwang.


Trotz starker Verschiedenheit der Größe war jede Zunft dem Gemeinwesen gleich viel wert und gleich stark verpflichtet. Durch alle hindurch herrschte auch dieselbe Organisation; die Unterschiede der Anfangszeiten wurden früh ausgeglichen.

Häupter einer Zunft waren ihr Meister und ihr Ratsherr. Der Letztere, den nicht die Zunft sondern das Kollegium der Ratskieser wählte, gehörte weniger der Zunft als dem Rat an; er war in diesem ein Vertreter seiner Zunft, aber noch entschiedener vielleicht im Kreise dieser Zunft ein Vertreter der allgemeinen städtischen Interessen.

Als oberster Leiter und Würdeträger der Zunft aber galt ihr Meister. Sein Amt wechselte jährlich. Anfangs war die Meisterwahl beim Bischof gestanden; zum ersten Mal 1260 wurde sie der Zunft zuerkannt. Seit Heinrich von Neuenburg hatte diese das Recht, neben dem Meister sich noch einen Ausschuß von Sechsern zu wählen. Aber die Meisterwahl wurde auf den verschiedenen Zünften verschieden gestaltet, bis alle diese Varianten 1401 durch eine allgemein giltige Wahlordnung ersetzt wurden: der abtretende Meister und die alten und neuen Sechser wählten den neuen Meister. Das waren die dreizehn Kieser, und so wurde über ein Jahrhundert lang auf allen Zünften verfahren, bis die Jahre der Reformation eine Änderung brachten.

Auch die jährliche Wahl der Sechser, ursprünglich Sache der Zunftgemeinde, wurde dieser entzogen. Schon die Zunftbriefe von 1354 und 1361 bestimmten, daß der alt werdende Meister und die alt werdenden Sechser die neuen Sechser wählen sollten; und da man mit dem Wahlrecht auch die Wählbarkeit auf die Sechser beschränkte, so wurden die Sechser zu beständigen und lebenslänglichen Zwölfern. Dieselbe Übung jährlichen Abwechselns bildete sich bei den beiden Meistern.

So wirkte Alles zur Konzentration der Gewalt in den Händen Weniger. Wie der Rat sich faktisch selbst wählte, so war auch in jedem Zunfthause Wählen und Gewähltwerden die Sache eines enge bemessenen Kreises.

[393] Stärkste Äußerung von Macht dieser Zunftregenten war die durch sie geübte Zunftgerichtsbarkeit. Vor Allem die Gewerbejurisdiktion über „Sachen von irs antwerkes wegen“, die den Meister und die Sechser über Handhabung der zünftigen Gewerbeordnung richten ließ. Es waren Prozesse, zwischen Zunftbrüdern oder auch auf Klage eines außerhalb der Zunft stehenden Kunden oder endlich auf amtliche Rüge der zünftigen Schaubehörde hin anhängig über Mängel der Ware, Gemeinschaftsstreitigkeiten, Gesellen- und Lehrlingssachen, Zwist der in einer Zunft vereinigten Handwerke wegen der Grenzen ihrer Gewerbebefugnis usw. Daneben stand die Strafgerichtsbarkeit über Händel Schimpfworte Unfug Friedebruch, deren Kompetenz ursprünglich Sache des Gesellschaftsvorstandes auf der Stube war, zu Beginn des XV. Jahrhunderts aber an die Zunftbehörde überging. Das Ganze eine wichtige Ergänzung der öffentlichen Gewalt, aus Interesse und Initiative der Zunft selbst entstanden, begründet im korporativen Geiste sowie im Bedürfnis schleuniger und sachkundiger Rechtsprechung.


Die Zünftigkeit, als eine der vielen Formen des Genossenschaftlichen, zu dem Jeder drängte und gedrängt wurde, war ein allgemeines Bedürfnis. Durch die Interessen des Gewerbestandes wie des Gemeinwesens gefordert. Überdies Niemandem verschlossen. Dem Zunftzwang entsprach notwendig eine Annahmepflicht; die Zunft konnte sich Keinem weigern, der zu ihr paßte und die Pflichten auf sich nahm. Dementsprechend stellt sich uns die Zünftigkeit dar als die wichtigste, die herrschende Gliederung der Einwohnerschaft. Unentbehrlich vor Allem für die Gewerbetreibenden; aber auch die Beamten, die Schreiber, die Gelehrten verlangten nach ihr. Diese Vorstellung des Allumfassenden Erschöpfenden hebt das Wesen des Zunftkomplexes gewaltig.

Allerdings begegnen uns auch Unorganisierte, vom Zunftverband Freie. Im Jahre 1429 z. B. betrugen diese Zunftlosen ein Fünftel der Bevölkerung. Aber wer waren sie? Neben vielen Weibern (Dienstmägden Textilarbeiterinnen usw.) hauptsächlich Hausknechte Rebleute Tagelöhner Hirten Musiker Söldner Pfründer Kohlenberger. Solche können nicht ins Gewicht fallen. Sie beweisen Nichts, so wenig das Bestreben einer gewerbefreiheitlichen Ordnung, als die Möglichkeit, daß irgend Jemand von Belang sich der zünftischen Einfügung hätte entziehen können.

Wer der Hohen Stube oder der Zunft fern blieb, brachte sich damit um die Teilnahme am Stadtregiment. Aber er verzichtete noch auf Anderes, das vielleicht größer war: auf die vor Allem durch die Zünfte dargebotene starke Lebens- und Arbeitsgemeinschaft.

