« Kap.5 William Penn
Ohne Kreuz keine Krone
Kap.7 »
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Sechstes Kapitel.

§. 1. Auch Menschen, die in ihrem Glauben und in der Ausübung ihrer religiösen Grundsätze mehr verfeinert sind, machen sich dennoch hinsichtlich der Religion, der unerlaubten Eigenliebe schuldig. §. 2. Gott siehet bei der Verehrung und Anbetung, die wir ihm leisten, auf die Beweggründe, die wir dazu haben. [82] §. 3. Wahre Gottesverehrung kann nur mit einem Herzen vollzogen werden, das durch den Geist Gottes dazu vorbereitet ist. §. 4. Ohne den göttlichen Athem des Lebens ist die Seele des Menschen geistlich todt, und daher nicht im Stande, den lebendigen Gott gehörig anzubeten. §. 5. Wir sollten keine Gebetsformeln ersinnen, nach denen wir beten wollen. – Wie die Christen beten sollen; und von dem Beistande, den ihnen der Geist Gottes dabei leistet. §. 6. Wie die Vorbereitung des Herzens zur wahren Gottesverehrung erlangt wird. Das Mittel dazu ist, daß man, wie David und Andere der Alten gethan haben, im heiligen Schweigen auf Gott harre. Dadurch können wir sowohl unsere Mängel, als auch unsere Hülfsmittel, am besten erkennen. §. 7. Diejenigen, welche sich für gesund halten, oder von sich selbst angefüllt und satt sind, glauben dieses Harrens nicht zu bedürfen, und wenden es daher auch nicht an. Aber die Armen am Geiste denken anders; darum erhöret sie auch der Herr, und füllet sie mit seinen Gütern. §. 8. Wäre eine solche Vorbereitung des Herzens nicht nöthig, so würden die jüdischen Zeiten heiliger und geistlicher gewesen seyn, als die Zeit des Evangeliums ist; sie war aber schon damals erforderlich, und wie viel mehr muß sie es nicht jetzt seyn? §. 9. So wie die Sünde Gott nicht ehret, so kann es auch keine leere Formalität; das sagt David, Jesaias, u. a. §. 10. Selbst die Formen und Einrichtungen, die Gott verordnet hat, sind ihm mißfällig, wenn sein eigener Geist sie nicht belebt; wievielmehr werden es denn nicht die menschlichen Erfindungen seyn? §. 11. Gottes Kinder fanden Gott zu allen Zeiten auf seinem Wege, nicht auf den ihrigen; und auf dem seinigen fanden sie auch allezeit Hülfe und Trost. So war es zu den Zeiten Jeremia’s; die Güte des Herrn offenbarte sich seinen Kindern, die wahrhaft auf ihn harreten, und ein dürstendes Verlangen nach einem innern Gefühle und Genusse seines Naheseyns hatten. Auch Christus befahl seinen Jüngern, daß sie auf den heiligen Geist warten sollten. §. 12. Fernere Erklärung dieser Lehre vom stillen Harren auf den Einfluß Gottes. Sie endigt mit einer Anspielung auf den Teich zu Bethesda, einem treffenden [83] Bilde des innern Harrens oder Wartens und der segensreichen Wirkungen desselben. §. 13. Zur wahren Anbetung Gottes sind vier Stücke nothwendig: die Heiligung des Anbeters; die Weihe seines Opfers; die Sache, um welche er bittet, und endlich der Glaube, in dem er bittet. Alle diese Stücke müssen recht und gut seyn, d. h. sie müssen aus dem Einflusse des Geistes Gottes entspringen. §. 14.[WS 1]  Von der großen Kraft des Glaubens im Gebete, wovon die Anhaltsamkeit des Weibes, Matth. 15, 28., zum Beweise dienet. – Die Gottlosen und Formalisten bitten, und empfangen nicht; – Erklärung der Ursache, warum sie vergeblich bitten; – Jakob aber und seine wahren Nachkommen, die Nachfolger seines Glaubens, erringen den Segen. §. 15. Dieses zeigt, warum Christus seinen Jüngern ihre Kleingläubigkeit vorwarf. – Nothwendigkeit des Glaubens; da Christus ohne denselben kein Gutes in dem Menschen wirken kann. §. 16. Ein solcher Glaube ist auch jetzt nicht allein möglich, sondern auch durchaus nothwendig. §. 17. Fernere Erklärung des wahren Glaubens. §. 18. Welches die rechten Nachfolger dieses Glaubens sind, und was für edle Werke derselbe unter den vorigen Geschlechtern der Gerechten hervorgebracht hat.


§. 1. Nun giebt es noch Andere, deren Begriffe mehr verfeinert sind, und welche ihre Religionsübungen so weit gereinigt und verbessert haben, daß sie dabei sich keiner Bilder von Holz, Steinen, Silber oder Gold bedienen, und noch weniger dieselben anbeten dürfen; die auch bei ihrer Gottesverehrung sich den jüdischen oder vielmehr heidnischen Pomp nicht erlauben, wovon Andere Gebrauch machen, – als wenn die Anbetung des Vaters, die [84] Christus gelehret hat, von dieser Welt seyn könnte, obgleich sein Reich von einer andern ist; – ja, die sogar in ihrer Lehre solchen abergläubischen Gebräuchen widersprechen, und dennoch nicht einsehen, daß sie bei dem Allen sich vor ihrer eigenen hohen Meinung beugen, die sie von ihren religiösen Uebungen haben, indem sie die Vollziehung einiger Stücke ihres Gottesdienstes, die sie in ihrer fleischlichen Ruhe und Bequemlichkeit störet, und die Pünktlichkeit, mit welcher sie dieselbe beobachten, als kein kleines Kreuz für sie betrachten. Solche stehen gewöhnlich in dem Wahne, daß sie in dem Bezirke der Nachfolge Jesu und im Schooße der christlichen Kirche sicher genug sind, wenn sie sich nur von groben und schändlichen Sünden enthalten, oder das Böse nicht wirklich und mit der That ausüben, obgleich sie den Gedanken an dasselbe Raum geben und in ihren Gemüthern freien Lauf lassen. Allein auch dieses ist ein viel zu niedriger Begriff von dem Charakter und der Wirkung des Kreuzes Christi, und es werden gewiß Alle, die sich mit dem Gedanken schmeicheln, daß ein solches Aufnehmen und Tragen desselben hinreichend sei, am Ende beim Mitternachtsgeschrei als Solche, die auf den Sand gebauet haben, sich schrecklich betrogen finden; denn Christus erklärt: „Ich sage euch aber, daß die Menschen am Tage des Gerichts von jedem unnützen Worte, das sie geredet haben, Rechenschaft geben müssen.“[1]

§. 2. Gott siehet bei den religiösen Handlungen der Menschen nicht auf die äußere Verrichtung derselben, sondern vielmehr auf die Triebfedern, die sie dazu bewegen. Die Menschen können oft – und Viele thun es – [85] ihren eigenen Willen eigenwillig kreuzigen, indem sie willkührlich, oder nach eigener Wahl, Etwas thun oder unterlassen. Darum sagte einst der Herr zu den Juden, als sie ihm mit vielem Eifer zu dienen schienen: „Wer fordert solches von euern Händen?“[2] Ihre gottesdienstlichen Handlungen bestanden in Werken ihrer eigenen Erfindung und Einrichtung, die sie nach ihrem eigenen Willen und in ihrer selbst gewählten Zeit, aber nicht mit einem von der Kraft Gottes wahrhaft gerührten und zu ihrem Gottesdienste vorbereiteten Herzen vollzogen. Es waren bloß leibliche Uebungen, von denen Paulus uns sagt, „daß sie wenig nützen.“ Auch ist es offenbar eine Hauptursache des Aberglaubens, der noch immer die Welt beunruhigt, daß die Menschen sowohl in ihrer Gottesverehrung, als auch in andern Dingen, das wahre Kreuz zu tragen aufgehört haben. Sie sind eben so abgeneigt, die Beschaffenheit ihres Gottesdienstes, als den sündlichen Zustand ihrer Herzen zu untersuchen. Ja, die Mehrsten bekümmern sich um die Untersuchung ihres Gottesdienstes am wenigsten; da sie aus Unwissenheit in dem Wahne stehen, daß die Vollziehung desselben als eine Art von Genugthuung oder Entschuldigung für ihre Uebertretungen diene, und glauben nicht, daß auch die religiösen Handlungen des Menschen eines Kreuzes für seine eigene Wirksamkeit bedürfen.

