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Stärkste Äußerung von Macht dieser Zunftregenten war die durch sie geübte Zunftgerichtsbarkeit. Vor Allem die Gewerbejurisdiktion über „Sachen von irs antwerkes wegen“, die den Meister und die Sechser über Handhabung der zünftigen Gewerbeordnung richten ließ. Es waren Prozesse, zwischen Zunftbrüdern oder auch auf Klage eines außerhalb der Zunft stehenden Kunden oder endlich auf amtliche Rüge der zünftigen Schaubehörde hin anhängig über Mängel der Ware, Gemeinschaftsstreitigkeiten, Gesellen- und Lehrlingssachen, Zwist der in einer Zunft vereinigten Handwerke wegen der Grenzen ihrer Gewerbebefugnis usw. Daneben stand die Strafgerichtsbarkeit über Händel Schimpfworte Unfug Friedebruch, deren Kompetenz ursprünglich Sache des Gesellschaftsvorstandes auf der Stube war, zu Beginn des XV. Jahrhunderts aber an die Zunftbehörde überging. Das Ganze eine wichtige Ergänzung der öffentlichen Gewalt, aus Interesse und Initiative der Zunft selbst entstanden, begründet im korporativen Geiste sowie im Bedürfnis schleuniger und sachkundiger Rechtsprechung.


Die Zünftigkeit, als eine der vielen Formen des Genossenschaftlichen, zu dem Jeder drängte und gedrängt wurde, war ein allgemeines Bedürfnis. Durch die Interessen des Gewerbestandes wie des Gemeinwesens gefordert. Überdies Niemandem verschlossen. Dem Zunftzwang entsprach notwendig eine Annahmepflicht; die Zunft konnte sich Keinem weigern, der zu ihr paßte und die Pflichten auf sich nahm. Dementsprechend stellt sich uns die Zünftigkeit dar als die wichtigste, die herrschende Gliederung der Einwohnerschaft. Unentbehrlich vor Allem für die Gewerbetreibenden; aber auch die Beamten, die Schreiber, die Gelehrten verlangten nach ihr. Diese Vorstellung des Allumfassenden Erschöpfenden hebt das Wesen des Zunftkomplexes gewaltig.

Allerdings begegnen uns auch Unorganisierte, vom Zunftverband Freie. Im Jahre 1429 z. B. betrugen diese Zunftlosen ein Fünftel der Bevölkerung. Aber wer waren sie? Neben vielen Weibern (Dienstmägden Textilarbeiterinnen usw.) hauptsächlich Hausknechte Rebleute Tagelöhner Hirten Musiker Söldner Pfründer Kohlenberger. Solche können nicht ins Gewicht fallen. Sie beweisen Nichts, so wenig das Bestreben einer gewerbefreiheitlichen Ordnung, als die Möglichkeit, daß irgend Jemand von Belang sich der zünftischen Einfügung hätte entziehen können.

Wer der Hohen Stube oder der Zunft fern blieb, brachte sich damit um die Teilnahme am Stadtregiment. Aber er verzichtete noch auf Anderes, das vielleicht größer war: auf die vor Allem durch die Zünfte dargebotene starke Lebens- und Arbeitsgemeinschaft.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes erster Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1911, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,1.pdf/414&oldid=- (Version vom 10.11.2016)