[394] Innerste Kraft des gesamten Zunftwesens war ein Gemeinschaftsgefühl, tiefer als die erst aus ihm erwachsende Geselligkeit, edler als die ihm zugrunde liegende Gemeinsamkeit in Arbeit oder Verkauf. Die Zunft war dem Zunftbruder schuldig zu helfen wo es not tat“, und nach seinem Tode war sie es, die ihm „die letzte Ehre erwies, zur Vergeltung Alles dessen, so er der Zunft getan hatte bei seinem Leben.“ Hier wird persönliches Empfinden und Schicksal berührt. Die Art, wie dieses Wechselnde, jedem Einzelnen Eigenste neben Statut und Gewohnheit tritt, gibt der Zunftgeschichte ihren besondern Charakter. Wir erfahren beinahe Nichts von den Individuen und empfinden dennoch, in Gedanken an dies verborgene reiche Leben, schon beim Durchmustern nur der Zunftmitgliederlisten einen eigenartigen Reiz.

Kern und Hauptmasse jeder Zunft war gebildet durch die Angehörigen der ordnungsgemäß in sie gewiesenen Gewerbe. Innerhalb dieser begegnen uns dann die einzelnen Berufsfamilien, die zuweilen von Generation zu Generation bei derselben Arbeit ausdauern und mit dem Zunftrechte die Anhänglichkeit an die Zunft, die Tradition, aber auch die spezielle Fertigkeit, ja vielleicht einen familiären und individuellen Stil weiter erben.

Auch Frauen stehen zahlreich in den Eintrittsbüchern und Heizgeldröteln der Zünfte. Als Meisterwitwen zunächst, die das Geschäft des Mannes fortführen. Aber in viel weiterm Umfange noch sind alle Frauen fähig, von sich allein aus ein Gewerbe zu betreiben, eine Zunft zu empfangen, ihr zu dienen, von ihr gehalten und geehrt zu werden gleich den Männern. Bei dem überraschend starken Überschuß der erwachsenen weiblichen Bevölkerung über die männliche ist diese freie Beteiligung der Frauen an Gewerbe und Zunft von hoher Bedeutung. Sie zahlen das Heizgeld gleich den Zunftbrüdern, außerdem eine jährliche oder fronfastenliche Ersatzsteuer für den persönlichen Wachtdienst; doch behält sich der Rat vor, bei Kriegsgefahr in geeigneter Weise auch die Frauen zum Dienst heranzuziehen.

Aber neben diesem festen Stock bewegt sich in scheinbar grenzenloser Willkür eine Menge anders gearteter Existenzen. Nicht überall. Die Spinnwetternzunft z. B. weist eine sehr geschlossene gleichartige Zunftgemeinde auf. Andre Zünfte wieder, wie etwa zu Weinleuten, zu Safran, zu Gärtnern, erscheinen als offene gastliche Häuser, wo nebeneinander Berufe aller Art derselben Zunft genießen. Bei Handwerkern und Händlern finden wir da die Schreiber, unter denen die Schreiber des Rates und des Gerichtes konsequent die Geltenzunft bevorzugen; ferner Gelehrte Buchdrucker usw. Die ursprünglich gewerbliche Natur der Zunft erscheint dabei wie verhüllt, [395] wie gleichgültig; daß diese Herren eine Zunft annehmen, geschieht wegen ihrer politischen Funktion, wegen Seelzunft oder Gesellschaft. Zuweilen findet die Singularität solcher Zunftbrüder auch Berücksichtigung: dem Stadtharnischer z. B. wird 1510 auf Verlangen des Rates die Eintrittsgebühr zu Schmieden erlassen; dem hochgelehrten Oswald Bär von Brisen Doktor und Apotheker bewilligt die Safranzunft 1513 im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur Universität, daß er den Nachtdienst in Geld und nicht mit dem Leibe zu leisten habe; aber Meister Hans Sigmund der Steinschneider wird 1507, da er die Geltenzunft kauft, um seiner Kunst willen von der Pflicht Hütens und Wachens überhaupt befreit. Ähnliches wird dem Herrn Hans Bürcklin 1509 und dem Herrn Ludwig Becherer 1523 zu Gärtnern, dem Deutschordenskomthur Ludwig Weitnauer 1530 zu Weinleuten, usw.

Deutlich unterscheiden sich hievon die sehr zahlreichen Fälle, in denen Gewerbsleute auf andern Zünften als derjenigen ihres Gewerbes betroffen werden. Es sind dies Fälle der Mehrzünftigkeit.

Diese kann politischen Motiven entspringen. Im Einzelnen aber scheint der starke Zuzug Anderszünftiger zu Gelten und zu Gärtnern nur aus ganz bestimmten Zuständen Vorzügen Vorteilen der Gesellschaften oder der Seelzünfte erklärt werden zu können, während die Mehrzünftigkeit zu Schlüssel Safran, auch Schmieden, wohl vorwiegend wirtschaftliche Gründe hat; dann ist sie weniger eine Organisation des Handels, als ein Beiseiteschieben der zünftischen Hemmungen zu Gunsten freien Handelns.

Aber hier fragen wir: wie setzten sich die Ansprüche des Gemeinwesens, wie das öffentliche Interesse der Zunft selbst und ihr Wille, der Wacht- und Heerespflicht zu genügen, mit der Mehrzünftigkeit auseinander?