§. 3. Wahre Gottesverehrung kann nur mit einem Herzen vollzogen werden, das vom Herrn dazu vorbereitet ist. Diese Vorbereitung des Herzens kann aber nur durch den Einfluß des göttlichen Geistes bewirkt werden, dessen Leitung, wenn, nach Pauli Lehre, die Kinder [86] Gottes dieselbe im gewöhnlichen Laufe ihres Lebens bedürfen, ihnen gewiß bei der Verehrung und Anbetung ihres Schöpfers und Erlösers ganz unentbehrlich ist; da kein Beten oder Lehren, das nicht aus dem Einflusse des heiligen Geistes entspringt, und unter der Leitung desselben hervorgebracht wird, bei Gott Annahme findet. Auch kann eine solche Gottesverehrung, die ohne gehörige Vorbereitung des Herzens vollzogen wird, nicht die wahre evangelische Anbetung seyn, welche nur im Geiste und in der Wahrheit, nämlich nur unter dem Einflusse und durch Hülfe des göttlichen Geistes geleistet werden kann. Denn was kann eine Menge der erhabensten und rührendsten Worte bei dem allmächtigen Gott ausrichten, oder was sind geweihete Oerter und Zeiten vor Ihm, der ein Geist ist, und mit dessen Wesen, – wenn wir es genau betrachten, – Worte, Oerter und Zeiten in gar keinem Verhältnisse stehen. Wir bedienen uns ihrer freilich als Hülfsmittel bei unserer öffentlichen Gottesverehrung; allein sie sind doch nur körperliche und sichtbare Mittel, die keinesweges dem Anliegen unserer Seelen etwas beifügen, und dasselbe befördern oder dem unsichtbaren Gott empfehlen können. Sie sind auch nur zum Dienste der versammelten Gemeine erforderlich; denn Gott hört die Sprache der Seele an, und diese kann nur auf eine geistige Art reden, nur durch Hülfe des heiligen Geistes auf die rechte Weise zu dem Allmächtigen seufzen.

§. 4. So lebendig die Seele des Menschen auch in andern Dingen seyn mag, so befindet sie sich doch in Ansehung des Lebens, das aus Gott ist, in einem Zustande des Todes, bis der Allmächtige ihr den Geist des Lebens [87] einathmet, ohne welchen sie vor ihm nicht leben und noch weniger ihn recht anbeten kann. Dieses erklärt uns Gott durch Hesekiel, als derselbe ein Gesicht von der Wiederherstellung des Menschengeschlechts hatte, und, auf eine unter den Propheten übliche, aber oft auch mißverstandene, Art zu reden, unter der Benennung von Israel zu dem ganzen Volke des Herrn sagte: „So spricht der Herr: Ich will eure Gräber aufthun, … und will meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt.“[3] Obgleich nun auch Christus seine Jünger lehrete, wie sie beten sollten, so waren sie doch, ehe er ihnen diesen Unterricht ertheilte, in gewissem Betracht schon wirkliche Jünger, und keine weltlichgesinnte Menschen, deren Gebet dem Herrn ein Greuel ist. Auch läßt sich daraus, daß Christus seinen Jüngern die Gegenstände anzeigte, um welche sie bitten sollten, nicht vernünftig schließen, daß jeder Mensch das Gebet, welches er seinen Jüngern zu beten empfahl, nachbeten müsse, er möge es mit demselben Herzen oder in derselben Gemüthsverfassung jener armen Nachfolger thun oder nicht, wie heutiges Tages auf eine nur zu abergläubische und anmaßende Weise geschiehet. Nein! so wie Christus seine Jünger damals lehrete, wie sie beten sollten, müssen auch wir jetzt nicht unsere eigenen oder selbst erdachten Gebete, sondern diejenigen, die Er uns lehret, hervorbringen; das heißt: wir müssen solche Gebete verrichten, als Er in uns wirket, und wozu Er uns, wie ehemals seinen Jüngern, die Fähigkeit verleihet.

§. 5. Denn, wenn wir nicht sorgen sollen, wie, oder was wir reden wollen, wenn wir vor weltliche Fürsten [88] geführet werden; weil es uns zu der Stunde gegeben werden soll; und da wir es dann nicht sind, die da reden, sondern der Geist unsers himmlischen Vaters es ist, der in und durch uns redet; wie viel weniger wird dann unsere eigene Geschicklichkeit erforderlich seyn, oder was haben wir dann nöthig, eine Form unserer Anrede auszustudiren, wenn wir uns dem großen Fürsten aller Fürsten, dem König aller Könige, dem Herrn aller Herren nahen. Denn, wollten wir es seiner Größe wegen thun, so verbietet uns dies Christus; oder, weil wir seine Kinder sind, so bedarf es dessen nicht. Er weiß, was wir bedürfen, und wird, als Vater, uns helfen, wenn er wirklich unser Vater ist. Demnach muß nicht allein der Mund des Körpers, sondern auch der Mund der Seele verschlossen bleiben, bis Gott ihn öffnet; und dann hört er gern seine Sprache. Aber der Leib sollte hierin der Seele nicht vorgreifen; da das Ohr des Herrn zu solchen Bitten sich neiget, und sein Geist die Flehenden mächtig vertritt.

§. 6. Man wird aber vielleicht fragen, wie eine solche Vorbereitung des Herzens erlangt werden könne?

Ich antworte: Dadurch, daß man geduldig, wachsam und mit genauer Aufmerksamkeit auf Gott harret. „Das Verlangen der Elenden,“ sagt der Psalmist, „hörest du, Herr! Ihr Herz ist gewiß, daß dein Ohr darauf merket.“[4] Und die Weisheit sagt: „Der Mensch setzt sich etwas vor im Herzen, aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll.“[5] (Nach dem Englischen: „Die Vorbereitung des Herzens im Menschen und die Antwort der Zunge ist vom Herrn.“) Der Mensch muß [89] daher nicht seine eigenen Gedanken verfolgen, noch seine eigenen Worte reden; das heißt: er muß unter der Zucht des heiligen Kreuzes ein wahres Schweigen beobachten; er muß in seinem Innern von allen verworrenen Einbildungen und zerstreuenden Vorstellungen sich abwenden, die sonst in dieser heiligen Zurückgezogenheit nur zu häufig auf das Gemüth einzudringen und dasselbe niederzudrücken pflegen. Denke ja nicht, der Allmächtige sei durch wohlgeordnete Vorträge zu gewinnen, oder daß die gewähltesten Ausdrücke etwas bei ihm ausrichten werden. Nein, das Seufzen und Sehnen einer verwundeten Seele, ein Herz, von wahrer Reue durchdrungen, eine aufrichtige und göttliche Traurigkeit, vom Geiste des Herrn gewirkt, dieses sind Dinge, die bei Gott gelten, und Alles über ihn vermögen. Darum suche dein Gemüth im Schweigen zu erhalten, und harte und warte, bis du etwas Göttliches in dir fühlest, das dein Herz vorbereiten und geschickt machen kann, Gott in der Wahrheit und auf eine ihm wohlgefällige Art anzubeten. Und wenn du so das Kreuz gegen deine Selbstliebe aufnimmst, wenn du die Thüren und Fenster deiner Seele gegen Alles verschließest, was ein solches aufmerksames Harren auf Gott unterbrechen könnte; möchte der Gegenstand, der deine stille Aufmerksamkeit stört, an sich auch noch so angenehm, möchte er zu andern Zeiten auch noch so erlaubt oder nothwendig seyn; dann wird die Kraft des Allmächtigen dich überschatten, sein Geist wird dein Herz bearbeiten und zubereiten, daß es ein wohlgefälliges Opfer darbringen kann. Er ist es, der der Seele ihre Mängel entdeckt, und sie dieselben fühlen läßt, und wenn sie dann nach Hülfe seufzt und schreiet, so ist Er es allein, der [90] sie ihr gewährt. Diejenigen Gebete hingegen, die nicht aus solchen Gefühlen entspringen, und ohne solche Vorbereitung des Herzens verrichtet werden, sind bloß leere Formalitäten und Täuschungen, und keine wahre Gebete; – weil die Menschen sie in ihrem eigenen blinden Verlangen hersagen und nicht dem Willen Gottes gemäß beten. Darum ist auch sein Ohr dagegen verschlossen. „Aber um des Seufzens der Armen und um des Geschreies der Elenden willen,“ sagt Gott, „wolle er sich aufmachen,“[6] nämlich, um der geistlich armen und dürftigen Seelen willen, die seiner Hülfe bedürfen; die zu versinken glauben; die ihre Noth fühlen und laut nach einem Erretter rufen; ja, die auf Erden Niemand finden, der ihnen zu helfen vermöchte, und nur an ihn im Himmel sich wenden können. Von Solchen sagt David: „Er wird den Armen erretten, der da schreiet, und den Elenden, der keine Hülfe hat. Er wird die Seelen der Armen aus dem Betruge und Frevel erlösen, und ihr Blut wird theuer geachtet werden vor ihm.“[7] Und ferner: „Das Angesicht Derer, die ihn ansehen und anlaufen, wird nicht zu Schanden.“ „Da dieser Elende rief, hörte ihn der Herr, und half ihn aus allen seinen Nöthen. Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen aus.“ Dann ladet er Alle ein, zu kommen, „zu schmecken und zu sehen, wie freundlich der Herr ist.“[8] Ja, „Er segnet die, welche den Herrn fürchten, sowohl die Kleinen als die Großen.“[9]

§. 7. Allein, was gehet dieses Diejenigen an, deren Seelen keinen Hunger haben oder keinen Mangel empfinden? [91] „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht;“[10] die Satten brauchen nicht nach Speisen zu seufzen; die Reichen haben nicht nöthig um Beistand anzusprechen. Was haben also Diejenigen, die ihre innern Bedürfnisse nicht fühlen, die weder Furcht noch Schrecken in sich erfahren, die von der Nothwendigkeit der Kraft Gottes, ihnen zu helfen, des Lichts seines Angesichts, sie zu trösten, nicht überzeugt sind, – was haben diese mit dem Gebete zu thun? Gewiß, ihre Andachtsübungen scheinen, aufs gelindeste genommen, bloß ein ernsthafter Scherz zu seyn, den sie vor dem Allmächtigen treiben; da sie Dasjenige, um welches sie bitten, weder kennen noch nöthig zu haben glauben, und es auch nicht einmal verlangen. Sie bitten: „Der Wille Gottes möge geschehen,“ und thun dennoch immer ihren eigenen. Es ist ihnen freilich ein Leichtes, die Worte auszusprechen; aber die Sache ist ihnen doch schrecklich. Sie bitten um göttliche Gnade, und mißbrauchen die, welche sie haben; – um den Geist Gottes; widerstreben ihm aber in ihren eigenen Herzen und verspotten ihn in Andern. Sie flehen Gott um seine Barmherzigkeit und Güte an; allein sie fühlen kein wahres Bedürfniß derselben; und in dieser innern Unempfindlichkeit sind sie auch eben so unfähig, Gott für das, was sie haben, zu loben, als um das, was sie nicht haben, zu bitten. Aber „die, welche nach dem Herrn fragen,“ sagt David, „werden ihn preisen; denn er sättiget die durstige Seele, und füllet die hungrige mit Gütern.“[11] Auch hat er für die Armen und Elenden noch Dieses aufbewahrt: „Laß die (geistlich) Armen und Elenden deinen Namen preisen! [92] Preiset den Herrn, ihr, die ihr ihn fürchtet! Es ehre ihn aller Same Jakobs.“[12] Jakob war ein schlichter Mann von aufrichtigem Gemüthe; und Alle, die seine Gesinnung haben, gehören zu seinem Samen. Und wenn sie gleich, wie er, in ihren eigenen Augen so arm wie ein Würmlein sind, so empfangen sie doch Kraft, daß sie, auch wie er, mit Gott ringen und obsiegen können.

§. 8. Ohne Vorbereitung und Heiligung des Herzens durch diese Kraft ist aber kein Mensch in einem geschickten Zustande, vor Gott zu erscheinen; sonst würde es ja auch unter der evangelischen Einrichtung weniger Heiligkeit und Ehrfurcht zur Verehrung Gottes erfordern, als unter der Anordnung des Gesetzes nöthig war; wo alle Opfer besprengt werden mußten, ehe sie dargebracht wurden, und auch Diejenigen, welche sie darbrachten, erst geheiligt wurden, ehe sie vor dem Herrn erschienen.[13] Wenn nun damals das Berühren eines todten oder unreinen Thieres die Menschen unfähig mache, den Tempel zu betreten und Opfer darzubringen, ja, wenn es sie sogar von der Gesellschaft der Reinen ausschloß, bis sie wieder besprengt und geheiligt waren; wie können denn wir von der Gottesverehrung, die Christus in den Zeiten des Evangeliums angeordnet hat, einen so niedigen Begriff haben, als daß sie unzubereitete und ungeheiligte Opfer zuließe? Oder wie können wir annehmen, daß Diejenigen, welche entweder in Gedanken, oder mit Worten und Handlungen sich täglich moralisch verunreinigen, im Stande seyn sollten, den reinen Gott auf eine ihm wohlgefällige Weise zu verehren [93] und anzubeten, ohne daß zuvor ihre Herzen durch das Blut Jesu, welches das Gewissen von todten Werken reinigt, besprenget oder gehörig zubereitet worden sind?[14] Dieses wäre ja für den gesunden Verstand ein offenbarer Widerspruch; da es unmöglich ist, daß die Unreinen den Reinen, die Ungeheiligten den Heiligen auf eine ihm wohlgefällige Art anbeten können. Es bestehet allerdings eine heilige Verbindung und Gemeinschaft zwischen Christo und seinen Nachfolgern, aber durchaus keine zwischen Christo und Belial; so auch nicht zwischen Ihm und Denen, die seinen Geboten nicht gehorchen, die nicht unter seinem heiligen Kreuze ein Leben der Selbstverleugnung führen.