Die Zünfte selbst scheinen die Mehrzünftigkeit begünstigt zu haben, wohl zur Stärkung ihrer Kräfte für die öffentlichen Funktionen. „Eine Zunft zieht der andern die Ihren ab“; sie sieht gerne Genossen einer andern Zunft bei sich und in ihrer Pflicht. Den hieraus folgenden Unordnungen und Zwistigkeiten zu begegnen setzte daher das Zunftmeisterkollegium 1440 fest, daß kein Zünftiger eine zweite Zunft solle erwerben können ohne Einwilligung seiner bisherigen Zunft, die er zuerst empfangen habe. Wurde aber dieser Konsens erteilt, was Regel und Übung gewesen zu sein scheint, und handelte es sich nun darum zu entscheiden, bei welcher der Zünfte zu dienen sei, so entschied hierüber die eidliche Erklärung des Betreffenden, „welcher Zunft oder Gewerbe er allermeist genieße“. Also wohin er in erster Linie gehörte, wo er seine Hantierung trieb, wo der Hauptteil seiner Tätigkeit war, da hatte er auch die Pflicht zur persönlichen Dienstleistung. Hier war [396] er „leibzünftig“, hatte er persönlich „hoch und nieder zu dienen“, zu wachen und zu reisen. Bei der andern Zunft diente er nur mit dem Gelde, entrichtete das Wachtgeld und einen Anteil an die Kriegskosten der Zunft, war „geldzünftig“.


Das Wesen der Zunft erhielt seine Weihe und Verherrlichung, über politisches Wirken, gewerbliche Notwendigkeit, geselliges Behagen hinaus durch Beziehungen zur Kirche, die so alt waren wie die Zunft selbst.

Die früheste Zeit zeigt uns eine beinah ausgeglichene Einheit. Der Verband, der die Gewerbsleute für den Betrieb ihres Berufes umschloß, erscheint auch als organisiert für kirchliche Betätigung, gemeinsame Andacht. Es war dies keine Notwendigkeit, aber es lag nahe, war der Zeit gemäß; wenige dieser Gewerbe werden unterlassen haben, ihre Arbeit solchergestalt unter den Segen der Kirche zu stellen. So war der gewerbliche Verband meist zugleich Bruderschaft Fraternität und hieß in dieser Eigenschaft Zunft. Er stiftete als solche einen Leuchter ins Münster zu Ehren der Jungfrau Maria und sorgte für dessen Bezündung; auch die letzte Ehrung gestorbener Brüder, das Geleit zum Grabe und die Begehung der Jahrzeit, gehörte zur Bruderschaft.

Wie der Verband durch eine Abrede, das Condict, sich eine Ordnung gab, der Bischof dies bestätigte und damit die Zunft im neuen Sinne gründete, ist bekannt. Die Eintrittsgebühren und die Bußen für Verletzung des Condicts wurden festgesetzt; ein Teil dieser Beträge sollte zur Unterhaltung des Lichtes im Münster dienen.

Die Zunftbriefe der Bischöfe Berthold und Heinrich von Neuenburg tun nun auch auf diesem Gebiet einen Schritt vorwärts. Der Begriff Zunft ist jetzt weltlich geworden. Die alte Einheit des Gewerbeverbandes und der Bruderschaft besteht nicht mehr, sondern eine Ablösung ist geschehen. Die Zunft verwaltet, wie etwas von ihr Gesondertes, das „Almosen“ und bestreitet aus diesem das Licht im Münster und die Verrichtungen beim Tode von Zunftbrüdern. Dem entspricht, daß nun auch vom Beitritte Solcher zur Bruderschaft die Rede ist, die das Gewerbe nicht treiben.

Diese Entwickelung geht weiter, im Sinne immer stärkeren Überwiegens des Gewerblichen und Organisatorischen im Zunftbegriff und entsprechender Ausgestaltung der zwar in der Zunft enthaltenen, aber eigenem Zwecke dienenden Bruderschaft. Diese erhält nun auch einen eigenen Namen, sie heißt Seelzunft, als die Zunft nicht der Bürger, nicht der Gewerbetreibenden, sondern der Seelen. Gegen außen ist sie identisch mit der Zunft. Wenn [397] sie auch ihre separate Kasse hat, so doch keine eigenen Häupter und Organe. Die Zunftregenten leiten auch sie; was sie tut, ist Tätigkeit der Zunft: zunächst die dauernde „Bezündung“ des Münsters, die Unterhaltung des Zunftlichtes; sodann die Prozession am Fronleichnamstag usw.; vor Allem aber Leichenfolge und Jahrzeit für verstorbene Brüder.

Die Seelzunft, rein zur Erfüllung dieser kirchlichen Pflichten und Dienste, zur Erlangung kirchlicher Gnaden bestimmt, entsprach einem allgemeinen Bedürfnisse; der Kreis ihrer Mitgliedschaft erscheint daher als grenzenlos. Alle Möglichkeiten waren darin beisammen, alle Schichten vertreten. Namentlich Geistliche traten scharenweise in diese Seelzünfte ein, fanden damit Anschluß an einen bewährten mächtigen Verband, eine Rechtsstellung inmitten eines weltlichen Kreises. Aber auch im Übrigen lassen die Seelzunftlisten der Zünfte die mannigfaltigsten Zusammenhänge erkennen. Zahlreiche Frauen sind dabei, Beamte, Herren der Nachbarschaft, vor Allem aber die Zunftgemeinder selbst, die Händler und Handwerker. Die Genossen einer Zunft sind nicht ohne weiteres daselbst auch seelzünftig; sie besitzen oft nur die Zunft und das Stubenrecht, und erst eine Nachzahlung von bestimmter Größe macht sie auch dieses Rechtes teilhaft. Eine Einzelheit statt vieler zeigt mit höchster Lebendigkeit Bedeutung und Wesen: die Erwerbung der Seelzunft zum Schlüssel durch die großen Kaufherren und Geschäftsleute Wernlin von Kilchen, Claus Gottschalk, Peter Gatz, Peter Wolfer, Peterhans von Biel, Heinrich von Öringen, auch den Sold an des Konzils Peter von Kilchhofen und den Florentiner Flüchtling Lampertus de Lamperteschis in den Jahren 1438 und 1439; es sind die Zeiten der großen Epidemie, und dies furchtbare Erlebnis treibt die Herren in die Seelzunft.


Neben Zunft und Bruderschaft (Seelzunft) stand als Drittes in demselben Komplex, aber mit größerm Abstand, die Stube. Sie hatte ihre eigene Ordnung, ihre getrennten Organe. Der Zweck war ein anderer: die Geselligkeit. Daher auch der Mitgliederbestand wohl größtenteils, aber nicht durchweg und jedenfalls nicht grundsätzlich derselbe war.

Dieser Verschiedenheit entsprach ursprünglich die lokale Sonderung von Laube und Stube. Die Laube diente dem gewerblichen Verbande; sie war der gemeinsame Raum der Genossen für den Verkauf, dann wohl auch für Versammlungen und andre Zunftgeschäfte. So werden erwähnt die Wechslerlaube am Fischmarkt, die aneinander grenzenden Lauben der Kürschner und der Grautücher bei der Sporengasse, die Gerberlaube an der Gerbergasse.

[398] Von diesen Lauben verschieden waren die für die Geselligkeit der Gewerbsgenossen bestimmten Stuben. Sie konnten im gleichen Hause sich befinden. Andre aber waren auch räumlich abgesondert. Solche Stuben hatten die Schmiede an der alten Stadtmauer beim Spalenschwibogen; die Messerschmiede 1408, 1415 im Hause zum Korb an der Spiegelgasse; die Goldschmiede 1363 oben am Totengäßlein; die Krämer bei St. Andreas im Hause zum Ingwer, dann an der Gerbergasse im Hause zum Safra (später zum alten Safran); die Weißlederer ebenfalls an der Gerbergasse im Hause zum Langen Pfeffer, welche Stube samt dem Namen dann in ein Haus an der Weißen Gasse verlegt worden zu sein scheint.

Gegen Ende des XIV. Jahrhunderts beginnt aber eine Änderung. Das Wachstum der Stadt und das Erstarken der Gewerbe drängen zu Verschiebungen. Die Lauben und die Stuben wandern zum Teil aus der tiefen Altstadt das Birsigtal aufwärts. Da die Betriebe sich ausdehnen, der allgemeine Verkehr zunimmt, genügt das Laubensystem immer weniger; während der einzelne Gewerbsmann sich sein eigenes Verkaufslokal einrichtet und die Laube räumt, wachsen auch die Raumbedürfnisse der Zunft, steigert sich die Anschauung von Wesen und Macht der Korporation. Bisher hat der Zunftmeister das Banner, den Harnisch, das Zelt, das Vermögen, die Briefe der Zunft in seinem eigenen Hause behütet; jetzt wird für diese Dinge ein der Genossenschaft zustehender Raum, eine Verwahrung durch die Zunft selbst verlangt.

So entstehen allmählich die Zunfthäuser. Sie ersetzen die Lauben und absorbieren die Stuben. 1353 kaufen die Kürschner, 1411 die Schmiede, 1423 die Krämer Häuser an der Gerbergasse; zwischen 1377 und 1388 kaufen die Hausgenossen, 1450 die Grautücher und Rebleute Häuser an der Freienstraße. Die Wirkung ist, daß nicht nur ihre Lauben, sondern offenbar auch ihre Stuben der frühern Zeit sich schließen. Andre Vorgänge sind: 1384 und 1394 erwerben die Handwerke der Scherer Sattler Maler Sporer und Bader, „die zur Trinkstube zum Himmel gehören“, das Haus zum Himmel, worauf 1395 das Schererhandwerk auf seine Rechte an diesem Hause verzichtet und 1398 als „Gesellschaft“ sich ein eigenes Haus weiter oben an der Freienstraße kauft. Das Haus Istein am Kornmarkt, 1377 von der Weinleutenzunft erworben, heißt 1408 der Weinleute Trinkstube. Gleicherweise erscheint das 1361 von der Zunft der Zimmerleute und Maurer erworbene Spichwertershaus noch lange nachher gelegentlich nur als Trinkstube. Das Haus zum Schlüssel an der Freienstraße, 1404 durch die Gesellschaft der Stube zum Schlüssel den Brüdern Murer abgekauft, wird 1408 [399] durch die Zunft der Kaufleute und Tuchscherer zu Händen genommen. Das Zunfthaus zu Webern steht schon 1360 an den Steinen. Den Schiffleuten bewilligt 1402 der Rat den Bau des Zunfthauses am Rheine, das dann 1533 verbrennen wird.