§. 9. So wenig Jemand mit seinen Sünden Gott dienen kann, eben so wenig kann er ihn auch durch Beobachtung und Vollziehung äußerer Religionsgebräuche verehren; selbst dann nicht, wenn diese von Gottes eigener Anordnung sind. Dieses war die Ursache, warum der Prophet Micha, indem er die Gefühle eines geängstigten Herzens darstellte, in den Worten ausbrach: „Womit soll ich den Herrn versöhnen? Mit Bücken vor dem hohen Gott? Soll ich mit Brandopfern und jährigen Kälbern ihn versöhnen? Meinest du, der Herr habe Gefallen an viel tausend Widdern, oder an Oehl, wenn es gleich unzählige Ströme voll wären? Oder soll ich meinen ersten Sohn für meine Uebertretung geben? Oder meines Leibes Frucht für die Sünde meiner Seele? – Es ist dir gesagt, o Mensch! was gut ist, und was der Herr von dir fordert; nämlich: Gottes Wort halten, Liebe üben und demüthig seyn vor deinem Gott.“ (Nach [94] der englischen Bibelübersetzung: „Er hat dir gezeigt, o Mensch! was gut ist; und was fordert der Herr von dir, als daß du recht handelst, Barmherzigkeit liebest und demüthig vor deinem Gott wandelst.“)[15] Auch der königliche Prophet, der dieses wohl fühlte, rief Gott mit diesen Worten an: „O Herr! thue du meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige.“ (Oder: „so soll mein Mund dein Lob verkündigen.“)[16] Er wollte es also nicht wagen, seine Lippen selbst zu öffnen, weil er wohl wußte, daß diese allein Gott nicht preisen könnten; und er giebt auch den Grund davon an: „Denn du hast nicht Lust zum Opfer, sonst wollte ich es dir wohl geben.“ – Wenn mein äußerer Formendienst dir genügen könnte, so sollte es dir daran nicht mangeln. – „Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängstigter, (zerbrochener) Geist; ein geängstigtes und zerschlagenes Herz wirst du, o Gott! nicht verachten.“[17] Und warum nicht? Weil dieses Gottes eigenes Werk, die Wirkung seiner Kraft ist, und nur seine eigenen Werke ihn preisen können. Zu demselben Zwecke redet Gott selbst durch den Mund des Propheten Jesaias, indem er den äußern Formendienst und die Lippenverehrung der ausgearteten Juden tadelt: „So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meine Fußbank. Was ist es denn für ein Haus, das ihr mir bauen wollt? Oder welches ist der Ort, da ich ruhen soll? Meine Hand hat Alles gemacht, was da ist, spricht der Herr. – Ich sehe aber an den Elenden, und den, der zerbrochenen Geistes ist, und der sich fürchtet vor meinem Worte.“[18] Hier sehen wir den [95] wahren Anbeter, den Gott selbst zu seiner Verehrung vorbereitet hat; den an Herz und Ohren Beschnittenen, der nicht, wie jene stolzen Bekenner des Judenthums, dem heiligen Geiste widerstrebet. Und war dieses nun damals so unter dem Gesetze, welches doch die Verrichtung äußerer in Schatten und Bilder gehüllter, gottesdienstlicher Handlungen vorschrieb, wie können wir denn jetzt, in den für die Ausgießung des heiligen Geists bestimmten Tagen des Evangeliums, Annahme bei Gott erwarten, wenn unsere Herzen zu der Verehrung und Anbetung, die wir ihm leisten wollen, nicht durch seinen Geist gehörig vorbereitet sind? Dieses dürfen wir keinesweges hoffen. Denn Gott ist noch immer derselbe, der er ehemals war; und es können nur Diejenigen seine wahren Anbeter seyn, die ihn in seinem eigenen Geiste anbeten. Diese liebt und behütet er wie seinen Augapfel; die Andern aber verachtet er, weil sie ihn mit ihren eigenwilligen Verrichtungen doch nur verhöhnen. Doch laßt uns hören, was der Herr weiter zu jenem Volke sagte; denn es betrifft den Zustand der Christenheit in unsern Tagen: „Wer einen Ochsen schlachtet, ist eben, als der einen Mann erschlüge; wer ein Schaf opfert, ist als der einem Hunde den Hals bräche; wer Speisopfer bringt, ist als der, welcher Saublut opfert. Wer des Weihrauchs gedenkt, ist als der das Unrecht lobt. Solches erwählen sie in ihren (eigenen) Wegen, und ihre Seele hat Gefallen an ihren Greueln.“[19] Niemand sage: Wir bringen auch dergleichen Opfer nicht; denn davon ist die Rede nicht. Gott zürnte nicht über die Opfer, sondern über die Opfernden. Jene wurden nach einer gesetzlichen Vorschrift dargebracht, die Gott [96] selbst angeordnet hatte; da aber Diejenigen, welche sie darbrachten, sich nicht in der dazu erforderlichen Geistesstimmung und rechten Gemüthsverfassung befanden, so erklärte Gott, und zwar auf eine sehr nachdrückliche Weise, seinen Abscheu dagegen; und an einem andern Orte verbietet er sogar, durch denselben Propheten, alle fernere Opfer solcher Art. „Bringet nicht mehr Speisopfer so vergeblich,“ sagt Gott. „Das Rauchwerk ist mir ein Greuel; der Neumonden und Sabbathe, da ihr zusammenkommt, und Mühe und Angst habt, mag ich nicht. Und wenn ihr gleich eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und ob ihr gleich viel betet, höre ich euch doch nicht.“[20] Welch eine furchtbare Verwerfung ihres Gottesdienstes! Und warum verwarf ihn der Herr? – Weil ihre Herzen verunreinigt waren; weil sie den Herrn nicht von ganzem Herzen liebten, sondern sein Gesetz übertraten, sich gegen seinen Geist empörten, und nicht thaten, was in seinen Augen recht war. Dieses gehet sehr klar aus der Veränderung und Besserung hervor, die er in den folgenden Worten verlangt: „Waschet, reiniget euch, thut euer böses Wesen vor meinen Augen hinweg. Lasset ab vom Bösen, lernet Gutes thun. Trachtet nach Recht, helfet dem Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht und helfet (führet) der Wittwen Sache.“[21] Unter diesen Bedingungen, die unerläßlich sind, ladet er nun Alle ein, zu ihm zu kommen, wenn er ferner sagt: „Wenn denn auch eure Sünden blutroth sind, sollen sie doch schneeweiß werden; und wären sie wie Rosinfarbe, so sollen sie doch wie (weiße) Wolle werden.“[22]

[97] Ebenso wahr ist jene merkwürdige Stelle, wo der Psalmist sagt: „Kommet her, höret zu Alle, die ihr Gott fürchtet; ich will erzählen, was er an meiner Seele gethan hat. Zu ihm rief ich mit meinem Munde, und pries ihn mit meiner Zunge. Wenn ich etwas Unrechts vorhätte in meinem Herzen, so würde der Herr mich nicht hören. Nun aber erhöret mich Gott und merket auf mein Flehen. Gelobet sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.“[23]

§. 10. Es könnten noch mehrere dergleichen Stellen angeführt werden, welche das Mißfallen Gottes sogar an den von ihm selbst vorgeschriebenen Formen der Gottesverehrung an den Tag legen, wenn nämlich diese nicht unter dem Einflusse seines Geistes und ohne die nöthige Vorbereitung des menschlichen Herzens vollzogen wird, die nur durch ihn bewirkt und verliehen werden kann. Die Nothwendigkeit einer solchen innern Bearbeitung unserer Herzen, und das Mittel, sie zu erlangen, empfiehlt uns aber unter allen andern Verfassern der heiligen Schrift keiner öfterer und eindrücklicher durch sein eigenes Beispiel, als der Psalmist, welcher, indem er sich seiner großen Fehltritte und der Veranlassungen zu denselben, wie auch des Mittels, durch welches er Gott wohlgefällig ward, und Kraft und Trost von ihm erhielt, fortwährend erinnert, sich öfters selbst auffordert und ermahnt, auf Gott zu harren. „Leite mich, Herr, in deiner Wahrheit,“ sagt er, „und lehre mich; denn du bist der Gott, der mir hilft. Auf dich harre ich täglich.“[24][98] Seine Seele war auf Gott gerichtet, von dem er Errettung und Befreiung von den Schlingen und Verführungen der Welt erwartete. Dieses setzt eine innere Gemüthsübung, eine geistliche Aufmerksamkeit voraus, die sich nicht mit der Beobachtung äußerer Formen beschäftigte, sondern nach der innern göttlichen Hülfe aussah.

David mußte in der That auch große Aufmunterung zu diesem innern Harren auf den göttlichen Einfluß finden; da die Güte Gottes ihn dazu einlud und ihn darin stärkte. Denn er sagt selbst: „Ich harrete (geduldig) auf den Herrn, und er neigete sich zu mir und hörte mein Schreien. Er zog mich aus dem Schlamme und stellte meine Füße auf einen Felsen.“[25] Der Herr erschien David in seinem Innern, seine Seele zu trösten, die auf seine Hülfe harrete, und sie von den Versuchungen und Bekümmernissen zu befreien, die sie überwältigen wollten, und er gewährte ihm Sicherheit und Frieden. Darum sagt er, „der Herr habe seine Tritte gewiß gemacht;“ das heißt: er habe sein Herz in dem Wege der Gerechtigkeit bevestigt; denn zuvor befleckte ihn jeder Schritt den er that, und er war kaum vermögend zu gehen, ohne zu fallen; da er sich von allen Seiten mit Versuchungen und Fallstricken umgeben sah. Aber er harrete geduldig auf Gott, sein Herz zog sich, wachsam und aufmerksam auf das Gesetz des Geistes Gottes, davon zurück, und da fühlte er, daß der Herr sich zu ihm neigete. Das Geschrei seiner Seele, das aus einem wahren Gefühle seines Elendes und des Bedürfnisses der göttlichen Hülfe hervorging, drang in den Himmel und [99] ward erhört. Da erfuhr David Rettung und Erlösung in der von Gott ersehenen, nicht in der von ihm selbst gewünschten Zeit; und er empfing Kraft, alle seine Kämpfe durchzugehen und alle seine Trübsale zu überstehen. Und dann, sagt er uns, „habe der Herr ihm ein neues Lied in seinen Mund gelegt, um unsern Gott zu loben.“[26] Dieses ward ihm also von Gott gegeben, und war folglich nicht sein eigenes Werk.