Ob diese verschiedenen Übergänge mehr oder minder klar bezeugt seien, durchweg erkennen wir, wie die alte räumliche Trennung aufgegeben wird, wie Zunfthaus und Stube überall eins werden. Und zwar unter der Herrschaft der Zunft. Ihre stets wachsende politische Kraft und Wirksamkeit, ihre Stellung im Gemeinwesen zeigen sich hiebei deutlich. Sie setzt ihre Zwecke, ihre Beratungen, ihr tätiges und oft kriegerisches Leben an die erste Stelle, richtet neben der Trinkstube die Sitzungssäle, die Rüstkammer, die Kasse, das Archiv ein und ändert auch die Organisation, indem sie der Stubenverwaltung die bisher geübte Gerichtsbarkeit nimmt und dem Zunftvorstande vindiziert, jener nur die Rügepflicht über das Verhalten auf der Stube läßt. Das gesellige Stubenwesen wird Zunftwesen, gewinnt höheren Ton und öffentlichere Geltung. Bis zum Gerät in Stube Küche Keller erstreckt sich diese Wirkung; bisher wohl nur auf das wirkliche Bedürfnis eingerichtet, wird es jetzt ein Mittel, Reichtum Macht und Prunklust der stolzen Körperschaft zu zeigen.

Bei alledem aber lebt der Sonderbegriff der Stube weiter. Nebeneinander bestehen Zunftrecht und Stubenrecht, und für jedes gilt eine besondere Einkaufstaxe. In der Regel wurden natürlich beide Rechte sowie die Seelzunft erworben. Aber z. B. 1468 kaufte Ludwig Kilchman beim Schlüssel Gesellschaft und Seelzunft, nicht auch die Zunft. Ebenso im gleichen Jahre Jost Seiler und im Jahre darauf Hans Konrad Kilchman. 1485 zahlte dann Ludwig Kilchman noch vier Gulden darauf und hatte damit „die volle Zunft“. Und 1423 beschloß die Safranzunft: wer mit uns dient, aber nicht Geselle zum Safran oder zum Pfeffer ist, der soll vier Gulden zahlen, so hat er alle Rechte am Zunfthaus (Ballhof) gleich Andern. Conz von Hagental gab 1404 die Gesellschaft der Stube zum Römer bei den Schneidern auf, weil er zu den Kaufleuten ging; aber die Schneidernzunft behielt er bei.

Wie um der Leichenfolge und Jahrzeit willen Anderszünftige und Nichtgewerbliche eine Seelzunft aufsuchten, so um der geselligen Freuden und Vorteile willen eine Stube, und so sammelten sich auf den Zünften oft Stubengesellschaften, die sehr bunt gemischt waren; die Mehrzünftigkeit, von der schon die Rede war, hatte vielfach gar nicht gewerbliche, sondern sehr bestimmte soziale Gründe. Aber unumwunden wurde allezeit die Verschiedenheit [400] der beiden Rechte ausgesprochen: wer das Stubenrecht nicht kauft, dem ist man nicht verbunden, ihm geschehe Lieb oder Leid, auf unserm Hause zu schenken; aber zur Bahre und zu andern Dingen soll man ihm dienen wie jedem andern Zunftbruder.

Auch in der Organisation kam dieser Unterschied noch immer zum Ausdruck durch die Beamtung der Stubenmeister und der Irtenmeister. Auch die doppelte Bedientenschaft auf den großen Zünften Schlüssel Safran Weinleuten zeigt dies: von den beiden Knechten hatte hier der Zunftknecht (Oberknecht) seine Obliegenheiten bei den Versammlungen, beim Gefecht, bei der Wacht, bei der Leichenfolge; der Stubenknecht (Hausknecht) sollte für Essen und Wein, für das Geräte, das Linnen, Lichter und Karten sorgen; nicht der Stubenknecht, sondern der Zunftknecht hatte die Schlüssel zur Rüstkammer.

Auf den Stuben herrschte das andauerndste und lauteste Leben der Zunft, wirkte ihr Gemeinschaftsgeist am sichtbarsten. Die Stube machte das Zunfthaus zur zweiten Heimat des Genossen. Hier war sein Verband in den reichsten Formen des Lebens der ganzen übrigen Stadt vor Augen gestellt; hier fand er Essen Trinken Spiel Unterhaltung und wußte, daß er nur Seinesgleichen traf; hier konnte er einen Freund aus fremdem Land oder sonst einen Biedermann, den er gern ehren wollte, einführen. Über Alle waltete hier die Stubenordnung, die sie sich selbst gegeben, mit ihrer Tischdisziplin, ihren Anstandslehren, ihren Strafdrohungen für Unfug Scheltwort Gotteslästerung Messerzücken usw.

Stubensache waren auch die großen Mahlzeiten, die an Gedenk- und Ehrentagen der Zunft hier stattfanden und alle Stubengenossen vereinigten, am Neujahrstag Berchtentag (6. Januar) Aschermittwoch Fronleichnam, zu Weinleuten auch am St. Urbanstag, usw.