Zu einer andern Zeit hören wir ihn ausrufen: „Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, o Gott! zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue.“[27] Dieses übertrifft alle äußere Formalität und ist etwas, das sich nicht wie eine Aufgabe erlernen läßt. Wir können aber daraus abnehmen, daß wahre Gottesverehrung ein inneres Werk ist; daß die Seele in ihrer himmlischen Sehnsucht durch den himmlischen Geist gerührt und erhoben werden muß; und daß die wahre Anbetung in der Gegenwart Gottes verrichtet wird. „Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?“ oder „vor Gottes Angesichte erscheine?“ David redet nicht vom Erscheinen im Tempel mit äußern Opfern, sondern vom Erscheinen vor Gott, in seiner heiligen Gegenwart, wo die Seelen der wahren Anbeter Gott schauen, wenn sie vor ihm erscheinen; und dieses ist die große Sache, nach welcher sie verlangen und dürsten, und worauf sie harren. Aber die mehrsten Bekenner des Christenthums sind hierin so sehr von Davids Beispiele abgewichen, daß es ihnen sonderbar [100] vorkommt, wenn dieser fromme Mann uns versichert: „Wahrlich meine Seele harret auf Gott!“ und daß er es seiner eigenen Seele zur Pflicht macht, dieses zu thun, wenn er sagt: „O meine Seele harre du nur auf Gott; denn er ist meine Hoffnung.“[28] Als sagte er: Kein Anderer kann mein Herz zubereiten und meinen Bedürfnissen abhelfen. Daher erwarte ich Nichts von meinen eigenen willkührlichen Religionsübungen, oder von der äußern leiblichen Verehrung, die ich Gott darbringen kann. Dieses Alles hat keinen Werth, und kann weder mir selbst etwas nützen, noch dem Allmächtigen wohlgefallen. Aber ich harre auf ihn, daß er mir Stärke und Kraft verleihe, mich so vor ihm darzustellen, als es ihm am angenehmsten seyn wird; denn wenn er sich selbst ein Opfer zubereitet, so wird es ihm gewiß auch angenehm seyn. Daher erwähnt er in zwei Versen dreimal des Harrens; „Ich harre des Herrn; meine Seele harret. – Meine Seele wartet (oder harret) auf den Herrn, von einer Morgenwache bis zur andern.“[29] (Nach der englischen Uebersetzung: „mehr als Diejenigen, die auf den Morgen warten.“) Ja, mit so genauer Aufmerksamkeit und so unermüdet harrte er, daß er an einem Orte sagt: „Das Gesicht vergehet mir, indem ich so lange auf meinen Gott harre.“[30] Er begnügt sich nicht mit dem Hersagen einer gewissen Anzahl Gebete, oder mit der Verrichtung der verordneten gottesdienstlichen Handlungen, oder mit einer beschränkten Wiederhohlung derselben; nein! er läßt nicht nach, bis er den Herrn findet, nämlich seine tröstliche Gegenwart, die seine Seele mit Liebe und Frieden erfüllte.

[101] Dieses war nun aber nicht allein der Gebrauch Davids, als eines mit einem außerordentlichen Einflusse des göttlichen Geistes begnadigten Mannes; denn er redet davon, als von der Art der Gottesverehrung, die zu seiner Zeit unter dem wahren Volke Gottes, dem geistlichen, mit der Beschneidung des Herzens bekannten Israels, üblich war. „Siehe!“ sagt er, „wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren, und die Augen der Magd auf die Hände ihrer Frauen sehen, also sehen unsere Augen auf den Herrn unsern Gott, bis er uns gnädig ist.“[31] Und an einem andern Orte: „Unsere Seele harret auf den Herrn; er ist unsere Hülfe und Schild. Ich will auf deinen Namen harren, denn deine Heiligen haben Freude daran.“[32] Auf Gott zu harren, war also schon in jenen Tagen unter den wirklich gottseligen Menschen gebräuchlich, und als das wahre Mittel bekannt, wodurch sie zum Genusse der Gegenwart Gottes gelangten, und Fähigkeit erhielten, ihn auf die ihm wohlgefälligste Art zu verehren und anzubeten. Daher fand sich auch David sowohl aus eigener Erfahrung der Vortheile, die ihm dieses Harren gewährte, als auch wegen des nützlichen Gebrauchs, den die Heiligen zu seiner Zeit davon machten, bewogen, es ebenfalls Andern zu empfehlen. „Harre auf den Herrn!“ sagt er, „Sei getrost und unverzagt, und harre auf den Herrn.“[33] Harre nur im Glauben und in Geduld, so wird er gewiß zu deiner Errettung erscheinen. Ferner: „Vertraue auf den Herrn, und harre auf ihn in Geduld.“ Das heißt: Wirf dich ganz auf ihn! Gieb dich zufrieden, und harre in allen deinen Bedrängnissen auf seine Hülfe. [102] Du kannst dir nicht vorstellen, wie nahe er mit seiner Hülfe Denen ist, die wahrhaft auf ihn harren. O! versuche es nur und habe Glauben! Noch sagt er uns: „Harre auf den Herrn und halte seinen Weg.“[34] Hier sehen wir die Ursache, warum so Wenige wahre Fortschritte machen. Sie bleiben nicht in seinem Wege, und können daher nie recht auf ihn harren. Indessen hatte David doch gute Gründe für Das, was er sagte; da er so großen Trost und so viele Vortheile in dem gesegneten Wege des Herrn erfahren hatte.

§. 11. Der Prophet Jesaias sagt uns, daß die Gläubigen im Volke, obgleich die Züchtigungen des Herrn wegen ihrer Uebertretungen schwer auf ihnen lagen, dennoch „in dem Wege seiner Gerichte,“ unter Gefühlen seiner Bestrafungen und seines Mißfallens, „auf ihn geharret haben,“ und daß „das Verlangen ihrer Seelen,“ – welches die Hauptsache dabei ist, – „auf seinen Namen und Gedächtniß gerichtet gewesen sei.“[35] Sie waren es gern zufrieden, Verweise und Züchtigungen von ihm zu erhalten, weil sie gesündigt hatten, und es war ihr sehnliches Verlangen, daß er sich ihnen auf diese Weise zu erkennen geben möchte. Aber erschien er ihnen denn nicht auch endlich in seiner Barmherzigkeit? – Allerdings erkannten sie ihn auch darin, so daß sie sagen konnten, „Sehet! das ist unser Gott, auf den wir harren. Er wird uns helfen.! das ist der Herr, auf den wir harren, damit wir in seinem Heile uns freuen und fröhlich sind.“[36] Erfahrungen, welche die arme, sinnliche Welt nicht kennt! O seliger Genuß! o köstliches Vertrauen! Dieses war ein Harren im Glauben, welches [103] obsiegte. Alle Gottesverehrung aber, die nicht im Glauben verrichtet wird, ist nicht nur fruchtlos für die, welche sie vollziehen, sondern auch mißfällig in den Augen Gottes. Und dieser Glaube, der die Eigenschaft hat, daß er das Herz der wahren Gläubigen reinigt und ihnen den Sieg über die Welt giebt, ist eine Gabe Gottes. Doch der Prophet sagt noch ferner: „Wohl Allen, die auf den Herrn harren!“ und warum? „denn die, welche auf den Herrn harren, bekommen neue Kraft, daß sie nicht matt noch müde werden.“[37] Gewiß eine große Aufmunterung, auf Gott zu harren! Aber es geht noch weiter, wenn er sagt, „daß von der Welt her nicht gehöret noch mit Ohren vernommen sei, und kein Auge, ohne Gott, es gesehen habe, was denen geschiehet, die auf ihn harren.“[38] Sehet, das ist das innere Leben und die Freude der Gerechten, der wahren Gottersverehrer, deren Geister vor der Erscheinung des Geistes Gottes in ihren Herzen sich beugen; die Alles verlassen und verleugnen, wogegen derselbe zeuget, und Alles ergreifen und annehmen, wozu er sie leitet.

Aber auch in Jeremia’s Zeiten harrten die wahren Anbeter auf Gott. Denn er versichert uns, „der Herr sei freundlich gegen den, der auf ihn harret, und gegen die Seele, die nach ihm fraget.“[39] So ermahnte gleichfalls der Prophet Hosea die Kirche zu seiner Zeit, sich zu Gott zu wenden und auf ihn zu harren: „So bekehre dich nun zu deinem Gott!“ sagt er, „halte Barmherzigkeit und Recht, und hoffe, (nach dem Englischen: harre oder warte) stets auf deinen Gott.“[40] Auch [104] Micha war sehr eifrig in dieser guten Uebung, indem er mit Entschlossenheit sagt: „Ich will auf den Herrn schauen, und den Gott meines Heils erwarten. Mein Gott wird mich hören.“[41] So redeten die Kinder des Geistes, die ein dürstendes Verlangen nach einem innern Gefühle von Gott hatten. Die Gottlosen können so nicht sprechen; und auch Die nicht, welche ohne Vorbereitung des Herzens beten, die durch stilles Harren erlangt wird. Es ward den Kindern Israels in der Wüste als Ursache ihres Ungehorsams und ihrer Undankbarkeit gegen Gott zum Vorwurfe gemacht, daß sie nicht auf seinen Rath harreten. Und wir können versichert seyn, daß es auch unsere Pflicht ist, deren Vollziehung von uns erwartet wird; da Gott sie beim Zephanja fordert: „Darum, spricht der Herr, müsset ihr wieder auf mich harren, bis ich mich aufmache zu seiner Zeit etc.“[42]. O! möchten doch Alle, die den Namen Gottes bekennen, auf diese Weise harren, und es nicht wagen, sich zu seiner Verehrung zu erheben, ohne seinen göttlichen Einfluß in ihren Herzen zu fühlen! Dann würden sie die Anregungen und das Erheben seines Geistes zu ihrer Hülfe, Zubereitung und Heiligung in ihrem Innern erfahren.

Christus gebot seinen Jüngern ausdrücklich, nicht von Jerusalem zu weichen, sondern auf die Verheißung des Vaters, auf die Taufe des Geistes zu warten,[43] wodurch sie zur Verkündigung seines herrlichen Evangeliums zubereitet und fähig gemacht werden sollten. Da erfolgte freilich eine außerordentliche Ausgießung des heiligen Geistes zu einem außerordentlichen [105] Werke; allein der hohe Grad einer Sache verändert doch ihre Natur und Eigenschaft nicht; und wenn ein so langes Harren oder Warten und eine solche Vorbereitung des Herzens durch den Einfluß des göttlichen Geistes erforderlich war, die Jünger zum Predigen an die Menschen fähig zu machen, so muß wenigstens ein gewisser Grad solcher Vorbereitung nothwendig seyn, um uns die Fähigkeit zu verschaffen, mit Gott zu reden.

§. 12. Ich will diese wichtige Lehre der heiligen Schrift, vom stillen Harren auf Gott, mit jener Stelle im Johannes beschließen, wo von dem Teiche Bethesda die Rede ist. „Es war nämlich zu Jerusalem, bei dem Schafhause, ein Teich, der auf Ebräisch Bethesda hieß, und fünf Hallen hatte. In diesen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme und Dürre, welche auf die Bewegung des Wassers warteten. Denn es fuhr zu seiner Zeit ein Engel in den Teich herab, und bewegte das Wasser. Wer nun, nachdem das Wasser bewegt war, zuerst hinein stieg, der ward gesund; mit was für einer Krankheit er auch behaftet war.“[44] Dieses giebt uns nun eine genaue bildliche Darstellung von dem ganzen Sinne dessen, was bisher über den Gegenstand des Harrens gesagt worden ist. Denn so wie es damals ein äußeres gesetzliches Jerusalem gab, so giebt es jetzt ein evangelisches, geistliches Jerusalem, die Kirche Gottes, die aus den Gläubigen bestehet. Der Teich in jenem alten Jerusalem stellte gewissermaßen die Quelle vor, die jetzt im neuen Jerusalem eröffnet ist. Jener Teich war für Solche, die an körperlichen Krankheiten litten; diese Quelle ist für Alle, die [106] an ihren Seelen krank sind. Damals kam ein Engel, der das Wasser bewegte, um es heilwirkend zu machen; jetzt erscheint der mächtige Engel der Gegenwart Gottes, der diese geistliche Quelle mit heilbringendem Erfolge segnet. Diejenigen, welche damals nicht auf die Ankunft des Engels warteten, und die Zeit seiner Bewegung des Wassers nicht in Acht nahmen, sondern früher hineinstiegen, hatten keinen Nutzen davon; so können auch jetzt Alle, welche die Bewegung des Engels Gottes in ihren Gemüthern nicht abwarten, sondern mit ihren selbstgeformten Andachtsübungen in ihrer selbstbestimmten Zeit vor Gott erscheinen, sicher darauf rechnen, daß sie in ihren Erwartungen eines gesegneten Erfolges sich getäuscht finden werden. So wie daher damals Diejenigen, welche geheilet zu werden begehrten, mit aller Geduld und Aufmerksamkeit auf die Bewegung des Engels warteten, eben so thun dieses die wahren Anbeter Gottes auch jetzt; denn sie fühlen das Bedürfniß und seufzen nach dem Genusse seiner Gegenwart, die ihre Seelen belebt, wie die Sonne die Pflanzen auf dem Felde. Diese haben aus öftern Versuchen das Nutzlose ihrer eigenen Wirksamkeit eingesehen, und sind nun zu dem wahren Sabbathe gelangt. Diese dürfen es nicht mehr wagen, ihre eigenen Einfälle hervorzubringen, oder ungeheiligtes Gebet zu opfern, noch weniger aber leiblichen Gottesdienst zu verrichten, wobei die Seele wirklich unempfindlich oder vom Herrn nicht vorbereitet ist. Diese müssen immer in dem Lichte Jesu auf die nothwendige Vorbereitung ihrer Herzen warten, indem sie eingekehrt und abgeschieden von allen Gedanken, welche die geringste Zerstreuung oder Unruhe in ihren Gemüthern erzeugen [107] könnten, sich still verhalten, bis sie die göttliche Bewegung des Engels gewahr werden, und es dem Geliebten ihrer Seelen gefällt, zu erwachen, den sie vor seiner Zeit nicht wecken dürfen. Ja, sie fürchten sich, in seiner Abwesenheit Andachtsübungen zu verrichten, von denen sie wissen, daß sie ihnen nicht allein keinen Nutzen gewähren, sondern sogar Tadel verdienen würden. „Wer fordert Solches von euren Händen?“[45] sagt der Herr. „Wer glaubt, der fliehet nicht.“ (Nach dem Englischen: „der eilet nicht.“) Diejenigen, welche in der Abwesenheit ihres geistlichen Führers selbsterdachte gottesdienstliche Handlungen verrichten, machen es nicht besser als jene Israeliten, die in Moses Abwesenheit ihre goldenen Ohrringe in ein gegossenes Bild verwandelten, aber auch mit ihren Bemühungen den Fluch des Herrn sich zuzogen. Auch traf Jene vor Zeiten kein besseres Loos, „die selbst ein Feuer anzündeten, und, mit Flammen gerüstet, in dem Feuer wandelten, das sie selbst angezündet hatten.“ Denn Gott sagte ihnen, „daß sie in Schmerzen liegen müßten.“[46] Es sollte ihnen nicht allein keinen Nutzen bringen, sondern sogar ein Gericht vom Herrn nach sich ziehen; Kummer und Seelenangst sollte ihr Theil seyn. Der sinnliche Mensch möchte freilich auch gern beten, wiewohl er nicht harren kann, und auch keine Geduld hat, die Vorbereitung seines Herzens abzuwarten; ja er möchte gern ein Heiliger seyn, obgleich es ihm unerträglich ist, den Willen Gottes zu thun oder zu leiden. Mit seiner Zunge lobt er Gott, und mit derselben Zunge fluchet er dem Menschen, der nach dem Bilde Gottes gemacht ist.[47] Er nennt Jesum [108] seinen Herrn, aber nicht durch den heiligen Geist; er führet oft den Namen Jesu im Munde, ja, er beugt seine Knie vor diesem Namen; läßt aber nicht ab von der Ungerechtigkeit.[48] Dieses ist Gott ein Greuel.

§. 13. Es giebt vier Stücke, die zur wahren Anbetung Gottes unumgänglich nothwendig sind, und durch welche die Vollziehung derselben so ganz dem eigenen Vermögen des Menschen entzogen wird, daß es nur nöthig zu seyn scheint, sie zu nennen, um dieses einleuchtend zu machen. Das erste ist, die Heiligung, oder der durch die Kraft Gottes belebte, gereinigte und geheiligte Gemüthszustand des Anbeters. Das zweite ist die Einweihung oder nöthige Zubereitung des Opfers, wovon schon oben ziemlich weitläuftig gehandelt worden ist. Das dritte ist die Sache, um welche man bittet, die Niemand kennet, der nicht durch die Hülfe oder unter dem Einflusse des heiligen Geistes betet; weshalb denn auch Niemand, ohne diesen göttlichen Einfluß zu haben, recht beten kann. Dieses setzt der Apostel Paulus außer allen Zweifel, wenn er sagt: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sichs gebühret; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem Seufzen.“[49] Menschen, die mit der Kraft und den Wirkungen des heiligen Geistes unbekannt sind, können den Willen und die Absicht Gottes nicht erkennen, und ihm daher mit ihren Gebeten auch gewiß nicht gefallen. Es ist nicht genug, zu wissen, daß wir Bedürfnisse und Schickungen haben: wir sollten auch einsehen lernen, ob nicht oft das, was uns widerfährt, einen Segen für [109] und enthält. Gott läßt über die Stolzen Demüthigungen, über die Geizigen Verluste, über die Ungehorsamen Züchtigungen ergehen; diese entfernen zu wollen, hieße die Beförderung des Verderbens, nicht des Heils der Seele suchen.