Sodann die Feste, die bei Erlebnissen einzelner Genossen hier veranstaltet wurden, die „Schenkenen zu Freud und Leid“. Kam Einer dieser Genossen von seinem hochzeitlichen Kirchgang oder von der Bestattung eines der Seinigen, hatte er ein Kind taufen lassen oder eine Tochter ins Kloster getan, so konnte er auf der Stube seiner Zunft eine Gesellschaft zusammenbitten, mit ihm fröhlich oder traurig zu sein, und empfing von der Zunft und einzelnen Geladenen Geschenke als Zeichen ihrer Teilnahme.

Dies die Stube und ihr Recht. Sie so wenig wie die Seelzunft gab politische Rechte oder verpflichtete dem Gemeinwesen; sie hatte nichts Öffentlichrechtliches mit der Zunft gemein, war von dieser gelöst. Aber schon die Mitte des XV. Jahrhunderts zeigt ein Ineinanderfließen der Begriffe. [401] Während bei der Hohen Stube das alte Stubenwesen selbständig blieb, werden neben den Zünften die zugehörigen Gesellschaften kaum mehr genannt. Die Gesellschaft verbarg sich in der Zunft, ging aber nicht unter. Heute haben wir von der Zunft nichts mehr als den Namen; was weiterlebt, ist nicht sie, sondern die Stube, die Gesellschaft.


Dieses ganze Bild zünftischer Organisation wiederholt sich verkleinert in den Gesellenverbänden. Nur daß hier das Element der politischen Funktion fehlt; statt seiner ist dieser Gruppe eigentümlich ein starker Einfluß interurbaner landschaftlicher Beziehungen.

Wir dürfen annehmen, daß ein häufiges Übertreten von Gesellen in die Meisterschaft stattfand. Aber wohl jeder Platz, der hiedurch leer wurde, fand wieder seinen Inhaber, und da auch Diejenigen, die ihr Leben lang Gesellen blieben, nicht nur hier gedient haben werden, so erhalten wir die Vorstellung stärksten Wechsels der Personen, zugleich aber auch eines hinter diesem Wechsel unverrückt dauernden Standes.

Jedenfalls handelte es sich dabei um eine beträchtliche Masse, so daß auch die Stadt als solche sich mit ihr abfinden mußte. Sie hatte ihretwegen viel zu tun. In den Leistungsbüchern und Urfehdebüchern spielen die Handwerksknechte eine große Rolle; sie vor Allen waren die unbotmäßigen Elemente der Gasse, stets übermütig und zu jedem Unfug, zu Hänseleien Schlägereien Lärmmachen bereit. Über dem Einschreiten gegen solche Einzelheiten aber stand die umfassende Maßregel des Eides, den der Rat den Handwerksknechten jährlich am Schwörtage abnahm. Sie mußten gleich den Bürgern schwören, Bürgermeister und Rat gehorsam zu sein, der Stadt Nutzen und Ehre zu fördern, in allen Streitigkeiten nur vor den städtischen Schultheißen Recht zu nehmen und zu geben. Die Ergänzung dieses Eides finden wir in den Alarm- und Kriegsordnungen, die jedem Zünftigen vorschrieben, sich beim Banner einzufinden mit samt seinen Knechten.

In solcher Weise waren die Gesellen der Stadt verpflichtet. Auf dem einzelnen Werkplatze stand der Geselle dem Meister gegenüber unter dem Rechte des Gewerbes und des Dienstvertrags, außerdem aber als Vertreter eines Standes mit eigenen Interessen und einer Verfassung, die derjenigen der Meister antwortete.

Schon im XIV. Jahrhundert sehen wir die Basler Handwerksknechte in Verbänden zusammenstehen, für jedes Gewerbe gesondert, aber durch gemeinsame Absichten verbunden und in der Hauptsache gleichartig organisiert. Neben den Unterstützungen und den kirchlichen Pflichten, neben [402] der Geselligkeit, der Regelung der Sitte galten diese Verbände dem Verhältnis zur Meisterschaft. In ihren Ordnungen kam die Gesellenzahl des einzelnen Meisters, der Lohn, die Gerichtsbarkeit bei Zwist zwischen Meister und Geselle zur Sprache. Wirksames Mittel war, den Knechten die Arbeit bei dem oder jenem Meister zu verbieten, dessen Werkstatt zu sperren.

Wir wundern uns nicht hierüber. Das Streben zur Einung, allenthalben lebendig und in den Formen seiner Schöpfungen überreich, ist vor Allem verständlich bei dieser Schicht ortsfremder wandernder Arbeiter. Dazu hatten sie das Beispiel der Zünfte und Stuben ihrer Meister vor Augen mit all der Macht dieser Körperschaften, von denen sie selbst doch ausgeschlossen waren. Das Verhalten der Meister bei der Arbeit und einzelne Zwistigkeiten taten das Übrige, um den Widerstreit der Interessen noch fühlbarer zu machen und die Gesellenschaften zum Kampfe zu treiben.

Von der andern Seite her aber traten die Zunft und der von ihr zu Hilfe gerufene städtische Rat dieser Bewegung entgegen. Das mächtige Wachsen der Zünfte wirkte nicht nur nach oben, sondern auch nach unten, gab sich wie dem Adel so den Gesellen zu spüren. Die Einrichtung von Stuben der Handwerksgesellen bei den Schneidern und andern Gewerben, ihre Abreden und Strafbefehle wurden 1399 durch den Rat verboten; Ordnungen über gemeinsame Andacht, über Unterstützung und Begräbnis sollten nur erlaubt sein unter der Kontrolle der Meisterschaft, Streitigkeiten vor dem Zunftvorstand, vor dem Rate oder dem Schultheißengericht ausgetragen werden.

Diese Basler Ereignisse waren jedoch nur vereinzelte Stöße einer allgemeinen Bewegung auch der Meisterschaften.

Die Zünfte desselben Gewerbes aus mehreren Städten einer Gegend traten zusammen, nicht um einen neuen Verband zu gründen, sondern zur Behandlung einzelner Fragen aus ihrem Gewerbe. Zumal für Handwerke, die der Landbevölkerung, den Reisenden und Fuhrleuten arbeiteten, war eine solche Abrede Bedürfnis zur Regelung der Konkurrenz usw. Als Bedürfnis erschien auch eine Verständigung in Sachen der Gesellen, die ja eine ambulante Verbindung aller Orte darstellten.

1389 beredeten sich die Seilermeister der Städte Colmar Breisach Neuenburg Rufach Ensisheim über Dinge ihres Handwerks, auch über das Gesellenhalten. 1399 sodann, in demselben Jahre, da der Basler Rat hiergegen die Gesellen der Schneider und andrer Handwerke einschritt, trat er für seine Schuhmachermeister ein durch Teilnahme an einem großen Vertrage von Herrschaften und Städten dieser Gebiete, der sich gegen die Übergriffe der Gesellen wendete. Vor Allem um die Gewaltmaßregel der Sperre, um [403] die Anmaßung einer Gerichtsbarkeit durch die Gesellenschaften war es dabei zu tun; die Meisterkollegialität, die in den lokalen Zünften waltete, kam in diesen interurbanen Verbänden um so lebendiger zur Geltung, dem gemeinsamen Gegner die Spitze bietend, der flüssig, schwer greifbar, gleichsam überall und nirgends war. 1407 traten die Städte wieder den Schuhmacherknechten entgegen. Aber die Unruhe bemächtigte sich auch der andern Gewerbe, und 1408 erließen die Städte ein allgemeines Verbot von Gesellenschaften zwischen dem Hauenstein und Rufach. Von da an, Jahrzehnte lang, ließ die Erregung hüben und drüben nicht mehr nach. Sie ergreift auch uns noch in den Korrespondenzen der Räte, in den Berichten ihrer Gesandten; unaufhörlich finden Zusammenkünfte, „Maien“, bald der Meister bald der Gesellen statt, und neben diesen Verhandlungen hören wir wiederholt den lauten Lärm der Tumulte. 1413 verständigen sich die Kürschnermeister Basels Freiburgs Straßburgs Speyers Frankfurts usw. über die Währschaft beim Pelzhandel; 1420 hat der Rat zu Basel zahlreiche Schmiedegesellen in den Gefängnissen, weil sie sich gegen die Meister vergangen; 1421 straft er einen wilden Auflauf der Sporerknechte; er muß die Kürschnerknechte maßregeln; er kassiert die Ordnung vom Gesellentag zu Breisach; er schreitet gleichermaßen, gegen die Seilerknechte ein, die in Basel solche Versammlungen gehalten haben, und fordert die Städte zu gemeinsamen scharfen Maßregeln auf. Es ist dasselbe Jahr 1421, das auch die Gewalttätigkeiten der Bäckergesellen in Freiburg, die Begehren der Schuhknechte in der Ostschweiz erlebt. 1424 nimmt der Basler Rat Teil am Niederschlagen des Schuhmacherzwistes zu Baden und mahnt die Freiburger aufs neue zur Schärfe gegen die Seiler, die wieder rumoren, Tage halten und die Werkstätten sperren. Er erkennt klar die Bedeutung dieser Dinge, die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns. Mit außerordentlicher Sorgfalt treten die Städte Allem entgegen, was auf Absonderung Gemeinsamkeit Organisation der Gesellen weist, bis zur Kleidung hinab. Sie verbieten ihnen das Tragen weißer roter und geteilter Schuhe; ein Handwerksknecht soll überhaupt nur in schwarzen Schuhen gehen; mehr als drei Gesellen dürfen nicht die gleichen Gugelhüte Röcke Hosen haben. Aber seit den 1430er Jahren wird es in den Akten stiller von diesen Dingen. Wir vernehmen noch hie und da Zänkereien, aber keine prinzipiellen Kämpfe. Namentlich der alte Streitpunkt der Gerichtsbarkeit zeigt sich nicht mehr; die Gesellen scheinen diese Ambition fallen gelassen zu haben.

Auch treten die provinzialen Abmachungen zurück; im geschlossenen Bereiche der Stadt steht das Bild der Gesellenbruderschaft deutlicher als früher vor uns. Denn der Drang zum Verbande war unmöglich zu hemmen, höchstens zu [404] lenken; und wenn auch die immer mehr sich ausbildende Meisterordnung des Handwerks den Gesellen starke Schranken setzte, so gab sie ihnen doch innerhalb dieser Schranken allen Raum zur Pflege ihres Rechts und ihrer sozialen Stellung.

Wie die Zünfte zeigen diese Gesellenverbände eine Mischung gewerblicher kirchlicher geselliger Interessen. Auch von Stuben ist die Rede und daneben wiederholt von Gärten; gerade die letztern erscheinen als Spezialität dieser Verbindungen. Aber in der Regel reden die Akten von Bruderschaft. Die kirchliche Betätigung gab den Namen; vielleicht überwog sie tatsächlich.