Die sinnliche Welt betrachtet und beurtheilt Alles nur nach sinnlichen Begriffen; und nur zu Viele, die für erleuchtet gehalten seyn wollen, sind geneigt, den Fügungen der Vorsehung falsche Namen zu geben. So pflegen sie, zum Beispiele, Trübsale Gerichte, und Prüfungen, die köstlicher als das so sehr geliebte Gold sind, Unglück zu nennen, indem sie, im Gegentheile, den Beförderungen der Welt den Namen: Ehre, und dem Besitze ihrer Güter, den der Glückseligkeit beilegen; da diese doch, wenn sie es auch in einem Falle seyn mögen, in hundert andern, – wie sehr zu befürchten ist, – von Gott als Gerichte, wenigstens als Prüfungen, für ihre Besitzer, zugelassen werden. Es ist daher schwer zu entscheiden, was der Mensch behalten, verwerfen oder begehren soll; eine Aufgabe, die nur Gott seiner Seele auflösen kann. Denn da Gott unsere Bedürfnisse besser kennt, als wir sie selbst einsehen, so kann er auch besser uns, als wir ihm, sagen, was wir nöthig haben. Deswegen ermahnte Christus seine Jünger, daß sie lange Gebete und Wiederhohlungen vermeiden sollten, indem er ihnen sagte: „Euer himmlischer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet.“[50] Und darum gab er ihnen auch ein Muster des Gebets; aber nicht, wie Einige der Meinung sind, daß er jenen menschlichen Liturgien zum Texte dienen sollte, die unter allen religiösen [110] Gebräuchen am mehrsten durch Länge und Wiederhohlung sich auszeichnen; sondern ausdrücklich, um diese zu tadeln und sie uns vermeiden zu lehren. Gesetzt aber auch, man wäre über jene Bedürfnisse, welche den Gegenstand des Gebets ausmachen sollten, einig; – wiewohl dieses immer ein schwieriger Punkt seyn würde; – so ist es doch von noch größerer Wichtigkeit, zu wissen, wie, als was man bitten soll; da hierbei nicht sowohl der Gegenstand des Gebets, als die Gemüthsverfassung des Betenden in Betrachtung kommt. Die Sache, um welche man bittet, kann recht und gut, aber der Zustand, in dem man bittet, mangelhaft seyn. Obgleich also, – wie schon erwähnt ist, – Gott nicht bedarf, daß wir ihm unsere Bedürfnisse anzeigen, da Er sie uns zu erkennen geben muß; so will er dennoch, daß wir unser Anliegen vor ihm sollen kund werden lassen, damit wir ihn suchen mögen, und er sich zu uns herablassen könne. Und wenn dieses nun geschiehet, „so will der Herr den Elenden ansehen, der zerbrochenen Geistes ist, und der sich fürchtet vor seinem Worte.“[51] Das sind die kranken Herzen, die verwundeten Seelen, die Hungrigen und Durstigen, die Müden und schwer Beladenen, die sich aufrichtig nach einem Helfer sehnen.

§. 14. Doch ist dieses Alles zu einer vollkommnen evangelischen Anbetung Gottes noch nicht hinreichend, wenn nicht auch das vierte Erforderniß dabei ist, nämlich: der Glaube; der wahre köstliche Glaube der Auserwählten Gottes, der das Herz reinigt, die Welt überwindet und der Sieg der Gläubigen ist.[52] Dieser muß [111] das Gebet beleben, und es durchdringend machen, wie bei dem anhaltenden cananäischen Weibe, das sich nicht wollte abweisen lassen, und zu welcher Christus, indem er sie zu bewundern schien, sagte: „O Weib! dein Glaube ist groß!“[53] Dieser Glaube ist von der größten Wichtigkeit und Nothwendigkeit für uns, wenn wir wünschen, daß unser Gebet Annahme bei Gott finden möge; wiewohl auch er nicht in unserer Macht stehet, sondern Gottes Gabe ist, von dem wir ihn empfangen müssen. Ein Körnlein dieses Glaubens aber richtet mehr aus, wirkt mehr Erlösung und Befreiung, und verschafft uns reichlichere Gnade und Barmherzigkeit, als alles eigene Laufen, Wollen und Wirken, und alle menschliche Erfindungen und leibliche Andachtsübungen nicht hervorbringen können. Wenn wir dieses gehörig erwägen, so werden wir leicht die wahre Ursache entdecken, warum die vielen gottesdienstlichen Verrichtungen und Uebungen, die wir in der Welt wahrnehmen, den Menschen so wenig Nutzen bringen; da diese offenbar keine andere ist, als weil es ihnen am wahren Glauben mangelt. Sie bitten, und erlangen nicht;[54] sie suchen, und finden nicht; sie klopfen an, und es wird ihnen nicht aufgethan. Die Ursache davon liegt klar am Tage: ihre Bitten sind nicht mit der reinigenden Kraft des Glaubens verbunden, wie Jakobs Bitten waren, als er mit Gott rang und obsiegte. Und die Wahrheit ist, leider! die, daß die Mehrsten noch in ihren Sünden leben und den Lüsten ihrer Herzen folgen, den Ergötzlichkeiten der Welt nachgehen und mit diesem köstlichen Glauben ganz unbekannt sind. Diese Ursache des geringen Nutzens, den [112] das Predigen des Wortes Gottes bei Einigen in vorigen Zeiten hatte, giebt der tiefblickende Verfasser der Epistel an die Ebräer deutlich an, wenn er sagt: „Das Wort der Predigt half Jenen nichts, weil Diejenigen, die es hörten, nicht glaubten.“[55] – Kann ein Prediger wohl ohne Glauben recht und nützlich predigen? Nein! So kann auch noch vielweniger Jemand ohne Glauben zu seinem wahren Nutzen beten. Denn wahre Anbetung Gottes ist die erhabenste Handlung, der das Gemüth des Menschen fähig ist; und wenn bei den weniger erhabenen religiösen Verrichtungen der Glaube nothwendig ist, so darf er gewiß bei dieser nicht fehlen.

§. 15. Dieses kann bei Einigen ihre Bewunderung mäßigen, warum Christus so oft seine Jünger mit den Worten: „O ihr Kleingläubigen!“ tadelte, und dennoch sagte, daß ein so geringes Maß wahren lebendigen Glaubens, als einem Senfkörnchen, einem der kleinsten Samenkörner, zu vergleichen ist, Berge versetzen könne. Als wenn er gesagt hätte: es giebt keine Versuchung, die so mächtig wäre, daß der wahre Glaube an ihn sie nicht überwinden könnte. Die wahre Ursache also, warum Diejenigen, welche mit Versuchungen umgeben sind, in ihrer geistlichen Noth keine Hülfe erfahren, kann nur die seyn, daß sie diesen kräftigen Glauben nicht haben. Auch war derselbe vor Zeiten so nothwendig, daß Christus an manchen Orten nicht viele mächtige Werke verrichten konnte, weil die Leute daselbst keinen Glauben hatten; und wenn er durch seine Kraft an andern Orten Wunder that, so wirkte doch der Glaube dabei mit; so daß es schwer zu bestimmen ist, ob seine Kraft durch den [113] Glauben, oder der Glaube durch seine Kraft die Wunder verrichtete. Erinnern wir uns, was für merkwürdige Dinge ein wenig Tonerde und Speichel, eine bloße Berührung des Saums seines Gewandes, ein paar Worte aus seinem Munde, durch die Macht des Glaubens bei den Kranken verrichteten.[56] „Glaubet ihr, daß ich euch die Augen öffnen kann?“ sagte Christus zu den Blinden; – „ja Herr!“ antworteten sie, und sahen.[57] „Glaube nur!“ sagte er zu dem Obersten; er that’s, und seine Tochter erhielt das Leben wieder.[58] Bei einer andern Gelegenheit sagte er: „Wenn du glauben kannst?“ – „Ich glaube,“ schrie der bekümmerte Vater mit Thränen, „Herr! hilf meinem Unglauben!“[59] Da mußte der böse Geist weichen, und der Knabe ward gesund. Zu Einem sagte er: „Gehe hin, dein Glaube hat dich gesund gemacht.“[60] Zu einem Andern: „dein Glaube hat dir geholfen; deine Sünden sind dir vergeben.“[61] Und als seine Jünger sich wunderten, wie schnell sein Ausspruch über den unfruchtbaren Feigenbaum in Erfüllung gegangen war, sagte er ihnen zu ihrer Aufmunterung im Glauben: „Wahrlich ich sage euch, wenn ihr Glauben habt, und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Solches mit dem Feigenbaume thun, sondern wenn ihr zu diesem Berge sagen werdet: hebe dich auf, und wirf dich ins Meer, so wird es geschehen; und Alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubet, so werdet ihr es empfangen.“[62]. Schon diese [114] eine Stelle überführt die allgemeine Christenheit ihres großen Unglaubens; indem sie bittet, aber nicht empfängt.

§. 16. Einige werden vielleicht sagen, es sei unmöglich, daß ein Mensch Alles, was er bitten mag, erhalten könne. Es ist aber nicht unmöglich, daß der Mensch, der im wahren Glauben an die Kraft Gottes und nach der Leitung seines Geistes betet, alles Das, um welches er so bittet, empfange, und die Früchte des Glaubens sind keinesweges unerreichbar für Diejenigen, welche wahrhaft an den Gott glauben, der sie darreichen kann. Denn, als Jesus zu dem Obersten sagte: „Wenn du glauben kannst?“ fügte er hinzu: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“[63] Hierauf werden Andere erwiedern, es sei unmöglich, einen solchen Glauben zu haben; denn die Ungläubigen möchten gern ihren Mangel an Glauben damit entschuldigen, daß sie es für unmöglich halten, ihn zu besitzen. Allein Christus widerlegt diese Einwendung vollkommen in seiner Antwort, die er den Ungläubigen jenes Zeitalters in den Worten gab: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“[64] Hieraus folgt nun, daß es eben so wenig bei Gott unmöglich ist, einen solchen Glauben zu geben, als es gewiß ist, daß man ohne denselben „Gott unmöglich gefallen könne;“ wie der Verfasser der Epistel an die Hebräer lehret. Und wenn es also nicht möglich ist, daß Jemand ohne Glauben Gott gefallen könne, so kann auch gewiß Niemand ohne diesen köstlichen Glauben erhörlich zu Gott beten. [115] §. 17. Vielleicht werden Einige auch fragen: Was ist denn dieser Glaube, der zur Anbetung Gottes so nothwendig ist, und dem Menschen die große Wohlthat gewährt, daß sein Gebet Annahme bei Gott findet? Ich antworte: Dieser Glaube bestehet in einer heiligen Ergebung in den Willen Gottes, und in einem festen Vertrauen auf ihn, welches sich durch religiösen Gehorsam gegen seine göttlichen Forderungen beweiset, und wodurch der Seele eine klare Ueberzeugung von Dem, was sie noch nicht siehet, und ein gewisses Vorgefühl von dem Wesen der Dinge, auf welche sie hoffet, nämlich, von der Herrlichkeit, die hernach geoffenbaret werden soll, erlangt. Da nun dieser Glaube Gottes Gabe ist, so reinigt er auch die Herzen Derer, die ihn empfangen; und der Apostel Paulus bezeuget, daß er nur in einem reinen Gewissen wohne. Darum verbindet er an einem Orte „ein reines Gewissen mit ungeheucheltem Glauben,“ und an einem andern: „Glauben mit einem guten Gewissen.“[65] Jakobus vereinigt „Glauben mit Gerechtigkeit,“[66] und Johannes mit dem Siege über die Welt: „Unser Glaube,“ sagt er, „ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“[67]

§. 18. Die Besitzer dieses Glaubens sind, – wie Paulus erklärt, – auch ohne äußere Beschneidung, die wahren Kinder Abrahams; indem sie, dem Gehorsame des Glaubens gemäß, in seinen Fußstapfen wandeln,[68] wodurch allein die Menschen ein Recht zu dieser Benennung erwerben können. Dieser Glaube erhebt nicht nur [116] über die Sünde, sondern auch über die Gerechtigkeit der Welt.[69] Aber Niemand kann ihn anders erlangen, als wenn er durch die Kraft des Kreuzes Christi den Tod seiner Selbstheit erduldet, und allein durch Christum sein ganzes Vertrauen auf Gott setzt.

Die merkwürdigen Thaten, die zu allen Zeiten durch diese göttliche Gabe des Glaubens verrichtet wurden, sind groß und berühmt. Es würde mir aber an Zeit fehlen, sie herzuzählen, da die ganze heilige Geschichte davon voll ist. Mag es daher genügen, zu bemerken, daß durch den Glauben die heiligen Alten alle Prüfungen erduldeten, alle Feinde überwanden, selbst Gott übermochten, seine Wahrheit verbreiteten und verherrlichten, ihre Zeugnisse vollendeten und die Belohnung der Gläubigen, eine Krone der Gerechtigkeit, empfingen, welche die ewige Seligkeit der Gerechten ist.

  1. Matth. 12, 36.
  2. Jes. 1, 12.
  3. Hes. 37, 12–15.
  4. Ps. 10, 17.
  5. Spr. Sal. 16, 1.
  6. Ps. 12, 5.
  7. Ps. 72, 12. 14.
  8. Ps. 14, 6–8.
  9. Ps. 115, 13.
  10. Matth. 9, 12.
  11. Ps. 22, 26. Ps. 107, 9.
  12. Ps. 74, 21. Ps. 22, 24.
  13. 4 Mose 8. u. 9. 2 Chron. 29, 31. 34. Kap. 30, 16. 17.
  14. Petri 1, 2. Ebr. 10, 19. Kap. 9, 14. Kap. 12, 24.
  15. Micha 6, 6. 7. 8.
  16. Ps. 51, 17.
  17. Ps. 51, 16. 17. 18.
  18. Jes. 66, 1. 2.
  19. Jes. 66, 3.
  20. Jes. 1, 13–15.
  21. V. 16. 17.
  22. V. 18.
  23. Ps. 66, 16–20.
  24. Ps. 25, 5.
  25. Ps. 40, 1. 2.
  26. Ps. 40, 4.
  27. Ps. 42, 1. 2.
  28. Ps. 62, 6.
  29. Ps. 130, 5. 6.
  30. Ps. 69, 4.
  31. Ps. 123, 2.
  32. Ps. 33, 20. u. 52, 11.
  33. Ps. 27, 14.
  34. Ps. 37, 34.
  35. Jes. 26, 8.
  36. Kap. 25, 9.
  37. Jes. 30, 18.   Kap. 40, 31.
  38. Jes. 64, 4.
  39. Klagl. Jer. 3, 25.
  40. Hos. 12, 7.
  41. Micha 7, 7.
  42. Zeph. 3, 8.
  43. Ap. Gesch. 1, 4.
  44. Joh. 5, 2. 3. 4.
  45. Jes 1, 12. Kap. 28, 16.
  46. Jes. 50, 11.
  47. Jak. 3, 8-10.
  48. 1 Kor. 12, 3.   2 Tim. 2, 19.
  49. Röm. 8, 26.
  50. Matth. 6, 7. 8.
  51. Jes. 66, 2.
  52. 1 Tim. 1, 5.   Ap. Gesch. 15, 9.   Tit. 1, 1.   2 Petri 1, 1.   1 Joh. 5, 4.
  53. Matth. 15, 28.
  54. Jak. 4, 3.
  55. Ebr. 4, 2.
  56. Joh. 9, 11. Luk. 8, 47. 48.
  57. Matth. 9, 28. 30.
  58. Mark. 5, 36. Matth. 9, 23.
  59. Mark. 9, 23. 24.
  60. Mark. 10, 52.
  61. Luk. 7, 48. 50.
  62. Matth. 21, 21. 22.
  63. Matth. 9, 23.
  64. Matth. 19, 26. Luk. 18, 27.
  65. 1. Tim. 1, 5. Kap. 3, 9.
  66. Jak. 2, 14 bis zu Ende.
  67. 1 Joh. 5, 4. 5.
  68. Röm. 4, 12.
  69. Joh. 16, 9. 10.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 12. Nummerierungsfehler.
« Kap.5 William Penn
Ohne Kreuz keine Krone
Kap.7 »
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