Jede solche Bruderschaft stand ohne weiteres unter der Aufsicht der betreffenden Zunft. Im Jahreid der Handwerksknechte wurde ihnen zwar die Freiheit gelassen, allfronfastenlich an einem Sonntag sich zu versammeln „von der Kerze wegen“; aber die Versammlung sollte dem Zunftmeister angezeigt werden, und dieser hatte einen der Handwerksmeister hinzuschicken, um zum Rechten zu sehen. Später scheint die ständige Deputation eines Sechsers aus dem Zunftvorstande zu jedem Gesellenverband Regel gewesen zu sein; er hatte dort den Vorsitz und war Vertreter der Gesellen gegenüber der Zunft.

In solcher Weise erließen die Zünfte ihre Gesellenordnungen, z. B. die Schmiedenzunft 1478 für die Messerschmiedgesellen, 1505 für die Hufschmiedgesellen, 1528 für die Müllerknechte, hauptsächlich mit Regelung des Gesellschaftlichen, mit disziplinarischen Vorschriften. Aber innerhalb dieser Schranken hatte der Gesellenverband seine bestimmten eigenen Rechte, er besaß Vermögen, er übte eine Gerichtsbarkeit in Schuldsachen und eine Strafdisziplin. Dazu kam das Leben in der Confraternität, die sich meist an eines der Klöster anschloß; so die Müllerknechte an Klingental, die Schneidergesellen an die Augustiner. Auch daran ist zu erinnern, was diese Bruderschaften für die Pflege kranker Brüder taten; die Erwerbung eines Spitalbetts durch die Bruderschaft scheint schon frühe Regel gewesen zu sein.


Diese Gruppierungen waren den stärksten Bedürfnissen wirtschaftlicher gesellschaftlicher staatlicher Ordnung gemäß. Aber in keiner Weise die einzig möglichen und vorhandenen.

Allem voran meldet sich uns in zahlreichen Erwähnungen der die Gesamtheit unerbittlich in zwei Kategorien scheidende Gegensatz von Reich und Arm. Faßlicher und lebendiger als irgend eine andre Trennung; ein Unterschied, auf dem schließlich Alles ruhte.

[405] Andere Sonderungen wurden andern Zuständen gerecht und andern Kräften. Nur auf Vereinzeltes dieses wunderbaren Schauspieles vermögen wir hinzuweisen, da ein unerhört reiches und tätiges Leben Alles, auch das Äußerliche, bewegt und beseelt.

Wir erinnern an die Gesellschaft einer jeden Periode d. h. die politisch sozial wirtschaftlich Hervortretenden, deren Ganzes aber, durch Verschiedenheit der Lebensart und der Lebensziele erregt, sich ihrerseits wieder spaltet in oft feindliche Familiengruppen, in Parteien und Fraktionen. Dann die Sozietäten für Geldgeschäft und Handel; die durch mächtige, den ganzen Menschen beherrschende Anschauung zusammengeführten kirchlichen Verbände und Gefolgschaften. Und wie starke örtliche Gliederungen begegnen allenthalben, jede mit ihrer eigenen bestimmten Physiognomie: der feierliche Bezirk auf Burg; die dunkeln stolzen Patriziergassen zu St. Peter mit dem Blick über die beherrschte Stadt; das Kaufherren- und Bankenviertel an der Sporengasse und beim Kaufhaus; die Kleinleutequartiere zu St. Johann, zu Spitalscheuern, an den Steinen. Überhaupt erscheinen die Vorstädte, in ihrer lockeren Bebauung, mit ihrer Bevölkerung, mit ihrer Sonderart in Recht und Geltung, wie Welten für sich; stärker noch die kleine Stadt auf dem rechten Ufer, die sich von jeher als ein Basel eigener Art fühlte und benahm. Nicht nur um topographische Sonderungen handelt es sich dabei; jeder dieser Bezirke hat seine eigene Sitte und Gesinnung, ja Sprache, seine eigene Gesellschaft, zeigt einen für sich gearteten Teil der städtischen Einwohnerschaft.

Über dem Allem endlich, auch über den politischen Parteien, den Stuben der Herren, der Schreiber, der Gesellen, der Schützen usw., den festen Körpern der Zünfte, den gegebenen und unausweichbaren Zusammenhängen von Verwandtschaft und Nachbarschaft als glückliche, wenn auch oft nur momentane Ergänzung eine freie Geselligkeit. Zumeist allerdings, ihrem Wesen gemäß, gar nicht bezeugt. Nur an eine gewisse Organisation, an Klubs oder Stammtische mögen die Gesellschaften zum Leckerstüblein 1416 und von Freudeneck 1470 erinnern, die gelegentlich Erwähnung finden. Ebenso vielleicht die 1424 genannte Gesellschaft zum Leopard; im Hause zum Ingwer, wo in früher Zeit eine Trinkstube der Krämer gewesen war, seit ca. 1480 die Schuhmachergesellen ihre Stube hatten, scheint zwischenhinein eine andere Gesellschaft sich befunden zu haben. Jedenfalls lassen diese ganz zufälligen Nennungen vermuten, daß noch sonstige Zirkel solcher Art bestanden, freie Vereine, in denen nicht nur lustig gelebt, sondern auch gearbeitet, Ehre und Zukunft der Stadt erwogen, vielleicht das Höchste Geistige verhandelt wurde.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: annnimmt